Allahs mächtige Influencer - Stefan Kaltenbrunner - E-Book

Allahs mächtige Influencer E-Book

Stefan Kaltenbrunner

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Beschreibung

Islamistische Influencer haben die sozialen Medien gekapert. Online geschieht Radikalisierung heute schneller, unsichtbarer und direkter als je zuvor. Die steigende Zahl an Terroranschlägen ist nur die Spitze des Eisbergs. Die Journalisten Stefan Kaltenbrunner und Clemens Neuhold erklären, wie Islamisten auf TikTok & Co. agieren, mit welchen Tricks sie Jugendliche ködern und was dagegen zu tun ist.

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Seitenzahl: 197

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Allahs mächtige influencer

Stefan Kaltenbrunner, Clemens Neuhold:

Allahs mächtige Influencer

Alle Rechte vorbehalten

© 2025 edition a, Wien

www.edition-a.at

Cover: edition a

Satz: edition a

Gesetzt in der Premiera

Gedruckt in Deutschland

12345—28272625

isbn: 978-3-99001-794-4

eisbn: 978-3-99001-795-1

Stefan Kaltenbrunner

Clemens Neuhold

Allahs mächtige influencer

Wie TikTok-Islamisten unsere Jugend radikalisieren

edition a

Inhalt

Kapitel 1

Die TikTok-Terroristen aus dem Kinderzimmer

Kapitel 2

Die Jugend in der Islamismus-Falle

Kapitel 3

Die unheimliche Welt der Online-Salafisten

Kapitel 4

Das große Versagen: Von Politik über Moscheen bis Medien

Kapitel 5

12-Punkte-Plan gegen Online-Islamismus

Prolog

»Ich wollte mit dem Messer so viele Ungläubige töten wie möglich.«

Anonymisiertes und verknapptes Einvernahmeprotokoll eines Teenagers, der kurz vor einem Terroranschlag einen Rückzieher machte.

»Anfang letzten Jahres wurde ich so richtig religiös. Ich habe täglich gebetet, mich islamisch verhalten und meine Kleidung angepasst. In die Moschee bin ich auch gegangen, aber nicht so oft. Dort hat mir einer gesagt, dass ich Allah alles zu verdanken habe und dass ich ihm jetzt was zurückgegeben muss.

Darüber habe ich viel nachgedacht. Ich habe mir dann im Internet viele Sachen über den Islam angesehen, da waren Prediger, die sagten, welche Regeln ich einhalten muss und was ein echter Muslim ist.

Das hat mir gut gefallen, das hat mich beeinflusst, ich habe mir das alles immer wieder angesehen, das hat mich bestärkt. In die Moschee bin ich dann nicht mehr gegangen. Mit meinen Eltern hatte ich deswegen immer Probleme. Sie waren nicht religiös, sie haben unislamisch gelebt und mich immer kritisiert. Alles über den Islam und den Islamischen Staat habe ich aus dem Internet erfahren. Auf Social Media bin ich eigentlich nur auf Telegram. Auf TikTok hatte ich aber mehrere Accounts.

Im Internet haben die Prediger gesagt, warum wir Muslime viel besser sind als die Ungläubigen und gläubige Muslime ins Paradies kommen. Über TikTok habe ich auch andere kennengelernt, die so denken wie ich. Auch ein paar Freunde von mir waren dabei. Wir haben viel gechattet über die Religion, auch auf Instagram und Telegram. Wir haben uns viele Videos von Anschlägen angesehen und geschickt.

Ein Prediger, der war für den Islamischen Staat (IS), den habe ich mir sehr oft angesehen. Das hat mich überzeugt, ich wurde ein Anhänger vom IS, weil das die religiöseste Gruppe auf der Welt ist. Viele sagen, der IS habe auch unschuldige Menschen getötet. Aber das stimmt nicht, der IS tötet ausschließlich Ungläubige. Wir wollten auch so sein. Märtyrer. Dann habe ich einen Anschlag geplant.

Ich wollte so viele Ungläubige wie möglich ermorden. In der Früh habe ich mir das Messer gekauft. Leider habe ich kein Geld gehabt, sonst hätte ich mir eine Pistole besorgt. Ich wollte einen Bombengürtel am Körper vortäuschen, um den Leuten beim Anschlag mehr Angst zu machen.

Die Polizei sollte mich deswegen erschießen, damit ich als Märtyrer in den Himmel komme. Das Töten hätte mich ins Paradies gebracht, dort ist es schön und dort hätte ich keinen Streit mehr. Dann bin ich mit der U-Bahn losgefahren und wollte am Ziel angekommen gleich den Anschlag verüben. Aber dann hat mich der Mut verlassen.

Ich habe Angst bekommen, dass ich beim Anschlag selbst nicht getötet werde und deshalb nicht ins Paradies komme.«

Von der Welle zum Tsunami

»Ganz grob geschätzt gehe ich davon aus, dass sich jeder zehnte muslimische Bursch durch Hassprediger im Internet radikalisiert.«

prominenter Wiener Strafverteidiger, der auch Terrorverdächtige vertritt

Dieses Buch handelt von einer Welle, die unsere Gesellschaft bedroht: der Welle des digitalen Islamismus. Sie schwappt durch Social-Media-Plattformen in die Kinderzimmer, Klassenzimmer, Wohnzimmer, Parks. Aufgebaut während der Covid-Pandemie, wurde sie mit dem Angriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 zum Tsunami. Das kann man auch daran ablesen, dass sich die Zahl von islamistischen Anschlagsplänen seither verfünffacht hat.

»Allahs mächtige Influencer«: So nennen wir Online-Islamisten auf Social-Media-Plattformen wie TikTok, YouTube, Instagram, Snapchat oder Messenger-Diensten wie Telegram oder Signal, die im Namen der Religion die Gehirne einer ganzen Generation junger Muslime mit ihrem kruden und radikalen Islamverständnis vergiften wollen. Und sie verstärken einen neuen Trend unter Jugendlichen, zum Islam zu konvertieren. Betroffen ist also unsere Jugend als Ganzes.

Es sind Hassprediger mit Millionen Followern und Abermillionen Klicks. Diese »TikTok-Prediger« werden wie Popstars gefeiert und sind für viele Jugendliche Helden und Vorbilder.

Was sie alle eint: ihr Hass auf den liberalen Westen. Was sie glauben: Muslime sind Opfer und werden von einer imperialistischen und zionistischen Weltmacht unterdrückt. Was sie planen: ein Kalifat, wo alle Muslime nach den Regeln des Propheten Mohammed, mit der Scharia als Gesetz, wie vor 1.400 Jahren leben sollen.

Es sind »islamistische Influencer«, deren Islamverständnis mit dem Grundgesetz oftmals nicht vereinbar ist, die Menschen- und Frauenrechte mit Füßen treten.

Es sind digitale Zündler, die vom Staatsschutz als brandgefährlich eingestuft werden.

Über sechzig dschihadistische Terrorverdächtige wurden seit 2023 in Westeuropa verhaftet. Knapp zwei Drittel waren zwischen 13 und 19 Jahre alt. Tausende radikale Islamisten müssen in Ländern wie Deutschland, Österreich oder der Schweiz teils engmaschig von Staatsschützern beobachtet und überwacht werden.

Immer jünger, digitaler und radikaler: Das ist der alarmierende Trend hinter solchen versuchten oder tatsächlich durchgeführten islamistischen Anschlägen – von Solingen, Mannheim, München und Villach bis zum Taylor-Swift-Konzert in Wien.

Die Salafisten auf TikTok, Instagram und Co., um die es in diesem Buch geht, machen Jugendliche nicht per se zu Terroristen. Die Prediger selbst distanzieren sich in ihren Videos nicht selten von Gewalt und Terror und verstehen es geschickt, am Strafrecht vorbeizusurfen.

Doch ihre Ideologie wirkt wie eine Einstiegsdroge. Sie gehen in Frontalopposition zu westlichen Demokratien und treiben einen Keil zwischen junge Muslime und die Gesellschaft. Sie hetzen junge Muslime in Europa auf und drängen sie, sich vom ungläubigen und sündigen »Westen« abzuwenden. So stürzen sie diese Jugendlichen in schwere Identitätskonflikte, die besonders bei Personen mit brüchigen Biografien in Radikalisierung umschlagen kann – und im Extremfall in Terrorismus.

Netz-Prediger zersetzen die Gesellschaft, weil sie muslimische Jugendliche von ihren »ungläubigen« Mitmenschen trennen wollen. Das erhöht die Zahl potenzieller Gefährder, die nach der Einstiegsdroge bereit sind, immer weiter und weiter zu gehen.

Wir zeichnen in einem Selbstversuch nach, wie schnell man sich nach der islamistischen Gehirnwäsche auf Tik-Tok über andere Messengerdienste wie Telegram weiter radikalisiert. Und wie leicht es ist, dort von Rekrutierern des sogenannten Islamischen Staats entdeckt zu werden.

Das Gefährliche dabei: Online-Salafisten verkaufen ihren Extremismus als neue Normalität. Und zu viele muslimische Jugendliche kaufen ihnen das ab. Weil ihre Videos immer professioneller und ihre Propaganda immer ausgefeilter werden. Sie haben enormen Erfolg mit ihrer strikten Einteilung der Welt in »halal« (erlaubt) und »haram« (verboten). Gemäßigte Islamlehrer, Imame, Religionsexperten und Eltern müssen feststellen, wie ihr eigener Einfluss auf die junge Generation schwindet, weil sie von den Influencern abgehängt werden.

Unser alarmierender Befund: Für einen Teil der muslimischen Jugendlichen ist der radikale Islam der Online-Salafisten mittlerweile »Mainstream«.

Folgen Sie uns in die Welt der TikTok-Prediger

260 Videos oder 35 Minuten: So schnell soll es gehen, bis man nach TikTok süchtig wird. Für unsere Recherche zum Buch überschritten wir diese Suchtgrenze deutlich. Ein Jahr lang scrollten wir uns durch abertausende Videos, führten Interviews mit salafistischen Größen der Szene und stießen auf neue, bisher nicht bekannte Trends der Online-Radikalisierung.

Wir wurden nicht süchtig. Aber fündig. Wir beschreiben die Entwicklung der Szene von der ersten bis zur zweiten Generation an Online-Predigern, enthüllen das neue Phänomen der Schattenprediger in fremder Sprache und tauchen in die Welt der »Kopftuch-Influencerinnen« ein, die die Islamisierung auf eine verschleierte Art und Weise vorantreiben. Der Islamismus im Netz ist neuerdings auch weiblich.

Auf unserer Reise durch die Welt der Netz-Salafisten und ihrer potenziellen Opfer haben wir mit deutschen und österreichischen Verfassungsschützern, Sozialarbeitern, Lehrern, Polizisten, Strafverteidigern, Extremismusforschern, Islam-Verbänden und liberalen Muslimen gesprochen. Und wir haben in dutzenden Terrorakten nachgelesen, um besser zu verstehen, welche Rolle TikTok-Prediger bei der Radikalisierung spielen.

Die einen sprachen offen mit uns und ließen sich zitieren. Die anderen wollten lieber anonym reden. Ihre geballte Expertise floss in das Buch ein. Ihnen allen wollen wir bereits an dieser Stelle ganz herzlich für ihre Courage danken.

Muslime, es geht um eure Kinder!

»Sie« gegen »uns«, »der Westen« gegen »Muslime«. Das ist die spaltende Erzählung der Online-Islamisten. Sie ist erstaunlich deckungsgleich mit jener der Rechtsextremen, die Europa längst im Kulturkrieg mit dem Islam wähnen und deswegen auf »Remigration« drängen. Beide Seiten verwischen die Grenze zwischen Islam und Islamismus ganz bewusst.

Wir wollen diese Grenze immer wieder deutlich ziehen – gerade in Zeiten, in denen die Gesellschaft wegen der Zuwanderungsdebatte massiv nach rechts rückt und es wieder Mode wird, Muslime nicht als Teil der Gesellschaft anzusehen. Spätestens seit den Gastarbeiterwellen aus der Türkei der 1960er und 1970er Jahre sind sie ein Teil der deutschen und österreichischen Gesellschaft – ein fundamentaler, weil sie daran mitgebaut haben.

Mit Respekt vor der Religionsfreiheit von Muslimen werfen wir das Schlaglicht auf jene radikale Minderheit, die den Islam dafür missbrauchen, andere Muslime oder Nichtmuslime als »Ungläubige« abzuwerten; die hart erkämpfte Werte wie Gleichberechtigung oder Minderheitenrechte negieren; die junge Muslime vom »unreinen« Westen entfremden und in ihren Kulturkrieg hineinziehen wollen; die Religion über den Staat stellen, in dem sie leben oder – wie wir zeigen werden – von dem sie leben.

Dieses Buch ist eine Antithese zum »Sie oder Wir«.

Es richtet sich an alle Menschen, die Jugendliche vor der islamistischen Gefahr schützen wollen. Vor allem auch an Muslime selbst, die in manchen Stadtvierteln, Kindergärten, Schulen und Parks bereits die Mehrheit stellen. Ohne sie ist der Kampf gegen die Indoktrinierung der Jugend über Social Media nicht zu gewinnen.

Es ist ein Weckruf: Muslimische Eltern müssen schleunigst ein neues Bewusstsein entwickeln, wie schnell sie ihren Nachwuchs an radikale Salafisten verlieren können. In manchen Fällen für immer.

Islam-Verbände müssen sich viel klarer und lauter von Hasspredigern und deren extremistischen Lehren abgrenzen, anstatt sich vor innermuslimischen Kontroversen zu drücken. Oder die Grenzen zum Islamismus bewusst fließend zu halten.

Säkulare Muslime sollten sichtbarer und lauter werden, damit sich erzkonservative bis salafistische Prediger nicht mehr als Vertreter aller Muslime (»der Umma«) ausgeben können. Damit die Vielfalt im Islam für Nicht-Muslime wieder sichtbarer wird. Und der Glaube an die gemeinsame Gesellschaft wieder stärker wird.

Es braucht ein neues Problembewusstsein quer durch die Bevölkerung. Denn lassen wir das Gift der Online-Islamisten weiterhin ungebremst in die muslimische Gesellschaft einsickern, verlieren wir einen Teil davon. Und dann wird es für die liberale Demokratie – eingeklemmt zwischen radikalen Islamisten und Rechtsextremen – richtig eng.

Dass dieses Buch überhaupt notwendig ist, liegt an den Fehlern in der Vergangenheit. Wir zeigen ein multiples Integrationsversagen auf allen Ebenen der Gesellschaft schonungslos auf, um einen klaren Blick für Lösungen zu bekommen. Am Ende stellen wir einen »12-Punkte-Plan gegen Online-Radikalisierung« zur Diskussion.

Kapitel1Die TikTok-Terroristen aus dem Kinderzimmer

Im weißen Pullover, die dunklen Haare zu zwei Zöpfen geflochten, wirkt das Mädchen beinahe unscheinbar, das im Herbst 2024 im Landesgericht der steirischen Hauptstadt Graz auf der Anklagebank sitzt. Amira (Name geändert) feierte gerade ihren 14. Geburtstag. Sie wirkt fast noch kindlich, spricht aber mit fester Stimme. Normalerweise sollte ein Mädchen in ihrem Alter an diesem Tag mit ihren Klassenkameraden in der Schule sitzen, sich am Nachmittag mit Freundinnen in der Innenstadt treffen und abends nach den Hausaufgaben vielleicht noch eine Serie auf Netflix schauen.

Amira soll aber die nächsten zwei Jahre im Gefängnis verbringen. Sie wurde wegen der Teilnahme an einer terroristischen Organisation nicht rechtskräftig verurteilt: Die 14-Jährige habe dem sogenannten Islamischen Staat (IS) die Treue geschworen, so die Urteilsbegründung. Auf einem Video aus ihrem Kinderzimmer ist sie vollverschleiert zu sehen, wie sie den IS-Treueschwur ablegt. Amira habe geplant, in der steirischen Landeshauptstadt einen terroristischen Anschlag zu verüben, um »Ungläubige« zu töten. Dafür habe sie sich auch Waffen besorgt, so die Staatsanwältin.

Amira wurde im ehemaligen Jugoslawien geboren. Ihre Eltern ließen sich scheiden, die Mutter ging mit ihr nach Graz. Sie besuchte die Schule, die neue Heimat blieb ihr aber fremd. Sie sei gehänselt und gemobbt worden, heißt es. Amira fühlte sich einsam, hatte keine Freunde. Sie zog sich immer mehr zurück, verbrachte viel Zeit in ihrem Kinderzimmer. Sie war stundenlang am Handy, saß vor dem Computer. Halt fand sie in der Religion, im Islam. Amira setzte sich ein Kopftuch auf, zog sich muslimisch an, fing an zu beten. Amira kippte über ihr Smartphone nach und nach in eine virtuelle radikale Glaubenswelt, da war sie gerade mal 13 Jahre alt.

Auf TikTok begann sie salafistischen Predigern zu folgen. Sie chattete viel, legte eigene Profile an, sie teilte islamistische Inhalte, die immer radikaler wurden. Amira machte auf TikTok auf sich aufmerksam, sie war in regem Austausch mit anderen Nutzern. In einem Chat soll sie geschrieben haben, dass der IS nicht gut sei, weil er Menschen töte. Sie wurde von einem 15-jährigen Mädchen aus Düsseldorf korrigiert, das den IS verteidigte. Dieser Chat setzte die Radikalisierungsspirale bei Amira offenbar endgültig in Gang. Das Mädchen war gefangen in einer islamistischen Propaganda-Maschinerie.

Auf ihrem Handy sollte die Polizei später mehr als 4.000 Videos des »Islamischen Staats« (IS) sichern. Es sind grauenhafte und brutale Bilder von Hinrichtungen und Kampfhandlungen. Mit ihrer IS-Freundin aus Deutschland wälzte Amira erste Anschlagspläne. Sie wolle einen Bombenanschlag verüben und mit Messern Menschen töten, schreibt sie in einem Chat. Amira besorgte sich dafür auch Waffen. Unter ihrem Bett wurden später Messer gefunden.

Die Mädchen konkretisierten ihre Anschlagspäne. Sie hatten auch vor, zum IS nach Syrien auszureisen. »Ich dachte, dort sind Leute, mit denen ich wohnen kann, die nett sind. Dort gibt es keine Gesetze, das macht alles der IS. Das ist ein Gottesstaat, ein islamischer Staat«, sagt sie im Prozess. Sie wusste offenbar nicht einmal, dass dieser »IS-Staat« in dieser Form gar nicht mehr existierte.

Das Mädchen aus Düsseldorf war schon länger auf dem Radar des deutschen Verfassungsschutzes. Im April 2024 wurde sie verhaftet. Gemeinsam mit drei anderen Teenagern soll sie laut Staatsanwaltschaft Anschläge auf Kirchen, Gerichtssäle, Bahnhöfe und Polizeireviere geplant haben. Amira machte weiter, sie kam in Kontakt mit einem gewissen »Omar«. Sie schrieb ihm, dass sie eine Bombe legen oder mit einem Messer auf Passanten losgehen möchte.

Omar gab ihr Ratschläge, wie und was sie machen könnte. Sie chatteten in geheimen Gruppen. Omar war offenbar ein IS-Scout, der das Netz nach willigen Opfern durchkämmte und sie weiter radikalisierte. Amira schrieb Omar, dass sie sich beeilen müsse, da ihre Partnerin in Deutschland verhaftet worden sei und auch sie Angst habe, entdeckt zu werden. Sie schrieb Omar auch, dass sie mit einem Sprengstoffgürtel Kirchen oder Supermärkte ins Visier nehmen könnte.

Wie sie denn auf die Idee mit den Bomben und Messeranschlägen gekommen sei, fragt die Richterin beim Prozess. Da sei es um den Terroranschlag 2020 in Wien gegangen, antwortet Amira. »Da wurden Menschen mit einer Waffe getötet.«

»Und wie haben Sie das gesehen?«, fragt die Richterin.

»Ich habe gedacht, stark, dass die das machen, weil das mit dem IS zu tun hat. Ich habe gedacht, alles, was mit dem IS zu tun hat, ist der richtige Weg.«

Amira wurde am 14. Mai 2024 in Graz festgenommen und kam in Untersuchungshaft. Der entscheidende Hinweis kam aus Deutschland. Die Chats mit ihrer IS-Freundin brachten die Polizei auf Amiras Spur. Vor Gericht beteuert sie ihre Unschuld, sagt, dass sie nie vorhatte, Menschen zu töten, dass sie das alles nicht so gemeint habe.

Auf ihrem Computer fand die Polizei als Bildschirmhintergrund ein Foto des Wiener Attentäters Kujtim F., der am 2. November 2020 in der Wiener Innenstadt vier Menschen ermordet hatte. Es war der bis dahin schlimmste Terroranschlag in der Geschichte des Landes. Der in Österreich geborene Kujtim F., dessen Eltern aus Nordmazedonien zugewandert waren, war offenbar Amiras Idol und Vorbild.

Die neue Terrorwelle

Der Fall Amira löste Entsetzen aus: ein Kind, das mit Messern und Bomben »Ungläubige« töten wollte. Doch die 14-jährige Grazerin ist kein Einzelfall. Immer mehr Teenager radikalisieren sich im Internet. Experten wie der deutsche Extremismusforscher Peter Neumann sprechen mittlerweile vom Phänomen der »TikTok-Terroristen«. Von den mindestens sechzig dschihadistischen Terrorverdächtigen, die seit 2023 in Westeuropa verhaftet wurden, waren fast zwei Drittel zwischen 13 und 19 Jahre alt.

Seit 2023 hat es 22 versuchte dschihadistische Anschläge in Europa gegeben, acht wurden durchgeführt. Elf Menschen wurden dabei getötet, dutzende schwer verletzt. Nach dem 7. Oktober 2023, als die Hamas in Israel mehr als 1.300 Menschen bestialisch ermordete, gab es fünfmal mehr Anschlagspläne in Europa als vor dem Angriff.

Verfassungsschützer warnen schon länger, dass der islamistische Terrorismus nach der großen Welle ab dem Jahr 2015 in neuer Form zurückgekehrt ist. Vor allem sei das Risiko religiös motivierter Anschläge durch den Israel-Hamas-Krieg dramatisch gestiegen. Es sind nicht mehr die von langer Hand geplanten großen Attentate, wie beispielsweise in Frankreich im Jahr 2015, als in einer Konzerthalle dutzende Besucher von IS-Terroristen ermordet wurden. Die Sicherheitsbehörden konnten in ganz Europa die Strukturen und Netzwerke, vor allem des IS, weitgehend zerschlagen. Als bedrohlicher wird mittlerweile der IS-Ableger Islamischer Staat – Provinz Khorasan (ISPK) eingestuft. Hier befürchten Staatsschützer in ganz Europa einen gezielten und größeren Anschlag, wie etwa in Moskau im März 2024 in einer vollbesetzten Konzerthalle mit über 130 Toten.

Doch derzeit sind Einzeltäter die größte Gefahr. Sie agieren losgelöst von organisierten Terrorzellen und radikalisieren sich selbst im Internet beziehungweise über Social-Media-Plattformen.

Diese Personen stehen auf keiner Gefährderliste und sind für Behörden nur schwer zu fassen, weil sie oft nicht auffallen – wie etwa die Attentäter in Solingen und Mannheim im Jahr 2024 oder in München und in Villach Anfang des Jahres 2025. Die Flüchtlinge aus Syrien und Afghanistan hatten die deutschen und österreichischen Behörden nicht auf ihrem Radar. Sie haben sich im stillen Kämmerlein über das Internet radikalisiert. Viele Attentäter radikalisieren sich oft binnen weniger Wochen.

Am Ende ihrer Radikalisierungsspirale landeten sie beim IS und der Terrororganisation Al-Qaida. Auf ihren Handys und Computern wurden einschlägige Videos gefunden. Der Attentäter von Solingen hatte vor der Tat ein Bekennervideo aufgenommen, in dem er dem IS die Treue schwört und ankündigt, dass er aus »Rache für Palästina« Menschen abschlachten werde. Er ermordete drei Menschen bei einem Stadtfest mit einem Messer und verletzte weitere Personen schwer. Beim Anschlag in Mannheim wurde ein Polizist mit einem Messer getötet und eine weitere Person schwer verletzt. In München raste der 24-jährige afghanische Attentäter mit seinem Auto in einen Demonstrationszug, dabei wurden ein zweijähriges Mädchen und seine Mutter getötet, vierzig weitere Menschen wurden schwer verletzt. In Villach stach ein 23-jähriger Syrer wahllos auf Menschen ein. Ein 14-jähriger Schüler wurde dabei getötet, mehrere Personen teils schwer verletzt.

Terror-Scheichs und IS-Rekrutierer sind längst nicht mehr auf dunkle Hinterhofmoscheen angewiesen, sie kommen über das Internet überallhin. Heute reicht ein Smartphone aus, um in den »Heiligen Krieg« zu ziehen. Wer im Netz sucht, der findet – dank Algorithmus. So ist die Terror-Anleitung nur ein paar Wischer und Klicks entfernt.

Jünger, digitaler, radikaler

Wie bedrohlich der Einfluss aus dem Internet auf junge Menschen mittlerweile ist, lässt sich nicht nur an den vielen Terroranschlägen, sondern auch an der Liste zu Terror-Ermittlungen und Verhaftungen von Teenagern in den vergangenen Monaten ablesen. Bei ihrer Radikalisierung spielten Internet-Dienste wie TikTok, Instagram oder Telegram eine wesentliche Rolle. Einige Beispiele:

In Wien wurde Ende Februar ein 14-jähriger Schüler verhaftet. Er plante einen Anschlag auf den Westbahnhof. Er radikalisierte sich über TikTok. In seiner Wohnung wurden Waffen sichergestellt.

Im Oktober 2024 wurde in Deutschland ein 16-Jähriger verhaftet, der Anschläge mit LKWs auf Weihnachtsmärkte geplant haben soll, auch soll er über das Internet Bombenteile bestellt haben.

Im September 2023 stand ein damals 16-Jähriger mit gezücktem Messer am Wiener Hauptbahnhof und wollte wahllos auf Passanten einstechen. Kurz vor seiner Tat hat ihn der Mut verlassen. Er flüchtete in eine Moschee, wo ihn schließlich eine Spezialeinheit festnehmen konnte. Nach seiner Haft soll der Teenager dort weitergemacht haben, wo er aufgehört hatte. Er soll IS-Ideologie über soziale Medien verbreitet und versucht haben, sich mit IS-Sympathisanten zu verbünden. Er wurde im Herbst 2024 erneut verhaftet. Es gilt die Unschuldsvermutung.

In Niederösterreich wurden 2024 und 2025 mehrere IS-Netzwerke ausgehoben. Die rund fünfzig Jugendlichen sind zwischen 13 und zwanzig Jahren alt und verbreiteten über TikTok und anderen Plattformen IS-Videos und antisraelische Hetze. Einige davon legten online den IS-Treuschwur ab. Darunter waren nicht nur migrantische Muslime, sondern auch österreichische Mädchen und Burschen aus gutbürgerlichem Haus, die zum Islam konvertierten. Gegen sie wird wegen Terrorverdacht ermittelt.

Im Juli 2024 wurde ein 25-jähriger Dschihadist zu einer erneuten Gefängnisstrafe verurteilt. Er versuchte aus der Gefängniszelle heraus, Gleichgesinnte zu finden, die bereit zu einem Selbstmordanschlag wären. Vor Jahren wollte er einen minderjährigen Deutschen dazu drängen, sich auf einem Weihnachtsmarkt in die Luft zu sprengen. Das hätte beinahe funktioniert. Dafür fasste der junge Mann 2018 eine neunjährige Haftstrafe aus.

In Zürich stach im März 2024 ein 15-Jähriger auf einen orthodoxen Juden ein und verletzte ihn schwer. Er soll: »Ich bin Schweizer. Ich bin Muslim. Ich bin hier, um Juden zu töten!«, gerufen haben.

Für Entsetzen sorgte auch der missglückte Anschlag eines 18-jährigen Österreichers mit bosnischen Wurzeln auf das Dokumentationsarchiv und das israelische Generalkonsulat in München im vergangenen Jahr. Mit einem Gewehr aus dem Ersten Weltkrieg gab er mehrere Schüsse auf die Gebäude ab. Als er auf die eingetroffene Polizei zielte, erwiderte diese das Feuer und tötete ihn. Auf seinem Handy und seinem Computer fanden die Ermittler islamistische Videos. Emrah I. war im Unterschied zu vielen anderen Teenie-Terroristen den Behörden schon länger als Anhänger der militant-islamistischen Miliz HTS bekannt, die heute in Syrien an der Macht ist – eine Nachfolgeorganisation von Al-Qaida.

Auf einer Computerspielplattform soll er die Rolle eines Al-Qaida-Kämpfers eingenommen haben. Der damals 14-Jährige habe online Hinrichtungsszenen nachgespielt, sein Avatar soll dabei unter anderem »Allahu Akbar« gerufen haben. Deswegen war er mit einem Waffenverbot belegt worden.

Taylor Swift und der Islamist aus Ternitz

Exemplarisch für die Gefährlichkeit der neuen TikTok-Terroristen ist der Fall Beran A. Dem jungen Mann aus Ternitz (Niederösterreich) mit nordmazedonischen Wurzeln wurde vorgeworfen, als 19-Jähriger im Sommer 2024 einen Anschlag auf das Taylor-Swift-Konzert in Wien geplant zu haben. Zu Druckschluss des Buches steht der Prozess noch aus, es gilt die Unschuldsvermutung. Zwei Tage vor dem geplanten Anschlag konnte er verhaftet werden. Ein Hinweis des US-Geheimdiensts führte den Staatsschutz auf seine Spur. In seiner ersten Vernehmung erklärte Beran A., er habe »so viele Menschen wie möglich töten« wollen.

Beran A. war allerdings kein zurückgezogener Einzelgänger, wie es in den ersten Berichten dargestellt wurde. Er war über Jahre in ein Netzwerk von jungen Islamisten eingebunden, die sich binnen weniger Monate radikalisierten. Sie konsumierten massenhaft Inhalte von Hasspredigern auf TikTok und Telegram, sie schauten sich IS-Tötungsvideos in Dauerschleife an, sie suchten Kontakt über geheime Chatgruppen zu IS-Mitgliedern. Und sie waren fest dazu entschlossen, im Namen Allahs unschuldige Menschen zu töten – und selbst dabei zu sterben.

Mitte 2023 soll Beran A. mit zwei anderen IS-Anhängern einen Horrorplan geschmiedet haben, einen Anschlag auf Moscheen zur gleichen Zeit in Dubai, Mekka und Istanbul.

Beran A. sollte in den Vereinigten Arabischen Emiraten vor einer Moschee einen Soldaten töten und anschließend mit dessen Revolver »auf Menschen in der Umgebung schießen«, wie es in seiner Aussage heißt. Im letzten Moment habe er aus Angst zurückgezogen, wie auch der dritte Islamist, der in Istanbul zuschlagen hätte sollen.

Der zwanzigjährige Hasan E., der aus einer kleinen Gemeinde in Niederösterreich stammt, hielt sich an den Plan. Er stach in Mekka vor der Al-Haram-Moschee mit einem Messer einem Sicherheitsbeamten in den Hals und verletzte ihn lebensgefährlich. Danach soll er weitere Männer und eine Frau angegriffen haben, eher er von Einsatzkräften überwältigt und festgenommen werden konnte.

Warum die drei jungen Männer in muslimischen Ländern vor berühmten Moscheen zuschlagen wollten? Die Orte gelten für radikale Islamisten und Dschihadisten als »Symbole des Bösen«, weil sie auch von Touristen und von »Ungläubigen« besucht werden können. Diese heiligen Stätten würden so »entehrt«.

Zurück in Österreich plante Beran A. noch etwas Größeres: ein Attentat mit dutzenden Toten mitten in Europa.