Das Libby Garrett Projekt - Kelly Oram - E-Book
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Das Libby Garrett Projekt E-Book

Kelly Oram

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Beschreibung

Libby Garrett ist verrückt nach Owen Jackson. Doch der beliebte Basketballspieler hat weder Lust auf eine feste Beziehung, noch will er zugeben, dass sie daten. Libbys beste Freundin Avery und der Rest des Wissenschaftsclubs sind sich einig: Ohne Owen ist Libby besser dran! Mit Hilfe eines 12-Schritte-Programms soll sie lernen, sich endlich selbst zu lieben. Unterstützung bekommen sie von Barista Adam, der sie nicht nur mit Unmengen von Kaffee versorgt. Adam ist auch schon eine ganze Weile in Libby verliebt. Doch ist er der Richtige, um ihr beim Liebeskummer zu helfen?

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Seitenzahl: 461

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Inhalt

Cover

Weitere Titel der Autorin

Titel

Impressum

Widmung

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Danksagungen

Weitere Titel der Autorin

Cinder & Ella

Cinder & Ella – Happy End. Und Dann?

V is for Virgin

A is for Abstinence

Girl at heart

Das Avery Shaw Experiment

Kelly Oram

Das Libby Garrett Projekt

Übersetzung aus dem amerikanischen Englisch von Stephanie Pannen

Vollständige E-Book-Ausgabedes in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes

Titel der amerikanischen Originalausgabe:

»The Libby Garrett Intervention«

Für die Originalausgabe:

Copyright ® 2019 by Kelly Oram

Published by arrangement with Bookcase Literary Agency

Für die deutschsprachige Ausgabe:

Copyright ® 2022 by Bastei Lübbe AG, Köln

Covergestaltung: ZERO Werbeagentur, München unter Verwendung von Motiven von © © Ron Dale / shutterstock.com; Mila_ls / shutterstock.com

eBook-Erstellung: 3w+p GmbH, Rimpar (www.3wplusp.de)

ISBN 978-3-7517-0784-8

www.one-verlag.de

www.luebbe.de

Für Cara.

   1

Libby

Owen Jackson ist unglaublich heiß – und ich muss es wissen, da ich die letzten achtzehn Stunden in nächster Nähe zu seinem unglaublichen Körper verbracht habe. Neben seinem Sixpack, den perfekten Brustmuskeln und seinem knackigen Hintern ist er groß, hat wunderschöne braune Haut und hellgrüne Augen. Und er hat Grübchen, die so süß sind, dass man ihm jedes Mal in die Wangen kneifen will, wenn er lächelt.

Glaubt mir, wenn ich sage, dass er der Inbegriff körperlicher Perfektion ist.

Während er mir die Tür des Handyladens aufhielt, drückte er mir ein Smartphone in die Hand und folgte mir zurück in die Einkaufsstraße. Ich glaube, er hatte gerade etwas über das neue Handy gesagt, aber ich hatte nicht zugehört. Gedanklich war ich immer noch bei letzter Nacht. Und bei heute Morgen. Und einer Stunde zuvor ...

Ich hatte Owen gegenüber erwähnt, dass meine Eltern übers Wochenende in die Berge fahren, also stand er gestern Abend vor meiner Tür. Er hat behauptet, dass er seine Wildkatze vermisst und eine Nachhilfestunde braucht. Also habe ich ihm Nachhilfe gegeben: die ganze Nacht lang und bis weit in den Morgen hinein.

Ein Finger strich sanft meinen Arm hinauf. »Woran denkst du?« Seine tiefe weiche Stimme glich einem gefährlichen Schnurren, das mich mit einem heftigen Schauer aus meinen Tagträumen riss.

Für gewöhnlich versuche ich mich vor ihm zusammenzureißen, denn er hat Bindungsangst und würde sofort zurück an sein College voll hübscher Mädchen fliehen, wenn er wüsste, wie verknallt ich in ihn bin. Aber ich konnte einfach nichts gegen das Lächeln tun, das sich in diesem Moment in meinem Gesicht ausbreitete. »Ich habe nur gerade gedacht, dass ich das glücklichste Mädchen der Welt bin. Danke für das Handy.«

Ich hielt mein neues Smartphone hoch und machte ein Foto von Owen für meine Kontakte. Während ich seine Nummer eintippte, grinste er mich verschmitzt an. »War doch das Mindeste, was ich tun konnte.«

Es stimmte. Er war derjenige, der mich vollständig bekleidet in den Whirlpool geworfen hatte. Es war seine Schuld, dass mein altes Handy kaputtgegangen war, und anders als er war ich nicht in der Lage, mir ein neues zu leisten.

»Also«, sagte er, als wir zu seinem Auto gingen. »Bist du bereit für eine weitere Runde zu Hause? Ich habe nicht mehr so viel Zeit, bis ich zurück muss.«

Ich schnappte mir seine Hand, bevor er weitergehen konnte. »Warte. Wir stehen direkt vor Jo's.«

Er zog seine Hand aus meinem Griff, blieb aber stehen und sah zum Schaufenster neben dem Handyladen. »Das Café hier?«

»Das ist nicht irgendein Café, sondern Jo's Cup o' Joe. Das ist mein Lieblingsladen. Ich kann nicht vorbeigehen, ohne mir was zu holen.«

Owen sah sich auf dem Parkplatz um und warf dann einen Blick in den Laden. Es war zu spät fürs Mittag- und zu früh fürs Abendessen, also war nicht viel los. Als Owen sah, dass das Café fast leer war, entspannte er sich. Ich verstand nicht, warum er so reagierte, fragte aber auch nicht nach. Ich kannte Owen nicht anders. Dafür, dass er ein so beliebter Kerl war, hatte er Menschenmengen noch nie besonders gemocht. Er blieb lieber unter sich, und so verbrachten wir auch unsere gemeinsame Zeit. Nicht dass es mir was ausmachte, mit ihm allein zu sein.

Grinsend hielt er mir die Tür auf. »Na ja, wenn es dein Lieblingsladen ist, müssen wir wohl reingehen. Ich könnte auch einen Kaffee vertragen.«

Jo's war momentan gerade praktisch mein Wohnzimmer. Ich kam seit Jahren hierher, doch vor etwa sieben Monaten hatte meine beste Freundin Avery begonnen, hier zu arbeiten, also kam ich jetzt fast täglich vorbei.

Ich kannte die beiden Mitarbeiter. Der jüngere Kerl war der Manager des Ladens. Er war nur wenige Jahre älter als ich und auf eine Art und Weise attraktiv, die an einen ungeschliffenen Diamanten erinnerte. Aber er war nicht die Person, die ich ansah, während Owen und ich zum Tresen gingen. An der Espressomaschine hinter ihm zog seine Kollegin, eine ältere Frau so um die vierzig, Owen mit ihren Blicken fast aus. Und das, obwohl ich direkt neben ihm stand. Nicht dass ich es ihr verdenken konnte, schließlich war Owen wirklich unverschämt gutaussehend. Dennoch hätte ich ihr am liebsten die Augen ausgekratzt.

Glücklicherweise war es der Manager, der sich bereit machte, um unsere Bestellung aufzunehmen. Als wir die Theke erreichten, lehnte ich mich gegen Owen und warf der immer noch starrenden Mrs Robinson an der Espressomaschine einen bösen Blick zu. Als ich meinen Arm um Owen legen wollte, trat er beiseite und lehnte sich an den Tresen. Fast hätte ich dadurch mein Gleichgewicht verloren.

Ich unterdrückte ein Seufzen. Schlimmer noch als Menschenansammlungen war für Owen die öffentliche Zurschaustellung von Zärtlichkeiten. Hinter geschlossenen Türen konnte er nicht die Hände von mir lassen. Ich redete mir ein, dass er nur schüchtern war und ihm seine Privatsphäre wichtig war. Dass er die Aufmerksamkeit hasste, die er immer bekam, weil er der Star seines Basketballteams war. Immer wieder sagte ich mir diese Dinge. Und dennoch drehte sich mir jedes Mal der Magen um, wenn er unsere Beziehung geheim hielt.

Owen bemerkte mein Stirnrunzeln und zog ein paar Scheine aus seiner Geldbörse. »Lass mich diesmal für den Kaffee bezahlen.« Leiser fügte er hinzu: »Ich schulde dir was, weil ich dich heute so verausgabt habe.«

Mein Magen hörte auf zu rumoren, und ich lächelte. »Und die ganze letzte Nacht.«

»Stimmt«, sagte er und sah mich mit einem Blick an, als würde er all die Einzelheiten der vergangenen Nacht noch mal durchgehen. »Also geht dein Kaffee heute auf mich.«

»Kein Kaffee«, unterbrach eine tiefe Stimme und überraschte Owen und mich. Averys Chef sah uns stirnrunzelnd an. Vermutlich hatte er unfreiwillig Fetzen unseres Gesprächs aufgeschnappt. Sobald er unsere volle Aufmerksamkeit hatte, nickte er mir zu. »Sie mag den Caramel Ap‍ple Cider.«

Ich lächelte ihn an, egal ob wir ihn irritiert hatten oder nicht. Natürlich wusste er, was ich mochte – schließlich servierte er mir seit Jahren das gleiche Getränk – aber ich fand es toll, dass er sich das gemerkt hatte.

Owen war hingegen nicht so begeistert. Mit zusammengekniffenen Augen musterte er sein Gegenüber von Kopf bis Fuß. Er war nicht beeindruckt. Averys Chef war für einen Mann ziemlich klein – nur ein bisschen größer als ich – und recht schlaksig. Owen hätte ihn vermutlich wie einen Käfer zerquetschen können, wenn er gewollt hätte. Der Kerl sah ganz gut aus – hübsche dunkle Augen und ebenso dunkle, kurzgeschorene Haare. Aber im Direktvergleich zu Owen? Es war wirklich nicht fair, ihn oder irgendjemand sonst mit Owen zu vergleichen.

Owen musterte das Augenbrauenpiercing des anderen und konzentrierte sich dann auf die coolen Tattoos, die an seinen Handgelenken begannen und dann den Arm entlang verliefen, bis sie unter den Ärmeln seines Arbeitsshirts verschwanden. »Bist du etwa so was wie ein Stalker?«, fragte er ihn.

Die Kiefermuskeln des Managers begannen zu zucken. Mir war Owens Bemerkung zwar unangenehm, gleichzeitig konnte ich aber nicht anders, als ein bisschen zu grinsen. Seine Reaktion war ziemlich besitzergreifend. Und sie gab mir Hoffnung. »Deine Eifersucht ist vermerkt«, sagte ich zu Owen. »Aber bitte sei nicht unhöflich. Er ist kein Stalker. Ich bin nur sehr oft hier und bestelle immer das Gleiche.«

Ich schenkte dem Kerl hinter dem Tresen ein entschuldigendes Lächeln und hoffte, dass es Owens schlechtes Benehmen etwas abschwächen würde. »Ich entschuldige mich für ihn. Er ist Sportler. Du weißt ja, wie die sind. Und ich hätte tatsächlich gern einen Caramel Apple Cider.«

Sein Gesichtsausdruck entspannte sich etwas. »Mit Zimt und Muskatnuss, oder?«

Ich lachte. »Genau so, Kaffeemann. Schnell her damit.« Ich trommelte mit den Fingern auf der Theke herum und zwinkerte ihm zu. »S'il vous plaît.«

Mein spielerisches Bitte entlockte dem Typen hinter dem Tresen ein Lächeln, das mich zusammenzucken ließ. Und zwar aus zwei Gründen. Erstens war er sonst immer so ernst. All die Male, die ich hier gewesen war, hatte ich ihn niemals lächeln sehen. Und zweitens war es ein umwerfendes Lächeln, das seine Augen erreichte und seine sonst düsteren Gesichtszüge weicher werden ließ. Plötzlich wirkte er irgendwie jünger. Ich grinste ebenfalls. »Wow, du solltest öfter lächeln. Das erhöht wirklich deinen Grundstückswert, wenn du weißt, was ich meine.«

Überraschung blitzte in seinen Augen auf, und Owen sah mich entsetzt an. »Was zum Teufel, Libby?«

»Was denn?«

»Du flirtest mit diesem Loser?«

Der Blick, den mir Owen zuwarf, freute mich mehr, als Worte beschreiben konnten. Ich bekam Herzklopfen. Ich hatte ihn nicht verärgern wollen, aber ich liebte es, wie wütend er gerade wirkte. Mir war nicht bewusst gewesen, dass ich ihn eifersüchtig machen konnte.

Trotzig stemmte ich die Hand in die Hüfte. »Das war doch kein Flirten, sondern lediglich eine Tatsache.« Ich deutete auf den Kerl hinter dem Tresen. »Hast du sein Lächeln gesehen? Es war so hübsch, damit könnte er jeden Raum zum Leuchten bringen.«

Averys Chef schien mein Kompliment verlegen zu machen. »Ganz im Ernst«, sagt ich zu ihm. »Lächle öfter. Ich garantiere dir, dass sich dein Trinkgeld verdoppeln wird, Kaffeemann.«

»Ich heiße Adam«, sagte er plötzlich.

Ich sah ihn erstaunt an. Er erwiderte meinen Blick, als wäre er entschlossen, mich wirklich auf ihn aufmerksam zu machen. Etwas an seinem Blick faszinierte mich und weckte in mir den Wunsch, weiter mit ihm zu reden. Nach einem nachdrücklichen Blick auf sein Namensschild grinste ich. »Das sehe ich, Kaffeemann.«

Owen ballte seine Hand zur Faust, und seine Armmuskeln spannten sich so sehr an, dass es schmerzhaft aussah. Mir gefiel, dass er eifersüchtig war, doch ich wollte seine Gefühle nicht verletzen, also legte ich ihm eine Hand auf den Arm und sagte zu Adam: »Würdest du für diesen tollen Kerl hier eine große Tasse normalen Kaffee machen? Und dann hätten wir noch gern ein paar von diesen fettarmen Kleiemuffins.«

Adams Augen verfinsterten sich ein bisschen, während sich Owen entspannte. »Entkoffeiniert«, sagte er naserümpfend. »Und für mich statt dieser Muffins einen Walnussbrownie. Sie mag dieses Diätzeug nötig haben, aber ich muss ja nicht mit ihr leiden.«

Ich schnappte nach Luft. Es war kein Geheimnis, dass ich Gewichtsprobleme hatte – jeder, der Augen im Kopf hatte, konnte das sehen – aber Owen hatte noch nie davon gesprochen. Bis jetzt hatten wir diesen speziellen Elefanten unterm Bett gelassen und die Tatsache ignoriert, dass ich niemals so in Form sein würde wie er. Bis jetzt hatte er mich niemals fett genannt. Jedenfalls nicht ausdrücklich. Und es tat weh.

Als ich wieder aufsah, bemerkte ich, dass mich Adam anstarrte. Es wirkte missbilligend, und schnell blickte ich aus dem Fenster.

»Sonst noch was?«, fragte Adam. Er klang angespannt, und er hackte so brutal auf den Tasten seiner Kasse herum, dass es gefährlich aussah.

Ich wusste nicht, was ich von seiner Verärgerung halten sollte, aber ich schämte mich plötzlich und hatte das Gefühl, jeden Moment losheulen zu müssen. Ich brauchte einen Moment, um mich zu fassen. »Bin sofort wieder da.« Ich flüchtete in die Damentoilette, ohne einen von ihnen noch mal anzusehen.

*

Ich spritzte mir gerade kaltes Wasser ins Gesicht und versuchte die Tränen zurückzudrängen, die mir in den Augen brannten, als jemand hereinkam und die Tür hinter sich schloss. Owen trat hinter mich, und ich warf ihm im Spiegel einen bösen Blick zu. Dann trocknete ich mir das Gesicht mit einem Papiertuch.

Owen legte seine Arme um meine Taille und zog mich an seine Brust. »Tut mir leid, Babe«, flüsterte er und presste seinen Mund gegen meinen Hals.

Seine Lippen fühlten sich auf meiner Haut warm und magisch an. Es kribbelte, wo sie mich berührten, und mein Hirn wurde zu Brei. Das war der Grund, warum ich Owen so viel durchgehen ließ. Doch diesmal war ich wirklich wütend. Ich unterdrückte einen wohligen Schauer und sah stirnrunzelnd sein Spiegelbild an. »Du kannst dich nicht erst wie ein Arschloch verhalten und dann mit Küssen alles wiedergutmachen wollen.«

Sein Mund wanderte meinen Hals entlang. Ich spürte seinen warmen Atem auf meiner Haut, als er die empfindliche Stelle hinter meinem Ohr küsste. »Libs, ich hab es nicht so gemeint. Dieser dürre kleine Mistkerl hat dich angebaggert, während ich danebenstand. Dann hast du angefangen zurückzuflirten, und ich bin einfach ausgetickt. Es tut mir wirklich leid, Babe. Du weißt doch, dass ich eigentlich nicht so denke.«

Ich wollte ihm so gern glauben, doch ich war auch nicht dumm. Mein verflucht brillantes Gehirn ließ mich die Lüge nicht schlucken. Ich drehte mich in seinen Armen herum, damit ich zu ihm aufschauen konnte. Er war so groß, dass er eine Millionen Meilen weit weg schien. »Tust du nicht?«, fragte ich.

Sein Mund verzog sich zu einem Schmollen. »Ach, Schmusekatze ...«

Ich biss mir in die Wange, um mir ins Gedächtnis zu rufen, dass ich wütend auf ihn war. Aber wenn er mich so ansah ... und mich Schmusekatze nannte ...

Trotz meines Gewichts hob mich Owen mühelos auf den Waschtisch, als wäre es die leichteste Sache der Welt. Dann schob er meine Beine auseinander und trat dazwischen, während er mir seine Hände um die Taille legte. »Du weißt doch, wie toll ich deinen Körper finde, Libby. Ich finde, das habe ich dir im letzten Jahr oft genug bewiesen.«

Er neigte sich vor und begann erneut, meinen Hals zu küssen. Es war himmlisch. Und gleichzeitig die Hölle. »Wenn du meinen Körper so magst und du nicht willst, dass ich mit anderen flirte, warum willst du diese Beziehung dann nicht öffentlich machen und mein fester Freund sein?«

Wie üblich tötete diese Frage die Stimmung. Owen zog sich seufzend zurück und sah mich genervt an. »Babe, darüber haben wir doch schon gesprochen. Das wäre momentan einfach keine gute Idee. Du bist noch in der Highschool und ich an der UVU. Eine feste Beziehung würde alles nur kompliziert machen. Es läuft doch gut zwischen uns. Willst du das wirklich verderben, indem du es Fernbeziehung nennst?«

Fernbeziehung? Die UVU war keine zwanzig Minuten entfernt. Avery und Grayson bekamen es problemlos hin. Aber ich wusste, dass es keinen Sinn hatte, mit ihm zu streiten, also sagte ich ihm, was er hören wollte. »Nein.«

Die Lüge funktionierte. Sein Lächeln wurde wieder aufrichtig, und er begann, meine Beine zu streicheln. Trotz meiner Enttäuschung durchlief mich ein wohliger Schauer.

»Lass uns einfach den Rest des Schuljahres überstehen«, sagte Owen. »Dann schauen wir mal, was passiert, wenn Avery und du im Herbst zu studieren anfangt.«

Mir war vollkommen klar, dass das alles nur eine Ausrede war. Er wollte nicht offiziell mit mir zusammen sein. Nicht mal, wenn ich an der gleichen Uni studierte und nur ein paar Minuten entfernt in einem Wohnheim lebte. Aber was konnte ich schon tun? Wenn ich nicht nach seinen Regeln spielte, würde er nichts mehr mit mir zu tun haben wollen. »Okay. Aber du könntest trotzdem heute Abend noch hierbleiben und morgen vorbeikommen, wenn meine Eltern wieder zurück sind. Du musst nicht mein fester Freund sein, aber du könntest sie zumindest mal kennenlernen.«

Wieder seufzte er. »Du weißt, dass das nicht geht. Ich hab dir doch gesagt, dass ich morgen diese Sache habe.«

Insgeheim fragte ich mich, ob diese »Sache« ein Date mit einem anderen Mädchen war.

»Aber ich muss nicht jetzt sofort gehen.« Owen presste seinen Mund auf meinen. Nach einem tiefen Kuss, der meinen Puls zum Rasen brachte, grinste er gegen meine Lippen. »Tatsächlich ist Gehen jetzt das Letzte, was ich will.«

Seine Hände umfassten meine Hüften, und er zog mich näher an sich heran. Dabei wurde sein Kuss immer leidenschaftlicher.

Normalerweise hatte ich gegen Spontanität nichts einzuwenden – besonders nicht, wenn Owen Jackson mit im Spiel war – aber in einer öffentlichen Toilette? Das war eklig. »Owen, warte.«

»Ich will aber nicht warten.« Owens Hände hatten einen Weg unter meine Bluse gefunden, während sein Mund in Richtung meines Ausschnitts wanderte.

Die Damentoilette von Jo's war ziemlich schick – hübsche Fliesen und eine Topfpflanze in der Ecke –, aber dennoch eine Toilette. »Nicht hier, Owen. Ich weiß, was für Bakterien in öffentlichen Toiletten lauern. Sogar in so sauberen wie dieser hier.«

Statt einer Antwort knurrte Owen nur. Er legte meine Beine um seine Hüften. »Ich brauche dich aber jetzt, Wildkatze.«

Seine Intensität war berauschend. Nachdem er mich noch etwas länger mit seinem Mund und den Händen bearbeitet hatte, gab ich nach. »Es gibt einen Pausenraum«, keuchte ich. »Weiter hinten. Avery hat mich schon mal dorthin mitgenommen. Da ist nie jemand. Und es gibt ein Sofa.«

Owen brauchte keine weiteren Erklärungen, sondern nahm meine Hand in seine und warf einen Blick aus der Tür. Als die Luft rein war, schlichen wir uns in den hinteren Bereich des Cafés.

   2

Adam

Warum stehen Mädchen immer auf Mistkerle? Es spielt keine Rolle, was für Mädchen – nett, gemein, unsicher, selbstbewusst –, was das angeht, sind sie alle gleich. Steck ein Mädchen in einen Raum voller Jungs, bitte sie, einen auszuwählen, und sie wird sich garantiert für den arrogantesten, unhöflichsten, selbstsüchtigsten Mistkerl entscheiden, der anwesend ist. Es gibt ganze Webseiten, die sich diesem Phänomen widmen, aber niemand kennt die Antwort auf die Frage nach dem Warum. Ich definitiv auch nicht. Wahrscheinlich gibt es keine. »Ich kapier es einfach nicht«, murmelte ich vor mich hin.

Imani blickte von der Espressomaschine auf und sah zu, wie ich Libbys und Owens vergessene Bestellung stornierte. Als ihr klar wurde, wovon ich redete, grinste sie. »Du meinst das Pärchen, das gerade hier war? Ich hab genau das Gleiche gedacht. Wie hat ein Mädchen wie sie sich einen so tollen Kerl schnappen können? Ich würde zu gern ihr Geheimnis kennen.«

Imani seufzte verträumt, und wieder einmal hatte sich die Theorie über Mädchen und Mistkerle bewahrheitet. Ich hatte mich nicht gefragt, wie Libby an diesen Typen gekommen war. Sondern vielmehr, warum sie sich mit ihm abgab. Aber ich konnte Imani ihre Verwirrtheit nicht verübeln. Libby Garrett entspricht nun mal nicht dem typischen Schönheitsideal, das uns die Medien vermitteln.

Ein Großteil dessen, was Libby so anziehend macht, kommt von innen. Oh, sie hat natürlich auch großartige körperliche Vorzüge – wunderschöne Haut, große grünbraune Augen, volle Lippen, die einem den Mund bei der Vorstellung, sie zu berühren, wässrig machen, und ein umwerfendes Lächeln. Doch darüber hinaus ist sie auch die leidenschaftlichste Person, die ich je getroffen habe. Sie ist nicht auf den Mund gefallen und hat einen tollen Sinn für Humor. Sie ist klug, witzig und selbstbewusst. Oder zumindest war sie selbstbewusst, bevor Owen Jackson aufgetaucht ist. Seit sich Libby mit Owen trifft, hat sie sich ziemlich verändert.

Ich war immer noch in meinen Gedanken versunken, als Libbys beste Freundin Avery mit ihrem Freund und einer Gruppe Schulkameraden hereinkam. Alle wirkten ziemlich niedergeschlagen, und das stille Mädchen namens Tara war sogar in Tränen aufgelöst. »Üble Niederlage?«, fragte ich Avery, als Grayson und sie zu mir an die Theke kamen.

Ich hatte Avery vor etwa sieben Monaten eingestellt. Sie war die zuverlässigste Mitarbeiterin im Jo's und meine Lieblingskollegin, weil sie als einzige jünger war als ich. Manchmal war es einfach schwierig, der Manager von Menschen zu sein, die alle deutlich älter waren als man selbst. Imani war erträglich, weil sie mich mochte, aber sie führte sich dennoch manchmal wie eine Glucke auf. Avery und ich waren hingegen zu echten Freunden geworden, und davon hatte ich nicht viele.

Ich legte Averys Schichten meistens mit meinen zusammen. Samstag und Sonntagmorgens arbeiteten wir fast immer zusammen, doch heute hatte sie sich freigenommen, weil ihr Wissenschaftsclub bei einem großen Wettbewerb teilnahm.

»Ich wünschte, es wäre so einfach«, sagte Avery seufzend.

»Brandon und Levi haben den dritten Platz gemacht, und Aiden und ich haben zumindest eine lobende Erwähnung bekommen.«

Ich war verwirrt. »Das ist doch gut, oder?«

»Richtig gut«, bestätigte Avery. »Was es für Tara nur noch schlimmer gemacht hat, als Libby nicht aufgetaucht ist und sie hängen gelassen hat. Tara ist so schüchtern, dass sie die Präsentation ihres Projekts vor den Preisrichtern vermasselt hat.«

Das arme Mädchen. »Echt scheiße.« Avery nickte. »Es war furchtbar. Ich verstehe überhaupt nicht, was passiert ist. Libby würde niemals einfach so schwänzen. Wir versuchen schon den ganzen Tag, sie anzurufen, aber sie geht nicht dran. Ich mache mir wirklich Sorgen.«

»Es geht ihr bestimmt gut, Aves«, versicherte ihr Grayson und zog sie eng an sich. »Wahrscheinlich ist nur ihr Auto liegen geblieben oder so was.«

Mir wurde ganz übel. Ich wusste, dass Libby in Averys Wissenschaftsclub war, aber ich hatte nicht geschaltet, als ich sie vorhin gesehen hatte. Avery bemerkte meinen Stimmungswechsel. »Was ist los?«

Mir fiel keine schonende Art ein, es ihr beizubringen. »Libby war vor etwa zehn Minuten mit Owen hier. Es klang so, als wären sie den ganzen Tag ... ähm, beschäftigt gewesen.«

»Oh nein.« Avery wurde ganz blass. Sie schloss ihre Augen und atmete tief durch.

Als sie mich wieder ansah, standen ihr die Tränen in den Augen. Diesmal wollte ich weniger Owen den Hals umdrehen, sondern vielmehr Libby schütteln und ihr Vernunft einbläuen. Tara tat mir leid, aber Avery noch mehr. Ich wusste, wie es war zuzusehen, wie jemand, den man gern hatte, sich schadete. Sie musste die gleichen Veränderungen in Libby bemerkt haben wie ich. Avery war so mitfühlend und selbstlos. Bestimmt sorgte sie sich furchtbar um ihre beste Freundin, und Libby hatte keine Ahnung, dass sie ihr mit ihrem Verhalten wehtat.

»Kannst du mir den Gefallen tun, das den anderen gegenüber nicht zu erwähnen?«, fragte Avery, sobald sie sich wieder gefasst hatte. »Tara hat heute schon genug gelitten.«

»Natürlich.« Ich stellte einen Teller mit einem noch warmen Scone auf die Theke und füllte einen Becher mit heißem Kakao und Sahne. »Für Tara. Die Kombination von heißer Schokolade und ofenfrischem Gebäck wird sie bestimmt aufheitern.«

Erneut atmete Avery tief durch, um die Tränen zurückzudrängen, doch es gelang ihr, mich anzulächeln. »Du bist der Beste, Adam.«

Während sich Avery und Grayson zu ihren Freunden setzten, dachte ich über Libby nach und wie sehr sie sich im letzten Jahr verändert hatte. Es hatte mit ihrer Kleidung begonnen, dann hatte sie sich aus unerfindlichen Gründen die Haare platinblond gefärbt, und schließlich hatte sich auch ihr vorher so selbstbewusstes Auftreten verändert. Jetzt war sie häufig gedankenlos, selbstsüchtig und kränkte ständig ihre Freunde. Natürlich hätte ich am liebsten Owen die Schuld daran gegeben – und das tat ich größtenteils auch –, aber es war allein Libby, die ihre Freunde heute im Stich gelassen hatte, nicht er.

Ich mochte Libby, aber Avery und ich waren Freunde, und ich mochte es gar nicht, wenn jemand meine Freunde traurig machte. Ich würde Libby wohl bei nächster Gelegenheit die Meinung sagen müssen. Imani riss mich aus meinen Gedanken. »Hey Adam, der Lieferant ist da. Soll ich mich darum kümmern?« Ihr Blick fiel auf Avery. »Ist alles okay?«

Ich nickte. »Sie hatten einen harten Tag, aber das wird schon wieder. Avery hat alles im Griff. Ich kann mich um die Lieferung kümmern.«

Sam, der Lieferant, hatte bereits die erste Palette Kisten ausgeladen, als ich mit der Inventarliste am Hinterausgang ankam. »Ich hoffe, ihr habt genug Platz im Lager«, sagte Sam, während er einen Rollwagen mit Kaffeebohnen durch die Tür schob, die ich für ihn aufhielt. »Die Bestellung ist diesmal viel größer als sonst.«

»Ja, wir wechseln die Kaffeemarke, also brauchen wir alle Sorten neu. Komm hier lang. Ich hab heute Morgen extra den Pausenraum freigeräumt.«

Als ich mich der Tür des Pausenraums näherte, hörte ich ein leises Stöhnen, was so gar nicht nach Schmerzen klang. Ein komisches Gefühl machte sich in mir breit. Als ich die Tür aufstieß, bestätigten sich meine Befürchtungen. »Was zum Teufel?«

»Oh verdammt«, sagte Sam und spähte über meine Schulter auf Libby und Owen, die sich, beide fast nackt, in einer ziemlich eindeutigen Position befanden.

Libby war so erschrocken, dass sie vom Sofa fiel und mit einem dumpfen Aufprall auf dem Boden landete. »Tut mir leid!«, quietschte sie, während sie hektisch nach ihrer Bluse und ihrem BH tastete.

Ich schlug eine Hand vors Gesicht, nicht nur, um meine aufwallende Wut zu zügeln, sondern auch, um mich davon abzuhalten, Körperteile von Libby anzustarren, die ich nicht anzustarren hatte. Ich atmete tief durch. »Das hier ist kein verdammtes Motel.« Es war mir unmöglich, den Zorn aus meiner Stimme zu halten. »Ihr habt eine Minute, um euch anzuziehen und aus diesem Laden zu verschwinden, bevor ich die Polizei rufe.«

Als Owen mir »Reg dich ab, Mann« entgegenraunte, stürmte ich aus dem Raum, bevor ich noch wegen Körperverletzung eines Kunden gefeuert wurde. Es spielte keine Rolle, dass der Mistkerl einen ganzen Kopf größer und viel muskulöser war als ich. Ein weiteres Wort von ihm, und ich hätte ihm seine hübsche Visage poliert.

Die Tür schlug hinter mir zu. Sam unterdrückte ein Grinsen, aber ich fand die Situation alles andere als komisch. Vielleicht, wenn es irgendjemand anderes als Libby und Owen gewesen wäre. »Sieht aus, als würde es noch einen Moment dauern, bevor wir ausladen können«, sagte ich. »Willst du in der Zwischenzeit vielleicht einen Kaffee?« Nun grinste Sam breit. »Na klar.«

Ich führte ihn in den Verkaufsraum, wo uns Imani mit einem neugierigen Gesichtsausdruck empfing. »Imani, könntest du Sam zubereiten, was immer er will?«

»Natürlich.« Sie sah mich fragend an, aber ich war bereits auf dem Weg zu den Sofas in der Ecke, wo Avery und ihre Freunde saßen.

Tara saß zwischen Brandon und Levi und nippte mit zitternden Händen an ihrem Getränk. »Danke für den Kakao«, flüsterte sie, als ich ankam.

»Kein Problem. Tut mir leid wegen heute.« Ich sah zu Avery. »Können wir reden?«

Als Avery meinen grimmigen Gesichtsausdruck sah, stand sie, ohne zu zögern, auf und zog Grayson mit sich. Ich führte sie in den hinteren Teil des Ladens, nahe der Toiletten in den schmalen Flur. »Was ist los?«, fragte Avery.

Das Timing war perfekt. Die Worte hatten kaum ihren Mund verlassen, als Libby und Owen kichernd und knutschend aus dem Pausenraum stolperten. Sie bemerkten uns nicht, als sie sich an die Wand lehnten. »Das Herumschleichen in der Öffentlichkeit war total heiß«, murmelte Owen, bevor er Libby wieder seine Zunge in den Mund steckte. Dann fügte er hinzu: »Lass uns irgendwo anders hingehen. Wie wäre es mit Kino? Es ist mitten am Tag. Wir finden bestimmt einen leeren Saal.«

»Wenn die uns erwischen, landen wir im Gefängnis.«

»Du hast einen Rock an. Das geht ganz unauffällig.«

Stilvoll. Was für ein Idiot!

»Libby«, stöhnte Owen. »So können wir doch jetzt nicht aufhören.«

Ich räusperte mich laut genug, um sie auf mich aufmerksam zu machen. Sie kicherten erneut, bis ihnen klar wurde, dass Avery und Grayson bei mir standen, die sie entsetzt anstarrten.

»Avery!«, keuchte Libby. Sie schubste Owen weg und versuchte, ihre Haare und Kleidung zu glätten. »Hey! Hi! Ich wusste gar nicht, dass du heute arbeitest. Ich hab dich beim Reinkommen gar nicht gesehen.«

Avery ballte ihre Hände zu Fäusten. »Ich arbeite heute auch nicht. Ich hatte andere Pläne. Mit dir. Erinnerst du dich?«

Libby runzelte die Stirn. Es war eindeutig, dass sie die Science Fair komplett vergessen hatte. Bevor Avery noch etwas sagen konnte, ergriff Grayson das Wort. »Alter«, sagte er. »Ich dachte, du musst das ganze Wochenende bei dieser Familiensache sein.«

»Musste ich auch«, erwiderte Owen. »Ich meine, muss ich. Ich war ... wir haben nur ...«

»Im Pausenraum herumgemacht«, schlug ich vor, als er nicht weitersprach.

Owen warf mir einen bösen Blick zu, doch er war zu beschämt, um einen Streit anzufangen. Sein Gesicht war knallrot, und er zog eine Grimasse, als Grayson ihn schmunzelnd ansah. »Du hättest mir einfach sagen können, dass du dieses Wochenende was mit Libby machst. Es ist ja nicht so, als würden Avery und ich nicht wissen, dass ihr euch seit fast einem Jahr datet.«

Owens Gesicht war jetzt so tiefrot, dass es schon fast in Lila überging. »Wir daten nicht«, murmelte er. »Wir sind nur ... Freunde.« Wieder verzog er sein Gesicht.

Sosehr ich mich auch bemühte, mein Pokergesicht zu bewahren, riss ich bei seinen Worten doch erstaunt die Augen auf. Libby traf sich seit fast einem Jahr mit ihm, und er wollte nicht mal zugeben, dass sie was miteinander hatten? Nicht mal gegenüber Avery und Grayson? Dieser Typ war noch schlimmer, als ich dachte.

Libby zog die Schultern hoch und blickte zu Boden, um sich nicht anmerken zu lassen, wie sehr sie das verletzte. Wütend starrte ich Owen an. »Freunde?« Eigentlich ging mich die Sache ja gar nichts an – ich kannte Owen und Libby gar nicht richtig, aber ich konnte meine Wut nicht weiter zurückhalten. »Wenn ihr wirklich befreundet wärt, würdest du nicht zu ihr gehen, wann immer dir danach ist, dir von ihr nehmen, was du willst, und dann wieder abhauen, ohne irgendeine Art von Beziehung mit ihr zu haben. Ihr seid keine Freunde. Du nutzt sie nur aus.«

Alle schienen über meinen Ausbruch schockiert zu sein, und endlich schien auch Owen wütend genug, um auf mich loszugehen. Er baute sich vor mir auf und stach mir mit einem Finger gegen die Brust. »Das geht dich doch überhaupt nichts an, Vollidiot. Warum kümmerst du dich nicht um deinen eigenen Kram?«

Doch ich wich nicht zurück. Er war vielleicht größer, aber dies war nicht meine erste Auseinandersetzung. Die Leute unterschätzten mich. »Warum verschwindest du nicht einfach aus meinem Laden? Und komm nicht wieder, sonst rufe ich die Polizei.«

Owens Hände ballten sich zu Fäusten, genau wie meine. Grayson zog Owen an der Schulter zurück, während Avery ihre Hand auf meinen Arm legte. »Tut mir leid, Adam«, flüsterte sie. »Ich sorge dafür, dass sie gehen. Und sie kommen auch bestimmt nicht wieder. Grayson, kannst du Owen zur Hintertür rausbringen?«

Grayson nickte. Er warf mir ein entschuldigendes Lächeln zu, dann schob er seinen Freund durch den Gang auf die Straße hinter dem Café.

»Adam, bitte entschuldige«, sagte Avery erneut.

»Was entschuldigst du dich bei ihm?«, blaffte Libby. »Er ist doch derjenige, der hier Ärger macht.« Sie starrte mich böse an. »Was ist eigentlich dein Problem? Wir haben doch niemandem wehgetan.«

Niemandem wehgetan? Libby war wirklich frustrierend. Als ich den Schmerz in Averys Gesicht sah, wusste ich, dass ich Libby mit diesem Mist nicht länger davonkommen lassen konnte. »Na klar. Ihr habt niemandem wehgetan. Außer deiner besten Freundin. Und deinem Wissenschaftsteam. Deine Partnerin sitzt da vorn auf dem Sofa und heult, weil du sie heute hast hängen lassen. Was denkst du, wie sie sich fühlen wird, wenn sie erfährt, dass du nur deshalb die Science Fair geschwänzt hast, weil du zu sehr damit beschäftigt warst, mit diesem Idioten rumzumachen, dem du eigentlich scheißegal bist?«

Libby wurde kreidebleich. Langsam hob sie eine Hand an den Mund und stieß ein leises Keuchen aus. Dann wirbelte sie panisch zu ihrer Freundin herum. »Avery ...« Ihre Stimme war voller Reue. »Es tut mir so leid. Owen ist gestern überraschend aufgetaucht, und ich hab es vollkommen vergessen.«

Schließlich richtete sich Averys starrer Blick auf Libby. Ihre Augen schimmerten verdächtig. »Wir haben den ganzen Tag versucht, dich anzurufen.«

Libby verzog ihr Gesicht. »Ich bin gestern in den Whirlpool gefallen. Mein Handy ist kaputt.«

»Tara hat die Präsentation allein nicht geschafft«, sagte Avery. »Sie ist ausgeschieden und am Boden zerstört.«

Libby schluckte so laut, dass ich es hören konnte. Dann schüttelte sie ihren Kopf und flüsterte: »Ich hab's verbockt.«

Als Avery nur auf ihre Schuhe starrte und nichts erwidern konnte, sprang ich für sie ein. »Ja, das hast du. Mehr, als du ahnst.« Ich war immer noch voller Wut. »Hast du eigentlich eine Ahnung, gegen wie viele Hygiene- und Sicherheitsvorschriften ihr gerade verstoßen habt? Wie viele Gesetze? Weißt du, was passieren wird, wenn Sam entscheidet zu melden, was er gesehen hat? Das Jo's könnte Besuch vom Gesundheitsamt bekommen. Wir könnten Geldstrafen und Anzeigen bekommen. Die könnten uns das Café sogar dichtmachen.«

»Es tut mir leid, okay? Ich werde es nicht noch mal tun.«

»Da hast du absolut recht. Du und dein Freund habt jetzt nämlich Hausverbot auf Lebenszeit. Wenn ich dich noch einmal hier sehe, rufe ich die Polizei. Ich kann es mir nicht leisten, meinen Job zu verlieren, weil eine selbstsüchtige Bitch in der Öffentlichkeit gern die Beine breit macht.«

Ich hatte die Worte kaum ausgesprochen, da wusste ich, dass ich zu weit gegangen war. Doch es war zu spät, sie zurückzunehmen. Ich war so frustriert, und ich war noch nie besonders gut darin gewesen, meinen Mund zu halten – besonders nicht, wenn ich wütend war. Ich mochte Libby Garrett jetzt schon so viele Jahre, und ich hasste es, was sie sich selbst antat. Ich hasste die Person, in die sie sich verwandelte.

Libby wich einen Schritt zurück, als hätte ich sie geohrfeigt, und lief ein wenig grün an. Ich wollte mich entschuldigen, doch ich wusste nicht, wie. Meine Worte waren verletzend gewesen.

Ein schweres Schweigen breitete sich über uns aus, dann machte Libby auf dem Absatz kehrt und ging. Ich hörte die erstaunten Stimmen ihrer Freunde im Hauptraum und fühlte mich schlecht, weil ich nicht daran gedacht hatte, sie durch den Hintereingang zu schicken. Tara konnte das jetzt wirklich nicht gebrauchen.

Ich sah mit erhobenen Augenbrauen zu Avery, weil ich wissen wollte, ob wir vielleicht dazwischengehen sollten, doch sie achtete überhaupt nicht auf mich. Avery lehnte an der Wand, als ob dies das Einzige wäre, was sie noch aufrecht hielt, und hatte den Kopf in ihre Hände gelegt. Als mir klar wurde, dass sie weinte – herzzerreißend schluchzte –, zog ich sie sanft in den Pausenraum.

   3

Adam

Avery ließ sich auf das Sofa fallen, und schließlich wurde aus ihrem Schluchzen ein leises Schniefen. Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Mit solchen Situationen kannte ich mich nicht aus. Das einzige Mädchen, mit dem ich viel Zeit verbrachte, war meine kleine Schwester Kate, und sie war knallhart und weinte eigentlich nie. »Alles okay?«, fragte ich hilflos. »Willst du, dass ich Grayson hole?«

Ich reichte ihr eine Serviette. Nachdem Avery sich die Nase geputzt hatte, schüttelte sie den Kopf. »Ich glaube, er ist mit Owen weg. Er versucht bestimmt, mit ihm zu reden, aber ich weiß, dass es nichts nutzen wird. Warum sollte sich Owen auch ändern, wenn er genau das bekommt, was er will? Libby ist ihm vollkommen egal. Er benutzt sie nur, und sie will es nicht wahrhaben. Ich weiß nicht mehr, was ich tun soll.«

Sie sah mit vor Tränen schimmernden Augen zu mir auf. »Es tut mir so unglaublich leid, Adam. Ich hätte niemals gedacht, dass sie so was tun würde. Ich schwöre, ich sorge dafür, dass so was nicht noch mal passiert. Sie wird bestimmt nicht zurückkommen. Ich kann auch kündigen, wenn dir das lieber ist. Ich will auf keinen Fall, dass du in Schwierigkeiten kommst. Wenn jemand dafür verantwortlich ist, dann ich. Ich habe sie mal nach hier hinten mitgenommen. Sie wusste, dass es diesen Raum gibt und dass sie hier ungestört sind, um ...« Sie schnappte zitternd nach Luft. »Es ist meine Schuld, dass sie hier waren.«

Ich setzte mich neben sie und tätschelte unbeholfen ihre Schulter. »Aber es ist doch nicht deine Schuld«, sagte ich, obwohl mir klar war, dass es nichts nutzen würde. Ich wusste genau wie es war, die Schuld für die schlechten Entscheidungen anderer auf sich zu nehmen – darin war ich ein Meister. Es hatte Jahre gedauert, bis ich gelernt hatte, dass ich nicht dafür verantwortlich war, was andere Leute taten. Ich wünschte, ich könnte Avery das irgendwie klarmachen. Aber wenigstens in einer Hinsicht konnte ich sie beruhigen. »Ich glaube nicht, dass es Ärger geben wird. Ich weiß nicht mal, ob die Sache mit den Hygienevorschriften stimmt. Das hab ich nur behauptet, weil ich so sauer war.«

Im Kopf hörte ich immer wieder meine letzten Worte an Libby. So schnell würde ich ihren überraschten und gekränkten Gesichtsausdruck nicht vergessen. Mein Seufzen war so deprimiert wie die Stimmung im Raum. »Ich war zu hart zu ihr. Ich hab einfach die Beherrschung verloren. Es tut mir leid.«

Avery schüttelte den Kopf. »Nein, mir tut es leid.«

»Es ist wirklich nicht deine Schuld. Es ist ja auch nichts passiert. Sam hat sich nur amüsiert. Ehrlich gesagt war es ihr Glück, dass ich es war, der sie erwischt hat. Fast hätte ich Imani gebeten, sich um die Lieferung zu kümmern, und sie hätte mit Sicherheit die Polizei gerufen.«

Avery seufzte erneut. »Danke, dass du sie nicht anzeigst.«

»Na klar.«

Wir saßen noch einen Moment schweigend da und beruhigten uns. Ich lehnte meinen Kopf gegen die Rückenlehne des Sofas und ließ meine Augen zufallen. Der Tag hatte mich geschafft. Ich döste vor mich hin, bis mein Boss hereinkam, um die Abendschicht zu übernehmen.

Josiah Medlock ist Anfang sechzig und der Besitzer von Jo's Cup o' Joe. Er ist der freundlichste Mensch, den ich kenne. Er hat mir damals einen Job gegeben, obwohl ich ein fünfzehnjähriger Schulabbrecher war. Er hat mich nie dafür verurteilt und immer stärker an mich geglaubt, als ich es verdient habe.

Als ich letztes Jahr achtzehn wurde, hat er mich zum Filialleiter gemacht, obwohl ich zu der Zeit sein jüngster Angestellter war. Er meinte, es läge daran, dass ich klug, zuverlässig und fleißig wäre, aber ich glaube, er hat einfach eine Schwäche für mich, weil er einen Sohn hat, mit dem er sich zerstritten hat und den er niemals sieht.

In den vier Jahren, seit ich bei ihm angefangen habe, hat er auf meine Schwester und mich aufgepasst. Er ist für uns das, was einem Vater am nächsten kommt. Wenn es neben meiner Schwester jemanden auf dieser Welt gibt, den ich aufrichtig liebe, dann Josiah. »Harter Tag?«, fragte er.

Ich enttäuschte Josiah nur ungern, aber ich wollte ihm auch nichts verheimlichen – besonders nicht, wenn es ihn in Schwierigkeiten bringen könnte. »Wir hatten ein bisschen Ärger.«

»Es war ganz allein meine Schuld!«, sagte Avery schnell. »Ich übernehme die volle Verantwortung. Bitte seien Sie nicht auf Adam sauer.«

Josiahs Lächeln schmolz zu einem besorgten Blick. »Ganz ruhig, Avery. Was auch immer passiert ist, ich bin mir sicher, dass es ein Versehen war. Warum erklärt ihr mir nicht erst mal alles, und dann finden wir gemeinsam eine Lösung?«

Josiah sah uns erwartungsvoll an, doch Avery wurde nur rot, also ergriff ich das Wort und gab ihm die Kurzversion. »Ich habe hier heute Platz geschaffen, weil doch die große Lieferung kommen sollte. Aber als ich mit Sam reinkam, war hier ein Pärchen und ... na ja ... hatte Spaß miteinander.«

Josiah sah sich aufmerksam im Raum um, aber er blieb ruhig. Ich wusste, dass er nicht wütend werden würde. Für solche emotionalen Ausbrüche war er zu pragmatisch. »Haben sie eine Schweinerei angerichtet? Müssen wir etwas wegwerfen?«

Ich schüttelte den Kopf. »Ich glaube, sie waren zwar experimentierfreudig, was den Ort angeht, aber komfortabel musste es wohl trotzdem sein. Dieses alte Sofa hier hat ein bisschen was mitmachen müssen, aber das war es auch schon. Sie waren nicht lang genug hier drin, um viel anzustellen – höchstens zehn Minuten. Sam hat es locker genommen. Ich glaube nicht, dass er es melden wird. Aber falls doch, und wir haben es nicht getan, kann das den Laden dann in Schwierigkeiten bringen?«

»Es tut mir so leid, Josiah!«, sagte Avery, als ich fertig war. »Es war meine beste Freundin, die hier hinten war. Ich schwöre, dass sie normalerweise eine gute Person ist. Ich hätte nie gedacht, dass sie so was tun würde. Aber dieser Typ hat einen schlechten Einfluss auf sie.«

Josiah sah zwischen Avery und mir hin und her, dann lachte er. »Ihr zwei seid viel erwachsener, als euch guttut.« Er zwinkerte Avery zu. »Mach dir nicht zu viele Gedanken. Deine Freunde sind nicht die Ersten, die in einem Lagerraum Unsinn treiben.«

Obwohl ihr Freund Grayson nicht die Hände von ihr lassen konnte, war Avery eher ein schüchterner und zurückhaltender Mensch. Sie errötete. »Aber sie hätten Ihnen viel Ärger machen könne, Josiah. Ich verspreche, dass es nicht wieder vorkommen wird. Adam hat ihnen sowieso quasi Hausverbot erteilt.«

Sie klang, als ob sie einen Eid ablegen würde. Ich konnte sehen, dass Josiah am liebsten wieder über sie gelacht hätte, und sogar mir fiel es schwer, nicht zu schmunzeln, aber irgendwie schafften wir es beide, um ihretwillen ernst zu bleiben.

»Ich werde mit Sam reden«, sagte Josiah. »Ich bin mir sicher, dass Adam recht hat und er es nicht melden wird. Er ist ein guter Kerl. Wahrscheinlich hat ihm die Sache tatsächlich sogar noch den Tag versüßt. Wir werden bestimmt keinen Ärger mehr mit deinen Freunden haben. Kein Grund, deine Freunde von hier zu verbannen, Avery. Das kannst du ihnen ausrichten.«

Was Owen anging, war ich da anderer Meinung, aber ich war froh, dass Avery Libby nicht bitten musste, nicht mehr herzukommen.

Schließlich hängte Josiah seine Jacke auf und band sich eine Schürze um. Dann sah er uns über seine Schulter hinweg an. »Ihr könnt ruhig gehen.«

Ich schüttelte den Kopf. »Ich hab noch keinen Kassensturz gemacht.«

Josiah winkte ab. »Das kann ich machen. Geht und genießt den Tag, solange es noch hell ist.«

Als er weg war, atmete Avery erleichtert auf. »Siehst du?«, sagte ich und gähnte ein bisschen. »Alles in Ordnung. Niemand wird gefeuert oder muss kündigen, und Libby kann weiter von Apple Cider leben.«

Endlich lächelte auch Avery wieder. »Sie liebt diese Dinger einfach. Es wird sie freuen, dass sie das nicht aufgeben muss.«

Die gute Stimmung hielt jedoch nicht lange an, und schließlich seufzte Avery wieder. »Sie verliert sich. Ihr ganzes Leben dreht sich nur noch um Owen, und er behandelt sie wie den letzten Dreck. Es ist eine furchtbare Beziehung. Ich weiß, dass er die ganze Zeit dafür sorgt, dass sie sich schlecht fühlt, aber sie kann einfach nicht anders. Sie nimmt es hin, weil sie denkt, dass sie nichts Besseres verdient hat. Aber das hat sie. Libby ist so toll. Sie ist unglaublich klug und witzig. Wenn sie nur ein bisschen mehr Selbstvertrauen hätte, würde sie einen Jungen finden, der sie zu schätzen weiß. Da bin ich mir sicher.«

Ich mir auch. Vielleicht wäre er kein Basketballstar am College, der mit seinem Aussehen jedem Hollywoodschauspieler das Wasser reichen konnte, aber es gab da draußen auf jeden Fall einige Jungs, die Libby eine Chance geben würden. Und dann würden sie sich Hals über Kopf in sie verlieben.

Jeder Kerl könnte sich glücklich schätzen, Libby Garretts Zuneigung zu haben. Ich würde keine Sekunde zögern, aber ich war mir ziemlich sicher, dass ich mir vorhin jede Chance darauf verbaut hatte. Warum hatte ich sie auch eine selbstsüchtige Bitch nennen müssen? Das war in keiner Weise in Ordnung gewesen. Ich stöhnte laut auf. Wie hatte ich nur so ein Idiot sein können? »Ich hätte nicht zu ihr sagen sollen ... was ich gesagt habe.«

Avery starrte auf ihren Schoß und sagte: »Ich kann dir nicht verübeln, so von ihr zu denken.« Als ihr Blick schließlich meinen fand, war ihre Stimme wieder kräftiger. »Eigentlich ist sie nicht so, das schwöre ich. Owen ist schuld. Er macht sie verrückt. Dass sie sich ihre Haare für ihn gefärbt hat, ist die eine Sache, aber dass sie jetzt auch noch wegen ihm die Science Fair schwänzt und das Gesetz bricht? Sie ist vollkommen außer Kontrolle.« Averys Worte weckten plötzlich so viele Erinnerungen in mir. Schlimme Erinnerungen an meine Kindheit. An meine Mutter, als sie die Kontrolle über ihr Leben verloren hatte. »Vielleicht solltest du mal eingreifen«, sagte ich.

»Hab ich schon versucht. Sie hört mir nicht zu.«

»Nein. Ich meine eine richtige Intervention.«

Ich wusste, dass der Vorschlag ein bisschen verrückt war, aber Libby klang wie jemand, die von einem guten Zwölf-Schritte-Programm profitieren könnte. Avery lachte jedenfalls nicht über die Idee. Sie sah mich neugierig an, und die Zahnräder ihres wissenschaftlichen Hirns begannen sich offensichtlich zu drehen.

»Ich meine das jetzt nicht beleidigend«, ergänzte ich. »Aber Libby scheint ziemlich viel mit meiner Mutter gemein zu haben.«

Avery verzog ihr Gesicht, nickte jedoch. »Ja. Libbys Situation ist nicht ganz so ernst, aber ich weiß, was du meinst.«

»Es ist ernst, Avery. Abhängigkeit kommt in allen möglichen Formen. Libby ist natürlich keine Alkoholikerin, aber sie verletzt die Menschen um sich herum, ohne dass sie es bemerkt. Sie trifft furchtbare Entscheidungen. Sie ist nahezu selbstzerstörerisch, oder?«

Avery seufzte. »Ist sie.«

»Toxische Beziehungen sind gefährlich. Du bist ihre beste Freundin. Sie braucht deine Hilfe. Nach allem, was heute passiert ist, ist das wahrscheinlich ein guter Moment, um einzugreifen ... besonders wenn sie ihre Freundschaft mit den Mitgliedern eures Wissenschaftsteams retten will. Sie wirkten ziemlich wütend, aber sie sind immer noch ihre Freunde. Wahrscheinlich machen sie sich genauso viel Sorgen um Libby wie du. Ich wette, sie würden dir helfen. Und noch scheint es nicht zu spät, dass sie wieder zur Vernunft kommt.«

Avery dachte kurz darüber nach, und Hoffnung brachte wieder etwas Leben zurück in ihre Augen. »Du hast recht. Sie braucht eine Intervention – eine Owen-Intervention.«

Nicht dass die Angelegenheit lustig gewesen wäre, doch die Aufregung in Averys Stimme ließ mich grinsen. »Zu schade, dass die Science Fair schon vorbei ist. Diese Sache klingt ganz nach Sozialwissenschaft.« Ich hatte die Geschichte vom Avery-Shaw-Experiment schon viele Male gehört.

Avery sah mich an, musste lachen und umarmte mich schließlich so fest, dass es wehtat. »Danke, Adam. Du bist der Beste.«

Ich versuchte, mich nicht aus ihrer Umarmung zu winden. Ich mochte Avery sehr, aber es hatte lange gedauert, bis ich mich daran gewöhnt hatte, wie liebevoll sie anderen gegenüber war. Ich war nicht daran gewöhnt, dass mir jemand, mit Ausnahme meiner Schwester, Zuneigung zeigte. Wann immer Avery mir ein Kompliment machte oder mich umarmte, fiel es mir sehr schwer, nicht vor ihr davonzulaufen, und ich wurde immer rot.

Seufzend versuchte ich mich von ihr zu befreien, und ich hoffte, dass ihr nicht auffiel, wie rot meine Wangen geworden waren. »Wenn nur auch andere Mädchen das denken würden, Avery. Eine Einzige würde mir schon reichen.«

Avery kicherte. »Machst du Witze? Du siehst aus wie James Dean und hast das Herz eines Mr Darcy. Du müsstest mich nur einmal zur Schule begleiten und würdest die Herzen aller Mädchen im Sturm erobern.«

Ich rollte mit den Augen, während ich aufstand und mir meinen Kapuzenpulli überzog. Avery erhob sich ebenfalls. »Soll ich dich nach Hause fahren?«, fragte sie.

»Nein, danke.« Mit einem Kick beförderte ich mein Skateboard in meine Hand. Ich freute mich schon darauf, nach dem heutigen Tag ein bisschen Dampf abzulassen. »Ich werde noch eine Weile im Park rumhängen, bevor es dunkel wird.«

Avery betrachtete lächelnd mein Skateboard. »Na dann Hals- und Beinbruch«, scherzte sie, so wie sie es immer tat, wenn sie wusste, dass ich skaten wollte. »Und grüß Kate von mir.«

»Mach ich. Sag mir Bescheid, falls du mit diesem Libby-Garrett-Projekt Hilfe brauchst.«

Avery blieb stehen und warf mir einen fragenden Blick zu. Einen Moment lang befürchtete ich, sie könnte den wahren Grund sehen, warum ich Libby von Owen losbekommen wollte. Den selbstsüchtigen, unmöglichen Grund, der nichts damit zu tun hatte, dass es ihr ohne ihn besser ging, und dafür alles mit einer Fantasie, die ich hegte, seit ich fünfzehn war.

Falls Avery hinter mein Geheimnis gekommen war, ließ sie es sich jedenfalls nicht anmerken. »Eigentlich ...« Sie sprach nicht weiter, sondern begann, auf ihrer Lippe herumzukauen. Was auch immer sie gerade dachte, sie war zu nervös, um es auszusprechen.

»Was denn?«

»Ähm, na ja, du hast doch schon mal eine Intervention gemacht, oder?«

Sie schluckte nervös. Es war ihr anzusehen, wie unangenehm es ihr war, ein so sensibles Thema anzusprechen. Mein Herz setzte einen Schlag aus, aber ich war neugierig, also nickte ich zögerlich. »Bei meiner Mutter, ja.«

Avery sah mich flehend an. »Denkst du, du könntest ...« Ihre Wangen erröteten leicht, und sie atmete tief ein. »Ich frage nur ungern, aber wenn du wirklich helfen willst, denkst du, du könntest ... wärst du bereit, die Rolle des Mediators zu übernehmen?«

Abgesehen von meiner Überraschung, dass sich Avery genug mit Interventionen auskannte, um zu wissen, dass sie von Mediatoren geleitet wurden, war ich platt, dass sie meinen Vorschlag so wörtlich nahm. Ich hatte erwartet, dass sie sich Libby schnappen und mal unter vier Augen mit ihr reden würde. Ich hatte gedacht, sie würde ihrer Freundin vorschlagen, ihr bei der Suche nach einem neuen Freund oder Hobby zu helfen, aber stattdessen dachte sie tatsächlich an eine richtige Intervention.

»Avery, ich ...« Plötzlich hatte ich einen Kloß im Hals. »Interventionen sind eine ernste Sache. Ich habe es zwar vorhin durchaus so gemeint, und ich glaube auch wirklich, dass Libby von so etwas profitieren könnte, aber ich bin mir nicht sicher, ob ich qualifiziert bin, so etwas durchzuführen. Ich bin kein Therapeut.«

»Aber du bist trotzdem perfekt dafür. Du kennst die Situation und weißt, was auf dem Spiel steht, aber du bist trotzdem ein Außenstehender. Du könntest objektiv sein. Ich würde es ja selbst machen, aber ich befürchte, ich wäre zu emotional.«

Ich objektiv? Was Libby Garrett angeht? Ha!

»Bitte, Adam.«

Avery legte mir eine Hand auf den Arm und sah mit ihren großen blauen Augen zu mir auf. Die Verzweiflung, die ich dort ausmachen konnte, war mein Untergang. Ich konnte nicht ablehnen. Ein Teil von mir wollte es auch nicht. Hier ging es um Libby. Ich würde eine weitere Intervention bestimmt durchstehen, wenn dadurch die Chance bestand, dass Libby wieder sie selbst sein würde. Ich seufzte so tief, bis keine Luft mehr in meiner Lunge war. »Okay.«

Wieder umarmte mich Avery. »Oh, Adam! Vielen Dank!«

Ich räusperte mich, tätschelte unbeholfen Averys Rücken und wartete darauf, dass sie mich losließ. »Wir arbeiten beide am Montag. Warum machen wir es nicht hier nach Ladenschluss? Ich frage Josiah, aber das geht bestimmt in Ordnung. Dann seid ihr unter euch, und es läuft vielleicht ein bisschen glatter, wenn Libby einen unbegrenzten Nachschub an Cider hat.«

Avery lachte. »Das stimmt wahrscheinlich. Okay, ich sage den anderen Bescheid, und wir treffen uns dann alle am Montagabend nach Ladenschluss.« Avery öffnete die Tür und drehte sich ein letztes Mal zu mir um. »Danke, Adam.«

Am liebsten hätte ich Dank mir noch nicht erwidert. Libby würde es hassen. Ich hoffte nur, dass sie mich nicht zusätzlich noch dafür hassen würde, wenn ich die ganze Intervention leitete. Avery und ihren Freunden würde sie irgendwann vergeben, doch mich kannte sie nicht. Wahrscheinlich zerstörte ich mir mit der ganzen Sache gerade die einzige Chance, die ich je bei ihr gehabt hatte. Doch ich nickte nur. »Mach ich gern.«

Na ja. Es war ja nicht so, als hätte ich überhaupt je eine Chance bei Libby gehabt.

   4

Libby

Die Nerdclique – der Spitzname, den Grayson den Mitgliedern des Wissenschaftsclubs letztes Jahr verpasst hatte, war irgendwie hängen geblieben – redete immer noch nicht wieder mit mir. Sie hatten mich am Samstag im Café sogar aus dem Club geworfen. Dank meiner zerzausten Haare, dem verschmierten Lippenstift und meiner zerknitterten Kleidung war klar gewesen, dass ich die Science Fair wegen Owen vergessen hatte. Sie waren nicht besonders glücklich darüber gewesen. Alles andere als glücklich, wenn ich ehrlich war.

Gestern und heute hatte ich ein paarmal versucht, mit ihnen zu reden, aber sie zeigten mir die kalte Schulter. Mir war klar, dass ich sie verärgert hatte, aber so, wie sie sich aufführten, hätten sie sich auch gleich dem Theaterclub anschließen können. Denn ihr Drama war broadwayreif.

Sie wollten mich ernsthaft aus dem Wissenschaftsclub werfen. Ich war nach dem Unterricht heute zu unserem üblichen Klassenraum gegangen, doch dort hatte ich an der Tür nur einen kaum lesbaren Zettel gefunden: »Der Wissenschaftsclub trifft sich heute woanders. Der neue Treffpunkt wurde allen Mitgliedern zugeschickt. Wenn du keine Nachricht bekommen hast, KAPIER DEN WINK MIT DEM ZAUNPFAHL!«

»Nett.«

»Sie sind ziemlich wütend, Libby.«

Von der unerwarteten Stimme überrascht, wirbelte ich herum und sah Mr Walden, den Betreuer des Wissenschaftsclubs, vor mir stehen. In einer Hand hielt er einen Stapel Papiere, in der anderen einen Kaffee. Er nickte in Richtung Klassenraum. »Komm mit rein, und wir reden darüber.«

Er wirkte aufrichtig besorgt, verbarg aber nicht, wie enttäuscht er von mir war. Mir wurde ganz schwer ums Herz. Mr Walden war mein Lieblingslehrer, und ich hasste den Gedanken, ihn enttäuscht zu haben. Ich folgte ihm ins Klassenzimmer. Das Schweigen, das sich zwischen uns ausbreitete, drohte mich zu ersticken. Mr Walden setzte sich an sein Pult und deutete auf den Stuhl davor, damit ich auch Platz nahm. Er wartete wohl darauf, dass ich etwas sagte, aber ich hatte keine Ahnung, was er hören wollte. Schließlich räusperte er sich.

»Was ist passiert?«

Ich zwang mich zu einer Erklärung. »Ich habe keine gute Entschuldigung. Ich hab es einfach vergessen. Ich habe einen Fehler gemacht und fühle mich schrecklich, Mr Walden. Wir haben so hart an unserem Projekt gearbeitet, vor allem Tara. Sie hat etwas Besseres verdient.«

»Ja, das hat sie.«

Der gute alte Mr Walden mit seiner direkten Art half mir nicht besonders gegen die überwältigende Schuld, die ich empfand. »Aber es war ein Versehen!« Ich zerknüllte den Zettel, den ich von der Tür abgerissen hatte, in meiner Hand und wedelte damit vor Mr Waldens Nase. »Aber mich für den Rest des Schuljahres aus dem Club zu werfen? Geheime Treffen abzuhalten? Die sind so unreif. Ich hab Tara doch nicht absichtlich im Stich lassen. Ich fühle mich schrecklich deswegen, aber alle sind so sauer auf mich, dass sie sich nicht mal meine Entschuldigung anhören wollen.«

Mr Walden musterte mich über den Rand seines Kaffeebechers hinweg. Nach einem Moment stellte er ihn ab. »Willst du dich aufrichtig bei ihnen entschuldigen?«

»Wie können Sie mich das überhaupt fragen? Natürlich will ich das.«

»Bei ihnen allen oder nur bei Tara?«

Meine Empörung wuchs. Selbst Mr Walden stellte sich also gegen mich. »Ich schulde Tara eine Entschuldigung, aber warum sollte ich mich bei den anderen entschuldigen? Ich hab ihnen nichts getan. Die sind doch diejenigen, die sich gemein verhalten.«

Mr Walden warf mir einen ernsten Blick zu. »Bist du dir da sicher?«

Ich wollte ja sagen, doch Mr Walden würde mich nicht so herausfordern, wenn er nicht der Meinung wäre, es wäre nötig. Er brachte mich dazu, die ganze Situation zu hinterfragen. Als ich zögerte, sagte Mr Walden: »Erinnerst du dich noch daran, wie du dich letztes Jahr gefühlt hast, als Aiden den Wissenschaftsclub einfach hingeschmissen und sich neue Freunde gesucht hat?«

Natürlich erinnerte ich mich. Ich hätte ihm am liebsten den Hals umgedreht.

»Und erinnerst du dich, wie seine Entscheidung euch alle beeinflusst hat, nicht nur Avery?«

Es stimmte. Avery hatte er vielleicht am meisten verletzt, aber wir hatten uns alle schlecht gefühlt. Schließlich waren wir ein Team, vielleicht sogar eine Art Familie. Ich seufzte, weil ich sein Argument jetzt verstand. »Okay, vielleicht schulde ich allen eine Entschuldigung.«