Alexander von Humboldt - Andreas W. Daum - E-Book

Alexander von Humboldt E-Book

Andreas W. Daum

0,0
7,49 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Als Naturforscher von Weltrang und Vermittler zwischen unterschiedlichen Kulturen fasziniert uns Alexander von Humboldt bis heute. Seine vielfältigen Forschungen und ausgedehnten Reisen trugen zur Globalisierung des Wissens bei, und sie vernetzten die Welt auf neue Weise. Andreas Daums kompakter Überblick stellt den Menschen Humboldt, sein Leben und weitgespanntes Werk klar und anschaulich vor. Humboldts Biographie wird so zum Spiegel der dramatischen Umwälzungen, welche die Epoche vom späten 18. bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts erlebte.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Andreas W. Daum

ALEXANDER VON HUMBOLDT

C.H.Beck

Zum Buch

Alexander von Humboldt ist eine Epochengestalt, die uns noch immer fasziniert. Sein Erkenntnisdrang führte ihn auf Forschungsreisen quer durch Europa, nach Amerika, Asien und in immer neue Themenfelder. Humboldt machte deutlich, dass das Verknüpfen von Kontinenten, Kulturen und Wissen ein nie endender Prozess ist, den wir heute als Teil der Globalisierung unserer Gesellschaft verstehen. Andreas Daum stellt anschaulich das bewegte Leben und weitgespannte Werk dieses Naturforschers von Weltrang vor. Einfühlsam beschreibt er Humboldt als ebenso intellektuellen wie sinnlichen Menschen. Der vorliegende Band ermöglicht es, die Biographie und vielfältigen Unternehmungen Humboldts im Zusammenhang eines revolutionären Zeitalters zu verstehen, das die Welt auf dramatische Weise veränderte.

Über den Autor

Andreas Daum lehrt als Professor für Geschichte an der State University of New York in Buffalo (USA). Er ist neben seiner Humboldtforschung mit Büchern zur Geschichte der Wissenschaftspopularisierung, der Emigration aus dem Dritten Reich und zu John F. Kennedy hervorgetreten. Die Alexander von Humboldt-Stiftung hat ihn für 2019/20 mit einem Humboldt-Forschungspreis ausgezeichnet.

Inhalt

Die Faszination Humboldts

I. Den Verstand üben: Von der Kindheit zum Studium, 1769–​1792

II. In ständiger Bewegung: Praktiken und Ideen, 1792–​1799

III. Das Zusammenwirken der Kräfte: Auf dem Weg zu Humboldts Wissenschaft

IV. Ein Bild des Ganzen gewinnen: Die amerikanische Reise, 1799–​1804

V. Dem Publikum übergeben: In der bürgerlichen Gesellschaft, 1804–​1827

VI. Lieben, was man begreift: In wechselnden Welten, 1827–​1840

VII. Zwischen Kosmos und Fragmenten: Die letzten Jahre, 1840–​1859

Zeittafel

Nachwort

Literaturhinweise

(1) Humboldts Schriften

Bücher bis 1799

Bücher zur Amerikareise und aus späteren Jahren

Tagebücher

Briefe, Bilder und autobiographische Texte

(2) Zu Humboldt

(3) Zur Epoche

Verzeichnis der Abbildungen und Karten

Personenregister

Für Nicholas und Alexander

Die Faszination Humboldts

Als Forschungsreisender, universal begabter Wissenschaftler und Gestalt von globaler Ausstrahlung beeindruckte Alexander von Humboldt (1769–​1859) schon seine Zeitgenossen zutiefst. Bis heute spüren wir die Faszination, die von ihm ausgeht. Mein Band beschreibt das Leben dieses außergewöhnlichen Menschen und verortet Humboldt in seiner Zeit. Entlang der biographischen Erzählung stelle ich das Werk Humboldts, seine wichtigen Ideen und Unternehmungen vor. Viele der neueren Forschungen sind in die Darstellung eingearbeitet, ohne ausdrücklich auf akademische Diskussionen einzugehen.

Ein solcher Überblick muss es mit den Besonderheiten von Humboldt aufnehmen. Er ist als Mensch und in seinen ausufernden Publikationen schwer zu fassen, zumal beide durchaus ironische Züge aufweisen. Humboldt hielt seine private Sphäre bedeckt, suchte aber wie kaum ein anderer Wissenschaftler die Öffentlichkeit. Seine Neugier entgrenzte Themen und Regionen, welche die meisten Zeitgenossen und nachfolgende Generationen trennten. Über viele Jahre hinweg blieb er ständig in Bewegung, in anderen suchte er die Stabilität vertrauter Orte. Seine Reisen führten ihn von Europa zu den Anden und nach Asien. Humboldts Interessen waren dabei enorm breit gestreut. Sie reichten von der Botanik und Geologie bis hin zur Kunst und Geschichte – und bildeten sich in den ausgedehnten persönlichen und wissenschaftlichen Netzwerken ab, die Humboldt knüpfte. So schrieb und erhielt er Zehntausende von Briefen.

Und doch: Alexander von Humboldt selbst wusste nur zu gut, dass Vollständigkeit nie zu erreichen ist. Er hat unzählige Informationen gesammelt, allerdings oft daran erinnert, dass sich Einzelheiten zu allgemeinen Aussagen über ihren Zusammenhang verbinden sollen. Daher kann man auch auf knappem Raum Humboldt deuten und Akzente setzen. Dies beginnt damit, ihn in seiner Entwicklung und seinem historischen Kontext zu sehen. Humboldt fiel nicht vom Himmel. Er hatte nicht nur viele Bewunderer, sondern auch eindrucksvolle Vorgänger und Mitstreiter. Seine geradezu überschäumenden Fähigkeiten brauchten ein Umfeld, um sich auszuprägen und Wirkung zu erzielen.

Humboldt zeigt sich in den nachfolgenden Kapiteln als ein Multitalent, das Wissenschaft zum Beruf und fortwährende Forschung zum Lebensstil machte. Er war gleichwohl mehr als nur ein Intellektueller und blieb eine komplexe Persönlichkeit. Wir begegnen auch einem empfindsamen und emotionalen Menschen von ausgeprägter Sinnlichkeit, der sich seiner Begehren und Frustrationen wohl bewusst war. Humboldt bewegte sich zudem in vielfältigen sozialen Beziehungen, so einzelgängerisch er mitunter erscheinen mochte. Das intellektuelle und persönliche Wechselspiel mit seinem Bruder Wilhelm durchzieht seine Biographie.

Humboldts langes Leben von fast neunzig Jahren reichte von der Aufklärung des 18. Jahrhunderts bis in an die Schwelle zum modernen Imperialismus, also weit in das 19. Jahrhundert hinein. Insofern war er eine Epochengestalt, in dessen Leben sich viele der tiefgreifenden Umbrüche und Wandlungsprozesse dieser Jahrzehnte spiegeln. Als Zeitzeuge verfolgte Humboldt Revolutionen in Europa und Amerika. Er sah den Aufstieg und den Fall Napoleons ebenso wie den Kollaps des spanischen Kolonialreiches und den Durchbruch des industriellen, technischen Zeitalters. Aus einer Gesellschaft, die zu Fuß und zu Pferde, in Kutschen und auf Segelschiffen unterwegs war, wurde zu Humboldts Lebenszeit eine der Eisenbahnen und Dampfschiffe. Er lernte die revolutionäre Technik der telegraphischen Nachrichtenübermittlung ebenso kennen wie die der Photographie.

Humboldts Ideen und seine Wissenschaft trugen zu den Prozessen der Globalisierung bei. Er erkannte, wie sich Handel, Wissensbestände und das Schicksal der Menschen über Grenzen hinweg immer enger miteinander verflochten. Humboldt erlebte zugleich, wie Nationalstaaten und politische Ideologien entstanden, die neue Abgrenzungen – im Innern wie nach Außen – hervorbrachten. Umso mehr wurde er zum Vermittler zwischen unterschiedlichen Kulturen. Stets war er darauf bedacht, die eigene Unabhängigkeit zu wahren. Daraus ergab sich der paradoxe Effekt, dass Humboldt in vielen Räumen, in denen er sich bewegte, zum Insider wurde und trotzdem ein Outsider blieb.

Humboldts Gedanken speisten sich aus verschiedenen Quellen. Sie waren mit praktischen Überlegungen und wirtschaftlichen Zwecken verknüpft, und sie wurden von politischen Erwartungen gerahmt. Nicht selten musste sich Humboldt korrigieren und seine Pläne ändern. Aus dieser vielschichtigen Entwicklung erwuchs Humboldts Wissenschaft. Gestützt auf vergleichende Messungen und Daten, die er mit Hilfe ausgefeilter Instrumente und seiner sinnlichen Wahrnehmung systematisch zusammentrug, wollte Humboldt die Natur als Ganzes und in ihren Wechselwirkungen mit der menschlichen Gesellschaft erklären – und sie ästhetisch ansprechend darstellen. Es ging ihm darum, Natur und Kulturen in globalen Zusammenhängen zu sehen. Er hatte indes mit eben jener Dynamik zu kämpfen, die er selbst vorlebte. Gefördert von der aufstrebenden bürgerlichen Gesellschaft entstand immer mehr Wissen, und es wurde spezialisierter und zunehmend unüberschaubar. Umso mehr verlangte das bürgerliche Publikum, Bildung zugänglich zu machen.

Humboldt nahm alle diese Herausforderungen an. Zuweilen wurde ihm selbst schwindelig ob der Dimensionen und Vielfalt seiner Vorhaben. Auch in dieser Hinsicht gehört Alexander von Humboldt mitten in die Geschichte einer Epoche, die zu einer «Verwandlung der Welt» (Jürgen Osterhammel) führte. Wie jede Figur der Vergangenheit bewahrt er bei allem, was ihn heute aktuell macht, etwas Sperriges. Daher habe ich in den Zitaten aus seinen Briefen, Tagebüchern und Werken die originale Schreibweise beibehalten. Sie markiert, was uns fremd ist und als solches gewahr bleiben sollte. Dagegen sind alle geographischen Bezeichnungen modernisiert.

I. Den Verstand üben: Von der Kindheit zum Studium, 1769–​1792

Alexander von Humboldt wurde am 14. September 1769 im Königreich Preußen geboren. Es ist nicht endgültig geklärt, ob er in Berlin, was wahrscheinlich ist, oder im nordwestlich gelegenen Schloss Tegel das Licht der Welt erblickte. Ein Deutschland als Nationalstaat gab es zu dieser Zeit noch nicht. Und hinsichtlich der Bevölkerungszahl lag Berlin deutlich hinter anderen europäischen Städten wie Lissabon, Wien und St. Petersburg. Mit London und Paris, den Zentren der globalen Mächte England und Frankreich, konnte sich die brandenburgische Stadt schon gar nicht vergleichen. Aber sie war im Kommen. In dieser Wandlung spiegelte sich der Aufstieg Preußens zu einer politischen und wirtschaftlichen Macht in Mitteleuropa. Friedrich II., der «Große», vergrößerte das Territorium Preußens durch seine Kriege. Er versäumte nicht, die Künste und das geistige Leben in seiner Sommerresidenz Potsdam am Rande Berlins zu pflegen. In die Regentschaft Friedrichs und die Jahrzehnte nach dem Siebenjährigen Krieg (1756–​1763), der Preußens Stellung in Europa festigte, fällt die Jugendzeit Humboldts.

Dass Humboldt fast neunzig Jahre alt werden würde, konnte man damals nicht ahnen. Er übertraf bei weitem die durchschnittliche Lebenserwartung in Europa; sie lag um 1800 für Männer bei etwa dreißig Jahren. Sollte er tatsächlich in seiner Kindheit nicht robust gewesen sein, wie die wenigen Quellen andeuten, so eignete er sich im Verlauf seines Lebens eine erstaunliche körperliche Zähigkeit an. Humboldt brauchte sie auf seinen ausgedehnten Reisen und als er Preußen weit hinter sich ließ.

«Jeder Mensch ist ein Produkt seiner Eltern und der Zeit», so schrieb Humboldt als junger Mann. Gewiss war er mehr als nur das. Trotzdem ist seine Familiengeschichte wichtig für die Entwicklung, die er als Persönlichkeit nahm, und für die Unabhängigkeit, die er früh erlangte. Humboldts Mutter, Maria Elisabeth, entstammte der bürgerlichen Familie der Colomb. Als Angehörige des Protestantismus in der hugenottischen Variante hatten die Colombs Frankreich im späten 17. Jahrhundert verlassen. Später kamen sie in Brandenburg, wo den Hugenotten religiöse Toleranz gewährt wurde, zu Vermögen. Für das ehrgeizige Preußen waren sie wegen ihrer unternehmerischen Tatkraft und Förderung des Handels nützlich. Sie trugen zum sogenannten Merkantilismus bei. Der Staat wollte die Binnenwirtschaft fördern, die Produktion einheimischer Güter ankurbeln und die Infrastruktur des Landes verbessern.

Zudem schätzte Friedrich II. die französische Sprache und Kultur. Sowohl die merkantilistischen Impulse als auch den kulturellen Bezug auf Frankreich nahm Humboldt auf. Er wurde zweisprachig erzogen und beherrschte Französisch als Muttersprache. Über viele Jahre hinweg – beginnend auf seiner Südamerikareise – schrieb und parlierte er mehr auf Französisch denn auf Deutsch. Zwei Jahrzehnte lang, von 1807 bis 1827, bildete Paris den Mittelpunkt seines Lebens.

Maria Elisabeth heiratete 1760 den Offizier Friedrich Ernst von Holwede. Er verstarb bereits fünf Jahre später. Das Erbe vergrößerte ihr Vermögen erheblich. Sie besaß bereits ein von den Eltern geerbtes Haus in der Jägerstraße in der Friedrichstadt, nahe dem Zentrum von Berlin. Die städtische Bleibe wurde für Alexander zum Anker im Stadtleben. Aus Holwedes Erbe kamen das Gut Ringelwalde östlich der Oder, heute im polnischen Dyszno, und das gepachtete Schloss Tegel, etwa vierzehn Kilometer nordwestlich von Berlin, hinzu. Zwischen Tegel und der Jägerstraße teilte sich Alexanders Zeit während der ersten beiden Lebensjahrzehnte.

1766 ging die verwitwete Maria Elisabeth ihre zweite Ehe ein und heiratete den preußischen Major Alexander Georg von Humboldt. Dessen Vorfahren hatten sich in staatlichen Verwendungen verdient gemacht, gehörten aber nicht zum alten Adel. Sein Vater ersuchte den preußischen König 1738 um die Nobilitierung. Alexander Georg selbst diente für einige Jahre als Kammerherr am preußischen Hof. Die Verbindung zum Königshaus intensivierte Alexander von Humboldt später. Je nachdem, welche Ziele er verfolgte, nutzte er geschickt die bürgerlichen und die adeligen Prädikate seiner Herkunft. Ein Baron, als den er sich hin und wieder bezeichnete, war Alexander indes nicht.

Zunächst gebar Maria Elisabeth im Juni 1767 den Sohn Wilhelm. Auch ihm war mit siebenundsechzig Jahren ein langes Leben beschieden. Wilhelm verstarb im April 1835 in Tegel. Zu diesem Zeitpunkt war er längst weltberühmt als neuhumanistischer Philosoph, Bildungsreformer und Sprachforscher. Mit der Geburt Alexanders 1769 stieg die Zahl der Söhne im Humboldtschen Haushalt auf drei, denn die Humboldtbrüder wuchsen mit einem Halbbruder auf. Die Mutter hatte aus ihrer ersten Ehe Heinrich von Holwede mitgebracht. Er konnte Wilhelm und Alexander in keiner Weise das Wasser reichen. Das änderte nichts daran, dass die Humboldtbrüder in einer Männergesellschaft groß wurden, auch wenn sie mitunter gemeinsam mit anderen Jungen unterrichtet wurden. Eine größere Bezugsgruppe an Kindern und Mädchen fehlte.

Und die Mutter? Die wenigen uns erhaltenen Quellen zeichnen das Bild einer disziplinierten, strengen Frau, die keine emotionalen Regungen zeigte und ihren Kindern nicht mit Wärme begegnete. Sie seien sich «von je her fremd» gewesen, schrieb Alexander, als sie starb. Der Kontrast zwischen Maria Elisabeth und ihrem zweiten Mann, dem Vater von Wilhelm und Alexander, erscheint im Rückblick umso deutlicher und geradezu tragisch. Der Vater galt als unternehmend und jovial. Als er im Januar 1779 unerwartet starb, hatte Alexander noch nicht einmal sein zehntes Lebensjahr vollendet.

So bleiben auf den ersten Blick die Erinnerungen Alexanders an eine trostlose Jugend, in denen er Zwängen ausgesetzt war und sein Gemüt «gemißhandelt» wurde. Allerdings hören wir auch von einem Alexander, der gerne tanzte, zeichnete und zeitweise mit dem Gedanken spielte, Soldat zu werden. Einem Jugendlichen, der die reichhaltige Flora und Fauna in der malerischen Umgebung des Tegeler Schlosses mit naturkundlichem Interesse durchstreifte. Unbestreitbar aber klaffte eine Lücke an emotionaler Befriedigung und innerer Erfüllung, zumal nach dem Tod des Vaters. Umso enger fühlte sich Alexander seinem Bruder verbunden. Je älter beide wurden, desto deutlicher empfanden sie sowohl das, was sie verband, als auch ihre Eigenheiten. Wilhelm erkannte, dass Alexander keineswegs nur ein Kopfmensch war. Er verstand, wie rastlos Alexander blieb und dass er ehrgeizig immer neue Ziele suchte. Umgekehrt bewunderte Alexander den Intellekt seines Bruders. Wilhelm blieb für ihn ein «prächtiger Mensch», wenn auch «zu esoterisch».

Beide spürten beim Heranwachsen, dass man sie als entgegengesetzte Pole begreifen konnte. Hier wurde Alexander zu einem attraktiven, kräftig gebauten Mann, der seine Interessen an den Naturwissenschaften und der Geographie ausbaute. Unruhig blieb er und nicht willens, kontinuierlich einem Beruf nachzugehen. Dort begann Wilhelm, eher hager und knochig, sich auf Literatur und Philosophie zu konzentrieren. Später übernahm er Aufgaben in der preußischen Diplomatie und Staatsverwaltung. Hier war Alexander, den besonders Männer angezogen, der nie heiratete oder Vater wurde. Dort der von Frauen faszinierte Wilhelm, der als Vierundzwanzigjähriger eine Ehe mit Caroline von Dacheröden einging, aus der nicht weniger als acht Kinder hervorgingen, und doch ein Schwerenöter blieb.

Die Nuancen und die Überschneidungen zwischen beiden sind nicht weniger wichtig. Alexander blieb von früh auf an Kunst, Geschichte und Sprachen interessiert. Zum Dienst im preußischen Bergwesen und zu politischen Missionen im Auftrag der Krone war er ebenso bereit wie zu seinen Verpflichtungen als Mitglied des Königshofs in seinen späten Jahren. Mit gebildeten Frauen kommunizierte er respektvoll und durchaus kokettierend. Wilhelm seinerseits verfolgte die Forschungen seines Bruders mit lebhaftem Interesse. In den 1790er Jahren sezierte er gar mit Alexander Kaninchen und Ratten. Wilhelm, der sich selbst gern Askese zuschrieb, ließ der Gedanke nicht los, schon in der Jugend weniger begabt als sein Bruder gewesen zu sein.

Keiner der beiden besuchte je eine Schule. Hauslehrer übernahmen ihre Erziehung in allen Fächern. Im 18. Jahrhundert war dies in adeligen Familien üblich und selbst in wohlhabenden, bürgerlichen Haushalten oft der Fall. Alexander und Wilhelm schätzten die Kompetenz ihrer Privatlehrer. Diese waren vernetzt in den gelehrten und literarischen Kreisen, die sich im späten 18. Jahrhundert deutlich auszuweiten begannen. Aber sie verstärkten noch die Männerdominanz im ohnehin kleinen Humboldtschen Haushalt und unterstrichen dessen unkindlichen Charakter. Diese Situation war nicht dazu geeignet, neue pädagogische Ideen zu erproben.