Alle drei Tage - Laura Backes - E-Book

Alle drei Tage E-Book

Laura Backes

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Beschreibung

Weit über 100 getötete Frauen allein in Deutschland pro Jahr: Morde, über die niemand spricht

Jeden Tag versucht in Deutschland ein Mann, seine Frau umzubringen. Alle 3 Tage wird eine Frau von ihrem Partner oder Ex-Partner getötet. Hinzu kommen die Morde an Frauen durch ihnen unbekannte Täter. Diese Verbrechen sind keine Ehrenmorde oder Beziehungstaten, sondern Femizide: Morde, die an Frauen verübt werden, weil sie Frauen sind. Laura Backes und Margherita Bettoni zeigen in diesem aufrüttelnden Buch, dass die Tötung von Frauen aufgrund ihres Geschlechts auch bei uns ein ernsthaftes gesamtgesellschaftliches Problem ist. Als Familientragödien verharmlost, bleiben viele Frauenmorde verborgen und verdecken die patriarchalen Macht- und Gewaltmuster, die sich tief durch unsere Gesellschaft ziehen. Die beiden Journalistinnen haben mit Überlebenden gesprochen, Experten befragt, die Motive männlicher Gewalttäter untersucht und ihre grausamen Taten hier rekonstruiert. Ihre schockierende Analyse zeigt, dass Femizide uns alle angehen und warum wir jetzt handeln müssen.

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Seitenzahl: 260

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Zum Buch

Jeden Tag versucht in Deutschland ein Mann, seine Frau umzubringen. Alle drei Tage wird eine Frau von ihrem Partner oder Ex-Partner getötet. Hinzu kommen die Morde an Frauen durch ihnen unbekannte Täter. Diese Verbrechen sind keine Ehrenmorde oder Beziehungstaten, sondern Femizide: Morde, die an Frauen verübt werden, weil sie Frauen sind. Laura Backes und Margherita Bettoni zeigen in diesem aufrüttelnden Buch, dass die Tötung von Frauen aufgrund ihres Geschlechts auch bei uns ein ernsthaftes gesamtgesellschaftliches Problem ist. Als Familientragödien verharmlost, bleiben viele Frauenmorde verborgen und verdecken die patriarchalen Macht- und Gewaltmuster, die sich tief durch unsere Gesellschaft ziehen. Die beiden Journalistinnen haben mit Überlebenden gesprochen, Experten befragt, die Motive männlicher Gewalttäter untersucht und ihre Taten rekonstruiert. Eindrücklich zeigen sie, dass Femizide uns alle angehen – und warum wir jetzt handeln müssen.

Zu den Autorinnen

Laura Backes, geboren 1987 im Saarland, hat Politik und Philosophie in Deutschland und Frankreich studiert. Die Autorin lebt in Hamburg und arbeitet seit 2016 beim SPIEGEL, zuerst im Ressort Deutschland, inzwischen als stellvertretende Ressortleiterin in der Kultur. Sie hat regelmäßig über sexuelle Gewalt und Gewalt gegen Frauen berichtet.

Margherita Bettoni, geboren 1987 in Italien, ist Investigativjournalistin mit den Schwerpunkten Organisierte Kriminalität und sexualisierte Gewalt. Sie ist Co-Autorin der Bücher »Die Mafia in Deutschland. Kronzeugin Maria G. packt aus« (Econ, 2017) und »Corona: Geschichte eines angekündigten Sterbens« (dtv, 2020). Für ihre Recherchen hat sie den Marlies-Hesse-Nachwuchspreis, den Migration Media Award und den Grimme Online Award gewonnen.

Besuchen Sie uns auf www.dva.de

LAURA BACKES UND MARGHERITA BETTONI

ALLEDREITAGE

WARUM MÄNNER FRAUEN TÖTEN UND WAS WIR DAGEGEN TUN MÜSSEN

Deutsche Verlags-Anstalt

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen. Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

Copyright © 2021 by Deutsche Verlags-Anstalt, München in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Straße 28, 81673 München, und SPIEGEL-Verlag Rudolf Augstein GmbH, Hamburg, Ericusspitze 1, 20457 Hamburg Umschlaggestaltung: Favoritbuero, München Satz und E-Book Konvertierung: GGP Media GmbH, Pößneck ISBN: 978-3-641-27111-4V001www.dva.de

Triggerwarnung: Das folgende Buch enthält Schilderungen sexualisierter Gewalthandlungen, die belastend und retraumatisierend wirken können.

Für alle Frauen, die sich weltweit für Frauenrechte engagieren

Inhalt

Vorwort

Protokoll 1 »Seit meiner Aussage schlafe ich endlich wieder besser.«

Kapitel 1 Femizide: Die meisten Taten folgen einem Muster

Kapitel 2 Welche Männer zu Tätern werden: Biografische Erfahrung und Besitzansprüche

Protokoll 2 »Ich habe Angst vor dem Tag, an dem er aus dem Gefängnis kommen wird.«

Kapitel 3 Die Angehörigen: Wenn der Vater zum Täter und die Schwester zum Opfer wird

Protokoll 3 »Aus heutiger Sicht hätte ich mir früher Hilfe holen sollen.«

Kapitel 4 Zeit für eine neue Rechtsprechung

Protokoll 4 »Ich habe angefangen, mich selber zu lieben.«

Kapitel 5 »Beziehungsdrama«: Die Berichterstattung über Femizide ist oft verharmlosend

Protokoll 5 »Der Staat schützt uns Frauen nicht.«

Kapitel 6 Femizide – ein weltweites Problem: Was wir von anderen Ländern lernen können

Kapitel 7 Ein weiter Weg: Was in Deutschland  getan wird und was noch zu tun ist

Dank

Literaturverzeichnis

Vorwort

Sie waren in Paris zusammengekommen, um ihrer Wut und ihrer Empörung Ausdruck zu verleihen. Die rund 49 000 Demonstrant: innen, die am 23. November 2019 von der Place de l’Opéra bis zur Place de la Nation vorbeizogen, skandierten laut: »Solidarität mit all den Frauen auf der Welt!« Manche von ihnen hatten sich rote Tränen auf die Wangen gemalt, andere trugen Plakate mit Sprüchen wie »Für die Schmerzen und das Blut hat eine Frau schon ihre Tage« oder »Wir sind der Schrei derer, die keine Stimme mehr haben« bei sich. Auf einigen Plakaten waren Frauennamen zu lesen – die der 116 Frauen, die zwischen Januar und November 2019 in Frankreich von ihren (Ex-)Partnern ermordet worden waren. Die Menschen, die an jenem Novembertag die Straßen der Pariser Innenstadt säumten, waren alt, jung, weiblich, männlich, divers – und vereint in einem Ziel: gegen sexualisierte Gewalt und Morde an Frauen zu protestieren.

Auch in anderen europäischen Ländern, etwa in Spanien und Italien, gingen damals – wie jedes Jahr rund um den Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen am 25. November – Zehntausende auf die Straße, um zu protestieren. Und in Deutschland? Dem Aufruf eines Berliner Frauenzentrums zu Protesten folgten gerade einmal 1000 Menschen. Auch bei Demonstrationen und Kundgebungen in anderen deutschen Großstädten blieben Aktivist: innen eher unter sich. Die breite Gesellschaft schien kein großes Interesse an dem Thema zu haben.

Zwar wird das Thema allmählich auch hier präsenter, aber wirklich geändert hat sich in Deutschland in den vergangenen anderthalb Jahren wenig. Und das liegt keinesfalls daran, dass das Problem hierzulande nicht existiert – im Gegenteil.

Alle drei Tage. Der Titel dieses Buches ist Ausdruck einer dramatischen Statistik. An ungefähr jedem dritten Tag im Jahr 2019 hat ein Mann in Deutschland seine (Ex-)Partnerin getötet. Noch schlimmer: Ungefähr einmal pro Tag hat ein Mann seine (Ex-)Partnerin angegriffen, um sie zu töten. Dabei war 2019 kein besonders grausames Jahr. Diese Zahlen sind in Deutschland Normalität. 2018 wurden 122 Frauen von ihrem (Ex-)Partner getötet, 2017 waren es 147.

In diesem Buch geht es um ein Problem, das in Deutschland selten thematisiert wird – und wenn, dann in aller Regel unzureichend. Wenn Medien über die Fälle berichten, sprechen sie oft von Beziehungsdramen oder Familientragödien, vor allem dann, wenn auch Kinder ermordet werden. In der Forschung ist mal von Partnertötung, mal von Trennungstötung die Rede. Wir, die Autorinnen dieses Buches, haben uns für einen anderen Begriff entschieden: Femizide. Dieser Begriff hat sich in vielen Ländern der Welt längst durchgesetzt und bezeichnet die Ermordung von Frauen aufgrund ihres Geschlechts oder wegen bestimmter Vorstellungen von Weiblichkeit.

Worte wie Trennungstötung oder Partnertötung sind an sich nicht falsch. Die beiden Beteiligten, Täter und Opfer, waren oft Partner, es war also kein Fremder, der die Frau erschlug, erschoss oder verbrannte. Häufig geschehen diese Taten während oder nach der Trennung. Problematisch an diesen Worten ist aber, dass sie ein essentielles Detail verschweigen: Die Opfer sind in der Regel Frauen, die Täter meistens Männer. Diese töten »ihre« Ehefrauen, »ihre« Verlobten, »ihre« Ex-Freundinnen, weil sie sie nicht gehen lassen, sondern sie besitzen wollen. Sie töten die Frauen auch, weil sie Frauen sind. Diese Tötungen sind keine Einzelfälle, sondern Ausdruck eines strukturellen Problems der gesamten Gesellschaft. Weltweit. Im Begriff Femizid sind all diese Dimensionen enthalten.

Das Wort ist die Übersetzung des englischen Begriffes femicide. Seine heutige Bedeutung ist der südafrikanischen Soziologin Diana Russell zu verdanken. In Brüssel versammelten sich 1976 über 2000 Frauen aus 40 Ländern für ein viertägiges historisches Ereignis: Das Internationale Tribunal zu Gewalt gegen Frauen. Das Ziel: Aufmerksamkeit für all die Verbrechen zu schaffen, die Frauen weltweit erleiden mussten. In ihrer Rede sprach Russell von femicide, von Morden an Frauen, weil sie Frauen sind. Sie wollte eine Alternative zum geschlechtsneutralen Wort homicide, Mord, finden, um zu betonen, dass bei Femiziden das weibliche Geschlecht der Opfer zentral ist. In Deutschland hat sich der Begriff auch 44 Jahre später noch nicht durchgesetzt. Erst seit 2020 steht er im Duden – immerhin ein kleiner Fortschritt.

Wie breit man Femizide fassen kann, zeigt die Vienna Declaration on Femicide der Vereinten Nationen. Sie wurde im Rahmen eines Symposiums im UN-Büro in Wien erarbeitet. Demnach sind nicht nur Frauentötungen durch einen (Ex-)Partner Femizide, sondern auch sogenannte »Ehrenmorde« oder Tötungen von Frauen und Mädchen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung. Auch weibliche Infantizide und Fetizide, also die Tötung von Kindern und die Abtreibung weiblicher Babys oder Föten aufgrund ihres Geschlechts, zählen dazu. Das ist zum Beispiel in Indien ein großes Problem. Daten der indischen Regierung zufolge gehen dort jährlich zwei Millionen Mädchen »verloren«. Sie werden abgetrieben, nach der Geburt umgebracht oder sterben an Vernachlässigung oder unzureichender Ernährung, weil ihre Eltern sich lieber einen männlichen Nachkommen gewünscht hatten. Auch Frauen, die an den Folgen einer Genitalverstümmelung sterben, zählen laut der Vienna Declaration zu den weltweiten Femizidfällen. Genauso Frauen, die selbst heutzutage in manchen Ländern noch der Hexerei bezichtigt und deshalb getötet werden.

Es ist wichtig, all diese Femizidformen zu bedenken, wenn man das Problem auf einer weltweiten Skala analysiert. In diesem Buch konzentrieren wir uns jedoch auf Femizide im Rahmen einer (Ex-)Partnerschaft. Diese Art des Femizids kommt in Deutschland statistisch gesehen am häufigsten vor. Wir sprechen in der Regel von »Männern« und »Frauen« – verstehen das aber nicht im zweigeschlechtlichen Sinn. Denn wir sind uns zum einen bewusst, dass das Problem genauso trans* Frauen und trans* Mädchen betrifft. Zum anderen wissen wir, dass geschlechtsspezifische Gewalt sich auch gegen Menschen richtet, die sich als nichtbinär verstehen beziehungsweise sich nicht als Frauen identifizieren, aber von den Tätern als solche wahrgenommen werden.

Obwohl jeden dritten Tag eine Frau in Deutschland ermordet wird und es sich dabei um ein systemisches Problem handelt, werden Femizide in Deutschland immer noch zu wenig thematisiert, geschweige denn strukturell analysiert. Das Interesse von Politik und Behörden ist begrenzt. Das zeigt schon die prekäre Datenlage. Zwar veröffentlicht das Bundeskriminalamt (BKA) einmal im Jahr eine Statistik zum Thema Gewalt innerhalb der Partnerschaft. Dort wird auch aufgeführt, wie viele Männer ihre (Ex-)Partnerin getötet oder es versucht haben. Darüber hinaus gibt es aber keine öffentlich zugänglichen Daten. Nicht über Tatmotive, nicht über die Vorgeschichte der Paare. Dabei wären derlei Informationen notwendig, um Femizide besser zu verstehen – und um sie gezielt zu bekämpfen.

Das Bewusstsein dafür, dass es sich bei Femiziden nicht um Einzelfälle, sondern um eine gesellschaftliche Herausforderung handelt, ist hierzulande nach wie vor gering. Während die Politik in Spanien schon vor Jahren neue Femizidgesetze verabschiedet hat und Femizide dort und in anderen Ländern ganz selbstverständlich in den Abendnachrichten vorkommen, berichtet die Tagesschau nach eigenen Aussagen in der Regel nicht über das, was sie »Beziehungstaten« nennt.

Im Jahr 2018 haben wir, die Autorinnen dieses Buches, uns zum ersten Mal journalistisch mit dem Thema Femizid auseinandergesetzt. Laura arbeitete damals im Deutschlandressort des Magazins Der SPIEGEL. Zusammen mit anderen Kolleg: innen recherchierte sie mehrere Wochen lang zum Thema Partnerschaftsgewalt. Das Ergebnis war ein mehrseitiger Artikel mit dem Titel »Die Hölle daheim«. Unter anderem wurden darin die damals neu erschienenen Zahlen des Bundeskriminalamtes über Femizide innerhalb einer Partnerschaft thematisiert. Eine der Leitfragen des Artikels suchte Antworten darauf, warum der gewaltsame Tod von mehr als 100 Frauen im Jahr 2017 kaum jemanden in Deutschland aufzuregen schien.

Im selben Jahr reiste Margherita in ihr Heimatland Italien, um für das Schweizer Magazin Reportagen über einen Femizid zu recherchieren. In einem Dorf hatte ein 24-Jähriger seine 22-jährige Freundin erschossen und sich anschließend selbst das Leben genommen. Als die Eltern des Opfers den Stadtrat um eine Gedenktafel für ihre Tochter gebeten hatten, gingen die Meinungen in der Gemeinde darüber auseinander. Der Bürgermeister trat am Ende zurück, weil er den Eindruck hatte, seine Kolleg: innen und Mitbürger: innen sähen das Femizidproblem nicht ein.

Was uns beiden unabhängig voneinander damals auffiel, war, wie wenig das Thema Femizide auch in Deutschland thematisiert und analysiert wird. Wir tauschten uns über unsere Erfahrungen aus und beschlossen, ein Buch darüber zu schreiben.

Mit diesem Buch wollen wir umfassend über Femizide aufklären. Wir beginnen mit einer Einordnung des Tatherganges und suchen eine Antwort auf folgenden Fragen: Wer sind die Opfer? Wie laufen die Taten ab? Gibt es wiederkehrende Muster? Wir widmen uns der Täterforschung und gehen der Frage nach, ob es bei Femiziden einen besonderen Tätertyp gibt. Aber wir schauen auch auf das, was nach einem Femizid passiert, und fragen, wie es den Kindern, den Eltern und den Geschwistern eines Femizidopfers ergeht. Wir diskutieren, ob Femizide in Deutschland gerecht bestraft werden und ob die Behörden ausreichend ausgestattet sind. Zudem analysieren wir die Berichterstattung in deutschen Medien: Welche Fehler werden gemacht und wie könnte es besser gehen? Und wir richten den Blick ins Ausland, um zu sehen, wie andere Länder mit Femiziden umgehen. Zu guter Letzt versuchen wir Antworten auf die Grundfrage zu finden: Wie lassen sich Femizide vermeiden?

Um diese Fragen zu beantworten, haben wir Forschungsarbeiten aus verschiedenen Ländern gelesen und ausgewertet. Wir haben Bücher über Femizide, Gewalt gegen Frauen und Feminismus gelesen. Wir haben mit Expert: innen gesprochen, mit Forscher: innen, mit Jurist: innen und mit Mitarbeiter: innen von Frauenhäusern. Wir haben Gerichtsurteile angefordert und eingesehen, Verhandlungen selbst beigewohnt und Anfragen an die Landeskriminalämter und an das Bundeskriminalamt geschickt. Wir haben mit Angehörigen von Femizidopfern gesprochen – und mit einem Täter häuslicher Gewalt.

Eines unserer wichtigsten Anliegen war es, Frauen in den Mittelpunkt unseres Buches zu stellen. Wenn über einen Femizid in den Medien berichtet wird, liegt der Fokus häufig auf dem Täter. Man erfährt, was der Mann für ein Mensch war, welche Hobbys er hatte und welche Gefühle ihn vermutlich zum Mord bewegt haben. Wir dagegen möchten mit diesem Buch den Frauen eine Stimme geben. Zwischen den analytischen Kapiteln finden sich deshalb die Protokolle von fünf Frauen, die einen Femizidversuch überlebt haben. Das erste Protokoll folgt gleich nach diesem Vorwort. Die Frauen kommen in diesen Protokollen ausführlich zu Wort, erzählen, was sie erlebt haben, wie es ihnen nach der Tat ergangen ist und was sie anderen Frauen in Gewaltbeziehungen raten.

Diese Frauen ausfindig zu machen, war eine der größten Herausforderungen im Rahmen dieses Buchprojekts. Manche Frauen, die einen Femizidversuch überlebt haben, wollen diesen am liebsten nur vergessen. Zu groß ist der Schmerz, als dass sie das Geschehene noch einmal erzählen, noch einmal durchleben möchten. Manche Frauen haben Angst, mit ihrer Geschichte an die Öffentlichkeit zu gehen. Sie wissen, dass der Täter eines Tages freikommen wird, und fürchten seine Reaktion. Andere Frauen haben die Sorge, ihre Kinder könnten Nachteile erleben, wenn der Fall öffentlich verhandelt wird. Wieder andere befürchten, man könnte sie schnell verurteilen, etwa weil sie einen gewalttätigen Partner nicht früher verlassen haben. All diese Reaktionen sind verständlich.

Deshalb ist es wenig überraschend, dass viele unserer Interview-Anfragen abgelehnt wurden. Erfreulicherweise waren einige Frauen letztendlich doch bereit, mit uns zu sprechen. So konnten wir zum Beispiel Nadia Yousfi in der Kanzlei ihrer Anwältin persönlich treffen. Im Fall von Stefanie K. und Rania Idrissi nahmen wir an den Prozessen gegen die Täter teil und protokollierten – mit Einverständnis der beiden Frauen – ihre Aussagen vor Gericht. Kader K. und Vanessa Münstermann hatten sich schon vorher dafür entschieden, mit ihren Lebensgeschichten an die Öffentlichkeit zu gehen. Sie beide haben Bücher geschrieben, in denen sie die Femizidversuche ihrer Ex-Partner verarbeiten. Auch mit ihnen haben wir lange Interviews geführt.

All diese Treffen und Gespräche waren nicht leicht für uns. Wir haben uns vor den Terminen Fragen über den richtigen Umgang mit unseren Interview-Partnerinnen gestellt. Wie kann man jemanden bitten, die schrecklichsten Details des Geschehenen zu erzählen, ohne die Person dabei zu retraumatisieren? Wir sind sehr behutsam vorgegangen und hoffen, dass uns das gelungen ist. Auch emotional waren diese Gespräche sehr herausfordernd – wir hatten schließlich mit Frauen zu tun, die so alt wie wir oder kaum älter waren.

In den Protokollen sowie in den anderen Kapiteln werden Femizide oder Femizidversuche rekonstruiert. Dabei handelt es sich teilweise um drastische Schilderungen von Gewalt. Diese detailreichen Beschreibungen sind aus unserer Sicht notwendig, um die Tragweite der Taten zu erfassen. Denn vielen Femizidtätern geht es nicht nur darum, eine Frau umzubringen, sondern darum, sie regelrecht zu vernichten. Die Forschung beschreibt das als overkilling, Übertötung. Und dieses overkilling ist deutscher Alltag. Die Fälle mit allen dazugehörigen Details zu rekonstruieren, war nicht immer einfach; darüber zu lesen, wird bestimmt nicht leichter. Aber es ist wichtig, um zu verstehen, was in Deutschland, in Europa und in der Welt alltäglich ist.

Hamburg, im November 2020

Laura Backes und Margherita Bettoni

Protokoll 1

»Seit meiner Aussage schlafe ich endlich wieder besser.«

Stefanie K. ist 39 Jahre alt, lebt in Rostock und hat drei Kinder. Mit Christian B. war sie ein knappes Jahr zusammen. Wenige Wochen nach der Trennung stieß er sie während eines Streits aus dem Fenster. Als sie unten auf dem Boden lag, stach er ihr mit einem Küchenmesser in den Hals. Er ist angeklagt wegen versuchten Mordes.

An dem Tag im September 2020, als ich vor dem Landgericht Rostock gegen meinen Ex-Freund Christian B. aussagen sollte, wusste ich lange nicht, ob ich es wirklich schaffe. Mit ihm in einem Raum zu sitzen. Noch einmal zu erzählen, was er mir angetan hatte. Und das Ganze vor Publikum. Denn das öffentliche Interesse war groß, die Zuschauerreihen waren voll besetzt.

Gegen 13 Uhr betrat ich den Saal und sah Christian da neben seinem Anwalt sitzen. Er trug Fußfesseln. Zum Glück war eine Frau, die auf Prozessbegleitung spezialisiert ist, an meiner Seite. Im Zeugenstand saß sie direkt neben mir und redete mir immer wieder gut zu. Der Richter bat mich zu berichten, was am Abend des 1. März 2020 passiert ist. Er sagte: »Da müssen wir jetzt durch.« Ich stockte, holte tief Luft, dann erzählte ich, wie Christian versucht hatte, mich umzubringen.

Am 29. Februar hatte ich mich mit Freunden aus meinem Dartverein bei einer Faschingsparty verabredet. Wir hatten viel Spaß, ich teilte mir mit einer Freundin anderthalb Flaschen Sekt. Ich bemerkte einen Mann, nicht verkleidet, der mich immer wieder direkt ansah. Damals dachte ich mir nichts dabei. Kürzlich kam dieser Mann auf mich zu und entschuldigte sich. Er habe mir damals nichts Böses gewollt, er sei von Christian beauftragt worden, ein Auge auf mich zu haben. Woher Christian wusste, dass ich auf dieser Party war, weiß ich bis heute nicht.

Gegen vier Uhr nachts wollte ich nach Hause. Die Straßenbahn fuhr noch nicht, die Taxi-Hotline war besetzt, der nächste Bus sollte erst in einer Stunde kommen. Also rief ich Christian an. Er wohnte in der Nähe, vielleicht konnte ich bei ihm übernachten. Wir hatten uns zwar vor ungefähr vier Wochen getrennt, wollten aber eigentlich Freunde bleiben. Hintergedanken hatte ich keine. Es war vielleicht nicht die schlauste Idee in meinem Leben, aber ich war echt müde. Er ging nicht ran, also wartete ich auf den Bus.

Um kurz vor acht Uhr morgens rief Christian zurück. Als ich ihm erzählte, dass ich bei ihm hatte übernachten wollen, legte er sofort los. Er wisse, wo ich gewesen sei, sagte er wütend. Seine Leute hätten mich gesehen. Er behauptete mal wieder, ich hätte irgendwelche Männergeschichten am Laufen. Wieso ich ihm nicht gesagt hätte, dass ich ausgegangen war, fragte er. »Ich wollte nicht, dass du mir den ganzen Abend Nachrichten schickst, um mich zu kontrollieren«, sagte ich ehrlich. »Und ich weiß, wie der Abend verlaufen wäre, wenn du dabei gewesen wärst. Die Beschimpfungen. Die Handgreiflichkeiten.« Darauf hatte ich keine Lust gehabt. Ich bat ihn, mich erst einmal schlafen zu lassen. Er solle am Nachmittag vorbeikommen, dann könnten wir reden. Ich rechnete überhaupt nicht damit, dass da etwas passieren könnte.

Bereits gegen Mittag stand er vor meiner Tür. Er wollte über den Abend reden, wollte wissen, wieso ich ihn angelogen hätte, warf mir alle möglichen Affären vor. Dabei gab es die nicht, wirklich. Er hatte mir schon während unserer Beziehung immer wieder solche Vorhaltungen gemacht. Ich sei genauso wie seine Ex-Freundinnen. Ich würde genauso wie sie irgendwann fremdgehen und ihm das Geld abziehen. Keine Ahnung, von welchem Geld er da sprach. Wir redeten etwa eine halbe Stunde im Wohnzimmer, dann bat ich ihn wieder, später am Nachmittag vorbeizukommen. Er ging ohne Widerspruch und fuhr zu seinen Eltern.

Ich schlief noch mal eine Runde, dann schrieb ich ihm bei WhatsApp und erkundigte mich, wie es seinem Vater ging. Christian fragte gleich nach einem Treffen. Ich stimmte zu. Es klingelte gegen 18 Uhr. Er stand direkt vor der Wohnungstür, irgendwie war er ins Haus gekommen. Er war angetrunken, das merkte man, aber er behauptete, er habe nur ein, zwei Bier intus. Er war forsch, aufbrausend, ballte die Hände immer wieder zur Faust und tigerte umher. Er wusste offenbar nicht, wohin mit seiner Aggression. Ich zögerte, ließ ihn aber schließlich doch in die Wohnung. Wir gingen in die Küche, ich setzte mich wie immer auf die Fensterbank, um eine zu rauchen. Er legte sofort los, er habe mich gesehen, ich sei am Abend vorher nicht alleine gewesen. Der Streit spitzte sich zu. Ich fühlte mich bedroht, sagte: »Geh bitte, geh.« Als ich die Polizei rufen wollte, nahm er mir das Handy weg. Ich rief um Hilfe, rannte aus der Wohnung und klingelte bei meinem Nachbarn, doch Christian zog mich zurück in die Küche. Ich setzte mich auf die Fensterbank und wir stritten weiter. Dann machte er eine Schublade auf, suchte offenbar nach dem Brotmesser, fand aber nur die Schutzhülle. Er wühlte auf der Anrichte rum, fand es schließlich in der Spüle, und nahm es in die rechte Hand. Mit der linken Hand hielt er mich am Kragen und drückte mich aus dem Fenster. Ich versuchte, mich an seinen Arm zu krallen, schrie um Hilfe, flehte ihn an aufzuhören. Doch er reagierte nicht. »Warum? Warum?«, schrie er und: »Wenn ich dich nicht haben kann, dann auch kein anderer.« Dann ließ er mich fallen.

Ich erinnere mich noch, dass ich während des Falls dachte: ›Das kann nicht sein, er hat es wirklich getan.‹ Dann prallte ich etwa drei Meter weiter unten im Hinterhof mit dem Becken auf dem Steinboden auf. Zum Glück, muss man sagen. Ich hätte auch auf einen Zaun, einen Grill, eine Bank oder die Blumentöpfe der Nachbarn fallen können. Es war dunkel. Ich wollte aufstehen, aber das ging irgendwie nicht. Ich hatte Schmerzen. Gerade hatte ich es geschafft, mich aufzusetzen, da stand Christian vor mir, in der Hand das Messer. Er wollte mich hochziehen, doch das klappte nicht. Ich schrie wieder um Hilfe. Und er? Sagte nichts mehr, beugte sich über mich, packte mich an den Haaren, zog meinen Kopf nach hinten, setzte das Messer an und schnitt mir auf der rechten Seite quer über den Hals. Es ist ein glücklicher Zufall, dass die großen Halsgefäße nicht durchtrennt wurden.

Ich spürte sofort, wie das Blut herausströmte, alles wurde warm. Ich versuchte, die Wunde mit meinem Bademantelkragen zuzudrücken. Er schrie wieder: »Steh auf! Steh auf!« Ich stand tatsächlich auf, lehnte mich an den Zaun. Ich spürte, wie mir schwindelig wurde. Ich guckte in den Himmel, versuchte, meine Augen nicht zuzumachen, und dachte: ›Lieber Gott, lass es nicht vorbei sein.‹ Er versuchte immer wieder, mit dem Messer auf mich einzustechen, doch ich wehrte ihn ab, schrie: »Hör auf, hör auf!« Erst später merkte ich, dass er dabei tief durch meine linke Hand geschnitten hatte.

Auf einmal hörte ich die Stimme eines Nachbarn, der laut sagte: »Lass das! Hast du keine Ehre?« Später erfuhr ich, dass er Christian mit einem Brecheisen auf den Rücken geschlagen hatte, damit er von mir abließ. Ich drückte mit beiden Händen instinktiv die Halswunde ab. Ein Nachbar reichte mir ein Handtuch. Dann war die Polizei plötzlich da, zwei Frauen sagten zu mir: »Alles wird gut. Sie sind jetzt sicher.«

Auf dem Weg ins Krankenhaus war ich weiter bei Bewusstsein, ich weinte und sagte immer wieder: »Ich will zu meinen Kindern!« Ich hatte solche Angst, meine Kinder nicht mehr zu sehen. So eine Angst, dass noch was Schlimmeres passiert. Im OP setzte man mich unter Narkose, ich war weg.

Sechs Tage blieb ich im Krankenhaus. Ich bin seitdem krankgeschrieben. Die Narbe an meinem Hals zwickt, ich habe Schluckbeschwerden. Meine Hand wird auf Dauer nicht mehr richtig funktionieren, weil bei dem Schnitt mehrere Beugesehnen und Beugemuskeln durchtrennt wurden. Ich bin deswegen dreimal die Woche bei der Physio- beziehungsweise Ergotherapie. Bis heute kann ich kein Brot schneiden, Essen zuzubereiten fällt mir schwer. Nach 17 Uhr verlasse ich nicht mehr allein die Wohnung. Ständig drehe ich mich um, weil ich das Gefühl habe, verfolgt zu werden. Ich nehme Antidepressiva, Schlaftabletten und kann trotzdem nicht schlafen, weil ich immer wieder seine Stimme höre.

Manchmal denke ich an die Zeit zurück, in der Christian und ich noch zusammen waren. Ich hätte niemals gedacht, dass unsere Beziehung so enden würde. Er konnte auch ganz anders sein. Wenn wir am Wochenende mit den Kindern unterwegs waren, ist er richtig aufgeblüht. Das rechnete ich ihm hoch an. Leider hat er zwei Persönlichkeiten. Es gab immer wieder Streit, er war grob, aber so etwas hätte ich ihm nicht zugetraut. An dem Abend war er nicht er selbst. Ich habe diesen Menschen geliebt!

Im Nachhinein haben mich zwei seiner Ex-Freundinnen bei Facebook kontaktiert. Sie hatten von dem Prozess gelesen. Offenbar haben sie Ähnliches durchgemacht, auch wenn er bei ihnen nicht so weit gegangen ist. Eine hat sich entschuldigt, dass sie es nicht verhindern konnte, und angeboten, mich beim Prozess zu begleiten. Ich habe das abgelehnt. Aber so habe ich erfahren, dass er sogar schon wegen Vergewaltigung und Körperverletzung verurteilt worden war, nachdem seine Ex-Freundin ihn angezeigt hatte. Mir hatte er das verschwiegen und nur erzählt, es habe da mal eine Anzeige gegeben, weil zwei Frauen sich gegen ihn verschworen hätten. Er sprach von einer abgekarteten Sache. Das Urteil und die Haftstrafe erwähnte er nicht.

Ich bin 39, wohne in Rostock und habe drei Kinder. 20 Jahre alt, neun und sieben. Der Älteste wohnt allein, die beiden anderen bei ihrem Vater. Alle zwei Wochen verbringen sie das Wochenende bei mir. Wir haben das gemeinsame Sorgerecht und haben uns auf diese Regelung geeinigt.

Im Februar 2019 lief ich Christian zum ersten Mal über den Weg, ich kannte ihn vom Sehen, er war vor langer Zeit mal mit einer Bekannten von mir zusammen gewesen. Damals wohnte ich kurzfristig bei meiner Tante, hatte aber gerade eine neue Wohnung gefunden. Wir kamen ins Gespräch, gingen Kaffee trinken, ein paar Tage später trafen wir uns zum Abendessen. Ich habe gleich die erste Nacht bei ihm verbracht, es war schön. Er fragte relativ schnell, ob wir nicht zusammenziehen sollten, aber ich war dagegen. Ich mochte ihn, wollte aber nicht mehr mit meinem Partner zusammenleben, ich war zu oft enttäuscht worden. Er gab den Versorger, wollte von Anfang an ganz viel bestimmen. Und er machte mir immer wieder Geschenke. Wenn er sah, dass ich in der neuen Wohnung etwas brauchte, einen Staubsauger zum Beispiel, kaufte er es mir einfach. Ich war zunächst skeptisch, sagte: »Erst schenkst du mir was und dann hältst du es mir vor.« Die Geschichten von seinen Ex-Freundinnen, die ihn angeblich nur ausgenutzt hatten, kannte ich ja. Aber er insistierte, die Geschenke seien auch von seinen Eltern. Zunächst ignorierte ich diese ersten Anzeichen von Manipulation und Kontrollsucht in Christians Verhalten. Meine Kinder mochten ihn. Die gemeinsamen Wochenenden waren schön.

Eifersüchtig war er von Anfang an, aber es wurde immer schlimmer. Wenn ich mich mit einer Freundin traf, dachte er, ich würde ihn betrügen. Während ich weg war, schrieb er ständig Nachrichten, rief mit Videofunktion an, um zu sehen, wo ich war. Handgreiflich wurde er nur, wenn er trank. Aber wenn er trank, ging es schnell, vier bis sechs Flaschen Bier in kurzer Zeit. Bei einer Ü30-Party schubste er mich, sobald mir ein Mann zu nahe kam. Wenn wir in meiner Stammkneipe waren, konnte er es nicht ertragen, wenn ich mit anderen Männern sprach. Immer bestand er darauf, dass ich ihn sofort als meinen Mann vorstellte, »mein Freund« reichte ihm nicht aus. Und auf dem Heimweg machte er mir dann eine Szene.

Zwei Mal musste die Polizei einschreiten. Besonders schlimm war es eines Abends im Oktober 2019. Wir waren zusammen in einer Kneipe Dart spielen gewesen und gerade auf dem Heimweg. Er machte mir Vorwürfe, sagte, ich würde mich anderen Männern anbiedern. Er wurde immer wütender, schubste mich rum, packte mich hart am Arm und drückte mich an die Hauswand. Dabei schrie er und sprach mich aus unerfindlichen Gründen mit meinem Nachnamen an: »Ja, K., gib’s doch endlich zu! K., du Fotze! Du bist eine Schlampe! K. schafft an für Geld!« Irgendwer in der Straße musste ihn gehört haben und rief die Polizei. Als die Polizei eintraf, fragte eine Beamtin mich: »Wissen Sie, wer Herr B. ist?« Ich verstand nicht, was sie meinte, und ignorierte die Frage. Dann nahmen sie ihn mit und ich konnte nach Hause. Mehr hat die Polizistin nicht zu mir gesagt, ich verstehe nicht, wieso. Ich wünschte, Sie hätte mich damals schon gewarnt. Sie wusste von all seinen Vorstrafen, wusste, dass er auch frühere Partnerinnen terrorisiert hatte. Ist es nicht die Aufgabe der Polizei, uns zu schützen?

Ein anderes Mal packte Christian mich mitten auf der Straße wieder so grob und beschimpfte mich. Ich sei nicht ehrlich zu ihm. Passanten riefen die Polizei. Für mich waren das eher kleinere Übel. Das Positive überwog.

Am 6. Dezember 2019 fragte er mich, ob ich ihn heiraten möchte. Auf dem Weihnachtsmarkt, wo ich arbeitete. Vor allen. Was hätte ich sagen sollen? Natürlich Ja. Aber gefühlt habe ich es nicht. Christian ahnte nichts, er freute sich und schickte sofort Videos des Antrags an seine Freunde und Familie.

Deshalb hat es ihn sicher besonders hart getroffen, als ich mich Ende Januar von ihm trennte. Ich schrieb ihm eine Nachricht bei WhatsApp, sagte ihm, dass ich sein ständiges Auflauern, Beobachten, seine Anrufe und Nachrichten nicht mehr aushielt. Er behauptete, er würde sich ändern, wollte eine Therapie machen, um unsere Beziehung zu retten. Aber ich glaubte ihm nicht. Er wollte das Aus nicht akzeptieren, fragte immer wieder, ob ich einen Neuen hätte. Und er machte sich weiter Hoffnungen. Einmal schrieb ich ihm, er solle loslassen und nicht festhalten an etwas, was nicht mehr da ist.

Kontakt zu ihm hielt ich auch aus Angst. Ich bot ihm an, befreundet zu bleiben. Ein- oder zweimal verbrachten wir tatsächlich die Wochenenden zusammen, wenn die Kinder da waren. Ich wollte nicht, dass sie Fragen stellten. Gleichzeitig bestand ich darauf, dass jeder bei sich zu Hause schlief. Er sollte mich nicht weiter kontrollieren.

Das klappte aber nicht, es wurde eher schlimmer. Er begann, mich richtig zu stalken. Ob er mich per Handy ortete, weiß ich nicht, es fühlte sich auf jeden Fall so an. Als ich eines Abends einen guten Freund in einer Kneipe traf, dauerte es keine 15 Minuten, bis Christian hinter mir stand. Von Freunden weiß ich, dass er auch an anderen Abenden in meinen Stammkneipen auftauchte, wenn ich nicht da war.

Eines Tages wartete er im Waschraum meines Hauses auf mich. Ich entdeckte ihn, als ich die Wäsche nach unten brachte. Ich sagte nur: »Das ist jetzt nicht dein Ernst.« Und er? Er sagte nichts, sondern ging nur wortlos. Richtig gruselig wurde es am 20. Februar 2020. Ich war zu Hause, hatte aber kein Licht an, als ich merkte, dass jemand vom Hausflur aus mit einem Handy in die Wohnung leuchtete. Kurze Zeit später leuchtete jemand von draußen durch ein Fenster in meine Wohnung hinein. Ich versteckte mich, erkannte Christian aber. Dann versuchte er, ein anderes Fenster, das ich für gewöhnlich nur anlehnte, von draußen zu öffnen. Ich schloss es schnell und rief meinen Bruder an, der die Polizei verständigte. Ich hatte solche Angst vor Christian. Die Beamten kamen, glaubten mir, griffen Christian kurze Zeit später auf und verwiesen ihn offiziell des Ortes. Er durfte sich mir sieben Tage nicht nähern. Aber eine Woche geht schnell vorbei und offensichtlich beeindruckte ihn der Zwischenfall nicht. Zehn Tage später versuchte er mich umzubringen.

Etwa ein halbes Jahr später, bei seiner Verhandlung im August 2020, sagte ich mehr als zwei Stunden lang vor Gericht aus. Christian schaute mich nicht einmal an, sondern starrte die ganze Zeit nur vor sich auf den Tisch. Es war sehr anstrengend, manchmal verstand ich die Fragen des Richters nicht oder konnte ihm nicht antworten. In diesen Momenten fühlte es sich an, als hätte ich einen Blackout.