Almgeschichten - Irene Prugger - E-Book

Almgeschichten E-Book

Irene Prugger

4,5

Beschreibung

FASZINIERENDE EINBLICKE IN DEN ALLTAG AUF DER ALM! Sehnsuchtsort Alm oder vielmehr Ort des kargen Lebens und der harten Arbeit? Die Schriftstellerin und Journalistin Irene Prugger hat Almen besucht und mit Menschen gesprochen, für die Almen zu ihren vorrangigen Lebens- und Erlebenswelten geworden sind. Vom Almauftrieb im Frühsommer über den Almabtrieb im Herbst bis hin zum winterlichen Skiausflug auf die Almhütte geht es im Jahresverlauf almauf, almab. Dabei entstehen interessante Geschichten über das Almleben und die "Alminger", die - so unterschiedlich sie auch sind - alle eines gemeinsam haben: Sie fühlen sich auf ihrer Alm sehr nah am Himmel. Aber auch von verregneten Sommern, verletzten Tieren und unsinnigen EU-Verordnungen können die Almleute berichten. - ein Lesebuch, das in eine andere Welt entführt - 31 Almporträts, mit Charme und Gefühl erzählt - faszinierende Einblicke in den Alltag auf der Alm - spannende Interviews mit vielen Hintergrundinformationen - stimmungsvolle Farbfotos Lassen Sie sich von den unterhaltsamen Geschichten inspirieren und in die schöne Welt der Almen verführen.

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Seitenzahl: 303

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Irene Prugger

Almgeschichten

lœwenzahn

 

 

 

© 2010 by loewenzahn in der Studienverlag Ges.m.b.H.,

Erlerstraße 10, A-6020 Innsbruck

E-Mail: [email protected]

Internet: www.loewenzahn.at

Buchgestaltung:

Umschlag: Kurt Höretzeder, Büro für Grafische Gestaltung, Scheffau/Tirol Innenteil: loewenzahn/Manuela Weiß Fotografien: Irene Prugger, wenn nicht anders

angegeben

Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek

Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen

Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http://dnb.ddb.de> abrufbar.

ISBN 978-3-7066-2712-2

Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (Druck, Fotokopie, Mikrofilm oder in einem anderen Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Abhängig vom eingesetzten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.

Dieses Buch erhalten Sie auch in gedruckter Form mit hochwertiger Ausstattung in Ihrer Buchhandlung oder direkt unter www.loewenzahn.at.

 

 

Irene Prugger

Almgeschichten

Vom Leben nah am Himmel

lœwenzahn

Inhalt

Auch almdamisch? – Vorwort

 

Almporträts

 

Niedertalalm, Vent

Trainsalm, Thiersee

Durchkaseralm, Waidring

Bodenalm, Brandberg

Einödalm und Hackeralm, Kirchdorf

Bacheralm, Kirchdorf

Walderalm, Gnadenwald

Schachenalm, Jochberg

Trojeralm, St. Jakob i. Defreggen

Burgeralm, Rettenschöss

Oberrainsalm, Obernberg

Kotalm, Achenkirch

Brentenjochalm, Kufstein

Stamser Alm, Stams

Möslalm, Innsbruck

Farnkaseralm, Auffach

Gampernunalm, Flirsch

Falbesoner Ochsenalm, Neustift im Stubaital

Juifenalm, Sellrain

Hundalm, Angerberg

Oberhofer Melkalm, Oberhofen

Eng-Alm, Vomp

Fisser Kuhalm/Frommes Alp, Fiss

Tillfussalm, Wildermieming

Zirmbachalm, Kühtai

Visnitz-Alpe, Kappl

Sessladalpe, Kappl

Bärenbadalm, Jochberg

Reichalm, Umhausen

 

Über die Autorin

 

Interviews

Johann Jenewein über die Tiroler Almwirtschaft

Gunter Bakay über Jodeln und andere Almklischees

Martin Ott über die Kulturgeschichte der Kuh

Bernhard Kathan über die schöne neue Kuhstallwelt

Roman Burgstaller über Forst- und Almwirtschaft

Petra Streng über das Liebesleben auf der Alm

Felix Mitterer über Freiheit und Lebensfülle

Georg Speckbacher über wilde Rinder und mutige Pferde

Gerhard Rampl über die Herkunft von Almnamen

Hans und Franziska Fili über den Sehnsuchtsort Alm

Auch almdamisch ?

Zum ersten Mal hab ich das Wort auf einer Alm im Tiroler Unterland gehört: „Wir hier heroben sind es alle, musst aufpassen, dass du es nicht auch wirst“, sagte ein Alminger zu mir. Aber da war ich es schon: almdamisch. Was soviel heißt wie almnarrisch. Was soviel heißt wie: süchtig nach der Alm. Nun, es gibt schlimmere Süchte. Wie man weiß, ist das Wandern in moderaten Höhenlagen und damit das Almwandern rundum gesund, es gibt sogar wissenschaftliche Studien darüber. Wenn man mit dem Pulsmesser wandert, kann man seinen zunehmenden Fitnessgrad sogar messen.

Ich hatte nie einen Pulsmesser mit bei meinen Almwanderungen. Ich habe selber gespürt, wie ich konditionsstärker wurde. Da geht es mir gleich wie den Kühen. Wenn sie im Frühling aus dem Stall gelassen werden, sind sie zwar schon almdamisch, aber noch ein wenig lasch in den Beinen, am Ende des Sommers sind sie übermütig und fit und wollen nicht herunter von der Alm. Überhaupt die Kühe: Eine Kuh macht Muh – viele Kühe machen Mühe. Solche Sprüche kennen wir, ansonsten ist es oft nicht weit her mit unserem Wissen über eines unserer genügsamsten und wertvollsten Nutztiere. Ich habe bei meinen Ausflügen viel über sie erfahren und immer tat es mir leid, wenn ich auf einer Alm keine Milchkühe angetroffen habe, weil die Bauern aus Gründen mangelnder Rentabilität die Milchwirtschaft aufgegeben haben.

Es geht in meinen Almreportagen aber nicht nur um Kühe, sondern vor allem um die Menschen, die auf der Alm leben, sie bewirtschaften und ihren Arbeitsplatz zumindest den Sommer über auf der Alm haben. Sie habe ich mit meinen Fragen gelöchert. Ich war und bin ja leider noch immer ein Grünhorn, was die Almwirtschaft betrifft. Die sogenannten „Alminger“ sind ganz unterschiedliche Charaktere mit unterschiedlichen Sichtweisen und Arbeitsmethoden, also keineswegs von „einem Schlag“, wie es das Klischee oft unterstellt. Was diese Menschen eint, ist die Liebe zur Natur, die Fähigkeit zu Bescheidenheit, Selbständigkeit, Eigenverantwortlichkeit und das Almdamische eben.

In Tirol gibt es über 2000 bewirtschaftete Almen, viele davon eignen sich als Ausflugsziele, auch wenn es dort nicht überall ein Gasthaus gibt. Das vorliegende Buch erfasst meine Almausflüge von zwei Jahren. Es ist eine sehr subjektive und von persönlichen Vorlieben, aber auch von Zeit, Wetter, Empfehlungen und durch spontane Entscheidungen geprägte Auswahl. Während meiner Recherchen bin ich ständig Menschen begegnet, die mir begeistert von ihren Lieblingsalmen erzählt haben, auf denen ich noch nicht gewesen bin und die ich mir unbedingt noch anschauen müsse. Das werde ich auch tun. Denn wie eine Freundin zu mir sagte: „Es gibt sie zum Glück alm no, die Alm und die Sehnsucht danach.“

Irene Prugger

 

 

6. Juni und 13. Juni

Niedertalalm, Vent

 

Schafe im Nebel

Mein Almsommer beginnt mit einer Unmenge von Schafen. Am Vorabend habe ich sie noch gezählt, weil ich nicht einschlafen konnte, jetzt ist es drei Uhr morgens und trotzdem Tagwache. Also nichts wie raus aus dem Bett. Wer beim Schafübertrieb vom Südtiroler Schnalstal auf die Niedertalalm von Vent im Ötztal mitgehen möchte, darf nicht zimperlich sein. Noch dazu an einem Tag wie diesem, an dem der Himmel nicht dem Anlass entsprechend Schäfchenwolken zusammentreibt, sondern dunkle Regenwolken auffahren lässt. Schon am frühen Morgen ist klar: Auf dem Weg über den Pass wird eine Saukälte herrschen, oder sollte man besser von Schafskälte sprechen?

Zumindest regnet es nicht, aber es ist stockdunkel, als ich am Stausee von Vernagt ankomme. Still und einsam liegt er da, kein Mensch weit und breit und kein einziges Schaf. Die Sammelkoppeln, wo die Tiere bis zum Aufbruch schon am Tag zuvor zusammengetrieben werden, befinden sich etwas weiter droben auf einer Anhöhe. Josef Götsch, Obmann der Alpinteressenschaft Niedertal, auf dessen Bergbauernhof im Schnalstal ich übernachtet habe, hat mir alles genau erklärt. Allerdings ist im Dunkeln der Weg kaum erkennbar. Zum Glück ist das Blöken der Schafe von fern her zu hören, sodass ich mich zumindest nach dem Gehör orientieren kann.

1500 Schafe und 176 Ziegen von 26 Südtiroler Bauern sollen an diesem Tag wie jedes Jahr in einem siebenstündigen Marsch bis zur Martin-Busch-Hütte im Ötztal und am nächsten Tag weiter zur Niedertalalm gebracht werden, eine Woche später werden von Kurzras aus nochmals ungefähr so viele über das Hochjoch (2850 m) getrieben. Auf der Niedertalalm sind die Schafe verschiedenen Weiden zugeteilt. Damit sie beim Übertrieb nicht durcheinander geraten, ordnet man sie in vier große Gruppen. Als ich bei den Koppeln ankomme, macht sich gerade das zweite Starterfeld auf den Weg und ich schließe mich ihm an. Die erste Gruppe ist eine halbe Stunde früher gestartet, die dritte wird dreißig Minuten nach uns losmarschieren. Gut geplant, aber die Organisatoren haben offenbar nicht damit gerechnet, dass in der zweiten Gruppe die fittesten Schafe mitlaufen. Der führende Treiber Elmar hat ebenfalls ziemlich viel Schmalz in den Beinen und legt ein dementsprechendes Tempo vor.

Der frühe Aufbruch ist nötig, weil bei fortgeschrittener Tageszeit die Schafe auf dem weichen Schnee der Lawinenkegel, die man überschreiten muss, einbrechen würden. Es braucht also erfahrene Männer, die den Weg auch im Dunkeln kennen. Elmar ist so einer, er führt seine Gruppe sicher und zielstrebig bergwärts, als sei es bereits hell. Weil der Morgen noch jung und unverbraucht ist, wählen er und die anderen Treiber – oder doch die Schafe? – meistens die Direttissima. Für die kleinen Lämmer wird der Marsch eine ziemliche Strapaze werden. Das jüngste ist erst eine zarte Woche alt. Aber vorerst halten auch die Kleinen noch gut mit, bleiben in der Nähe der Mutter und versuchen bei jedem kurzen Zwischenstopp an eine stärkende Milchration zu kommen. Später wird das eine oder andere erschöpfte Jungtier dann von den Hirten getragen, was biblische Assoziationen wachruft.

Nach ungefähr einer halben Stunde Gehzeit wird in der Dämmerung der Weg unter den Füßen sichtbar und die Umgebung schält sich aus dem Dunkel. Weit unter uns liegt im blassen Morgenlicht der Vernagt-Stausee. Man sieht jetzt auch, wer noch mitläuft in der Gruppe, und macht sich untereinander bekannt. Dem weitum bekannten Schafübertrieb schließen sich immer auch Bergwanderer an, die einmal beim großen Ereignis dabei sein wollen. Wenn sie sich einigermaßen geschickt anstellen, können sie durchaus gute Hilfe leisten beim Zusammenhalten der Schafe. In unserer Gruppe befinden sich zwei junge Frauen aus Deutschland. Sie gehören bereits zum Team, denn sie sind schon ein paar Tage mit der Herde unterwegs. Viele Schafe haben bis zur Sammelstelle am Vernagt-Stausee ja bereits einen weiten Anreiseweg hinter sich, denn sie kommen nicht nur aus dem Schnalstal, sondern auch aus dem Eisacktal, Passeiertal, vom Tschögglberg und aus dem Vinschgau.

Schafskälte statt Schäfchenwolken am Tag des großen Übertriebs.

Schafspelz und Anorak gegen die Kälte

Mit einer Schafherde ist es ähnlich wie mit dem Menschenvolk. Alle, die brav mit der Masse mitlaufen, machen keine Probleme, es sind die Verträumten, die Außenseiter oder jene, die nicht so schnell mithalten können, auf welche die Obrigkeit ein Auge hat. Manchmal schert eine eigensinnige Gruppe aus, wird aber von den aufmerksamen Treibern und vom eifrigen Hirtenhund schnell wieder auf den rechten Weg gebracht.

Damit die Übersicht und Erkennung leichter fällt, wurden die Tiere mit großen bunten Klecksen besprüht, es sind also farbenfrohe Herden, die hier ihrem Sommerrefugium zueilen. Zusätzlich besitzt noch jedes Schaf eine Ohrmarke und hat einen Erkennungsstift mit eingeprägter Nummer im Magen. Der Stift wird mit der Nahrung geschluckt und beim Durchleuchten mit einem speziellen Gerät sichtbar. Nach der Schlachtung eines Schafes muss er an den zuständigen Tierarzt abgegeben werden, sonst könnte es sein, dass plötzlich ein Schaffleisch-Konsument eine Kenn-Nummer im Magen hat.

Wir kommen gut voran und alles läuft gut, aber plötzlich ertönen aufgeregte Rufe von den Treibern. Die erste Gruppe ist bereits in Sichtweite, jetzt ist ein geschicktes Überholmanöver gefragt. „Blinker links raus“, meint Elmar, nachdem er sich mit den Treibern der ersten Gruppe abgesprochen hat. In großem Bogen umkreisen wir Gruppe eins, die wir damit auf den zweiten Platz verweisen. Ein bisschen ehrgeiziger Sportsgeist mag dabei sein, aber es geht hier nicht um ein internes Rennen, es geht darum, die Herden gut ans Ziel zu bringen, da ist Trödeln oder höfliches Hintanbleiben nicht gefragt.

Wäre es ein schöner Tag, könnten wir uns jetzt über die ersten Sonnenstrahlen freuen, stattdessen kündigen dicke Regentropfen den Beginn des Schlechtwetters an und dichte Nebelschwaden fallen über uns herein. Regen allein ist nicht so schlimm, wenn nur der gefürchtete Nordwind nicht einsetzt, der vor allem bei Schneefall in den Augen brennt und den Übertrieb besonders schwierig macht, weil dann oft die Schafe der Mut verlässt. Mit Schneefall droben am Ferner ist heute jedenfalls zu rechnen.

Es wird fast mit jedem Höhenmeter kälter. Man spürt es vor allem in den Händen, weil der Körper vom Aufstieg erhitzt ist. Unweit der Ötzi-Fundstelle am Similaun kann man sich jetzt lebhaft vorstellen, dass man hier bis auf die Knochen abfrieren oder in diesem unwirtlichen Gebiet sonst einem Unglück zum Opfer fallen kann. Immerhin leisten unsere Anoraks und Regenponchos gute Dienste. Auch die Vorarbeit dienstbarer Geister kommt uns zugute. Damit es weiter droben im kritischen Bereich keine Komplikationen und unnötige Zeitverzögerungen gibt, haben am Tag zuvor Mitglieder der Alpgemeinschaft zum leichteren Queren der Lawinenkegel in mühsamer Arbeit Wege ausgeschaufelt.

Ein Schlechtwettereinbruch kann in diesen Höhen tödlich sein, der höchste Punkt des Übergangs am Niederjoch bei der Similaunhütte liegt immerhin auf 3019 m. In den vergangenen Jahrzehnten verlief der Übertrieb aber nur einmal tragisch, als die Herden und Treiber in den späten siebziger Jahren in einen Schneesturm gerieten. Damals kamen 70 Schafe um, Menschen wurden zum Glück keine verletzt.

Der schwierigste Streckenabschnitt ist der steile Anstieg zur Similaunhütte, vor allem, wenn er bei Regen und Schneefall schlammig und rutschig wird. Auf Schönwettertage kann man trotzdem nicht warten. Viele der Schafbauern haben keine eigenen Frühweiden, sie geben deshalb die Tiere auf jene Almen, wo früher aufgetrieben wird. Damit sich die Kosten-Nutzen-Rechnung für die Alpinteressenschaft Niedertalalm ausgeht, müssen mindestens 1300 Schafe dort weiden. Außerdem braucht der Schafübertrieb gute organisatorische Vorbereitung, eine Verschiebung um eine Woche kann demnach nur im äußersten Notfall erfolgen.

Im 18. Jahrhundert hat man unter härtesten Bedingungen sogar Ochsen über den Pass getrieben. Wenn sie mit ihrer Masse in den Lawinenkegeln einzubrechen drohten, banden ihnen die Treiber die Vorder- und Hinterbeine zusammen und zogen sie über den Schnee. So entstand eine planierte Bahn, auf der die anderen Tiere folgen konnten. Dagegen ist so ein Schafübertrieb bei einigermaßen guten Bedingungen fast ein Vergnügen. Jedenfalls wenn die Schafe so lammfromm auf den schmalen Steigen zockeln wie eben jetzt, auf dem Anstieg zu den ersten großen Steinmandln, auf halbem Weg zur Similaunhütte.

Stolze Tradition

Die Frage, warum sie die Strapazen auf sich nehmen, stellt sich für viele Schafzüchter nicht. Für die 2176 Hektar große Niedertalalm im Ötztal wurde bereits im Jahr 1415 ein Weiderechtsvertrag zwischen den Bauern von Vent und Schnals abgeschlossen. Obwohl nach dem Ersten Weltkrieg Südtirol und damit auch das Schnalstal zu Italien kamen, blieben die Alprechte erhalten. Man hat sich von den bürokratisch umständlichen Grenzkontrollen nicht abschrecken lassen und wird auch die wirtschaftlich schwierigen Zeiten überstehen. Die Übertriebe gehören zur Tradition, werden mit Stolz durchgeführt und sorgen auch für einen größeren Zusammenhalt unter den Bauern.

Der Herde hinterher trottend kommt man ins Sinnieren, was man mit Schafen alles so machen kann. Das hier sind jedenfalls keine Kandidaten für einen Streichelzoo. Viele der putzigen Lämmer werden zwar nicht als zartes Lammfleisch auf den Tisch kommen, weil sie dafür im Herbst schon zu alt sind, aber als Schaffleisch werden etliche von ihnen im Schlachthof Bozen ihr Ende finden. Andere werden für die Nachzucht und als Wolllieferanten verwendet.

Nach und nach schälen sich die ersten Steinmandln aus dem Nebel.

Die Schafwolle war früher ein wichtiger Wirtschaftsfaktor für Südtiroler Bauern, aber die Produktionsbedingungen sind nicht einfach. Sie muss mehrere Jahre gelagert und in eigenen Waschanlagen gewaschen werden. Die EU-Bestimmungen für solche Waschanlagen sind streng, werden aber nicht in allen Ländern gleich rigoros gehandhabt. Belgien ist so ein Land, wo vorläufig noch Nachsicht gewährt wird. Deshalb schickt man die Wolle zur Waschung dorthin. Danach wird sie entweder an Lodenfabriken geliefert oder als Isoliermaterial verwendet. Die Wertschöpfung für ein Kilo Rohwolle liegt derzeit bei ca. 35 Cent, vor 40 Jahren hat man dafür noch denselben Preis wie für ein Kilo Butter erzielt. Damit erklärt sich auch, warum sie aus landwirtschaftlicher Sicht nur noch einen geringen Stellenwert einnimmt.

Kultiger Türschmuck an der alten steinernen Sennhütte.

Auf dem Anstieg zur Similaunhütte beginnt es leicht zu schneien, die Kälte kriecht in die Glieder und die Treiber sind nass bis auf die Knochen, aber es kommt zumindest kein Schneesturm auf. An diesem Tag geht alles gut und der Hirte kann alle 1500 Schafe – es ist in diesem Jahr zufällig diese runde Zahl – auf der Niedertalalm in Empfang nehmen. Für mich ist es auf halbem Weg Zeit umzudrehen, denn ich habe das Auto im Schnalstal beim Vernagt-Stausee geparkt. Aber ich mache mich eine Woche später von Vent aus auf den Weg zur Niedertalalm, um nach den Tieren und nach dem Hirten Rainer Philip zu sehen, der als Alleinverantwortlicher die Aufsicht über so viele Schafe hat.

Als ich ankomme, liegt die alte steinerne Sennhütte, die geduckt in den Berghang gebaut ist, einsam und verlassen da. Die Nebel haben sich verzogen, es ist schönes Wetter und Rainer Philip ist gerade unterwegs, drei Ausreißerschafe zurückzuholen, die ein Schneefeld zum Queren des Baches benützt haben und sich nun auf der falschen Talseite herumtreiben. Zeit für mich, der Stille zu lauschen und die herbe Schönheit dieser kargen, baumlosen Gegend in mich aufzunehmen. Auf den ersten Blick eine Gegend bloß für Schafe und sehr genügsame Menschen, beim zweiten Hinspüren ein kolossaler Ort der Kraft. Im inneren Ötztal, vor allem rund um Vent, finden sich viele alte Kultstätten mit Steinkreisen, Altären und Schalensteinen. Gleich neben der alten Sennhütte steht ein großer Stein in Form eines Widderkopfes, auch er gilt – wenn auch noch nicht wissenschaftlich nachgewiesen – als Kultstein.

Wie der sprichwörtliche gute Hirte taucht dann auch Rainer Philip inmitten einer Gruppe von Schafen und Ziegen auf. Wie schafft man das, allein auf so viele Tiere aufzupassen? „Viel schaun“, sagt er, „und viel laufen.“ Dann eilt er schon wieder davon, er muss noch dringend einen Absperrzaun flicken. Sehr gesprächig ist er nicht, was verständlich ist. Wenn die meiste Zeit nur das Echo einer Felswand, das Heulen des Windes oder das Blöken der Schafe Antwort gibt, erübrigt sich jede Geschwätzigkeit.

Erst im August bekommt der Hirte Unterstützung durch einen zweiten Hirten, der die Schafe abfängt, die ansonsten vorzeitig wieder über den Pass nach Südtirol zurücklaufen würden. Sie lassen sich im Sog von Wandergruppen mittreiben und folgen dabei auch ihrem Instinkt, der genau weiß, wo es nach Hause geht und dass es nicht mehr allzu lang dauern kann, bis es soweit ist. Mitte September muss der anstrengende Marsch übers Niederjoch in die andere Richtung angetreten werden. Wenn den Sommer über nichts passiert ist und auch beim Herbstübertrieb bis zur „Schôfschoad“ (das Trennen der Schafe) alles gut läuft, herrscht große Erleichterung bei allen Verantwortlichen. In Vernagt und Kurzras werden die Hirten und Treiber dementsprechend mit einem großen Volksfest empfangen. Dabei geben sie sich dann auch nicht mehr so wortkarg, sondern richtiggehend gesellig. Trotzdem fordert der lange Marsch seinen Tribut, große Erschöpfung erfasst irgendwann alle Beteiligten, auch die Tiere.

Wenn die Schafe müde sind, hat ein Dichter einmal gesagt, dann zählen sie ihren Schäfer und schlafen ganz schnell ein.

Jetzt sind die Gräser im Almgebiet oberhalb von Vent besonders saftig.

Informationen

Lage: Die 2176 ha große Niedertalalm liegt auf 2247 m Seehöhe und beginnt gleich nach der Brücke von Vent. Die alte steinerne Sennhütte ist von Vent aus in ca. 2 Stunden Fußmarsch auf einem guten Forstweg bequem zu erreichen.

Besonderheiten: In diesem Gebiet hat sich eine mehr als 6000 Jahre alte, halbnomadische Hirtenkultur erhalten, wie sie sonst kaum noch in den Alpen zu finden ist. Vom Südtiroler Schnalstal werden die Schafe über bis zu 3200 Meter hohe, teils vergletscherte Jöcher getrieben (Transhumanz). Wer mehr darüber erfahren möchte, liest am besten in den Büchern des bekannten Ötztaler Volkskundlers Hans Haid nach („Wege der Schafe“).

Verpflegung: Die Sennhütte der Niedertalalm ist nur für die Hirten reserviert, die nächste Einkehrmöglichkeit ist die Martin-Busch-Hütte auf 2501 m, ½ Stunde Gehzeit entfernt. Von der Martin-Busch-Hütte bis zur Similaunhütte sind es dann nochmals 2 Stunden Gehzeit. Gute Bergausrüstung und die Abfrage des Wetterberichtes ist dabei unbedingt vonnöten.

16., 17., 18., 19. Juni

Trainsalm, Thiersee

Kleiner Almkurs bei Klara und Marei

Eigentlich hatte ich mir das so vorgestellt: Ich befrage Almleute über ihr Leben auf der Alm und schreibe nieder, was sie erzählen. Aber da gerate ich bei der temperamentvollen Sennerin Klara Marksteiner aus Thiersee an die Falsche. Oder vielmehr an die Richtige. „Über Almarbeit kannst du nur schreiben, wenn du selber hineingeschmeckt hast“, meint sie und schaut mich erwartungsvoll an. Klara ist so almbegeistert, dass sie fast in jedem Urlaub als Sennerin gearbeitet hat, seit ihrer Pensionierung ist sie den ganzen Sommer über auf der Alm. Außerdem ist sie sympathisch und herzlich, hat Witz und ein hinreißendes Lachen. Es könnte funktionieren mit uns beiden. Also melde ich mich Mitte Juni für ein paar Tage bei ihr als Hilfssennerin.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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