Aloha mea ola - max- klaus - E-Book

Aloha mea ola E-Book

max- klaus

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Beschreibung

Was tut eine Künstlerin, wenn sie gerade keine Kunst macht? Sie packt für eine weite Reise, nimmt ihr Fahrrad mit und fliegt nach Hawaii auf die Inseln Maui und Oahu. In ihrer Fantasie wird sie am Pazifischen Ozean entlang radeln und in das türkisfarbene Wasser schauen. Sie freut sich auf Bewegung in der Natur und auf Kultur und Inspiration. Doch Hawaii bot mehr als eine Überraschung...

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Seitenzahl: 441

Veröffentlichungsjahr: 2023

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Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Nachwort

- 1 -

“Oversized. Overweight. Bulky baggage”. Die Mitarbeiterin der Fluggesellschaft erklärte mir ruhig und freundlich, dass mein verpacktes Fahrrad im Karton zwar mitkommen kann, aber ich eine Gebühr bezahlen müsste. Dann zeigte sie mir den dreistelligen Betrag, der eine eigene Campingreise hätten finanzieren können und fragte, ob ich gewillt wäre, dies zu bezahlen. Ich könnte auch jemanden anrufen, der das Paket am Flughafen wieder abholt und könnte ohne das Fahrrad reisen.

Hinter mir stauten sich so nach und nach weitere Menschen, die genau wie ich die sinnvolle Vorabfrage beantwortet hatten, ob sie gefährliche Stoffe und Gegenstände auf ihre Reise mitnehmen wollen. Jeder Terrorist oder Amokläufer würde das selbstverständlich bejahen, oder? Die Menschen hinter mir scharrten ungeduldig mit den Füßen. Ich musste jetzt etwas sehr rasch entscheiden, was ich normalerweise mit guter Überlegung entschieden hätte. Wollte ich ohne das Fahrrad nach Hawaii? Nein. Ich hatte die Reise mit meinem Fahrrad geplant und wollte auf meinem Fahrrad die Steilküste entlang radeln – ich wollte weder ein teures Leihfahrrad radeln, noch wollte ich meine Wünsche loslassen. “Evet” sagt der Türke und das bedeutet: Ja, ich will. Ja, habe ich gesagt, habe meine Kreditkarte gezückt und ohne weiter mit der Wimper zu zucken die Summe angewiesen. Der Karton wurde beiseitegeschoben, ein verschwitzter Mitarbeiter kam es abholen und in der Zwischenzeit wurde meine eher leichte Reisetasche gewogen, für korrekt befunden trotz etlicher Kleidungsstücke und verschwand auf dem Rollband in die Gepäckaufgabe und ich war eingecheckt.

Der Karton war ein Karton für ein elektrisches Fahrrad gewesen und daher breiter und größer als ein genormter Fahrradkarton. Man muss das Vorderrad ausbauen, das Lenkrad verdrehen, die Pedale abbauen, die Luft aus den Reifen lassen und dann das Ganze in eben diesen Karton verstauen. Den Karton hatte ich beim meinem liebsten Fahrradladen vorab besorgt und konnte ihn nur durch eine Faltung überhaupt in mein kleines Automobil bugsieren. Die netten Mitarbeiter hatten mir geduldig gezeigt, wie das mit dem Auseinandernehmen des Fahrrads funktioniert und nun gut, zusammenbauen ist dann der ganze Ablauf wieder andersherum. Dafür reichen mein technisches Verständnis und praktisches Geschick aus. Das Gewicht hatte ich mit einer Kofferwaage gewogen und mit meiner Körpergewichts-Waage nachgeprüft und eigentlich war es nicht so viel, wie am Flughafen mir gesagt wurde. Ich wollte ausprobieren, wie das geht: Flugreise und Fahrrad-Mitnahme. Im Frühjahr hatte ich mir mein erstes (!) neues Fahrrad gekauft. In meinem Leben habe ich drei Fahrräder besessen bis jetzt: 1, das kleine Klapp-Fahrrad, auf dem ich als Kind meiner Nachbarin Birgit immer hilflos hinterher geradelt bin, weil sie schon ein normales Fahrrad und keine Geduld hatte und ich hatte dieses Klapp-Fahrrad mit den kleinen Reifen.

2. mein 3-Gang-Fahrrad bester Güte, welches ich zum 16. Geburtstag geschenkt bekommen habe und welches ich erst emotional verlassen habe, als ich versucht habe mit meinem halbwüchsigen Sohn von einem Campingplatz in französischen Seealpen in den nächsten Ort zu radeln, um Schokolade und Bildzeitung zu kaufen. Ich habe mir heulend geschworen, dass ich mir ein Rennrad mit vielen Gängen kaufe mit dem ich die französischen Seealpen hochradeln könnte.

3. mein Knaben-Rennrad mit vielen Gängen, mit dem ich zwar nie die französischen Seealpen hochgeradelt bin, aber doch so einige Fahrrad-Touren erlebt habe. Das sind aber ungeschriebene Bücher und was ich da erlebt habe, steht bis jetzt unveröffentlicht nur in meinen Tagebüchern.

Ein neues Fahrrad ist also da und das Knaben-Rennrad, dass mir so vertraut von meinen Hippiebus-Reisen und Zelt-Reisen war, durfte und sollte mit nach Hawaii.

Die Anreise zum Flughafen war stressfrei gedacht: großer Karton und kleine Frau und normales Gepäck in ein Flughafen-Transfer-Taxi und der freundliche Taxi-Fahrer schaukelt mich mitsamt meiner Fracht direkt bis zum Terminal. Der Flughafen-Transfer war mir von Freunden empfohlen worden, die wenige Wochen vorher nach Ecuador geflogen sind. Die hatten vor dieser langen Reise nach Süd-Amerika sogar ihren Nachlass geordnet, falls ihnen irgendetwas passiert. Ihnen ist nichts passiert, wohl aber dem Taxifahrer, der sie vom Flughafen abholen sollte. Er wurde von einer Wespe gestochen und bekam einen anaphylaktischen Schock, weil er allergisch war. Er musste ins Krankenhaus per Notfall-Ambulanz gefahren werden und die schockierten Freunde haben sich letztendlich mit dem Taxi selbst nach Hause gefahren. Genau dieser Taxi-Fahrer fuhr mich zum Flughafen, aber es ging ihm zum Glück wieder gut und mittlerweile hatte er ein Notfall-Set für Wespenstiche bei sich.

Am Flughafen schob ich meinen Riesenkarton ins Terminal und wenn jemand komisch schaute, sagte ich: “ich reise nie ohne meinen Flachbildschirm”.

Nur leider war ich im falschen Terminal. Meine Fluglinie flog im anderen Terminal ab. Der Taxifahrer hatte sich geirrt und ich hatte meine Abreise-Terminal nicht nachkontrolliert. ‘Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser’.

Die Zeit läuft in Flughäfen immer anders. Wenn man glaubt, viel Zeit zu haben, rennt die Zeit und sie wird knapp. Wenn man glaubt, jetzt könnte es langsam losgehen, dann geht Zeit überhaupt nicht weiter. Überhaupt ist Zeitwahrnehmung ein sehr seltsames Phänomen und ist veränderlich je nachdem, was man gerade tut oder sich vorgenommen hat. Zwischen den Terminals gibt es einen Shuttle, aber zum Einstieg keinen Lift, sondern nur Rolltreppe. Hier zeigte sich schon der erste rote Faden, der sich durch meinen Urlaub ziehen sollte: freundliche, hilfsbereite Menschen! Menschen zogen, trugen, halfen, fragten und letztendlich war ich eben am Schalter und “oversize & more” musste entschieden werden. Nun, wer auch immer eine Flugreise mit seinem Fahrrad machen möchte, sollte sein Fahrrad hübsch zusammengefaltet in ein dafür designtes Gepäckstück stecken und sichergehen, dass das Fahrrad ein leichtes ist.

Endlich saß ich im Flugzeug und die erste Welle von Freude und ja, auch Stolz überflutete mich. “Ich fliege nach Hawai’i, ich fliege wirklich und wahrhaftig nach Hawai’i.” Übrigens ist die Schreibweise von Hawai’i mit dem Apostroph die richtige, weil diese die Akzentuierung in der hawaiianischen Sprache korrekt wiedergibt.

Der Flug war angenehm und mein Platznachbar so jung, dass der Vater von dem Kind mich als Einzelperson bat, mit ihm den Platz zu wechseln. Das tat ich gerne und bekam dann statt einem bequemen Randplatz einen eingezwängten Platz in der Mitte. Warum bin ich immer so nett? Warum bin ich nicht auf meinem gebuchten Platz verblieben? Meine Mama hätte gesagt: Das kann man machen, da bricht man sich doch keinen Zacken aus der Krone und die anderen freuen sich. Zur Belohnung hatte ich auf meinem ersten Flug, der erst einmal über den großen Teich nach San Francisco ging, einen ausgesprochen interessanten, attraktiven und unterhaltsamen Platznachbarn und wenn wir nicht gerade dösten und schliefen oder tranken und aßen, unterhielten wir uns über jüdische Gebräuche, westliche Geschichte, vorderasiatische Kultur, israelische Speisen und vieles mehr. War er ein syrischer Jude, der jetzt in den USA lebte oder ein jüdischer Amerikaner mit syrischen Wurzeln? Auf jeden Fall hatte er seine Eltern in Israel besucht und flog über Frankfurt aus Tel-Aviv nach Hause. Wenn ich meinen Vater besuche, dann sind es nur läppische 450 km oder etwa 283 Meilen mit dem Auto. Wenn er seine Eltern sehen möchte, sind das knapp 12.000 oder fast 7.500 Meilen als Direktflug und damit mindestens 15 Stunden Flugdauer. Masel tov!

Der Flug selbst war ruhig und angenehm und die Landung derart sanft, dass ich dachte, das hat der Pilot aber schon mehr als einmal gemacht.

In San Francisco musste ich umsteigen und noch einmal durch den Check-In und den generellen Check-In für Amerika durchmachen. Du liebe Güte: Das Gesicht gescannt, den Body gescannt, also meinen Körper, Fingerabdrücke von mittlerweile allen Fingern genommen, befragt und noch einmal befragt und: “warum wollen sie einreisen?” Die einzige richtige Antwort ist “pleasure”, also Vergnügen, was so viel wie ‘Ferien machen wollen’ bedeutet.

Flughäfen sind endlos und Rollkoffer haben ihre echte Berechtigung. Wer aber Rucksäcke, Sporttaschen oder anderes zu transportieren hat, braucht einen Gepäckträger und die kosten Geld und nicht nur 1 $. Da zeigte sich schon der nächste rote Faden: USA ist teuer und Hawai’i ist exorbitant teuer.

Mein Karton war tatsächlich angekommen, mein Gepäck auch und so schob ich mich flotten Schrittes durch den Flughafen von San Francisco zu meinem Gabelflug nach Maui. Amüsiert sah ich zu, wie mein Sperrgepäck in einen Rollgarage, die nur für mich geöffnet wurde, durchgecheckt wurde. Immerhin, für mein Geld bekam ich etwas geboten! Nein, ich habe weder frische Wurst noch Pflanzensamen dabei, nein, ich habe keine Tuberkulose oder andere ansteckende Krankheiten, ja, ich bin geimpft und ja, ich habe darüber auch Belege. Meine Covid19-QR-Code-Impfkarte aus Kunststoff hat überall auf der Reise in Amerika bewundernde Blicke geerntet. So etwas hatte man noch nicht gesehen. Das ist ja wie der QR-Code im Handy und aber wie eine Kreditkarte und nicht auf schlichtem Papier. Wow! Wenn Amerikaner begeistert sind, zeigen sie das meistens auch.

Der zweite Flug nach Maui ging nur noch 5 ½ Stunden und den habe ich eigentlich so ziemlich verschlafen. Wer saß neben mir? Niemand. Es war ein kleineres Flugzeug und nicht ausgebucht und ich reise alleine und es reist niemand mit mir. “Der Platz an meiner Seite ist noch frei - im wahrsten Sinn des Wortes”, dachte ich und dann war ich schon wieder eingedöst. Manchmal denke ich, die Fluggesellschaften machen Betäubungsmittel in die Speisen und Getränke und in die Lüftung, damit die Leute hübsch ruhig bleiben bis zur Ankunft.

Irgendwann war aus dem Nebel von Phantasien und Wünschen der Gedanke geboren “Ich will nach Hawaii”. Damals noch ohne Apostroph, weil ich das ja noch nicht wusste. Man kann mittlerweile fast alles in Internet finden, auch die eigenen Unkenntnisse in Geographie. Hawaii ist nicht eine Insel, Hawai’i sind 137 Inseln. Welche hätten sie denn gerne? Sechs Inseln sind touristisch erschlossen und auch da muss entschieden werden. Eine Insel? Mehrere Inseln? Wenn mehr als eine Insel, wie viele Inseln? Und bitteschön: Welche Inseln?

Da steht dann tatsächlich die Recherche vor der Tat und vor der Entscheidung und wer weiß, was seine Wünsche sind, kann vielleicht besser entscheiden. Meine Entscheidung war ‘Maui’ (zuerst) und ‘Oahu’ (danach). Maui, weil die Natur so interessant und schön sein sollte und Oahu, weil es Natur und Kultur bieten sollte. Denn das ‘Itzi-bini-honolulustrand-bikini’ liegt auf Oahu und dort ist der weltberühmte Waikiki-Strand, an dem man Surfen lernen muss.

Erst Natur und dann Natur und Kultur, erst Ruhe und dann High-Life in Tüten in Honolulu und zum Abschluss noch die Stadt San Francisco. Das war der Plan. Wie gut die Entscheidung für mich war, sollte sich noch zeigen.

Hawai’i ist von Deutschland aus gesehen so weit entfernt, dass mein Vater ausrief, er müsse sich einen Globus kaufen, damit er überhaupt versteht, wohin ich reisen will. Die Zeitzonen sind derart verschieden, dass in Deutschland morgens ist, wenn man in Hawai’i ins Bett geht. Zwölf Stunden Zeitverschiebung. Ganz besonders eigen ist es, dass in Deutschland dann schon morgen ist, während Hawai’i noch gestern ist. Wer telefoniert ist gleichzeitig im morgen und gestern. Das kann durchaus verwirren und mindestens einmal habe ich in tiefster Nacht jemanden aus dem Schlaf mit einer WhatsApp gerissen, weil ich die Zeitzonen nicht beachtet habe.

Was möchte der Mensch? Was brauchen Menschen im Urlaub? Meine Urlaube waren fast ausnahmslos Campingurlaube, also Urlaube in der Natur und immer sehr naturnah. Mutter Erde wieder begegnen, Alltag und Stadt hinter sich lassen.

Meine Interessen sind Kunst und Kultur. Da kommt wieder die Stadt ins Spiel. Es ist immer sowohl als auch. Manchmal macht mich das traurig, weil ich nie richtig dazu passe: Die Naturliebhaber und Freiluft-Sportler verstehen nicht, dass ich mir bemalte Leinwände von toten Menschen angucken muss. Menschen, die sich für die Ästhetik des Wabi-Sabi interessieren, verstehen nicht, warum ich verschwitzt Hügel hinauf radeln muss. Es gibt viele Menschen, mit denen ich meine Interessen teilen könnte, aber in aller Regel nur einen Teil der Interessen und die anderen Bedürfnisse bleiben jeweils unbefriedigt. Das Alleine-Reisen ist ein ungemeiner Vorteil: ich darf beides tun. Ich brauche niemanden fragen, bitten, drängen. Ich tue einfach.

Wer nach Hawai’i reist, sollte sich auch überlegen, wie lange er oder sie unterwegs sein will oder kann. Denn ein so langer Flug lohnt sich nur, wenn man auch ein gewisses Zeitfenster da ist.

Pandemie, Klimawandel, Ukraine-Krieg und schon lernt der Reisende ein neues Wort: Flugscham. Wer fliegt hinterlässt einen ökologischen Fußabdruck, der sich gewaschen hat. Aber Wünsche wollen auch gehört und gelebt werden und vielleicht sind die schönen Erinnerungen, die wir erleben, das, was wir mitnehmen, wenn wir sterben.

Maui. Die ‘Tal Insel’. Es leben in Maui kaum mehr Menschen als in meiner momentanen Heimatstadt Worms: Keine 120.000 Menschen (ohne Touristen) im Vergleich zu etwa 84.000 Menschen in Worms (auch ohne Touristen). In Maui leben nur etwa 77 Menschen auf einem km2, in Worms sind es zehnmal so viele Menschen. Maui darf mehr als 2 Millionen Touristen im Jahr aushalten, Worms besuchen nur etwa 44.000 Touristen im Jahr.

Das Flugzeug landet in Kahului, dem Flughafen von Maui und der Flughafen erinnert an die kleinen Flughäfen in der griechischen Ägäis. Kaum aus dem Flugzeug gelangt man schon an den Taxistand. Der Taxifahrer schaut kritisch ob des großen Kartons, aber er kutschiert mich widerspruchslos und ohne laufende Taxi-Uhr zu meiner ersten Unterkunft, einem Hostel in Wailuku. Es kostet nur 30 $ cash auf die Hand und ich war froh einfach nur noch zu meinem Bett gefahren zu werden.

Später fand ich heraus, dass die Taxifahrt mit Uhr etwa 22 $ kostet, also ist es kein Schnäppchen, wenn der Taxifahrer die Taxi Uhr ausgeschaltet lässt.

Von Deutschland aus konnte ich keinen Transfer buchen und vor Ort klärte sich auch auf, warum das nicht geht. Es gibt in Maui praktisch nur private Taxi-Unternehmen, die alle nicht in Buchungsoberflächen gelistet sind. Also, wer eine Telefonnummer von einem privaten Taxi-Unternehmen in Maui hat – gut aufheben für schlechte Zeiten oder späte Ankünfte.

Im Hostel wurde mir geraten, ich solle doch Uber anrufen. Ich kann kein Uber, ich habe kein Uber, ich will kein Uber. Uber muss ich erst noch lernen. Man kann nicht alles sofort lernen. Frau auch nicht. Also, kein Uber. Irgendwann mache ich bestimmt einmal Uber.

Kahului und Wailuku sind zwei Städte auf Maui, die so eng beieinander liegen, dass es eigentlich eine Stadt ist. Meine erste gebuchte Unterkunft war ein Hostel in Wailuku. Mein allererstes Hostel hatte ich in München nach meiner Toskana-Radtour erlebt. Übernachtung im Mehrbett-Zimmer, es war stockdunkel und ich musste mein Bett und meinen Schrank finden. Wer später nachts kommt, hat meistens das obere Bett von den zwei Stockbetten. Ich musste damals feststellen, dass auch Frauen fürchterlich schnarchen können.

Diesmal war ich vorbereitet: Stirnlampe und Ohrstöpsel waren in Greifnähe, Pyjama und Zahnbürste waren schon im Handgepäck und nach einem Foto (zur Sicherheit) von meinem müden Gesicht, meiner hingehaltenen Kreditkarte, meiner “proof of vaccination” durfte ich nach oben klettern und das dünne Laken über meinen Körper und mein Gesicht ziehen. Bettdecke gab es nicht. Das klärte sich ganz rasch, warum nicht: In Maui ist es warm. Es ist auch nachts warm.

Worms ist ja der wärmste und trockenste Ort von Deutschland, aber Maui ist eben wärmer nachts. Ich hatte im ganzen Urlaub Glück: Wenn ich mit anderen Menschen übernachtet habe, hat keiner geschnarcht. Gute Nacht, ich bin in Wailuku auf Maui, ich bin wirklich und echt und ganz wahrhaftig in Hawai’i.

- 2 –

Hahnengeschrei und Ventilatordröhnen weckte mich trotz Ohrenstöpsel. In der Nacht, bevor ich dankbar in mein Bett versank, sah ich noch eine Langhaarige im Hochbett gegenüber ein “hi” hauchen, bevor ich einschlief. Die Langhaarige tippte noch auf ihrem Handy herum und hatte sehr breite Schultern und auch Haare im Brustausschnitt. Während ich eindämmerte, fiel mir wieder ein, dass ich ja gemischtes Zimmer gebucht hatte. In Hostel schläft man im geschlechtsgleichen Mehrbett-Zimmer oder aber im gemischten Zimmer.

Es war noch nicht einmal 7 Uhr morgens. Meine innere Zeituhr war durchgeschüttelt und sowieso hatte der Hahn mir mitgeteilt, was Sache ist: Aufstehen, gefälligst. Was mir noch nicht klar war, war, dass dieser Urlaub mein “frühester” Urlaub beim Aufstehen werden sollte. Ich bin fast jeden Tag um sieben Uhr herum aus dem Bett gestiegen und dass, obwohl Ausschlafen ohne Wecker definitiv mein liebstes Hobby ist!

Der Hahnenschrei hatte mich in einen Moment der Verwirrung gestürzt. Wo war ich? Hahnenschrei verbinde ich mit Landleben und Dorf, Ackerbau und Bauernhöfen. Hahnenschrei kenne ich aus einem Dorf in Thüringen, wo ich nachts kaum Schlaf fand und morgens von Hahnenschrei, Eselsrufen und Motorsägen vom ‘Holz machen’ geweckt wurde. Hahnenschrei kenne ich aus italienischen Dörfern und winzigen provenzalischen Städten, in denen ich mein Zelt aufgeschlagen hatte oder eine rustikale Pension gebucht hatte. “Der Hahn kräht auf dem Mist, dann ändert sich das Wetter, oder es bleibt, wie es ist.” Hahnenschrei war für mich, bis zu diesem ersten Tag auf Maui nicht mit pazifischen Inseln in der Weite des Ozeans verbunden.

In Maui und auch in Oahu laufen überall und wirklich überall freilebende Hühner herum. Natürlich auch die Hähne. Hähne sind Männchen und müssen ihr Revier gegen andere Hähne verteidigen, ihr Revier deutlich vokal markieren, sie müssen Weibchen heranlocken; kurzum, die Hähne krähen, die Hühner gackern und sie tun dies zu allen Nacht- und Tageszeiten. Die Hühner scheren sich weder um Verkehrsregeln, noch um Anstandsregeln. Wer einen Snack an einem der vielen Food-Trucks geholt hat, sieht sich plötzlich Auge in Auge mit einem Huhn oder Hahn, die gerne auch etwas nehmen. Die Hühner in Hawai’i sind vielleicht am ehesten unseren Tauben in Europa vergleichbar.

Im Kreuzungspunkt der Flure der Schlafsäle des Hostels gab es eine Gemeinschaftsküche, wie in den meisten Hostels, und davor ein paar Hochstühle am Tresen und an einem zweiten Tresen und eine U-förmige Couch, in der man mitsamt Handy über Stunden versinken konnte.

Es war früh, aber Kaffee war schon fertig oder das, was überall auf der Welt Hotels, Pensionen, Hostels, Pensionen, Gasthäuser als Kaffee anbieten. Ein dünnes, braunes, heißes Getränk, welches entfernt Assoziationen zu einem Kaffee ermöglicht. Es gab ‘pancakes’ mit Schokoladenstückchen zu dieser nachtschlafenden Zeit und eine junge Frau mit recht entspanntem Gesicht buk auf einer viereckigen Riesen-Pfanne dutzende von Pfannkuchen, die erstaunlicherweise alle rund waren und alle gleich groß waren. Auf dem Tresen stand Ahorn-Sirup in einer waschmittelgroßen Kunststoffflasche und lud zum Zuckerflash ein. Für mich ist es zutiefst beglückend, wenn der Kaffee schon fertig ist und ich nur noch eingießen muss und griffbereit warme Pancakes hingestellt zu bekommen, empfand ich ebenfalls als sehr beglückend. Ich lebe allein und wenn ich nicht den Kaffee koche, gibt es keinen Kaffee. Mein Sohn hat mir einmal eine Kaffeemaschine mit integrierter Zeitschaltuhr geschenkt; das war eines meiner schönsten Geschenke, die ich jemals bekommen habe. Aber die Zeitschaltuhr schaltete auch direkt nach der Garantiezeit die Funktion der Kaffeemaschine ab und ich war beleidigt und koche seitdem meinen Kaffee mit Handfilter morgens. Pancakes oder Pfannkuchen ist eigentlich etwas, was überhaupt nicht meine Art Frühstück darstellt. Morgens bin ich müde und faul und manchmal sogar zu faul zum Kauen. Also esse ich ein Joghurt, vielleicht trinke ich einen gesunden Obst-Smoothie oder nuckele an einer Portion Haferbrei. Außerdem beginne ich jeden Tag mit guten Vorsätzen gesunder Ernährung, die sich möglicherweise bis zum Abend dann erheblich abgeschliffen haben. Pancakes mit Ahorn-Sirup ist ein typisch amerikanisches Frühstück und Hawai’i ist seit siebzig Jahren und mehr amerikanisch. Ich nahm also den Kaffee und den Pfannkuchen und mit dem zweiten Kaffee und dem zweiten Pfannkuchen tappte ich die steile Stiege hinab, wo ich am Vortag meine knallorange Tasche hochgeschleppt hatte.

Nur wenige Wochen vor der Reise, bevor ich immer noch die Frage der Reisetaschen geklärt hatte, habe ich diese besondere Tasche geschenkt bekommen. Es war für mich wie Zeichen, dass diese Reise nach Hawai’i stattfinden sollte, ich bin manchmal recht abergläubisch. In unserem Verein hatte ich einen ‘give-away-day’ organisiert, einen Verschenke Tag. Jeder bringt, was der Hausstand entbehren kann und gibt es ohne Entlohnung fort. Es hatten sich eine Handvoll Menschen gefunden, die auch ihren Keller oder Dachboden entleeren wollten. Die Verschenkenden beschenkten sich zunächst einmal gegenseitig, es wurde so geschaut, was der Andere hatte oder weggeben wollte. Die Tasche durfte aus dem Haushalt meiner Nachbarin fort und ich durfte sie haben; später fanden sich sogar noch die Tragegurte an und so hatte ich eine wasserdichte, robuste, Alarmfarbige, weiche, flexible Tasche, in die alles hineinpasste. Die war für Flug und Radtour geeignet, was bei ordentlichen Packtaschen ein Problem ist. Mein ganzes Equipment, welches ich mir mittlerweile für Fahrradtouren zusammengekauft hatte, war letztlich Flug-ungeeignet und so war die Rucksack-Tasche, die sogar abschließbar, ein sehr glücklicher Zufall oder eben, ein Zeichen für mich.

Ich ging in den Garten oder besser Hof des Hostels. Das Hostel hatte im Dunkeln nach 24 Stunden Flugreise und Taxifahrt schon recht abgewrackt ausgesehen. Das Stadtviertel war eines der ärmeren Stadtviertel oder eines, welches Makler als ‘illustre Straßen’ der Stadt titulieren würden. Ein wirklich winziges Schild wies auf das Hostel hin und vielleicht ist es auch ein Prinzip in Hawai’i Hosteleingänge so unauffällig wie möglich zu gestalten. Alle anderen Hostels waren optisch genauso unauffällig und nur das falsche Hostel in San Francisco hatte auf der Lichtreklameüberfluteten Mason-Street das Wort HOSTEL in riesigen Leucht-Lettern senkrecht zur Straße befestigt.

Der Hof sah bei warmem Morgenlicht und mit einigermaßen ausgeschlafenem Kopf ganz annehmbar aus. Sitzgelegenheiten und Pavillons, die Schatten und Liegestühle offerierten, waren umsäumt von tropischen Pflanzen. Ein Huhn mit winzigen Küken trödelte über den Hof. Es gab Internet-Verbindung sogar im Hof, was heutzutage für ein Hostel wichtiger ist, als ein gutes Bett.

Vögel mit schnarrenden Tönen machten sich bemerkbar. Im Hof stand auch der erste, von mir bewusst wahrgenommene Banyan-Tree. Ein Laubbaum mit Fallwurzeln, die den eigentlichen Stamm unter-stützen. Fallwurzeln und Stamm können dabei zusammenwachsen und so optisch einen Baum mit sehr ungewöhnlich geformtem Stamm bilden. Der Banyan-Tree war wirklich groß und meine Eltern hatten einen Gingko-Baum im Garten, den mein Vater aus Bedenken vor Sturmbruch in etwa fünf Metern Höhe kürzen ließ. Der Banyan-Tree im Hof des Hostels war aber ungekürzt und hoch. Ich habe einmal gelesen, dass der Mensch an sich Entfernungen in der Horizontalen recht gut schätzen kann, während Höhenunterschiede in aller Regel falsch eingeschätzt werden.

Kaffee und Pancake auf der Liege im Hof. Ich war wirklich und echt und tatsächlich in Hawai’i. Ich war von meiner Heimatstadt aus betrachtet genau auf der anderen Seite der Erdkugel. Ich hatte meine verrückte Idee umgesetzt und ich war wirklich da. Gemischte Gefühle, weil mir bewusstwurde, wie weit entfernt ich von meinem Zuhause war. So weit war ich noch nie gewesen und es war unheimlich. So weit war ich noch nie gewesen und ich war stolz, meinen Wunsch und meinen Willen umgesetzt zu haben. Unsicherheit, weil noch nicht alles geplant war und so offen war und ich nicht wirklich abschätzen konnte, wie das nun so wird. Vorfreude, weil so viele interessante Dinge auf mich warteten und das warme, sonnige Wetter mir schon jetzt die schönsten Erlebnisse versprachen. Ich atmete Frieden, Begeisterung und tief durch, um mich zu beruhigen.

Die erste Arbeit des Tages war, meinen Karton zu öffnen und meinen silbernen Begleiter auszupacken und wieder zusammen zu bauen. Leider bekam ich die Bremsen nicht mehr funktionstüchtig angebaut. Das Rad selbst hatte den Transport gut überstanden; der Karton sah etwas verschrammt aus. Warum ließ sich das Zugseil nicht mehr einhängen? Was hatte ich vergessen oder übersehen? Ich rätselte und schwitzte. Dann erschien wie aus Zauberhand ein Radrennfahrer, der auch im Hostel übernachtet hatte. Ich bat um Hilfe und er lieh mir, wie man so schön sagt, seine Hand. Praktischerweise war er Fahrrad-Mechaniker und konnte mich sofort auf das verdrehte Kabel hinweisen, welche den Bremszug jetzt verkürzte. In wenigen Momenten war das Fahrrad abreisefertig und er selbst schwang sich im frühen Morgengrauen auf sein Rad und verschwand auf irgendeine kräftezehrende Tour ohne Gepäck. Wir sprachen später noch einmal und er reiste immer elegant mit einer Fahrrad-Tasche, die Rollen hatte und immer ohne Transport-Gepäck und fuhr seine Touren vom Hostel aus. So geht das auch. Viel entspannter, weil kein Ortswechsel und viel mehr Energie für Touren, weil kein Gepäck belastete. Ich werde es mir merken, Hawai’i lehrte mich so einiges und eine Lehre ist: “Planung und Überlegung vorher ist ein guter Plan”.

Was macht man als Tourist in Wailuku oder Kahului? Nun, nach meinem Kaffee war ich zu frechen Taten bereit und tat etwas, was eigentlich eher Single-Männer tun: Ich schrieb zwei ehemalige Liebhaber an, ich sei in den USA und wenn sie mich sehen wollten, sollen sie sich melden, ich würde dann mitteilen, wo ich bin. Flausen im Kopf. Ich schrieb den identischen Text, um eine mögliche Reaktion auch vergleichen zu können. Hawai’i hat, wie so viele Inseln, umgeben vom Ozean, inmitten der Weite des Pazifiks, eine ganz besondere Stimmung. Diese Insel ermöglicht loszulassen. Wer loslässt, hat beide Hände frei, nicht wahr?

Ich radelte den Berg hinunter zum Postamt. Wailuku liegt gewissermaßen auf dem Berg, Kahului liegt praktisch direkt am Meer, unten im Tal. Bauarbeiter wiesen mir über unbefestigte Straßen den Weg und Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft gehören für mich untrennbar zu Hawai’i. Vielleicht darf ich auch ganz eitel von mir sagen, dass ich eine nette Art zu fragen haben und als kleine Frau nie besonders bedrohlich aussehe, weil eigentlich habe ich auch in anderen Ländern immer viel Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft erfahren habe. Ich schrieb meine verpflichtenden Postkarten und meine versprochenen Postkarten. Im Zeitalter der Digitalisierung gibt es trotzdem Menschen, die sich unsäglich über buntes Papier freuen und eben weil es so umständlich geworden ist, ist eine Postkarte vom anderen Ende der Welt zu senden, ist es ein Zeichen besonderer Wertschätzung für diese Personen. Die Postkarten in den richtigen Briefkasten zu werfen ist gar nicht so einfach, weil der Mülleimer fast genauso aussieht. Ein Geschenk steckte ich in den Umschlag, schrieb ein paar Zeilen dazu, ließ es passend frankieren und sandte los. Die Nachrichten sind weg. Jetzt bin ich dran.”

Wailuku geht bergab. Der Weg nach Kahului geht bergab. Das Fahrrad rollt hinab und das nächste, was zu erledigen war, war die Frage nach dem Transport meines Fahrrads nach Oahu. Das hatte ich nämlich noch nicht geplant und konnte ich nicht richtig herausfinden von Deutschland aus, wie das geht. Maui hat sechs Fahrrad-Läden und im Laufe meiner Tage dort lernte ich alle kennen. Ich radelte also zielstrebig die Fahrrad-Läden in Kahului an. Fahrrad-Transport-Tasche, schmaler Fahrrad-Pappkarton, Idee, wie das Rad nach Oahu kommt? Die Händler in Kahului waren freundlich und hilfsbereit, aber sie hatte gar keine Fahrrad-Taschen und schlugen den bekannten Lieferservice aus dem Internet vor; ich könne doch im Internet bestellen oder sie bestellen für mich eine Tasche. Ja und die nächsten Fahrradhändler sind in Kihei an der Südküste der Insel. Die Fahrrad-Händler schicken einen ohne mit der Wimper zu zucken von einer Seite der Insel zur anderen. Die Insel ist ja auch nicht so groß und überhaupt: da gibt es einen netten Fahrrad-Weg nach Kihei an der Südküste.

Der Fahrradweg nach Kihei verläuft parallel zum Highway. Warum fahren so wenig Menschen wirklich Fahrrad auf Maui? Ich lernte, dass es den gleichen Grund hat, warum so viele Surfer nach Maui wollen: Sonne und Wind. Der Halbgott Maui hatte einst auf dem höchsten Berg der Insel die Sonne eingefangen und sie erst freigelassen, nachdem sie versprach auf Maui länger zu verweilen, so geht die Sage über das Wetter in Maui. Es ist sonnig und in brütender Mittagshitze über die Insel zu radeln, selbst ohne Gepäck, ist anstrengend. Immer, immer mit Wasser fahren und möglichst mit viel Wasser und Getränken. Ich verstand, warum der Radfahrer aus dem Hostel so früh am Morgen losraste und nicht gemütlich nach zehn Uhr losrollt. Wer Sport macht, macht ihn in Maui frühmorgens oder abends.

Es ist windig. Der Wind, den die Surfer so lieben, wird für einen Radfahrer, der gegen den Wind strampelt, äußerst anstrengend. Ich bin älter als zwanzig, aber wenn ich in brütender Hitze gegen Windstöße anradele, dann fühle ich mich voller Kampfesenergie. Im Hintergrund ruhten die grünen Vulkanberge von Maui. Der Halbgott Maui hat den Göttern das Geheimnis des Feuermachens gestohlen und den Menschen beigebracht. Wailuku liegt unmittelbar vor dem Tal der Iao Needle, ein heiliges Tal mit Naturschönheiten, welches der Hauptgrund war, warum ich auch nach Maui wollte. Ich wollte dieses Iao Needle sehen; sie wartete schon auf mich und ich freute mich mit jedem Seitenblick nach rechts auf dieses Erlebnis.

Von Norden nach Süden geht es fast ein wenig bergab und rasch erreichte ich Kihei, fand beide Fahrradläden und wieder keine Antwort. Reguläre Fähren nach Oahu gab es nicht, also auch kein Postschiff oder ähnliches, welches mein Rad transportieren könnte. Fahrradtaschen gab es nicht zu kaufen und niemand wusste, wie man ein Rad von einer Insel zur anderen Insel bekommt. Unverrichteter Dinge rollte ich wieder zurück Richtung Kahului.

Der Weg ist das Ziel. Ich radele auf meinem Fahrrad auf Maui herum. Wie großartig! Meinen ersten Beach Park bekam ich zu sehen und verstand endlich, was das denn eigentlich ist. Ein Beach Park ist quasi eine städtische Grünanlage nur mit dem hübschen Zusatz, dass die Grünanlage an einen Strand mit Blick auf den Pazifik endet. Es gibt meist Grillstationen, Sitzgelegenheiten, Toilettenhäuschen und Wasserspender und rustikale Duschen, um das Salzwasser abzuduschen. Mein Fahrrad sinkt in den Sand ein und ich trinke und esse etwas und schaue in das Meer. Die Wellen brechen sich am Strand und vermutlich sucht man im Reisen die Kindheit. Einen Teil meiner Kindheit habe ich in Emden verbracht, wo ich auch geboren worden bin. Emden liegt in Niedersachsen und gehört zu Ostfriesland. Urlaube an der Küste und auf den Nordsee-Inseln sind naheliegend im wahrsten Sinn des Wortes. Maui war schon nach wenigen Stunden Aufenthalt wie eine Kreuzung aus meinen Kindheits-Urlauben: Küste, Sand, Strand, Meer, Salz Luft und Bergwelt. Denn Bergwelt sind die anderen Erinnerungen aus meiner Kindheit. Meine Mutter war eine begeisterte Wanderin und so ging die ganze Familie in den Alpen wandern, bergauf, bergab. Maui war also beides und Sonne, Hitze und Palmen noch dazu im Angebot. Mein Fahrrad legte ich, angelehnt an eine Palme in den Sand und fand die ganze Situation sehr surreal. “Kneif mich mal, damit ich aufwache. Ich bin wirklich in Maui. Mein eigenes Fahrrad lehnt an einer Palme.”

Der Rückweg war genauso lang wie der Hinweg, aber nun ging es bergan und der Wind drehte auf zum Gegenwind. Wäre es doch schön gewesen, wenn ich vor dem Urlaub trainiert hatte und meine Fitness eher wie Iron-Man statt Blei-Frau wäre.

Der Tagesablauf auf Maui ähnelt dem Tagesablauf im Hochgebirge. Früher, auf meinen Motorrad-Touren, hatte ich immer die Verabredung mit mir selbst: “Spätestens ab 15 Uhr eine Unterkunft oder Campingplatz suchen.” Dazu muss man sich in das Gedächtnis rufen, dass es früher kein Internet gab und ganz früher auch kein Handy, geschweige denn GPS, Google-Maps oder Campingplätze online. Eine Unterkunft zu finden, war eine Suche. Suche nach dem kleinen schwarzen Zelt in der detaillierten Michelin-Landkarte, die das Symbol für einen Zeltplatz oder Campingplatz sind. Suche nach den Schildern für Campingplätze, denen man manchmal kilometerweit nachfahren musste. Suchen statt buchen. Heute kann jeder Campingplatz mit Bewertung und etlichen Bildern im Internet vorab betrachtet werden, Routenplaner inklusive, Telefonnummer und Kontaktoberfläche vorhanden. Warum hatte ich in den europäischen Alpen diese Vereinbarung mit mir? Berge sind hoch. Wenn die Sonne wandert, wandern sehr früh die Schatten. Ganze Täler sind, weil sie eben von hohen Bergen umgeben sind, einen Großteil des Tages und des Geländes verschattet und es gibt in den Alpen sogenannte ‘Selbstmordtäler’, die eine signifikante höhere Suizid-Rate haben. Ihnen fehlt Tageslicht und Tageslicht bringt die Vitamin-D-Produktion in Schwung und diese wiederum vermindert das Risiko, Depressionen zu bekommen. Hohe Berge bedeutet also früher Schatten und dies gilt eben nicht nur in den europäischen Alpen und meinetwegen auch in den Pyrenäen.

Ich war zwar schon auf meinem Rückweg von meiner Radtour über die Insel, aber die Sonne begann stur zu sinken und zwar hinter der Bergkette. Ein kurzer Stopp und ich klemmte provisorisch Rücklicht und Vorderlicht an, damit ich gesehen wurde. Es wurde dunkel und zwar so rasch und wirklich dunkel, dass ich trotz meiner Blei-Frau-Erschöpfung weiterhin eisern in die Pedale trat. Mein Handy hatte kein Netz, ich hatte keine Karte und es wurde dunkel. Das einzig Gute war, dass es auf der Insel eigentlich nur eine Küstenstraße gab, die um die Insel herumführt und zwei Straßen, die quer über die Insel führen. Natürlich gab es die vielen, vielen Straßen der Ortschaften und darin verfuhr ich mich gnadenlos. Wailuku liegt auf der Höhe, Kahului größtenteils in der Ebene. Da ich weder Schleichwege kannte, noch Route im Handy mir anzeigen lassen konnte, fuhr ich wie mit einem Auto die größeren Straßen mit Beschilderung. Die Stadtviertel, die ich mit meiner kleinen, trüben Beleuchtung durchmaß wirkten alles andere als vertrauenswürdig. Im Dunkel der warmen Nacht nahm ich mehr als einmal Schwaden von Tabakdunst, die doch sehr stark nach Cannabis rochen, wahr. Ich fragte mehrmals nach dem Weg, die Menschen war immer freundlich und hilfsbereit und ein Mann konnte mir den Rest des Weges dann genau mit Hilfe der Technik ansagen. Ich war nur äußerst froh, dass ich ja auf jeden Fall schon ein Bett hatte. Ich musste es nur noch finden.

Viel zu spät erreichte ich das Hostel. Hawai’i hatte mich zuallererst demütig gemacht. Da bin ich schon so viel gereist in meinem Leben und musste kleinmütig verstehen, dass Berge auch im Pazifik hoch sind und Schatten lang sind und die Straßen steil sind. In Maui gehen die Uhren anders. Der Tag senkt sich sehr früh, es wird rasch dunkel und dann verschwindet das Leben von den Straßen. In Griechenland, Spanien oder Italien geht oftmals das Leben abends erst richtig los, die Leute schwirren auf der Rambla oder der Promenade herum, gehen Essen oder aus; in Maui geht man nach Hause und vermutlich sogar ins Bett. Ich kletterte hundemüde mit meiner Stirnlampe und meinen Ohrstöpseln in mein Hochbett. Meine Muskeln verkrampften sich in der Nacht mehrfach äußerst schmerzhaft.

Die Maslow’sche Bedürfnis-Pyramide sieht die Sicherheit, ein Dach über dem Kopf zu haben, einen geschützten Schlafplatz zu haben, Zugang zu Wasser und Nahrung als elementar an. Das fühlte ich an diesem Abend mehr als deutlich. Selbstverwirklichung wird völlig überschätzt.

- 3 –

“Coffee! Pancakes! Good Morning!” Meine erste Etappe mit Fahrrad und Gepäck wartete schon auf mich. Lahaina ist ein weiterer Ort im Süden der Insel und ich hatte mir auch dort ein Hostel gebucht.

Morgens huschte eine kleine Eidechse an der Mauer entlang, an der mein Fahrrad gelehnt war. Es erinnerte mich daran, an das, was ich über männliche Eidechsen gelesen habe:

Wenn sie paarungsbereit sind und ein Tier der gleichen Art nähert sich, können sie ein Weibchen nicht an den Merkmalen des Weiblichen erkennen. Sie erkennen ein Weibchen daran, wie es sich verhält. Wenn das fremde Tier Kampfstellung einnimmt, dann ist es wohl ein Weibchen. Wenn es das unterlässt, wird es für ein Weibchen gehalten und angebalzt.

Ob Menschen-Männchen vielleicht doch mehr als man denkt auch instinkt-geleitet sind? Wenn das Menschen-Weibchen sich unweiblich benimmt, gemessen an den Vorstellungen des jeweiligen Kulturkreises, wird es schwierig mit den Menschen-Männchen. Sie beginnen, sich kämpferisch zu verhalten. Wenn ein Menschen-Weibchen sich männlich benimmt und etwas tun möchte, was eher Männliches besetzt ist, also zum Beispiel in einem fremden Land alleine mit dem Fahrrad herumfahren, dann ist eine Irritation zumindest gewiss.

Kaffee im Kopf, Pfannkuchen im Bauch, freundliche Verabschiedung und dann zurrte ich mein Gepäck auf mein Rad und schob los. Ich schob. Es ging schon wieder bergauf, also so richtig bergauf und ich wollte meine Beine nicht in den ersten Minuten übersäuern. Ein Muskelkrampf beim Radfahren kann nämlich richtig gefährlich werden, zumal, wenn man vielfach “share the road” fährt, weil kein separater Radweg da ist. Ich schob bis zu einem Kirchengelände und musste dort erst einmal eine Meditationsminute einlegen. Mein Herz klopfte mir bis zum Hals; ich war so aufgeregt. Das war schon immer so, wenn ich auf Reisen alleine ging: wenn es dann wirklich losging, war ich aufgeregt. Dann brausten schon immer alle ängstlichen Kommentare von Anderen durch meinen Kopf, meine Phantasie präsentierte mir alle möglichen und unmöglichen Gefahren, denen ich mich jetzt aussetzen werde und ich hadere mit mir: Warum buche ich nicht wie andere Menschen eine bequeme Hotelreise an einem schönen Ort mit allinclusive und Animation, lasse mich bespaßen und verwöhnen? Das Erobern, das eigene Erkunden, das Finden, das Suchen und eben tatsächlich auch der Aufwand, der vor möglichen schönen Erlebnissen steht, verändert die Wahrnehmung. Ein Eisbecher, der nach einer körperlichen Leistung gegessen wird, schmeckt mir anders als einfach ein Eisbecher. Darf man sich solche Momente der Aufregung, ja der Angst erlauben? Ja, man darf. Interessanterweise löst sich die Angst nämlich dann oft auf, wenn man sich selbst eingesteht, dass sie vorhanden ist. Ich saß auf der Picknickbank vor der Kirche, stierte auf die gackernden Hühner, denen es gleich war, dass das Kirchengelände war und spürte wie meine Aufregung schrumpfte und verblasste und einer unbändigen Freude wich. Ich war in Maui! Ich war wirklich und wahrhaftig und tatsächlich mit meinem eigenen Fahrrad in Maui. Es gibt im Internet so einen schönen Text, in dem die Frau, die ihn vorträgt, auf Fragen antwortet. Sie referiert, wie sie immer wieder gefragt wird, warum sie etwas tut und welchen Sinn ihr Tun hat. Sie antwortet “pleasure”. “Pleasure” war die Antwort am Flughafen, was ich in Maui wollte. Über zwei Millionen Menschen suchen jedes Jahr in Maui ihr persönliches “pleasure”.

Die Pedale hinuntertreten, einen Rhythmus entwickeln, die Gedanken schwingen zu lassen; der Fahrtweg nach Lahaina war schweißtreibend. Die Autos, Busse, Trucks und einige Motorräder rauschten an mir vorbei; manchmal gefährlich nahe.

Der Weg nach Lahaina dauerte für mich mehrere Stunden. Es ging bergauf und manchmal bergab und zuweilen einfach gerade aus. Ein Stand mit Kokosnuss und großen Holzschnitzereien lockte. Ein bildhübscher Hüne schlug vor meinen Augen die Kokosnuss auf, Strohhalm hinein und dann wird getrunken. Er hielt die Kokosnuss in der linken Hand und in der rechten Hand benutzte er zum Öffnen eine fast armlange Machete, um die Nuss gekonnt mit ein paar Schnitten so abzuschlagen, dass eben eine winzige Öffnung für den Strohhalm entstand. Die Kokosnüsse sind grün und Kopf groß; es hat mit den kleinen harten, braunen Kokosnüssen, wie wir sie kennen, nichts zu tun. Ich zuckte mit der Wimper, ich konnte kaum hinschauen, weil ich befürchtete, er würde sich selbst die Finger abhacken.

Später öffnete er mir noch die Nuss, damit ich das Fruchtfleisch knabbern konnte.

Die Holzschnitzereien waren übermannshoch. Skulpturen mit Gesichtern, Fratzen, Tieren und Mustern. Ein Touristen-Pärchen begeisterte sich für die Figuren und kauften tatsächlich eine für den Garten daheim. Zu gerne hätte ich sie gefragt, ob ihnen dieses Totem wirklich gefällt. Es gibt viele Menschen, die sich Dinge kaufen, um andere zu beeindrucken, anstatt Dinge zu kaufen, die ihnen wirklich gefallen. Während ich noch rätselte, wie denn dieser massive Holzbrocken in einen Vorgarten in Nordamerika kommt, kam schon die Aussage des Händlers: “we ship everywhere”. Die Figur wird aufgestellt und bleibt ein Mahnmal für alle Gäste des Hauses: “Die Eigentümer des Hauses waren in Maui! Sie sind finanziell gut gestellt und können sich eine solche Reise leisten und sogar Souvenirs in dieser Größenordnung leisten!”

Die Straße von Wailuku nach Lahaina führt durch dröges, vulkanisches Gebiet. Windräder produzieren im Wind Strom für die Insel. Erstarrte Lavaströme bilden das Gestein; sie sind im Laufe der Jahrhunderte durch die Hitze gespalten und liegen als Brocken in struppigen Feldern. Die Straße führt ein paar Anhöhen hinauf und hinab und ich strampele eifrig und schwitzend. Verdutzte Autofahrer schauen in die Rückspiegel, Menschen, die auf dem Pick-up hinten sitzen starren mich an, Beifahrerinnen kommentieren meinen Weg. Es ist so unglaublich trocken und öde auf der Südseite der Insel. Es ist heiß, es ist windig, es ist staubig und einige Male steige ich vom Fahrrad ab und schiebe lieber, weil die Böen so heftig sind, dass ich befürchte in die Autostraße hinein geweht zu werden.

Am Aussichtspunkt rolle ich auf den Parkplatz. Ein Einheimischer mit geflochtenem Strohhut bietet auf dem Heck seines Fahrzeugs, ausgebreitet auf einer Decke, Körbe an, die ganz ebenmäßig geflochten sind. Er bietet an, mein Fahrrad zu bewachen, während ich Fotos und Videos von der Küste und dem Blick auf die andere Insel mache. Ist es Molokai oder Lanai? Meine Orientierung und meine Erdkunde-Kenntnisse sind begrenzt. Ich werde das nachschauen müssen, es lebe das Internet.

Der Mann ist sonnengebräunt, entspannt und ganz offensichtlich Hawai’ianer mit ursprünglichen Wurzeln. Ich lobe seine Körbe und die Flechtmuster und fotografiere sowohl die Körbe als auch den Mann. Es ist völlig verständlich und offensichtlich, dass ich mit dem Fahrrad keinen Korb kaufen werde, aber trotzdem beginnt er ein Gespräch mit mir über die Wichtigkeit der Erde für uns Menschen. Auf Hawai’i ist mir immer wieder diese Aussage begegnet: Die Erde braucht den Menschen nicht, aber der Mensch braucht die Erde. Eigentlich erzählt der Mann mir nichts Neues, keine neue Erkenntnis. Es ist irgendwie so, als wollte er mich abfragen, ob ich meine Hausaufgaben gemacht habe. Abhängigkeit des Menschen von der Natur ist mir bewusst? Friede zwischen den Menschen ist mir wichtig? Weiß ich, dass Kultur und Traditionen unsere Wurzeln sind? Er sagt, er sei immer wieder an diesem Parkplatz, um Menschen daran zu erinnern.

Das Gespräch endet und der Mann packt seine Flechtwaren ein. Ich schenke ihm noch einen der Anhänger von meinem Fahrrad, welchen er erfreut an sich nimmt. Es ist eine viereckige Perle. Wofür steht der Anhänger, fragt er? Ich sage, es ist einfach ein Teil von meinem Fahrrad und somit ein Teil von mir. Er werde ihn an seinen Autoschlüssel anhängen, verspricht er und dann steigt er ein und braust davon und ein wenig war es, als hätte er mit dem Gespräch seine Aufgabe des Tages erledigt und konnte nun beruhigt fortfahren.

Die pakistanischen Busfahrer bemalen die Karosserien prachtvoll und aufwendig, um zu werben und zu schützen. Die Fahrt durch das Karakorum ist gefährlich, es gibt immer das Risiko, einen Unfall zu haben oder dass das Fahrzeug nicht mehr weiterfahren kann. Glitzernde, gleißende Anhänger und Perlen, schaukelnde Ketten und diverse Heiligenbilder helfen bei der Sicherheit im Straßenverkehr. Die maltesischen Busfahrer haben zwar die Jungfrau Maria oder Maria mit dem Kinde oder den Heiligen Christopherus vor den Fenstern ihrer Busse schaukeln, das Prinzip scheint das Gleiche zu sein. In meinen Zeiten, in denen ich mit meinem Hippie-Bus herumgefahren bin, habe ich versucht, Ähnliches aufzuhängen, aufzustellen, anzukleben. Die viereckige Perle war nach dem Verkauf meines Busses an mein Fahrrad gewandert und nun eben zu diesem hawai’ianischen Schamanen. Möge es ihn schützen und nützen!

Lahaina liegt direkt an der Küste und das nächste Hostel lag wieder versteckt und unauffällig. Die Lage des Hostels ist mehr als günstig: ein Fußweg in die touristische Zone, ein Fußweg zum Strand, ein Fußweg zum Hafen, alles liegt eigentlich einen Fußweg entfernt.

Die Zimmer sind in Ordnung, das Badezimmer hatte eine derartig rostige Badewanne, dass es mir als Ex-Partnerin eines Heizungsbauers den Atem verschlug und einen Innenhof, der zum sofortigen Entspannen einlud. Chillige Sofas, Plastikrasen, flauschige Kissen, Spiegel, raschelnde Palmen, Spinnennetze im Sonnenlicht und natürlich WiFi. Was mögen Frauen? Überschaubare Räume. Weiche, gemütliche Sitzgelegenheiten. Kommunikative Anordnung von Möbeln.

An meinem Bett klebte schon ein Zettel mit “Aloha, Anja” und ich war zwar mehrere Stunden stramm geradelt, aber es war noch recht früh am Tag.

Wie steht man in einer Badewanne, in der man nicht stehen will? Am besten man geht einfach in den anderen, zweiten Waschraum und dann zu Fuß durch Lahaina.

Ein kleiner Stichweg führte zum Strand. In Hawai’i hat jeder das Recht auf den Strand. Der Strand gehört allen und alle können an den Strand gehen. Konsequenterweise ist der Zugang zum Strand immer gewährleistet; Hotels und Privathäuser müssen immer einen Zugang lassen.

Lahaina ist ein ehemaliges Walfänger Städtchen mit historischen Bauten und gemütlichen, kleinen, fast europäischen Häusern und Fassaden.

Das Herz der kleinen Stadt ist der Banyan-Tree, der einen ganzen Platz einnimmt. Er hat diesen Platz im Laufe der Jahre durchwurzelt und neue Baumteile entwickelt und mehr als sechszehn ‘Bäume’ sind gar nicht einzelne Bäume, sondern sie gehören alle zum gleichen Baum. Ein Park voller Baum.

Gemeinsam mit meinem Vater hatten wir einen Reisebericht von Lahaina gesehen und ich hatte gerufen: da fahre ich hin, das will ich sehen, da will ich sein, da trinke ich meinen Kaffee und schicke dir eine Postkarte!

Es gibt einen Coffee-Shop in unmittelbarer Nähe und so saß ich in der Erfüllung meiner Imagination dort, sah den Menschen zu, die genauso begeistert diesen Bäume-Baum fotografierten und dachte an meinen Vater zu Hause auf der anderen Seite der Weltkugel schläft.

“Kneif mich. Ich sitze wirklich in Lahaina im Banyan-Tree zwischen dem Bäumen-Baum und trinke Kaffee”.

Lahaina hat eine touristische Straße und damit hat man eigentlich schon alles entdeckt. Ein kleiner Hafen, der Schnorchel Touren und Badetouren anbietet und Bayan-Tree.

In Lahaina war an diesem Abend besonderes Programm. Die Hauptstraße füllte sich mit Menschen, die flanierten und die Kunstgalerien hatten geöffnet. Vor einem Haus spielten zwei Männer hawaiianische Lieder mit Ukulele, wie man sich das so vorstellt. Diese Lieder haben so etwas freundliches, weil diese Sprache so vokalbetont ist und man sie gleich mitsummen kann. Die Melodien schwingen ohne große Brüche wie die Wellen am Strand. Überall spielten Entertainer oder kleine Bands auf und die Kunstgalerien boten bei willenlosen Preisen alles Mögliche an Kunst. Manches war faszinierend, manches war unverschämt; es war schlichtweg für jeden Geschmack etwas dabei. Im Urlaub ist Kunstverkauf einfacher; überall in den touristischen Orten ist das so. Die Reisenden sind entspannter und empfänglicher und bereitwilliger, ihr Geld auszugeben. Ein Künstler malt die Blumen von einem Kleid einer Kundin ab; sie steht ihm Modell und darf das Bild nachher kaufen? Aber die Situation ist lässig und ich kann mir gut vorstellen, auch zu malen, während andere mir über die Schulter schauen. Eine meiner Kunstaktionen war genauso konzipiert, nur fehlte mir das Sonnen durchtränkte Bade-Touristen-Publikum mit losem Portemonnaie.

Ein junger Mann zieht mich in einen gestylten Kosmetik-Salon. Amüsiert lasse ich mich hineinziehen. Das kenne ich schon aus anderen Städten: In Basel wollte man mir eine extrem teure Handcreme verkaufen. Das Konzept ist immer das gleiche: Ein einschüchternd eleganter Salon mit wirklich attraktiven, freundlichen, jungen Menschen und einem Produkt, dessen Preisgestaltung vielleicht nicht wirklich mit dem, was das Produkt bewirkt, kompatibel ist. Aber niemand ist gezwungen, zu kaufen. Die Zwänge sind im eigenen Kopf. Wer ungezwungen mitmacht, erlebt vielleicht etwas Amüsantes. Diesmal ist es keine Salzpaste und Spezial-Handcreme, diesmal ist es eine Augencreme, die Wunder wirkt. Ich bekomme den Tränensack links gecremt und ein Ventilator weht die Creme trocken und lässt sie einziehen. Die Creme wird sonst zu vierstelligen Preisen verkauft und das Sonderangebot heute sei nur dreistellig. Ein echtes Schnäppchen! Der Verkäufer kommt nicht wirklich weiter bei mir, also kommt der Chef-Verkäufer dazu. Oder ist es gar der Eigentümer des Shops? Er war fassungslos: “baby, you have to take care of your eyes”. Wie könne es sein, dass ich keine spezielle Augencreme benutze? Mittlerweile beginnt mir die Sache Spaß zu machen und ich versuche das Ganze in meinem Sinne zu drehen. Ich darf den Raum fotografieren, der gefällt mir nämlich und weil die Kleidung des Mannes so chic Ton-in-Ton zum Laden ist, darf ich den gleich mitfotografieren. Ich drücke ihm meine Visitenkarte in die Hand und gehe irgendwann lachend ohne Augencreme wieder hinaus. Vielleicht sollte ich wirklich meine Gesichtshaut und meinen empfindlichen Augenbereich mehr verwöhnen? Menschen in anderen Ländern kämpfen um ihr Überleben für 2 $ am Tag. Augencreme mit dreistelligem Preis wird in meinem Badezimmer nicht einziehen.

Am nächsten Morgen habe ich das Auge und die Augencreme früh morgens gezeichnet und wollte einen Tag später dem Händler das Bild schenken. Es gibt mehrere Filialen von dieser Kosmetik und alle hatten dann abends geschlossen. Ich konnte mein Bild nicht mehr abgeben. Fast war es, als ob nach meinem Besuch, dieser Laden komplett geschlossen wurde. Die Öffnungszeiten in Hawai’i scheinen ein Stück weit beliebig zu sein. Der Abend, an dem die Musik und offenen Galerien waren, war wohl auch Öffnungszeit für diese Geschäfte und seltsamerweise dann am Wochenende nicht mehr.

Ich suchte mir noch ein Restaurant, wo ich meinen Hunger stillen konnte und sank gefüllt mit Tacos und alkoholfreiem Bier und Ukulele-Musik und Aloha in mein Bett und in den Schlaf.

- 4 –

“Good morning, Lahaina!” Im Hostel ist das Meer derart nahe, dass zu hören ist, wie die Wellen brechen. Irgendein Hahn hat sein Territorium verteidigt und von mir gibt es dieses unglaubliche Foto meiner Beine im Morgengrauen auf der Couch im Freien. Was daran Besonderes ist? Es ist weder das Motiv noch der Bildaufbau. Tausende Menschen fotografieren, wenn sie entspannt sind, ihre Füße oder Beine als Part ihres Körpers innerhalb einer Urlaubsszenerie um zu belegen: ‘Sieh her, ich bin ganz entspannt, ich sitze in meinem Urlaub am Strand/in der Wiese/am See/in den Bergen oder wo auch immer’. Zutreffendes bitte unterstreichen, nicht zu treffendes durchstreichen, fehlendes ergänzen. Das unglaubliche an diesem Foto ist, dass ich – nachdem ich schon Kaffee eingegossen habe in meine Tasse und schon nach draußen gelaufen bin und schon angefangen habe mit Kaffee trinken – da habe ich das Foto gemacht und die Uhrzeit auf dem Foto lautet: 6:56 h. Ich sitze vor sieben Uhr morgens in meinem Urlaub draußen und trinke Kaffee. Das ist wirklich für mich so gerne schlafenden Menschen einfach unfassbar und unglaublich. Hawai’i macht auch mich zu einem Frühaufsteher, pardon Frühaufsteherin? Ich saß auf der Couch, schaute der Spinne beim Spinnen zu, war dankbar für den Kaffee, malte an meiner Zeichnung für den Kosmetikmann herum und plauderte mit ersten frühmorgendlichen anderen Personen. Argentinier, die ein blättriges Gebräu tranken. Ich durfte probieren und höflich das Gesicht bewahren. Oh Gott, schmeckte das grausig. Es sollte Mate sein. Wenn Mate wirklich so schmeckt, dann werde ich kein Mate-Fan. Mein Vater kommentiert in solchen Situationen (unter uns, niemals öffentlich): “Andere Länder, andere Sitten, andere Frauen, andere…”. Der Reim wird nicht ausgesprochen, aber der liegt ja fast auf der Hand. Er meint eben damit, dass es in anderen Ländern eben anders ist. Will ich nach Argentinien reisen und Mate-Tee morgens schlürfen? Eher nicht. Länder, die Kaffee trinken, mag ich lieber. Man reist, um die Dinge zu finden, die man von zu Hause kennt? Wiener Schnitzel mit Pommes Frites in Mallorca? Kartoffelsalat mit Würstel am Gardasee?

Wie soll der Tag ablaufen? Ich beschließe mich langsam auf die Insel einzuschwingen und weil ich ja drei Tage in Lahaina gebucht habe, habe ich ja auch Zeit dazu. Die Idee, tatsächlich länger an einem Ort in den Ferien zu bleiben, habe ich oftmals nicht. Die Menschen sind verschieden und es gibt Menschen, die lieben es jahrelang den gleichen Campingplatz an der Ostsee oder am Gardasee aufzusuchen. Gewissermaßen ein zweites Zuhause, weil man sich auskennt.

Am Strand kann man den Menschen zuschauen, die Surfkurse gebucht haben und nun mit ihren Brettern in der Brandung herumpaddeln und mehr oder weniger elegant versuchen, Stand auf dem wackeligen Brett zu gewinnen und mit den Wellen Richtung Strand zurück zu sausen. Seltsamerweise habe ich während des ganzen Urlaubs keinerlei Verlangen gehabt, das auszuprobieren.

Vor Jahren habe ich in den Niederlanden, am Ijsselmeer einen Surf Kurs mitgemacht: Windsurfing.

Da es so schwer ist, das Segel aus dem Wasser zu ziehen, habe ich damals direkt mit Wasserstart begonnen. Das hat mir bei guten Surfern doch einigen Respekt eingebracht.

Du brauchst nur das Brett samt Segel in die Richtung drehen und den Haltegriff minimal aus dem Wasser lüpfen und schon nimmt das Segel Wind und Fahrt auf. Wenn du dann reaktionsschnell dich aus dem Wasser ziehen lässt, brauchst du noch nicht einmal aus dem Wasser auf das Brett klettern. Der Wind macht die Arbeit. Das Ijsselmeer war außerdem an der Stelle an der wir übten recht flach, wir konnten meistens im Wasser stehen und das Brett einfach in die gewünschte Richtung drehen. Das ist Windsurfen. Surfen ist eben nur mit Welle, ohne den Wind, ohne das Segel. Aber Gleichgewicht muss man trotzdem halten und das sah schon bei vielen hier in Hawai’i weniger elegant aus. Ich mag Gleichgewichtssportarten; ich kann Skifahren und Rollschuhe und Schlittschuhe fahren, ich kann oder konnte zumindest auf einem Schwebebalken mein Gleichgewicht bei allerlei eleganten Übungen halten – aber ich hatte kein Verlangen, Surfen auszuprobieren. Es war keinerlei Angst, mich zu blamieren und vielleicht unangenehme Rückmeldungen zu bekommen, was mein Körper kann oder nicht mehr kann. Möglicherweise muss ich noch einmal nach Hawai’i reisen, weil in Hawai’i sein und keinen Surf Kurs gebucht zu haben, das ist eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit.

Man kann auch den Menschen zuschauen, die den Surfern zuschauen. Ein Mann hatte seinen Foto-Apparat aufgebaut und fotografierte offensichtlich den ganzen Morgen lang die Anfänger und die Fortgeschrittenen bei Surfen. Datenschutz und Persönlichkeitsrechte am eigenen Bild scheint nicht so wirklich respektiert zu werden?