If we were a movie - Kelly Oram - E-Book
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If we were a movie E-Book

Kelly Oram

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Beschreibung

Nate hat gerade sein Musikstudium in NYC angefangen - und ist genervt von dem Wohnheim, das er sich mit seinen beiden Drillingsbrüdern teilt. Die haben nichts als Party im Kopf, er dagegen will vor allem an seinen neusten Songs arbeiten. Als er erfährt, dass ein gewisser Jordan einen Mitbewohner sucht, zögert er nicht lange und nimmt das Angebot an. Doch dann steht an der Tür auf einmal ein Mädchen vor ihm. Jordan ist gerade fürs Filmstudium von L.A. nach New York gezogen. Die beiden verstehen sich von Anfang an großartig, und als Nate die Möglichkeit bekommt, an einer Audition für einen großen Wettbewerb teilzunehmen, scheinen sich all seine Träume zu erfüllen. Wäre da nicht seine eifersüchtige Freundin, der Jordan ein Dorn im Auge ist, und seine Brüder, die ihm das Leben unnötig schwermachen. Dabei möchte Nate doch einfach nur seinen Traum leben. Ist das etwa zu viel verlangt?

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Seitenzahl: 467

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Inhalt

Cover

Weitere Titel der Autorin

Titel

Widmung

1: Sie liebt ihn – sie liebt ihn nicht

2: Ich kann's kaum erwarten!

3: Freaky Friday – Ein voll verrückter Freitag

4: Eurotrip

5: Joe gegen den Vulkan

6: She's the Man – Voll mein Typ!

7: Der Druidenprinz

8: Die Braut des Prinzen

9: Die üblichen Verdächtigen

10: Step Up

11: Zurück in die Zukunft

12: Sid und Nancy

13: Almost Famous – Fast berühmt

14: Männerzirkus

15: X-Men

16: Mitten ins Herz – Ein Song für dich

17: Clueless

18: Selbst ist die Braut

19: Familienfest und andere Schwierigkeiten

20: 10 Dinge, die ich an dir hasse

21: Kill Bill

22: Moulin Rouge

23: Weiße Weihnachten & Stirb langsam

24: Shakespeare in Love

25: Gone Girl

26: Eine verhängnisvolle Affäre

27: Tatsächlich ... Liebe

Epilog

Impressum

Weitere Titel der Autorin:

Cinder & Ella

Cinder & Ella – Happy End. Und Dann?

V is for Virgin

A is for Abstinence

Girl at heart

Das Avery Shaw Experiment

Das Libby Garrett Projekt

Kelly Oram

Übersetzung aus dem amerikanischen Englisch von Stephanie Pannen

Für meine Schreibfamilie von Absolute Chaos.

Ohne euch hätte meine Karriere niemals begonnen.

Vielen Dank für die vielen Jahre der Inspiration undUnterstützung.

KTBSPA!

1

Sie liebt ihn – sie liebt ihn nicht

Es gibt einen alten Film mit Gwyneth Paltrow namens Sie liebt ihn – sie liebt ihn nicht, in dem es darum geht, wie ein kleines unbedeutendes Ereignis den kompletten Verlauf eines Schicksals bestimmen kann. Im Film bekommt Gwyneth noch gerade so einen Zug früher und kommt deshalb eher als geplant nach Hause, wo sie ihren Freund mit einer anderen im Bett erwischt. Dann spult der Film zur Bahnstation zurück und zeigt eine alternative Realität, in der Gwyneths Figur den Zug verpasst und ihren untreuen Freund nicht erwischt. Von da an verfolgen wir beide Leben parallel und können die drastischen Unterschiede zwischen ihnen sehen. Die Vorstellung ist faszinierend und lädt die Zuschauer ein, über die Möglichkeiten ihres eigenen Lebens nachzudenken.

Mein unbedeutendes und doch vollkommen lebensveränderndes Ereignis war ein Piepton meines Computers. Das war alles. Ein Geräusch. Ein Piepsen meines Laptops, um mich wissen zu lassen, dass er mit dem Rendern einer Datei fertig ist. Dieses kleine Piepsen hat mein ganzes Leben verändert.

Es war ein Sonntagmorgen in meinem ersten Monat als Student. Ich hatte mein Zuhause im Norden des Staates New York verlassen, um Musik an der NYU zu studieren. Mein erstes größeres Projekt für einen meiner Kurse war am nächsten Morgen um acht Uhr fällig. Ich spielte Gitarre, seit ich sechs war, hatte im Alter von dreizehn mit dem Schreiben von Songs angefangen und lernte seit einem Jahr Klavier, doch das Konzept, mittels Technik Musik zu erschaffen, war mir neu. Seit Wochen kämpfte ich damit, diese erste Komposition zu perfektionieren. Doch endlich fehlten nur noch ein paar Stunden, und ich würde fertig sein.

Ich saß am kleinen Schreibtisch in meinem Wohnheimzimmer und arbeitete hart, während meine beiden Brüder hinter mir faulenzten. Sie wechselten sich damit ab, einen Spielzeugbasketball in den kleinen Korb zu werfen, den sie an unserer Tür angebracht hatten, statt sich ihren eigenen Hausaufgaben zu widmen. Es trieb mich in den Wahnsinn.

»Vorsicht!«

Die Warnung kam genau in dem Moment, in dem ihr Ball auf meinen Laptop krachte und mich aus dem Programm warf. »Alter!«

»Upps. Sorry, Kleiner.«

»Ja, sorry, dass Chris so beschissen zielt.«

»Halt die Klappe, Mann. Das war mit links und geschlossenen Augen. Ich wette fünf Mäuse, dass du das auch nicht schaffst.«

»Die Wette gilt. Yo, Kleiner, her mit dem Ball! Ich verdiene mir jetzt fünf Mäuse.«

Ich atmete tief durch und öffnete mein Projekt erneut. Glücklicherweise war alles in Ordnung. Seit ich zu studieren angefangen hatte, war ich dazu übergegangen, meine Arbeit paranoid alle zehn Minuten zu speichern. Es war eine Überlebenstaktik, die nötig war, seit ich eingewilligt hatte, mit meinen Brüdern zusammenzuziehen. Sie hatten keinerlei Respekt vor Privatsphäre, und viel Platz gab es für uns Anderson-Brüder auch nicht.

»Kleiner? Der Ball?«

Ich drehte mich auf meinem Stuhl herum und warf meinen Brüdern einen bösen Blick zu. Sie grinsten mir von ihren Betten aus zu.

Das Zimmer, das wir in der Nähe des Campus bewohnten, war nicht größer als ein Schuhkarton. In der einen Hälfte standen ein Etagenbett, eine Kommode, ein winziger Schrank und ein Schreibtisch. In der anderen sah es genauso aus, nur dass ich ein Einzelbett hatte.

Das Zimmer war eigentlich für zwei Personen gedacht, aber meine Brüder konnten den Gedanken nicht ertragen, dass wir uns trennen, also hatten wir die Sondergenehmigung erhalten, uns zu dritt hineinzuquetschen. Ich war von Anfang an gegen diese Idee gewesen, aber sie hatten es einfach über meinen Kopf hinweg entschieden. Dafür hatte ich dann meine eigene Hälfte verlangt. Aber auch das war nicht genug Platz.

Ich hob den Ball auf und sagte mit zusammengebissenen Zähnen: »Habt ihr nicht irgendwas Besseres zu tun? Vielleicht irgendwo anders?«

Chris grinste teuflisch. »Nö.«

»Bitte lasst mich in Ruhe. Ich muss das hier heute fertigbekommen.«

»Ist deine eigene Schuld, Bro«, sagte Tyler. Er streckte seine Hände nach dem Ball aus, und ich warf ihn direkt in sein Gesicht. Er konnte ihn fangen, bevor er seiner Nase eine neue Form verlieh, wusste meinen tollen Wurf aber nicht zu würdigen. Sein Grinsen wurde durch einen wütenden Blick ersetzt. »Du bist derjenige, der gesagt hat, wir dürften heute nicht feiern.«

»Ich habe gesagt, ihr könnt heute nicht hier feiern. Und es ist eure Schuld, weil ihr mich das ganze Wochenende lang in Beschlag genommen habt.«

»Niemand hält dich davon ab, deine Arbeit zu erledigen«, schaltete sich Chris ein. Die beiden taten sich immer so gegen mich zusammen. »Außerdem hast du dich dieses Wochenende prächtig amüsiert. Du warst es doch, der sich beschwert hat, dass Triple Threat nicht mehr gespielt haben, seit wir hier sind.«

Es stimmte. Ich hatte an diesem Wochenende viel Spaß gehabt. Meine Brüder und ich waren mit unserer Band am Freitag- und Samstagabend aufgetreten, zum ersten Mal seit Studienbeginn. Ich war ja auch dankbar, dass Tyler uns die Gigs verschafft hatte, aber es bedeutete auch, dass ich jetzt mehr Arbeit erledigen musste. »Darüber beschwere ich mich ja auch nicht, aber ihr habt mir versprochen, dass ihr mich dann am Sonntag in Ruhe lassen würdet, damit ich mein Projekt fertigstellen kann. Könnt ihr bitte mal für eine Weile verschwinden?«

Auf ihr Schmollen hin war mir klar, dass ich kreativer sein musste, wenn sie abhauen sollten. Ich brauchte eine gute Geschichte. »Warum sucht ihr nicht diese Mädchen, mit denen ich gestern Abend auf der Party geredet habe? Die waren scharf und haben immer wieder nach euch gefragt.«

Beide horchten auf. »Was für Mädchen?«, fragte Tyler.

»Ich erinnere mich nicht mehr an ihre Namen, aber sie waren blond, Zimmergenossinnen und haben erwähnt, dass sie unten wohnen.«

»Wo unten?«, fragte Chris, der sich bereits seine Jacke überstreifte. »Welche Etage? Welche Zimmernummer?«

Ich zuckte mit den Schultern. »Kann mich nicht erinnern. Da waren ein Haufen Leute gestern auf der Party. Aber ihr könntet ja einfach überall anklopfen. Diese Mädels waren echt umwerfend. Irgendjemand weiß bestimmt, wen ihr meint.«

Tyler und Chris tauschten einen Blick, den ich nur zu gut kannte. Sie befanden sich offiziell auf einer Mission, und wenn sie sich erst mal etwas in den Kopf gesetzt hatten, waren sie nicht mehr aufzuhalten. Nicht, dass es für einen von ihnen schwer gewesen wäre, eine Freundin zu finden. Die Anderson-Brüder kamen bei der Damenwelt gut an. Chris und Tyler zumindest. Ich war vergeben, hätte aber auch kein Problem damit gehabt, ein Date zu bekommen, wenn ich Single gewesen wäre. Meine Brüder und ich hatten seit unserer Kindheit einen gewissen Ruf, und unsere Beliebtheit war uns nicht nur ins College gefolgt, sondern schien sich sogar verdreifacht zu haben.

Verstanden? Weil wir Drillinge sind. Allerdings keine eineiigen. Wir sehen uns fast überhaupt nicht ähnlich, aber die Leute sind einfach so fasziniert von Mehrlingen, dass wir seit unserer Geburt einfach immer im Mittelpunkt gestanden haben. Ich gebe es nur ungern zu, aber wir sind für das Rampenlicht einfach geschaffen.

Tyler nebelte sich mit Körperspray ein und sah zu mir, während er sich sein Portemonnaie einsteckte. »Du solltest mitkommen. Dann wären wir eine echte Triple Threat, verstehst du?«

Ich verdrehte die Augen. »Diese Diskussion hatten wir doch schon.«

»Sie ist 'ne Spaßbremse, Alter.«

»Sie ist meine Freundin.«

»Nate, wir sind jetzt am College«, stöhnte Chris, während er sein kleines Silberkreuz anlegte. Die Kette war kein religiöser Ausdruck, sondern sein Markenzeichen. Sie sollte ironisch sein, ein bisschen wie sein Name.

Christian trägt nämlich den Teufel im Leib. Er ist der Bad Boy unseres Trios. Groß, dunkelhaarig und draufgängerisch. Mit seinen Tattoos und seiner schwarzen Lederjacke ist er der Inbegriff eines Rockstars. Es ist ziemlich klischeehaft, dass er zufällig auch unser Drummer ist, aber er liebt es, dieses Stereotyp auszuleben. Und die Frauen scheinen es noch viel mehr zu lieben.

»Niemand auf dem College ist noch mit seiner Freundin aus der Highschool zusammen. Es ist einfach falsch, wenn es hier doch so viele neue Optionen gibt. Du musst die Vergangenheit hinter dir lassen. Mach Schluss und genieße dein Leben.«

Als Ältester von uns spielt sich Chris auch immer als der Weiseste auf und gibt Ratschläge – besonders, wenn es um Mädchen geht. Als ob diese fünf Minuten, die er früher als ich auf der Welt war, so erhellend gewesen wären.

»Ich soll meine Vergangenheit hinter mir lassen?« Ich schaute zwischen Chris und Tyler hin und her. »Es wohnt auf dem College auch niemand mit seinen Brüdern zusammen.«

»Ja, aber es hat auch niemand sonst so coole Brüder wie du«, erwiderte Tyler und schenkte mir das Lächeln, das ihm schon unser ganzes Leben lang in die Quere gekommen ist.

Tyler ist das genaue Gegenteil von Chris – der Engel zu seinem Teufel –, aber nur oberflächlich betrachtet. Als Jüngster, mit einem Abstand von zwölf Minuten, hat er sowohl das Babygesicht als auch das Nesthäkchen-Syndrom geerbt. Auf jeden Fall hat er regelmäßig Trotzanfälle. Und er hat wie Chris eine Rockstarpersönlichkeit, die sich bei ihm aber anders äußert. Er ist unsere Diva. Groß, mit honigblonden Haaren und den gleichen gefühlvollen braunen Augen, die wir alle haben. Ty spielt die Rolle des Schönlings perfekt. Daher sollte man meinen, er wäre der Frontmann von Triple Threat, doch da ich der beste Sänger von uns bin, steht Ty am Bass und übertreibt seine Performance, wann immer er kann, um mir das Rampenlicht zu stehlen.

Chris und Tyler sind ein gutes Team. Sie sind aufgeschlossen und witzig – oder nervig, je nachdem, wie man witzig definiert – und haben immer die gleiche Meinung. Sie sind der Mittelpunkt jeder Party, und sie sind dauernd auf irgendeiner Party.

Ich bin definitiv der Außenseiter. Typisch für das mittlere Kind, nehme ich an, selbst wenn unser Altersunterschied nur wenige Minuten beträgt. Auf Partys habe ich absolut keinen Bock. Ich liebe zwar das Rampenlicht, aber nur, wenn ich auf einer Bühne stehe. Ansonsten bin ich eher zurückhaltend. Während Chris und Tyler ständig feiern gehen, entspanne ich lieber.

»Was auch immer. Und jetzt haut schon ab, damit ich mein Projekt fertigstellen kann.«

Ty schmollte. »Meinetwegen. Dann bleib halt hier und mach deine Hausaufgaben, Loser.«

Ich verdrehte die Augen über die müde Beleidigung.

Ich bin kein Loser. Erstens bin ich auf meine eigene Art genauso gutaussehend wie sie – ich bin so was wie eine Mischung aus den beiden. Ich habe volle hellbraune Haare und hellbraune Augen, ein bisschen von Chris' Charme und Tylers hübsches Lächeln. Und zweitens habe ich eine viel freundlichere, offenere Ausstrahlung, zu der sich andere eher hingezogen fühlen. Im Gegensatz zu meinen energiegeladenen Brüdern bin ich entspannt, der Singer/Songwriter zu ihren Rockstars, der Indie-Film zu ihren Sommer-Blockbustern. Ich bin vielleicht anders, aber kein Loser.

Meine Brüder sind da allerdings anderer Meinung. Sie halten mich für einen Nerd, weil ich ruhiger, verantwortungsbewusster und in einer langjährigen Beziehung bin, und weil es für mich wichtigere Dinge gibt als die Frage, in welche Studierendenverbindung ich aufgenommen werde. Und weil ich kleiner bin. Was überhaupt nichts mit Coolness zu tun hat, in ihren Augen aber schon.

Chris und Tyler sind beide um die eins fünfundachtzig groß und rennen ständig ins Fitnessstudio. Das betont den Größenunterschied noch zusätzlich. Eins achtzig und siebenundsiebzig Kilo ist natürlich nicht schlecht, aber ich bin definitiv der Kümmerling des Anderson-Wurfs – und darum nennen sie mich auch immer Kleiner. Ich habe schon vor Jahren aufgegeben, mich dagegen zu wehren. Seit der Pubertät hat mich keiner von ihnen mehr Nate genannt.

»Genau das hab ich vor«, erwiderte ich. »Und ohne euch bekomme ich auch viel mehr geschafft. Keine Sorge, ich werde nicht auf euch warten.«

Es machte mir gar nichts aus, als sie beleidigt aus dem Zimmer rauschten. Die Ruhe und der Frieden danach waren einfach zu schön. Und so nötig. Nachdem ich meine Brüder endlich von den Fersen hatte, atmete ich tief durch und ging wieder an die Arbeit. Ich genoss das Wissen, dass ich eine Weile lang nicht gestört werden würde.

*

Meine Ablenkung funktionierte. Chris und Tyler waren ganze drei Stunden weg. Ich hatte gerade mein Projekt fertiggestellt und ließ die Datei nur noch rendern, als sie wieder hereingestürmt kamen. »Du bist der Beste«, verkündete Chris, während er einen dampfenden Becher von Starbucks vor mich auf den Schreibtisch stellte.

Ich lehnte mich zurück und nahm den Überraschungskaffee dankend an. »Ach ja?«

Tyler lachte. »Du hast vergessen zu erwähnen, dass sie aus Russland kommen.«

»Russland?« Ich musste husten, um meine Überraschung zu verbergen. Ich hatte es nicht erwähnt, weil ich mir diese Mädchen nur ausgedacht hatte. Wenn sie nur an genügend Türen klopfen würden, so meine Überlegung, würden sie schon jemanden finden, mit dem sie ausgehen könnten. »Das erklärt den Akzent.«

»Ja.« Chris grinste. »Und sie wollen, dass ihnen heute Abend ein paar Einheimische den Big Apple zeigen.«

Ich lachte. »Ja, aber ihr seid aus Syracuse.«

»Das ist doch praktisch das Gleiche.«

»Wie auch immer. Viel Spaß, Jungs.«

Ich drehte mich wieder zum Computer um, griff nach meinen Kopfhörern und war nicht im Geringsten daran interessiert, wie sich Tyler und Chris mit falschem russischem Akzent unterhielten, während sie sich auf ihr Date vorbereiteten. Doch gerade als ich mir die Kopfhörer aufgesetzt hatte, riss Tyler sie mir wieder vom Kopf. »Von wegen.«

Ich hätte es kommen sehen müssen. Schließlich hatte ich das in der Vergangenheit schon so oft durchgemacht. Aber ich war wegen meines Projekts viel zu gestresst, um daran zu denken. Ich schüttelte den Kopf, noch bevor Tyler es aussprechen konnte. »Ich komme nicht mit.«

»Oh doch.«

»O nein. Ich habe keine Lust, das fünfte Rad am Wagen zu sein, und Sophie kann nicht mitkommen. Sie muss ein Essay schreiben und hat morgen eine Prüfung.«

»Noch besser«, sagte Chris, während er sich durch meinen Schrank wühlt. »Direkt neben den beiden wohnt eine niedliche kleine Brünette. Sie hat uns gestern Abend spielen sehen und freut sich schon sehr darauf, dich kennenzulernen.«

»Alter. Ich geh doch nicht auf ein Date mit einer anderen.«

»Wer hat denn was von Date gesagt?«, argumentierte Tyler. »Wir wollen nur ein bisschen mit denen abhängen.«

Der Anblick meiner Garderobe entlockte Chris ein Seufzen. »Skinny Jeans. Skinny Jeans. Jeansjacke. Samtjacke, Cordjacke ...« Er zog ein blassrosafarbenes Hemd heraus und sah mich skeptisch an. »Du brauchst wirklich dringend neue Klamotten, Hipster McGee. Du hast ja mehr Schals als T-Shirts.«

»Was ist denn so falsch daran, Accessoires zu besitzen?«

»Nichts, wenn man schwul ist.« Augenrollend hängte er das Hemd zurück in den Schrank und suchte weiter nach einem akzeptablen Outfit. »Ist das etwa die Erklärung für dich und Sophie? Ist sie etwa nur deine Fake-Freundin? Ich wusste es.«

Tyler lachte und schlug mir gegen den Arm. »Das hättest du uns aber auch einfach sagen können, Kleiner. Mir wäre lieber, du wärst schwul, als dass du so unter ihrem Pantoffel stehst.«

Während beide in Gelächter ausbrachen, schlug ich Ty viel härter zurück, als er mich geschlagen hatte. Solche dummen Sprüche musste ich mir anhören, seit Sophie und ich ein Paar waren. Und dass ich mich im Abschlussjahr dem Highschool-Chor angeschlossen hatte, hatten mir Tyler und Chris immer noch nicht verziehen. Ich fand es für mich als Leadsänger eine tolle Übung, doch offenbar war es nicht cool, im Chor zu singen, und ich schadete damit unserem Ruf.

Als Drilling wurde man nicht wirklich als Individuum wahrgenommen. Es hieß immer, Die Anderson-Drillinge sind dies oder Die Anderson-Drillinge haben jenes getan. Chris und Tyler gefiel das. Sie sagten, es wäre, wie berühmt zu sein. Nur waren wir eben nicht berühmt, sondern berüchtigt. Doch meine Brüder kannten anscheinend den Unterschied nicht.

Obwohl ich eine ganz andere Persönlichkeit hatte, wurde ich automatisch in die gleiche Schublade gesteckt wie Ty und Chris. Ich hatte die gleichen Freunde, nahm an den gleichen außerschulischen Aktivitäten teil, und da ich der Meinungsschwächste war, tat ich praktisch alles, was mir meine Brüder sagten.

Das Einzige, was ich jemals ganz allein gemacht hatte, war der Chor. Ich liebte es, zu singen. Meine Brüder taten es gern, aber ich liebte es. Also hatte ich zum ersten Mal in meinem Leben auf etwas bestanden. Ich wollte endlich etwas tun, was vollkommen Nate war statt Die Anderson-Drillinge. Und es hatte funktioniert.

Der Chor hatte mir eine völlig neue Welt eröffnet. Ich hatte entdeckt, wie ernsthaft Musik sein konnte, und mir war klar geworden, dass ich genau das beruflich machen wollte. Ich wollte mehr, als mit meinen Brüdern in der Garage Charthits nachspielen. Ich wollte alles. Schreiben und aufnehmen und alles lernen, was nötig war, um ein echtes Album zu produzieren. Also war ich drangeblieben, ganz egal, wie sehr mich meine Brüder dafür gepiesackt hatten – und immer noch piesackten.

»Ihr müsst euch echt mal was Neues ausdenken.« Erneut versuchte ich, mir die Kopfhörer aufzusetzen. »Außerdem nehme ich keine Modetipps von jemandem an, der Lederarmbänder und mehr Kajal als meine Freundin trägt.«

»Eigentlich weiß keiner von euch beiden, wie man sich anzieht«, sagte Tyler. Er riss mir die Kopfhörer so fest aus der Hand, dass das Kabel aus meinem Laptop gezogen wurde.

»Pass auf! Die waren teuer!«

»Sie sind vollkommen in Ordnung. Steh auf. Du kommst mit. Zumindest zum Abendessen. Du hast den ganzen Tag nur hier drin gehockt und an diesem dämlichen Ding gearbeitet, und jetzt ist es an der Zeit, dass du dich ein bisschen amüsierst.«

»Dieses dämliche Ding macht zufällig ein Drittel meiner Note aus. Und wenn es gut wird, bekomme ich vielleicht die Chance, es am Ende des Semesters aufzuführen.«

Chris und Tyler stöhnten auf. »Bei dieser Talentshow?«, fragte Chris. »Alter. Wir können auftreten, wann immer wir wollen. Warum bist du so besessen von einer dämlichen Talentshow?«

Ich seufzte. Meine Brüder kapierten es einfach nicht. »Steinhardt hat eines der besten Musikprogramme der Nation. Die Hälfte des Publikums wird aus Agenten, Produzenten und Talentsuchern bestehen. Alle wollen mitmachen, und für Erstsemester ist es fast unmöglich, da reinzukommen. Wenn ich das schaffe, würde mir das im Sommer Zugang zu allen möglichen Praktika eröffnen. Habt ihr überhaupt eine Ahnung, wie hart die Konkurrenz im Musikgeschäft ist? Hier geht es nicht um irgendeine dämliche Talentshow. Das ist meine Chance, herauszustechen, mir einen Vorteil zu verschaffen. Es geht um meine Zukunft. Das riskiere ich nicht, um mit einem Mädchen, das nicht mal meine Freundin ist, auf ein dämliches Date zu gehen. Vergesst es. Habt viel Spaß ohne mich. Ich muss das hier fertigmachen.«

Widerwillig gaben sie schließlich auf, brummten jedoch beim Rausgehen vor sich hin.

Das war der Moment, wo mein Leben zu einem Film wurde. Gerade als meine Brüder gehen wollten, piepste mein Computer, um mich wissen zu lassen, dass er mit dem Rendern fertig war. Wenn er das zwei Sekunden später getan hätte, wäre es nicht passiert, und ich würde diese Geschichte nicht erzählen. Buchstäblich zwei Sekunden später, und die Tür wäre zu gewesen. Sie waren bereits im Flur. Aber wie es das Schicksal wollte, hörten Chris und Tyler das Piepen und kamen ins Zimmer zurück. Damit änderte sich mein Leben für immer, denn sie wussten genau, was das Geräusch bedeutete.

»Hast du das gehört, Ty?«, fragte Chris.

»Auf jeden. Jetzt hat unser kleiner Bruder keine Ausrede mehr.«

»Das Rendern ist abgeschlossen, mehr nicht, ich muss immer noch ...«

»Netter Versuch«, sagte Tyler. »Muss ich etwa andere Saiten aufziehen?« Er hob den Kaffeebecher, als würde er damit drohen, die Flüssigkeit über meinen Computer zu gießen.

»Lass das!«, rief ich. »Das ist nicht lustig.«

»Das ist dein fehlendes Sozialleben auch nicht.« Tyler schwenkte den Becher ein wenig hin und her. »Kommst du jetzt endlich mit?«

Ich war erschöpft und gestresst und hatte das Projekt noch nicht auf meine externe Festplatte kopiert. Ich wollte nicht ausgehen. Tyler würde meinen Laptop nicht zerstören, aber in Ruhe lassen würde er mich auch nicht. Also gab ich nach. Ich gab immer nach. »Meinetwegen. Lass einfach meinen Computer in Ruhe.«

»Guter Junge«, neckte mich Chris von der Tür aus, bevor er zu meinem Kleiderschrank schlenderte.

Und da geschah es. Mein Hirn rastete immer noch über die Vorstellung aus, dass Tyler mein Projekt irgendwie unabsichtlich zerstören könnte, also sah ich nicht, wie Chris eine Jacke aus dem Schrank zog und sie mir zuwarf. Sie flog an meinem Gesicht vorbei und schlug Tyler den Kaffeebecher aus der Hand. Es passierte wie in Zeitlupe, genau wie im Film. Der Inhalt des Bechers ergoss sich über meinen Laptop. Funken, Rauch und ein Knistern.

Meinen Computer sterben zu sehen, war vollkommen surreal. Ich wusste, dass mein Projekt, meine gute Note und meine Chancen für die Talentshow gerade vor meinen Augen dahinschwanden. Und ich konnte absolut nichts dagegen tun. Ich stand einfach nur da und starrte geschockt auf meinen Schreibtisch, während Tyler und Chris hastig herumliefen, um das Chaos zu beseitigen.

Schließlich schnipste Chris vor meinem Gesicht mit den Fingern, um mich aus meiner Erstarrung zu reißen. »Alter, das tut mir so leid.«

»Brauchst nicht ausrasten«, fügte Tyler hinzu. »Dad kauft dir einen neuen.«

»Ein Drittel meiner Note.«

»Wir reden mit deinem Lehrer«, fuhr Chris fort. »Wir erklären ihm, dass es nicht deine Schuld war. Wir verschaffen dir eine Verlängerung.«

»Die Talentshow.«

»Wir bringen das wieder in Ordnung, Kleiner. Versprochen.«

Ich wusste nicht, wer von beiden gerade mit mir redete, und es war mir auch egal. »Vergesst es. Ihr habt schon genug Schaden angerichtet.«

»Nate, es tut uns echt leid. Es war ein Versehen.«

Aus irgendeinem Grund war es die Verwendung meines echten Namens, die mich schließlich ausrasten ließ. Mein Schock wurde von Wut abgelöst. »Es ist immer nur ein Versehen!«, brüllte ich. »Ihr wisst nie, wann Schluss ist! Ihr drängt und drängt und drängt, bis die Dinge außer Kontrolle geraten, und ich bin immer derjenige, der es dann ausbaden muss. Warum könnt ihr mich nicht einmal in Ruhe lassen?«

Ich schnappte mir meine Jeansjacke – da meine neue aus Wildleder mit Kaffee befleckt war –, stürmte aus dem Zimmer und schlug die Tür hinter mir zu. Chris und Tyler kamen mir nicht hinterher, also muss ich wohl so aufgebracht ausgesehen haben, wie ich mich fühlte.

2

Ich kann's kaum erwarten!

Mein Projekt war weg, mein Laptop zerstört. Und ich wollte weder Tyler noch Chris jemals wiedersehen. Nachdem ich aus unserem Zimmer gestürmt war, verließ ich das Wohnheim und ging los. Es war mir egal, wohin, ich wollte einfach nur weg. Ich brauchte frische Luft und etwas Zeit, um mich wieder abzuregen. Irgendwo in meinem Hirn wusste ich, dass ich so schnell wie möglich meinen Vater anrufen und ihn bitten sollte, meinen Laptop zu ersetzen. Und dann sollte ich meinen Professor kontaktieren, um zu versuchen, mein fehlendes Projekt zu erklären. Aber ich stand immer noch unter Schock.

Sophies Stimme erfüllte mein Ohr, noch bevor mir klar wurde, dass ich sie angerufen hatte. »Hey, Baby! Wie läuft dein Projekt? Bist du fertig?«

»Nicht wirklich. Wie läuft es mit deinem Aufsatz? Hast du Zeit für eine Pause?«

»Leider nein. Der Aufsatz ist fertig, aber um sechs hab ich Lerngruppe.«

Ich seufzte. »Okay. Schon gut.«

Sophies spielerischer Tonfall verschwand. »Nate? Ist was nicht in Ordnung?«

Ich seufzte erneut. Was war in Ordnung? »Ist 'ne lange Geschichte, aber wir können uns ja morgen nach dem Kurs treffen.«

»Baby, du klingst furchtbar. Wenn was ist, kann ich die Lerngruppe ausfallen lassen.«

Ein Teil von mir wollte dazu unbedingt Ja sagen, der egoistische Teil, der einfach nur in Selbstmitleid baden und sich von meiner Freundin trösten lassen wollte. Aber ich wusste, dass das nichts helfen würde. »Nein, tu das nicht. Ich weiß, dass du bald diesen Test hast, und du bist deswegen sowieso schon nervös. Wir sehen uns morgen nach dem Kurs.«

Ich klang wohl nicht überzeugend genug. »Nate, sei nicht albern. Ich habe eine halbe Stunde. Lass uns doch einfach jetzt kurz treffen, und ich gehe einfach ein bisschen später zu meiner Lerngruppe. Die anderen werden stundenlang da sein. Das ist schon okay.«

Ich wollte nicht zu anhänglich erscheinen, aber gleichzeitig konnte ich dieses Angebot nicht ablehnen. »Ja, okay. Sollen wir uns im Café auf dem Campus treffen? Ich spendiere dir auch einen Kaffee.«

Das Lächeln war zurück in ihrer Stimme, als sie antwortete. »Na klar. Bis gleich.« Nur das kurze Telefonat mit Sophie hatte dafür gesorgt, dass ich mich ein bisschen besser fühlte. Inzwischen hatte ich wieder einen einigermaßen klaren Kopf – klar genug, um mich endlich dem Problem meines fehlenden Projekts widmen zu können. Auf dem Weg zum Café googelte ich mit meinem Handy nach einer Lösung. Es musste doch etwas geben, um die Dateien auf meinem Laptop zu retten.

Meine Suche nach Ratschlägen kam zu einem abrupten Ende, als ich direkt vor dem Café mit jemandem zusammenstieß. Der Aufprall hatte genug Wucht, um mich einen Schritt zurückzuschleudern. Und als ob ich es geahnt hätte, hatte die Person, mit der ich zusammengestoßen war, einen Pappbecher in der Hand gehalten, der nun regelrecht über mir explodierte.

Ich schrie überrascht auf und ließ bei dem Versuch, so schnell wie möglich meine mit heißer Flüssigkeit bedeckte Jacke auszuziehen, auch noch mein Handy fallen. Schnell nutzte ich die trockene Innenseite, um meine Hände abzuwischen. Als ich mich bückte, um mein Handy wieder aufzuheben, rastete ich jedoch völlig aus. Das Smartphone hatte genauso viel abbekommen wie meine Jacke, und beim Sturz auf den Boden war der Bildschirm gesplittert. Es war einfach alles zu viel. Dass ich nach allem, was an diesem Abend passiert war, in einen zweiten Heißgetränke-Unfall verwickelt werden sollte, ließ mich verlieren, was von meinem Verstand noch übrig war.

Ich starrte auf meine fleckige, feuchte Jacke und brach in Gelächter aus. Es war kein humorvolles, sondern ein leicht manisches Willst du mich verarschen?-Lachen.

»Natürlich«, stöhnte ich. »Denn einmal war ja heute noch nicht genug.« Genervt sah ich in den Himmel, vergaß die Leute um mich herum und rief: »Vielen Dank auch!«

Mein Moment des Irrsinns wurde unterbrochen von etwas, das wie Fluchen auf Chinesisch klang. »So redet man aber nicht mit anderen, junger Mann«, sagte eine wütende Stimme. »Besonders nicht, wenn man sie so unhöflich umgeworfen hat.«

Sofort wurde ich wieder in die Wirklichkeit zurückgeholt, und mir wurde klar, dass ich nicht mit der Luft zusammengestoßen war, sondern mit einer kleinen alten Frau, die ich dabei zu Boden gerissen hatte. Der Pappbecher und die kleine Papiertüte, die sie dabeihatte, lagen im Rinnstein und wurden nass. Ich schämte mich zutiefst. »Oh nein, ich meinte Sie gar nicht. Sind Sie okay? Es tut mir so leid!«

Als ich zu ihr eilte und ihr meine Hand anbot, ließ sie sich zwar von mir aufhelfen, starrte mich dabei aber weiterhin böse an. »Es tut mir wirklich furchtbar leid. Ich habe nicht Ihnen die Schuld gegeben. Ich habe nur ... das Schicksal verflucht oder so. Es war ein harter Tag. Aber das hier war allein meine Schuld. Ich hätte aufpassen müssen, wohin ich gehe. Sie haben doch hoffentlich nichts abbekommen, oder? Wenn doch, übernehme ich natürlich die Reinigung.«

Während sich die Frau abklopfte – glücklicherweise schien ich tatsächlich das meiste abbekommen zu haben –, hob ich ihre Papiertüte auf. Sie war ebenso zerstört wie mein Handy. »Es tut mir schrecklich leid. Wie es aussieht, sind Ihre ...«

Meine Stimme verlor sich, als ich auf die durchweichte Tüte starrte. Ich konnte nicht erkennen, was sich darin befand.

Der Zorn der Frau verrauchte. Ich sah mit meinem hochroten Kopf und den Flecken auf dem Shirt wohl ziemlich mitleiderregend aus. Sie nahm die Papiertüte und seufzte. »Schon gut. Es waren nur Scones.«

Ich zog einen Zehner aus meiner Brieftasche. »Hier. Ich hoffe, das reicht. Bitte entschuldigen Sie noch mal.«

Sie hob ihre Hand, um das Geld abzulehnen. »Nein, wirklich. Es waren welche vom Vortag, die ich dem netten Obdachlosen vor meinem Haus bringen wollte. Ich habe nicht mal dafür bezahlt. Es ist kein tragischer Verlust.«

Ich schlug die Hand vors Gesicht und stöhnte erneut. Ernsthaft? Ich hatte eine nette alte Dame umgeworfen und einen armen Obdachlosen um sein Abendessen gebracht? Konnte dieser Tag noch schlimmer werden? »Bitte, ich bestehe darauf. Ich fühle mich schrecklich, und ich will auf keinen Fall, dass Ihr obdachloser Freund leer ausgeht. Nehmen Sie das Geld und kaufen Sie ihm eine warme Mahlzeit davon. Bitte.«

Die alte Frau kniff nachdenklich die Augenbrauen zusammen. Eigentlich war sie gar nicht so alt. Vielleicht Anfang sechzig. Ich konnte es nicht genau sagen. Sie hatte etwas Altersloses an sich. Sie trug eine traditionelle chinesische Seidenbluse – die glücklicherweise trocken geblieben zu sein schien – sowie eine schwarze Stoffhose, und ihre Haare waren mit einem kleinen perlenbesetzten Kamm hochgesteckt. Ihre runden Wangen waren gesund gerötet und jetzt, wo sie mich nicht mehr wütend ansah, wirkten ihre Augen sehr freundlich.

Schließlich lächelte sie und nahm das Geld von mir an. »Also gut, wenn Sie darauf bestehen. Das ist sehr aufmerksam von Ihnen.«

»Ich bestehe darauf«, sagte ich bestätigend und legte mir meine tropfend nasse Jacke über den Arm. Seufzend steckte ich mir mein kaputtes Handy in die Gesäßtasche und fügte hinzu: »So kommt zumindest bei einer Person an diesem verflixten Tag etwas Gutes heraus.«

Ich warf einen Blick auf das Café hinter uns und zuckte mit den Schultern. »Noch mal, Entschuldigung. Ich wünsche Ihnen einen schönen Abend.«

Ich ging um sie herum zum Eingang, und sie folgte mir. Ich lächelte verlegen und hielt die Tür für sie auf, doch sie grinste mich nur an und blieb vor mir stehen. »Glaubst du an das Schicksal, junger Mann?«

»Äh ...« Wo kam das denn plötzlich her? Und warum sah sie mich mit diesem wissenden, fast begeisterten Funkeln in den Augen an? »Wie bitte?«

Sie hakte sich bei mir unter und zog mich ins Café. Ihr Griff war fest genug, dass ich ihr nicht entkommen konnte, ohne sie erneut umzustoßen. »Du hast vorhin gesagt, du würdest das Schicksal verfluchen.« Sie blieb stehen und sah mich an. »Glaubst du wirklich an das Schicksal?«

Ich sah mich unauffällig im Laden um. Der Barista hinterm Tresen bemerkte meine panische Miene, und sein Blick wanderte zu der alten Dame, die sich an meinen Arm klammerte. Er verzog das Gesicht, als wäre er nicht überrascht. Vermutlich war ich wohl nicht ihr erstes Opfer.

Na großartig. Die Frau war verrückt. Von allen Menschen auf der Welt musste ausgerechnet ich an eine Irre geraten. Zugegeben, ich befand mich mitten in New York City, und die Stadt wimmelte von Menschen, aber dennoch schien ich das Unglück heute Abend regelrecht anzuziehen. »Wenn es so etwas wie das Schicksal gibt, würde ich wirklich gern wissen, warum es mich hasst«, murmelte ich.

Die alte Dame lachte.

»Pearl«, rief der Barista amüsiert. »Was hat der Boss über das Belästigen von Kunden gesagt?«

Pearl verdrehte die Augen, während sie mich weiter zum Tresen schleifte. »Ach, sei still, Colin«, erwiderte sie. »Ich belästige doch niemanden. Dieser nette junge Mann und ich hatten draußen nur einen kleinen Unfall, und er hat angeboten, meine Backwaren zu ersetzen.«

Der Barista sah mich mit hochgezogenen Augenbrauen an. Ich zuckte nur mit den Schultern, weil ich einfach nicht wusste, was ich sagen sollte. Ja, ich hatte angeboten, der Dame das Essen zu ersetzen, aber ich hatte nicht den geringsten Schimmer, wie wir zusammen an der Kasse gelandet waren. Wir mussten aussehen, als ob sie meine Großmutter wäre, die mich zum Essen ausführte.

Colins Blick fiel auf die feuchte Jacke über meinem Arm und die Flecken auf meinem Shirt. Ein weiteres amüsiertes Lächeln und Kopfschütteln, dann sah er Pearl ironisch an. »Einen Unfall?«

Meine verrückte Gefährtin warf ihm einen bösen Blick zu. »Ich brauche ein paar neue Scones zum Mitnehmen und noch einen Tee – den trinke ich aber hier. Und für meinen neuen Freund ebenfalls einen.«

Colin schnaubte.

Es dauerte einen Moment, bis mir klar geworden war, was Pearl gerade gesagt hatte. Da endlich befreite ich mich aus ihrem Arm. »O nein, schon gut.« Ich zwang mich zu einem höflichen Lächeln. »Tut mir leid, ich kann jetzt keinen ... Tee trinken. Ich bin mit jemandem verabredet. Sie wird sicher jede Minute hier sein.« Bevor Pearl etwas erwidern konnte, wandte ich mich zum Barista. »Für mich keinen Tee, danke. Ich suche mir einfach einen Tisch. Ich bestelle, wenn meine Freundin hier ist.«

Bei der Erwähnung meiner Freundin runzelte Pearl ein wenig die Stirn. Ich wusste nicht, was hinter ihrem Interesse steckte, und ich wollte es auch gar nicht erst herausfinden, also entschuldigte ich mich ein letztes Mal hastig bei ihr und setzte mich an einen Tisch am Fenster, von dem ich Ausschau nach Sophie halten konnte.

Kopfschüttelnd betrachtete ich den Trubel auf der Straße. New York war voll von seltsamen Leuten. Meine Brüder liebten es hier, doch ich war noch nicht völlig überzeugt. Viel zu viele Menschen auf einem Haufen. Ich hatte nichts gegen Großstädte, doch diese hier ließ mich manchmal leicht klaustrophobisch werden.

Da von Sophie noch keine Spur zu sehen war, holte ich mein Handy aus der Tasche und versuchte es einzuschalten. Natürlich tat sich gar nichts. »Großartig.«

Zum gefühlt tausendsten Mal an diesem Abend seufzte ich, legte das Handy an die Seite, stützte die Ellbogen auf den Tisch und ließ meinen schmerzenden Kopf in meine Hände sinken. So blieb ich sitzen, bis mir jemand plötzlich eine große Tasse mitsamt Untertasse vor die Nase schob. Verwundert blickte ich auf und sah, dass Pearl mir gegenüber Platz genommen hatte. »Trink etwas Tee.« Ihre Stimme und ihr Gesichtsausdruck duldeten keinen Widerspruch. »Das beruhigt die Nerven.«

Da ich nicht wusste, was ich sonst tun sollte, nahm ich brav einen Schluck und flehte inständig, dass Sophie bald auftauchen würde. Als das warme Getränk meine Kehle hinunterfloss, bemerkte ich, wie ich mich langsam entspannte. Mir war gar nicht klar gewesen, wie verdreht mein Magen gewesen war, bis der Tee ihn beruhigte. Schließlich kapitulierte ich und rührte ein Päckchen Süßstoff hinein. Pearl saß mir zurückgelehnt gegenüber und beobachtete mich mit einem zufriedenen Lächeln. »Das ist schon besser«, sagte sie. »Wie heißt du, junger Mann?«

Hätte ich gewusst, wie das geht, hätte ich auf die gleiche Weise die Augenbrauen hochgezogen, wie Colin, der Barista, es getan hatte. Pearl trank einen Schluck von ihrem Tee und wartete auf eine Antwort.

»Nathan.« Ich lachte fassungslos. Ich tat das hier also wirklich. Trank Tee mit einer Fremden, die mindestens dreimal so alt war wie ich. »Nate.«

Wieder lächelte Pearl. »Schön, dich kennenzulernen, Nathan. Und jetzt erzähl mal, warum du so durcheinander bist, dass du harmlose alte Damen auf dem Bürgersteig umwirfst und das Schicksal verfluchst.«

Mir fiel vor Überraschung über ihre Direktheit die Kinnlade herunter. Sie musterte mich eindringlich, aber nicht auf eine arrogante Weise. Ihre Miene sollte wohl eher aussagen, dass sie es ernst meinte und eine ehrliche Antwort erwartete. »Jeder junge Mann, der beim Gehen so entschlossen auf seine Schuhe starrt, muss etwas auf dem Herzen haben.«

Als ich nicht sofort antwortete, wurde ihr Lächeln milder. »Beziehungsprobleme?«

Von wegen. Beziehungsprobleme wären mal eine nette Abwechslung. Ich schnaubte verächtlich und schüttelte den Kopf. »Familienprobleme.«

Wie zuvor nahm Pearl gelassen einen Schluck Tee und wartete darauf, dass ich weitersprach. »Es geht um meine Brüder«, murmelte ich, als würde sie mir die Worte durch pure Willensanstrengung entlocken. »Sie meinen es gut, aber sie treiben mich in den Wahnsinn.«

Meine Bemerkung ließ Pearl mit einem Mal nachdenklich und gedankenverloren wirken. Ihre Antwort war so leise, dass ich sie fast nicht hören konnte. »So ist das mit der Familie meistens.«

Ein Anflug von Traurigkeit überschattete ihr Gesicht, und es fiel mir leicht, ihr zu glauben, dass sie tatsächlich wusste, wie ich mich fühlte. Das war irgendwie tröstlich, und nach einem weiteren Schluck Tee gab ich schließlich nach und begann zu reden. Ich wurde Ethan Embry im Film Ich kann's kaum erwarten! Ich war der Kerl, der so einsam und deprimiert war, dass er allein durch die Straßen wanderte und einer völlig Fremden sein Herz ausschüttete.

In dem Film war Ethan Embrys Figur wegen eines Mädchens durcheinander, in das er schon seit Jahren verliebt war. Er wollte die Dinge so verzweifelt ändern, dass er nachts um zwei den Rat einer Stripperin an einer Straßenecke annahm. Ich hatte zwar keine Beziehungsprobleme, dennoch war ich wie er. Seit Jahren hatte ich das gleiche Problem mit meinen Brüdern, aber nie den Mut, etwas dagegen zu tun. Sie bedrängten mich, und ich gab nach. Jedes Mal. Und nun, wo ich an meine Grenze gestoßen war, suchte ich so verzweifelt nach einer Lösung, dass ich meine Lebensgeschichte bei einer Tasse Tee einer verrückten alten Dame erzählte. Alles in der Hoffnung, dass sie vielleicht Antworten für mich hatte.

Nein, nicht sie war es, die verrückt war. Sondern ich.

Seltsamerweise entpuppte sich Pearl als großartige Zuhörerin. Ich begann mich weiter zu entspannen, und es fiel mir plötzlich leicht, ihr mein Herz auszuschütten. Nachdem ich ihr vom Laptop-Fiasko erzählt hatte, spulte ich zurück und vertraute ihr an, wie es gewesen war, mit meinen Brüdern aufzuwachsen, und dass ich mich immer als Außenseiter gefühlt hatte.

»Weil der Chor nicht besonders populär und keiner der beliebten Schüler dabei war, als ich eingetreten bin, habe ich dort einen komplett neuen Freundeskreis gefunden, der nichts mit meinen Brüdern zu tun hatte. Endlich konnte ich ich sein und nicht nur ein Teil der Anderson-Drillinge. Zum ersten Mal in meinem Leben wurde ich mit meinem Namen angesprochen und nicht mit Kleiner. Ich glaube, da hab ich begriffen, dass ich mich von meinen Brüdern abnabeln möchte. Ich hatte vor, das College allein durchzuziehen. Chris und Tyler hatten immer davon gesprochen, daheim zu bleiben und sich an der örtlichen Uni einzuschreiben. Aber ich wollte so unbedingt weg, dass ich mich eines Tages zu einem Vorspiel für ein Musikstipendium hier an der NYU geschlichen habe.«

»Musik«, wiederholte Pearl anerkennend. »Du bist also talentiert und kreativ und weißt die Künste zu schätzen. Sehr gut. Das wird gut funktionieren.«

Sie hatte sich wieder in ihren eigenen Kopf zurückgezogen, wie bereits mehrere Male während unseres Gesprächs. Es war, als ob sie meine Persönlichkeitsmerkmale katalogisieren würde. »Funktionieren für was?«

Sie riss sich aus ihren Gedanken, lächelte und winkte ab. »Achte nicht auf mich. Ich bin nur eine verrückte alte Frau. Du musst das Stipendium bekommen haben, wenn du jetzt hier bist.«

Ich errötete. Um das Stipendium zu bekommen, hatte ich ein eigenes Lied schreiben und vortragen müssen. Die Konkurrenz war stark gewesen, aber meine harte Arbeit hatte sich bezahlt gemacht. Das Gefühl, als ich die Zusage bekommen hatte, war einfach unvergleichlich.

Pearl grinste wieder. »Und bescheiden ist er auch.«

Ihre Bemerkung ließ meine Wangen noch heißer werden. »Ja, ich hab das Stipendium bekommen«, murmelte ich und griff nach meiner Tasse, um sie nicht ansehen zu müssen.

»Und deine Brüder sind dir hierher gefolgt, nachdem du ihnen davon erzählt hast.«

Ich nickte, obwohl es keine Frage gewesen war. »Chris hat ein spezielles Stipendium für Drillinge gefunden, und der Sponsor war zufällig ein ehemaliger Absolvent der NYU. Bevor ich wusste, wie mir geschah, war ich dabei, mein Zeug auszupacken, während sich meine Brüder darum prügelten, wer das obere Bett bekommt. Wie immer haben sie alles übernommen und kontrolliert, und nichts hat sich geändert. Eigentlich ist es jetzt noch schlimmer, denn nun teile ich mir auch noch ein Zimmer mit ihnen.«

»Nate?«

Sophies Stimme ertönte so plötzlich, dass ich mich an meinem Tee verschluckte.

Ihr Blick wanderte zwischen Pearl und mir hin und her, bis er schließlich stirnrunzelnd an mir hängenblieb. »Eine Freundin von dir?«

3

Freaky Friday – Ein voll verrückter Freitag

Sophie starrte mich verwundert an, und ich bekam einen roten Kopf, während ich nach Worten suchte. Aber wie erklärte man schon eine spontane Teeparty mit einer vollkommen Fremden? Pearl kam mir zu Hilfe. »Du musst Sophie sein. Wie schön, dich kennenzulernen. Nathan und ich hatten vor dem Laden einen kleinen Unfall, und er war so nett, mir einen Tee zu spendieren, um den zu ersetzen, den ich aus Versehen über ihm verschüttet habe.«

Sophie starrte unsere Tassen an. »Oookaay ...« Sie dehnte das Wort, als ob sie uns für völlig verrückt halten würde. Nach einer kleinen Pause zwang sie sich zu einem Lächeln, das sie bestimmt freundlich meinte, aber eher herablassend wirkte. »Es war nett, Sie kennenzulernen, Pearl, aber würde es Ihnen etwas ausmachen, wenn ich meinen Freund jetzt entführen würde? Ich habe nicht viel Zeit und wir ...«

»Setz dich, Sophie.«

Ich zuckte zusammen, und auch Sophie riss überrascht die Augen auf. Pearls Stimme war sanft gewesen, doch es schwang unverkennbar ein Befehl in ihren Worten mit. »Lass Nathan seinen Tee austrinken. Er hat einen harten Tag hinter sich und fängt gerade erst an, sich zu entspannen.«

Als mich Sophie entgeistert ansah, zuckte ich nur hilflos mit den Schultern. Ohne etwas zu erwidern, sank sie auf den Platz neben mir und sah mich fragend an. Doch ich wusste, dass ihr meine Erklärung nicht gefallen würde. Die Wahrheit lautete, dass ich Pearls Gesellschaft tatsächlich genoss. Es gelang ihr hervorragend, mich zu beruhigen.

Pearl unterbrach unser Blickduell. »Also, Sophie, du bist wirklich genauso hübsch, wie dich Nathan beschrieben hat.«

Sophie blinzelte Pearl erstaunt an. »Vielen Dank.«

Das Kompliment besänftigte ihre Verärgerung, und ich musste insgeheim grinsen. Pearl konnte es nicht wissen, doch wenn Sophie eine Schwäche hatte, dann war es Eitelkeit. Sie war wunderschön. Sie hatte lange blonde Haare, kristallblaue Augen und die Figur einer professionellen Cheerleaderin. Allerdings wusste sie auch, wie attraktiv sie war, und liebte es, bestätigende Komplimente zu bekommen. Sie war nicht eingebildet oder gemein, aber durchaus auf ihr Aussehen fixiert. Sie brauchte immer ewig, um sich fertig zu machen, und sie lebte für Anerkennung. Wenn sie jemals sauer auf mich war, brauchte ich ihr nur zu sagen, wie hübsch ich sie fand, und alles war vergessen.

Als Pearl sah, dass sie erreicht hatte, was sie wollte, lehnte sie sich zurück und lächelte zufrieden. »Nathan hat mir gerade erzählt, wie er sich von zu Hause weggeschlichen hat, um ein Musikstipendium zu bekommen, ohne es seinen Brüdern zu verraten, sie ihm dann aber trotzdem gefolgt sind.«

Ich verzog mein Gesicht. Das Schicksal weigerte sich heute wirklich beharrlich, mir auch nur ein bisschen entgegenzukommen. Musste Pearl ausgerechnet das wiederholen? Mein Stipendium für die NYU war das heikelste Thema zwischen Sophie und mir. Fast. Abgesehen von Chris und Tyler. »Ohne es seinen Brüdern zu sagen?«, fragte sie. »Ohne es überhaupt jemandem zu sagen. Fast wäre ich mit meiner Bewerbung für die NYU zu spät dran gewesen, weil er so lange gewartet hat, mir zu sagen, dass er hier studieren will.«

Pearl zog überrascht die Augenbrauen hoch. Der Blick, den sie mir zuwarf, ließ meine Wangen brennen. »Du hast deiner Freundin gegenüber nicht erwähnt, wo du studieren willst? Wolltest du ihr etwa auch entkommen, so wie deinen Brüdern?«

Sophie warf Pearl einen vernichtenden Blick zu, dann sah sie mich an.

»Nein«, versicherte ich Sophie erneut. »So war das nicht.« Ich runzelte die Stirn. »Komm schon, Pearl. Ich dachte, wir wären jetzt Freunde, die zusammen einen Tee trinken. Warum werfen Sie mich jetzt den Wölfen zum Fraß vor?«

Pearl runzelte ebenfalls die Stirn. »Ich werfe dich nicht den Wölfen zum Fraß vor, Nathan. Ich versuche nur, es zu verstehen. Du hast mir gesagt, ihr zwei wärt seit der elften Klasse ein Paar. Zwei Jahre ist eine ziemlich lange Zeit, um deine Freundin nicht in deine Studienpläne miteinzubeziehen.«

Sophie schlug mit der flachen Hand auf den Tisch und zeigte dann auf Pearl. »Ganz genau!«

»Soph ...«, seufzte ich. Das war das Letzte, was ich heute Abend gebrauchen konnte. »Ich habe dir das schon hundert Mal erklärt. Es ist nicht so, dass ich es dir nicht sagen wollte.« Ich fühlte mich so in die Ecke getrieben, dass ich der netten alten Dame, mit der ich gerade einen Tee getrunken hatte, einen bösen Blick zuwarf, während sie meiner Freundin und mir beim Streiten zusah. Obwohl ich den Nettigkeitsteil vielleicht noch mal überdenken sollte. »Ich habe es niemandem gesagt, weil ich ... Angst hatte.« Ich verzog das Gesicht. Mann, ich hasste es, das zuzugeben.

»Angst?«, fragte Pearl. »Wovor?«

»Ich weiß nicht, vor einer Million Sachen.« Ich begann, meine Schläfen zu massieren. »Als ich gesagt habe, dass ich Singer-Songwriter werden will, haben mich alle ausgelacht. Niemand hat mich ernst genommen, und niemand hat geglaubt, dass ich es schaffe. Alle halten es für eine dämliche Zeitverschwendung.«

Sophie seufzte. »Ich habe nie gesagt, dass ich es für dämlich halte. Ich weiß, wie wichtig dir deine Musik ist, und das liebe ich an dir. Aber du musst zugeben, dass die Chancen, als Musiker groß rauszukommen, verschwindend gering sind. Es ist kein guter Zukunftsplan. Es ist keine sichere Berufswahl.«

»Und genau deshalb habe ich dir nichts von dem Stipendium erzählt. Ich war mir nicht sicher, ob ich es bekommen würde, und ich wollte dir nicht sagen müssen, dass ich es versucht habe und gescheitert bin.«

Sophie sah mich mit absoluter Aufrichtigkeit an. »Nate. Du musst niemals Angst haben, mir etwas zu sagen. Ich würde niemals schlechter von dir denken, wenn das mit der Musik nichts wird. Das weißt du. Ich werde dich immer lieben. Ganz egal, was passiert.«

Sie meinte es tröstlich, dennoch hinterließen ihre Worte einen üblen Nachgeschmack. Sie würde nicht schlechter von mir denken, weil sie davon ausging, dass ich scheitern würde. Meine Musik war mein Leben, und auch wenn Sophie mich unterstützte und mich gern spielen und singen hörte, verstand sie dennoch nicht, wie viel es mir wirklich bedeutete. Für sie war es nur ein netter Zeitvertreib, mehr nicht – ein albernes Hobby, das sie mochte, weil ich talentiert war und sie mit mir vor ihren Freunden angeben konnte. Ich wusste, dass sie mich liebte, aber manchmal fühlte es sich so an, als wäre ich für sie nicht mehr als eine Trophäe.

»Tja, vielleicht spielt das alles eh keine Rolle mehr, wenn ich meinen Computer nicht wieder in Ordnung bringen kann. Mein Laptop ist zerstört. Alles, woran ich dieses Semester gearbeitet habe, ist weg.«

Sophie schnappte entsetzt nach Luft. »Dein Laptop ist zerstört?«

Ich hob mein zerbrochenes Handy hoch. »Und das hier auch.«

Sie starrte erst das Handy und dann mich an. »Wie ist das passiert?«

»So, wie es immer passiert.« Ich fuhr mir durch die Haare und seufzte genervt.

Sie wusste die Verärgerung in meiner Stimme richtig zu deuten. »Deine Brüder haben das getan?«

»Na ja, nicht das hier«, sagte ich und wedelte mit dem Smartphone herum. »Das war ein Kollateralschaden von meinem Zusammenstoß mit Pearl. Aber das mit meinem Laptop. Chris und Tyler waren ... eben Chris und Tyler, und dabei haben sie Kaffee darüber verschüttet. Das Ding ist praktisch explodiert. Mein Projekt hat sich in Rauch aufgelöst.«

Sophie blinzelte mich ein paarmal an, dann nahm ihr Gesicht einen tiefen Rotton an. »Diese Idioten. Wie haben sie das nur geschafft?«

»Indem sie herumgeblödelt haben, wie immer.« Ich würde ihr nicht sagen, dass sie mich hatten zwingen wollen, mit einem anderen Mädchen auszugehen. Sophie und meine Brüder kamen so gut miteinander aus wie Spider-Man und der Green Goblin. »Spielt ja auch keine Rolle. Was geschehen ist, ist geschehen.« Ich sank auf meinem Platz in mich zusammen.

»Das ist alles?« Sophie schüttelte den roten Kopf. »Wieso bist du deswegen nicht wütender?«

»Das bin ich doch, aber wütend zu sein, wird mein Problem nicht lösen. Kann ich mir mal dein Handy leihen? Ich muss einen Laden finden, der mir bei der Wiederherstellung der Dateien von der Festplatte helfen kann. Wenn ich meine Arbeit nicht wiederbekomme, bin ich am Arsch.«

Sophie wollte mir gerade ihr Handy reichen, als sie es plötzlich wieder zurückzog und mit der Faust auf den Tisch schlug. »Dein Projekt ist nicht das Problem. Deine Brüder sind das Problem.«

Sie hätte mir ebenso gut in den Bauch schlagen können. »Wow, danke für das Mitleid.«

Sophie schüttelte den Kopf. »Bist du wirklich überrascht, dass so etwas passiert ist? Ich will ja nicht sagen, ich hätte es gewusst, aber wie oft habe ich dich davor gewarnt, mit deinen Brüdern zusammenzuziehen?«

»Ja, warum hast du das gemacht?«, fragte Pearl plötzlich. Ich war so in mein Wortgefecht mit Sophie versunken gewesen, dass ich ganz vergessen hatte, dass sie auch noch mit am Tisch saß.

Bevor ich antworten konnte, murmelte Sophie: »Weil er nicht Nein sagen kann, wenn es um sie geht.«

Ich verdrehte die Augen und versuchte es Pearl so gut zu erklären, wie ich konnte. »Das stimmt so nicht.«

Sophie schnaubte verächtlich, also schob ich nach: »Okay, vielleicht schon ein bisschen. Aber die Sache ist komplizierter. Meine Brüder haben sich ohne mein Wissen um dieses Zimmer gekümmert. Sie mussten extra eine Sondergenehmigung einholen, um dort zu dritt zu wohnen, weil das Studierendenwohnheim keine größeren Zimmer mehr hatte. Es war ein ziemliches Theater. Und als sie es mir dann schließlich gesagt haben, hatte Dad bereits die Anzahlung geleistet. Sie haben das als Überraschung für mich gemacht. Weil sie mich lieben und nicht von mir getrennt sein wollen. Sie haben sich so gefreut.«

Ich drehte mich mit flehendem Blick zu Sophie um. »Was hätte ich denn tun sollen? Ja, vielleicht wollte ich nicht mit ihnen zusammenziehen, aber ich konnte ja schlecht ihre Gefühle verletzen. Glaub mir, wenn ich auch nur eine Ahnung gehabt hätte, wie es sein würde, mir ein Zimmer mit ihnen zu teilen, hätte ich abgelehnt und mir eine eigene Bleibe gesucht.«

Pearl stellte ihre Teetasse ab und verschränkte die Hände vor sich auf dem Tisch. Dann lächelte sie aufrichtig. »Du hast ein gutes Herz, Nathan.«

Erneut gelang es Pearls Kompliment, Sophies Wut verrauchen zu lassen. Sie lächelte mich entschuldigend an und lehnte ihren Kopf an meine Schulter. »Das hat er«, stimmte sie Pearl zu. »Er ist die selbstloseste Person, die ich kenne. Aber genau darin besteht das Problem. Er steht nie für sich selbst ein, sondern lässt Chris und Tyler sein Leben kontrollieren. Und obwohl sie ihm so viel Ärger machen, liebt er sie trotzdem, obwohl sie seine Loyalität gar nicht verdient haben.«

Als ich etwas entgegnen wollte, brachte mich Sophie mit einem scharfen Blick zum Schweigen. »Du weißt, dass ich recht habe. Sie haben keinen Respekt vor dir, sie wissen dich nicht zu schätzen, und sie verschwenden nie einen Gedanken an deine Gefühle oder was du wirklich brauchst. Ich hasse es, so negativ zu klingen, aber ich bin es einfach leid, dass sie uns immer alles verderben.«

»Uns? Was haben sie dir denn bitte verdorben?«

»Zum Beispiel dieses Jahr«, erwiderte Sophie. »Das hier sollte unsere Zeit werden. Deine und meine. Stattdessen heißt es du, ich, Chris und Tyler. Sie mischen sich jetzt noch mehr ein als daheim. Ständig versuchen sie, dich mir wegzunehmen und dich dazu zu bringen, mit mir Schluss zu machen. Und du weißt genau, wie sie mich immer behandeln. Wann wirst du dich endlich von ihnen loslösen?«

Wir hatten diese Diskussion schon hunderte Male, seit ich mit meinen Brüdern in New York zusammenlebte. Ich war wirklich nicht in der Stimmung, um das alles noch mal durchzukauen, aber ich konnte auch nicht widerstehen, etwas zu erwidern. Ich war furchtbar schlecht gelaunt, und sie machte es nur schlimmer. »Du redest hier von meiner Familie, Sophie. Meinen Brüdern. Es ist nicht so, als könnte ich sie so einfach in die Wüste schicken.«

Mit einem Schnauben lehnte sich Sophie zurück und verschränkte die Arme. »Tja, aber du musst sie ja nicht auch noch ermutigen. Du hättest nicht einwilligen dürfen, mit ihnen ein Zimmer zu teilen. Ich hab dir gesagt, dass du dich damit in eine schreckliche Situation bringen wirst. Aber hast du dich gegen sie gewehrt? Nein. Du hast wie immer einfach nachgegeben. Hör endlich auf, dir von ihnen dein Leben kontrollieren und zerstören zu lassen.«

Ich hatte genug. »Ich hab jetzt keine Zeit, mich weiter mit dir herumzustreiten. Anders als dir ist es mir wichtig, mein Projekt zu retten.« Ich stand auf und steckte mir das kaputte Handy in die Tasche. »Du bist genauso schlimm wie meine Brüder. Dir ist doch auch egal, was ich will. Jetzt gerade zum Beispiel denkst du nur an dich.«

Sophie sprang auf. »Das stimmt doch gar nicht! Wie kannst du so was sagen? Ich denke immer an dich. Du musst von deinen Brüdern weg!«

»Würde es dir um mich gehen, würdest du damit aufhören, mich zu belehren und mir stattdessen helfen, meinen Computer wieder in Ordnung zu bringen. Dieses Projekt war eine riesige Sache für mich. In den Talentwettbewerb zu kommen ist meine große Chance. Aber du scherst dich überhaupt nicht darum.«

»Natürlich tue ich das! Ich würde mich freuen, wenn du deinen Traum verwirklichen könntest.«

»Aber du glaubst nicht, dass ich es schaffen kann!« Auf einmal mischte sich Pearl ein. »Ihr beiden habt ein Problem«, sagte sie. »Glücklicherweise kann ich euch helfen.«

Sie beobachtete uns beide, und wieder war da dieses wissende Lächeln in ihrem Gesicht. In ihrem Blick lag etwas Schelmisches. Ich kam mir vor wie Lindsay Lohan in Freaky Friday – Ein voll verrückter Freitag, die sich mit ihrer Filmmutter Jamie Lee Curtis stritt. Wenn Pearl in diesem Moment einen Glückskeks aus der Tasche gezogen hätte, wäre ich ernsthaft getürmt.

Ihr Lächeln wurde wieder das einer freundlichen Großmutter. »Vielleicht war es ja doch das Schicksal, das uns zusammengeführt hat. Ich kenne jemanden, der einen Mitbewohner sucht. Es ist eine sehr nette Wohnung. Du hättest dein eigenes Schlafzimmer und Bad. Die Miete ist ziemlich günstig. Jordan studiert auch hier an der Universität. Ich denke, ihr beide würdet gut zusammenpassen.«

Ich war fast so schockiert wie in dem Moment, als mein Laptop in Kaffee ertränkt worden war. »Sie kennen wirklich jemanden mit einer freien Wohnung?«

Sophie schnappte begeistert nach Luft, ihre Wut war wie weggeblasen. »Nate, ja! O mein Gott, das ist perfekt! Du musst sie nehmen. Besorg dir deine eigene Wohnung. Zieh aus.«

Ihr Enthusiasmus irritierte mich. »Einfach ausziehen? Und meine Brüder im Stich lassen?«

Sie hüpfte aufgeregt herum, schnappte sich meine Hände und drückte sie. »Ja! Wir könnten sie los sein. Endlich.«

»Aber ...«

»Baby, denk nicht drüber nach, tu es einfach. Tu es für uns. Ich meine, schau uns an. Wir streiten uns in einem Café und eine vollkommen Fremde muss schlichten. Wir brauchen das. Tut mir leid, dass ich wegen deines Projekts so unsensibel war. Natürlich tut es mir furchtbar leid, dass du die Dateien vielleicht nicht wiederbekommst. Ich weiß doch, wie hart du daran gearbeitet hast. Ich war nur so wütend wegen deiner Brüder. Sie reißen uns auseinander, Nate. Wir brauchen dieses Jahr Zeit für uns, weit weg von ihnen.«

Vielleicht hatte sie gar nicht so unrecht. Unsere Beziehung war dieses Jahr ziemlich angespannt, und meine Brüder waren bisher alles andere als hilfreich gewesen. Aber konnte es wirklich so einfach sein? »Aber ich kann doch nicht einfach so ausziehen.«

»Warum nicht?«, fragten Pearl und Sophie gleichzeitig. Sie standen nun nebeneinander, sodass sie so etwas wie ein Team bildeten, das mich von der Wichtigkeit dieses Umzugs überzeugen wollte. Seufzend ließ ich mich wieder auf meinen Platz sinken. »Ein Umzug ist kompliziert. Und teuer.«