Starburst Effect - Kelly Oram - E-Book

Starburst Effect E-Book

Kelly Oram

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Beschreibung

Lily Rosemont hat es nicht leicht. Ihre Eltern lassen sich scheiden, und in der Schule wird sie gemobbt. Allen voran von Noah, dem größten Idioten der High School und Lilys Nachbar. Das Blatt wendet sich, als Noah einen Sportunfall hat, und sein Traum, professioneller Footballer zu werden, platzt. Plötzlich gehört auch er zu den unpopulären Schülern. Als Lily mit ihm für ein Schulprojekt zusammenarbeiten sollen, das über ihren Abschluss entscheidet, stellt sie das vor eine große Herausforderung. Schon nach kurzer Zeit wird Lily allerdings klar, dass Noah nicht der ist, für den sie ihn gehalten hat. Aber kann sie ihm wirklich verzeihen, nachdem er doch ihr Leben zerstört hat?

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Seitenzahl: 474

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Inhalt

Cover

Weitere Titel der Autorin

Titel

Impressum

Eins

Zwei

Drei

Vier

Fünf

Sechs

Sieben

Acht

Neun

Zehn

Elf

Zwölf

Dreizehn

Vierzehn

Fünfzehn

Sechzehn

Siebzehn

Achtzehn

Neunzehn

Zwanzig

Einundzwanzig

Zweiundzwanzig

Dreiundzwanzig

Vierundzwanzig

Fünfundzwanzig

Sechsundzwanzig

Siebenundzwanzig

Achtundzwanzig

Neunundzwanzig

Dreißig

Weitere Titel der Autorin:

Cinder & Ella

Cinder & Ella – Happy End. Und Dann?

V is for Virgin

A is for Abstinence

Girl at heart

Das Avery Shaw Experiment

Das Libby Garrett Projekt

If we were a movie

Übersetzung aus dem amerikanischen Englisch von Stephanie Pannen

Vollständige E-Book-Ausgabedes in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes

Titel der amerikanischen Originalausgabe:

»The Starburst Effect«

Für die Originalausgabe:

Copyright ® 2022 by Kelly Oram

Published by arrangement with Bookcase Literary Agency

Für die deutschsprachige Ausgabe:

Copyright ® 2023 by Bastei Lübbe AG, Köln

Umschlaggestaltung: Manuela Städele-Monverde unter Verwendung von Motiven von © popovartem.com/shutterstock

eBook-Erstellung: 3w+p GmbH, Rimpar (www.3wplusp.de)

ISBN 978-3-7517-3832-3

one-verlag.de

luebbe.de

Eins

Es dauert nur fünf Minuten, bis der Streit beginnt. Fünf kurze Minuten, nachdem Dad zur Tür hereingekommen ist und Mom damit anfängt, ihm wegen des verpassten Abendessens die Hölle heißzumachen. Er erwidert schnippisch, dass er schließlich arbeiten gehen muss, um besagtes Abendessen auf den Tisch zu bringen, und dann geht alles seinen gewohnten Lauf. Mom dreht durch. Ich wünschte, sie würden sich in ihrem Schlafzimmer weiterstreiten. Ich hatte heute genug eigenes Drama. Ich brauche nicht noch ihres dazu.

Ich räume den Tisch ab und beginne mit dem Abwasch. Ich bin zwar an diesem Abend laut Aufgabenplan nicht dran, aber Mom wird es in absehbarer Zeit nicht erledigen. Sie ist viel zu sehr mit Streiten beschäftigt. Ich stelle gerade die Teller in die Spülmaschine, als in meiner Hosentasche der Klingelton für meine beste Freundin ertönt. Sie sollte eigentlich gerade bei der Arbeit sein, und es gibt nur einen Grund, warum sie mich von dort aus anrufen würde. »Warum haben gerade Tyler und Nicole eine Bestellung bei mir aufgegeben?«, fragt sie statt einer Begrüßung.

Ich seufze. »Weil sie hungrig sind, nehme ich an.«

»Und wie genau erklärt das die Tatsache, dass sie sich in die Knutschecke gesetzt haben und sich einen Ice Cream Sunday teilen?«

Mir dreht sich der Magen um. Die Knutschecke ist die hinterste Sitzecke in Maria's Bistro, ein bisschen vom Rest der Sitzplätze entfernt. Junge und alte Paare – aber hauptsächlich junge – reservieren sich diese Ecke, weil man dort seine Privatsphäre hat. Sie ist perfekt geeignet, um während eines Dates herumzumachen. »Sie sitzen in der Knutschecke?« Es gelingt mir nicht, die Abscheu aus meiner Stimme zu halten.

Ihr Tonfall verliert etwas von ihrer Wut und wird mitfühlender. »Du weißt also davon? War er wenigstens nett, als er mit dir Schluss gemacht hat?«

Ich muss schlucken, und meine Augen brennen. »Er hat gar nicht Schluss gemacht. Zumindest nicht persönlich. Ich hab es nach der Schule herausgefunden, als sie händchenhaltend bei der Schülerzeitungs-AG aufgetaucht sind. Nicole hat keine Zeit vergeudet, mich wissen zu lassen, dass Tyler sie zum Homecoming-Ball eingeladen hat. Sie konnte gar nicht mehr aufhören, mir zu erzählen, wie sehr sie sich freut, und dass sie es kaum glauben kann, dass er sie gefragt hat.«

Zoeys Wut kommt in Form eines harten Schnaubens zurück. »Und wo war Tyler, während sie dir Salz in die Wunde gerieben hat?«

Ich räume die Spülmaschine fertig ein und stelle sie an. Als Nächstes widmete ich mich den Arbeitsflächen. »Hat uns vom anderen Ende des Raums aus beobachtet. Konnte mich nicht mal ansehen, der Feigling.« Meine Augen beginnen zu brennen, und ich atme tief durch. »Ich weiß, wir haben nie ausgeschlossen, uns mit anderen zu treffen. Offiziell waren wir noch kein Paar, aber ich meine, inoffiziell schon. Ich hab mir das doch nicht eingebildet, oder? Mehr hineininterpretiert, als da war?«

»Nein«, erwidert Zoey entschieden. »Alle sind davon ausgegangen. Darum musste Nicole ja auch so vor dir angeben. Weil sie sich durch dich bedroht fühlt.«

»Und weil sie gemein ist.«

Zoey lacht auf. »Das auch.«

Als sie mich schniefen hört, wird sie wieder ernst. Ich versuche nicht loszuheulen. Es ist ja nicht so, als wäre ich richtig in Tyler verliebt gewesen. Trotzdem tut es weh.

»Lily ...«, beginnt sie mit sanfter Stimme. »Tu das nicht. Weine nicht um ihn. Er ist es nicht wert.«

»Ich weiß.« Wieder schniefe ich und wische mir ein paar Tränen aus den Augen. »Es ist einfach nur so, dass ich ihn echt mochte.«

Mir entgehen Zoeys tröstende nächste Worte, weil sich meine Eltern plötzlich viel lauter anbrüllen. Es ist so schlimm, dass man sie wahrscheinlich bis auf die Straße hören kann. Ich verlasse die Küche und gehe hinaus in den Vorgarten, um ihnen zu entkommen. Die Veranda ist nicht weit genug entfernt, also gehe ich Richtung Straße und setze mich auf den Bürgersteig. Die Wärme des Bodens dringt durch die Sohlen meiner Flipflops, und es dauert einen Moment, bis sich der Zement nicht mehr durch den Stoff meiner Jeans brennt. Es ist bereits nach achtzehn Uhr, aber immer noch unglaublich heiß. Wir haben Anfang September. Arizona wird erst in etwa anderthalb Monaten kühler werden.

»Deine Eltern mal wieder?«, fragt Zoey. Nur dass es keine Frage ist und sie die ständigen Streitereien meiner Eltern ebenso leid zu sein scheint wie ich.

»Das können sie einfach am besten. Ich kann es kaum abwarten, von hier wegzukommen. Ich hab mich heute bei der USC beworben.«

»Meinst du das mit Kalifornien wirklich ernst?«

»Ja. Ich will diesen Staat verlassen. Ich brauche Abstand zwischen meinen Eltern und mir, und die USC hat eines der besten Journalistikprogramme des Landes.«

Ein Seufzen dringt durch die Leitung. »Meinetwegen. Lass mich ruhig zurück. Ich verstehe das. Willst du heute bei mir pennen? Ich mache früher Schluss. Wenn du willst, hole ich dich ab, und wir machen eine kleine Nintendo-und-Eiscreme-Therapie, während wir dir einen anderen Kerl suchen, mit dem du zum Ball gehen kannst. Wenn du willst, frag ich Jensen. Der kennt bestimmt ein paar Typen im Fußballteam, die noch keine Verabredung haben.«

Unwillkürlich muss ich lächeln. Zoey ist die Beste. »Das klingt toll, aber ich muss heute zum Spiel gehen. Ich bin doch dieses Jahr für die Football-Berichterstattung zuständig.«

Zoey stöhnt. »Müssen wir?«

Meine beste Freundin ist wirklich großartig. Zoey hasst Football, aber trotzdem hat sie mich zu jedem einzelnen Spiel der Saison begleitet, weil sie mich lieb hat. Mir macht es nichts aus, aber ich bin auch nicht besessen davon. Wenn ich nicht müsste, würde ich bestimmt nicht zu jedem Spiel gehen. Es ist schwer, Interesse an etwas zu heucheln, in dem man schlecht ist. Und ich bin die unsportlichste Person, die man sich vorstellen kann. Ungeschickt bin ich nicht, aber Athletik ist einfach nicht meins. »Ja, wir müssen. Aber die halbe Schule wird da sein. Vielleicht finden wir ja Jensen und seine Fußballkumpel. Wenn ich einen Begleiter für den Ball finde, werde ich bestimmt vergessen, dass mich Tyler abserviert hat.«

»Stimmt«, sagt Zoey langsam. Dann fügt sie etwas munterer hinzu: »Und wenigstens können wir ein paar Stunden damit verbringen, deinen heißen Nachbarn anzuschmachten.«

Nun bin ich es, die schnaubt. Noah Trask ist heiß, das stimmt. Und niemand weiß das besser als ich. »Zoey, warum musst du auf den narzisstischsten, arrogantesten Idioten der ganzen Schule stehen?«

»Ähm, weil er scharf ist.«

Ich kann es ihr nicht mal verdenken. Noah sieht wirklich unglaublich gut aus – groß, breite Schultern, ein Sixpack, eindringliche bernsteinfarbene Augen, dichtes goldbraunes Haar, Wangenknochen, mit denen man Glas schneiden könnte, und Lippen, die einen davon träumen lassen, sie zu küssen. Außerdem ist er ein wandelndes Klischee. Er ist der Star-Quarterback, der mit der Anführerin der Cheerleaderinnen zusammen ist, der beliebteste Junge der Schule, arrogant, unhöflich, selbstverliebt und ein echter Tyrann.

»Er ist ein Mistkerl.« Besonders zu mir. Wir sind Nachbarn, seit wir neun waren, und ich nehme an, die Vertrautheit sorgt dafür, dass es ihm doppelten Spaß macht, mich zu foltern.

»Er ist ein scharfer Mistkerl. Ich mag ihn nicht, aber ich mag es, ihn anzusehen.«

Ich verdrehe die Augen. »Du kannst ihn mit all der Schutzpolsterung und dem Helm doch gar nicht erkennen.«

»Aber diese enge Hose.«

Ich muss lachen. Wenn sie Noah Trask braucht, um das Footballspiel zu genießen, sollte ich ihr die Schwärmerei nicht verübeln. »Okay. Meinetwegen. Ich gebe dir die offizielle Erlaubnis, heute Abend meinen Nachbarn anzuschmachten.«

Genau in diesem Moment hält mit quietschenden Reifen ein Wagen vor meinem und Noahs Haus und hupt zweimal. Ich muss zurück in meinen Vorgarten springen, um nicht erwischt zu werden. Leider besteht dieser Garten hauptsächlich aus Steinen, und ich fasse aus Versehen sogar in einen Kaktus. »Hey!«, rufe ich. »Passt doch auf!«

Noahs bester Freund Austin und seine Freundin Broo‍ke steigen aus. Dabei lachen sie hysterisch, als ob mein Beinahetod das Unterhaltsamste sei, das sie je gesehen haben. »Oh, tut mir leid, Lilith«, erwidert Austin lachend. Er benutzt meinen vollen Namen, weil er weiß, dass ich das hasse. »Hab dich gar nicht gesehen. Hängst du öfter im Rinnstein ab?«

Wieder brechen Brooke und er in Gelächter aus. Ich ignoriere sie und klopfe mir den Schmutz ab. Ich habe mehrere Kratzer, die ein Pflaster benötigen, und in meiner Hand stecken ein paar Kaktusnadeln. Nachdem ich sie herausgezogen habe, hebe ich mein Handy auf, das mir bei meiner Flucht vor dem herannahenden Auto aus der Hand gefallen ist. Das Display ist natürlich kaputt. Großartig. Könnte dieser Tag noch schlimmer werden?

Während ich den Schaden an meinem Handy begutachte, kommt Noah in seinen Sportsachen und mit einer Tasche über den Schultern aus seinem Haus. Er sieht mich mit meinen Kratzern und dem kaputten Handy auf dem Boden sitzen und grinst. Dann geht er an mir vorbei und packt seine Sachen in den Kofferraum. Bevor alle in Austins funkelnden teuren SUV steigen, beginnen meine Eltern wieder damit, sich anzuschreien. Das Geräusch von zerbrechendem Glas ertönt in der ansonsten so ruhigen Nachbarschaft. Ein Poltern, gefolgt von einem weiteren, lässt mich zusammenzucken.

Dann stürmt mein kleiner Bruder aus unserem Haus und läuft zu mir. Ich stehe schnell auf, da schlingt er auch schon seine Arme um mich und vergräbt sein tränenüberströmtes Gesicht in meinem Bauch. »Alles okay dadrin, Kumpel?«, frage ich leise.

Er schluckt schwer und sieht mit feuchten Augen zu mir auf. »Mom wirft mit Geschirr.«

Ich hasse es, meinen Bruder weinen zu sehen. Er ist erst neun, also klein genug, um Angst vor den Streits meiner Eltern zu haben, aber auch alt genug, um sich dafür zu schämen. Manchmal, wenn Mason so ist, hasse ich meine Eltern. Ich gebe ihm eine dicke Umarmung und streiche ihm die Haare aus dem Gesicht. »Ist schon okay, Mason. Die regen sich bald wieder ab. Versprochen.«

Noahs höhnisches Schnauben lässt mich zusammenzucken. Ich hatte vergessen, dass er und seine Freunde überhaupt noch hier sind. Sie alle starren auf mein Haus. Als Noah bemerkt, dass ich ihn ansehe, schüttelt er angewidert den Kopf. »Eure Familie sollte lieber in den Wohnwagenpark umziehen«, sagt er. »Da gehört Müll wie ihr hin.«

Ich schließe die Augen vor der Scham, die seine Worte in mir aufsteigen lassen. Seine Freunde bekommen sich vor Lachen kaum noch ein. »Sitzt du deswegen hier draußen?«, fragt Brooke kichernd. »Damit dich die Müllabfuhr abholen kann?«

Mason sieht mich stirnrunzelnd an. In seinem Blick liegen Verwirrung und Schmerz. Ich werfe meinen Mitschülern einen bösen Blick zu und drehe meinen Bruder wieder zum Haus um. Hinter uns ertönt erneut Lachen, dann das Zuschlagen von Autotüren. »Bis später, Trash«, ruft Noah, dann fährt der SUV davon.

Als sie weg sind, bleibt Mason stehen. »Warum haben sie uns so genannt?«

Meine Augen beginnen zu brennen, aber ich darf nicht weinen. Nicht vor Mason. Er hat schon genug Angst. »Weil sie gemein sind. Mach dir keine Gedanken um sie.« Er klammert sich immer noch an mich, also drücke ich ihn erneut. »Willst du dir heute Abend mit Zoey und mir das Football-Spiel ansehen?«

Er nickt begeistert und wirkt sichtlich erleichtert. Wir setzen uns vor die Haustür, weil wir keine Lust haben reinzugehen. Ich staube mein kaputtes Handy ab und rufe Zoey zurück. »Lily!«, ruft sie hektisch. »Alles okay? Was ist passiert?«

Ich werfe einen Blick zu meinem Bruder. »Erzähle ich dir später. Kannst du Mason und mich abholen?«

Sie muss nicht fragen, ob er uns heute zum Spiel begleitet. Und sie muss auch nicht nach dem Grund fragen. Sie kennt ihn. Ihre Stimme klingt traurig, als sie sagt: »Bin in fünf Minuten da.«

*

Als wir an der Schule ankommen, steigt Masons Laune. Ich fühle mich ebenfalls ein bisschen besser. Auch wenn ich den Sport nicht liebe, hat selbst ein Highschool-Spiel etwas Aufregendes an sich. Die vielen Zuschauer, die freudige Erwartung, die aufgeladene Atmosphäre. Alle Fans haben ein gemeinsames Interesse, ein gemeinsames Ziel. Es macht einfach nur Spaß.

Wir erreichen den Eingang, wo meine Englischlehrerin an der Kasse sitzt. »Hallo, Lily und Zoey!«

»Hallo, Mrs Porter«, erwidern wir.

Mrs Porter ist eine gute Lehrerin. Sie ist Ende vierzig und macht das schon lange, aber sie brennt immer noch für ihren Beruf. Sie kann gut mit Schülern umgehen und ist eine meiner Lieblingslehrerinnen.

»Wie nett von euch, unser Team zu unterstützen.«

Ich ziehe meinen Ausweis von der Schülerzeitungs-AG heraus, der mir freien Eintritt verschafft. »Ich übernehme dieses Jahr die Football-Berichterstattung. Ich werde also die ganze Saison hier sein.«

Zoey legt mir einen Arm um die Schulter. »Und die Beste-Freundinnen-Pflicht besagt natürlich, dass ich sie zu all diesen aufregenden Abenden begleite.«

Die Ironie in ihrer Stimme bringt Mrs Porter zum Schmunzeln. »Beste-Freundinnen-Pflicht ist wichtig.« Sie nimmt die drei Dollar Eintritt von Zoey entgegen, dann richtet sie ihre Aufmerksamkeit auf meinen Bruder. »Und wer ist das?«

»Mein Bruder Mason. Er liebt Football.«

»Spielst du auch?«

Mason nickt schüchtern. »Aber erst mal nur Flag Football.«

»Das ist doch toll.« Mrs Porter nimmt sein Eintrittsgeld entgegen und winkt uns durch. »Dann sucht euch mal einen schönen Platz.«

»Danke, Mrs Porter.«

Sie schenkt uns ein Lächeln, und wir gehen weiter. Es ist noch früh, also erwischen wir tolle Sitze und machen es uns bequem. Auf dem Feld vor uns wärmt sich das Team gerade auf. Ich stelle meine Handtasche ab und schnappe mir mein Aufnahmegerät. »Ich werde mal sehen, ob ich für meinen Artikel ein Zitat vom Coach bekomme.« Ich lächle Mason zu. »Kannst du vielleicht so lange auf Zoey aufpassen?«

Er verdreht die Augen, weil er weiß, dass es eigentlich eine Bitte an Zoey war, ihn im Auge zu behalten. »Ich bin kein Baby mehr. Ich komme ein paar Minuten ohne dich klar.«

Ich grinse. Er ist einfach klüger, als gut für ihn ist. Ich habe ihn sehr lieb. »Das mag schon sein«, erwidere ich. »Aber wenn du nicht für mich auf Zoey aufpasst, wandert sie wahrscheinlich herum, landet bei einer Gruppe süßer Jungs, und wir sehen sie nicht wieder.«

»Warum sollte ich das tun, wenn der süßeste doch schon hier ist?« Zoey drückt Mason fest und zerzaust ihm die Haare.

»Igitt! Lass mich los!«

Mason drückt Zoey weg, aber es ist ein halbherziger Versuch, der mir das Herz bricht, weil ich sehen kann, dass er nur so tut, als würde er es hassen. Insgeheim gefällt ihm die Aufmerksamkeit aber. Ich bin so dankbar, dass es Zoey nie etwas ausmacht, wenn er mitkommt. Mason ist ein guter Junge. Er verdient etwas Besseres von unseren Eltern. Ich foltere ihn noch ein bisschen mehr, indem ich ihm einen Kuss auf den Kopf gebe. Er kreischt und duckt sich weg.

»Bin gleich wieder da.«

Ich gehe die Zuschauertribüne herunter aufs Spielfeld. Als ich an den Cheerleaderinnen vorbeigehe, starren sie mich an und beginnen zu tuscheln. Das Footballteam beendet das Aufwärmen, und ein paar kommen herüber, um ihre Cheerleader-Freundinnen zu begrüßen. Auch sie zeigen auf mich und lachen.

Ich gehe an ihnen vorbei, als wenn mich das nicht interessieren würde, aber es gefällt mir ganz und gar nicht, so von ihnen beachtet zu werden. Meistens nehmen sie mich gar nicht wahr. Mit Ausnahme von Noah und seinen Freunden werde ich normalerweise von niemandem belästigt. Es ist nicht so, dass ich eine totale Außenseiterin wäre, die von jedem in ihrem Leben gemobbt wird. Ich bin einfach Durchschnitt, wie die meisten Schüler an der McClintock High.

Ich sehe nicht schlecht aus. Gut genug, um ab und an ein Date zu bekommen, aber auch nicht so hübsch, dass die Jungs an unserer Schule über mich reden würden. Ich habe kinnlange blonde Haare, in die ich ein paar lilafarbene Strähnen gefärbt habe, um es interessanter zu machen, und große blaue Augen. Ich bin durchschnittlich groß, habe eine passable Oberweite und ein nettes Lächeln, dank der Klammer, die erst letztes Jahr entfernt wurde.

Und ich weiß, wie man gesellig ist. Dank meiner Arbeit für die Schülerzeitung habe ich Bekannte in allen möglichen AGs und Sozialgruppen. Auch wenn Zoey meine einzige richtige Freundin ist, bin ich nett und aufgeschlossen genug, dass die meisten meiner Mitschüler freundlich zu mir sind und mich in ihren Cliquen akzeptieren. Noah mobbt mich nur, weil er das mit jedem macht, der unter seiner Stufe der Schul-Hierarchie steht, und seine Freunde folgen seinem Beispiel.

Noah bemerkt mich, als er hinter Brooke auftaucht und seine Arme um sie legt. »Was machst du denn hier? Auf dem Spielfeld ist Müll abladen verboten.«

Alle Spieler und Cheerleaderinnen brechen in schallendes Gelächter aus. Ich gerate ins Stolpern. Mir schießen Tränen in die Augen, und Noah kommt einen Schritt auf mich zu. »Du heulst doch jetzt nicht etwa los, Trash?«

»Ha! Trash!«, ruft einer von den Spielern, dessen Name ich nicht mal kenne, und zeigt auf mich. »Echt gut, Noah.«

Die anderen lachen erneut. Damit habe ich jetzt wohl einen neuen Spitznamen, der mich wahrscheinlich für den Rest des Abschlussjahrs begleiten wird. Vielen Dank auch, Noah.

Ich beiße die Zähne zusammen. Auf keinen Fall darf ich vor diesen Idioten weinen. Als ich davoneile, ohne etwas zu erwidern, fangen sie erneut an zu lachen. Mir ist schlecht. Plötzlich ist die Football-Berichterstattung das Schlimmste, was ich mir vorstellen kann.

Ich will einfach nur hier weg und suche schnell den Trainer. »Entschuldigen Sie, Coach Rivera?«

Der große Mann mit der beginnenden Glatze, der für Mitte fünfzig immer noch recht kräftig ist, wirkt ziemlich einschüchternd. Wahrscheinlich, weil er immer so grimmig dreinblickt. Er sieht mich an und runzelt die Stirn, also zeige ich schnell meinen Presseausweis und hebe mein Aufnahmegerät. »Ich bin dieses Jahr für die Football-Berichterstattung zuständig und habe gehofft, dass Sie mir sagen können, wie Ihre Pläne für die kommende Saison aussehen.«

Der Trainer entspannt sich sichtlich. »Meine Erwartungen sind diese Saison ziemlich hoch. Wir haben eine richtig starke Verteidigung und natürlich Trask im Angriff.« Er sieht sich um, bis er Noah entdeckt. »Trask! Komm mal her!«

Noah läuft zu uns rüber. Seinen Schutzhelm trägt er in der Hand. »Ja, Coach?«

Er bemerkt erst, dass ich da bin, als der Trainer auf mich zeigt. Sein Lächeln bekommt einen misstrauischen Ausdruck. Er muss denken, dass ich ihn verpetzt habe. Coach Rivera bemerkt die Spannung zwischen uns nicht, sondern schlägt Noah gut gelaunt auf die Schulter. »Noah ist dieses Jahr mein Star. Er wird uns in die States-Meisterschaften bringen. Trask, gib diesem Mädchen eine Stellungnahme für die Schülerzeitung.«

Noah ist die Erleichterung anzusehen, und sein finsterer Blick wird zu einem Grinsen. »Schreibst du einen Artikel über mich, Lily?«

Ich gebe es nicht gern zu, aber wenn ich gute Artikel über die Spiele dieser Saison schreiben will, die die Schülerschaft interessieren, brauche ich viele Zitate von Noah, und wahrscheinlich werde ich auch früher oder später wirklich einen Artikel nur über ihn schreiben müssen. »Es wäre nett, ein Zitat von unserem Quarterback zu bekommen.«

Er sieht mich amüsiert an. Er weiß, wie sehr ich ihn hasse und wie sehr es mich von innen auffressen muss, mich gerade jetzt bei ihm einschmeicheln zu müssen. »Ich kann es kaum erwarten, dass diese Saison beginnt«, sagt er. »Und ich habe vor, der beste Quarterback zu sein, den diese Schule jemals gesehen hat, wenn ich das in aller Bescheidenheit sagen darf.«

Wenn er bescheiden ist, bin ich ein Supermodel.

»Ich verspreche, die Schule nicht im Stich zu lassen. Ich weiß, dass alle auf mich zählen.« Wahrscheinlich hat er sogar recht damit, dennoch fällt es mir schwer, nicht die Augen zu verdrehen. »Wir werden diese Saison rocken, Baby!«

Ich lächle gezwungen. »Das ist perfekt. Danke.«

Er zwinkert mir höhnisch zu. Ich würde gleichzeitig gern im Boden versinken und ihn erwürgen. Doch ich zwinge mich, ruhig zu bleiben, und schenke dem Trainer ein aufrichtiges Lächeln. »Vielen Dank, Coach.«

»Jederzeit, Miss ...«

»Lily Rosemont, Sir.«

Das Stirnrunzeln verschwindet, und Coach Rivera schenkt mir ein seltenes Lächeln. »Dann werden wir dich diese Saison wohl häufiger zu Gesicht bekommen. Schnapp dir ruhig nach jedem Spiel meine Spieler oder sprich mich an. Wir unterstützen die Schülerzeitung sehr gern.«

Noah legt einen Arm um meine Schulter. »Ja, wir lieben es, die Schülerzeitung zu unterstützen.«

Na sicher. Was könnte ein Narzisst mehr wollen, als dass die ganze Schule etwas über ihn lesen kann?

»Achte nur darauf, dass mein Name richtig geschrieben wird, und prahle mit all meinen tollen Eigenschaften. Wir wollen doch meine Fans nicht enttäuschen.«

Diesmal kann ich mich nicht zurückhalten. Ich verdrehe die Augen und murmle: »Wenn du irgendwelche tollen Eigenschaften hättest, wüsste ich das.«

Noah erstarrt neben mir, und ich befreie mich von seinem Arm. Dann lächle ich dem Trainer ein letztes Mal zu. »Vielen Dank. Dann lasse ich Sie jetzt mal wieder in Ruhe. Viel Glück!«

Ich eile davon, doch Noah holt mich ein. Er hält mich am Arm fest und zwingt mich, ihn anzusehen. Sein amüsiertes Grinsen ist wie weggewischt. »Du lässt mich besser nicht schlecht aussehen«, warnt er mich. »Wenn doch, werde ich dir dein Leben auf dieser Schule zur Hölle machen.«

Ich reiße mich aus seinem Griff los und sehe ihn wütend an. »Anders als du weiß ich, wie man sich professionell verhält, du Mistkerl.«

Wieder starrt er mich wütend an, doch seine Anspannung lässt ein wenig nach. »Das ist deine einzige Warnung.«

Er deutet auf mich, dann läuft er zu seinem Team zurück. Wütend kehre ich zu meinem Platz zurück und lasse mich neben Mason auf den Sitz fallen. »Ich hasse ihn so sehr.«

Zoey folgt meinem Blick zu unserem kostbaren Quarterback. »Was hat er gesagt?«

Ich schnaube. »Außer dass er einen Haufen Mist darüber erzählt hat, wie unglaublich bescheiden er ist und dass das ganze Team auf ihn zählt, meinst du?« Zoey schnaubt. »Zuerst hat er mich vor seiner ganzen Mannschaft und den Cheerleaderinnen Trash genannt. Dieser Spitzname wird sich garantiert verbreiten. Dann hat er gedroht, mir das restliche Schuljahr zur Hölle zu machen, wenn ich ihn schlecht dastehen lasse.«

Zoey schüttelt den Kopf. »Was für ein Idiot.«

Mein Bruder blinzelt mich an. »War das Noah? Warum ist er so gemein zu dir?«

Ich seufze. »Ich schätze, weil er es kann. Einige Leute brauchen keinen Grund, um gemein zu sein. Sie sind es einfach.« Ich lege meinen Arm um Mason, und er schüttelt mich nicht ab, während ich ihn umarme. »Ignorier ihn einfach. Das mache ich auch. Leute wie er spielen keine Rolle. Früher oder später werden sie bekommen, was sie verdient haben. Das nennt man Karma.«

Mason runzelt die Stirn, sagt aber nichts mehr.

»Ich besorge uns was zum Knabbern«, sagt Zoey und springt auf. »Wollt ihr was?«

Mason und ich schütteln beide den Kopf. Zoey nickt mir zu, dann sieht sie zu Mason und sagt: »Ich glaube, du hast Lust auf Zuckerwatte.«

Mason grinst sie an, und ich sage lautlos Danke. Sie zwinkert mir zu und verschwindet. Als sie schließlich mit Nachos, einer großen Limonade und einer riesigen Tüte Zuckerwatte zurückkehrt, hauen wir rein und genießen das Spiel.

In der letzten Minute der ersten Hälfte liegen wir zwei Touchdowns vorn. Die Stimmung auf der Tribüne ist ausgelassen, und selbst Zoey kann sich dem nicht entziehen. Darum ist die Wirkung auf die Menge auch so enorm, als Noah von einem Gegner zu Fall gebracht wird und nicht mehr aufsteht.

Die Zuschauer erstarren und sehen mit angehaltenem Atem zu, wie Trainer und Sanitäter aufs Spielfeld rennen. Gemurmel breitet sich aus, einige Leute schnappen sogar erschrocken nach Luft. »Mann, den hat es aber hart erwischt«, sagt Mason. »Ihm ist sogar der Helm weggeflogen.«

»Was hast du gerade noch eben über Karma gesagt?«, murmelt Zoey.

»Hör auf«, erwidere ich. »Er könnte sich schwer verletzt haben. Ich kann ihn nicht leiden, aber ich wünsche ihm auch nichts Schlechtes.«

Zoey verdreht die Augen. »Der kommt schon wieder in Ordnung. Wahrscheinlich hat er nur eine leichte Gehirnerschütterung. Dann sitzt er ein paar Spiele auf der Ersatzbank, bekommt dafür aber die Aufmerksamkeit all seiner Fans.«

Ich hoffe, sie hat recht. Aber ich ahne nichts Gutes, als Noah auf einer Trage vom Spielfeld geholt wird und dabei immer noch bewusstlos wirkt.

Zwei

Die zweite Hälfte des Spiels ist anders als die erste. Alle sind abgelenkt. Niemand ist mehr so engagiert wie vorher. Unsere Mannschaft gewinnt, aber es ist knapp. Die andere Schule hat aufgeholt, nachdem Noah vom Platz getragen wurde. Unser Ersatz-Quarterback hat gute Arbeit geleistet, aber er ist nicht Noah, und die anderen Teammitglieder wirken ebenso abgelenkt wie die Zuschauer.

Als Zoey Mason und mich nach Hause bringt, ist im Haus der Nachbarn alles dunkel. »Sie sind noch nicht wieder zu Hause«, sagt Zoey mit einem Blick auf Noahs Haus. »Und sie haben vor dem Ende des Spiels auch keine Durchsage gemacht. Man sollte doch meinen, sie würden uns Bescheid sagen wollen, dass er in Ordnung ist.«

»Wahrscheinlich«, stimme ich zu und starre ebenfalls auf das Haus, als könne es uns Antworten liefern. »Vielleicht wissen sie einfach noch nichts.«

»Denkst du, er ist okay?«, fragt Mason.

Ich schenke ihm ein Lächeln. »Ich bin mir sicher, dass es ihm gut geht. Im Krankenhaus dauert es immer ewig. Außerdem hat er wahrscheinlich eine Gehirnerschütterung, und ich glaube, dafür behalten sie einen über Nacht da. Morgen ist er bestimmt wieder zurück, um uns zu quälen.«

Wir drei schauen noch einen Moment länger auf das Nachbarhaus, bevor ich mich von dem Anblick losreiße und die Wagentür öffne. »Danke, dass du mitgekommen bist, und danke fürs Fahren.«

Zoey schenkt mir ein breites Lächeln. »Mach ich doch gern für dich und meinen Lieblingskerl.«

Sie zwinkert Mason zu. Er verdreht zwar die Augen, wird aber rot.

Als Mason und ich unser Haus betreten, ist alles ruhig. Nur in der Küche ist Licht an, und Moms Stimme ruft uns aus dieser Richtung. »Lily? Mason? Könnt ihr mal bitte herkommen?«

Wir gehen in die Küche, wo Mom am Tisch sitzt. Sie wirkt abgekämpft. Ich weiß nicht, wie ich es anders beschreiben soll. Sie starrt ins Leere und sieht aus, als hätte sie jegliche Lebensfreude verlassen. Um ehrlich zu sein, wirkt sie schon eine Weile so, aber jetzt gerade ist es noch schlimmer. Sie ist völlig fertig.

Als Mason leise und fragend ihren Namen sagt, reißt sie sich zusammen und setzt ein gezwungenes Lächeln auf. Sie will stark wirken, doch ihre Hände zittern, und ihre Augen sind gerötet und geschwollen. Ihre gespielte gute Laune täuscht Mason genauso wenig wie mich. »Könnt ihr euch mal für einen Moment zu mir setzen?«

Wir nehmen Platz. Alles wirkt normal. Das zerbrochene Geschirr wurde weggeräumt.

»Mom?«, flüstert Mason erneut, der zwischen uns sitzt. Seine Hand greift unterm Tisch nach meiner, als ob er sich gegen schlechte Neuigkeiten wappnet. Ich drücke sie aufmunternd.

Mom nimmt seine andere Hand und schenkt ihm ein weiteres falsches Lächeln. »Es ist alles okay, Mason. Aber ich muss mit euch über etwas sehr Wichtiges sprechen.«

Man muss kein Genie sein, um zu ahnen, worum es geht. »Ihr lasst euch scheiden, oder?«

Mason atmet hörbar ein, und Mom wirft mir einen bösen Blick zu. Es tut mir leid, dass es einfach so aus mir herausgeplatzt ist, aber nur wegen Mason. »Ja«, sagt Mom betont ruhig. »Euer Vater und ich lassen uns scheiden.«

Das überrascht mich nicht. Ich hab mich immer gefragt, wann es so weit sein würde. Oft habe ich mir sogar gewünscht, dass sie es endlich hinter sich bringen würden. Sie lieben einander seit Jahren nicht mehr, zumindest soweit ich sagen kann. Ich dachte immer, dass ich glücklich sein würde, wenn es passiert, und fühle mich tatsächlich ein bisschen erleichtert, doch die Traurigkeit, die in mir aufsteigt, überrascht mich. Meine Eltern werden sich vielleicht nicht mehr ständig streiten, aber eine Scheidung bedeutet auch, dass meine Familie auseinandergerissen wird.

Mom sieht Mason an. »Verstehst du, was das bedeutet?«

Er schluckt schwer und nickt, sagt aber nichts. Er ist aufgewühlt, will es sich aber nicht anmerken lassen, sondern versucht, stark zu sein. Erneut drücke ich seine Hand, und er drückt fest zurück. »Zieht Dad aus? Werden wir ihn weiter sehen? Müssen wir umziehen?«

Mom steigen Tränen in die Augen, doch sie weint nicht. »Er wird nicht weit weg ziehen«, verspricht sie. »Er sucht sich eine Wohnung in der Nähe. Ihr werdet bei mir leben, aber ihr könnt ihn besuchen, wann immer ihr wollt. Und nein, wir müssen hier nicht weg. Allerdings werde ich jetzt Vollzeit arbeiten müssen, also werdet ihr ein paar mehr Pflichten übernehmen müssen. Aber ich verspreche euch, dass wir das schaffen.«

Mason sieht sich um und runzelt die Stirn. »Wo ist er? Packt er oben seine Sachen?«

Als Mom nur ihre Augen schließt und tief durchatmet, weiß ich, was kommt. »Er ist schon weg«, schnaube ich. Verbitterung und Wut drohen mich zu überwältigen. »Wie nett von ihm, sich zu verabschieden.«

»Er ist weg?« Masons Stimme bricht.

Wieder wirft mir Mom einen bösen Blick zu, dann versucht sie für Mason zu lächeln, doch seine Bestürzung lässt ihre Unterlippe zittern. »Er ist nicht weg, mein Schatz. Du wirst ihn morgen sehen. Er hat versprochen, euch zum Mittagessen abzuholen, um in aller Ruhe darüber zu reden. Es kommt alles wieder in Ordnung. Du wirst schon sehen.«

Ich weiß nicht, ob sie das wirklich glaubt oder sich das nur einreden will.

Mom lässt Masons Hand los und tätschelt sie. »Es ist spät. Geh doch schon mal duschen und mach dich bettfertig. Ich möchte noch kurz mit deiner Schwester allein reden.«

Mason sieht mich fragend an. Dass er mich um meine Zustimmung bittet, bevor er auf Mom hört, macht mich traurig. Er vertraut mir mehr als unseren Eltern. Mom bemerkt es ebenfalls, und schließlich beginnen ihr doch noch Tränen über die Wangen zu laufen. Ich nicke ihm zu. »Schon in Ordnung.«

Er sieht unsicher zwischen Mom und mir hin und her, dann nickt er schließlich und verlässt den Raum. Mom und ich lauschen seinen leisen Schritten auf der Treppe, dann sieht sie mich streng an. »Wo seid ihr gewesen?«

Ihr anklagender Tonfall gefällt mir ganz und gar nicht. Es mag ihr gerade nicht gut gehen – wahrscheinlich steht sie noch unter Schock, aber ich werde mich von ihr nicht anmeckern und als Sündenbock für ihre eigenen Probleme hinstellen lassen. Unverwandt erwidere ich ihren Blick. »Wir waren bei dem Football-Spiel. Ich muss dieses Jahr für die Zeitung darüber berichten. Das habe ich erzählt.«

»Du hast deinen Bruder mitgenommen, ohne mir Bescheid zu sagen. Ich wusste nicht, wo ihr seid.«

Ich werde mir von ihr kein schlechtes Gewissen einreden lassen. »Du hast meine Handynummer.«

Sie starrt mich wütend an. Ihr gefällt nicht, dass ich Widerworte gebe. Aber das ist mir egal. Sie versucht erneut, mich zu provozieren. »Er konnte sich nicht mal von seinem Vater verabschieden.«

Ich verschränke die Arme und erwidere ihren wütenden Blick. »Und wessen Schuld ist das? Ihr habt so laut gestritten, dass er weinend aus dem Haus gelaufen kam. Mit Geschirr werfen? Ernsthaft, Mom? Was würdest du sagen, wenn ich so was machen würde?«

Sie zuckt zusammen, als hätte ich sie geschlagen. Es fühlt sich nicht gut an, aber ich kann auch nicht aufhören. »Mason hatte Angst, Mom. Ich konnte ihn doch nicht wieder reinschicken, während Dad und du euch an die Gurgel geht. Lass deine Wut nicht an mir aus. Dass wir uns von Dad nicht verabschieden konnten, ist eure Schuld. Ich wette, ihr habt erst viel später gemerkt, dass wir weg sind. Und ehrlich gesagt glaube ich nicht, dass Dad überhaupt daran gedacht hat, sich von uns zu verabschieden. Bestimmt ist er einfach mit seinem Koffer rausgestürmt, ohne auch nur einen Gedanken an uns zu verschwenden. Euch beiden ist überhaupt nicht klar, wie sehr ihr uns seit Jahren verletzt. Dafür wart ihr viel zu sehr mit eurer kaputten Beziehung beschäftigt.« Bei meinen Worten beginnt Mom zu schluchzen. Ich weiß, dass das, was ich zu ihr gesagt habe, hart war, aber ich bin so wütend. Ich bin seit Jahren wütend, und heute Abend habe ich das Ende meiner Geduld erreicht. »Ich will mich nicht mit dir streiten, Mom. Mason ist schon erschüttert genug. Er braucht nicht auch noch mitzubekommen, wie wir uns anschreien.« Ich stehe vom Tisch auf. »Ich gehe jetzt ins Bett.«

Als ich an meiner Mutter vorbeigehe, greift sie nach meinem Handgelenk. »Lily, es tut mir so leid, Schatz.«

Meine Wut verraucht und lässt mich leer und erschöpft zurück. »Ich weiß.« Ich gebe ihr einen Kuss auf den Kopf. »Gute Nacht.« Dann steige ich die Treppen hinauf und sehe nach meinem Bruder. Er ist in seinem Zimmer, das komplett dunkel ist. Statt zu duschen und sich umzuziehen, hat er sich einfach angezogen auf dem Bett zusammengerollt. Ich habe den Verdacht, dass er nur so tut, als würde er schlafen. Es bricht mir zwar das Herz, aber ich lasse ihn in Ruhe. Ich ziehe ihm nur schnell seine Schuhe aus und decke ihn zu. Als ich ihm einen Kuss auf die Schläfe gebe, schnieft er und murmelt ein schwaches »Ich hab dich lieb, Lily«.

»Ich dich auch, Mase. Es kommt alles wieder in Ordnung.«

Er nickt und schnieft erneut. Ich seufze. »Wenn du heute Nacht nicht allein sein willst, kannst du bei mir schlafen.«

Er öffnet die Augen und sieht mich empört an. »Ich bin kein Baby mehr, Lily. Ich schlafe doch nicht bei meiner großen Schwester.«

Ich lache auf. »Gut. Du hättest ohnehin nur mein Bett mit deinem ekligen Jungengeruch verpestet.«

Er starrt mich böse an, hält es aber nicht lange durch. Ich zerzause ihm die Haare, und er schlägt meine Hand weg. »Gute Nacht, Mase.«

»Gute Nacht, Lily.«

*

Das Essen mit meinem Dad am Samstag ist unangenehm. Er sagt Mason und mir, dass er weiterhin für uns da ist und jetzt alles besser wird, weil Mom und er nicht glücklich miteinander waren. Er verspricht uns, dass sich nichts ändern und er in unserem Leben bleiben wird, aber ich weiß, dass er das nicht so meint. Aber es ist mir auch egal. Er ist schon seit Jahren mit einem Fuß aus der Tür gewesen. Mason hingegen wird es verletzen, wenn Dad langsam aus unserem Leben verschwindet.

Am Sonntag kommt er nach Hause, um den Rest seiner Sachen zu holen. Er hat eine Wohnung am anderen Ende der Stadt gefunden, in die er sofort einziehen kann. Während wir sein Zeug zusammenpacken, bewegen wir uns alle wie auf rohen Eiern, besonders meine Eltern. Nur so gelingt es ihnen, nicht wieder zu streiten. Ich habe keine Ahnung, wann es dazu gekommen ist, dass die beiden nicht mal mehr im gleichen Raum sein können, aber diese ständige Anspannung werde ich bestimmt nicht vermissen.

Am Sonntagabend erzähle ich Zoey alles am Telefon, und am Montagmorgen, als wir uns endlich vor meinem Spind in der Schule treffen, drückt sie mich fest. Ich erwidere die Umarmung und bin für meine beste Freundin sehr dankbar. Zu Hause muss ich mich wegen meines Bruders zusammenreißen, aber Zoey macht es nichts aus, wenn ich auseinanderbreche. Dann sammelt sie einfach die Teile auf und setzt mich wieder zusammen.

Als ob sie spüren würde, wie zerbrechlich ich gerade bin, hält sie mich für eine volle Minute und leiht mir ihre Stärke. Verzweifelt sauge ich auf, was ich kann. »Ich hab dich lieb, Lily. Was brauchst du?«

Ich löse mich aus ihrer Umarmung und öffne meinen Spind. »Ganz ehrlich? Nur das hier. Dich, die Schule, die Schülerzeitung. Alles, wodurch ich mich normal fühle und was mich von diesem ganzen Drama ablenkt.« Ich lächle. »Ein heißer Begleiter für den Homecoming-Ball, den ich Tyler unter die Nase reiben kann, wäre auch nicht schlecht.«

Zoey grinst. »Gut. Denn ich habe mit Jensen geredet. Er sagt, Bryce hat noch keine Begleitung. Er wird mit ihm reden.«

Und sofort habe ich bessere Laune. Nicht weil ich in Bryce verknallt wäre oder so etwas. Sondern weil Zoey die beste Freundin ist, die man sich vorstellen kann. »Bryce ist echt süß.«

»Ich weiß, oder? Tyler wird vor Eifersucht platzen!«

Wir kichern. Ich nehme die Bücher aus dem Spind, die ich für meine Fächer heute brauche, stecke sie in meinen Rucksack und will gerade den Reißverschluss zuziehen, als mich Zoey mit dem Ellbogen anstößt. »Wenn man vom Teufel spricht«, flüstert sie aufgeregt.

Ich drehe mich um und sehe, wie Jensen und Bryce in unsere Richtung kommen. »Hallo, ihr Hübschen«, ruft Jensen.

Ich grinse, und Zoey zwinkert Jensen zu. »Gleichfalls, du heißer Typ.«

Jensen und sie eiern schon eine Weile umeinander herum. Zwischen ihnen stimmt die Chemie, und Jensen ist ein echt toller Kerl. Ich wünschte, er würde Zoey endlich fragen, ob sie mal mit ihm ausgehen will. Andererseits flirten beide gern, also vielleicht wollen sie auch einfach nur Freunde bleiben. So oder so hoffe ich, dass er Zoey bittet, sie zum Homecoming-Ball zu begleiten. Wenn wir vier zusammen gehen würden, wäre es bestimmt ein Riesenspaß.

Ich versuche, mich normal zu benehmen und nicht rot zu werden, als ich sie begrüße. »Hey, Jensen. Bryce.«

»Was läuft bei euch so?«, fragt Jensen und legt einen Arm um Zoeys Schulter. »Habt ihr am Wochenende was Schönes gemacht?«

Ich denke an mein furchtbares Wochenende zurück und versuche die negativen Gedanken wegzuschieben. »Wir waren beim Spiel. Das hat Spaß gemacht.«

Bryce sieht mich an. »Du stehst auf Football?«

Ich lächle. »Football ist okay, aber Fußball mag ich lieber. Ich hab letztes Jahr alle eure Spiele gesehen. Ihr wart echt super.«

Bryce richtet sich stolz auf, und sein Lächeln wird noch ein bisschen selbstbewusster. »Du warst bei all unseren Spielen?«

Ich nicke. »Ich hab in der Schülerzeitung darüber berichtet. Jeder in der Redaktion muss eine Sportart übernehmen. Dieses Jahr hab ich Football erwischt, also werde ich diese Saison jedes Spiel miterleben.«

Jensen grinst breit und stößt Bryce mit dem Ellbogen an. »Echt cool. Wir gehen auch gern zu den Football-Spielen. Vielleicht treffen wir euch ja dort mal und hängen zusammen ab. Vielleicht bei einem gewissen Heimspiel.«

Plötzlich habe ich Schmetterlinge im Bauch. Er meint bestimmt den Homecoming-Ball. Sein Versuch, Bryce und mich zu verkuppeln, ist so offensichtlich, dass wir beide rot werden. Vielleicht ist Bryce ein bisschen schüchtern. Hätte ich nie vermutet. Wir stehen noch einen Moment herum, während Bryce seinen Mut zusammennimmt, um mich zu fragen, ob ich ihn zum Ball begleiten will. Es ist ihm genau anzusehen, und ich finde es echt süß.

Plötzlich wird die Stille von einem Schluchzen unterbrochen. Wir alle drehen uns um und sehen Brooke in unsere Richtung kommen. Sie heult wie ein Schlosshund. Ihre Freunde versuchen sie zu trösten, darunter Austin und ein paar andere Jungs aus dem Footballteam. Alle wirken geschockt. »Was ist los?«, flüstere ich.

Zoey, Jensen und Bryce blicken genauso ratlos wie ich auf die Gruppe der Beliebten. »Keine Ahnung«, sagt Jensen.

»Es muss um Noah gehen«, sage ich. »Er ist letztes Wochenende nicht wieder nach Hause gekommen.«

Beide Jungs schauen mich verwirrt an, bis Jensen meine Verbindung zu Noah wieder einfällt. »Ach stimmt. Ihr seid ja Nachbarn.«

»Leider«, murmle ich.

Zoey runzelt die Stirn. »Meinst du, er ist immer noch im Krankenhaus?«

Ich zucke mit den Schultern. »Warum sonst sollten sie alle so bestürzt wirken? Brooke könnte übertreiben, sie ist schließlich eine Dramaqueen, aber Austin und die anderen Jungs? Sie wirken völlig am Boden zerstört.«

Als würde Austin unsere Blicke spüren, sieht er zu uns. Als er merkt, dass wir ihn beobachten, ruft er wütend: »Was glotzt du denn so, Trash?«

Ich schnappe nach Luft und drehe mich schnell um. »Meint er dich?«, murmelt Bryce.

»Ja, ich rede mit ihr«, schnauzt Austin. »Denn sie ist Trash.«

Er beschimpft mich, weil er sich Sorgen um Noah macht und ich ein leichtes Ziel bin. Eigentlich weiß ich das. Dennoch wird mir ganz schlecht. Ich schließe die Augen. Meine Wangen brennen vor Scham. Die beliebten Schüler lachen. Brooke, die inzwischen nicht mehr weint, wirft mir einen höhnischen Blick zu, dann sagt sie zu Bry‍ce: »Ich würde nicht mit Müll wie ihr abhängen, Bryce. Du willst dich doch nicht schmutzig machen.«

Ich weiß nicht, was schlimmer ist, dass alle im Gang, die die Szene mitbekommen, mich anstarren, tuscheln, auf mich zeigen und sogar lachen, oder die Tatsache, dass Bryce ein wenig vor mir zurückweicht, als hätte ich eine ansteckende Krankheit. Die beliebten Schüler brechen in schallendes Gelächter aus und gehen fröhlich ihrer Wege.

Es dauert einen Moment, bis die anderen auch weitergehen. Mir ist total schlecht, und ich schäme mich so sehr, dass ich weder Bryce noch Jensen ansehen kann. »Meine Güte«, murmelt Jensen. »Sind die immer so zu dir?«

Ich zwinge mich, ihn anzusehen, und verziehe das Gesicht. »Erst seit Kurzem.«

»Tut mir echt leid, Lily. Das ist scheiße.«

Ich zucke nur mit den Schultern, denn was kann ich schon tun? Ich werde nicht vor den Jungs in Tränen ausbrechen. Das würde mich nur noch erbärmlicher aussehen lassen.

Die Schulglocke rettet uns vor dem peinlichen Schweigen. Es versetzt mir einen weiteren Stich ins Herz, als ich sehe, wie erleichtert Bryce darüber wirkt, gehen zu können. »Wir sollten besser los«, sagt er. »Mr Johnson hasst es, wenn man zu spät kommt.«

»Ja, wir sehen uns später«, stimmt Jensen zu, und sie gehen zu ihren Klassen.

Ich schließe die Augen und lehne meine Stirn gegen den Spind. »Tja, so viel dazu. Jetzt werden sie uns nicht mehr wegen des Balls fragen.«

»Wenn nicht, ist es ihr Verlust«, knurrt Zoey und starrt finster den Gang entlang. »Wenn sie zu viel Angst haben, mit uns abzuhängen, weil irgendwelche beliebten Leute gemein zu uns sind, wollen wir eh nicht mit ihnen gehen. Wir verdienen etwas Besseres.«

Ein Anflug von Selbstmitleid überkommt mich. »Es ist trotzdem bescheuert. Erst Tyler, jetzt Bryce und Jensen. Was, wenn ich zur totalen Außenseiterin werde? Vielleicht solltest du besser auch nicht mehr mit mir abhängen. Ich will nicht, dass du mit mir nach unten gezogen wirst.«

Ich starre an die Decke und zwinge mich dazu, ruhig zu bleiben. Viel mehr kann ich aber nicht ertragen.

Zoey legt mir ihre Hände auf die Schultern und sieht mich so entschlossen an, dass es fast wütend wirkt. »Hör sofort auf, Lily. Ich weiß, dass du gerade das wahrscheinlich schlimmste Wochenende deines Lebens hattest, aber hör auf, dich selbst zu bemitleiden. Ich lass dich nicht im Stich. Scheiß auf Noahs Freunde und auf jeden, der bei ihnen mitmacht oder sich distanziert, weil er Angst hat, gemobbt zu werden. Wir brauchen die nicht. Wir haben einander, und das reicht völlig.«

Ich werfe meine Arme um Zoey und bin dankbarer als jemals zuvor, dass wir Freundinnen sind. Sie erwidert meine Umarmung. »Es kommt alles wieder in Ordnung, Lily. Versprochen.«

Ich schlucke und atme tief ein. »Danke.«

Drei

Zoey knallt ihr Essenstablett mit einem lauten Stöhnen neben meines auf den Tisch. »Ugh! Ich hasse Mr Holmans Unterricht. Er ist so langweilig, und ständig lässt er unangekündigte Tests schreiben. Warum konnte ich nicht Mrs Porter bekommen? Warum hast du so viel Glück gehabt?«

Ich grinse. »Dafür habe ich Mr Z in Geografie.« Ich tue so, als würde ich gähnen.

»Stimmt. Das ist genauso schlimm.«

Mit gerümpfter Nase beginnt Zoey, ihre Spaghetti zu essen. Da ich dem Kantinenessen nicht traue, ziehe ich die braune Papiertüte aus meiner Tasche, in der sich ein Truthahnsandwich, Kartoffelchips und eine Orange befinden.

»Haben dich diese Idioten noch weiter belästigt?«

Ich schüttle den Kopf. »Sie waren zu sehr mit der Aufmerksamkeit beschäftigt, die sie von allen anderen bekommen. Und ich hab mich von ihnen ferngehalten.«

Wir werfen einen Blick auf die andere Seite der Cafeteria, wo Austin und Brooke mit ihrer restlichen Clique sitzen. Sie wirken ziemlich betrübt. Ich glaube nicht, dass sie nur so tun. Würde ich auch nicht, wenn ich erfahren hätte, dass mein bester Freund im Koma liegt. Zoey sieht mich an, und ich weiß, dass sie das Gleiche denkt. Wir lächeln einander schwach zu, dann wechselt sie das Thema. »Hast du gehört, dass Jensen und Bryce zwei Mädchen aus dem Fußballteam zum Homecoming-Ball eingeladen haben?«

Ich seufze. »Hab ich. Dann lassen wir ihn eben ausfallen.«

Zoey ist mit ihren Spaghetti fertig und wendet sich ihrem verwelkten Salat zu. Ich weiß wirklich nicht, wie sie dieses Zeug runterbekommt. »Wir finden schon noch Begleiter. Oder wir gehen allein«, sagt sie. »Das ist doch nicht der Abschlussball. Viele Leute gehen allein zum Homecoming-Ball. Zumindest haben wir einen guten Vorwand, um uns schick zu machen. Wir werden so scharf aussehen, dass es allen Jungs, die uns nicht wollten, so richtig leidtun wird.«

Jemand räuspert sich. Zoey und ich drehen uns um. Ausgerechnet Tyler steht hinter uns und wirkt sichtlich unbehaglich. »Hi, Lily.« Dann sieht er zu Zoey und begrüßt auch sie, doch schnell kehrt seine Aufmerksamkeit zu mir zurück. Er windet sich unter meinem vorwurfsvollen Blick, und er beginnt sich verlegen den Nacken zu reiben. »Hast du mal einen Moment?«

Ich drehe mich auf der Bank richtig zu ihm um, und Zoey tut das Gleiche. Ihr Blick ist noch schlimmer als meiner, und sie verschränkt die Arme vor der Brust. Er seufzt. »Es tut mir leid. Ich hätte dich wegen Nicole und mir vorwarnen sollen.«

Nicole und mir. Dann sind sie also jetzt offiziell ein Paar. Wie nett. »Ja, das hättest du.« Ich imitiere Zoeys abweisende Geste und verschränke ebenfalls die Arme. »Oder du hättest mich nicht erst küssen und dann am nächsten Tag ein anderes Mädchen zum Ball einladen sollen.« Er verzieht schuldbewusst das Gesicht, aber so einfach lasse ich ihn nicht vom Haken. »Wenn du nicht auf mich stehst, hättest du mir keine falschen Hoffnungen machen sollen. Und wenn schon, hättest du wenigstens den Anstand haben müssen, mir das mit Nicole persönlich zu sagen, anstatt zuzulassen, dass sie es mir bei der Schülerzeitung unter die Nase reibt.«

Er schluckt. »Du hast recht. Das war mies von mir.«

»Und feige«, ergänzt Zoey.

Seine Wangen werden rot, und er reibt sich erneut den Nacken. Es ist irgendwie befriedigend, den schuldbewussten Blick in seinen Augen zu sehen. Und eine Entschuldigung ist besser als nichts. Ich entscheide mich, sie anzunehmen. »Wie auch immer. Wir waren ja nicht richtig zusammen. Also bist du auch nicht fremdgegangen oder so. Was das Hintergehen angeht, war das also noch relativ glimpflich.«

Er reißt die Augen auf. »Ich hab dich doch nicht hintergangen.«

Ich ziehe herausfordernd die Augenbrauen hoch, und er zuckt zusammen. »Ich meine, ich wollte dich nicht hintergehen. Es ist nur so, dass ich schon seit einem Jahr in Nicole verknallt bin. Ich wusste bis Freitag nicht, dass sie an mir interessiert ist. Ich schwöre, dass ich dich wirklich mag.«

Zoey schnaubt. »Du magst Nicole einfach nur mehr. Schon klar. Genau das ist dein Problem. Sie ist eine ziemliche Zicke, also viel Glück damit. Erwarte nur nicht, dass Lily dich zurücknimmt, wenn dir klar wird, dass du einen Fehler gemacht hast.«

Tyler wirft ihr einen wütenden Blick zu. Als sie den Mund öffnet, um ihn weiter zu beschimpfen, lege ich ihr beschwichtigend eine Hand aufs Knie. Ich weiß zu schätzen, dass sie mich unterstützt, aber ich will das hier nicht zu einer großen Sache machen. »Schon gut«, sage ich und meine es teilweise auch. »Ich hab dich auch wirklich gemocht, aber es ist okay. Ich bin drüber weg.«

Er wirkt überrascht. »Gemocht? Jetzt nicht mehr?«

Es gelingt mir gerade so, nicht die Augen zu verdrehen. »Tja, das Mögen verschwindet eben, wenn man jemanden so behandelt wie du mich.«

Er wirft mir einen gequälten Blick zu und setzt sich neben mich auf die Bank. »Tut mir wirklich leid. Ich wollte nicht, dass das so läuft. Aber wir sind schon so lange befreundet. Können wir das nicht weiter sein?«

Ich hasse es, ihn nach so langer Zeit in die Wüste zu schicken, aber ich will nicht mehr mit ihm befreundet sein. Er hat mir wehgetan. Durch die Schülerzeitung sind wir vor drei Jahren Freunde geworden. Nach den Redaktions-Treffen haben wir immer noch Zeit miteinander verbracht und gemeinsam an vielen Artikeln gearbeitet. Ich war überglücklich, als er mich letzten Monat endlich gefragt hat, ob ich mit ihm ausgehen will, und es hat sich so richtig angefühlt, als er mich geküsst hat. Obwohl ich jetzt weiß, dass er das nicht aus Bosheit getan hat und Nicole schon länger mochte, will ich nicht dauernd an diese Sache erinnert werden.

Aber ich kann ihm zumindest verzeihen. Da er dieses Jahr auch noch der Chefredakteur der Schülerzeitung ist, werde ich ihn oft sehen und mit ihm zusammenarbeiten müssen. »Ich vergebe dir, Tyler. Und ich kann professionell sein und mit dir zusammenarbeiten. Aber ich glaube nicht, dass wir noch befreundet sein können.« Als er die Stirn runzelt, füge ich schnell hinzu: »Du hast doch jetzt eh eine Freundin. Sie wird bestimmt nicht wollen, dass du Zeit mit dem Mädchen verbringst, mit dem du vor ihr was hattest. Ich will einfach nur, dass es in der Schülerzeitung nicht unangenehm wird.«

Er sieht mich enttäuscht an. »Tut mir leid, dass ich es verbockt habe.«

»Mir auch. Aber ich weiß deine Entschuldigung zu schätzen.«

Ich will mich wieder zum Tisch drehen, um aufzuessen, bevor die Pause zu Ende ist, aber Tyler hält mich auf. »Da war eigentlich noch was anderes, worüber ich mit dir reden wollte.«

Ich atme tief durch und stehe so kurz davor, meine Geduld zu verlieren. Aber ich habe ihm versprochen, dass ich mich zusammenreißen werde, also setze ich ein freundliches Lächeln auf und nicke. Er fährt sich durchs Haar und schaut zu der Gruppe von Footballspielern und Cheerleaderinnen. »Hast du das von Noah gehört?«

Ich folge seinem Blick und nicke. »Ich war Freitagabend beim Spiel. Es hat ihn zwar ziemlich heftig erwischt, aber ich kann nicht fassen, dass er immer noch nicht wieder aufgewacht ist.«

»Genau. Na ja, das ist eine ziemlich große Geschichte, und ich dachte, da du dieses Jahr für die Berichterstattung des Footballteams zuständig bist, dachte ich, dass du ihn vielleicht mal im Krankenhaus besuchen solltest, um zu sehen, ob seine Familie mit ein paar Informationen herausrückt.«

Ich erbleiche. »Du willst, dass ich einen Artikel über Noah schreibe?«

Er wirkt ein bisschen schuldbewusst, nickt aber.

»Ist das nicht ziemlich geschmackslos, seine Familie zu belästigen? Noah liegt im Koma.«

»Und alle an der Schule machen sich Sorgen um ihn. Wenn du das seinen Eltern erklärst, reden sie sicher mit dir.«

Ugh. Ich finde es völlig unangebracht, kann es aber irgendwie auch verstehen. Journalisten müssen zumindest versuchen, an eine Story zu kommen, und ob es mir nun gefällt oder nicht, Noah ist gerade ein heißes Thema. Doch ihn im Krankenhaus zu besuchen und seinen Eltern vorzuspielen, ich sei die besorgte Mitschülerin ausgerechnet des Jungen, der mich in meinem Abschlussjahr an der Highschool zu einer Zielscheibe für Mobbing gemacht hat, ist das Letzte, was ich tun will.

Ich schüttle den Kopf. »Ich weiß zu schätzen, dass du mir diese Story geben willst, aber ich glaube, ich verzichte lieber. Noah und ich kommen nicht gut miteinander aus. Das ist ein Interessenkonflikt. Ich bin sicher, dass jemand anders den Artikel liebend gern übernehmen würde.«

»Aber ...«

»Er ist ein Mistkerl«, sagt Zoey und lehnt sich über meine Schulter, um Tyler einen bösen Blick zuzuwerfen. »Er ist gemein zu Lily. Wir hassen ihn. Such dir jemand anderen.«

»Sie hat recht. Er hasst mich. Warum schreibst du den Artikel nicht selbst?«

Tyler denkt darüber nach, dann schüttelt er den Kopf und sieht mich flehend an. »Noah liegt im Koma. Er wird gar nicht merken, dass du da bist, und du bist die einzige in der Schülerzeitung, die eine Verbindung zur Familie hat.«

Ich ziehe die Augenbrauen hoch. »Eine Verbindung?«

»Ihr seid doch Nachbarn«, erklärt er. »Ich denke, dass sie sich eher jemandem öffnen werden, der kein vollkommen Fremder ist.«

»Aber das bin ich doch praktisch für sie«, erwidere ich mit klopfendem Herzen. Ich will das wirklich nicht tun. »Wir verstehen uns nicht mit ihnen. Noah hat mich immer gehasst, und meine Eltern geben keine regelmäßigen Grillpartys oder so was. Ich bezweifle, dass sie und Noahs Eltern je mehr Kontakt hatten, als sich mal im Vorbeigehen zuzuwinken.« Ganz zu schweigen davon, dass sie seit Jahren die lautstarken Streitereien in unserem Haus ertragen müssen. Wahrscheinlich halten sie mich für genauso asozial, wie Noah das tut.

Plötzlich ist mein Mund ganz trocken, und mir dreht sich der Magen um. Ich will nicht mit diesen Leuten reden. Besonders nicht, wenn ich Informationen über ihren Sohn entlocken soll, der fast gestorben wäre.

»Aber zumindest kennen sie dich«, sagt Tyler.

Genau deshalb hab ich ja Angst.

»Du bist unsere größte Chance. Außerdem kannst du gut mit Leuten. Und du bist einfühlsam. Du wirst nicht einfach reinstürmen und Informationen verlangen, wie Nicole das tun würde.«

Okay. Damit hat er recht. Ich habe wirklich mehr Taktgefühl als die anderen Mitglieder der Schülerzeitung.

Tyler nimmt meine Hand. »Bitte? Ich will diese Story niemandem sonst anvertrauen. Und Lily, wenn du wirklich ein Stipendium willst, dann brauchst du diesen Artikel. Es wird der wichtigste dieses Jahres sein.«

»Also gut«, sage ich kapitulierend. »Ich werde sehen, was ich tun kann.«

»Bist du sicher, Lily?«, fragt Zoey besorgt.

Ich schenke ihr ein resigniertes Lächeln. »Er hat recht. Ich bin die logischste Wahl für diese Story, und ich könnte sie wirklich brauchen, wenn ich ein Stipendium fürs College will.«

Tyler seufzt erleichtert. »Du wirst das toll machen, Lily. Ich hab vollstes Vertrauen in dich.« Da ist er der Einzige.

Vier

Krankenhäuser mochte ich noch nie. Sie versuchen einladend zu wirken, aber die allgemeine Stimmung ist einfach nur traurig. Die Menschen darin sind entweder völlig niedergeschlagen oder sie versuchen zu sehr, eine tapfere Fassade aufrechtzuerhalten. Mrs Trask ist ein wenig von beidem. Sie ist so angespannt, dass ich es bereits spüre, als ich an der offenen Tür von Noahs Zimmer ankomme.

Vom Gang aus ist der Blick auf sein Bett mit einem Vorhang verhüllt, aber die leisen Stimmen dahinter sind dennoch gut zu hören. Die traurige weibliche Stimme ist offensichtlich Noahs Mutter, und die viel kräftigere männliche muss ein Arzt sein. Ich will nicht stören, also trete ich beiseite und lehne mich draußen neben der Tür gegen die Wand. Ich will warten, bis der Arzt gegangen ist, bevor ich klopfe.

»Sein letztes MRT sieht gut aus.« Der Arzt ist klar zu verstehen. Ich weiß, dass ich gehen und später wiederkommen sollte. Doch die Versuchung, zu lauschen, ist stärker.

»Wie Sie hier sehen können, hat die Blutung aufgehört, und die Schwellung ist außergewöhnlich schnell zurückgegangen.«

Die Frau, die ich für Mrs Trask halte, fragt mit brüchiger Stimme: »Er wird es also schaffen?« Sie klingt so hoffnungsvoll, dass es mir einen Stich ins Herz versetzt.

Es folgt eine kurze Pause, bevor der Arzt antwortet. »Sie wissen, dass ich nichts garantieren kann. Aber es ist inzwischen sehr viel wahrscheinlicher, dass er wieder aufwacht. Seine Chancen, es zu überstehen, sehen sehr gut aus.«

Mrs Trask schluchzt erleichtert. »Hörst du das, Noah? Du kommst wieder in Ordnung.«

»Wahrscheinlich wird er wieder aufwachen«, korrigiert der Arzt vorsichtig. »Aber zum jetzigen Zeitpunkt kann niemand sagen, in welchem Zustand er dann sein wird. Sein Gehirn hat beträchtlichen Schaden genommen. Wenn er aufwacht, wird er wahrscheinlich nicht mehr die gleiche Person sein wie vorher.«

»Was meinen Sie damit?«

»Persönlichkeitsveränderungen kommen bei Gehirnverletzungen häufig vor. Erinnerungslücken, Wahrnehmungsprobleme, Gefühlsausbrüche, Stimmungsschwankungen, Erschöpfungszustände, Kopfschmerzen ... die Liste der möglichen Symptome ist endlos.«

Zwei Personen in OP-Kitteln gehen an mir vorbei. Sie lächeln, als wäre nichts ungewöhnlich, dennoch bekomme ich Herzklopfen. Ich sollte nicht lauschen. Ich fühle mich schrecklich. Aber was ich höre, ist auf morbide Weise so faszinierend, dass ich einfach nicht gehen kann.

»Aber warum?«, fragt Mrs Trask. »Wie kann ein einziger Schlag auf den Kopf so viel Schaden anrichten?«

»Wir nennen es den Starburst-Effekt«, sagt der Arzt.

»Was ist das?«

»Stellen Sie sich vor, jemand schlägt mit einem Baseballschläger auf eine Windschutzscheibe ein. Dort, wo der Schläger das Glas trifft, ist ein hochkonzentrierter Schadensbereich, doch von dort aus breiten sich wie ein Strahlenkranz viele weitere Risse aus. So ist es auch bei Noahs Gehirn. Dort, wo sein Gehirn gegen den Schädelknochen geprallt ist, haben wir starke Schäden festgestellt, aber von dort aus erstrecken sich Hunderte winzige Risse im Gewebe. Diese Risse in seinem Gehirn machen es uns unmöglich, genau zu sagen, wie groß die Beeinträchtigung ist oder wie sich die Verletzungen zeigen werden.« Er seufzt und sagt leise: »Sie werden sich auf einen langen und schwierigen Heilungsprozess gefasst machen müssen.«

Wieder schluchzt Mrs Trask laut auf, dann atmet sie tief ein, und ihre Stimme klingt entschlossen. »Das spielt keine Rolle. Noah ist stark. Er wird das durchstehen.«