Alice in La La Land - Kelly Oram - E-Book

Alice in La La Land E-Book

Kelly Oram

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Beschreibung

Alice will unbedingt Musikerin werden. Doch ihre Mutter würde sie lieber an einem Elite-College sehen und weigert sich, sie zu unterstützen. Als Alice erfährt, dass ihr leiblicher Vater berühmt ist und ihr Bruder niemand Geringeres ist als Brian Oliver, will sie die beiden unbedingt sehen. Kurzerhand stiehlt sie sich auf die Filmpremiere ihres Vaters - nur um dort von Teeniestar Dylan Reese erwischt zu werden. Der verrät sie jedoch nicht, sondern bietet ihr einen Deal an: Er will Alice helfen, ihren Vater zu treffen, wenn sie ihm hilft, seine Ex-Freundin eifersüchtig zu machen. Alice geht darauf ein und findet sich wieder in einem Wirbel aus Musik, Hollywood-Drama und unerwarteten Gefühlen ...

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Seitenzahl: 626

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Inhalt

Cover

Titel

Widmung

Eins

Zwei

Drei

Vier

Fünf

Sechs

Sieben

Acht

Neun

Zehn

Elf

Zwölf

Dreizehn

Vierzehn

Fünfzehn

Sechzehn

Siebzehn

Achtzehn

Neunzehn

Zwanzig

Einundzwanzig

Zweiundzwanzig

Dreiundzwanzig

Vierundzwanzig

Fünfundzwanzig

Sechsundzwanzig

Siebenundzwanzig

Achtundzwanzig

Neunundzwanzig

Dreißig

Einunddreißig

Zweiunddreißig

Dreiunddreißig

Vierunddreißig

Fünfunddreißig

Epilog

Weitere Titel der Autorin

Impressum

Kelly Oram

Übersetzung aus dem amerikanischen Englisch von Stephanie Pannen

Für alle Träumer da draußen.Greif nach den Sternen.

Eins

ALICE

Mein erster selbstgeschriebener Song ist der Hammer, und niemand außer uns dreien in diesem Raum wird ihn jemals zu hören bekommen. Adrenalin strömt durch meine Adern, während ich die letzten Noten auf meiner E-‌Gi‍tar‍re spiele und aus vollem Hals singe. Hinter mir erreicht der Rhythmus des Schlagzeugs seinen Höhepunkt. Dann legt sich Stille über den Raum, der von der Wucht der Musik gerade noch erschüttert wurde. Unser Keuchen vor den Mikrofonen ist das Einzige, was zu hören ist.

»Heiliger Bimbam!«, ruft meine beste Freundin und Bassistin Lexie. »Das war unglaublich!«

Matt, unser unglaublich talentierter Drummer, steht auf und streckt sich. »Das kannst du laut sagen.«

Als er seine Arme über den Kopf hebt, kommt unter dem Saum seines weißen Tanktops ein schmaler Streifen seines muskulösen Bauchs zum Vorschein. Das entgeht auch Lexie nicht. Ich grinse sie an und während Matt nicht hinsieht, deute ich auf meinen Mundwinkel, als müsse sie sich den Sabber wegwischen. Sie wirft mir einen finsteren Blick zu und zeigt mir den Mittelfinger. Ich la‍che.

Ich liebe diese beiden Menschen mehr als alles andere auf der Welt. Es ist kaum zu fassen, dass ich sie erst seit einem Semester kenne. In dieser kleinen texanischen Stadt kennt jeder jeden, also kannte ich sie natürlich vom Sehen, aber wir haben uns immer in ziemlich unterschiedlichen sozialen Kreisen bewegt.

Lexie und Matt sind die totalen Goth- und Punktypen. Lexie hat kurze silberblonde Haare, schwarze Lippen und ein Augenbrauenpiercing. Ohne ihre schwarze Lederjacke verlässt sie nie das Haus. Matt steht auf Unterhemden und Lederhosen. Zusammen mit seinen definierten tätowierten Armen, den leuchtend blau gefärbten Haaren und dem Nasenring wirkt er gleichzeitig sexy und einschüchternd. Die beiden könnten sich nicht krasser von mir unterscheiden, denn ich sehe aus wie das brave Mädchen von nebenan mit langen blonden Locken, ganz normalen kleinen Ohrsteckern und minimalem Make-up.

Innerlich sind wir jedoch verwandte Seelen. Zu Beginn des Semesters haben sie mich dabei entdeckt, wie ich nach einem Streit mit meiner Mutter im Park meine Akustikgitarre gespielt und dazu gesungen habe, um Dampf abzulassen. Sie haben mich gefragt, ob ich auch E-Gitarre spie‍len kann, und der Rest ist Geschichte.

Bei unserer ersten Probe waren sie richtiggehend schockiert, dass jemand, der so brav aussieht wie ich, so krass abgehen kann. Seitdem haben sie mich nicht mehr gehen lassen. Als ihnen klar wurde, dass mein unschuldig wirkendes Äußeres nur Fassade ist, machten sie es sich zur Aufgabe, mich vor meiner unterdrückerischen Mutter zu retten – selbst wenn wir es im Verborgenen tun müssen.

Matt nimmt sich eine Coke aus dem Minikühlschrank und lässt sich auf ein schäbiges altes Sofa sinken. Seine El‍tern lassen uns hier in der allein stehenden Garage hinter ihrem Haus proben. Sie ist weit genug entfernt, um sie nicht zu stören. Es ist ein bisschen schmutzig und zugig, aber es funktioniert. »Unseren eigenen Song zu haben, macht uns übrigens offiziell zu einer Band, da bin ich mir ziemlich sicher.«

Das ist nicht das erste Mal, dass Matt versucht, uns von drei Freunden, die aus Spaß zusammen jammen, in eine »richtige« Band zu verwandeln. Aber wenn die Leadsänge‍rin niemandem sagen darf, dass sie in der Band ist, ruiniert das irgendwie die ganze Sache mit den Auftritten. Ist eine Band, die nirgendwo auftreten kann, wirklich eine Band? Darüber diskutieren wir seit unserer ersten Probe.

Lexie holt sich eine Limo und wirft mir ein Root Beer zu. Dann tritt sie Matts Beine vom Couchtisch, sodass sie sich an ihm vorbeiquetschen und sich neben ihn setzen kann. »Wir brauchen einen Namen.«

Matt streckt den Arm über der Rückenlehne des Sofas aus und schüttelt den Kopf. »Was wir brauchen, ist ein Gig.«

Ich öffne mein Root Beer und seufze niedergeschlagen. »Als ob wir das in dieser geschwätzigen kleinen Stadt durchziehen könnten, ohne dass meine Mom es herausfindet.«

»Die Talentshow am Ende des Jahres«, erwidert Matt. »Man braucht keine elterliche Erlaubnis, um sich anzumelden. Außerdem handelt es sich um eine Schulveranstaltung, also kann sie gar nicht Nein sagen, und sie ist eine Woche vor dem Abschluss. Was soll sie tun? Dir Hausarrest verpassen? Bis dahin bist du schon achtzehn.«

Ich sinke in einen Sessel, der genauso alt ist wie das Sofa. Sprungfedern piksen mich in den Rücken und in den Armlehnen sind Löcher. »Du hast keine Ahnung, wie verbissen meine Mutter ist. Wenn sie herausfinden sollte, dass wir uns angemeldet haben, weiß sie auch über die Band Bescheid. Dann wird ihr klar, dass ich sie schon das ganze Jahr über angelogen habe, und sie wird mir das Leben zur Hölle machen. Und dann bekomme ich wirklich Hausarrest, und zwar bis das College anfängt.«

»Also lassen wir bei der Anmeldung eben deinen Na‍men weg. Sie wird es frühstens herausfinden, wenn es schon zu spät ist.«

»Hey, das ist keine schlechte Idee«, sagt Lexie.

Sie wirft mir einen flehenden Blick zu und fast gebe ich nach. Aber es geht einfach nicht. Meine Mutter würde mir nicht nur Hausarrest verpassen, sondern mich verstoßen. »Ich wünschte, ich könnte, aber ihr habt keine Ahnung, wie irre meine Mutter ist.«

Lexie seufzt. Matt schüttelt den Kopf, dann sieht er mich nachdenklich an. »Wir haben ja noch das ganze Semester vor uns. Wir überreden dich schon noch.«

Insgeheim hoffe ich, dass er recht hat. Ich war noch nie mutig genug, mich meiner Mutter allein zu widersetzen.

»Können wir dann jetzt endlich über Namen reden?«, jammert Lexie. »Gig hin oder her, wir sind trotzdem eine Band. Also brauchen wir einen Namen.«

»Es muss etwas Cooles sein«, sage ich.

»Was Ironisches«, fügt Matt hinzu.

Die beiden beginnen, Namen in den Raum zu werfen. Ich wünschte, ich könnte mich ebenso dafür begeistern wie sie, doch stattdessen spüre ich vertraute Schuldgefühle. Es gefällt mir nicht, meine Mom anzulügen, aber ich habe einfach keine andere Wahl. Meine Musik ist mir wichtig. Das hat meine Mutter noch nie verstanden und wird es wahrscheinlich auch nie. Sobald sie erfährt, was ich so trei‍be und wie lange ich sie schon anlüge, wird sie enttäuscht von mir sein.

Matt reißt mich aus meinen Gedanken. »Al, hör mit dem Grübeln auf. Du tust nichts Falsches.«

»Außer sie anzulügen.«

Lexie stöhnt. »Du bist doch nur in einer Band. Es ist ja nicht so, als würdest du klauen, Drogen nehmen oder dich schwängern lassen.«

Sie hat recht. Und so rechtfertige ich es, hinter dem Rücken meiner Mutter herumzuschleichen, obwohl ich genau weiß, dass sie es nicht gutheißen würde. Das bedeu‍tet jedoch nicht, dass ich mich deshalb nicht schlecht füh‍le. Mein ganzer Körper sinkt in sich zusammen. »Ich wünschte, sie würde endlich mal ein bisschen lockerer werden, wo meine ganzen College-Anmeldungen da sind. Stattdessen stresst sie mich jetzt wegen Stipendien und Abgabefristen.«

»Lass mich raten. Harvard, Yale, Princeton?«, fragt Matt ironisch.

Ich nicke. »Und Stanford, Columbia und Duke.«

Lexie schnaubt verächtlich. »Willst du überhaupt auf eine dieser Unis gehen?«

»Machst du Witze? Ich würde mir lieber meine Haare anzünden.«

»Dann melde dich doch mit uns an der USC an«, sagt Lexie. »Als Plan B.«

»Nur für den Fall, dass du bis zum nächsten Herbst genug Eier hast, um deiner Mutter zu widersprechen«, scherzt Matt. Lexie gibt ihm für mich eine Kopfnuss.

»Matt und ich haben uns beide dort angemeldet«, sagt Lexie. »Die haben das beste Musikprogramm des Landes.«

»Außerdem ist es in Los Angeles«, ergänzt Matt. Er trinkt einen Schluck Cola und rülpst laut. Lexie und ich verdrehen die Augen. Ein Gentleman ist Matt nicht gerade. »Wenn du mitkommst, können wir die Band zusammenhalten und zu Auditions gehen, wenn wir nicht in irgendwelchen Kursen sind.«

»Wenn es nur so leicht wäre.«

»Das ist es«, sagt Lexie. »Du bist fast achtzehn. Es ist dein Leben. Du solltest damit tun können, was du willst.«

»Das sollte ich. Aber es würde meiner Mutter das Herz brechen. Sie würde mich verstoßen, und sie ist die einzige Familie, die ich habe. Ich weiß nicht, ob ich sie einfach so enttäuschen kann.«

»Weiß sie, wie talentiert du bist?«

»Das ist ihr egal. LA ist böse. Musik ist Zeitverschwendung. Ich werde es niemals zu etwas bringen. Bla, bla, bla ...«

»Nichts für ungut, aber deine Mom klingt nach einer ziemlichen Spielverderberin.«

Ich seufze. »Sie meint es nur gut.«

Matt, der mein Momdrama einfach ignoriert, sagt: »Wir sollten ein Aufnahmestudio in Houston buchen, um ein Demotape zu machen.«

Lexie schnipst mit den Fingern. Ihr gefällt die Idee offensichtlich. »Ja. Ja. Ja. Damit könnten wir uns auf Stipendien bewerben.«

»Oder uns einen Agenten oder Manager suchen«, sagt Matt. »Die Uni ganz sausen lassen.«

Ich schüttle den Kopf. »Schon klar, das klingt verlockend, aber ihr solltet nicht die Uni sausen lassen. Natürlich könnt ihr spielen, aber an der Musikindustrie ist noch so viel mehr dran.« Außerdem vergibt mir meine Mutter vielleicht eines Tages, wenn ich mit ihnen zur USC gehe und meinen Abschluss in Musikwissenschaften mache. Wenn ich das Studium ganz schmeiße, wird sie nie wieder ein Wort mit mir reden.

»Meinetwegen. Dann gehst du eben für uns drei studieren, und Lex und ich buchen uns Auditions und so weiter.«

»Und wie können wir uns in diesem Szenario die Miete leisten?«, fragt Lexie. »Ohne Uni gibt es auch kein Stipendium oder Studienkredite.«

Matt verzieht das Gesicht und winkt ab. »Wir machen es einfach genauso wie jeder angehende Musiker in LA. Wir kellnern, servieren Kaffee oder werden Pornostars.«

Lexie und ich brechen in schallendes Gelächter aus und Lexie verpasst ihm einen Schlag mit einem Kissen. »Vertrau mir, niemand wird dich in einem Porno sehen wol‍len.«

Matt schnaubt. »Also bitte. Die Frauenwelt liebt mich.«

Ich lache erneut. »Wenn du meinst.«

»Tut sie!«

Matt trinkt seine Cola aus und schlägt sich aufs Knie. »Also gut. Die Pause ist vorbei.« Er wirft einen Blick auf sein Handy, um herauszufinden, wie spät es ist. »Wir ha‍ben nur noch eine Viertelstunde, bevor sich Alice in einen Kürbis verwandelt. Ich will den neuen Song noch mal durchgehen.«

Weder Lexie noch ich widersprechen. Ich bin zwar die Frontfrau, weil ich die beste Stimme habe, aber Matt ist unser Anführer. Diese Band war seine Idee und er ist einfach am besten darin, uns auf Kurs zu halten.

Lexie und ich trinken ebenfalls aus und kehren an unse‍re Instrumente zurück. »Lasst uns noch mal den Übergang proben«, sage ich, während ich mir den Tragegurt über die Schulter lege. Sobald ich meine Gitarre wieder spüre, kehrt auch der Nervenkitzel zurück. »Der ist noch nicht ganz stimmig. Was meint ihr?«

Lexie legt ihren Bass um, Matt setzt sich an sein Schlagzeug und wirbelt die Drumsticks. »Du bist die geniale Komponistin. Wenn du denkst, er stimmt noch nicht, stimmt er nicht.«

Meine Mundwinkel verziehen sich zu einem Lächeln. Wir haben monatelang Cover gespielt, bis ich mich getraut habe, ihnen meine eigenen Songs zu zeigen. Sie sind ausgeflippt und haben verlangt, sie zu proben. Das ist der erste, den wir zusammen spielen, und er klingt noch viel bes‍ser, als ich mir vorgestellt habe. Nicht dass wir vorhätten, ihn jemals irgendwo aufzuführen. Vielleicht haben sie ja doch recht mit der Talentshow.

»Seid ihr so weit?«

Lexie und ich nicken unserem Drummer beide zu und er hebt die Schlagstöcke über den Kopf. »Dann los. Eins! Zwei! Eins, zwei, drei, vier!«

Wir beginnen, wie eine gut geölte Maschine zu spielen. Jeder von uns liebt die Musik und das kann man hören. Ich weiß nicht genau, was sie Lexie und Matt bedeutet, aber für mich ist sie eine Fluchtmöglichkeit. Meine Mom ist immer schon schwierig gewesen. Sie meint es gut, und ich zweifle nicht daran, dass sie mich liebt, aber sie verlangt nicht weniger von mir als Perfektion.

Vielleicht liegt es daran, dass sie alleinerziehend ist und ich ihr einziges Kind bin, aber sie kontrolliert mein ganzes Leben. Sie erwartet von mir, dass ich dem Weg folge, den sie für mich ausgesucht hat, ob ich will oder nicht. Tatsächlich hat sie mich nie gefragt, was ich will. Ich glaube, das spielt für sie überhaupt keine Rolle. Ich habe mich im‍mer gefangen gefühlt, aber wenn ich Musik höre, Songs schreibe oder Gitarre spiele, lasse ich all das hinter mir. Ich vergesse die Träume meiner Mutter und stelle mir das Le‍ben vor, wie ich es mir wünsche.

Ich schiebe die Gedanken an meine Mom beiseite und spiele einfach. Davon bekomme ich immer einen klaren Kopf.

Das Licht in der Garage, das einmal aus und wieder an geht, holt mich aus meiner Trance. So macht Matts Mut‍ter uns auf sich aufmerksam, denn wir spielen viel zu laut, um sie zu hören. Wir halten inne und drehen uns zur Tür um. Mir rutscht das Herz in die Hose. Matts Mutter ist nicht allein. Mrs Stevens schenkt mir ein freundliches Lächeln und bemerkt überhaupt nicht, dass die Frau neben ihr vor Wut kocht. »Alice, hier ist jemand für dich.«

Mir weicht das Blut aus dem Gesicht, als ich in das zornige Gesicht meiner Mutter blicke. Ohne den Tragegurt über meiner Schulter hätte ich meine Gitarre sofort fallen gelassen. »Mom!«, rufe ich erstaunt. »Was tust du denn hier?«

»Du bist eine Stunde lang nicht an dein Handy gegangen. Ich war besorgt. Mir war nicht klar, dass du Bandprobe hast und wahrscheinlich das Klingeln nicht hören konntest.«

Ich suche in meinen Taschen herum und verziehe das Gesicht, als mir klar wird, dass ich das Handy in meinem Rucksack gelassen habe, der am Sofa steht. Normalerweise habe ich es aus genau diesem Grund immer bei mir.

Ihr Gesicht läuft purpurrot an. Noch nie habe ich sie so wütend gesehen. Ich stecke richtig in Schwierigkeiten. »Du hast mir gesagt, du wärst bei einer Lerngruppe.« Ihre Stimme ist leise, zittert aber vor Zorn.

Da es absolut nichts gibt, was sie beruhigen könnte, bleibe ich stumm.

»Es ist eine Lerngruppe«, sagt Matt. »Wir lernen, unse‍re Instrumente besser zu spielen. Wir wollen auf die USC und Musik studieren. Wenn wir ein Demotape mit unse‍ren eigenen Songs aufnehmen könnten, hätten wir sogar die Chance auf ein Stipendium.«

Ich verziehe erneut mein Gesicht und Lexie stöhnt auf.

Der arme Matt. Er versucht nur zu helfen. Aber dadurch hat er alles nur noch schlimmer gemacht. Mom starrt erst ihn und dann Lexie an, als würde sie die beiden zum ersten Mal sehen. Und das tut sie. Sie waren noch nie bei mir, denn ich wollte dieses geheime Doppelleben so weit von Mom fernhalten wie möglich. Denn es ist mir zu wichtig. Mom mustert die Lederkleidung, die Piercings, Tattoos und gefärbten Haare meiner Freunde und schürzt die Lippen. Sie versucht nicht mal, ihren Ekel zu verbergen. Nicht mal mit Matts Mutter direkt neben ihr.

»Meine Tochter wird nicht auf die USC gehen, um Musik zu studieren. Nur über meine Leiche.« Die Abscheu und Arroganz in ihrer Stimme wären beeindruckend, wenn ich nicht so wütend und gedemütigt wäre.

Lexie stellt sich neben mich. »Sie ist sehr talentiert, Mrs Liddell«, sagt sie leise. »Sie hat eine Gabe.«

Mom schnaubt höhnisch. »Selbst wenn sie die Beste al‍ler Zeiten wäre. Meine Tochter wird keine Musikerin. Die Unterhaltungsindustrie ist völlig wertlos. Los Angeles ist ein Sündenpfuhl, in dem man seine Seele verkaufen muss, um Erfolg zu haben. Ihr könnt euer Leben meinetwegen auf diese Weise vergeuden, aber nicht meine Tochter. Ali‍ce!«, faucht sie mit zornig funkelnden Augen. »Wir gehen. Verabschiede dich von deinen Freunden. Du wirst nicht mehr hierherkommen.«

Mir schießen Tränen in die Augen. Ich bin so wütend. Ihr Hass auf das, was ich am meisten liebe, ist zum Verzweifeln. Und meine Freunde so zu behandeln? Am liebs‍ten würde ich schreien. Mir die Haare ausreißen. Ich will sie und mich verteidigen, aber will es nicht vor ihnen tun. Denn ich will nicht, dass sie hören, wie meine Mutter sie beleidigt.

Ich reiche Lexie meine Gitarre. »Nimm du sie«, sage ich leise zu ihr. »Nicht, dass sie sie noch verkauft oder kaputtmacht.«

Sie nimmt das Instrument an sich. Das Mitgefühl in ihrem Blick rührt mich. »Du solltest für das, was du willst, einstehen.«

Ich schüttle den Kopf. »Es wird nichts nutzen.«

Matt kommt zu uns und umarmt mich. »Wir finden schon eine Lösung«, flüstert er mir mit so viel Überzeugung zu, dass ich einen Kloß im Hals bekomme.

Lexie schlingt ebenfalls ihre Arme um mich. Die beiden drücken mich so fest, dass mir das Atmen schwerfällt. »Tut mir leid, Leute.«

»Wir haben dich lieb, Al. Bleib stark. Das hier ist noch nicht vorbei.«

Als sie mich wieder loslassen, nehme ich meinen Rucksack und gehe zu meiner Mom. Ich ignoriere sie jedoch und überrasche Matts Mutter mit einer Umarmung. »Es tut mir leid, Mrs Stevens. Danke, dass wir hier proben durften. Ihre Unterstützung hat mir immer unendlich viel bedeutet.«

Es ist die Wahrheit, aber auch eine Spitze gegen meine Mutter, und ich hoffe, sie spürt sie. Ich bin gerade so verbittert, dass ich sie einfach nur genauso verletzen will, wie sie mich verletzt.

Auf der Fahrt nach Hause schweigen wir uns an. Die Stille im Auto ist ohrenbetäubend und erdrückend. Als wir auf unserem Parkplatz halten, stellt sie den Motor aus, macht jedoch keine Anstalten, auszusteigen. Stattdessen wirft sie einen finsteren Blick auf unser Zuhause. Wir le‍ben in einer kleinen Wohnanlage am günstigeren Ende der Stadt. Es ist alt und müsste mal neu gestrichen werden, aber ansonsten ist es in guter Verfassung. Etwas anderes können wir uns nicht leisten.

Ich weiß, dass sie es hasst, doch es ist nichts, für das man sich schämen muss. Es ist ein Dach über dem Kopf, das sie sich ohne Hilfe leisten kann. Es gibt nur uns zwei. So war es schon immer. Sie arbeitet hart, um mir das bestmögliche Leben zu bieten, und ich weiß, dass sie sich wünscht, sie könnte mir mehr geben. Ich weiß, dass sie mich deshalb so unter Druck setzt. Sie ist von der Vorstellung besessen, mich auf die beste Uni zu schicken, weil mir das einen guten Job und damit ein »besseres« Leben ermöglichen wird, als sie es gehabt hat.

Ich versuche, verständnisvoll zu sein, weil ihre Absichten gut sind und sie härter arbeitet als jede andere Person, die ich kenne. Aber sie versteht einfach nicht, dass es im Leben um mehr geht als darum, wer am meisten Geld verdient. Was nutzt einem ein schönes Haus, ein schickes Auto oder was auch immer einem ein Anwalt zu sein einbringt, wenn man seine Arbeit hasst und die Person unterdrückt, die man im Inneren ist? Ich würde lieber mit meinen bes‍ten Freunden in Los Angeles versuchen, über die Runden zu kommen und meine Musik spielen, als einen langweiligen sicheren Job zu haben, der mir nach und nach die ganze Kreativität austreibt.

Mit der Absicht, den restlichen Abend in meinem Zimmer zu verbringen, gehe ich rein, aber so einfach lässt mich Mom nicht entkommen. »Du hast mich angelogen«, sagt sie, während sie die Wohnungstür schließt.

Ich bleibe im Flur stehen und drehe mich langsam zu ihr um. Wenn sie unbedingt auf einen Streit besteht, bitte. Den kann sie haben. »Kannst du es mir verübeln?«

Sie zuckt schockiert zusammen. »Wie bitte?«

Normalerweise bin ich nicht so vorlaut. Wir streiten zwar oft, allerdings gebe ich immer nach. Doch diesmal nicht. Ich bin es leid, nach ihren Regeln zu spielen. Sie will mir die einzige Sache wegnehmen, die mein Leben erträglich macht. Trotzig erwidere ich ihren empörten Blick. »Ich wusste, dass du genau so reagieren würdest, wenn ich dich frage, also habe ich es dir nicht erzählt. Und weißt du was? Es tut mir nicht im Geringsten leid.«

Ihr klappt vor Überraschung der Mund auf und ihr Gesicht wird wieder tiefrot. »Wie kannst du es wagen, so mit mir zu reden?«

»Wie denn? Das ist nur die Wahrheit. Ich liebe meine Band, Mom. Es erfüllt mich, Songs zu schreiben und Mu‍sik zu machen. Ich bereue nichts.«

Sie wirft ihre Handtasche und die Autoschlüssel auf den Küchentresen und starrt mich wütend an. »Du bereust es nicht, mich angelogen und etwas getan zu haben, von dem du genau weißt, dass ich es nicht gutheiße?«

Es reicht mir. Ich explodiere. »Das war doch nichts Schlimmes! Ich probe seit der ersten Schulwoche mit mei‍ner Band, und es hat meine Noten überhaupt nicht beeinflusst. Ich gehöre zu den Jahrgangsbesten. Wahrscheinlich werde ich die Abschlussrede halten dürfen. Selbst mit den Bandproben hab ich an allen dämlichen außerschulischen Aktivitäten teilgenommen, zu denen du mich gezwungen hast.«

Sie schnaubt. »Ich habe dich zu gar nichts gezwungen.«

»Du hast meine Beratungslehrerin angerufen, dir eine Liste der AGs geben lassen und mir gesagt, bei welchen ich mich anmelden soll.«

»Du wolltest ...«

»Genau. Ich wollte bei diesem Führungskräfte-Programm, dem Debattierclub und dem Zehnkampfverein mitmachen, weil mir das so viel Spaß macht.«

»Das waren die besten Optionen, um dich auf die Zukunft vorzubereiten. Sie waren für deine Studienbewerbungen nötig.«

»Bewerbungen für Colleges, die du ausgesucht hast. Ich will nicht auf eine Eliteuni gehen. Sondern auf eine Musikhochschule. Ich will ...«

Sie schlägt mit der Hand auf den Küchentisch und wirkt genauso aufgebracht wie ich. »Musik ist reine Zeitverschwendung! Voller Drogen und Sex und fürchterlichen selbstsüchtigen Leuten, die dich benutzen und wegwerfen werden. Es ist nutzlos. Du wirst niemals Erfolg haben. Hast du eigentlich eine Ahnung, wie viele Leute versuchen, es als Musiker zu schaffen? Wie vielen gelingt der Durchbruch? Die meisten von ihnen versagen. So ein Leben will ich nicht für dich.«

»Es ist aber mein Leben!«

»Ich lasse nicht zu, dass du es dir ruinierst!«

»Du ruinierst es!«

Wir brüllen uns so laut an, dass es wahrscheinlich im ganzen Gebäude zu hören ist. Aber das ist mir egal. Ich kann nicht aufhören. »Ich will dieses Leben nicht, dass du mir aufzwingst. Ich habe keine Lust auf so eine spießige Uni und irgendeinen langweiligen Job. Ob es dir gefällt oder nicht, ich bin Musikerin. Ich bin kreativ. Leidenschaftlich. Und talentiert. Ich bin für etwas Großes bestimmt. Das weiß ich einfach. Ich kann es spüren.«

»Was du bist, ist unrealistisch. Du warst schon immer eine Tagträumerin. Und so unglaublich stur. Genau wie dein verdammter Vater.«

Ich erstarre. In den fast achtzehn Jahren meines Lebens hat sie mich noch nie mit meinem Vater verglichen. Dass sie mit irgendeinem Mistkerl einen One-Night-Stand hat‍te und ich besser dran sei, ihn nicht zu kennen, war das Einzige, was sie je dazu gesagt hat. Sie hat auf meiner Geburtsurkunde sogar seinen Namen weggelassen. Wenn es eines gibt, über das wir mehr streiten als über meine Mu‍sik, dann ist es mein Vater. Ich will wissen, wer er ist, und sie weigert sich, es mir zu sagen.

»Ach ja? Und wer war das noch mal?«

Sie starrt mich nur wütend an, antwortet aber nicht.

»Ich habe ein Recht darauf, es zu wissen.«

Sie bleibt stumm.

»Er ist Musiker, oder? Darum willst du es mir nicht sa‍gen. Darum kannst du nicht ertragen, dass ich Musikerin werden will.«

Sie beißt die Zähne zusammen und ballt ihre Hände zu Fäusten. »Er ist kein Musiker.«

»Aber er ist irgendeine Art Künstler, oder? Du hast gesagt, ich bin wie er. Ein Schauspieler? Ein Maler? Ein Schriftsteller?«

Nichts.

»Warum willst du mir nicht sagen, wer er ist?«

»Weil er ein Widerling ist und ich nicht will, dass du seinem Lebensstil ausgesetzt wirst. Er würde dich ohnehin nicht wollen, und du hast etwas Besseres verdient.«

»Er würde mich nicht wollen?« Als ich ihre Worte wiederhole, macht es plötzlich Klick. Etwas, über das ich vor diesem Moment noch nie nachgedacht habe. »Du hast ihm überhaupt nicht von mir erzählt, oder? Er weiß gar nicht, dass ich existiere.«

Statt einer Antwort starrt sie auf den Boden.

Dieses Geheimnis tut weh. Es fühlt sich an wie ein Dolchstoß ins Herz. Mein ganzes Leben lang hat sie mir erzählt, dass mein Vater deshalb keine Rolle in unserem Leben spielt, weil er uns nicht wollte. Sie hat mich in dem Glauben gelassen, dass er mich abgelehnt hat. Dass er mich nicht genug geliebt hat, um etwas mit mir zu tun ha‍ben zu wollen. Dabei hatte er in Wahrheit nie die Chance, sich für oder gegen mich zu entscheiden. Sie hat mich ihm vorenthalten. Tränen schießen mir in die Augen und meine Stimme zittert, als ich sage: »Wie konntest du das nur tun?«

Sie wird kreidebleich. Ihre ganze Wut verpufft, bis sie nur noch erschöpft wirkt. »Du verstehst das nicht.«

»Und wie ich das verstehe. Du bist selbstsüchtig.«

»Selbstsüchtig?«, schreit sie. »Du hast keine Ahnung, wie viel ich für dich aufgegeben habe! Ich habe die letzten achtzehn Jahre nichts anderes getan, als zu verzichten.«

Ich verziehe das Gesicht. Vielleicht bin ich zu weit gegangen. »Tut mir leid. Ich weiß, dass du nicht selbstsüchtig bist, aber du lässt dich von deinem Hass auf diesen Mann so sehr blenden, dass du mir die Chance raubst, meinen Vater zu kennen. Und du lässt diesen Hass an mir aus, indem du mich nicht so sein lässt, wie ich bin. Du hast solche Angst davor, dass ich so werden könnte wie er, dass du mich in die andere Richtung stößt, egal wie unglücklich mich das macht. Jetzt ergibt das alles Sinn.«

»Alice.«

»Nein«, unterbreche ich sie mit erhobener Hand. »Spar mir deine Predigten. Es ist mir egal. Du hast mich ohne Vater aufwachsen lassen. Ich habe mein ganzes Leben lang geglaubt, dass mich mein Vater im Stich gelassen hat. Dass er nichts mit mir zu tun haben will, und dass ich sei‍ne Liebe nicht verdient habe.«

Als sie mich ansieht, liegen Reue und Angst in ihrem Blick. »Alice, das ist nicht wahr. Er ist derjenige, der dich nicht verdient.«

»Aber du hättest ihm zumindest die Wahl lassen sol‍len!« Ich atme tief durch und senke meine Stimme. »Wenn du dir so sicher warst, dass er mich nicht will, warum hast du es ihm dann nicht einfach gesagt? Er hätte Alimente zahlen können. Nein.« Ich schüttle den Kopf über die Wahrheit, die ich mir jetzt erst zusammengereimt habe. »Du hattest Angst davor, dass er mich will. Dass du mich teilen müsstest und ich mit seinem Einfluss aufwachse. Und jetzt hasst du es, dass ich trotzdem wie er werde.«

Noch nie habe ich meine Mutter so blass gesehen. Sie schluckt. »Ich habe getan, was für dich am besten war.«

Und sie hält mich für stur? »Das sehe ich anders.«

Ich bin so angewidert von ihr, dass ich es nicht ertragen kann, sie auch nur eine Sekunde länger anzusehen. Ich drehe mich um und gehe in mein Zimmer. Diesmal hält sie mich nicht auf. »Du hast Hausarrest!«, brüllt sie mir hinterher.

»Ach was?«, brülle ich zurück und knalle die Tür zu.

Zwei

DYLAN

Meine Freundin macht mit meinem Erzfeind herum. Ich weiß, dass sie in der Serie ein Paar spielen, also gehört Küssen zu ihrem Job, trotzdem fällt es mir schwer, dabei zuzusehen. Besonders weil ich weiß, dass der Mistkerl es genießt. Obwohl ich nicht genau sagen kann, ob er sie wirklich mag oder es ihm nur gefällt, mir auf den Sack zu gehen.

Supernatural High ist eine Fernsehshow über eine Highschool in einer Welt, in der sich übernatürliche We‍sen gegenüber der Menschheit offenbart haben. Ich spiele einen Dämon mit goldenem Herzen. Den Schurken, den man einfach lieben muss. Es ist eine großartige Rolle. Meine Figur hat mehr Facetten als irgendjemand sonst in der Serie. Aber er ist nicht die Hauptfigur. Diese wird leider von Hunter Elliot verkörpert, und daher bekommt er auch das Mädchen. Mein Mädchen.

»Cut! Cut!«, ruft der Regisseur frustriert. »Noch mal, aber diesmal intensiver. Ich will Leidenschaft sehen.«

Während Moniques Lippenstift erneuert wird, sieht Hunter zu mir. Am liebsten würde ich ihm das arrogante Grinsen aus dem Gesicht prügeln. Doch als ich ihm einen bösen Blick zuwerfe, wird es nur noch breiter. Ich bin Schauspieler. Ich sollte in der Lage sein, gleichgültig zu wirken, aber ich kann einfach nicht verbergen, wie sehr ich das hier und ihn hasse.

»Bereit?«, fragt der Regisseur.

Monique scheucht die Maskenbildnerin weg, richtet ihr Kostüm, atmet tief durch und nickt. Ohne mich aus den Augen zu lassen, packt Hunter sie an der Taille und zieht sie an sich. Meine Hände ballen sich zu Fäusten.

»Und ... Action.«

Sie kommen zusammen und diesmal ist es mehr als nur ein Kuss. Es ist flammende Leidenschaft. Keuchen und wandernde Hände. Hunter setzt sogar seine Zunge ein. Was für ein Arschloch.

Nach einer gefühlten Ewigkeit ruft der Regisseur erneut Cut. »Das war perfekt, Leute. Machen wir Schluss für heute.«

Gott sei Dank. Ich atme erleichtert auf und bemühe mich, mein Stirnrunzeln zu vertreiben, bevor sich Moni‍que zu mir umdreht.

Hunter braucht einen Moment zu lange, um meine Freundin loszulassen, und besitzt sogar noch die Frechheit, ihr zuzuzwinkern. »Igitt, Hunter, was sollte das? Weißt du immer noch nicht, wie man jemanden küsst, ohne ihn vollzusabbern?«

Das wischt Hunter das Lächeln aus dem Gesicht. Nun bin ich es, der grinst.

»Kann mir jemand bitte mal ein Mineralwasser brin‍gen? Ich muss mir den Mund ausspülen.« Monique sieht sich um, doch alle Assistenten sind beschäftigt. »Hallo?«, ruft sie und stampft mit einem Fuß auf. »Jetzt sofort! Oder wollt ihr alle euren Job verlieren?«

Drei verschiedene Leute lassen alles stehen und liegen, um ihr das gewünschte Wasser zu besorgen. Ich seufze. Ihre Wutanfälle sind nicht besonders sexy, aber was kann man schon erwarten, wenn sie von allen wie eine Prinzessin behandelt wird? Sie war nicht immer so, erst seit dem letzten Jahr. Eigentlich seit wir zusammengekommen sind und die Presse wegen unserer Beziehung völlig ausgerastet ist. Es hat unsere Bekanntheit auf ein völlig neues Level gehoben, und der Hype ist ihr zu Kopf gestiegen. Ich kann sie aber normalerweise wieder runterholen.

Ich lege ihr von hinten die Arme um die Taille, ziehe sie an meine Brust und lege meinen Kopf auf ihren. Das ist leicht, denn sie ist winzig und ich fast eins neunzig und damit einen ganzen Kopf größer als sie. »Babe, hör auf, die Produktionsassistenten zu tyrannisieren.«

Ich kann praktisch hören, wie sie die Augen verdreht. »Ich tyrannisiere niemanden. Sie sind Produktionsassistenten. Es ist ihr Job, uns zu assistieren. Wenn sie direkt beim ersten Mal auf mich gehört hätten, würde es kein Problem geben.«

Es hat keinen Sinn, mit ihr zu diskutieren oder zu versuchen, sie davon zu überzeugen, es wenigstens mal mit Bitte und Danke zu versuchen.

Eine nervöse Assistentin eilt mit einer eisgekühlten Dose zu uns. Kokosnuss-Limette, Moniques Lieblingswasser. Es soll Körper und Geist beruhigen und reinigen. »Hier bitte, Miss Olsen.«

»Na endlich.« Ungeduldig nimmt Monique die Dose und wedelt mit der Hand. Die Assistentin wirkt erleichtert, gehen zu dürfen.

Ich lasse meine Freundin los und hole mein Handy aus der Tasche. Da ist gerade etwas an Monique, das ich zwar nicht benennen kann, aber danach schreit, fotografiert zu werden. Sie lächelt, als ich mit dem Handy ein Bild von ihr mache. Sie kennt meine schon fast zwanghafte Angewohnheit, Fotos zu machen. Es wird eine nette Nahaufnahme. Sie sieht wunderschön aus. Sie wirft einen Blick darauf und lächelt. »Schick mir das.«

Ich tue es und halte ihr Wasser, während sie das Bild auf ihrem Social-Media-Account postet. »Du machst wirklich die besten Fotos«, sagt sie. »Wie schaffst du es, dass ich immer so hübsch darauf aussehe?«

Ich lächle. »Das ist leicht mit einem so perfekten Mo‍tiv.«

Das Kompliment lässt sie strahlen und sie küsst mich. Jetzt, wo sie keine schlechte Laune mehr hat, ist es wohl ein guter Moment, um unsere Pläne für heute Abend zu besprechen. Beziehungsweise die Änderung, die ich vorhabe. Es wird ihr nicht besonders gefallen. Ich räuspere mich und lege einfach los. »Also, wir wollten ja nachher tanzen gehen, aber da ist heute Abend eine Veranstaltung in die‍ser Kunstgalerie, an der ich wirklich gern teilnehmen wür‍de.«

Sie starrt mich an, als hätte ich den Verstand verloren. »Eine Kunstgalerie?«

Ich reibe mir nervös den Nacken. Nur wenige wissen von meiner Leidenschaft für Fotografie. Ich mache zwar ständig Bilder, doch die meisten denken, es wäre für Social Media. Monique weiß allerdings Bescheid. Ich habe ihr mein Portfolio gezeigt. »Hast du schon mal von Nash Wilson gehört?«

Nash Wilson ist einer der berühmtesten Fotografen der Welt. Seine Arbeit ist genial. Jeder will mit ihm arbeiten, aber er ist ausgesprochen wählerisch, was seine Klientel angeht.

»Natürlich habe ich das.« Sie reißt die Augen auf und starrt mich erwartungsvoll an. »Warum? Kennst du ihn? Denkst du, er würde eine Fotosession mit mir machen?«

»Ich kenne ihn nicht, aber er stellt heute ein neues Projekt vor und ich will es mir ansehen.«

Ihre Augen strahlen ein bisschen weniger.

»Er wird persönlich anwesend sein«, sage ich, um sie zu überreden, mich zu begleiten. »Du hast doch bestimmt schon gehört, wie er ist. Manchmal muss er jemanden nur sehen und willigt sofort ein, ihn zu fotografieren. Vielleicht können wir uns ja irgendwie bei ihm vorstellen.«

Sie denkt einen Moment darüber nach und trinkt ihr Mineralwasser aus. »Meinetwegen.«

Das war leichter, als ich gedacht habe. »Wirklich? Toll. Das wird bestimmt lustig, versprochen.«

Sie schüttelt den Kopf über meine Freude, kann sich ein Schmunzeln aber nicht verkneifen. »Du bist so ein Blödmann. Aber ein süßer.«

Ich gehe zu meinem Platz, um meine Sachen zu holen, als die Stimme des Regisseurs ertönt. »Alle mal herhören! Kommt kurz mal zu mir. Ich habe etwas zu verkünden.«

Neugierig versammeln sich Cast und Crew um ihn. Niemand scheint zu wissen, worum es geht. Als alle da sind und warten, lässt der Regisseur eine Bombe platzen. »Ich bin nur ungern der Überbringer schlechter Nachrichten«, sagt er ernst. »Aber ich wurde gerade vom Studio darüber informiert, dass es keine fünfte Staffel von Supernatural High geben wird.«

Ich erstarre. Die Serie wird eingestellt? Das kommt ... unerwartet.

Einige unserer kleinen Filmfamilie schnappen scho‍ckiert oder empört nach Luft. Wir machen das jetzt schon seit vier Staffeln. Wir sind uns nähergekommen, fühlen uns wohl miteinander. Dass jetzt plötzlich damit Schluss sein soll, ist schwer zu verarbeiten.

Moniques Stimme erklingt eine Oktave höher als die der anderen. Sie ist so schrill, dass sie Glas zerspringen las‍sen könnte. »Die können uns doch nicht einfach ohne Vorwarnung einstellen!«

Der Regisseur seufzt. »Das ist die Vorwarnung. Wir haben genug Vorlauf, um die Serie irgendwie zu einem Ende zu bringen. Die Autoren überarbeiten bereits den Rest der Staffel. Im Gegensatz zu vielen anderen Shows können wir den Fans so immerhin eine Art Abschluss ge‍ben.«

Monique setzt ihre Tirade mit Hunter und ein paar anderen Mitgliedern des Casts fort, aber ich mache nicht mit. Natürlich ist es eine Überraschung. Aber aus irgendeinem Grund kann ich damit leben. Tatsächlich bin ich sogar ein bisschen erleichtert. Mir war gar nicht klar, wie sehr ich die Show satthabe. Ich spiele mit, seit ich fünfzehn bin. Vier Jahre lang war sie mein ganzes Leben. Der Gedanke, dass es bald damit vorbei ist, lässt mir eine Last von den Schultern fallen, derer ich mir nicht mal bewusst war. Die Zukunft erstreckt sich vor mir und die Möglichkeiten sind endlos. Natürlich bedeutet das auch, dass ich in drei Monaten, wenn der Dreh vorbei ist, arbeitslos sein werde, aber es ist ja nicht so, als müsse ich mir Sorgen ums Geld machen.

Der Regisseur beantwortet noch ein paar weitere Fra‍gen, sagt ein paar freundliche Abschiedsworte und entlässt uns in den Feierabend. Es bilden sich kleinere Grüppchen, die untereinander den Verlust ihrer Jobs beklagen. Ich bin mit meiner Einstellung definitiv in der Minderheit. Vielleicht bin ich sogar die einzige Person am Set, die sich über diese Neuigkeiten freut. Ich lasse Monique und Hun‍ter stehen, weil ich keine Lust auf ihr Gemotze habe. Ich hole mir gerade etwas zu trinken, als mich meine Mom findet.

Katherine Reese, meine Mutter, war schon mein ganzes Leben lang meine Managerin. Es begann, als sie mir als Kleinkind Modelljobs verschafft hat. Mit fünf brachte sie mich dann zur Schauspielerei. Ich weiß nicht genau wie, aber es ist ihr gelungen, meine Karriere sicher durch diesen unangenehmen Übergang vom Kind zum Teenager zu bringen, der so vielen anderen Kinderdarstellern zum Verhängnis wird. Sie ist ein Hai. Ein herrischer, alles kontrollierender Hai. Ich bin jetzt achtzehn und brauche damit keinen gesetzlichen Vormund mehr, doch das hält sie nicht davon ab, mich zum Set zu begleiten.

Sie legt mir ihre Hände auf eine Weise auf die Schultern, die man fast als zu fest bezeichnen könnte. »Keine Sorge, Liebling. Ich rufe Veronica an. Wir haben ein neues Projekt für dich, noch bevor diese Staffel abgedreht ist.«

»Mom. Ganz ruhig. Mir geht's gut.«

Sie runzelt die Stirn und mustert mich, als würde sie mir nicht glauben. »Ich rufe Veronica trotzdem an.«

Veronica Morley. Meine Agentin. Meine Mom und sie haben viel gemeinsam. Sie ist genauso effektiv. Ich zweifle nicht daran, dass die beiden etwas für mich finden werden. Was mich überrascht ist, wie unattraktiv das gera‍de klingt.

Während Mom telefoniert, gehe ich zu Monique zurück. Es wundert mich nicht, Tränen in ihren Augen schimmern zu sehen. Sie liebt diese Serie. Sie ist ihre gan‍ze Welt. Ihre Identität. Es war ihr erster richtiger Job. Die Rolle, die sie berühmt gemacht hat. Ich finde es nicht schlimm, verstehe aber, dass es sie mitnimmt. Ich strecke die Arme aus. »Ach, Baby, komm her.«

Sie stürzt sich in meine Arme und beginnt laut zu schluchzen. Ich drücke sie fest und streichle ihr beruhigend über den Rücken. »Schon gut. Du bist eine tolle Schauspielerin. Du wirst im Handumdrehen ein neues Projekt haben.«

»Aber es wird nicht das Gleiche sein!«, heult sie. »Ich werde nicht mehr mit dir arbeiten. Und was, wenn ich nicht die Hauptrolle bekomme? Was, wenn meine nächste Serie scheiße ist? Oder ich den Regisseur oder die anderen Schauspieler hasse? Was, wenn ...«

»Monique«, unterbreche ich sie sanft, aber bestimmt. Dann wische ich ihr die Tränen von den Wangen, bevor ich ihr Gesicht in meine Hände nehme. »Es kommt alles wieder in Ordnung.«

Sie schnieft. »Denkst du?«

Sie starrt mich an und in ihrem Blick liegt ein stummer Schrei nach Trost. Den kann ich ihr geben. Sie ist taff und einfallsreich. Sie wird eine neue Rolle bekommen. »Ich weiß es.«

Ich bringe meine Lippen an ihre und sie küsst mich leidenschaftlich. Verzweifelt. Ich gebe ihr alles, was ich in mir habe. Wenn es ihr auch nur einen Hauch der Ruhe oder Zuversicht spendet, die ich empfinde, werde ich sie den ganzen Abend küssen. Ich bin gern ihr Fels in der Brandung.

Als wir uns endlich voneinander lösen, lehne ich meine Stirn an ihre. »Sei stark. Keine Tränen mehr. Du willst doch nicht, dass man dich so aufgelöst sieht.«

Sie atmet tief ein. »Du hast recht.« Sie strafft die Schultern und hebt das Kinn. »Ich bin Monique Olsen. Sobald den Leuten klar wird, dass ich zu haben bin, werden sie mich anflehen, mich casten zu dürfen.«

Ich lächle schief. Ein bisschen Ego kann in unserem Beruf nie schaden. »Daran habe ich keinen Zweifel.«

»Hey Leute.« Hunter kommt zu uns, ausnahmsweise mal ohne einen zweideutigen Blick für Monique oder ein freches Grinsen für mich. Das ist so ungewöhnlich für ihn, dass es schon seltsam wirkt. Er deutet auf die anderen Schauspieler, die sich tröstend in den Armen liegen. »Mein Dad sagt, dass ich alle heute Abend einladen soll.« Er lächelt verlegen. »Ihr wisst schon, um unser Ableben zu feiern.«

Monique steigen wieder Tränen in die Augen, aber diesmal hält sie sie zurück und nickt nur. »Okay.«

Ich runzle die Stirn. »Was ist mit der Kunstgalerie? Du wolltest mich doch begleiten?«

Sie sieht mich verblüfft an. »Da willst du immer noch hin? Nachdem wir gerade eingestellt worden sind? Babe, damit komme ich jetzt gerade nicht klar. Ich muss unbedingt Dampf ablassen.«

Ich bin enttäuscht, allerdings nicht überrascht. Ich könnte natürlich auch allein an dem Kunstevent teilnehmen – denn ich habe überhaupt keine Lust, den Abend bei Hunter zu verbringen – aber ich weiß, dass sie mich gerade braucht. Außerdem will ich sie nicht in diesem verletzlichen Zustand mit Hunter allein lassen. Dieser Mistkerl würde nur versuchen, sie anzubaggern, indem er ihr eine Schulter zum Ausheulen anbietet. Natürlich nur in der Hoffnung, sie ins Bett zu bekommen. »Also gut«, seufze ich und gebe ihr meine Hand. »Lass uns gehen.«

Ich habe mir nicht die Mühe gemacht, mich für Hunters Party umzuziehen. Die ist mir ehrlich gesagt völlig egal. Aber vielleicht hätte ich es tun sollen, denn als ich Moni‍que abhole, wirft sie mir einen abschätzigen Blick zu. And‍ers als ich hat sie sich aufgetakelt. Sie trägt dieses hautenge weiße Kleid, das jede ihrer Kurven betont. Der kurze Rock und die Stilettos lassen ihre Beine endlos erscheinen. Die Haare trägt sie in einem frechen Pferdeschwanz, der ihre Schultern und ihren Nacken auf eine Weise entblößt, die mir das Wasser im Mund zusammenlaufen lässt. Sofort hebe ich mein Handy, um die Schönheit vor mir einzufangen. Sie sieht aus wie ein Engel. Ein verdammt scharfer Engel. »Du siehst umwerfend aus.« Ich ziehe sie an mich, vergrabe mein Gesicht an ihrem Hals und bedecke ihre weiche Haut mit sanften Küssen. »Müssen wir überhaupt ausgehen? Können wir nicht einfach hierbleiben?«

Sie schiebt mich kichernd von sich. »Hör auf. Nein. Wir gehen.«

Seufzend trauere ich einem gemütlichen Abend daheim nach. Ich lehne mich vor, um sie zu küssen, doch sie hebt blitzschnell eine Hand, um mich abzuhalten. »Lipgloss.«

Ich begnüge mich damit, ihr einen Kuss auf die Wange zu geben, dann helfe ich ihr in meinen kirschroten Tesla Roadster. Der Anblick von ihr auf dem Beifahrersitz bringt mich zum Lächeln. Eine wunderschöne Frau in ei‍nem wunderschönen Auto. »Ich hoffe, du hast dich für mich so angezogen und nicht für Hunter.«

Sie verdreht die Augen. »Ich habe wirklich keine Ahnung, warum ihr euch so hasst.«

»Weil er ein Blödmann ist.«

»Sei nicht so. Hunter ist ein guter Kerl. Und sein Dad ist ein wichtiger Produzent, also benimm dich heute Abend. Wir brauchen alle Verbindungen, die wir bekommen können.«

Ich schnaube verächtlich. »Ich pfeife auf Hunters Verbindungen.«

Sie sieht mich ernst an. »Brich keine Brücken hinter dir ab, Dylan. Ich meine es ernst. Und lass mich nicht schlecht dastehen.«

Das ist es also. Sie hat sich weder für mich noch für Hunter so schick gemacht. Jack Elliot ist es, bei dem sie einen guten Eindruck hinterlassen will. Sie hat nicht unrecht. Dem Mann gehört eine riesige Produktionsfirma. Tatsächlich die gleiche, die Supernatural High produziert. Oder produziert hat. Jedenfalls war es absolut kein Zufall, dass Hunter die Hauptrolle bekommen hat. Aber darum geht es nicht. Jedenfalls nicht jetzt. Der Mann hat ausgezeichnete Verbindungen und kann Monique auf jeden Fall eine Rolle verschaffen, wenn er sie mag. Diese Chance kann ich ihr nicht verderben.

Ich greife nach ihrer Hand und küsse ihre Finger. »In Ordnung. Ich werde mich benehmen. Versprochen.«

Sie sieht mich einen Moment misstrauisch an, bevor sie entscheidet, mir zu glauben. »Danke.« Sie wirft mir eine Kusshand zu, dann holt sie ihr Handy hervor. »Ich frage Keira und Ashlyn, wo sie sind. Ich will nicht die Erste dort sein. Das wirkt so übereifrig.«

Ich schnaube. »Keine Sorge. Mich wird niemand für übereifrig halten.«

Das bringt mir einen weiteren warnenden Blick ein, also halte ich die Klappe und lasse sie eine Nachricht an ihre Freundinnen schreiben. Danach ist es eine stille Fahrt durch den Canyon. Hunters Dad hat ein Haus am Mullholland Drive. Ich war nicht mehr da, seit Hunter am Anfang der Serie eine Party für den Cast geschmissen hat. Es ist aber echt nett dort – auf dem Hügel mit Blick auf die ganze Stadt.

Manchmal wünsche ich mir, auch dort zu leben. Es wirkt immer so friedlich. Natürlich entkommt man der Stadt in Los Angeles nie so ganz, doch die sich windenden Straßen da oben kommen so nah daran heran wie möglich. Es gibt immer noch Verkehr, aber der Trubel der Großstadt verschwindet. Nachts könnte man sich fast einbilden, mitten im Nirgendwo zu sein. Außerdem nimmt mein Tesla die Kurven wie im Traum.

Die Party ist bereits in vollem Gange, als wir ankommen. Es ist ein dreistöckiges modernes Gebäude. Offene Wohnräume, alles in Weiß gehalten. Jetzt gerade ist es hell erleuchtet und wimmelt nur so vor Leuten. Sieht aus, als hätte Hunters Vater nicht nur die Schauspieler eingeladen. Ich sehe auch viele Mitarbeiter aus dem Produktionsteam. »Positiv daran ist, dass wir Hunter wahrscheinlich aus dem Weg gehen können.«

Monique richtet ihr Kleid, glättet ihre Haare, zieht die Schultern zurück und hebt ihr Kinn. »Wenn du dich in eine Ecke hocken und schmollen willst, meinetwegen, aber ich werde mich wie eine Klette an Hunter hängen. Es sind bestimmt viele Freunde seines Vaters da. Er kann mich ih‍nen vorstellen.«

Und sofort ist mein Abend ruiniert. Ich werde sie auf keinen Fall den ganzen Abend allein mit Hunter abhängen lassen. Ich bin zwar normalerweise nicht eifersüchtig, doch ich traue ihm nicht über den Weg. Als ich seufze und un‍sere Finger ineinander verschränke, schenkt sie mir ein triumphierendes Lächeln. »Du bist der allerbeste Freund.«

Das bin ich.

Wir finden Hunter in der Küche mit zwei anderen Mädchen aus der Serie, Keira und Ashlyn, und meinem Lieblingskollegen Logan Price. Er spielt meinen besten Kumpel – einen Menschen, der sich mit einem Dämon anfreundet. Im echten Leben ist er ebenfalls mein bester Freund. Wir haben uns gleich bei der ersten Leseprobe miteinander verstanden. Ich begrüße ihn, während Moni‍que von ihren Freundinnen und Hunter bestürmt wird. »Hey Mann. Flippst du schon aus?«, fragt er.

Wie soll ich diese Frage beantworten? »Keine Ahnung. Ich habe das Gefühl, das sollte ich, aber ...« Ich zucke mit den Schultern. »Und du?«

Er bläst die Wangen auf und fährt sich durchs Haar. »Ich versuche, ruhig zu bleiben. Ich meine, es wird schon was anderes kommen, oder?«

Während ich Monique und Hunter im Blick behalte, nicke ich. »Na klar. Wir haben immer noch drei Monate Dreh, bevor wir offiziell arbeitslos sind. Das ist jede Men‍ge Zeit, um was anzuleiern.«

»Vielleicht für dich. Mit deiner Mom und deiner Agentin hast du ziemlich viel Power auf deiner Seite.«

»Wenn du mir Mom abnehmen möchtest, nur zu.«

Er lacht. Es freut mich, das Lächeln in seinem Gesicht zu sehen. Ich hasse es, dass alle wegen der Einstellung so angespannt sind. Es sollte doch keine allzu große Überraschung sein. Die meisten Fernsehserien bekommen im Durchschnitt nur drei Staffeln. Aber wir haben eine so hingebungsvolle Fangemeinde, dass es uns wohl ein bisschen überrumpelt hat.

Wir gehen zum Küchentresen, auf dem jede Menge Getränke stehen. Logan schnappt sich eine Diätcola, während ich rebelliere und mir eine normale Coke nehme. Ei‍nen Moment lang nippen wir an unseren Getränken und sehen uns auf der Party um. Es ist eine ziemlich gediegene Veranstaltung. Die Gäste unterhalten sich miteinander, während im Hintergrund Musik in angenehmer Lautstärke spielt.

Mein Blick findet Monique. Ihre Freundinnen, Hunter und sie sind inzwischen im Garten gelandet und unterhalten sich mit Hunters Dad. Er steht bei ein paar anderen älteren Herrschaften in Anzügen. Monique strahlt Jack an, während sie sich an Hunters Arm klammert. Bevor ich mich in einen Höhlenmenschen verwandle und sie von ihm wegschleife, sagt Logan: »Es überrascht mich, dass deine Mom heute Abend nicht hier ist, um sich wie alle anderen bei Jack einzuschleimen.«

Wir schauen beide zu der Gruppe, die Hunters Dad umgibt.

»Sie hat eine Notfallsitzung mit Veronica anberaumt. Wenn jemand wegen dieser Sache ausflippt, dann meine Mutter.« Monique lacht über etwas und berührt Hunters Arm. »Soll ich sie vielleicht besser trennen?«

Logan verdreht die Augen. »Sei doch nicht so unsicher.«

Ich runzle die Stirn. »Bin ich doch gar nicht.«

Er sieht mich mit hochgezogener Augenbraue an. »Natürlich bist du das. Hunter versucht doch immer, dir dein Mädchen zu stehlen. Trotzdem seid ihr jetzt schon fast ein Jahr zusammen. Sie geht nirgendwohin. Vertrau ihr doch einfach.«

»Sie ist nicht diejenige, der ich nicht vertraue«, brumme ich.

Als sie lacht und Hunters Brust berührt, reicht es mir. Logan seufzt und folgt mir durchs Haus. »Hey Leute!«, rufe ich und schiebe mich zwischen Monique und Hunter. Ich lege meinen Arm um Moniques Taille und gebe ihr einen Kuss auf die Wange. »Was geht bei euch so ab?«

Moniques Augen beginnen zu strahlen. »Jack hat mehrere Projekte in der Pipeline, die für einige von uns gut passen würden. Er hat Hunter sogar eine Audition für ei‍nen Film verschafft.«

Es kostet mich all meine Selbstbeherrschung, um nicht zu erwähnen, dass ich bereits eine Rolle in einem Film ergattert habe. In der Drehpause zwischen Staffel drei und vier habe ich einen Schurken in einem Film von Max Oli‍ver gespielt. Ja, es war eine kleine Rolle, aber in einem Blockbuster. Und das habe ich ganz ohne die Hilfe meines Vaters geschafft. Aber ich will nicht gemein sein, also zwinge ich mich zu einem Lächeln und sage zu Hunter: »Abgefahren.«

Hunter grinst mich an. »Ich bin mir sicher, dass ich im Handumdrehen was Neues habe.«

Er sagt es so, als wüsste er genau, dass es bei mir nicht so sein wird. »Wir alle, hoffentlich.«

Jack schenkt mir ein breites Lächeln und hebt sein Glas Scotch. »Ich habe keinen Zweifel daran, dass ihr alle auf die Füße fallen werdet.«

Jemand spricht ihn an, also entschuldigt er sich und sagt uns, dass wir uns amüsieren sollen. Das Gespräch wendet sich Hunters Audition zu. Ich habe keine Lust, dabei zuzuhören, wie ihn meine Freundin anhimmelt, also gehe ich mit Logan in den Garten. Der ist einfach unglaublich. Es gibt nicht nur einen Pool mit umliegendem Liegebereich, ein Spa und eine Outdoorküche, sondern auch einen unglaublichen Blick auf den Canyon. Logan und ich lassen die Lichter der Stadt auf uns wirken.

Logan lehnt sich gegen das Geländer und lässt die Arme darüber baumeln. Die Lichterketten im Garten verleihen ihm einen sanften Schimmer. Ich habe mein Smartphone in der Hand, bevor mir überhaupt klar wird, dass ich es aus der Tasche gezogen habe. »Bitte lächeln.«

Logan protestiert nicht. Er kennt mich lange genug, um zu wissen, dass ich ständig Fotos schieße. Er hält die Pose, während ich ein paar Bilder mache, darunter eine großartige Aufnahme von ihm mit den Lichtern der Stadt unscharf hinter ihm. Als er das Foto sieht, nickt er. »Das ist gut. Du solltest ein paar Headshots von mir machen. Ich brauche neue.«

»Darf ich mal sehen?«

Logan und ich drehen uns um. Es ist Phil, unser Chef-Kameramann. Er streckt lächelnd seine Hand aus. Logan gibt ihm das Handy und ich bekomme ganz heiße Wan‍gen, als er meine Fotos durchzuscrollen beginnt. Unwillkürlich halte ich den Atem an. Es fühlt sich seltsam an, wenn ein Profi ein privates Projekt ansieht, das nur für ei‍nen selbst bestimmt war.

Er hebt überrascht die Augenbrauen und mein Herz setzt einen Sprung aus. »Du hast ein hervorragendes Au‍ge.«

Ich spüre, wie ich rot werde. Phil ist ein großartiger Kameramann. Es ist seine Aufgabe, unsere Show gut aussehen zu lassen, und er hat noch nie enttäuscht. Ein Kompliment von ihm ist eine große Ehre. »Ach, das ist nichts. Ich knipse gern Schnappschüsse. Nur so zum Spaß. Die sind nicht mal mit meiner richtigen Kamera gemacht.«

Phil lächelt. »Das macht sie nur noch beeindruckender. Hast du einen Kurs gemacht?«

Ich zucke die Schultern. »Nur ein paar Bücher gelesen, ein paar YouTube-Tutorials angeschaut, aber einen Kurs? Nein.«

»Ich weiß, dass du Schauspieler bist, aber hast du mal daran gedacht, dich mit Kameraführung zu befassen? Wenn du Interesse hast, zeige ich dir gern mal ein paar Sachen, bevor die Produktion eingestellt wird.«

Ein unerwartetes Angebot, doch ich bin überraschend interessiert. »Ja, das wäre toll. Danke.«

Mit einem Lächeln reicht er mir das Handy zurück. »Kein Problem.«

Nachdem er gegangen ist, legt mir Logan eine Hand auf die Schulter. »Tja, wenn du keine andere Rolle bekommen solltest, hast du jetzt einen Plan B.«

Es soll ein Scherz sein, aber ich versuche es mir vorzustellen. Könnte ich beides machen? Viele Schauspieler wechseln irgendwann zum Drehbuchschreiben oder Regie führen. Warum sollte ich nicht auch ein zweites Standbein erlernen? Es würde auf jeden Fall Spaß machen.

Ein ohrenbetäubender Schrei reißt mich aus meinen Gedanken. Ich kenne diesen Schrei. Natürlich ist es Monique, um die sich das Drama dreht. Sie streckt die Hände aus und auf der Vorderseite ihres Kleids prangt ein roter Fleck. Ein Crew-Mitglied, das mir vage bekannt vorkommt, duckt sich vor meiner Freundin. »Bist du völlig verblödet?«, kreischt Monique.

»Es tut mir so leid. Ich bringe Ihnen sofort ein Handtuch. Natürlich bezahle ich die Reinigung. Es tut mir furchtbar leid.«

»Es reicht!« Sie hebt ihre Hand und die junge Frau weicht zurück. »Geh mir einfach aus den Augen!« Sie sieht auf ihr ruiniertes Kleid herunter und ruft: »Dylan!«

Ich seufze, was Logan zum Lachen bringt. Wieder klopft er mir auf die Schulter. »Viel Spaß damit.«

Drei

ALICE

Ich schlafe nicht sehr gut. Meine Gedanken kreisen zu schnell, um mich zu entspannen. Immer wieder gehe ich im Kopf den Streit mit meiner Mutter durch. Das war bei weitem nicht unser erster, in dem es um meine Musik ging, aber der Teil über meinen Vater war neu. Sie hat mir vorher nie auch nur einen Hinweis auf ihn gegeben. Ich glaube nicht, dass sie zugeben wollte, dass ich ihm ähnlich bin. Sie war nur so enttäuscht, dass sie nicht nachgedacht hat.

Ich wollte schon immer wissen, wer mein Dad ist. Jetzt, wo ich weiß, dass ich meine kreative Ader von ihm geerbt habe und dass er mich nicht verlassen hat, will ich das Geheimnis unbedingt lüften. Es ist nicht so, dass ich meine Mom nicht liebe. Ich bin nur so anders als sie. Wir sind Welten voneinander entfernt und sprechen vollkommen unterschiedliche Sprachen. Sie versteht mich überhaupt nicht. Der Gedanke, ein zweites Elternteil zu haben, mit dem mich meine größte Leidenschaft verbindet, das meine Kreativität nicht unterdrücken, sondern fördern würde ... das klingt himmlisch. Ich hatte keine Ahnung, wie sehr ich mir das gewünscht habe, bis ich erfahren habe, dass es möglich ist.

Als mein Wecker klingelt, brummt mir der Schädel. Ich quäle mich durch meine Morgenroutine und hoffe, dass Mom noch schläft. Doch Fehlanzeige. Sie sitzt am Tisch und trinkt Kaffee, als ich in die Küche trotte. Ich sage nichts und ignoriere sie, während ich Frühstücksflo‍cken in eine Schüssel schütte. Ist das gemein von mir? Vielleicht, aber ich bin immer noch furchtbar wütend auf sie. Schlimmer noch, ich bin angewidert. Sie hat mich vor meinem Vater geheim gehalten. Es mag ja sein, dass sie ihn niemals wiedersehen wollte, doch sie hatte nicht das Recht, diese Entscheidung auch für ihn oder mich zu tref‍fen.

Ich kann ihren Blick auf mir spüren, aber ich starre stur auf meine Cocoa Pebbles. Nach einer langen Minute des Schweigens schiebt sie einen großen Briefumschlag über den Tisch. »Das war gestern für dich in der Post. Darum habe ich versucht, dich zu erreichen. Ich dachte, das würde dich interessieren.«

Ich werfe einen Blick auf den weißen Umschlag mit dem Yale-Logo als Absender. Es muss sie verrückt ma‍chen. Es überrascht mich, dass sie ihn nicht schon selbst geöffnet hat.

»Er ist ziemlich dick.« Ihr Tonfall ist hoffnungsvoll. »Das ist ein gutes Zeichen, oder?«

Sie hat also vor, den riesigen Elefanten im Raum wieder unter den Teppich zu kehren. Gut, dass ich ohnehin keine Entschuldigung erwartet habe. Wenn ich klug wäre, würde ich einen weiteren Streit oder eine härtere Strafe vermeiden. Sie hat mir Hausarrest verpasst, jedoch weder meine Gitarre noch das Handy einkassiert. Leider ist mein gesunder Menschenverstand nirgendwo zu finden. Ich ignoriere den Brief und erwidere ihren Blick. Sie schenkt mir ein zaghaftes Lächeln, aber es verschwindet, als ich frage: »Wer ist mein Vater?«

Sofort macht sie dicht. »Darüber rede ich nicht mit dir.«

Ich lasse den Löffel in die Schale fallen und Milch spritzt über die Seite. »Du willst es mir ernsthaft niemals sagen? Mein ganzes Leben lang soll ich meinen Vater nicht kennen?«

Ihre Lippen werden zu einer schmalen Linie und sie weicht meinem Blick aus. Stattdessen sieht sie wieder zum Briefumschlag. »Willst du das nicht aufmachen?«

»Meinetwegen.« Schlecht gelaunt schiebe ich mein Frühstück weg. Mir ist der Appetit vergangen. »Wenn du es unbedingt wissen willst.«

Ich reiße den Umschlag auf und ziehe das Willkommenspaket heraus. Ich lese nur Herzlichen Glückwunsch!, bevor ich alles zwischen uns auf den Tisch werfe. »Glückwunsch«, sage ich ironisch. »Jetzt hast du endlich erreicht, was du dir immer gewünscht hast.«

In ihren Augen schimmern Tränen. »Freust du dich denn überhaupt nicht?«

Ich suche in meinem Inneren nach positiven Gefühlen. Ich weiß, dass ich Glück habe und dass es Leute gibt, die töten würden, um in Yale angenommen zu werden, aber es schert mich einfach nicht. Das ist nicht, was ich will. Es ist das Gegenteil davon. »Ob ich mich freue, auf eine protzige Uni zu gehen, wo ich die nächsten vier Jahre damit verbringen werde, mir den Arsch aufzureißen, um den Abschluss zu machen und einen Job zu bekommen, den ich überhaupt nicht will? Na klar, Mom. Ich bin begeistert.«

Ich stehe auf und gehe zum Spülbecken.

»Alice ...«

Nachdem ich die Schale ins Becken gestellt habe, ziehe ich meine Jacke an. »Ich muss los, sonst komme ich zu spät.«

»Alice.«

Ich ziehe die Träger meines Rucksacks über die Schultern und gehe zur Tür.

»Ich liebe dich.«

Meine Schultern sinken unter dem Gewicht ihrer Wor‍te. Das kann ich nicht ignorieren. Mit einem Kloß im Hals drehe ich mich zu ihr um. Meine Stimme klingt genauso erschöpft, wie ich mich fühle. »Ich weiß, Mom. Ich liebe dich auch.« Ich atme tief ein und schließe die Augen, als sie vor Tränen zu brennen beginnen. »Aber das reicht diesmal nicht, um die Dinge zwischen uns in Ordnung zu bringen.«

Ihre Unterlippe zittert und ich gehe, bevor sie noch zu wei‍nen anfängt.

Auf dem Weg zur Bushaltestelle fühle ich mich wieder schuldig. Das passiert jedes Mal, wenn wir uns streiten. Ich habe ein Recht darauf, frustriert, wütend und gekränkt zu sein. Doch sie ist meine Mutter und sie liebt mich. Sie ist streng – fast schon tyrannisch – aber sie hat gute Absichten und sie gibt ihr Bestes. Das weiß ich.

Außerdem ist sie die einzige Person, die ich habe, die mich aufrichtig liebt. Wir waren mein ganzes Leben lang auf uns gestellt. Sie war ein Einzelkind und ihre versnobten reichen Eltern haben sie rausgeworfen, als sie herausfanden, dass sie unverheiratet schwanger wurde. Mom bringt sie gelegentlich auf den neuesten Stand, was mich angeht, aber sie haben sich nie gemeldet. Früher hat mich das gestört. Ich wollte so gern normale Großeltern haben wie all die anderen Kinder. Doch seit ich alt genug bin, um zu verstehen, warum sie keinen Kontakt wollen, ist es mir egal. So gemeine Leute brauche ich nicht in meinem Leben.

Ich stelle mich zu den anderen Jugendlichen an der Bushaltestelle und warte. Es ist ein bisschen kühl. Ich lebe eine Stunde von Houston, Texas entfernt und auch wenn es bei uns nicht schneit, ist immer noch Januar. Und an diesem Morgen ist es gerade mal zehn Grad. Bevor der Bus ankommt, hält ein alter, heruntergekommener Chevy Silverado vor mir. Überrascht sehe ich Matt am Steuer und Lexie auf dem mittleren Platz. Ohne zu zögern, steige ich ein. »Was macht ihr denn hier?«

»Wir sind für den Rest des Jahres deine Mitfahrgelegenheit«, sagt Matt und fährt los, während uns die anderen Wartenden neidisch nachsehen.

»Das müsst ihr doch nicht.«

Matt zuckt mit den Schultern. »Es ist kein so großer Umweg und da deine Mom ja jetzt von uns weiß, gibt es keinen Grund, dich nicht abzuholen.«

Ich bin erstaunt, aber auch gerührt. »Tja, ich werde es euch bestimmt nicht ausreden. Danke. Ich schwöre, ich bin die Einzige in unserer Stufe, die noch mit dem Bus fahren muss.«

»Wie viel Ärger hast du bekommen?«, fragt Lexie.

Ich ziehe meine Handschuhe aus und setze meine Mütze ab. Mit uns dreien ist es gemütlich und warm im Auto. »Nicht so viel wie erwartet. Ich habe Hausarrest, aber sie hat mir weder Gitarre noch Handy weggenommen, und sie hat auch nicht gesagt, für wie lange. Ich glaube sie war so