Alles spricht - Nicolò Targhetta - E-Book

Alles spricht E-Book

Nicolò Targhetta

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Beschreibung

Eben noch verlief ihr Leben den gewohnten Gang, plötzlich steht es Kopf: Freund weg, Wohnung weg, Job weg. Sie ist allein. Zum Glück gibt es die Dinge, die mit ihr sprechen. Aber können ihr Aschenbecher, Zimmerpflanze und Sofa die richtigen Ratschläge geben? Eine so witzige wie tiefgründige Geschichte vom Hinfallen und Wiederaufstehen. Sie ist dreißig Jahre alt, hat einen Job, einen Freund, eine Wohnung, eine Richtung im Leben. Kurz, sie ist erwachsen. Da verliert sie innerhalb weniger Wochen alles. Sie kommt auf dem Sofa bei einer Bekannten unter, deren Sexleben so rege ist wie die Wand dünn. Mehr und mehr zieht sie sich von ihren Freunden zurück, Halt findet sie bei den Dingen. Denn die sprechen mit ihr, schon seit ihrer Kindheit. In dieser wunderbaren Welt aus spöttischen Plakaten, philosophischen Fotos, zu Tode gelangweilten Plastikpflanzen, aufmüpfigen Handys und selbstverliebten Tätowierungen ist vieles möglich. Irgendwie muss es ja auch weitergehen! Und so bekommt sie bei endlosen Wohnungsbesichtigungen, Bewerbungsgesprächen und Tinderdates deren geballtes Wissen zur Hand, wird ermahnt, auf den Arm genommen und beraten. Gut so, denn langsam verliert sie den Mut. Lässig und klug erzählt Nicolò Targhetta davon, was es heißt, mitten im Leben zu stürzen, schon das Handtuch zu werfen und sich doch wieder aufzurappeln.

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Seitenzahl: 236

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Über das Buch

Eben noch verlief ihr Leben den gewohnten Gang, plötzlich steht es Kopf: Freund weg, Wohnung weg, Job weg. Sie ist allein. Zum Glück gibt es die Dinge, die mit ihr sprechen. Aber können ihr Aschenbecher, Zimmerpflanze und Sofa die richtigen Ratschläge geben? Eine so witzige wie tiefgründige Geschichte vom Hinfallen und Wiederaufstehen.

Sie ist dreißig Jahre alt, hat einen Job, einen Freund, eine Wohnung, eine Richtung im Leben. Kurz, sie ist erwachsen. Da verliert sie innerhalb weniger Wochen alles. Sie kommt auf dem Sofa bei einer Bekannten unter, deren Sexleben so rege ist wie die Wand dünn. Mehr und mehr zieht sie sich von ihren Freunden zurück, Halt findet sie bei den Dingen. Denn die sprechen mit ihr, schon seit ihrer Kindheit. In dieser wunderbaren Welt aus spöttischen Plakaten, philosophischen Fotos, zu Tode gelangweilten Plastikpflanzen, aufmüpfigen Handys und selbstverliebten Tätowierungen ist vieles möglich. Irgendwie muss es ja auch weitergehen! Und so bekommt sie bei endlosen Wohnungsbesichtigungen, Bewerbungsgesprächen und Tinderdates deren geballtes Wissen zur Hand, wird ermahnt, auf den Arm genommen und beraten. Gut so, denn langsam verliert sie den Mut.

Lässig und klug erzählt Nicolò Targhetta davon, was es heißt, mitten im Leben zu stürzen, schon das Handtuch zu werfen und sich doch wieder aufzurappeln.

Über den Autor

Nicolò Targhetta, geboren 1986 in Padua, ist Schriftsteller und Blogger. Auf Facebook erreichte er mit seinen täglichen Kurzgeschichten über 140.000 Follower. Alles spricht ist sein erster Roman.

Nicolò Targhetta

Alles spricht

Roman

Aus dem Italienischenvon Verena von Koskull

Verlag Antje Kunstmann

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Kapitel 41

Kapitel 42

Kapitel 43

Kapitel 44

Kapitel 45

Kapitel 46

Kapitel 47

Kapitel 48

Kapitel 49

Kapitel 50

Kapitel 51

Kapitel 52

Kapitel 53

Kapitel 54

Kapitel 55

Kapitel 56

Kapitel 57

Kapitel 58

Kapitel 59

Kapitel 60

Kapitel 61

Kapitel 62

Kapitel 63

Kapitel 64

Kapitel 65

Eines Tages kam Alice an eine Weggabelung und

sah die Grinsekatze auf einem Baum sitzen.

»Welchen Weg muss ich nehmen?«, fragte sie.

Als Antwort erhielt sie eine Gegenfrage:

»Wohin willst du denn?«

»Das weiß ich nicht«, antwortete Alice.

»Dann kommt es nicht darauf an, welchen Weg

du nimmst«, sagte die Katze.

LEWIS CARROLL, Alice im Wunderland

1

Elendes.

2

Arsch.

3

Gesicht.

4

Der ganze Unterschied zwischen den ersten und den letzten Worten an den Menschen, den man liebt, besteht darin, dass man sich die letzten so gut wie nie aussucht.

Dass sie ihn nicht mehr liebt, geht ihr an einem Märzmorgen auf. Draußen ist das Licht weiß und diesig und knallt auf die Netzhaut. Ein Weilchen sitzt sie in Unterhosen im Bett und kratzt sich am Kopf. Dann schlüpft sie auf die Terrasse, zündet sich eine Zigarette an und tigert hin und her. Der Aschenbecher sagt:

»Vielleicht liebst du ihn nicht.«

Und ihr geht auf, dass es so ist. Dass der Aschenbecher recht hat.

Sie wechseln noch ein paar verbindliche Worte, dann drückt sie die Merit Blu in ihm aus und kehrt fröstelnd ins Schlafzimmer zurück.

Er schläft noch und sie legt sich neben ihn und macht einen leisen Mikrofoncheck.

Ich verlasse dich, flüstert sie.

Und schläft ein.

Sechs Monate später verlässt er sie.

Deshalb das elende Arschgesicht.

Es mag elegantere Worte geben, um ein fünfjähriges Zusammenleben zu beenden, doch je mehr sie darüber nachdenkt, desto weniger stört sie sich an ihnen.

Sie taugen sowohl als Kritik wie als Selbstkritik und sagen alles, was es über diese lange, totgelaufene Beziehung zu sagen gibt.

Am meisten nervt sie, dass sie nicht schnell genug war. Es war ihre Idee gewesen. Sie hatte sie entwickelt, gehegt, durchdacht. Sie war diejenige, die schon seit einer Weile nicht mehr wirklich an sie beide glaubte. Das Recht, ihn zu verlassen, hatte sie sich hart erkämpft.

Und dann musste er sich ausgerechnet diese Gelegenheit aussuchen, um mit einem Überraschungscoup einen Anflug von Initiative zu zeigen.

5

Das erste Problem mit dem Glück besteht darin, dass niemand einem Bescheid sagt, wenn es da ist. Man muss von selbst darauf kommen.

Das zweite Problem mit dem Glück besteht darin, dass es nicht exponentiell verläuft. Pustekuchen.

Was würdet ihr machen, wenn jemand euch sagte, dass das größte Glück eures Lebens schon vorbei ist? Dass alles, was danach kommt, niemals an das heranreichen wird, was ihr als Kind vor eurem Playmobil-Schloss empfunden habt?

Ihr hatte es jemand gesagt.

Nämlich das Playmobil-Schloss höchstpersönlich.

Das dritte Problem mit dem Glück besteht darin, dass es schnell lästig wird.

Als er ein paar Tage fort ist, um von einer Buchhandlung zur nächsten zu tingeln und vor leichtgläubigem Publikum einen Vortrag über die vertrackten Mechanismen der Liebe zu halten, nutzt sie die Gelegenheit und organisiert einen Ausfall.

An einem mattsonnigen Nachmittag kreuzt sie nach der Arbeit mit ihren Schlüsseln, zwei Koffern, einem gemischten Dutzend Kartons und der entschlossenen Miene eines Menschen, der sich im Recht weiß, in der Wohnung auf.

Rund einen Monat lang hatten sie ihre fußlahme Zweisamkeit fortgesetzt, zu unterschiedlichen Zeiten zu Mittag und zu Abend gegessen, verschiedene Zimmer bewohnt, auf weit voneinander entfernten Matratzen geschlafen und einander die Wohnung in der Hoffnung verpestet, der andere würde ein Einsehen haben.

Getreu dem üblichen Drehbuch war sie schließlich eingeknickt, und während sie jetzt die Stufen hinaufkeucht, kommt sie sich verantwortungsvoll, gewissenhaft und sogar erwachsen vor, weil sie mit ihrem Vorhaben abgewartet hat, bis er nicht zu Hause ist. So agieren Erwachsene: vernünftig, zügig, hinter dem Rücken der anderen.

Und allein.

Es ist eine Plackerei, aber sie wollte sich von niemandem helfen lassen. Weder von Isotta noch von Silvia und erst recht nicht von ihrer Mutter. Das hat nichts mit Stolz zu tun, sie schämt sich einfach.

Sie schämt sich der Tragweite dieses Gefühlsfiaskos, und sich vor jemandem die Blöße zu geben und die verplemperte Zeit hochzurechnen, ist wirklich das Letzte, was sie will.

Hallo, sagt die Frau aus dem dritten Stock, die bestimmt auch irgendwo einen Namen hat.

Hallo, sagt sie.

Das sind aber viele Kartons, sagt die Frau aus dem dritten Stock.

Ja, sagt sie.

Zieht ihr um?

Ich ziehe um.

Warum?

Ich gehe.

Und wieso?

Offenbar verlässt hier niemand den Treppenabsatz, ehe nicht die Wahrheit raus ist.

Eine Spur melodramatischer als gewollt, rutscht ihr ein »Es ist aus« über die Lippen.

Die Frau aus dem dritten Stock zerfließt in Sprachlosigkeit, sie reißt die Augen auf, schüttelt den Kopf und ist völlig geplättet. Sie sagt, das hätte sie nicht gedacht, vielleicht könne man noch drüber reden und es sei noch nicht zu spät, vielleicht renke sich alles wieder ein. Ihre Anteilnahme kommt gänzlich unerwartet, und während sie sie ansieht, wird ihr plötzlich klar, dass die Frau aus dem dritten Stock viel mehr an ihre Beziehung geglaubt hat als sie.

Sie zuckt die Achseln und sagt:

Kommt vor.

Wenn ich etwas tun kann …

Nein, danke.

Soll ich Ihnen beim Hinuntertragen der Sachen helfen?

Nein.

Aber die ganzen Kartons …

Wirklich, ich schaffe das schon.

Ich könnte meinen Mann holen.

Sie sieht die Frau aus dem dritten Stock an, die Frau aus dem dritten Stock lächelt. Sie packt die Frau aus dem dritten Stock mit einem durch den Wrestler Kurt Angle berühmt gewordenen Griff namens Olympic Slam, bei dem man mit dem rechten Arm das linke Bein des Gegners und mit dem linken dessen rechten Arm umfasst, ihn sich auf die Schultern packt und hinter sich schleudert. In diesem Fall den Treppenschacht hinunter. Mit dem befriedigenden Geräusch mehrfacher Trümmerbrüche wird aus der Frau aus dem dritten Stock die Frau aus dem Erdgeschoss.

Sie blinzelt.

Sind Sie sich sicher?, fragt die Frau aus dem dritten Stock unversehrt.

Ganz sicher, danke.

Alles Gute.

Die Frau zieht sich enttäuscht zurück, doch auf der Schwelle hält sie noch einmal inne, dreht sich um, sieht sie an und sagt:

Wer hat die Entscheidung getroffen?

Wir gemeinsam, antwortet sie und hantiert mit den Schlüsseln.

Gemeinsam.

In der Wohnung stellt sie die Koffer ab, verteilt die Kartons und schaut sich abschätzend um. Jetzt kommt sie sich ein bisschen blöd vor, nicht um Hilfe gebeten zu haben.

Haufenweise Zeug, viel zu viel, und völlig unklar, wem was gehört.

Ebenso gut könnte man die Wohnung in der Mitte durchhacken.

Sie betrachtet ein Foto, das im Eingang hängt. Es zeigt sie, geknipst von ihm. Sie fragt sich, wer von beiden es behalten sollte.

»Leck mich«, sagt das Foto. »Du solltest es behalten.«

Sie nickt und lässt das Foto, wo es ist.

Sie setzt sich auf einen der Koffer und betrachtet das, was nicht mehr ihre Wohnung ist.

Sie ist diejenige, die beschlossen hat, zu gehen.

Sie haben nicht einmal darüber gesprochen, sie hat es beschlossen und basta.

Vor allem, weil sie es sich leisten kann. Sie hat einen Job. Einen richtigen Job, nicht diesen lächerlichen Blog.

Außerdem haben sie und die Wohnung sich bereits auseinandergelebt. Beim Pinkeln kam sie sich dort auf dem Klo wie ein Gast vor, dabei wohnt sie erst seit ein paar Tagen nicht mehr hier. Kein gutes Gefühl.

Letzten Endes erschien es ihr vernünftig. Erwachsen. Großmütig. Geradezu ritterlich. Vielleicht ein Quäntchen postfeministisch, aber was soll’s. Seht sie euch an, sie wurde betrogen, und doch geht sie erhobenen Hauptes und überlässt dem Mistkerl die Schmach einer unverdienten Immobilie.

Aber hätte es etwas geändert, wenn es umgekehrt gewesen wäre?

Das Telefon sagt:

»Mama.«

Sie sagt:

»Nein.«

»Du solltest rangehen.«

»Nein.«

»Sie will nur wissen, wie es dir geht.«

»Noch ein Wort, und ich kaufe mir ein Samsung.«

Das Telefon schweigt.

Die Stille dreht eine rasche Runde durch die Wohnung. Das ist schnell erledigt, es sind nur drei Zimmer. Sie blickt sich um und denkt, wie haben wir es in fünf Jahren bloß geschafft, unsere Leben so zu vermischen, sie so sehr eins werden zu lassen.

Wäre das hier eine großartige Fernsehserie mit einer äußerlich zynischen und innerlich hochromantischen Dreißigjährigen, käme jetzt der Teil, in dem jeder Winkel sie an ihn erinnert, doch tatsächlich ist da nicht viel, was sie an ihn erinnert. Das eine oder andere erinnert sie an sie beide, und ein Haufen Dinge erinnert sie an sie. An sie allein, die sich umblickt, seufzt, sich quält, grübelt und sich wegen ihrer Grübeleien schlecht fühlt. An sie, die durchhält, zögert, mit einem Mordslärm im Kopf rauchend auf dem Balkon steht und beschließt, wieder schlafen zu gehen.

Schließlich zwingt sie sich, allem ins Auge zu sehen, den Büchern, Anziehsachen, Möbeln, den Versprechen und Betrügereien, den Ich schwöre und Ich liebe dichs, den Frühstückstassen und überall verstreuten Für immers.

Überreste eines Bürgerkrieges.

»In Ordnung«, sagt sie. »Wer für mich ist, hebt die Hand.«

Und die Erinnerungen eines Lebens entscheiden sich für eine Seite.

Das Wichtigste nimmt sie ganz zum Schluss. Es ist ein Passbild, das sie bis zum Einzug in diese Wohnung in ihrem Portemonnaie aufbewahrte und das nun im Rahmen des Schlafzimmerspiegels steckt.

Darauf ist sie zu sehen, mit fünfzehn oder sechzehn. Selbst gestutztes kurzes Haar, pickelgepeinigte Haut, ein Gogol-Bordello-T-Shirt und das Geh-mir-nicht-auf-den-Sack-Gesicht eines Mädchens, das zu diesem Foto im Passbildautomaten am Bahnhof verdonnert war.

Sie betrachtet das Foto und das Foto schüttelt den Kopf.

»Scheiße, da bist du wieder«, japst es, »ich dachte, du würdest mich einfach hier zurücklassen.«

6

»Wenn du die da nach vorne schiebst und den langen schräg stellst, passt alles rein.«

Das Passbild beaufsichtigt das Beladen des Autos. Mit einem schwankenden Karton auf dem Knie dreht sie sich nach ihm um.

»Für jemand Zweidimensionales nimmst du den Mund ganz schön voll«, knurrt sie.

»Na los, mach schon, ich will die neue Wohnung sehen.«

»Apropos …«

»Was?«

»Es gibt keine neue Wohnung.«

»Es gibt keine?«

»Nein. Ich suche noch.«

»Und wo bleiben wir jetzt?«

»Bei einer Freundin.«

»Und dann?«

»Weiß ich noch nicht.«

»Was hältst du vom Bahnhof? Wenn wir uns ranhalten, ergattern wir vielleicht noch einen Premiumplatz auf dem Gitter über der Heizungsanlage.«

»Ich habe doch gesagt, ich bin dabei, eine zu suchen.«

»Du willst doch nicht etwa zurück zu Mama?«

Sie macht ein entsetztes Gesicht.

»Eher werde ich Pennerkönigin. Dann habe ich einen Karton ganz für mich allein, aus dem bastele ich mir ein Pappschloss, und alle in der Stadt müssen ein Zehntel ihrer Almosen und ein Fünftel ihres Cracks an mich abtreten.«

»Also, wenn wir zurück zu Mama ziehen …«

»Jetzt reicht’s mal! Wir ziehen nicht zurück zu Mama. Entspann dich. Ich habe alles im Griff. Wieso hebst du die Hand?«

»Ich dachte nur …«

»Was?«

»Zerdeppern wir ihm die Play.«

Sie hält mit dem Einladen inne.

»Die Playstation?«

»Ja. Wir zerdeppern ihm die Play, wir stecken seinen Computer in Brand oder wir schmeißen dieses grauenvolle Star-Wars-Teil aus dem Fenster, das er anbetet wie das Turiner Grabtuch.«

»Die Millennium Falcon Vintage Collection mit dem Autogramm von jemandem, der sich im Internet für Harrison Ford ausgab?«

»Genau das.«

»Und wozu?«

»Vergeltung. Einschüchterung. Er war mit einer anderen im Bett, das ist doch wohl das Mindeste.«

»Er war nicht mit einer anderen im Bett.«

»Was weißt du denn schon?«

»Stimmt, danke. Du hast mich soeben daran erinnert, dass ich es eigentlich nicht weiß.«

Wütend zwängt sie einen Karton auf die Rückbank des Hyundai, der Karton jammert, aber sie geht nicht darauf ein.

»Wie dem auch sei, das hier ist schließlich kein Wettkampf um den Arschloch-Pokal. Wir gehen, das erscheint mir ausreichend.«

»Ich finde jedenfalls, es war richtig von dir.«

»Was denn?«

»Zu gehen.«

»Meinst du?«

»Klar doch, ich habe ihn schon immer für eine Pfeife gehalten. Wie konntest du dich bloß auf so einen einlassen, mit seinem Intimisten-Blog, in dem er Sachen schreibt, die er sich nicht zu sagen, geschweige denn zu tun traut. Wieso rufst du nicht Pezzozzi an?«

»Pezzozzi?«

»Ja.«

»Pezzozzi aus dem Gymnasium?«

»Hast du seine Nummer noch?«

»Natürlich habe ich Pezzozzis Nummer nicht mehr … das ist fünfzehn Jahre her.«

»Pezzozzi fanden wir wahnsinnig toll.«

»Du fandest ihn toll«, stellt sie klar.

»Weißt du noch, er mit dem Megafon auf den Demos?«

»Ja, und jetzt hat er sicher ’ne Familie, einen Thermomix, ein Hybridauto und nur noch drei Haare auf dem Kopf …«

»Ich finde, du solltest es versuchen. Ich meine, wen juckt’s? Jetzt bist du frei.«

»Frei von was?«

»Von der Liebe, oder? Wurde auch höchste Zeit. Denn, jetzt mal ehrlich, du und die Liebe …«

»Ich und die Liebe was?«

Das Passbild breitet die Arme aus.

»Ist nichts für dich, das liegt doch wohl auf der Hand. Du kannst sie nicht halten, du kannst nicht mit ihr umgehen, du kümmerst dich nicht um sie. Wie bei dem Goldfisch. Weißt du noch, der Goldfisch?«

»Weiß ich noch.«

»Wie lange hat der durchgehalten?«

»Sechsunddreißig Stunden.«

»Siehst du? Und aus genau dem gleichen Grund hast du dich mit dem hier eingelassen. Weil – keine Ahnung – du dachtest, da wäre noch was anderes. Da wäre noch mehr drin.«

»Eine Überraschung.«

»Genau, bingo, eine Überraschung. Tolle Schokoei-Logik. Du hast geglaubt, da wäre noch mehr als das, was du siehst. Also hast du wie eine Blöde auf diese Überraschung gewartet, die nicht kam. Fünf Jahre lang. Fünf Jahre gibt’s für tödliche Fahrerflucht, wusstest du, oder?«

»Ja.«

»Und deshalb kann ich nicht umhin, mich zu fragen, was für eine Scheißüberraschung du eigentlich bei so einem zu finden hofftest.«

Sie denkt nach, ein Auto fährt vorbei, dann noch zwei, eine Reihe Straßenlaternen glimmt flackernd auf.

»Das Glück.«

»Sei’s drum, jetzt hast du deine Strafe abgesessen und bist frei. Ist das nicht schön?«, bohrt das Passbild. »Wie fühlst du dich?«

Sie betrachtet ihr mit Kartons vollgestopftes Auto. Auf jedem hat sie mit einem dicken, schwarzen Filzstift den Inhalt vermerkt. Der in ihren Armen ist mit Erinnerungen beschriftet. Sie zwängt ihn resolut hinein, schlägt den Kofferraum zu, atmet aus und sagt:

»Frei.«

7

Sie glaubte immer, wenn man nach einer jahrelangen Beziehung Schluss macht, hätte man plötzlich zwangsläufig eine Menge Platz. Eine Menge leeren Platz. Was wohlgemerkt alles andere als schlecht ist, immerhin kann man die Finger spreizen, die Arme ausbreiten, den Rücken strecken.

Von wegen. Es ist eher, als wäre man in einem Spinnennetz gefangen. Kaum tust du einen Schritt, verlässt das Haus, sagst jemandem Hallo oder gehst irgendwohin, ziehst du einen Faden hinter dir her. Und am anderen Ende dieses Fadens hängt unweigerlich er. Hängt unweigerlich ihr.

Gibt’s ja nicht.

Hätte ich nie gedacht.

Ihr wart so ein tolles Paar.

Aber ich hab’s geahnt.

Es lag in der Luft.

Im Supermarkt, im Fitnessstudio, im Kino, auf der Post, im Restaurant.

Wohin sie auch geht, was sie auch tut, überall lauert eine Doppelgängerin der Frau aus dem dritten Stock, jemand, der gute Ratschläge feilbietet, oder ein wohlmeinendes Raubtier, das ihr Unglück längst gewittert hat und die Gelegenheit für eine Spielanalyse ihres Lebens nutzt. Würde sie einen unmarkierten Saumpfad über das Stilfser Joch entlangwandern, hüpfte garantiert ein Reh über den Weg, um ihr zu sagen, es habe davon gehört, echt unglaublich, es tue ihm wahnsinnig leid. Und sie müsste dem Stück Schalenwild eine kleine Story von zwei vernünftigen Erwachsenen erzählen, die nach reiflicher Überlegung und in gänzlichem Einvernehmen beschlossen haben, keine weitere Sekunde ihres Lebens miteinander zu verbringen, und es dennoch irgendwie hinkriegen, glücklich befreundet zu bleiben.

Wäre das Reh allerdings ein skeptisches Reh, das so lange mit seinen hartnäckigen kleinen Hufen scharrte, bis sie mit der Wahrheit herausrückte, wäre sie natürlich gezwungen zuzugeben, dass es ein bisschen anders gelaufen ist. Also, dass er sie betrogen und obendrein verlassen hat und es an dieser banalen Tatsache nichts schönzureden gibt. Dann würde das Hirschartige zu seinen Freunden Kaninchen und Stinktier zurückkehren, und ehe sie es sich versähe, wäre sie das Tagesthema der WhatsApp-Gruppe Hochwald.

Es tut sowieso nichts zur Sache. Wäre er, statt sie zu verlassen, eines Morgens durch spontane Selbstentzündung in Flammen aufgegangen, würde sie in haargenau dem gleichen Tonfall haargenau dieselbe Geschichte von emotionaler Reife und einvernehmlicher Trennung erzählen.

Ihre Antwort muss nun einmal lauten, alles ist bestens. Das ist die Antwort, die alle hören wollen.

»Kein Wunder, auf deiner Stirn steht starke Frau«, bemerkt der Bademantel. »Ist doch klar, dass niemand Zeit findet, dir zur Seite zu stehen.«

Den Bademantel schmückt ein Aufdruck von Frida Kahlo mit einer Rosenkrone auf dem Kopf.

»Starke Frauen«, kräht er ihr aus einer nach Chlor und Dampf miefenden Umkleide nach, »sind immer gearscht! Immer!«

Sie geht gern ins Schwimmbad. Sie mag es, unterzutauchen und nichts mehr zu hören. Sie mag es, ihren Atem zu kontrollieren. Und sie mag es, eine gerade Bahn vor sich zu haben, eine eindeutig vorgegebene Richtung. Immer geradeaus und wieder zurück, ein Armstoß nach dem anderen, bis die Muskeln zu Blei werden. Und dann noch einmal.

Deshalb hat sie sich trotz des noch immer vor Kartons berstenden Autos gezwungen, zur ungünstigsten Zeit, während der Senioren-Wassergymnastik, ins Schwimmbad zu gehen. Um eine eindeutige Richtung zu haben an einem Ort, an dem sich niemand um ihr Befinden schert.

Sie schwimmt seit ihrem sechsten Lebensjahr. Eine Zeit lang ist sie auch Wettkämpfe geschwommen. Immer hin und her, schneller als manche, langsamer als andere.

Eines Tages sagte ihre Trainerin, spring. Spring, ich fange dich auf. Du brauchst keine Angst zu haben. Sie sprang und die Lehrerin wich zur Seite.

Sie ging unter und schluckte Chlorwasser. Sie erinnert sich, dass ihre Füße keinen Grund berührten, sie erinnert sich an die Angst. Als sie wieder auftauchte, kämpfte sie sich mühsam bis zur Leiter, stieg zitternd aus dem Wasser, riss sich die Badekappe vom Kopf, schlappte in die Umkleide, zog sich an und beschloss, nie wieder jemandem zu vertrauen.

Nie wieder.

8

Silvia sagt, du kannst dich ausbreiten, wo du willst.

Sie sagt, danke, ich bleibe nicht lang.

Silvia sagt, alle Zeit, die du brauchst.

Ich bleibe nicht lang, sagt sie noch einmal.

Silvia sagt, sie hätte immer von einer Mitbewohnerin geträumt, die kein Miststück und keine Nutte ist.

Sie nickt, aber ich bleibe nicht lang (Abblende).

Sie hat Silvia im Schwimmbad kennengelernt. Während sie schwamm, saß Silvia am Beckenrand, planschte mit den Beinen im Wasser und rauchte.

Du schwimmst echt gut, hatte Silvia gesagt.

Danke, hatte sie gesagt.

Was machst du?, hatte Silvia gefragt.

Delfin, hatte sie gesagt.

Schön, der Delfin. Ist so was wie mein Krafttier, hatte Silvia gesagt. Welches ist dein Krafttier?

Keine Ahnung, hatte sie geantwortet. Darf man hier drin überhaupt rauchen?

Silvia hatte gegrinst: Delfine können doch gar nicht sprechen.

Sie waren Freundinnen geworden. Auch wenn sie den schweren Verdacht hegte, dass sie in der vielgliedrigen Nahrungskette der weiblichen Spezies weit auseinanderlagen.

Unter anderem, weil Silvia schön ist. Nicht schönheitswettbewerbsschön, sondern Dior-Plakat-schön. Ihr Aussehen hat etwas von einer Reise über sämtliche Breitengrade, Nordisches mischt sich mit mediterraneren Zügen und lässt sie kühl und feurig, wachsam und versonnen, gegenwärtig und abwesend, beherrscht und chaotisch zugleich wirken. Dieses überraschende Gewirr aus kastanienbraunem Haar, hellen Augen, Blicken und Lippen schürt automatisch Erwartungen, als käme sie gleich mit einem Riesenknaller um die Ecke. Silvia hasst diesen Blick und diese Lippen, dieses Haar, diese Erwartung. Schön zu sein war ihr immer schnuppe. Folglich tut sie alles äußerlich und innerlich in ihrer Macht Stehende, um dieser naturgegebenen Anmut zu entfliehen.

Was ihr echt gut gelingt.

Silvia rülpst, spuckt, flucht und rühmt sich täglich sämtlicher Körperausscheidungen. Sie sammelt versiffte Hoodies, pfeift auf Privacy, lässt die Türen sperrangelweit offen und dreht nie den Ton leiser, egal ob sie redet, Musik hört oder Pornos guckt. Sie hat überall und zu jeder Tageszeit Sex, mit einer beeindruckenden Vielfalt von Partnern, Szenarien, Tonlagen und auf Arten, die dem Marquis de Sade das Blut in die Wangen treiben würden.

Mit masochistischer Treffsicherheit sucht sie sich vornehmlich Männer aus, die während des flüchtigen Stelldicheins in ihrem Leben alles Mögliche veranstalten, außer sie zu lieben. Was laut Silvia der Grund ist, dass man einen, der es zufällig doch tut, automatisch für eine Flasche hält.

Mit der fatalistischen Begeisterung eines Menschen, der sich mit seinen Grenzen längst abgefunden hat, driftet sie durch den Alltag. Sie kennt die Geburts- und Namenstage sämtlicher Dealer der Stadt und verträgt Alkoholmengen, die man eigentlich einem Piraten zutrauen würde. Und so ist sie fast immer fröhlich, weil sie fast immer traurig ist.

Das einzige Zugeständnis an ihre Schönheit ist beruflicher Natur. Auf der selbstzerstörerischen Welle ihres Lebens reitend, hat sie beschlossen, Schauspielerin zu werden, und während sie sich krumm macht, um für die Werbung Trappistenbier zu zapfen und sich aufdringliche Regisseure vom Leib zu halten, sucht sie nach Rollen, die sie möglichst hässlich machen, um dann doch wieder beim x-ten Fotoshooting zu landen und sich in bezaubernde Posen zu werfen, in denen sie sich nicht wiedererkennt.

Kurzum, als sie Silvia unmittelbar vor Verlassen der Wohnung gefragt hatte, ob sie ein paar Tage bei ihr unterkommen könne, hatte sie Ja gesagt. Nicht wann oder warum oder wie lange. Sondern schlicht und ergreifend Ja.

Silvia fragt, Kräutertee?

Was Wodka bedeutet.

Sie sagt, nein danke.

Was willst du machen, lacht Silvia, als Kind bin ich in den Topf mit Grey Goose gefallen.

Was ist dieser Geruch?

Silvia guckt sie an und breitet freudig die Arme aus.

Das ist Zuhause!

Silvias Zuhause ist Ausdruck ihres inneren Kampfes und sieht wie das Sequel eines Gozilla-Films aus. Berge dreckiger Wäsche, überquellende Aschenbecher auf jeder waagrechten Oberfläche, halb leere Biere, zerfledderte Joints, Essensreste, zu finstersten Zwecken missbrauchte Küchengeräte und Plakate von Theaterstücken, die sich kein Mensch je antun würde, um die gröbsten Wandschäden zu kaschieren. Ganz gleich, wie hoch die Kaution war, sie ist garantiert flöten.

Bei der Einrichtung herrscht gnadenlose Willkür, alles ist wild zusammengewürfelt, wie um das heillose mentale Wirrwarr zu unterstreichen.

Sie mustert einen solarbetriebenen Plastikbuddha im Zanetti-Trikot.

»Hast du einen Plan B?«, fragt der Buddha.

»Einen Plan B?«

Der Buddha knufft die Speisekarte eines Take-away-Chinesen in die Seite.

»Ich habe dir doch gesagt, sie hat keinen Plan B.«

Die Speisekarte grient.

»Habe ich wohl«, behauptet sie spitz. »Ich habe eine Wohnungsagentur kontaktiert.«

Das hat sie wirklich, kaum ging ihr auf, dass sie zum letzten Mal aus ihrem Haus treten und nie mehr in ihrem Bett schlafen würde. Denn so handhaben erwachsene Leute die Dinge nun einmal, nicht wahr? Schnell, vernünftig und vorzugsweise über Mittelsleute.

»Sehr gut«, sagt der solarbetriebene Plastikbuddha im Zanetti-Trikot. »Hier ist es heftig. Selbst wenn du die Erleuchtung erlangt hast.«

»Heftig inwiefern?«

Bist du eher der Tüten- oder der Bong-Typ?, ruft Silvia aus der Küche.

»Heftig eben.«

Die ersten Nächte hat sie Mühe einzuschlafen.

Was zum Teil daran liegt, dass das Schlafsofa sie um jeden Preis wissen lassen will, es hätten so viele Leute auf ihm Sex gehabt, dass die Kissen eine übernatürliche Fruchtbarkeit ausströmten.

Aber vor allem, weil sie sich betrogen fühlt.

Sie sagt es dem Sofa.

»Es ist ganz schön spät«, murmelt das Sofa. »Vielleicht sollten wir …«

»Doch nicht von ihm«, fährt sie unbeirrt fort, »sondern vom Beziehungssystem.«

»Na fein, das relationale System, alles bestens. Da reden wir morgen früh ganz in Ruhe drüber.«

»Die Bücher und Filme und fast alle Fernsehserien der 2000er schulden mir Abbitte. Sie hatten mir versprochen, wenn ich gewisse Dinge auf eine gewisse Art und Weise täte, wäre ich glücklich, zufrieden und sangesfroh und würde nie und nimmer mit zwei Koffern und zwölf Kartons voller Plunder in einer Wohnung schlafen müssen, die nach Amy Winehouse riecht.«

Das Sofa nickt.

»Vielleicht, wenn du die Augen schließt und ins Zwerchfell atmest …«

»Eigentlich hatte ich geglaubt, ich hätte alle Anweisungen befolgt. Ich war mutig und freundlich, furchtlos und einfühlsam. Ich habe ihn ausreden lassen, gesagt, ich schwör’s dir und in Ordnung und das ist mir wichtig und das ist doch unwichtig und es tut mir leid und ich werde mich ändern. Ich habe um Verzeihung gebeten. Ich war immer im richtigen Moment glücklich, zufrieden, verknallt, hoffnungsfroh und optimistisch. Ich habe gesagt, ich auch. Ich habe gesagt, ich liebe dich, scheiße noch mal. Ich hab’s gesagt und geglaubt.«

»Ich bin der Ansicht, dass …«

»Ich habe ihm seine Freiräume gelassen, mich zurückgenommen, Penne mit Pesto gekocht, sogar einen Charakter in World of Warcraft gemimt. Ich habe gevögelt, als ich keine Lust dazu hatte, ich habe gute Alchemie hergestellt, Einvernehmen, Vertrauen geschaffen. Ich habe je nach Bedürfnis unterstützt, ertragen, verbessert, zugehört, ermutigt, beschwichtigt und geleckt. Ich war euphorisch, verliebt und verängstigt. Ich habe in jedes Kästchen einen Haken gemacht, war zu sämtlichen Herausforderungen, zu allen Familienabendessen, Geburtstagen und Hochzeiten bereit, habe jedes Gefühl genährt, jede Hoffnung gepflegt … Und es hat einen Scheißdreck gebracht.«

Das Sofa lässt eine angemessene Zeit verstreichen. Dann sagt es:

»Du solltest mit jemandem darüber sprechen.«

»Ich spreche doch mit jemandem darüber.«

»Mit jemand anderem«, sagt das Sofa knapp. »Vielleicht mit einem Profi. Ich bin ein Dreisitzer aus Polyester, der seit mindestens zwei Jahren nicht gereinigt wurde. Ich muss jetzt wirklich schlafen. Und du brauchst wirklich Hilfe.«

Mit verschränkten Armen und sauer auf das Universum, kommt sie zu dem Schluss, dass das Sofa vielleicht nicht ganz falschliegt.

9

Die Psychologin hat einen Namen, der sich irgendwo zwischen Marta und Margherita bewegt.

Vor Jahren und aus Gründen, die wichtig genug waren, um sich ihren Namen ansatzweise zu merken, war sie in ihrem Leben aufgetaucht, hatte sich ein Weilchen darin getummelt und die Wirkung eines neuen Vorhangsets oder eines leichten Tinnitus entfaltet.

Die Pflanze indes ist eine Sansevieria. Wenig Wasser und viel Geduld. Sie sieht wie ein flammend grünes Feuer aus. Angeblich filtert sie Schadstoffe aus der Luft, was inständig zu hoffen ist, da sie ihr Sprechzimmer seit nunmehr zwei Wochen mit übelster Gefühlsjauche verpestet.

»Und«, sagt die Pflanze, »wie fühlst du dich heute?«

»Gut«, antwortet sie.

Die Pflanze mustert sie skeptisch.

»Wirklich. Mir geht’s gut.«

»Mit dreißig Jahren ist das Ende einer langen Beziehung mitunter schwer zu bewältigen.«

»Finde ich nicht.«

»Wir wollen das ein wenig vertiefen, in Ordnung?«

»Was denn vertiefen? Es gibt nichts zu vertiefen. Schluss zu machen ist ein Klacks. Alles eine Frage der Organisation. Man muss nur die Zeiten, Wege und Gewohnheiten ein bisschen ändern, gewisse Orte meiden und sich andere suchen. Man verlagert sein Leben genau drei Meter weiter nach rechts, und alles ist wieder in Butter.«

Die Pflanze beschränkt sich auf nachdenkliche Fotosynthese.

»Außerdem war es fällig«, fährt sie fort. »Einen Schlussstrich ziehen, meine ich. Das war fällig. Massenweise leerer Platz.«

Die Pflanze macht sich eine Notiz.

»Was schreibst du?«