Alles, was passiert ist - Yrsa Daley-Ward - E-Book
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Alles, was passiert ist E-Book

Yrsa Daley-Ward

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Beschreibung

Dies ist die Geschichte von Yrsa Daley-Ward. Sie erzählt uns Alles, was passiert ist. Auch die schrecklichen Dinge. Und die gab es weiß Gott. Sie erzählt uns von ihrer Kindheit im Nordwesten Englands, von ihrer wunderschönen, aber mit dem Leben hadernden Mutter Marcia, von deren Freund Linford, mit dem man mal Spaß, aber noch öfter Ärger hat, und von ihrem kleinen Bruder Roo, der sich in den Sternen am Himmel die ganze Welt ausmalt. Sie erzählt vom Aufwachsen und davon, wie es ist, die Macht und Unheimlichkeit der eigenen Sexualität zu entdecken, von dunklen Stunden voller bunter Pillen und Pülverchen und von Begegnungen mit den falschen Leuten. Ja, sie erzählt vom Schmerz. Aber auch vom Glück... »Wenn man Yrsa Daley-Ward liest, hält man die reine Wahrheit in Händen. Ihr Buch schwitzt und atmet vor unseren Augen, es ist ein herrliches lebendiges Wesen.« Florence Welch, Florence and the Machine. »Ein umwerfendes Buch voller lyrischer Kraft.« New York Times.

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Seitenzahl: 164

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Yrsa Daley-Ward

Alles, was passiert ist

Aus dem Englischen von Gregor Runge

Inhaltsübersicht

Newsletter

Prolog

Marcia Daley-Ward, auch Mum genannt

Eins

Aa

Bb

Rotes Haus

Widersprüche und ein Hinweis

Das große Kapitel / Der siebente Tag / Der Sinn des Lebens

8,0

Die Wahrheit

8,8

Ein schlimmer Alptraum

Wie wir es hinbekommen können, dass Mum uns in absehbarer Zeit (was »So bald wie möglich« heißt) wieder zu sich nimmt

8,9

9,1

9,5

9,6

Ein Wochenende bei Mum

Ausflug

10,0

Rosa / Gelb

10,1

Fauna

Der ganze Rest

Physik und Zauberei

Zwei

12,0

13,0

13,2

13,9

14,0

14,2

14,3

Das Mädchen und der Fensterputzer

16,0 Sommer

Lass uns zusammen was aufziehen

17,0

17,5

18,0

18,5

Drei

98er-Blues

gamma-Hydroxybuttersäure

19,8

Im Penthouse bei Mr Jumeriah

20,0

21,0

Ein Montag

Ausruhen

21,2

Ausruhen

22,2

Man hat es die ganze Zeit vor Augen, aber man sieht es nie richtig

Ende

Himmel 1

Vier

Zwölf nach eins

Himmel 1,5

Himmel 2

Little Roo

Was ich über Little Roo sagen konnte

Wahre Lügen

Liebe / Geld

Tatsachen

Tiere

Sohn

Furchtbare Einsicht

Grün: Ein Versuch

Wegsein, ein Almanach

(i)

(ii)

Epilog

Impressum

Für Little Roo

Alles, was passiert ist, trage ich im Herzen.

Sogar die schrecklichen Dinge.

Prolog

Ende der neunziger Jahre haben mein Bruder und ich im Garten ein Einhorn gesehen. Ungelogen.

Wir haben uns das nicht eingebildet, das Einhorn war da, keine Frage. Manchmal, wenn die Welt undurchschaubar und ungewiss wurde, wenn es nur noch eine Frage der Zeit zu sein schien, bis etwas Schreckliches passieren würde, bekamen wir Einblick in die Vierte Dimension. Als Linford James um Mitternacht die Leiter hinaufstieg, mit der Faust ans Schlafzimmerfenster schlug und Mum anbrüllte, und auch wenig später, als die beiden einander ganz nah gegenüberstanden und es immer schwärzer aus Linfords Kehle grollte, bemerkten die beiden das Einhorn nicht. Die Erwachsenen lebten ihr Leben und verpassten ständig die schönsten Dinge.

Little Roo war sechs. Ich war zehn. Das Einhorn schritt ein paar majestätische Runden durch den Garten und verschwand dann im Rosenstrauch. Erklären konnten wir uns das nur mit der Vierten Dimension. Geträumt hatten wir es jedenfalls nicht.

In jener Nacht rief Mum die Polizei. Am Abend darauf lag Linford wieder bei ihr im Bett und brachte mit seinem furchteinflößenden Geschnarche die Wände zum Wackeln.

Das Einhorn war aber nicht die einzige Besonderheit. Weil wir in Chorley wohnten, hoch oben im Norden, waren wir dem Himmel näher als die meisten anderen Leute. Zum Glück. Denn Little Roo konnte die Sterne lesen, er sah darin: VORZEICHEN, TATSACHEN und ANDERE DINGE. Ungelogen.

Er wusste auch, warum die Erwachsenen sagten, was sie sagten. Und warum sie nicht meinten, was sie sagten, und warum sie noch weniger meinten, was sie taten. Manchmal fand er zwar keine Antworten, dafür aber die schönsten Fragen.

Mein kleiner Bruder, das Genie.

Marcia Daley-Ward, auch Mum genannt

hatte (ganz früher) eine schlanke Taille,

weiches Haar,

ein umwerfendes Lächeln (Zahnreihen wie Perlmuttbögen oder

leuchtende Kirchentore),

freundliche Augen,

schwingende Hüften,

konnte so gut tanzen wie die Leute im Fernsehen,

lebte bei ihren Großeltern in Kingston, Jamaika,

war unfassbar herzlich

und gerissen.

Einmal sollte sie im Wald einen Ast aussuchen,

mit dem ihr Großvater ihren kleinen Bruder schlagen wollte

(wegen irgendeiner Kleinigkeit). Sie nahm einen ganz dünnen Ast, der in der Hand ihres Großvaters zerbrach, und wurde auch verprügelt.

Marcia

war vierzehn und noch ganz dünn,

als sie allein und verängstigt mit einem Kind im Bauch

nach England flog. Ihr damaliger Freund

war nicht der Vater,

aber das spielte keine Rolle, denn nun

sollte sich alles ändern. Ihre Mutter

hatte sie endlich nachgeholt. Von Männern

würde sie sich von jetzt an fernhalten,

so Gott wollte.

Sie zitterte, als sie aus dem Flugzeug trat. Gleich würde sie ihre Eltern wiedersehen, zum ersten Mal seit Jahren. Wie würde sie es ihnen sagen?

Marcia

ist sechzehn und wohnt mit ihrem schreienden Baby, das Samson heißt,

im Nordwesten von England.

Was für ein Chaos …

und er wird immer größer. Ein richtiger kleiner Mann, die Summe gleich mehrerer Ängste. Er wächst und wächst, viel zu schnell, und Marcia verflucht den Herrn im Himmel.

Ihre Eltern nehmen ihn zu sich, als er auf seinem kleinen Dreirad vor Marcias Launen flüchtet und den ganzen Weg zu ihnen gefahren kommt. Sie ziehen ihn groß wie einen eigenen Sohn.

Er nennt sie sogar Mum und Dad.

Für Marcia hat er

keinen Namen.

Marcia ist jetzt allein

und macht eine Ausbildung zur Krankenschwester.

Nicht lange,

und Schwester Marcia ist sechsundzwanzig und verliebt sich in einen Wissenschaftler, einen schönen, schwarzen, großen gebildeten Mann,

der verheiratet ist und in Nigeria eine Familie hat. Der gern Guinness trinkt. Der im Pub immer der Letzte ist und als Letzter nach Hause kommt und sie dann anschaut mit seinen unwiderstehlichen schwarzglänzenden Augen, die ihre Wut verrauchen lassen, gegen ihren Willen. Aber das akademische Jahr geht zu Ende. Sein anderes Zuhause ruft. Bald wird ihre Zeit abgelaufen sein. Er weiß, er kann nicht bleiben, sie weiß es auch, und trotzdem machen sie ein Kind.

Y R S A

sagt sie. Yrsa. Wie schön das klingt.

Eins

Aa

Lies mir vor, sagte Mummy oft …

und was haben wir gelesen, sie und ich. Wir haben gelesen wie verrückt. Von Anfang an.

Warme, satte Welten

mit Marienkäfern und Papageientauchern auf dem Rücken.

Bergigkühle Weitewasserwelten.

Wieso hat der kleinen roten Henne niemand geholfen, Essen zu machen?

und

Wieso war der Kater so ungezogen?

Mummy zeigte auf den Kater, der nicht artig sein wollte, zeigte auf den bockigen, mürrischen Kater,

der mit verschränkten Armen in der Ecke saß.

»Weil ihn niemand lieb hat«, sagte sie dann, »er hat eben Angst.«

Warum hat der Löwe »Nur über meine Leiche!« gebrüllt,

als jemand seinen Kamm verschenken wollte?

Warum hat er so laut gebrüllt

und dem ganzen Urwald Angst eingejagt?

»Weil ihm etwas fehlt«, sagte sie dann,

»der Löwe ist einsam und eingebildet.«

Mummy war weich. Weich wie warme Milch.

Und alles, was in unseren Papierwelten stand,

ergab aufregenden Sinn.

Bb

Sie hebt mich auf die Arbeitsfläche in der Küche.

»Das Kind ist sehr begabt.«

»Kann sie wirklich schon lesen?«

»Hör selbst.«

»Dabei geht sie doch noch lange nicht zur Schule.«

»Ja, eben. Kinder können alles Mögliche. Man muss es ihnen nur früh genug beibringen. Hör mal, wie leicht es ihr fällt, die Wörter zu bilden.«

Sie lächelt mich an. Mit bronzeleuchtenden Honigaugen.

Sie sagt:

»Du bist meine Supernova,

mein hinreißendes Wahnsinnsleuchten.«

Marcia ist dreißig

und liebt Linford,

aber irgendwas fehlt ihr, fehlt ihr schmerzlich. Sonny (ein Freund)

übernachtet bei ihr (nicht zum ersten Mal). Das Mädchen kommt ins Zimmer und wird weggeschickt.

»Ab ins Bett mit dir«, sagt Marcia. »Bis morgen, meine Kleine. Ich hab dich lieb.«

Dann legt sie sich wieder hin, die Hand auf dem Bauch, und fragt sich, wann Freund Sonny wohl verschwindet, um welche Uhrzeit er sich unter Ausflüchten in die Stadt aufmacht, in der Dunkelheit des Morgens.

Irgendwo tief in ihr drin beginnt Little Roo zu wachsen,

und keiner weiß es, außer Gott.

Rotes Haus

Wir sind umgezogen. Linford ist Mums Freund, wir wohnen jetzt bei ihm, in einem Haus in Warrington, das unten zwei Zimmer und oben zwei Zimmer hat. Noch ist Linfords Haus nicht fertig, aber bald. Zuerst ist es aufregend, in dem halbfertigen roten Backsteinhaus zu wohnen, in dem auch die Fußböden rot sind, so richtig rot. Ein Fast-Haus. Ein Haus fast an der Straßenkreuzung.

Die Fliesen in der Küche gefallen mir nicht, sie sind uneben und haben überall Risse. In den Rissen, stelle ich mir vor, sind Bakterien.

Ich habe jetzt einen kleinen Bruder. Ich nenne ihn Little Roo, weil er hyperaktiv ist, wie die Erwachsenen sagen, und so viel rumhüpft wie ein kleines Känguru. Linford fährt durch die Gegend und verkauft irgendwelche Sachen, manchmal ist er zwei oder drei Tage weg. Mum muss nachts trotzdem ins Krankenhaus und arbeiten. Deswegen passt Bev auf uns auf. Bev wird dafür bezahlt, dass sie auf uns aufpasst. Sie riecht nach Veilchenpastillen, hat blonde, gewellte Haare, lange Fingernägel, richtig viele Sommersprossen, und nachts telefoniert sie. Wenn ich im Bett liege, kann ich ihr Gekicher durch den Fußboden hören.

Mein großer Bruder Samson kämpft in der Armee. Wir gehen jetzt leider nicht mehr Hand in Hand in die Schule. Ich habe meinen kleinen Bruder lieb, aber weil er so klein ist, kann er manche Sachen noch nicht, außerdem weint er viel.

Samson hat gesagt er muss weg, und dass es ihm leidtut, dass er jetzt nicht mehr bei uns ist, aber er kann diesen Typen Linford einfach nicht ausstehen. Mum erzählt alles unserer Babysitterin Bev, es ist früh am Morgen, die beiden trinken Tee. Bev zieht an ihrer Zigarette und sagt: »Teenager eben. Wie alt? Siebzehn, achtzehn? Sind alle verdorben in dem Alter«,

und Mum, die noch ihre blau-weiße Schwesternuniform anhat, guckt auf die Tasse in ihrer Hand und sagt leise:

»Samson ist nicht verdorben, die beiden sind sich bloß nicht immer einig.« Bev schüttelt den Kopf. Sie sagt:

»Und die Armee soll’s richten, ja? Würde sagen, die lernen da nichts als Gewalt. Verdirbt sie noch zusätzlich … meine Meinung«,

und dann gibt ihr Mum fünfundzwanzig Pfund, steht auf, legt die Hand an die Stirn und sagt:

»Also, Beverly, ich geh dann mal schlafen. Danke.«

Und Beverly nickt und zieht ihre Jacke an.

Ich bin sieben Jahre alt und werde an den falschen Stellen mehr. Unter meinem Pullover zeichnen sich Brüste ab, die zu kleinen spitzen Dingern werden.

»Wie schnell das geht«, sagt Mum und ist nervös deswegen. Sie arbeitet jede Nacht im Krankenhaus

und macht sich Sorgen,

sie sagt, ich soll weite T-Shirts über mein enges Nachthemd ziehen, besonders über das aus Satin, das dunkelblaue, das so tief ausgeschnitten ist, dass ich dafür drei Sicherheitsnadeln brauche.

»Denk dran, Linford ist nicht dein Vater«, sagt sie. »Nachts trägst du jetzt immer meinen orangen Hausmantel. Den mit den Blumen. Sei achtsam.«

»Was heißt achtsam?«

»Das heißt, du sollst deinen Kopf benutzen, du entwickelst dich jetzt.

Alle kleinen Mädchen entwickeln und verändern sich und …

hör zu,

es ist, wie es ist.«

Sie hat recht. Ich fühl mich irgendwie anders. Irgendwie so komisch.

Ich weiß, dass ich für mein Alter schon sehr weit bin, dass mir vorne diese Dinger wachsen

und dass da jemand ist, zu dem ich Dad sage,

obwohl er nicht mein Dad ist.

Ich wusste nicht, dass es einen Dad gibt.

Dass ich so was brauche.

»Wer ist denn mein Dad?«, frage ich irgendwann. Mum sagt stolz:

»Dein Dad ist Nigerianer. Dein Dad kommt aus NIGERIA.« Als wäre das eine Antwort auf meine Frage. »Er sieht unheimlich gut aus, er ist TOLL, und ich bin noch immer in ihn verliebt. Und wie.

Außerdem ist er ein PRINZ, stell dir vor, ein Adeliger. In deinen Adern fließt blaues Blut! Wir schreiben uns sogar Briefe. Willst du wissen, wie er aussieht?«

»Ja.«

Mum holt einen großen Umschlag mit der Aufschrift »Steuern« aus dem Nachtschrank, und aus dem Umschlag holt sie die Fotos. Der tolle Nigerianer hat ein rundes Gesicht und glatte schwarze Haut, er lächelt. (Er ist viel dunkler als Linford und meine Großeltern.) Er trägt einen viereckigen Hut und ein Gewand. Mum sagt, das Bild wurde bei seinem Studienabschluss gemacht. Sie sagt, er ist der klügste Mann, den sie kennt.

»Meine große Liebe«, sagt sie und guckt in die Ferne. »Du bist ihm wie aus dem Gesicht geschnitten, weißt du das?«

Weiß ich nicht.

Er ist ein Erwachsener, den ich nicht kenne.

Er ist irgendein verkleideter Mann.

Widersprüche und ein Hinweis

Manche Tatsachen sind Lügen. So ist das.

Ich muss zu Linford immer noch »Dad« sagen,

obwohl mein richtiger Dad ein nigerianischer Prinz ist, der in Nigeria wohnt und viele Bücher liest. Mum sagt, ich bin Afrikanerin, was sich ziemlich gut anhört. Aber Großvater sagt, Afrikaner sind schlechte Menschen und haben uns an die Sklavenhändler verkauft.

Samson ist ausgezogen. Er kämpft. Für eine gute Sache. Soldaten sterben manchmal,

aber Samson passiert nichts, weil wir immer beten, bevor wir ins Bett gehen.

»Die Sache mit Linford ist kompliziert«, sagt Mum.

»Was bedeutet kompliziert?«

»Dass es ein Problem gibt. Nicht dass er kein guter Mensch wäre, aber ihm fehlt die Geduld. Und er ist oft knurrig.

Der Löwe knurrt aus Unwohlsein.

Das große Kätzchen sehnt sich nach befreundeten Tätzchen.

Er will geliebt werden, hat aber Angst. Wir müssen Verständnis für ihn haben.«

Liebe ist ein Band. Mum hat mich und Little Roo lieb. Marcia hat Linford lieb. Wen Linford lieb hat, weiß ich nicht. Marcia sagt, wenn ihr süßes kleines Mädchen groß ist, wird es den Männern mit seinem Lächeln und seinen Augen das Herz brechen. Marcia ist überzeugt, dass ihre Tochter schön sein wird. »So schön wie dein Dad«, sagt sie.

»Den ich geliebt habe«, sagt sie.

»Aber er ist verheiratet

und trägt Verantwortung.«

Mum sagt mir, wie ich auf Afrikanisch heiße:

»Dankyes«,

sagt sie,

»Dankyes Mikuk.«

Dankyes heißt:

Endlich hat der Schrecken ein Ende.

Das dunkelblaue Nachthemd löst sich auf. Obwohl ich zum Schlafen den orangen Hausmantel trage, so wie Mum gesagt hat, heißt es irgendwann, ich muss umziehen. Mum und Little Roo bleiben bei Linford, und ich muss gehen, muss woanders sein für eine Weile, es ist besser so. Ich muss kilometerweit weg zu Grandma und Granddad, wo es ständig Reis mit roten Bohnen gibt, wo ich früh ins Bett und dauernd in die Kirche muss, und alle anderen dürfen in Warrington bleiben, bei Kentucky Fried Chicken essen und Spaß haben. »Nur vier Jahre«, sagt sie, »bis du in der Schule zu den Großen kommst, vier Jahre gehen schnell vorbei.«

Mum sagt: »Ich arbeite nachts und will mir keine Sorgen machen.«

Mum sagt: »Nur vier Jahre bei Grandma.«

Mum sagt: »Das geht vorbei wie im Flug, Kleine.«

Irgendwas ist schiefgegangen. Ich weiß nicht, was. Ich weiß nur, dass Marcia findet, dass mit meinem Nachthemd irgendwas nicht stimmt. Ein langes Nachthemd aus dunkelblauem Satin, mit dem irgendwas nicht stimmt. Das rote Haus ist gefährlich

oder

ich bin gefährlich

oder ich bin gefährlich, und das Haus ist gefährlich

oder wir sind gefährlich füreinander.

Mein Körper ist zu groß für das Haus.

Der Körper als Falle,

als Falltür in einen verwunschenen Raum.

Linford als fastschlimme,

aber nicht ganzschlimme Sache, denn Linford ist ein Halbwesen, mal macht er uns Angst mal macht er Scherze, mal geht er Eis mit uns essen, mal schreit er uns an, wenn wir die Berge aus Reis/Hühnchen/Fisch/toten Tieren und die Gräben und Flüsse aus Soße und Eintopf nicht aufessen wollen – ein Teller kann ein ganzes Königreich sein. Manchmal schreit er, ich klatsch euch gleich eine, ihr esst das jetzt, SOFORT, sonst kriegt ihr’s mit mir zu tun! Und dann lässt er uns in der Küche mit den gruseligen roten Fliesen und den Rissen und den Yams- und Kartoffelgebirgen allein. Manchmal schenkt er uns glänzende 50-Pence-Münzen, manchmal, wenn wir Eis essen gehen, kauft er uns Limo, dann machen wir Eis-Limo damit, dann schwimmt das Eis in der Limo.

Mal so,

mal so.

Das große Kapitel / Der siebente Tag / Der Sinn des Lebens

Grandma und Granddad sind fromme Siebenten-Tags-Adventisten. Sie tragen Jesus und Gott im Herzen. Jesus und Gott sind fast derselbe und allsehend und allmächtig, und mit dem Heiligen Geist zusammen bilden sie eine Dreifaltigkeit.

Nichts ist so wichtig wie Gott, Jesus und der Heilige Geist. Wer das nicht weiß, wird vertilgt werden, so steht es im Buch. Wer das nicht weiß, kommt in die Hölle, wo ihn Wehklagen und Verderben erwarten.

Bei uns wird dem Vater, dem Sohn und dem Heiligen Geist gedient. Wir essen keine Meeresfrüchte und kein Schweinefleisch, so listig es auch getarnt sein mag. (Schweinefleisch ist unreines Fleisch.) Wir trinken keine Coca-Cola, keinen Kaffee, keinen Tee (Koffein ist nämlich eine DROGE). Wir sagen nicht »Gott sei Dank«, weil das Blasphemie ist, was heißt, dass man den Namen Gottes lästert.

Schmuck ist verboten. Wir schmücken unseren Körper nicht. (Hochmut.)

Wer schwarz ist,

d.h. wer nicht mit langen schönen Haaren gesegnet ist, darf eine Perücke tragen oder die Haare dauerhaft glätten. Diese Dinge sind notwendig und deswegen erlaubt. (Kein Hochmut, sondern vertretbarer Stolz.)

Wir kennen die ganze Bibel, vom 1. Buch Mose bis zur Offenbarung des Johannes, und samstags sind wir von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang in der Kirche, ohne Ausnahme. Der Samstag ist der siebente Tag der Woche, und wer in diesem Land kein Christ ist, sondern ein Lügner, will uns glauben machen, der Sonntag ist der siebte Tag. Wir sind die einzig wahren Hüter des Sabbath. Alle, die sonntags in die Kirche gehen, sind Sünder und kommen höchstwahrscheinlich in die Hölle. (Die Juden gehen auch am Samstag in die Kirche, sind aber aus vielen anderen Gründen Sünder, und außerdem haben sie Jesus getötet.)

Grandma und Granddad wohnen schon seit vielen Jahren in England. Sie haben ihre Bräuche, ihre Überzeugungen und ihren Akzent aus Jamaika mitgebracht und sagen Mummy und Daddy zueinander. Im Haus ist alles ordentlich und geblümt,

es gibt Polstermöbel

Spitzendeckchen

Gardinen

in Plastik eingeschweißte Jesusbildchen

Glaskugeln mit Schlieren drin, die aussehen wie Marmor

Plaketten mit Bibelsprüchen

Sammelteller

Kunstblumen

und schöne weiße Damen aus Porzellan, die Kleider tragen, Teetassen in der Hand halten

und in der Glasvitrine sind.

Die große Vitrine steht im Esszimmer, die kleine steht im vorderen Zimmer, das man nicht betreten darf, weil im vorderen Zimmer der Pastor oder der Vertreter oder der Mann von der Versicherung sitzen könnten. Wichtige Leute also.

Dort gibt es ein Bücherregal, ein teures geblümtes Sofa, eine illustrierte Kinderbibel, ein Grammofon (das schon seit Jahren kaputt ist), gerahmte Fotos von meinen Tanten/Onkeln/Cousins/Cousinen in jungen Jahren und die GUTEN Teller und die GUTEN Gläser (die mit bunten Vögeln und Blumen bemalt sind und nur an Weihnachten benutzt werden oder wenn Leute aus der Kirche zum Essen kommen).

Das hintere Zimmer ist unser Wohnzimmer. Hier essen wir, hier sitzen wir zusammen, hier sehen wir fern. Wir essen aus gelben Schüsseln und von blau-weiß gemusterten Tellern. Über dem Esstisch hängt das »Letzte Abendmahl« als großer Kunstdruck, daneben eine große goldene Uhr.

Gott guckt immer zu. Immer.

»Der liebe Gott hört alles, was wir sagen«, sagt Grandma. Deswegen haben wir einen Kalender, in dem steht, wann genau jeden Freitag die Sonne untergeht (weil dann der Sabbat beginnt). Deswegen gehen wir ständig auf die Knie und beten. Wir wollen nicht mit den Heiden in der Hölle schmoren am Tag des Jüngsten Gerichts. Heiden sind ungläubige Narren und andere Frevler.

Grandma will immer anständig aussehen. Sie sagt: »Das Haus verlässt man nur zurechtgemacht, komme, was wolle« und »Kopf hoch, verstanden, du gehörst niemandem außer dir selbst«. (Guter, anständiger Stolz.)