Alpengold 283 - Rosi Wallner - E-Book

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Rosi Wallner

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Beschreibung

Die Einsiedlerin - Ihr Wunsch nach Vergeltung lässt die junge Witwe nicht ruhen


"Das ist dein Wagen, den sie gefunden haben und mit dem du meinen Mann und mein Buberl umgebracht hast! Du Mörder, du elendiger, du hast es net verdient zu leben", schreit Ruth Salfelder wie von Sinnen und versetzt Poldi Krottinger einen Stoß vor die Brust, der ihn ins Taumeln bringt.

Vor fast drei Jahren kamen Gero Salfelder und der kleine Franzl bei einem tragischen Autounfall mit Fahrerflucht ums Leben. Jetzt endlich hat der neue Polizist Stefan Hollmuth den Wagen des Unfallverursachers von damals gefunden - versteckt in einem abgelegenen Schuppen.

In Windeseile hat sich das in dem kleinen Dorf herumgesprochen. Und nun glaubt die junge Witwe, dem Mörder ihres Mannes und ihres Sohnes gegenüberzustehen, doch sie irrt sich gewaltig ...

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Inhalt

Cover

Impressum

Die Einsiedlerin

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2018 by Bastei Lübbe AG, Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: Bastei Verlag / Michael Wolf

Datenkonvertierung eBook: Blickpunkt Werbe- und Verlagsgesellschaft mbH, Satzstudio Potsdam

ISBN 978-3-7325-7300-4

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

Die Einsiedlerin

Ihr Wunsch nach Vergeltung lässt die junge Witwe nicht ruhen

Von Rosi Wallner

»Das ist dein Wagen, den sie gefunden haben und mit dem du meinen Mann und mein Buberl umgebracht hast! Du Mörder, du elendiger, du hast es net verdient zu leben«, schreit Ruth Salfelder wie von Sinnen und versetzt Poldi Krottinger einen Stoß vor die Brust, der ihn ins Taumeln bringt.

Vor fast drei Jahren kamen Gero Salfelder und der kleine Franzl bei einem tragischen Autounfall mit Fahrerflucht ums Leben. Jetzt endlich hat der neue Polizist Stefan Hollmuth den Wagen des Unfallverursachers von damals gefunden – versteckt in einem abgelegenen Schuppen.

In Windeseile hat sich das in dem kleinen Dorf herumgesprochen. Und nun glaubt die junge Witwe, dem Mörder ihres Mannes und ihres Sohnes gegenüberzustehen, doch sie irrt sich gewaltig …

»Die Salfelder-Ruth ist wieder am Grab«, bemerkte die Bäuerin vom Kreuzhof und schüttelte bekümmert den Kopf.

»Das Unglück ist doch schon eine Weile her«, meinte die Kofler-Anna, ihre Freundin seit Kindheitstagen.

»Sie kann sich halt net damit abfinden. Was man ja auch verstehen kann. Es ist ein Jammer, wahrhaftig ein Jammer«, fügte Resi Untermayr, die Dritte im Bunde, hinzu. Ihre Stimme verriet echtes Mitgefühl.

Die drei Frauen saßen auf einer der ausladenden Bänke, die das bescheidene Kriegerdenkmal umgaben, dort trafen sie sich am liebsten.

Der Dorffriedhof von Alming war ein stiller Ort, etwas außerhalb des Dorfes an einem Hang gelegen. Die alten, sorgsam gehegten Familiengräber mit den verwitterten Steinen, die hohen Engel, deren marmorweiß zwischen den dunklen Eibischbüschen durchschimmerte, und die kunstvoll geschmiedeten Kreuze verliehen ihm eine ganz besondere Atmosphäre.

Die Eiben spendeten auch im Hochsommer Kühle, und die Stille wurde höchstens dann unterbrochen, wenn sich Schritte auf den mit Kies bestreuten Wegen näherten.

Die Frauen, die nach alter Sitte Witwenschwarz trugen, waren sich eng verbunden. Sie waren gemeinsam in dieselbe Klasse der Dorfschule gegangen, hatten sich, kaum erwachsen, zugewispert, welchen Burschen sie am liebsten mochten, Hochzeitspläne geschmiedet und sich über die Freuden und Leiden der Mutterschaft ausgetauscht.

Die Kreuzhoferin und die Kofler-Anna waren im gleichen Jahr Witwen geworden und hatten sich gegenseitig Trost gespendet. Resi hatte nie geheiratet, denn ihr Bräutigam war kurz vor der Hochzeit an einer heimtückischen Krankheit gestorben. Auch sie betrachtete sich als Witwe.

Einen anderen hatte sie nicht mehr haben wollen, obwohl sie ein bildschönes Madl gewesen war, Hoferbin dazu. Vielleicht konnte sie sich deshalb besser in Ruth Salfelder hineinversetzen. Resi hatte später einen früh verwaisten Neffen bei sich aufgenommen, der inzwischen den Hof tatkräftig bewirtschaftete und an seiner »Tant« mit großer Zuneigung hing.

Die Kreuzhoferin reckte ihren Hals, dann konnte sie das Grab einsehen, an dem die junge Frau immer noch kniete. Ihr Kopf war gesenkt, und ihr ganzer Körper schien zu beben, vor ihr lagen verstreut weiße Rosen, die ihr wohl aus der Hand geglitten waren.

»Jesses. Sie weint so, dass man es net mit ansehen kann«, sagte sie leise.

»Meinst du, wir sollen zu ihr gehen?«, fragte Anna.

»Nein, nein«, wehrte Resi fast heftig ab, »die Ruth will in ihrem Leid allein sein.«

»Ist heut net der Geburtstag von ihrem Buberl?«, fragte Anna.

»Kann schon sein. So ein liebes, aufgewecktes Kind ist er gewesen, der kleine Franzl, und so früh hat er sterben müssen. Dabei hätt er den Unfall überleben können, wenn er und sein armer Vater rechtzeitig gefunden worden wären. Eine Sünd und eine Schand, dass man sie einfach ihrem Schicksal überlassen hat. Und darum kann die Ruth net drüber wegkommen und hadert immer noch«, sagte die Kreuzhoferin ergrimmt.

»Mit einem Schlag hat sie alles verloren. Sie war so glücklich mit ihrem Mann, ihre Flitterwochen haben eigentlich gar nimmer aufgehört. Und könnt ihr euch noch dran erinnern, wie man sich über die beiden die Mäuler zerrissen hat, als sie geheiratet haben? Nur, weil er halt um einiges älter gewesen war als die Ruth und einmal ihr Lehrer.«

»Ja, man hat ihnen das Leben ganz schön schwer gemacht, sogar ihre Eltern waren dagegen«, fiel Anna ihrer Freundin Resi ins Wort. »Dabei war sie noch ein Kind, neun oder zehn, als er ihr Lehrer war, dann ist sie ja auf die Stadtschule gekommen. Aber sie haben sich durchgesetzt, und es hat kaum ein glücklicheres Paar gegeben als sie. Dass das hat so enden müssen.«

Die Frauen schwiegen, jede hing ihren Gedanken nach.

»Aber wenigstens hat sie eine glückliche Zeit in ihrem Leben gehabt. Andere haben das nie kennengelernt«, sagte Resi dann kaum vernehmbar.

»Wenn sie sich nur net von allem so fernhalten tät. Sogar mit Hochwürden hat sie sich überworfen, und in der Kirche hat man sie seit der Beerdigung nimmer gesehen. Wie eine Einsiedlerin haust sie auf dem Gehöft, ganz allein, nur mit dem Hund, diesem Ungeheuer. Und unbeliebt hat sie sich ja allmählich auch gemacht, weil sie fortwährend diesen oder jenen verdächtigt, an dem Unglück schuld zu sein und Fahrerflucht begangen zu haben«, sagte die Kreuzhoferin.

»Ich wünscht, man tät den doch noch finden«, meinte Resi, »vielleicht kommt sie dann endlich zur Ruhe.«

»Das kann dauern. Gottes Mühlen mahlen halt langsam«, warf die Kreuzhoferin ein und seufzte schwer.

»Aber manche Menschen können es halt doch net ihr Leben lang ertragen, wenn sie schwere Schuld auf sich geladen haben, und legen schließlich doch noch ein Geständnis ab«, sagte Resi nachdenklich.

»Meistens erst auf dem Totenbett«, wandte die Kreuzhoferin trocken ein und warf einen scheuen Blick in Richtung der Grabstätte, wo Ruth immer noch verweilte.

Die Frauen hörten einen Klagelaut, der sie zusammenzucken ließ.

»Wir sollten net länger hier sein«, flüsterte Resi.

»Aber wenn wir jetzt alle an der Ruth vorbeigehen, dann weiß sie ja, dass wir sie beobachtet haben«, gab Anna zu bedenken.

»Wir gehen das schmale Wegerl zwischen den Eibischbüschen, das führt zu der hinteren Pforte«, schlug die Kreuzhoferin vor.

Das war zwar umständlich, ließ sich aber bewerkstelligen. Die Frauen erhoben sich leise und zwängten sich zwischen den Büschen hindurch, die den schmalen Durchgang fast völlig überwuchert hatten, und verließen den Friedhof durch die schmale Pforte an der rückwärtigen Seite.

Während die Frauen ihre Zusammenkünfte sonst immer als tröstlich empfanden und anschließend in munteres Geplauder verfielen, waren sie heute sehr bedrückt. Das Schicksal von Ruth Salfelder hatte keine von ihnen unberührt gelassen.

***

Ruth sammelte mit zitternden Händen die Rosen ein, die vor ihr niedergefallen waren, und ordnete sie in der dafür bestimmte Vase an. Das Grab war aufwendig bepflanzt und sorgfältig gepflegt, alles verriet das Bedürfnis, den geliebten Toten diesen letzten Dienst zu erweisen.

Auf dem geschmiedeten Grabkreuz befand sich in der Mitte nur eine kleine Tafel mit den Daten der Verstorbenen. Es gab kein Oval mit Bildern, wie es allgemein üblich war, denn Ruth hätte den Anblick ihres lächelnden kleinen Sohns nicht ertragen können.

Ihr geliebter kleiner Franzl, für den jeder einzelne Tag seines kurzen Lebens eine Freude gewesen war und der darauf vertraut hatte, dass noch viele weitere folgen würden. Bis dann dieser Lebensfaden mit grausamer Plötzlichkeit zerschnitten worden war.

Heute wäre er sechs Jahre alt geworden und im Spätsommer in die Schule gekommen. Doch er würde nie mit Schulkameraden spielen und Streiche aushecken oder triumphierend ein Arbeitsheft mit einer besonders guten Note darin schwenken.

Ein Schauder durchfuhr sie. Wie starr und kalt sein kleiner Körper gewesen war …

Ruth verbot sich, an ihren Mann zu denken, die Liebe ihres Lebens. Das war er gewesen, ihr Gero, auch wenn viele anfangs gedacht hatten, dass ihr Eheglück nur von kurzer Dauer sein würde. Doch sie hatten wunderbare Jahre miteinander verbracht, in geradezu rauschhafter Glückseligkeit, die nur selten getrübt worden war.

Die junge Witwe zwang sich, sich wieder der Grabbepflanzung zu widmen, und zupfte verwelkte Blätter ab. Sie hatte sehr wohl wahrgenommen, dass die drei betagten Frauen, die sich immer unweit bei dem Kriegerdenkmal trafen, sich leise davongeschlichen hatten.

Einerseits fand sie es sehr achtsam von ihnen, aber es zeigte ihr auch, wie vereinsamt sie im Grunde genommen war. Hatte man ihr nach dem Unglück noch Mitgefühl entgegengebracht, so war man ihrer anhaltenden Trauer anscheinend überdrüssig geworden.

Sie sei doch noch jung, hieß es, und sie müsse vorwärtsschauen. Andere hätten schon längst wieder geheiratet und Kinder bekommen, anstatt sich hartnäckig an die Vergangenheit zu klammern. So hatte sie sich immer mehr zurückgezogen, bis sie nach dem frühen Tod der Eltern schließlich ganz allein da gestanden hatte.

Niemals würde sie wieder heiraten, das hatte sie Gero am Grab versprochen. Und niemals würde sie aufhören, nach jenem Menschen zu suchen, der den Unfall verursacht und danach feige geflohen war.

Ruth erhob sich mühsam, manchmal fühlte sie sich schon alt, alles schien ihr schwerzufallen. Sie strich über ihren Rock, um die Erdspuren darauf zu beseitigen, die auf dem tiefen Schwarz besonders auffielen. Sie hatte zwar die Trauerkleidung abgelegt, trug aber weiterhin nur dunkle Farben, selbst bei sommerlicher Hitze.

Langsam schritt Ruth über den Hauptweg des Friedhofs, der um diese Tageszeit meist menschenleer war. Als sie das Eingangstor hinter sich zuzog, sprang Franjo, den sie an einer Halterung angeleint hatte, freudig auf. Er war ein riesiger schwarzer Rüde unbestimmter Rasse, vermutlich ein Hirtenhund, der zu ihrem treuen Begleiter geworden war.

»Heut hat es ein bisserl länger gedauert, Franjo. Tut mir leid«, sagte sie, als sie die Leine löste.

Sie streichelte liebevoll den gewaltigen Kopf des Hundes, der sich das sichtlich gerne gefallen ließ. Anschließend bestieg sie ihr altes Fahrrad und setzte sich langsam in Bewegung. Franjo trottete gehorsam neben ihr her.

Ruth hatte das Tier als Welpen auf der Landstraße gefunden, wo er offensichtlich ausgesetzt worden war. Er hätte mit Sicherheit nicht lange überlebt, winzig und unbeholfen, wie er damals gewesen war, wenn sie sich nicht seiner angenommen hätte. Viel zu früh war er seiner Mutter entrissen worden, und sie hatte viele Mühen auf sich genommen, um ihn großzuziehen.

Der Tierarzt hatte nur bedauernd abgewinkt, als er Franjo zum ersten Mal gesehen hatte, doch Ruth hatte nicht aufgegeben. Und Franjo wuchs und gedieh. Als Ruth vor einiger Zeit wieder mit Franjo bei dem Tierarzt gewesen war, hatte er den Kopf geschüttelt.

»Jesses, der hört ja gar nimmer auf zu wachsen! Er ist ja ein richtiges Ungeheuer geworden. Kein Wunder, dass man ihn ausgesetzt hat.«

»Aber er ist sanft wie ein Lamm«, hatte Ruth eingewandt, worauf Franjo angefangen hatte zu knurren.

»Bei dir vielleicht. Halt ihn bloß fest!«

Franjo hing im wahrsten Sinne des Wortes mit hündischer Liebe an Ruth, als wisse er, dass sie ihm das Leben gerettet hatte. Er schlief vor ihrem Bett, begleitete und beschützte sie. Vor allem aber verhinderte seine bloße Existenz, dass Ruth sich völlig der Verzweiflung überließ, denn mit ihm hatte sie auch Verantwortung und Verpflichtungen übernommen.

Der Heimweg zog sich lange hin, denn das kleine Gehöft, das Ruth bewohnte, lag sehr abgelegen. Sie war erschöpft, als sie das Fahrrad schließlich in dem Unterstand neben der Scheune abstellte und den kleinen Hofplatz überquerte.

Franjo wartete geduldig neben ihr, während sie mit unsicheren Händen das schwere Schloss öffnete. In dieser Gegend war es üblich, dass die Türen unverschlossen waren, meistens sogar über Tag halb offen standen. Doch Ruth Salfelder hatte jegliches Vertrauen in andere Menschen verloren.

Der Hof war schon lange nicht mehr bewirtschaftet worden und nach dem Tod der früheren Besitzer an einen entfernten Verwandten gefallen, der in München lebte und sich nicht um sein Erbe gekümmert hatte. So drohte alles zu verfallen, bis Ruth den Hof nach dem Tod ihres Mannes von dem Geld der Lebensversicherung erworben hatte, die Gero hinterlassen hatte.

Das kleine Wohnhaus war renoviert und mit dem Notwendigsten ausgestattet worden. Es war keinerlei Aufwand betrieben worden, doch Ruth empfand inzwischen die Stube mit dem Kachelofen, der im Winter behagliche Wärme verströmte, das Sofa in der Ecke und die Kredenz mit der kunstvollen Schnitzerei als anheimelnd.

Hier saß sie gerne an dem runden Esstisch, der einst für eine ganze Familie vorgesehen gewesen war, las oder arbeitete an ihren Quilts, wenn sie nicht einfach nur ihren Gedanken nachhing.

Zu dem Gehöft gehörten lediglich noch eine kleine Streuobstwiese, die in eine Alm überging, und ein Bauerngarten hinter dem Haus. Beides hatte sich in einem hoffnungslosen Zustand der Verwahrlosung befunden. Aus dem Instinkt heraus, dass ihr nur körperliche Arbeit helfen würde, die dunklen Stunden zu überbrücken, hatte sie die Aufgabe in Angriff genommen, alles wieder in seinen ursprünglichen Zustand zurückzuversetzen.

Sie hatte die knorrigen alten Obstbäume schneiden lassen, sodass sie wieder Früchte trugen, und sich selbst darangemacht, den Garten von Wildwuchs und dornigen Ranken zu befreien. Beete und Blumenrabatten, die sie umgaben, hatte sie neu angelegt und den noch vorhandenen Büschen einen Verjüngungsschnitt verpasst.

Mittlerweile konnte Ruth mit dem Ergebnis zufrieden sein. Die Obstbäume trugen wieder, einige sogar seltene, fast ausgestorbene Sorten. Der einstige Stall war zu einem Vorratsraum umfunktioniert worden, wo die Früchte auf Regalen oder in Kisten lagerten.

Ruth konnte sich sogar weitgehend von dem ernähren, was der Garten hergab, und ein paar Hühner versorgten sie mit frischen Eiern. Auch eine Gänseschar gab es, angeführt von dem bösartigen Ganter Wiggerl.

Franjo und Wiggerl hassten sich von ganzen Herzen. Wiggerl hatte den arglosen Welpen mehrmals heimtückisch gebissen, denn er ahnte, dass dieses kuschelige Wesen ihm einmal Konkurrenz machen würde. Inzwischen beschränkte sich Wiggerl darauf, Franjo giftig anzuzischen, wenn sich der Hund dem Hoftor näherte. Der Ganter sah es als seine alleinige Pflicht an, den Eingang zu bewachen.

Ruth versorgte als Erstes den Hund, füllte den Napf und gab ihm frisches Wasser, das Franjo gierig aufschlabberte. Sie begnügte sich mit einer Tasse Tee, denn wenn sie auf dem Friedhof gewesen war, fühlte sie sich außerstande, etwas zu sich zu nehmen. Sie trug den Tee in die Stube und ließ sich auf ihrem Lieblingsplatz am Fenster nieder, von dem aus man einen weiten Blick über die herrliche Gebirgslandschaft hatte.

Die Sonne stand nun schon tief, und die Gletscher der höchsten Berggipfel waren rot überhaucht. Die Wiesen, gesprenkelt vom Almrausch, wogten im sanften Abendwind, vom fernen Dorf her klang verweht das Abendläuten. Genauso ein schöner Sommerabend war es gewesen, als sie Gero wiedergetroffen hatte.

Ohne dass sie sich dessen bewusst wurde, glitten ihre Gedanken von der Gegenwart in die Vergangenheit zurück …

Sie sah sich wieder als kleines, neunjähriges Mädchen, das gebannt an den Lippen des neuen Lehrers hing. Gero Salfelder war anzumerken, dass er völlig in seinem Beruf aufging. Doch es lag ihm nicht nur am Herzen, seinen Schülern Wissen zu vermitteln, sondern er nahm sich auch ihrer an. Bald erzählten ihm die meisten von ihren Sorgen und Kümmernissen, und er versuchte oft, zwischen Eltern und Kindern zu vermitteln.

Nicht allen war das recht. Sie waren der Meinung, dass ein Lehrer sich nicht in die oft harsche Erziehung einzumischen hätte, die die Gebirgler ihren Kindern angedeihen ließen. Sie fanden außerdem, dass er sie verweichliche und lebensuntüchtig mache. Doch Gero ließ sich nicht beirren, was ihm trotz vieler Vorbehalte auch Respekt einbrachte.

Unwillkürlich spielte ein Lächeln um Ruths Lippen, wenn sie daran dachte, wie sehr sie als Kind ihren jungen Lehrer verehrt hatte.

Sie lernte mit fieberhaftem Eifer, was schließlich dazu führte, dass er ihren Eltern empfahl, sie auf das Gymnasium in die Kreisstadt zu schicken. Zuerst sträubte sie sich dagegen, weil es die Trennung von ihm bedeutete, doch nach mehreren Gesprächen gab sie schließlich nach. Denn sie wollte ihn nicht enttäuschen.

In der Folgezeit gelang es ihr immer, »zufällige« Treffen mit Gero herbeizuführen. Doch als sie älter wurde und kein Kind mehr war, fiel das natürlich auf, und sie musste sich allerhand Spott gefallen lassen. Und so hielt sie sich, auch aus mädchenhafter Scham, zurück, verlor ihn aber nie aus den Augen.

Dann aber machte sie ihren Schulabschluss und blieb vorerst zu Hause, um ihrer Mutter beizustehen, die kränkelte. Auf einem Dorffest traf sie Gero wieder, und als sie sich unvermittelt gegenüberstanden, wussten beide, dass sie ihr Leben miteinander verbringen wollten.

Gero war in Pflegefamilien aufgewachsen, wo es ihm zwar nicht schlecht gegangen war, er jedoch keine tiefere Bindung zu einem anderen Menschen entwickeln konnte. Ruth aber gewann sofort sein Herz, zum ersten Mal liebte er und wurde wiedergeliebt. Ruths Eltern stimmten der Heirat schließlich zu, und Gero nahm auch sie für sich ein.

Der kleine Sohn, Franzl, wurde geboren, und das Familienglück, das auch Ruths Eltern mit einschloss, war vollkommen. Ruth und Gero gingen in ihrer Ehe völlig auf, Jahre voller Seligkeit folgten.