Alltag in der Moschee - Veronika Rückamp - kostenlos E-Book

Alltag in der Moschee E-Book

Veronika Rückamp

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Beschreibung

Was macht eine Moschee aus? In ihrer Untersuchung der Strukturen und zentralen Angebote »Gebet«, »Bildung« und »öffentliche Veranstaltungen« gibt Veronika Rückamp Einblicke in das Alltagshandeln in Moscheen. Anhand qualitativer Interviews und Feldforschung in Zürich und Wien zeigt sie, dass sich Moscheen in einem Spannungsfeld zwischen sich wandelnden Mitgliedererwartungen und externen Einflüssen befinden und sich dabei immer wieder neu definieren müssen. Damit leistet sie einen wichtigen Beitrag, um Moscheen in der Schweiz und in Österreich jenseits von Integrationsfragen besser zu verstehen.

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Die Publikation ist zugleich die Dissertationsschrift der Autorin, für die ihr unter dem Titel »Alltag in der Moschee – Eine qualitativ-empirische Untersuchung von Aktivitäten, Strukturen und Entwicklungen in Moscheen in der Schweiz und in Österreich« die Kultur- und Sozialwissenschaftliche Fakultät der Universität Luzern 2018 den Doktortitel vergeben hat. Die Arbeit ist im Rahmen des vom Schweizerischen Nationalfonds (SNF) geförderten Projekt »Bürgerschaftliches Engagement in religiösen Immigrant*innenvereinen im Kontext gesellschaftlicher Inkorporationsbedingungen« entstanden und wurde durch Prof. Dr. Martin Baumann (Universität Luzern) und Prof. Dr. Alexander-Kenneth Nagel (Georg-August-Universität Göttingen) begutachtet.

Veronika Rückamp, geb. 1981, ist Religionswissenschaftlerin und hat am religionswissenschaftlichen Seminar der Universität Luzern promoviert. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Islam in Europa, religiöse Gegenwartskultur, Organisationssoziologie und qualitative Forschungsmethoden.

Veronika Rückamp

Alltag in der Moschee

Eine Feldforschung jenseits von Integrationsfragen

Publiziert mit Unterstützung des Schweizerischen Nationalfonds zur Förderung wissenschaftlicher Forschung

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Dieses Werk ist lizenziert unter der Creative Commons Attribution-NonCommercial-No-Derivs 4.0 Lizenz (BY-NC-ND). Diese Lizenz erlaubt die private Nutzung, gestattet aber keine Bearbeitung und keine kommerzielle Nutzung. Weitere Informationen finden Sie unter https://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/4.0/deed.de

Um Genehmigungen für Adaptionen, Übersetzungen, Derivate oder Wiederverwendung zu kommerziellen Zwecken einzuholen, wenden Sie sich bitte an [email protected]

Die Bedingungen der Creative-Commons-Lizenz gelten nur für Originalmaterial. Die Wiederverwendung von Material aus anderen Quellen (gekennzeichnet mit Quellenangabe) wie z.B. Schaubilder, Abbildungen, Fotos und Textauszüge erfordert ggf. weitere Nutzungsgenehmigungen durch den jeweiligen Rechteinhaber.

© 2021 transcript Verlag, Bielefeld

Covergestaltung: Maria Arndt, Bielefeld

Lektorat: Silvia Schnorrer, Regensburg

Print-ISBN 978-3-8376-5633-6

PDF-ISBN 978-3-8394-5633-0

EPUB-ISBN 978-3-7328-5633-6

https://doi.org/10.14361/9783839456330

Besuchen Sie uns im Internet: https://www.transcript-verlag.de

Unsere aktuelle Vorschau finden Sie unter www.transcript-verlag.de/vorschau-download

Inhalt

Abbildungsverzeichnis

Tabellenverzeichnis

Abkürzungen

Vorwort

1Einleitung

1.1Problemaufriss und Fragestellung

1.2Gliederung der Arbeit

1.3Begriffsklärungen

2Ein theoretischer Rahmen für die Erforschung von Moscheen

2.1Ethnomethodologie und Wissenssoziologie

2.2Moscheen als Organisationen und ihre Einbettung in die gesellschaftliche Umwelt

2.2.1Organisationen, Mitglieder und Leistungsrollen

2.2.2Neo-Institutionalismus

2.3Zusammenfassung

3Muslimische Gläubige und Organisationen

3.1Forschungskontext Schweiz

3.1.1Geschichte und Institutionalisierung muslimischen Lebens

3.1.2Muslimische Bevölkerung

3.1.3Das Verhältnis von Staat und Religionsgemeinschaften im Kanton Zürich

3.1.4Kommunale und kantonale Zuständigkeiten für Moscheevereine

3.1.5Islamdiskurs in der Schweiz

3.2Forschungskontext Österreich

3.2.1Geschichte und Institutionalisierung muslimischen Lebens

3.2.2Muslimische Bevölkerung

3.2.3Das Verhältnis von Staat und Religionsgemeinschaften in Österreich

3.2.4Die Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich - IGGiÖ

3.2.5Kommunale Zuständigkeiten für Moscheevereine

3.2.6Islamdiskurs in Österreich

3.3Zusammenfassung und Vergleich

3.4Stand der Forschung

3.5Annahmen und Forschungsdesiderate

4Methodisches Vorgehen

4.1Methodologie und Forschungszugang

4.2Erhebungsmethoden und Datenmaterial

4.2.1Feldzugang und Fallauswahl

4.2.2Erhebungsmethoden: Expert*inneninterviews, narrative Interviews und teilnehmende Beobachtung

4.3Auswertungsverfahren

4.4Kurzbeschreibung der ausgewählten Moscheegemeinden

4.4.1Albanische Islamische Gemeinschaft, Zürich

4.4.2Blaue Moschee (Merkez Moschee) des Islamisch Türkischen Diyanet Vereins, Zürich

4.4.3ImanZentrum Volketswil, Zürich

4.4.4Džemat Gazi Husrev-beg, Wien

4.4.5Islamisches Zentrum Wien

4.4.6ATİB Ulu Camii, Wien

5Empirische Ergebnisse: Handlungsfelder, Strukturen und Entwicklungen in Moscheen

5.1Einführung

5.2Gebet und Feste: Moscheen als Orte kollektiver religiöser Praxis

5.2.1Einführung

5.2.2Das gemeinschaftliche Gebet in Moscheen in Zürich und Wien

5.2.3Weibliche Gebetspraxis in Moscheen

5.2.4Ethnische Zugehörigkeit versus Alltagstauglichkeit

5.2.5Gebet und soziale Funktion der Moschee

5.2.6Ramadan: Familienereignis und umma-Gefühl

5.3Bildungsangebote: Moscheen als Orte religiöser Sozialisation

5.3.1Einführung

5.3.2Religiöse Erwachsenenbildung

5.3.3Religiöse Bildung von Kindern und Jugendlichen

5.3.4Zugehörigkeit und pragmatische Nutzung der Unterrichtsangebote

5.3.5Funktionen des Religionsunterrichts: Eine Perspektive der Lernenden

5.3.6Lehrpersonen unter Professionalisierungsdruck

5.3.7Bedarf nach Weiterentwicklung des Religionsunterrichts

5.3.8Nicht-religiöse Bildungsangebote

5.4Öffentliche Veranstaltungen: Der Tag der offenen Moschee als Reaktion auf den Islamdiskurs

5.4.1Einführung

5.4.2Ablauf und Programmpunkte des Tags der offenen Moschee

5.4.3Transparenz, Information und interreligiöse Kontakte für eine Korrektur des Islambildes

5.4.4Die Rolle von Frauen und die Professionalisierung von Expertinnen und Experten

5.4.5Entkoppelung von Moschee-Zugehörigen und Besuchergruppen

5.5Moscheen im Wandel: Strukturen, Erwartungen und Entwicklungen

5.5.1Migrationserfahrung und Generationenwandel

5.5.2Flexible Zugehörigkeit versus verbindliche Mitgliedschaft: Das Problem der Trittbrettfahrer

5.5.3Frauen in Moscheen: Geschlechtertrennung als Aushandlungsprozess

5.5.4Imame und ihre Aufgaben

5.5.5Das Verhältnis von Vereinsverfasstheit und religiöser Autorität

5.5.6Öffentlich-rechtliche Anerkennung in Österreich und lokale Moscheen

6Zusammenfassung – Reflexion – Ausblick

6.1Reflexion des Forschungsprozesses und der theoretischen Grundlagen

6.2Aktivitäten als konstitutive Praxen

6.3Moscheen im Balanceakt

6.3.1Staatliche Regulative

6.3.2Gesamtgesellschaft

6.3.3Mitgliedererwartungen und muslimische Zielgruppe

6.4Was ist eine Moschee? Ausblick und Implikationen für Forschung und Praxis

Literatur

Gesetze und Verordnungen

Verzeichnis der Internetseiten

A Anhang: Interviewleitfäden

B Anhang: Transkriptionsregeln

C Anhang: Interviews, Beobachtungsprotokolle und Dokumente

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Elemente des Gebetsraums (Quelle: Frishman (2002))

Abbildung 2: Karte der Moscheen in derSchweiz

Abbildung 3: Analyseprozess in Anlehnung an das integrative Basisverfahren von Kruse (2014)

Abbildung 4: Kodierparadigma in Anlehnung an Strauss & Corbin (1998)

Abbildung 5: Lage der untersuchten Moscheen in Zürich

Abbildung 6: Albanische Moschee, Außenansicht, Zürich 2014

Abbildung 7: Albanische Moschee, Gebetsraum, Zürich 2014

Abbildung 8: Albanische Moschee, Gemeinschaftsraum, Zürich 2014

Abbildung 9: Blaue Moschee, Außenansicht, Zürich 2015

Abbildung 10: Blaue Moschee, Gebetsraum, Zürich 2014

Abbildung 11: Blaue Moschee, Frauenraum, Zürich 2014

Abbildung 12: ImanZentrum, Außenansicht, Zürich 2013

Abbildung 13: ImanZentrum, Gebetsraum, Zürich 2013

Abbildung 14: ImanZentrum, Restaurant, Zürich 2013

Abbildung 15: Lage der untersuchten Moscheen in Wien

Abbildung 16: Moschee Gazi Husrev-beg, Außenansicht, Wien 2014

Abbildung 17: Moschee Gazi Husrev-beg, Gebetsraum, Wien 2014

Abbildung 18: Islamisches Zentrum Wien, Außenansicht, Wien 2013

Abbildung 19: Islamisches Zentrum Wien, Gebetsraum, Wien 2011

Abbildung 20: Ulu Camii, Außenansicht, Wien 2013

Abbildung 21: Ulu Camii, Gebetsraum, Wien 2013

Abbildung 22: Waschraum, Albanische Moschee, Zürich 2015

Abbildung 23: Waschraum, Bosnische Moschee Schlieren, Zürich 2013

Abbildung 24: miḥrāb, Islamisches Bosnisches Zentrum Schlieren, 2013

Abbildung 25: Gebet, Albanische Moschee, Zürich 2014

Abbildung 26: Gebetskalender Wien, 2014 (Quelle: Islamische Föderation)

Abbildung 27: Gebetskalender Zürich, 2014 (Quelle: ImanZentrum Volketswil)

Abbildung 28: Gebetshaltungen

Abbildung 29: Frauen beim Freitagsgebet, ImanZentrum Volketswil, 2014

Abbildung 30: Frauenbereich, Moschee Gazi Husrev-beg, Wien 2014

Abbildung 31: Frauengebetsraum, Albanische Moschee Zürich, 2014

Abbildung 32: Ramadan Programm, ImanZentrum Volketswil, 2015

Abbildung 33: Unterrichtsprogramm Erwachsene, ImanZentrum Volketswil, 2015

Abbildung 34: Programm TOM, ImanZentrum Volketswil, 2013

Abbildung 35: Einladung TOM Wien, 2014 (Quelle: IGGiÖ)

Abbildung 36: Einladung TOM Zürich, 2013 (Quelle: VIOZ)

Abbildung 37: Gastgeschenk TOM, ImanZentrum Volketswil, 2014

Abbildung 38: Einladung TOM Wien, 2013 (Quelle: IGGiÖ)

Abbildung 39: Stellenausschreibung Imam, Juni 2016

Tabellenverzeichnis

Tabelle 1: Dimensionen von Institutionen

Tabelle 2: Entwicklung der muslimischen Wohnbevölkerung in der Schweiz 1970–2012

Tabelle 3: Nationalitäten und Anteil Geburtsland Schweiz der Musliminnen und Muslime im Kanton Zürich, Volkszählung 2000

Tabelle 4: Entwicklung der muslimischen Wohnbevölkerung in Österreich 1963–2012

Tabelle 5: Nationalitäten der muslimischen Wohnbevölkerung in Österreich 2009

Tabelle 6: Untersuchte Fälle und erhobenes Material

Tabelle 7: Mitgliedschaft und Teilnehmende beim Freitagsgebet

Tabelle 8: Expert*inneninterviews, geführt in Zürich

Tabelle 9: Expert*inneninterviews, geführt in Wien

Tabelle 10: Narrative Interviews, geführt in Zürich und Wien

Tabelle 11: Zitierte Beobachtungsprotokolle, erhoben in Zürich

Tabelle 12: Zitierte Beobachtungsprotokolle, erhoben in Wien

Tabelle 13: Zitierte Dokumente

Abkürzungsverzeichnis

A.d.V.

Anmerkung der Verfasserin

AIVS

Albanisch Islamischer Verband der Schweiz

ATİB

türk.: Avusturya Türk İslam Kültür ve Sosyal Yardımlaşma Birliği (Türkisch-Islamische Union für kulturelle und soziale Zusammenarbeit in Österreich)

BZÖ

Bündnis Zukunft Österreich

CHF

Schweizer Franken

DIGO

Dachverband islamischer Gemeinden der Ostschweiz und des

Fürstentums Liechtenstein

DİTİB

türk.: Diyanet İşleri Türk İslam Birliği (Türkisch-Islamische

Union der Anstalt für Religion in Deutschland)

Diyanet

türk.: İsviçre Türk Diyanet Vakfı (Türkisch Islamische Stiftung in der Schweiz)

DMG

Deutsche Morgenländische Gesellschaft

EU

Europäische Union

FIDS

Föderation Islamischer Dachorganisationen in der Schweiz

FPÖ

Freiheitliche Partei Österreichs

HSK

Heimatliche Sprache und Kultur

IFW

Islamische Föderation in Wien

IGB

Islamische Gemeinschaft der Bosniaken

IGG BiH    

Islamische Glaubensgemeinschaft Bosnien und Herzegowina (bosn.: Islamska zajednica u Bosni i Hercegovini)

IGGiÖ

Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich

IGG

Islamische Glaubensgemeinschaft

IGL

Islamische Gemeinde Luzern

IGVZ

Islamische Gemeinschaft Volketswil Zürich

IPD

Institut für Interreligiöse Pädagogik und Didaktik

IRPA

Islamisch Religionspädagogische Akademie

ITDV

Islamisch Türkischer Diyanet Verein

IZBA

bosn.: Islamske zajednice Bošnjaka u Austriji (Bosniakische Islamische Vereine in Österreich)

IZ BiH

bosn.: Islamska zajednica u Bosni i Hercegovini (Islamische Glaubensgemeinschaft in Bosnien und Herzegowina)

IZRS

Islamischer Zentralrat Schweiz

IZV

ImanZentrum Volketswil

IZW

Islamisches Zentrum Wien

KIOS

Koordination Islamischer Organisationen Schweiz

MA17

Magistratsabteilung für Integration und Diversität 17

MSAZ

engl.: Muslim Students Association Zurich (Muslimische

Studierendenvereinigung Zürich)

MSD

Moslemischer Sozialdienst

NFP

Nationales Forschungsprogramm

NI

Neo-Institutionalismus

OPEC

engl.: Organization of the Petroleum Exporting Countries

(Organisation erdölexportierender Länder)

SIZV

Stiftung Islamisches Zentrum Volketswil

SVP

Schweizerische Volkspartei

TOM

Tag der offenen Moschee

UAIS

Union der albanischen Imame in der Schweiz

UIKZ

Union Islamischer Kulturzentren

UOMG

franz.: L’Union des organisations musulmanes de Genève (Union muslimischer Organisationen Genf)

UVAM

franz.: Union Vaudoise des Associations Musulmanes (Union muslimischer Organisationen Waadt)

VAM

Verband Aargauer Muslime

VIOKL

Vereinigung islamischer Organisationen des Kantons Luzern

VIOZ

Vereinigung islamischer Organisationen Zürich

VIRPS

Verein für Islamische Religionspädagogik Schweiz

W

Wien

ZH

Zürich

Vorwort

Die vorliegende Studie ist das Ergebnis meiner Forschungsarbeiten, die im Rahmen des durch den Schweizerischen Nationalfonds (SNF) geförderten Dissertationsprojektes »Bürgerschaftliches Engagement in religiösen Immigrant*innenvereinen im Kontext gesellschaftlicher Inkorporationsbedingungen« am Religionswissenschaftlichen Seminar der Universität Luzern entstanden sind. Die Doktorarbeit habe ich im Mai 2018 eingereicht und im Dezember 2018 verteidigt. Mit der großzügigen finanziellen Unterstützung des SNF kann diese Arbeit nun als Open-Access-Publikation erscheinen.

Ohne die Unterstützung, die ich von zahlreichen Seiten erfahren habe, wäre die Arbeit nicht in der vorliegenden Form entstanden. Mein herzlicher Dank gilt daher Prof. Dr. Martin Baumann, auf dessen Initiative das Projekt erst zustande gekommen ist. Er hat mich über die Jahre stets hilfreich begleitet und ermutigt, wofür ich ihm sehr dankbar bin. Herzlich danken möchte ich auch Prof. Dr. Alexander-Kenneth Nagel, der mich als Zweitbetreuer beraten und unterstützt hat.

Mein Dank gilt darüber hinaus den Kolleginnen und Kollegen am Religionswissenschaftlichen Seminar der Universität Luzern und den Mitdoktorierenden, die mir in zahlreichen Kolloquien und Arbeitstreffen bereitwillig ihre Unterstützung zuteil kommen haben lassen. Besonders bedanken möchte ich mich bei meiner Projektkollegin Katharina Limacher, mit der ich Freud und Leid der wissenschaftlichen Arbeit teilen konnte. Ebenfalls gedankt sei Prof. Dr. Sieglinde Rosenberger und den Mitarbeitenden des Instituts für Politikwissenschaft der Universität Wien für die Gastfreundschaft während meines Forschungsaufenthaltes.

Darüber hinaus gilt mein aufrichtiger Dank allen Menschen in den Moscheen und außerhalb, die mit mir so bereitwillig ihre Zeit und ihre Gedanken geteilt und mir die Türen geöffnet haben. Ohne sie wäre diese Arbeit nicht möglich gewesen.

Danken möchte ich Adisa Beširović und Inga Oberzaucher-Tölke für ihre Hilfe bei Übersetzungen und Carla Küffner für die hervorragenden Transkriptionsarbeiten. Danke an Anne Julie Gottschalk, Judith Kausch, Andreas Tunger, Seyma Gülen, Mehmet Kalender und Thorsten Wettich für Feedback zu einzelnen Kapiteln der Arbeit. Auch bedanken möchte ich mich bei Inske Preissler und Silvia Schnorrer für die gründliche Gesamtlektüre der Arbeit und für die eine oder andere deutliche Ansage.

Und schließlich hätte ich es ohne meinen Mann Daniel Rückamp nie geschafft, die Arbeit fertig zu stellen. Er hat mich nicht nur emotional, sondern auch praktisch bei Formatierung und Rechtschreibkorrektur unterstützt. Er weiß, dass ich ihm unendlich dankbar bin.

1Einleitung

1.1Problemaufriss und Fragestellung

»Unruhe in der Moschee«, mit dieser Titelzeile beschreibt ein Artikel im Landboten (Plüss 2016), wie bei Auseinandersetzungen in einer Moschee in der Schweizer Stadt Winterthur sogar die Polizei einschreiten musste, um die zerstrittenen Parteien zu trennen. Um was ging es bei der Auseinandersetzung? Warum waren die Gemüter so erhitzt, dass es sogar zu Handgreiflichkeiten kam? Der Artikel beschreibt einen Richtungsstreit in der Moschee. Der Vereinsvorstand sei »verstaubt und reaktionär«, so ein Mitglied. Ein anderes Mitglied wird mit der Aussage zitiert, dies sei »ein Grüppchen von Senioren (...), von denen spricht nicht mal einer richtig deutsch«. Der Vorstand habe alle einst guten Kontakte zu anderen Moscheen und auch zu den Winterthurer Kirchen gekappt und das Weiterbildungsangebot des Vereins zusammengestrichen.

Die Gründe für die Auseinandersetzung lagen nicht in der religiösen Ausrichtung der Moschee, in Fragen von Glaubensvorstellungen oder religiöser Praxis. Es ging um die schlichte aber grundlegende Frage, was die Moschee sein soll und welche Aktivitäten in ihr stattfinden sollen. Ist eine Moschee ein Ort, an dem sich die Aktivitäten auf das gemeinsame Verrichten des Gebets und religiöser Unterweisung konzentrieren oder soll eine Moschee mehr sein? Nämlich ein Ort für Bildung, die über religiöse Bildung im engeren Sinne hinaus geht, eine Gemeinschaft, die mit anderen Religionsgemeinschaften Kontakt hält. Soll in ihr Deutsch gesprochen werden oder die Sprache aus den Herkunftsländern der Mitglieder?

An diesem Beispiel lässt sich illustrieren, dass das, was eine Moschee ist, nicht einfach zu definieren ist und mit ihr ganz unterschiedliche Bilder verbunden sind, die über die rein architektonische Erscheinungsform hinausgehen. Diese Vorstellungen kommen sowohl von der Gemeinschaft der muslimischen Gläubigen selbst als auch von der Gesamtgesellschaft im weiteren Sinne, denn Moscheen in der Schweiz und in Österreich sind ein Thema öffentlichen Interesses. Moscheen und ihre öffentliche Wahrnehmung unterliegen einem Wandel: So war es in den 1960er und 70er Jahren noch scheinbar ohne Weiteres möglich, mit Unterstützung der Kommunen repräsentative Moscheen (Islamisches Zentrum Wien, Mahmud Moschee in Zürich, Genfer Moschee) zu errichten und sogar, wie im Falle der Genfer Moschee, eine Eröffnung mit Ehrengästen wie dem damaligen Bundespräsidenten Pierre Aubert und dem Finanzier, dem saudischen König Khaled Bin Abdulaziz Al Saud, stattfinden zu lassen. Öffentliche Sichtbarkeit wurde hier ohne Weiteres zugebilligt. Heute ist die Lage allerdings eine ganz andere: Sogenannte Hinterhofmoscheen sind optisch weitgehend unsichtbar, ihre Aktivitäten – sieht man von Ausnahmen wie dem Tag der offenen Moschee und ähnlichen Ereignissen ab – finden weitgehend ohne öffentliche Beachtung statt. Ungleich größer ist das Interesse an vermeintlichen extremistischen Tendenzen, an Abschottung und mangelnder Integration.

Auch von Seiten der Wissenschaft sind Moscheen intensiv auf ihr integratives Potenzial hin untersucht worden (vgl. Pries 2010). Diese Arbeit eröffnet einen anderen Blickwinkel und rückt die alltäglichen Angebote und Aktivitäten in Moscheen in den Vordergrund. Welche Vorstellungen von einer Moschee spiegeln sich im Handeln wider und wie wirken sich unterschiedliche interne und externe Erwartungen auf das Handeln in Moscheen aus? Dieser Blick auf die »Normalität« in Moscheen ist notwendig, denn nur so können Veränderungsprozesse und Wandel im Kontext von gesamtgesellschaftlichen Veränderungen untersucht werden. Auch bedarf es einer Kenntnis dieser Normalität, um überhaupt von Abweichungen in extremistischer Richtung sprechen zu können. Denn wie kann über Abweichungen gesprochen werden, wenn ein Referenzpunkt fehlt? Natürlich liegt Normalität im Auge des Betrachters. Durch die Auswahl der untersuchten Fälle und die Konzentration auf typische Moscheen, gehe ich jedoch davon aus, genau diesen Mainstream zu untersuchen (siehe Kap. 4). Ziel der Untersuchung ist es daher, charakteristische Alltagshandlungen in Moscheen in der Schweiz und in Österreich und ihre Funktionen für Menschen muslimischen Glaubens zu beschreiben. Dabei werden besonders die Angebote der Moscheen sowie die religiöse und soziale Praxis der Besucherinnen und Besucher in den Moscheen untersucht.

In dieser Arbeit stelle ich die einfache Frage: Was ist eine Moschee? Dabei gehe ich davon aus, dass das, was wir als Moschee wahrnehmen, mit Hilfe von Handeln und Sprache konstruiert wird und zwar im Kontext unterschiedlicher Erwartungen, die von Seiten der verschiedenen Zielgruppen einer Moschee explizit und implizit artikuliert werden. Diese Erwartungsgruppen (vgl. ebd.: 39) sind das eigene Klientel von Musliminnen und Muslimen, aber auch die Gesamtgesellschaft, deren Erwartungen durch die Medien artikuliert und reproduziert werden, und schließlich der Staat in Form von Politiken und Regulativen. Ich möchte wissen, unter welchen Bedingungen Moscheen welche Funktionen und Wirkungen für die verschiedenen Erwartungsgruppen entfalten. Mein Geschlecht bot mir die besondere Möglichkeit, weibliche Moscheepraxis zu erforschen. Daher lege ich ein besonderes Augenmerk auf die Rolle von Geschlechtertrennung und die Erwartungen der weiblichen Besucherinnen.

Empirisch fokussiere ich mich auf ausgewählte Moscheen in der Schweiz und in Österreich, genauer in den Städten Zürich und Wien. Ich untersuche auf Grundlage der von mir erhobenen qualitativen Daten, wie sich die zentralen Aktivitäten »Gebet und Feste«, »Bildungsangebote« und »öffentlichkeitswirksame Veranstaltungen« gestalten und wie unterschiedliche Erwartungen und Rahmenbedingungen auf diese Aktivitäten einwirken. Schließlich werde ich noch einmal genauer analysieren, welche Auswirkungen strukturell-rechtliche und politische Rahmenbedingungen, der mediale Diskurs als gesamtgesellschaftliche Erwartung und die Bedürfnisse der muslimischen Zielgruppe auf die Moscheen haben.

Theoretisch bedient sich die Arbeit zum einen eines sozialkonstruktivistischen Zugangs, wie er von der Ethnomethodologie und wissenssoziologischen Zugängen vertreten wird. Zum anderen arbeite ich mit Konzepten des Neo-Institutionalismus und betrachte Moscheen als Organisationen, die im Kontext ihres organisationalen Feldes und der Erwartungen verschiedener Öffentlichkeiten agieren. Dabei spielen nicht zuletzt religiöse Handlungsanweisungen und Konzepte eine wichtige Rolle. Ziel des Handelns ist in diesem Verständnis Legitimität, die die Existenz der Organisation sichert. Die Moschee muss als Moschee erkennbar sein und an der sich daraus ergebenden Konstruktionsleistung durch die Organisationen lassen sich verschiedene Deutungsmuster und Einflussfaktoren erkennen.

Meine Arbeit ist damit zwischen Religionswissenschaft und Soziologie angesiedelt. Die religionswissenschaftliche Perspektive liefert die für das Handeln relevanten religiösen Begriffe, Deutungsmuster und Konzepte (vgl. Pollack 2000), die für das Verständnis dessen, was in Moscheen zentral sind, wichtig sind. Aus der Soziologie bediene ich mich analytischer Konzepte für die Erforschung von sozialen Phänomenen auf der Mesoebene, der Konstruktion sozialer Wirklichkeit durch Sprache und Handeln und nicht zuletzt der Methoden, um soziale Wirklichkeit zu erforschen.

Diese Arbeit ist im Rahmen des vom Schweizerischen Nationalfonds geförderten Projektes »Bürgerschaftliches Engagement in religiösen Immigrant*innenvereinen im Kontext gesellschaftlicher Inkorporationsbedingungen« unter der Leitung von Martin Baumann an der Universität Luzern entstanden. Bei der Antragstellung wurden Annahmen formuliert, die sich auf den Zuschnitt des Projektes auswirkten. Dadurch ist ein Forschungsdesign entstanden, das auf Formen von Engagement im Spiegel länderspezifischer Inkorporationsbedingungen fokussiert. Gefragt werden sollte, unter welchen Bedingungen in den Moscheen Formen von Sozialkapital ausgebildet werden. Im Laufe des Forschungsprozesse kam es jedoch unter Anwendung der Grounded Theory-Methodologie zu einer Anpassung der Fragen und des Designs. Zwar wurde der Ländervergleich beibehalten, die theoretische Grundlage verlagerte sich jedoch hin zu einem neo-institutionalistischen Zugang. Die geänderte Vorgehensweise wird im Theorie- und Methodikteil dieser Arbeit (Kap. 2 und 4) reflektiert.

1.2Gliederung der Arbeit

Im Laufe dieser Einleitung werde ich im nächsten Abschnitt zentrale Begrifflichkeiten klären. Dann lege ich in Kapitel 2 die theoretischen Grundlagen und meinen methodologischen Standpunkt aus der Wissenssoziologie dar, welcher durch Aspekte der Ethnomethodologie ergänzt wird. Zentral ist dabei die Absicht zu erklären, wie das Phänomen »Moschee« als solches erkennbar und untersuchbar wird. Dabei spielt Handeln eine zentrale Rolle. Mit Konzepten der Organisationssoziologie werde ich analysieren, durch welche Faktoren dieses Handeln beeinflusst wird. Daher ergänze ich den sozialkonstruktivistischen Zugang durch die Theorie des Neo-Institutionalismus, welche Organisationen in ihrem organisationalen Feld und ihrer gesellschaftlichen Verankerung betrachtet.

Aufbauend auf den theoretischen Konzepten verfolgt Kapitel 3 die Absicht, den Stand der Forschung zu Moscheen in der Schweiz und in Österreich darzulegen und die Rahmenbedingungen für Moscheen in den beiden Ländern aufzuarbeiten. Dies dient dazu, die gesellschaftliche Verankerung von Moscheen besser zu verstehen und wichtige kontextuelle Faktoren zu identifizieren, die später für die Analyse des empirischen Materials bedeutsam sind. Dabei spielen die Geschichte und Institutionalisierung muslimischen Lebens sowie eine Beschreibung der muslimischen Bevölkerung eine wichtige Rolle. Desweiteren werden gesellschaftliche Rahmenbedingungen wie das Verhältnis von Staat und Religionsgemeinschaften, staatliche Zuständigkeiten für Moscheevereine auf der lokalen Ebene sowie nicht zuletzt der Islamdiskurs in den Blick genommen. In der Aufarbeitung des Standes der Forschung fokussiere ich mich auf die Frage, was wir über Moscheen in der Schweiz und in Österreich wissen. Hinzu kommen weitere ausgewählte Studien aus anderen europäischen Ländern, die für meine Fragen wichtig sind. Aus den dargelegten Forschungsergebnissen und Wissensständen formuliere ich Annahmen und Forschungsdesiderate, die im Verlauf der Analysen bearbeitet werden.

Im zweiten Teil der Arbeit (Kap. 4 – 5) lege ich die empirischen Erkenntnisse auf Grundlage der von mir erhobenen qualitativen Daten dar. Dafür werde ich zunächst mein methodisches Vorgehen für die Erhebung im Feld und für die Auswertung der Daten erläutern (Kap. 4). Das Kapitel beinhaltet darüber hinaus eine knappe überblicksartige Darstellung der untersuchten Moscheen mit ihren wichtigsten Aktivitäten und Charakteristika (Kap. 4.4). Bei der Untersuchung hat sich gezeigt, dass die wichtigsten und verbreitetsten Aktivitäten in den Moscheen das Gebet und Bildungsangebote sind. Darüber hinaus organisieren die von mir ausgewählten Fälle öffentlichkeitswirksame Veranstaltungen wie Tage der offenen Tür oder Moscheeführungen. Diese Aktivitäten werde ich genauer untersuchen und fragen, wie sie das, was wir als Moschee wahrnehmen, konstituieren, und wie die Erwartungen verschiedener Öffentlichkeiten Einfluss auf sie nehmen (Kap. 5.2 – 5.4). Zudem werde ich analysieren, welche geteilten Orientierungsrahmen und Deutungsmuster den Aktivitäten zugrunde liegen. In Kapitel 5.5 analysiere ich wichtige strukturelle Merkmale von Moscheen und es wird um die Frage gehen, wie sie unterschiedliche Erwartungen, die an sie gerichtet sind, ausbalancieren. Ich werde dabei ein Augenmerk auf Entwicklungen im Kontext des Generationenwandels legen, Formen von Zugehörigkeit und weibliche Praxis in der Moschee untersuchen und mir die Leistungsrolle des Imams vor dem Hintergrund des Verhältnisses administrativer und religiöser Autoritätenrollen genauer ansehen. Schließlich wird die Frage nach den Auswirkungen öffentlich-rechtlicher Anerkennung auf Moscheen in Österreich erörtert. Auf der theoretischen Grundlage des Neo-Institutionalismus ist das Handeln in Moscheen auf Legitimität ausgerichtet, jedoch müssen teils widersprüchliche Erwartungen ausbalanciert werden, um Legitimität zu erhalten. Dieser Zugang wird bei der Analyse eine wichtige Rolle spielen und es wird deutlich werden, dass sich Moscheen in einem Balanceakt zwischen verschiedenen Erwartungen befinden. Dabei werde ich auf die Wandlungs- und Entwicklungsprozesse in den Moscheen eingehen und sie mit den Konzepten des Neo-Institutionalismus deuten.

Im abschließenden Fazit widme ich mich zunächst der Frage, inwiefern sich der gewählte theoretische Rahmen als hilfreich erwiesen hat oder wo sich Grenzen aufgetan haben. Daran schließt sich eine Zusammenschau der unterschiedlichen Publikumsrollen und ihrer Erwartungen an, wie sie im Theorieteil konzeptionell festgelegt wurden. Daraus ergibt sich die Beantwortung meiner Forschungsfrage, was eine Moschee durch ihr Handeln ist und welche Einflussfaktoren dabei eine Rolle spielen. Die Ergebnisse werden dann im Kontext der Religionsforschung diskutiert und eingeordnet. Dabei werden Möglichkeiten für weitere Forschung aufgezeigt und die Ergebnisse vor dem Hintergrund ihrer Relevanz für die Praxis reflektiert.

1.3Begriffsklärungen

Ohne bereits in die theoretischen Grundlagen vorzudringen, möchte ich einige begriffliche Klärungen vornehmen, die dem Verständnis dienen und die Ausgangslage dieser Arbeit verdeutlichen. Die Ausführungen im Theorieteil (Kap. 2) werden dann begrifflich und konzeptionell stärker in die Tiefe gehen.

Religion und Religionsgemeinschaft

Da es sich beim Untersuchungsgegenstand »Moschee« um eine Einrichtung mit religiöser Funktion handelt, erscheint es mir wichtig zu klären, was ich unter »Religion« verstehe. Theorien und Definitionen von Religion sind vielfältig und haben ihre je eigenen Perspektiven. Die Perspektive, die ich einnehme, ist eine, die die Gemeinschaftlichkeit von Religion, Rituale und die Bedeutung von Religion als Orientierungsrahmen in den Blick nimmt. Entsprechend definiert Riesebrodt Religion als »Komplex religiöser Praktiken, die auf der Prämisse der Existenz in der Regel unsichtbarer persönlicher oder unpersönlicher übermenschlicher Mächte beruhen« (Riesebrodt 2007: 113). »Religiosität« siedelt er auf der individuellen Ebene an, die er von Religion als universalem Komplex abgrenzt.

Religiös nenne ich Handlungen, deren Sinn sich durch die Bezugnahme auf persönliche oder unpersönliche übermenschliche Mächte auszeichnet. Religion bezeichnet einen Komplex religiöser Praktiken, den man vom Begriff der religiösen Tradition unterscheiden sollte. Religiosität nenne ich die subjektive Aneignung und Ausdeutung von Religion. Niemand praktiziert Religion, ohne sich Formen und Inhalte subjektiv anzueignen. (Ebd.: 115)

Mit seinen Definitionen nimmt Riesebrodt weniger subjektive kognitive Glaubensgebilde in den Blick als die sich daraus ergebenden Handlungen und Praktiken. Diese sind beobachtbar und daher für diese Arbeit dienlich, da der Untersuchungsgegenstand das Handeln in Moscheen ist. Allerdings fehlt dabei der soziale Aspekt von Religion, der für diese Untersuchung tragend ist. Daher möchte ich noch eine weitere Definition hinzunehmen, die Religion als Summe bestimmter »religiöser Symbolbestände« versteht. Bochinger fasst in Anlehnung an Cantwell Smith unter »religiösen Symbolbestand« die »Summe aller aufeinander bezogenen Traditionsbestände einer ›Religion‹ (...), die von Generation zu Generation weiter tradiert, reformiert oder in Teilen aufgegeben, aber auch erweitert und neu produziert werden können«. Religiöse Individuen, religiöse Gemeinschaft und religiöser Symbolbestand sind wechselseitig aufeinander bezogen und dieses Zusammenwirken beschreibt Bochinger als »Religion«. Religiöse Gemeinschaften geben den religiösen Symbolbeständen Stabilität, verstetigen und systematisieren sie (vgl. Bochinger 2014: 30). Diese Definition zielt damit auf die kognitive und materielle Dimension von Religion. Religiöse Symbolbestände sind wandelbar, werden tradiert und angepasst. Diese Sichtweise auf Religion ist besonders ergiebig für Religionen in Migrationssituationen, da den Religionsgemeinschaften eine produktive Leistung zugeschrieben wird und kontextuelle Faktoren in Transformationsprozessen mitgedacht werden können. Die Religionsgemeinschaft ist in diesem Verständnis ein Garant für die Existenz von Religionen. Auf Grundlage dieser beiden Definitionen beziehe ich mich daher sowohl auf die kognitive, materielle und soziale Dimension von Religion als auch auf die, die Rituale als Handlungen in den Fokus rückt.

Beckford warnt allerdings vor einem unkritischen Umgang mit den Begriffen »Religionsgemeinschaft« oder »Community« (vgl. auch Knott 2004). Von Seiten öffentlicher Administration würden Gläubige gerne zu Religionsgemeinschaften zusammengefasst, ungeachtet dessen, dass Fragen der Zugehörigkeit nicht geklärt bzw. bekannt sind und individuell praktizierte Religiosität ausgeklammert wird. Damit erhielte organisierte Religion eine Machtposition, die ihrer eigentlichen Tragweite für die Gläubigen nicht gerecht würde (Beckford 2015: 230). Religionsgemeinschaften werden zu einer »Verkirchlichung« gezwungen, für die traditionell keine Strukturen vorhanden sind (Oebbecke 2010b: 4). In diesem Zuge wird Religion aber auch verwaltbar gemacht (vgl. auch Tezcan 2008: 128).

Ein weiterer Kritikpunkt Beckfords ist, dass die Begriffe »Gemeinschaft« und »Community« die Unterschiede zwischen verschieden Typen religiöser Organisation verwischten (Beckford 2015: 229). Dabei würden in dem Begriff verschiedene Implikationen mitschwingen. Die erste Implikation sei die Unterstellung, dass es sich um Kollektive mit einer identifizierbaren gemeinsamen Identität und gemeinsamen Interessen handle, über die Generalisierungen gemacht werden können. Damit verbunden würden die Mitglieder der Religionsgemeinschaft als homogen angesehen und es gäbe nur wenige Gläubige, die außerhalb dieser Gemeinschaften sind. Das heißt, wer sich als »Muslim« bezeichnet, wird damit auch zur muslimischen Religionsgemeinschaft gezählt. Die zweite Implikation ist, dass religiöse Gemeinschaften soziale Akteure sind, die dazu in der Lage sind, in der Öffentlichkeit zu handeln und auf das Handeln anderer Akteure zu reagieren. So ist zum Beispiel zu beobachten, dass muslimische Repräsentantinnen und Repräsentanten dazu aufgefordert werden, am Diskurs über den Islamischen Staat teilzunehmen und dezidiert Stellung zu beziehen bzw. sich explizit abzugrenzen. Und als drittes impliziert der Begriff, dass Religionsgemeinschaften alle gleich sind, indem sie »Glauben« oder »Gläubigkeit« fördern. Der »Glaubenssektor« in der Gesellschaft werde damit allein den Religionsgemeinschaften zugerechnet, so Beckford (ebd.: 230).

Darüber hinaus ist zwischen lokaler und globaler Religionsgemeinschaft zu unterscheiden. Kippenberg versteht eine globale Religionsgemeinschaft als Adressatin einer Heilszusage. Damit »verknüpft ist die Vorstellung, dass die lokalen Religionsgemeinden Teil einer transzendenten Gemeinschaft aller Erlösten sind (›Volk Gottes‹, ›Kirche‹, ›Umma‹) und dass diese Gemeinschaft eine eigene von der Weltgeschichte unterschiedenen Heilsgeschichte hat« (Kippenberg 2009: 197). Die lokale Religionsgemeinschaft, die im US-amerikanischen Sprachgebrauch meist »congregation« genannt wird, verstehe ich mit M. Baumann als eine lokale soziale Einheit, »die von Individuen gebildet wurde, um bestimmte religiöse Zwecke zu verfolgen und ein regelmässiges [sic!] Angebot umzusetzen. Die Einheit vereint Personen mit gleichen religiösen bzw. spirituellen Interessen und Überzeugungen und weist eine zeitliche Kontinuität und Dauer auf« (M. Baumann 2012: 24f.)1.

Wie das einleitende Beispiel der Arbeit verdeutlicht, bedeutet trotz des Gemeinsamen die Gemeinschaft nicht unbedingt auch den Konsens, sondern kann Austragungsort sowohl für Differenzen hinsichtlich der religiösen Traditionen, Ausrichtung und Standpunkte als auch hinsichtlich nicht-religiöser Ausrichtung und Vernetzung nach außen sein. Entsprechend »sind Dissens, Neuerungen und Spaltungen im Begriff der Religionsgemeinschaft mitzudenken« (ebd.: 24)2. Wie Kippenberg möchte Baumann den Begriff Religionsgemeinschaft im Sinne einer lokalen »congregation« nicht mit der »Gemeinschaft der Christen« oder der »Religionsgemeinschaft der Hindus« gleichgesetzt sehen, da dadurch eine Verallgemeinerung stattfinde. Der Begriff Religionsgemeinschaft verweise hingegen »auf die in der Realität vorzufindenden Unterschiede und Besonderheiten jeweiliger religiöser Gruppen und Gemeinschaften« (ebd.: 24). Die lokale Religionsgemeinschaft wird in Europa aufgrund des christlich-konfessionellen Territorialmodells sowohl als Ort der religiösen als auch der geographisch-kommunalen Zugehörigkeit, also der religiösen und auch kommunalen Gemeinde, gedacht. Kirchenmitglied ist man in einer lokalen Pfarrei durch den Wohnort und das Bekenntnis (vgl. ebd.: 28). Diese Struktur der wohnräumlichen Gemeinde als das traditionelle Muster der Mitgliedschaft, so Baumann, würde landläufig das Verständnis des Begriffes Religionsgemeinschaft prägen und in der Tat wären auch teilweise nicht-christliche Religionsgemeinschaften so organisiert (vgl. ebd.: 28). Dies trifft auch auf die Gemeinschaft der Menschen muslimischen Glaubens zu, von der, wie von Beckford kritisiert, die Formierung einer repräsentativen Organisation eingefordert wird.

Eine lokale Religionsgemeinschaft ist damit zwischen den Individuen und der Religion, im Sinne religiöser Symbolbestände und Praktiken, sowie anderen Faktoren, die über das Lokale hinaus gehen, eingebettet (vgl. Knott 2000: 94). Lokalität als Forschungsperspektive bedeutet bei Knott ein Interesse an der »arena in which interactions commonly take place and institutions recognise one another and engage meaningfully« (ebd.: 95). Lokalität als Forschungsperspektive hat zum Ziel, Religionsgemeinschaften in ihrer lokalen Umgebung und Interaktion zu untersuchen:

The purpose of identifying such localities and the communities within them for the study of religions is to go beyond seeing such places as the accidental habitats of religious groups to recognising the human ecology of the place and the way in which its geography, social character, political and economic structures and religious life develop in dynamic engagement with one another. (Ebd.: 95)

Jedoch beeinflussen für Knott nicht nur äußere Umstände Religionen und Religionsgemeinschaften:

Religion and the institutions and individuals that constitute them do not arise passively from their local circumstances. They recruit and are built by a local people with their own particular interests; they meet local needs. (Ebd.: 99)

Mein Verständnis von Moscheen als lokale Religionsgemeinschaften baut auf diesem Verständnis auf. Dabei gehe ich davon aus, dass Religionsgemeinschaften sich aufgrund interner und externer Erwartungen formen und wandeln. Unklar bleibt bei diesen Definitionen, welcher Grad der individuellen Zugehörigkeit vorausgesetzt wird. Impliziert der Begriff »Religionsgemeinschaft« eine exklusive Zugehörigkeit, formale oder informelle Mitgliedschaft? Wie artikuliert sich diese Zugehörigkeit? Durch einen finanziellen Beitrag, durch Engagement? Beziehen sich Zugehörigkeiten auf nur eine lokale Religionsgemeinschaft, hier Moschee, oder können auch mehrere Moscheegemeinden für die Praxis relevant sein? Diese und ähnliche Fragen stellen sich im Kontext des Begriffes Religionsgemeinschaft bzw. Gemeinde. Wie sich Zugehörigkeit, religiöse Praxis und Mitgliedschaft im Hinblick auf Moscheen in der Schweiz und in Österreich ausprägen, werde ich in dieser Arbeit untersuchen. Dabei ist, wie Baumann vorschlägt, der Begriff »Religionsgemeinschaft« vor seinen christlichen Konnotationen zu reflektieren.

Religionsgemeinschaften von Immigrierten oder religiöse Minderheit?

Moscheevereine werden im mitteleuropäischen Kontext in Öffentlichkeit und Politik meist im Zusammenhang mit Migration und Integration wahrgenommen (vgl. Rosenow-Williams 2012; Pries 2010). Dies spiegelt sich auch in den administrativen Strukturen wieder: So sind beispielsweise die Zuständigkeiten für diese Vereine bei den staatlichen Stellen für Integration angesiedelt3. In der Religionsforschung kann seit den 1990ern eine verstärkte Auseinandersetzung mit Immigrantinnen und Immigranten, die an den neuen Wohnorten Religionsgemeinschaften gründeten, beobachtet werden. Dies geschah vor allem unter dem Blickwinkel von Migration (vgl. Furseth 2008: 147f.). Ein Beispiel hierfür ist das von Baumann entwickelte Phasenmodell der Diaspora (M. Baumann 2002a; 2004)4, in dem der Migrationshintergrund der Gemeinschaften und der Prozess der Etablierung in der Aufnahmegesellschaft eine maßgebliche Rolle spielen. Den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und Möglichkeitsstrukturen im Aufnahmeland werden darin eine zentrale Bedeutung im Hinblick auf die erfolgreiche Inkorporation und strukturelle Anpassung der Gemeinschaften eingeräumt (vgl. auch Soysal 1994).

Ich schließe mich dem Fokus auf den Kontext an, nehme allerdings im Bezug auf den Migrationskontext eine etwas andere Perspektive ein. Zwar ist es richtig, dass die meisten Menschen muslimischen Glaubens oder deren Vorfahren, sofern es sich nicht um Konvertierte handelt, in den letzten 50 Jahren in die Schweiz und nach Österreich eingewandert sind. Auch erfolgt aufgrund von Krieg und anderen Gründen nach wie vor Migration aus muslimisch geprägten Weltgegenden wie dem Balkan oder derzeit aus Syrien (siehe Kap. 3). In den Moscheen hat jedoch mittlerweile ein Generationenwechsel eingesetzt, der darauf hindeutet, dass sich deren Ausrichtung und Ziele, vor allem im Hinblick auf ihre Aktivitäten, in einem Veränderungsprozess befinden dürften. Auf der individuellen Ebene fand parallel dazu durch Familiennachzug, Nachkommenschaft und ökonomischer Festigung eine Etablierung statt, so dass ein Rückkehrgedanke, wie dieser vielleicht zu Anfang noch vorherrschte, nun ganz aufgehoben oder auf die Zeit nach der Pensionierung verschoben ist (vgl. Fokkema et al. 2012). Ein Beispiel dafür ist der Gedanke an den Begräbnisort, welcher in letzter Zeit unter anderem in der Schweiz zu Bemühungen muslimischer Organisationen um muslimische Sektionen auf öffentlichen Friedhöfen führte.

Auch für Moscheen bedeutet die Entwicklung ein Wandel zu mehr Dauerhaftigkeit, was Räumlichkeiten und Aktivitäten anbelangt, und, wie ich vermute, auch eine Abnahme der transnationalen Bezüge zum Herkunftsland zugunsten einer Orientierung hin zum Residenzland. In eine ähnliche Stoßrichtung geht Baumanns Forschung zu der Frage, inwiefern religiöse Gemeinschaften von Immigrierten durch ihre Sichtbarwerdung in Form von repräsentativen Sakralbauten nun auch zu Akteuren in der Zivilgesellschaft des Aufnahmelandes werden (M. Baumann 2014; vgl. auch Lutz 2010). Darüber hinaus stellt er fest, dass für die Gläubigen religiöse Gemeinschaften zu »Brückenorten« werden, welche Integration von Individuen in die Aufnahmegesellschaft begünstigen (M. Baumann 2015). Diese Befunde weisen auf einen stärkeren Bezug der lokalen Religionsgemeinschaften zum Residenzland hin. Auch im öffentlichen Diskurs hat eine Verlagerung stattgefunden, nämlich von der nationalen Herkunft auf die Religionszugehörigkeit als Fremdheitsmerkmal (vgl. Behloul 2007a; D’Amato 2015; Lindemann & Stolz 2014; Tietze 2008).

Durch die gesunkene Bedeutung des Aspektes der Herkunft und Zuwanderung im öffentlichen Diskurs sowie die verstärkte Orientierung muslimischer Organisationen hin zum Aufnahmeland gehe ich von einer Abnahme der Bedeutung des Migrationshintergrundes aus. Allerdings wird die »Integrationsfähigkeit« des Islam und muslimischer Gläubiger im Diskurs in der Schweiz und in Österreich regelmäßig in Frage gestellt. Es besteht die Gefahr, dass durch eine Einordnung von Menschen muslimischen Glaubens in den Kontext von »Migration«, und damit häufig auch »Integration«, von Seiten der Wissenschaft zu einer Reproduktion dieses Diskurses beiträgt. In dem Zusammenhang weist A.-K. Nagel darauf hin, dass durch Sprachbilder wie »Parallelgesellschaft«, »Mobilitätsfalle« oder »ethnische Kolonien« ein »gesellschaftspolitisches Gefährdungsszenario« fortgeschrieben wird (A.-K. Nagel 2015b: 13). Ziel dieser Arbeit soll es daher nicht sein, ein solches Szenario zu bedienen oder zu widerlegen, sondern eine andere Perspektive einzunehmen und vielmehr auf die »Normalität« von Moscheen zu blicken. Daher halte ich es für angebracht, nicht von einer »Immigrant*innenreligion«5 sondern von einer »Minderheitenreligion« zu sprechen. Damit meine ich eine religiöse Gemeinschaft in einer religiös pluralen Gesellschaft, die zahlenmäßig kleiner ist als die dominierende religiöse Mehrheit6.

Mag also die Perspektive auf Moscheen unter dem Aspekt der Migration als Forschungsperspektive bislang angemessen gewesen sein, stellt sich heute die Frage, ob nicht andere theoretische Blickwinkel neue, weitergehende Erkenntnisse erbringen können. Furseth konstatiert gar ein weitgehendes Fehlen einer sozialtheoretischen Fundierung der Untersuchungen zu religiösen Organisationen von Migrierten (Furseth 2008: 147f.). Die vorliegende Arbeit folgt einem dezidiert qualitativen Ansatz, wie er in dem Forschungsprogramm der Grounded Theory vertreten wird. Dies bedeutet eine weitgehende theoretische Unvoreingenommenheit am Anfang der Forschung und einer sukzessiven Entwicklung des theoretischen Ansatzes auf Grundlage der empirischen Erkenntnisse. Die Theorie bestimmt damit nicht das Forschungsprogramm, sondern dient dazu, empirische Ergebnisse besser verstehen zu können (siehe Kap. 4). Daher ist es kein Widerspruch, dass diese Arbeit mit theoretischen Konzepten aus dem Neo-Institutionalismus arbeitet, da diese sich im Laufe der empirischen Erhebung und der Analyse des Materials als nützlich erwiesen haben. Wie im Kapitel 2 ausgeführt wird, hat es sich als analytisch gewinnbringend erwiesen, Moscheen als Organisationen zu betrachten, da so mit Hilfe der theoretischen Konzepte des Neo-Institutionalismus die kontextuelle gesellschaftliche Einbettung der Moscheen besser analysiert werden kann.

Islam und muslimische Gläubige

Aus theologischer Perspektive leitet sich der Begriff »Muslim« von aslama »sich hingeben, sich ergeben, sich unterwerfen« ab und bedeutet dann soviel wie »eine Person, die sich Gott hingibt«. Ein Muslim oder eine Muslimin, so ist die Überzeugung, ist man durch Geburt oder wird es, indem man das Glaubensbekenntnis, die šahāda, spricht: »Ich bezeuge, dass es keine Gottheit außer Gott (Allah) gibt und dass Mohammed der Gesandte (Prophet) Gottes ist«.

Aus sozialwissenschaftlicher Perspektive ist die Sache allerdings nicht so einfach, sind doch mit der Beschreibung »Muslim« verschiedene Selbst- und Fremdzuschreibungen verbunden (vgl. Brubaker 2013). Insbesondere christlich geprägte Vorstellungen von Religionszugehörigkeit und -praxis werden in der Fremdzuschreibung mitgedacht. Die Rede ist vom christlichen Abendland und die Warte, von der aus über den Islam gesprochen wird, ist eine christliche (vgl. Beilschmidt 2015: 17). Wie bereits angedeutet, kann es gerade auf der Mesoebene muslimischer Organisationen dadurch zu Missverständnissen kommen, wenn zum Beispiel eine Moscheegemeinde mit einer Kirchgemeinde gleichgesetzt wird. Damit wird eine Form religiöser, sozialer und auch geographischer Zugehörigkeit suggeriert, die auf die Praxis in Moscheen nicht übertragbar ist. Eine Zugehörigkeit zu einer religiösen Organisation ist im Islam nicht notwendig und üblich und entsprechend ist der Organisationsgrad viel geringer (vgl. Oebbecke 2010b: 4).

Brubaker warnt deshalb davor, die analytische Kategorie »Muslim« mit der Kategorie »Muslim« als soziale, politische und religiöse Praxis zu vermischen.

Like many social science categories, the category»Muslim« is both a category of analysis and a category of social, political and religious practice; and the heavy traffic between the two, in both directions, means that we risk using pre-constructed categories of journalistic, political or religious common sense as our categories of analysis. (Brubaker 2013: 2)

Als »category of practice« diene »Muslim« als Selbst- und Fremdidentifikation. Mit dem Begriff als Fremdidentifikation ist meist ein Bild eines einheitlichen Islam verbunden. Wenn aber von »dem Islam« gesprochen werde, seien darin immer auch verschiedene Auslegungen mit angelegt, die sich auf unterschiedliche Rechtsschulen, kulturelle Eigenheiten und auch individualisierte Vorstellungen beziehen (ebd.: 6).

Zahlreiche Analysen weisen darauf hin, dass die Kategorie »Muslim« in den letzten Jahren eine Verschiebung erfahren hat und zwar von »Ausländer« hin zur Kategorie »Muslim« (vgl. Yılmaz 2016; Brubaker 2013; Spielhaus 2013; Behloul 2007a; Allievi 2005). Die Bezeichnung wurde zu einem Stigma und auch die Selbstidentifikation als Muslim oder Muslimin blieb nicht unbeeindruckt davon.

The experience of being stigmatized als Muslims in everyday interaction or public discourse leads some to reactively assert a Muslim identification, to revalorize what has been devalorized. But self-identifications as »Muslim« respond not only to the experience of stigmatization; they respond more generally to the experience of being cast, categorized, counted, queried and held accountable as Muslims in public discourse and private interaction. (Brubaker 2013: 3)

Musliminnen und Muslime werden nicht nur durch Nicht-Muslime identifiziert und kategorisiert, sondern auch durch andere muslimische Gläubige. Als Mensch muslimischen Glaubens zur Verantwortung gezogen zu werden, bedeutet dann unter einer Identität versammelt zu werden, die einem zugeschrieben wird (vgl. ebd.: 3). Dies habe zur Folge, dass die Selbstidentifikation als »Muslim« nicht mehr als selbstverständlich hingenommen werde, sondern eine reflexive aktive Aneignung erfolge. Forschung sei von diesem Prozess nicht ausgenommen, denn indem Personen als »Muslime« angesprochen werden, würden sie zu solchen deklariert und müssten sich dazu verhalten (Brubaker 2013: 6; vgl. auch Spielhaus 2011). Wer »Muslim« oder »Muslimin« ist, ist daher auch immer eine diskursive Frage und eine Machtfrage. So wird durch Mehrheitsmuslim*innen Anhängern der Ahmadiyya-Bewegung und Aleviten die Zugehörigkeit zum Islam häufig abgesprochen, da sie sich in bestimmten Glaubensfragen von ihnen unterscheiden. Auch wird die Kategorie dafür benutzt, um sich gesellschaftlich zu positionieren, indem zum Beispiel betont wird, dass Terroristen keine Muslime seien.

Religiöse Zugehörigkeit darf aber nie als alleiniger Identitätsmarker gelten, sondern auch andere Faktoren wie Beruf, Geschlecht, Milieuzugehörigkeit etc. gehören zu einer Person selbstverständlich dazu (vgl. Brubaker 2013: 5; Spielhaus 2011: 129). Allerdings muss im Kontext der Analyse religiöser und sozialer Praxis in Moscheen davon ausgegangen werden, dass die Menschen, die in Moscheen verkehren, dem muslimischen Glauben angehören oder zumindest interessiert sind. Ich betrachte muslimische Gläubige dann als Muslime, wenn sie sich selbst als solche beschreiben. Allerdings dürfen, analog zu dem was zur Kategorie »Islam« gesagt wurde, Muslime nicht als eine homogene Entität betrachtet werden, sondern als heterogene Gruppe.

Moschee

Wenn ich anfangs die Frage »Was ist eine Moschee?« als die zentrale Frage dieser Arbeit aufgeworfen habe, so erscheint hier eine Begriffsklärung bereits das Ergebnis der Arbeit vorwegnehmen zu wollen. Allerdings dienen enzyklopädische Definitionen aufgrund ihrer prägnanten Komprimierung als guter Ausgangspunkt für eine vertiefte Betrachtung des Phänomens.

Das Wort masǧid7 stammt von der arabischen Wurzel s-j-d, welche die Handlung des Niederwerfens beschreibt. suǧūd wird die Bewegung im Verlaufe des Gebets benannt, bei der die Gläubigen mit der Stirn den Boden berühren (vgl. Hartmann 1992: 83). Das gemeinsame Gebet zu ermöglichen ist daher die zentrale Aufgabe von Moscheen und zunächst der erste Grund für ihre Existenz. Andersherum gedacht kann eine Moschee dann auch immer dort sein, wo Menschen sich zum Gebet treffen oder auch wo ein einzelner Mensch betet. Es gibt daher keine architektonische Festlegung, allerdings gilt das Haus des Propheten Mohammeds in Medina als »Ur-Moschee«.

Abbildung 1 zeigt typische bauliche Elemente von Moscheeinnenräumen. In den von mir besuchten Moscheen befanden sich eine Kanzel (minbar), die für die Freitagspredigt genutzt wird, sowie die Gebetsnische (miḥrāb). Verteilt über den Gebetsraum finden sich häufig kleine Lesepulte (kursi), in die man den Koran oder andere Lektüre ablegen kann, um bequemer auf dem Boden sitzend lesen zu können. Die dikka ist ein Pult oder Podest für den Muezzin, welches in größeren Moscheen zu finden sein kann, in den von mir besuchten Moscheen jedoch nicht vorhanden war. Gleiches gilt für das Minarett.

In der Literatur werden meist zwei Typen von Moscheen unterschieden: Die kleineren Stadtteilmoscheen (arab.: masǧid, türk.: mescid) und die großen Freitagsmoscheen (arab.: ǧāmi˓, türk.: cami) (vgl. Beinhauer-Köhler 2009; Frishman 2002; Spuler-Stegemann 2002; Hartmann 1992). Hartmann macht den Unterschied am Freitagsgebet fest.

Es müssen wenigstens 40 Personen anwesend sein, weshalb an kleinen Orten kein besonderer Freitagsgottesdienst stattfindet und auch sonst nur in einer Moschee im Orte, wobei in großen Städten die Stadtviertel als Orte betrachtet werden. Moscheen (masǧid), in denen regelmäßig Freitagsgottesdienst stattfindet, heißen ǧāmi˓. (Hartmann 1992: 84)

Abbildung 1: Elemente des Gebetsraums (Quelle: Frishman (2002)).

In den von mir untersuchten Fällen wurde diese Unterscheidung allerdings nicht gemacht. Die beiden großen Moscheen, Islamisches Zentrum Wien und ImanZentrum Volketswil, könnten als Freitagsmoscheen bezeichnet werden. Allerdings zeigt die beobachtete Praxis, dass alle von mir besuchten Moscheen das Freitagsgebet durchführen und dann gut besucht sind. Die anderen Gebete während der Woche werden zwar angeboten aber zahlenmäßig weit weniger in der Moschee verrichtet.

Beinhauer-Köhler beschreibt Moscheen in islamisch geprägten Ländern als Typus des Sakralbaus mit liturgischem und sozialem Geschehen. Eine Moschee sei aber kein »Sakralbau«, welcher vergleichbar mit einer katholischen Kirche geweiht wäre (Beinhauer-Köhler 2009: 41). Eine »Aura des Sakralen«, wie sie durch das Verhalten der Besucherinnen und Besucher in christlichen Kirchen oft typisch sei, würde einer Moschee weniger anhaften. Dass die Kategorien »sakral« oder »profan« jedoch nicht eins zu eins auf islamische Einrichtungen übertragen werden können, verdeutlicht die Aussage des Theologen Tariq Ramandan.

What is a mosque? According to the prophet Mohammed, the whole world is a mosque, since the whole world is sacred. The mosque is the sacred heart of the sacred; it is the place where we go to pray. To design a mosque, you first have to discern the sacred quality of the surrounding world. (Ramadan in Erkoçu & Buğdaci 2009: 53)

Als heilig wird hier die ganze Welt verstanden und diese Heiligkeit konzentriert sich in der Moschee. Ramadan unterscheidet nicht zwischen heilig und profan; profane Orte gibt es daher nicht für ihn. Von seinem Blickwinkel betrachtet ist eine Moschee in erster Linie ein Ort für das Gebet. Besucht man große Moscheen in islamisch geprägten Ländern, so fällt aber auf, dass es sich dabei häufig um ganze Komplexe handelt, die verschiedene Einrichtungen wie Schulen (madrasa oder kuttǎb), Bibliotheken, Krankenhäuser oder auch ein Hammam beherbergen können (vgl. Beinhauer-Köhler 2009: 62).

In der Schweiz, in Österreich und Deutschland gibt es größere und kleinere Moscheen, mit einem weiteren oder engeren Angebot. Beinhauer-Köhler beobachtet jedoch in manchen Großstädten in Deutschland ähnliche Strukturen wie in islamisch geprägten Ländern. So würden sich um eine Freitagsmoschee Unterrichts- und Vortragsräume, Bibliotheken ebenso wie Küchen, Restaurants, Cafés und Läden gruppieren. Darüber hinaus sei es üblich, separate Bereiche für Nutzerinnen bereitzustellen (ebd.: 68). Aufgrund dieser Angebote auf die Ausbildung einer vermeintlichen »Parallelgesellschaft« zu schließen erscheint voreilig, wenn man die traditionellen Funktionen von Moscheen betrachtet8.

Für die hier vorliegende Arbeit ist eine grobe Definition von Moschee wichtig, die sich nicht nur auf Architektur oder Größe bezieht. Daher sehe ich für diese Arbeit Moscheen als Orte für regelmäßiges, gemeinschaftliches Gebet an. In meiner Auswahl an untersuchten Moscheen sind darüber hinaus nur solche zu finden, die die täglichen fünf Gebete abhalten sowie das Freitagsgebet und die über einen fest angestellten Imam verfügen, um die Kontinuität der Gebete aufrecht zu erhalten.

Neben dem Ort Moschee als physischem Raum wird die Moschee vor allem durch das Handeln in ihr konstituiert. Löw beschreibt räumliche Figurationen als eine Synthese unterschiedlicher sozialer Güter und Lebewesen. Demnach sind Räume »institutionalisierte Figurationen auf symbolischer und (...) auf materieller Basis, die das soziale Leben formen und die im kulturellen Prozess hervorgebracht werden« (Löw 2004: 46).

In diesem Sinne sehe ich den Raum Moschee nicht nur als Ansammlung von Gegenständen, wie sie in Abbildung 1 für eine Moschee als typisch wiedergegeben ist. Sondern ich sehe sie als Produkt einer Synthese des Handelns der in den Moscheen verkehrenden Menschen. Die sozialen Güter in Moscheen und die Personen haben ein Platzierungsmoment zu eigen und tragen damit zur Raumbildung bei (vgl. ebd.: 46). Menschen kommen also in die Moschee und platzieren sich räumlich anhand von Mustern, so zum Beispiel zum Gebet, oder um das Gebet anzuleiten. Diese Arbeit schließt damit an aktuelle Überlegungen zur Materialität von Religion an (vgl. Bräunlein 2016), denn hier steht die materielle Dimension (Handeln, Praktiken, Menschen) vor den kognitiven Sinnstrukturen im Vordergrund.

1Baumann bezieht sich hierbei auf den Begriff, wie er von Stolz et al. (2010), Stolz & Chaves (2013) und Chaves (2004) verwendet wird. Chaves definiert »congregations« wie folgt: »By ›congregation‹ I mean a social institution in which individuals who are not all religious specialists gather in physical proximity to one another, frequently and at regularly scheduled intervals, for activities and events with explicitly religious content and purpose, and in which there is continuity over time in the individuals who gather, the location of the gathering, and the nature of the activities and events at each gathering.« (Chaves 2004: 1).

2Vgl. auch Knott (2000: 93).

3Für den Kanton Zürich ist dies die Fachstelle für Integration, in Wien die Magistratsabteilung 17 – Integration und Diversität.

4Für migrationsbezogene Forschung zu muslimischen Gemeinschaften siehe Kapitel 3.4.

5In dieser Arbeit wurde auf die Verwendung geschlechtergerechter Sprache geachtet und grundsätzlich Bezeichnungen genutzt, die sich nicht nur auf ein Geschlecht beziehen. Wo dies aus stilistischen Gründen oder weil es sich um feste Begriffe handelt nicht möglich ist, wird ein * verwendet.

6Der Minderheitenbegriff wird in den Sozialwissenschaften unterschiedlich verwandt. An dieser Stelle sei er so verstanden, dass es sich bei religiösen Minderheiten um eine zahlenmäßig kleine religiöse Bevölkerungsgruppe handelt und nicht wie im anglo-amerikanischen Sprachgebrauch in erster Linie um eine benachteiligte Gruppe. In Abgrenzung zum Begriff »Immigrant*innenreligion« steht hier nicht die Migrationsgeschichte im Vordergrund, sondern vielmehr die Etablierung in der Gesellschaft und das Bemühen um die Beseitigung rechtlicher, ökonomischer und sozialer Nachteile. So muss eine Minderheitenreligion nicht zwingend zugewandert sein, sie kann auch beispielsweise als neu-religiöse Bewegung entstanden sein und sich etabliert haben. Im wichtigen Lexikon »Religion in Geschichte und Gegenwart« (RGG) wird darüber hinaus eine Minderheit als das Ergebnis eines Abgrenzungsprozesses charakterisiert, der von Seiten der Gruppe wie auch der Aufnahmegesellschaft über die Zuweisung von tatsächlichen oder/und vermeintlichen Merkmalen erfolgen kann (vgl. Artikel zu Minderheiten im RGG mit den Beiträgen von Britz (2002) und M. Baumann (2002b)).

7Die Umschrift der arabischen Begriffe folgt den Vorgaben der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft. Wenn es sich um einen im deutschen Sprachgebrauch etablierten Begriff handelt (z.B. Imam, Muezzin) wird auf die Umschrift verzichtet.

8Auf die vielfältigen architektonischen Ausprägungen von Moscheen in verschiedenen Ländern kann hier nicht eingegangen werden. Vgl. hierzu vor allem die Beiträge in Frishman & Khan (2002) oder auch Beinhauer-Köhler (2009).

2Ein theoretischer Rahmen für die Erforschung von Moscheen

In meiner Arbeit beschäftige ich mich mit der Frage, was eine Moschee ist, wie und als was sie als soziale Wirklichkeit »Moschee« konstruiert wird. Die Frage »wie« eine Moschee konstruiert wird, beinhaltet Einflussfaktoren wie gesellschaftliche und politische Rahmenbedingungen sowie die Erwartungen der Zielgruppe der Moscheen. Ich gehe davon aus, dass diese Erwartungen von den Moscheen aufgegriffen und verhandelt werden. Als zentrale Aktivitäten untersuche ich das Gebet, Bildungsangebote sowie öffentlichkeitswirksame Veranstaltungen und frage, wie sich die unterschiedlichen Erwartungen dort widerspiegeln.

Die Frage, der diese Arbeit nachgehen möchte, ist deshalb kurz gefasst: Wie konstituiert das Handeln in Moscheen die Moscheen als soziale Wirklichkeit und welche geteilten Sinnstrukturen liegen diesem Handeln zugrunde, respektive welche Faktoren beeinflussen das Handeln?

Für die Bearbeitung dieser Forschungsfrage bedarf es eines theoretischen Rahmens, der das Handeln in Moscheen unter Berücksichtigung der verschiedenen Rahmenbedingungen erfasst, ohne den Fokus ausschließlich auf Fragen der gesellschaftlichen Integration oder Inkorporation zu legen. Ich schlage einen organisationssoziologischen, genauer neo-institutionalistischen Zugang vor und verbinde ihn auf der erkenntnistheoretischen Seite mit einem wissenssoziologischen Ansatz, der einen qualitativ-methodischen Zugang eröffnet und einen detaillierten Blick auf die Prozesse und Entwicklungen in den Moscheen ermöglicht. Diese theoretischen Grundlagen führe ich im Folgenden aus, wobei ich zunächst erörtere wie ich die Konstruktion der sozialen Wirklichkeit »Moschee« verstehen möchte. Daran anschließend gehe ich darauf ein, wie mit den Konzepten des Neo-Institutionalismus die Wechselverhältnisse zwischen Handeln und Einflussfaktoren analytisch erfasst werden können. Dieser Ansatz fokussiert die Mesoebene von Organisationen, um die es auch hier im Falle von Moscheen gehen soll.

2.1Ethnomethodologie und Wissenssoziologie: Zur menschlichen Produktion sozialer Wirklichkeit

Im folgenden Abschnitt soll es zunächst darum gehen, die Grundlage dafür zu legen, als was ich Moscheen methodologisch sehe und wie ich mir eine Erforschung dieses Phänomens vorstelle. Die Grundlage hierfür stellen Theorien zur menschlichen Produktion sozialer Tatsachen dar. Berger & Luckmann gelten mit ihrem Werk »Die gesellschaftliche Konstruktion von Wirklichkeit«, welches erstmals 1980 erschien, als die Begründer des Sozialkonstruktivismus (Berger & Luckmann 2013). In ihrer Tradition arbeiten Forschende an Fragen der Erzeugung gesellschaftlicher Phänomene, Institutionalisierungprozessen und der Weitergabe von Traditionen an neue Generationen.

Ich möchte jedoch geschichtlich noch ein wenig weiter zurückgehen und mich erstens der Ethnomethodologie Garfinkels (Garfinkel 1967) und zweitens der Wissenssoziologie Mannheims (Mannheim 1980) widmen, welche sich beide für die latenten Sinnstrukturen in alltäglichem Handeln interessieren und in der sozialkonstruktivistischen Tradition zu verorten sind (vgl. Bohnsack 1997; Keller 2011). Später komme ich dann noch einmal auf Berger & Luckmann zurück.

Ethnomethodologie

Garfinkel, der Vater der Ethnomethodologie, beschäftigt sich mit der Wechselwirkung zwischen praktischem, alltäglichem Handeln und Wahrnehmung. Entsprechend fasst er gleich zu Beginn seines Buches »Studies in Ethnomethodology« die Ausrichtung seines Forschungsprogramms zusammen:

The following studies seek to treat practical activities, practical circumstances, and practical sociological reasoning as topics of empirical study, and by paying to the most commonplace activities of daily life the attention usually accorded extraordinary events, seek to learn about them as phenomena in their own right. Their central recommendation is that the activities whereby members produce and manage settings of organized everyday affairs are identical with members’ procedures for making those settings ‘accountable’. (Garfinkel 1967: 1)

Damit wird soziale Wirklichkeit als etwas verstanden, das erst durch Handeln und Wahrnehmung produziert und wahrnehmbar gemacht wird. Die Ethnomethodologie fragt deshalb, wie Menschen ihre soziale Welt selbst wahrnehmen und sinnhaft aufbauen und will offenlegen, wie Menschen bestimmte Verfahren anwenden, um die Strukturen, die sie selbst fortlaufend schaffen, wahrnehmbar zu machen. Dabei spielen Interaktionen eine entscheidende Rolle, denn nur über sie erhalten gesellschaftliche Tatbestände ihren Wirklichkeitscharakter, »erst in der sozialen Interaktion stellt sich die Objektivität von als ›objektiv‹ wahrgenommenen Ereignissen, die Faktizität von als ›faktisch‹ geltenden Sachverhalten her« (Bergmann 2012: 122). Soziale Tatsachen werden also in Handlungen hervorgebracht und in Interaktionen objektiviert1. Diese durch soziale Interaktion2 hergestellte Wirklichkeit muss immer wieder reproduziert werden, um sie dauerhaft aufrechtzuerhalten. Sie ist damit nie abgeschlossen.

Das Beispiel, an welchem Garfinkel den Ablauf dieses Prozesses abarbeitet, ist der Fall der Transfrau »Agnes«. Er zeigt, dass Geschlecht keineswegs eine naturgegebene Tatsache ist, sondern durch Handeln erst wahrnehmbar gemacht werden muss (Garfinkel 1967: 118ff.). Agnes, als Junge geboren, unterzog sich mit 19 Jahren einer Geschlechtsumwandlung. Agnes versuchte mittels verschiedener Strategien, sich als »Frau« wahrnehmbar zu machen (ebd.: 165). Garfinkel kam durch diesen Fall zu der Erkenntnis, dass Frau-Sein bedeutet, auch von anderen als »Frau« wahrgenommen und behandelt zu werden. Dadurch wird deutlich, dass aus der scheinbar selbstverständlichen Tatsache der Geschlechtszugehörigkeit »eine sich fortwährend vollziehende, eine fortwährend präsentative, interaktive perzeptive Leistung« (Bergmann 2012: 124f.) wird. Garfinkel resümiert seine Studie:

Agnes‘ methodological practices are our authority for the finding, and recommended study policy, that normally sexed persons are cultural events in societies whose character as visible orders of practical activities consist of members‘ recognition and production practices. We learned from Agnes, who treated sexed persons as cultural events that members make happen, that members‘ practices alone produce the observable-tellable normal sexuality of persons, and do so only, entirely, exclusively in actual, singular, particular occasions through actual witnessed displays of common talk and conduct. (Garfinkel 1967: 181)

Soziale Tatsachen werden demnach in Interaktionen reproduziert, denen ein »Erkennen« vorausgeht. Das Erkennen erfolgt jedoch nur, wenn einer Erwartung entsprochen wird, in diesem Fall die Vorstellung, wie eine Frau sich zu kleiden und zu verhalten hat, um als Frau erkennbar zu sein. Um daher als »Frau« überhaupt wahrgenommen werden zu können, muss eine gesellschaftliche Vorstellung darüber bestehen, was eine Frau ist, und eine Frau muss sich entsprechend dieser Erwartungen verhalten. Das heißt, es muss eine bestimmte Erwartung von Seiten Agnes bezüglich der gesellschaftlichen Erwartungen bestehen, um wiederum mit Strategien reagieren zu können (Erwartungserwartung). Durch die Reaktion auf Erwartungen werden die Erwartungen reproduziert: Die gesellschaftliche Vorstellung von Frauen wird reproduziert, indem sich Frauen »wie Frauen« verhalten. Diese Reproduktion erfolgt in der sozialen Interaktion durch Sprache (talk) und Handeln (conduct). Die Wirklichkeit ist in diesem Verständnis eine »Vollzugswirklichkeit« (Bergmann 1994: 6f.), in der sich Interagierende in sozialen Interaktionen nicht einfach an einer vorgegebenen sozialen Ordnung orientieren, sondern eben diese soziale Ordnung als geordnete Struktur erzeugen. Diese erzeugte Ordnung wirkt dann wiederum reflexiv auf die Situation. An den hier ablaufenden Prozessen ist die Ethnomethodologie interessiert, nämlich »den im Handeln selbst sich dokumentierenden Prozess des Verstehens-und-sich-verständlich-Machens zu beobachten und im Hinblick auf seine Strukturprinzipien zu beschreiben« (Bergmann 2012: 125).

Diese analytische Brille lässt sich denn auch auf andere alltagsweltliche Phänomene übertragen und zeigt, dass soziale Wirklichkeit, auch wenn dies nicht bewusst so wahrgenommen wird, immer wieder neu produziert wird. Wenn die Mitglieder einer bestimmten Gruppe diese Phänomene Wirklichkeit werden lassen, so muss ein gewisser Konsens darüber bestehen, was dieses Phänomen ausmacht. Dieser Konsens ist jedoch den Beteiligten oft nicht bewusst und kann nur in von der Norm abweichenden Fällen wie bei Agnes oder in Garfinkels »Krisenexperimenten« (Garfinkel 1967: 35ff.) bewusst gemacht werden. Garfinkel ließ seine Studierenden in Experimenten testen, inwiefern die Abweichung von einem bestimmten gesellschaftlichen Konsens Irritationen hervorruft. Dabei ging es um ganz alltagsweltliche Situationen. Z.B. sollten sich die Studierenden ohne Ankündigung während eines ganz normalen Gesprächs so nah an den Gesprächspartner oder die -partnerin annähern, dass sich die Nasen beinahe berührten. Dies führte beim Gegenüber zu Irritationen und Garfinkel wollte dadurch deutlich werden lassen, wie unbewusst bestimmte Verhaltensweisen für die Beteiligten sind – hier der Abstand zweier sprechender Personen. Trifft man also auf Personen, mit denen es eine Übereinstimmung in den Verhaltensweisen gibt, dann stiftet dies Sicherheit und Vertrauen, bei Nicht-Übereinstimmung tritt jedoch Verwirrung auf (Garfinkel 1973: 280ff.).

Als methodisches Programm verweist Garfinkel auf das erkenntnistheoretische Programm der Wissenssoziologie Mannheims. Garfinkel beschreibt dessen dokumentarische Methode als geeignet, um die unbewussten Sinn- und Erwartungsstrukturen aufzudecken (Garfinkel 1976: 199f.)3.

Wissenssoziologie

Mannheims Werke zur Wissenssoziologie haben innerhalb der qualitativen Sozialforschung große Bedeutung gewonnen; insbesondere bei Bohnsack, der seine »dokumentarische Methode« auf Mannheim aufgebaut und den Ansatz für die Methode der Gruppendiskussion fruchtbar gemacht hat (vgl. Bohnsack 1997; Bohnsack et al. 2006; 2007; Bohnsack 2010)4.

Auch Mannheim ist an den alltäglichen Phänomenen zugrundeliegenden kollektiven Sinnstrukturen interessiert. Seine Perspektive ist deshalb interessant, da bei der Erforschung von Phänomenen auf der Mesoebene eben gerade kollektive vor individuellen Vorstellungen in den Vordergrund rücken.

Mannheim entwickelte seine Wissenssoziologie Anfang des 20. Jahrhunderts als Gegenmodell zur naturwissenschaftlichen Forschungslogik. Sie schließt an die spätere praxeologische Positionierung Bourdieus an und nimmt eine Position zwischen einer subjektivistischen Herangehensweise wie beispielsweise bei Schütz (1974) oder Oevermann (2001) und einem objektivistischen Zugang, der den quantitativen Methoden zugesprochen wird, ein (vgl. Przyborski & Wohlrab-Sahr 2009: 274). Als objektivistisch können solche Zugänge verstanden werden, die sich auf das »Was« der sozialen Welt beziehen, subjektivistische Zugänge sind an Motiven, Intentionen, Einstellungen, an dem im Subjekt verorteten »Wozu und Warum« interessiert (vgl. ebd.: 275). Mannheim setzt jedoch dazwischen an, nämlich »zwischen der im Erleben verankerten Herstellung von Wirklichkeit, dem handlungspraktischen Wissen einerseits, und kommunikativ generalisiertem Wissen, das uns in der Regel in begrifflich explizierter Form zu Verfügung steht, andererseits« (ebd.: 275). Ihm geht es um die Frage, »wie« Phänomene oder kulturelle Tatsachen hergestellt werden, nicht »was« sie sind (vgl. Bohnsack 2003: 556). Sein und auch Garfinkels Interesse gilt dem Prozess, in dem soziale Wirklichkeit in der Praxis angeeignet wird, und der diese Praxis seinerseits hervorbringt. Die dokumentarische Methode verlagert damit »Ursprung und Wirkung sozialer Struktur in das Handeln selbst. Das Wissen, das in Handlungs- und Wahrnehmungspraxen eingelassen ist, wird in dieser Perspektive als strukturbildend betrachtet« (Przyborski & Wohlrab-Sahr 2009: 275). Dieses Wissen können bzw. müssen die Untersuchten nicht begrifflich explizieren, da es ein geteiltes, also »konjunktives« Wissen ist. Es spiegelt sich im Handeln bzw. in der Praxis wider. Der »Dokumentsinn« (Mannheim 1980) einer Handlung, einer »Erscheinung«, wie Mannheim es nennt, verweist in diesem Sinne auf das konjunktive Wissen. Zeichen, Wörter, Begriffe deuten in dem Sinne auf etwas hin, was sie selbst nicht sind, sie sind ein »Dokument für« etwas, was dahinter steht. Dieses konjunktive, kollektiv geteilte Wissen konstituiert bei Mannheim den »konjunktiven Erfahrungsraum«. Im Bezug auf Mannheim benutzt Garfinkel deshalb den Begriff »dokumentarische Methode«, da der konjunktive Erfahrungsraum aufgezeigt werden soll, auf den Phänomene hindeuten.

Dieses Interesse an Prozessen und Handlungen ist es, das für die vorliegende Arbeit von Interesse ist. Zwar bin ich an dem Objektsinn von Moscheen interessiert – ich frage ja, was eine Moschee ist. Allerdings sind die Ansätze von Mannheim und Garfinkel grundlegend für eine kontextuelle und prozessorientierte Betrachtung eines Phänomens.

Neben dieser praxis- und prozessorientierten Perspektive lässt sich mit Mannheim ein weiteres methodologisches Problem lösen, nämlich die Frage, wie ein Phänomen auf der Mesoebene untersucht werden kann, ohne mit ihm jedoch sprechen zu können. Wie bereits dargelegt, gehen Mannheim und Garfinkel davon aus, dass die Sinnebene auf der sozialen, kollektiven Ebene zu verorten ist. Wie aber kann aus Individualmeinungen und -aussagen ein Bild einer Organisation, Gemeinschaft oder Gruppe rekonstruiert werden? Das zentrale Stichwort ist erneut der »konjunktive Erfahrungsraum« (Mannheim 1980: 105). Mannheim überwindet mit ihm die Subjekt-Objekt-Dichotomisierung, da in seiner Konzeption des Sozialen »das Teil (Subjekt) aus dem Ganzen (Kollektiv/Gesellschaft) heraus verständlich gemacht werden« (Kruse 2014: 38) muss. Mannheim macht dies deutlich am Beispiel des »Stils« im Zusammenhang mit Kunstwerken:

Unter dem Aspekt des»Stiles«einen Formzusammenhang und einen dazugehörigen Erlebniszusammenhang zu erfassen bedeutet soviel, wie die betreffenden Momente des Werkes und die dazugehörigen Erlebniszusammenhänge nicht dem schöpferischen Individuum, sondern dem dazugehörigen Gruppenerlebnis zuzurechnen. »Stil« ist eben ein Phänomen, das darauf hinweist, daß gewisse Sinnschichten im Kunstwerk fortsetzbar sind. Nur weil die dazugehörigen Erlebniszusammenhänge gemeinsam sind, ist es möglich, daß in dieser Richtung ein Wachsen, ein Lernen, ein Weiterentwickeln in verschiedenen Individuen zustande kommt. (Mannheim 1980: 97f.)

Die Erlebniszusammenhänge sind somit nicht einem Individuum, sondern einem »gemeinschaftlichen Erlebnisstrom« (ebd.: 142) zuzuordnen. Die Interpretation eines Phänomens ist damit dem Kontext immer immanent und kann nur unter Berücksichtigung des Erlebniszusammenhangs erfolgen. Mannheim versteht unter »dem Sozialen« aber mehr als die Ansammlung von mehreren Personen:

(…) denn 1. es bedeutet die bloße Existenz, auch die räumliche und zeitliche Koexistenz von Individuen, nicht unbedingt stets Sozietät, und 2. es nimmt nicht jedes Beisammensein derselben Mehrzahl von Personen dieselbe Form von Sozietät an. Das Soziale ist also ein Novum gegenüber dem Substrat und ist nicht aus den einzeln vorhandenen Qualitäten und Quantitäten der Individuen ohne Sprung ableitbar. (Ebd.: 113)

Mit dem Begriff des »konjunktiven Erfahrungsraums« erfasst Mannheim daher eine von der konkreten Gruppe gelöste Kollektivität, nämlich eine, die Handlungspraxen und damit Wissens- und Bedeutungsstrukturen teilt, welche eben in einem bestimmten Erfahrungsraum gegeben sind (vgl. Przyborski & Wohlrab-Sahr 2009: 282). Auf diese Art und Weise kann vom Subjekt ausgehend das Kollektive, der Erlebniszusammenhang einer Gruppe rekonstruiert werden. Die, wie Mannheim es auch nennt, »Kollektivvorstellungen« sind der »Niederschlag der perspektivischen, jedoch stereotypisierten, d.h. auf einen bestimmten Erfahrungsraum bezogenen konjunktiven Erfahrung« (Mannheim 1980: 231). Kollektivvorstellungen über einen Sinnzusammenhang ergeben sich aus den Ausschnitten, die die Individuen liefern, gehen jedoch darüber hinaus. Denn es gibt bei Mannheim