Heimat-Roman Treueband 41 - Rosi Wallner - E-Book

Heimat-Roman Treueband 41 E-Book

Rosi Wallner

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Beschreibung

Lesen, was glücklich macht. Und das zum Sparpreis!

Seit Jahrzehnten erfreut sich das Genre des Heimat-Bergromans sehr großer Beliebtheit. Je hektischer unser Alltag ist, umso größer wird unsere Sehnsucht nach dem einfachen Leben, wo nur das Plätschern des Brunnens und der Gesang der Amsel die Feierabendstille unterbrechen.
Zwischenmenschliche Konflikte sind ebenso Thema wie Tradition, Bauernstolz und romantische heimliche Abenteuer. Ob es die schöne Magd ist oder der erfolgreiche Großbauer - die Liebe dieser Menschen wird von unseren beliebtesten und erfolgreichsten Autoren mit Gefühl und viel dramatischem Empfinden in Szene gesetzt.

Alle Geschichten werden mit solcher Intensität erzählt, dass sie niemanden unberührt lassen. Reisen Sie mit unseren Helden und Heldinnen in eine herrliche Bergwelt, die sich ihren Zauber bewahrt hat.

Dieser Sammelband enthält die folgenden Romane:

Alpengold 199: Heimat und Glück - für immer verloren?
Bergkristall 280: Mein Herz hat immer dir gehört
Der Bergdoktor 1755: Dr. Burger und die Pflicht der Erbin
Der Bergdoktor 1756: Die Schwesternburg
Das Berghotel 136: Ich wart auf dich am Steg

Der Inhalt dieses Sammelbands entspricht ca. 320 Taschenbuchseiten.
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Seitenzahl: 576

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BASTEI LÜBBE AG

Vollständige eBook-Ausgaben der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgaben

Für die Originalausgaben:

Copyright © 2015/2017 by Bastei Lübbe AG, Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Für diese Ausgabe:

Copyright © 2022 by Bastei Lübbe AG, Köln

Covermotiv von © Andrey Arkusha / Shutterstock

ISBN 978-3-7517-2969-7

www.bastei.de

www.luebbe.de

www.lesejury.de

Heimat-Roman Treueband 41

Cover

Impressum

Inhalt

Alpengold 199

Heimat und Glück — für immer verloren?

Bergkristall - Folge 280

Mein Herz hat immer dir gehört

Der Bergdoktor 1755

Dr. Burger und die Pflicht der Erbin

Der Bergdoktor 1756

Die Schwesternburg

Das Berghotel 136

Ich wart auf dich am Steg

Guide

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Contents

Heimat und Glück – für immer verloren?

Hochmut und Stolz werden einem Mann zum Schicksal

Von Rosi Wallner

Es treibt ihn um, den Andreas Meringer. Das arbeitsame bäuerliche Leben passt ihm nicht, die Leute im Dorf sind ihm zu spießig und engstirnig, und nicht einmal die Tatsache, dass er der hübscheste Bursch im Tal und der Schwarm aller Mädchen ist, macht ihm noch irgendwie Freude. Hochmut, Angeberei und falscher Stolz kennzeichnen sein Verhalten. Er will nur fort aus dem engen Tal, so schnell wie möglich, will das Leben genießen, die Welt sehen und sich vergnügen. Noch fehlt ihm allerdings das nötige Geld …

Da macht ihn eine unverhoffte Erbschaft quasi über Nacht zum reichen Mann. Jetzt kann ihn niemand mehr zurückhalten. Voller Verachtung und Hohn für die Mahnungen und Warnungen des Vaters verlässt Andreas im Streit den Hof. Endlich kann er sich das leisten, endlich ist er reich genug! Doch was er für das wahre Glück hält, wendet sich schon bald gegen ihn …

»Sag mal, hast du das Gatter immer noch net fertig? Oder soll ich wieder die ganze Arbeit allein machen!«, rief Beat Meringer seinem Sohn zu und näherte sich ihm mit weit ausholenden Schritten.

»Das geht net so leicht. Als ich die Latten zusammennageln wollt, ist der Schaden nur noch größer geworden«, gab Andreas unwirsch zur Antwort.

»Möcht nur wissen, wer da reingerammt ist mit dem Traktor! Und dann einfach wegzufahren, als wär nichts geschehen! Net zu fassen, wie unverschämt manche Leut sind!« Mit zusammengekniffenen Augen betrachtete Meringer die Bresche im Zaun, die unmissverständlich Zeugnis von einem missglückten Wendemanöver ablegte.

»Ist ja doch morsch, das ganze Geraffel«, murrte Andreas und versetzte den unteren Latten einen Tritt, sodass sie knirschend brachen.

»Davon wird’s bestimmt besser! Im Schuppen liegt genug Holz, du hättest schon längst etwas Passendes zurechtsägen können. Aber das ist wohl zu viel verlangt! Wie dir ja alles zu viel ist!«, schrie Beat aufgebracht. Er maß seinen Sohn mit einem Blick, in dem sich alles andere als väterliches Wohlwollen widerspiegelte. Ein Blick, der Ausdruck war für die Enttäuschungen, die ihm sein Sohn seit Jahren schon bereitete.

»Wozu denn die ganze Mühe? Es geht doch eh alles den Bach hinunter! Der Hof ist veraltet und unrentabel, und zum Modernisieren fehlt uns das Geld. Du willst die Wahrheit nur net wissen! Aber dafür racker ich mich net ab«, gab Andreas zurück und hob die Werkzeuge auf.

»Seit Generationen ist der Hof in unserer Familie …«

»Ach, immer das alte Lied. Die Zeiten haben sich aber geändert«, unterbrach ihn sein Sohn missmutig und trat erneut nach dem Zaun.

»Seit Generationen«, wiederholte Meringer unbeirrt, »und schlechte Zeiten hat’s früher auch schon gegeben. Aber alle haben sich da durchgekämpft und den Hof für die Nachkommenschaft erhalten. Nur du hast kein Durchhaltevermögen! Und wenn der Hof tatsächlich verloren geht, dann liegt das nur an dir!«

Wie Feinde standen sie sich gegenüber, und einem Beobachter wäre aufgefallen, wie ähnlich und doch verschieden Vater und Sohn waren.

Sie glichen sich in Statur und Körperhaltung – beide waren hochgewachsene, breitschultrige Männer – und Andreas hatte die dunklen lockigen Haare und die blauen Augen seines Vaters geerbt. Während die Züge Beat Meringers hart und kantig waren und verrieten, dass sein Leben von Arbeit und Entbehrungen geprägt war, wirkte das Gesicht seines Sohnes dagegen unfertig und unreif.

Trotzdem galt Andreas als der hübscheste Bursche im Tal, und er wusste diesen Eindruck noch durch recht anspruchsvolle Kleidung zu unterstreichen. Da er zudem – teils aus Freundlichkeit, teils aus Geltungsbedürfnis – im Dorfwirtshaus gern eine Runde ausgab, genügte ihm das Geld, das ihm zur Verfügung stand, nie, und er machte heimlich immer mehr Schulden bei Freunden und Geschäftsleuten.

Sein Vater ahnte davon, und dieser Umstand trug noch zu der Verbitterung bei, die er für seinen Sohn empfand, der so völlig aus der Art geschlagen schien. Nur noch selten dachte er mit Wehmut daran, wie glücklich er einst über die Geburt dieses Sohnes gewesen war.

Jahrelang hatten er und seine arme Anni vergeblich auf ein Kind gehofft, und dann, ganz unerwartet, als Anni schon vierzig war, erfüllte sich ihr sehnlichster Wunsch, und sie schenkte einem gesunden Sohn und Erben das Leben.

Doch die schwere Geburt hatte die einst kräftige und lebensfrohe Frau so geschwächt, dass sie zu kränkeln begann und starb, noch ehe Andreas den Kinderschuhen entwachsen war …

»Also schau zu, dass das in Ordnung kommt«, sagte Meringer schließlich nur, da Andreas verstockt schwieg. Mit einer mutlosen Geste wandte er sich um und ging quer über den Hof auf das breit hingelagerte Wohnhaus zu.

Der Meringer-Hof war mit seinen Holzbalustraden und der Lüftlmalerei, die immer sorgfältig erneuert wurde, eine rechte Augenweide. Mancher Wanderer, den sein Weg vorbei an dem Anwesen führte, hielt inne und bewunderte das ländliche Idyll, ohne zu ahnen, dass es vom Niedergang bedroht war.

Andreas starrte mit zusammengekniffenen Augen dem Vater nach. Meringers Gang war in der letzten Zeit schleppend geworden, und er trug den Kopf nicht mehr so hoch sie wie früher.

Der junge Mann empfand jähe Gewissensbisse, und mit einer halblauten Verwünschung steuerte er auf den Schuppen zu, um der Anweisung seines Vaters Folge zu leisten.

Drinnen im Haus goss sich Beat an der Kredenz einen Obstler ein und leerte das Glas in einem Zug.

Wie immer, wenn er niedergeschlagen war, schweiften seine Gedanken in die Vergangenheit; immer lebendiger schienen die Bilder in ihm emporzusteigen.

»Er ist wie der Quirin, den hat es auch so umhergetrieben«, murmelte er vor sich hin.

Die Erinnerung an seinen jüngeren Bruder schmerzte noch immer, obwohl seit jenen Ereignissen so viele Jahre verflossen waren.

Ursprünglich war Quirin Anni, Beats späterer Frau, versprochen gewesen. Er hatte das schöne Mädchen leidenschaftlich geliebt, ohne zu ahnen, dass sein Bruder genauso für Anni empfand. Beat verzehrte sich in der Rolle des Rivalen, der seine Liebe verheimlichen musste – bis eine jähe Wende eintrat.

Anni, die Quirins Unrast und seine Unzufriedenheit mit dem Leben immer mehr als quälend und wesensfremd empfand, wandte sich allmählich Beat zu. Der teilte ihre Meinungen, vor allem ihre Gebundenheit an ihre Heimat, was dazu führte, dass sie seine Zuneigung zu erwidern begann.

Sie trennte sich von Quirin, der sich mit dem Verlust nicht abfinden wollte. Sein Traum war es gewesen, mit Anni an seiner Seite auszuwandern und mit ihr gemeinsam eine neue Existenz zu gründen. Es kam zu einer furchtbaren Auseinandersetzung zwischen den beiden Brüdern; Quirin gab dem Älteren die Schuld, dass Anni ihn verlassen hatte. Mit den Fäusten drang er auf Beat ein, jähzornig wie er war, und fügte ihm schwere Verletzungen zu. Am Tag darauf war Quirin verschwunden, und es gab nie wieder ein Lebenszeichen von ihm.

Beat litt sehr darunter, denn er hatte den Bruder trotz allem sehr geliebt. Auf unbestimmte Weise fühlte er sich mitschuldig am Schmerz seiner Eltern, die rasch hintereinander wegstarben.

Das alles überschattete den Beginn seiner jungen Ehe, die dennoch ausnehmend glücklich wurde und ihn für alle Entbehrungen reich entschädigte.

Annis vorzeitigen Tod hatte er nie verwinden können, und es wäre ihm nie in den Sinn gekommen, noch einmal zu heiraten.

Sein Gemüt verdüsterte sich danach immer mehr, vor allem aber, seitdem sich das Verhältnis zu seinem Sohn verschlechterte.

Schließlich riss sich Meringer von seinen wehmütigen Gedanken los, es wartete noch zu viel Arbeit auf ihn, um sich fruchtlosen Grübeleien zu überlassen.

Als er aus dem Haus trat, hörte er vom Schuppen her, wie sein Sohn offensichtlich Holzlatten zersägte, um die leidige Arbeit doch noch zufriedenstellend auszuführen.

Beats Stimmung hellte sich auf; wahrscheinlich neigte er dazu, das Verhalten seines Sohnes zu streng zu beurteilen.

»Es steckt halt doch ein guter Kern in ihm«, murmelte er vor sich hin und ging mit energischen Schritten auf die Stallungen zu.

***

»Pass doch auf! Musst du immer so ungeschickt sein!«, fuhr Andreas Katrin ungehalten an.

Das junge Mädchen hatte, als sie ihm auflegte, etwas von der Suppe verschüttet, da in seiner Nähe ihre Hände zu zittern begannen.

»Es tut mir leid«, flüsterte sie kaum hörbar und senkte errötend den Kopf.

»Das ist doch net so schlimm«, versuchte Meringer zu begütigen, dem Katrins offenkundige Verlegenheit auffiel. Ihre Scheu gegenüber Andreas stimmte ihn nachdenklich und erregte sein Mitgefühl.

»Wirst aber auch immer trampliger! Ich seh schon, dass du als alte Jungfer bei uns heroben versauerst!«, fügte Andreas daraufhin gereizt hinzu, denn es erboste ihn jedes Mal, wenn sich sein Vater auf die Seite des jungen Mädchens stellte.

Katrin hatte Mühe, ihre Tränen zurückzuhalten, Andreas’ herzlose Worte hatten sie so getroffen, dass sie am liebsten aus der Stube gerannt wäre.

Das Abendessen, das reichlich und schmackhaft zubereitet worden war, wurde wie meistens schweigend eingenommen. Katrin beruhigte sich allmählich wieder, brachte aber kaum einen Bissen hinunter.

Vor drei Jahren hatte Meringer sie auf den Hof geholt, als sie, erst siebzehnjährig, Vollwaise geworden war. Sie war weitläufig mit den Meringers verwandt – noch nicht einmal blutsverwandt –, doch Meringer hatte sich wie ein Vater um sie gekümmert, wofür sie ihm unendlich dankbar war.

Sie hatte sich rasch auf dem Hof eingewöhnt, und er war ihr zum Zuhause geworden. Unter der Obhut von Leni, einer alten Magd, die seit dem Tod der Bäuerin die Wirtschaft führte, erlernte sie rasch die notwendigen Fertigkeiten.

Leni war des Lobes voll über Katrin, die nicht nur tüchtig und anstellig war, sondern auch keine der Neigungen zeigte, die man jungen Mädchen oft nachsagte.

»Das ist ein ernsthaftes, ordentliches Madl. Net so leichtsinnig und vergnügungssüchtig wie die aufgeputzten jungen Dinger, die nur den Tanzboden im Kopf haben. Und die Mannsbilder hat’s auch net im Sinn, sondern nur ihre Arbeit. Ich wüsste überhaupt nimmer, was ich ohne sie anfangen tät«, pflegte Leni immer zu sagen, sobald sie mit Meringer allein war, und der nickte zufrieden dazu.

Auch ihm war das junge Mädchen ans Herz gewachsen, und er bereute nicht, sie auf den Hof geholt zu haben.

»Das war ja ein richtiges Festessen«, meinte er, nachdem er seinen Teller zurückgeschoben hatte. Er wusste, dass Katrin die Mahlzeit zubereitet hatte, und er wollte sie ermutigen und gleichzeitig die Kränkung, die sie durch seinen Sohn erlitten hatte, wiedergutmachen.

»Sie kocht schon viel besser als ich zu meiner Zeit«, erklärte Leni neidlos; sie war auf ihren Schützling sehr stolz.

Katrin hätte gern etwas erwidert, doch in der Gegenwart des jungen Meringer war sie wie üblich viel zu befangen. Andreas fand kein Wort des Lobes; er sprang so ungestüm vom Tisch auf, als wäre er einer lästigen Pflicht entronnen.

»Na, heut hast’s aber besonders eilig! Geht’s wieder hinunter ins Wirtshaus?«, erkundigte sich sein Vater.

Andreas warf ihm nur einen ungehaltenen Blick zu und eilte dann in seine Kammer hinauf, um sich umzukleiden.

Ganz gewiss hat er wieder ein Gspusi! Wegen seiner Spezis tät er net so viel hermachen, und das würde auch seine Launen erklären!, dachte Leni. Sie hütete sich aber, ein Wort davon verlauten zu lassen, sondern half, soweit es ihr die gichtigen Hände erlaubten, Katrin, den Tisch abzuräumen.

Beat Meringer seufzte hörbar auf, als er durch das Stubenfenster blickte; sein Sohn ging – sonntäglich gekleidet – auf das Hoftor zu. Wie ein Stadtfrack kommt er daher, auch wenn er einen Lodenjanker trägt. Wenn das seine Mutter, Gott hab sie selig, noch erlebt hätt, dachte er düster und zog unwillig die Brauen zusammen.

Auch Katrin, die noch einmal in die Stube zurückgekehrt war, folgte Andreas mit den Blicken, doch in ihren Augen lag ein ganz anderer Ausdruck.

***

»Schlaf gut, Katrin, und träum etwas Schönes«, erwiderte Meringer freundlich den Gutenachtgruß des Mädchens, und Katrin lächelte, als sie die Stube verließ. Sie hatte noch eine Weile mit ihm und Leni in der Stube zusammengesessen, und während Meringer über seinen Rechnungsbüchern brütete, hatten sie, den Flickkorb zwischen sich, gelacht und geschwatzt.

Katrin liebte diese Stunde. Sie fühlte sich dann sicher und geborgen in ihrer kleinen Welt – ein Gefühl, das beim Tod ihrer Eltern so nachhaltig erschüttert worden war.

Wie gewöhnlich fehlte Andreas in der kleinen Runde; es trieb ihn fort; sobald es Abend war und er seine Pflichten verrichtet hatte, hielt ihn nichts mehr im Haus. Sein Vater war darüber sehr bekümmert, auch wenn er nicht darüber sprach, denn häufig blieb Andreas bis weit nach Mitternacht aus und war am nächsten Morgen entsprechend missmutig und unausgeschlafen.

Wenn er einmal ein richtiger Hofbauer werden wollte, musste er sich noch sehr ändern. Doch insgeheim wusste Katrin, dass Andreas wenig am Hof seiner Väter lag, dass ihm andere Ziele, die sie nicht nachvollziehen konnte, vorschwebten.

Es berührte sie schmerzlich, wie wesensfremd sie sich waren, das schuf eine tiefere Kluft zwischen ihnen als Andreas’ hochmütige Nichtbeachtung. Schließlich verdrängte sie jeden Gedanken an den jungen Meringer, um nicht wieder bis in die Nacht hinein fruchtlos vor sich hin zu grübeln.

Sie trat in ihre Kammer und sah sich gedankenverloren in ihrem kleinen Reich um, das sie im Laufe der Zeit ansprechend ausgestattet hatte. Die wenigen Möbel waren schlicht und altmodisch, doch Katrin hatte es verstanden, mit Geschmack und Kunstfertigkeit eine behagliche Atmosphäre zu schaffen.

Der Boden wurde von einem Fleckerlteppich bedeckt, der farblich zu dem Bettüberwurf passte. Helle Gardinen bauschten sich am Fenster, und auf dem Tisch leuchtete ein Frühlingsstrauß in einem Tonkrug.

Katrin hatte ursprünglich noch ein wenig lesen wollen – auf einem Wandregal war eine stattliche Anzahl von Büchern aufgereiht –, doch mit einem Mal fühlte sie sich so müde und erschöpft, dass sie beschloss, zeitig zu Bett zu gehen.

Sie schlüpfte in ihr Nachthemd und bürstete ihr Haar so, dass es wie ein seidiger Umhang um ihre Schultern fiel. Sie schenkte ihrem Spiegelbild sonst kaum Beachtung, doch heute empfand sie sich verändert und verwandelt.

Ihre Wangen waren sanft gerötet, und wenn sie die Haare so trug, kam das vollendete Oval ihres Gesichts besonders gut zur Geltung. Ihre Züge waren fein geschnitten, der Mund erinnerte an eine blassrote Rosenknospe. Am auffallendsten waren jedoch die großen schwarz bewimperten Augen von einem tiefen warmen Braun – die Augen eines Menschen, der Leid erfahren und sich dennoch seinen Glauben an das Leben bewahrt hatte.

Zum ersten Mal erkannte Katrin, dass sie nicht so reizlos und unscheinbar war, wie sie sich immer empfunden hatte. Sie war zu einem schönen jungen Mädchen erblüht, was lediglich durch ihre unvorteilhafte Aufmachung verschleiert wurde.

Ob ich dem Andreas so gefallen tät?, ging es ihr unwillkürlich durch den Sinn, und ihr stieg eine tiefe Röte in die Wangen.

Unmutig wandte sie sich vom Spiegel ab. Wie konnte sie nur auf so törichte Gedanken kommen! Andreas verschwendete keinen Blick auf sie; in seinen Augen war sie doch nur die geduldete Verwandte, worüber er sie nie im Zweifel ließ. Und dann gab es da auch noch die Gerüchte um Andreas …

Katrin seufzte auf. Sie wollte nicht daran denken, in welchem Ruf Andreas stand. Als sie später im Bett lag, wollte sich der Schlaf nicht einstellen, obwohl sie völlig übermüdet war. Als sie dann endlich doch in einen leichten Schlummer fiel, wurde sie von quälenden Träumen geplagt.

Sie sah sich beim Dorftanz im »Lamm« und beobachtete Andreas, der ausgelassen ein Mädchen herumschwenkte, dessen Gesicht sie nicht erkennen konnte. Als er Katrin entdeckte, rief er ihr böse zu, sie solle sich wegscheren, sie gehöre nicht dazu, und sie lief weinend aus dem Saal …

***

Andreas wurde im »Lamm« freudig begrüßt, zweideutige Scherze und Anzüglichkeiten schwirrten ihm entgegen, was er jedoch keineswegs übel nahm. Am gestrigen Abend war er überraschend früh aus der vertrauten Runde verschwunden, und man war sich einig darüber, dass er bestimmt nicht den Heimweg zum väterlichen Hof eingeschlagen hatte. Andreas war dafür bekannt, Frauenherzen leicht zu erobern.

»Bärbel, bring eine Runde für alle!«, wies er die Kellnerin großtuerisch an.

»Gibt’s was Besonderes zu feiern, dass du heut die Spendierhosen anhast?«, wurde er von allen Seiten voller Neugier, der nicht selten ein spöttischer Unterton beigemischt war, gefragt.

»Das ist mein Geheimnis! Aber wenn’s nach mir ging, gäb es jeden Tag einen Grund!«

»Recht hast! Alt wird man eh schneller, als man denkt, und dann hat man an nichts mehr seine Freud!«

Andreas fühlte sich wohl in diesem Kreis. Hier erfuhr er die Anerkennung, die ihm vonseiten seines Vaters versagt blieb. Er verdrängte den Gedanken, dass seine Beliebtheit teilweise nur darauf zurückzuführen war, dass er immer wieder großzügig eine Runde nach der anderen spendierte, sodass sich gerade die weniger bemittelten Kleinbauernsöhne um ihn scharten.

Um Mitternacht wurde die ausgelassene Runde von der Wirtin aus der Gaststube vertrieben, und die Männer nahmen lachend voneinander Abschied.

Andreas machte sich unverzüglich auf den Heimweg; der Mond erhellte die stille Landschaft, doch der junge Mann wäre auch im Dunkeln nicht fehlgegangen, so vertraut war ihm jeder Weg und Steg. Die Nachtluft war empfindlich kühl, Andreas fröstelte und knöpfte den Janker zu.

Die gute Stimmung, mehr eine Art Bierseligkeit, fiel mit einem Mal von ihm ab. Er begann, sich darüber zu ärgern, dass er gegen seinen Vorsatz fast sein ganzes Geld losgeworden war. Warum hatte er sich nur so hinreißen lassen! Aber die Versuchung, den Großbauernsohn zu spielen, war wieder einmal zu verlockend gewesen. Endlich konnte er sich dann im Mittelpunkt fühlen, und alle kleinlichen Sorgen schienen dagegen unbedeutend.

Allerdings hatte es tatsächlich einen Grund zum Feiern gegeben, Andreas war jedoch klug genug gewesen, diesen nicht zu offenbaren.

Er kannte die Frauen und wusste, dass sich sein Glück bei ihnen jäh wenden würde, sobald er damit anfing, mit seinen Eroberungen zu prahlen. Es war ihm nun endlich gelungen, den Stolz der spröden Julia Ullmer, einer reichen Hoftochter, zu brechen, die er fast ein halbes Jahr umworben hatte.

Was ihn jedoch noch vor Kurzem in leidenschaftlichen Triumph versetzt hatte, bedeutete ihm jetzt schon nichts mehr. Sobald Andreas nämlich bei einer Frau sein Ziel erreicht hatte, empfand er schnell nichts mehr für sie und hielt die Beziehung nur noch kurze Zeit aufrecht.

Andreas blieb stehen und blickte um sich. Die mondhelle Nacht war für schwärmerische Gedanken und Gefühle geradezu geschaffen, doch Andreas verspürte nur eine große innere Leere.

»Das ist nur Lug und Trug mit der sogenannten Liebe! Erst ist es wie ein Feuer, das alles verbrennt – und dann bleibt nichts mehr übrig«, murmelte er vor sich hin.

Während er langsam weiterging, überdachte er einmal wieder, wie oft in Augenblicken der Niedergeschlagenheit, seine Situation, die ihm aussichtsloser denn je vorkam.

»Es wird mir halt nichts anderes übrig bleiben, als reich zu heiraten, wenn ich net ewig am Hungertuch nagen will. Der Vater würd nie zulassen, dass ich den Hof zu seinen Lebzeiten verkauf, und ohne ein Grundkapital komm ich nirgends auf einen grünen Zweig«, setzte er sein Selbstgespräch fort. »Es ist eh gleich, wen ich heiraten tät, mit der Lieb hab ich sowieso nichts im Sinn. Es muss nur eine sein, die genug mitbringt, damit ich mich net bis zum End meiner Tage abrackern muss.«

Er dachte an Julia, die glühend in ihn verliebt war, und beschloss, die Verbindung vorerst aufrechtzuerhalten.

Es muss ja net gleich sein, und wenn es halt gar nimmer anders geht, dann wär sie als Ehefrau net zu verachten, ging es ihm unwillkürlich durch den Sinn, und er lachte auf.

Seine Laune besserte sich, und er schritt rasch aus, um wenigstens noch zu etwas Schlaf zu kommen. Im Gegensatz zu seinem Vater und Katrin wurde seine Nachtruhe nicht durch quälende Gedanken beeinträchtigt; er schlief tief und traumlos, bis er – viel zu früh – am nächsten Morgen aufstehen musste.

***

Die darauffolgenden Tage verliefen in scheinbarer Friedfertigkeit; Andreas verrichtete widerspruchslos alle anfallenden Arbeiten. Den nächsten Wirtshausbesuch hatte er aufs Wochenende verschoben, um nicht noch sein restliches Geld einzubüßen. Sein Vater wertete das allerdings als Anzeichen dafür, dass sein Sohn allmählich »auf den rechten Weg fand«.

Doch diese Harmonie wurde jäh zerstört, als Linus Ullmer den Meringers unerwartet einen Besuch abstattete. Beat empfing den gedrungenen Großbauern, dessen Auftreten im Bewusstsein seines Reichtums anmaßend und ungeschliffen war, gastfreundlich. Ein Blick in Ullmers Gesicht verriet jedoch, dass es sich keineswegs um einen Höflichkeitsbesuch handelte.

Ullmer ließ seine beträchtliche Leibesfülle auf einen Stuhl fallen und fuhr sich mit einem riesigen karierten Schnupftuch über den Nacken. Seine kleinen Augen schielten dabei tückisch zu Meringer empor, der wachsendes Unbehagen empfand.

»Magst du was von meinem Selbstgebrauten?«, bot Beat an, doch Ullmer unterbrach ihn sofort mit einer wegwerfenden Handbewegung.

»Reden wir net lang um den heißen Brei herum. Ist dein Sohn da?«, fragte er in befehlsgewohntem Ton.

»Ja, drüben. Die Katrin soll ihn holen. Willst du mir net sagen, um was es sich dreht?«

»Warum net? Also dein Bub, der verluderte, hat sich an mein Madl herangemacht, der Bazi …«

Seine Schimpftirade wurde durch das Eintreten des jungen Mannes unterbrochen. Andreas kniff nur kurz die Augen zusammen, als er Ullmer erblickte, ließ aber sonst keine Gefühlsregung erkennen.

»Ja, da schau her, der Ullmer! Dass du den Weg nach heroben gefunden hast!«, begrüßte er ihn, und die ungesunde Röte auf Ullmers Zügen vertiefte sich.

»Tu doch net so scheinheilig, du durchtriebener Haderlump! Du weißt doch ganz genau, warum ich auf eure Hütten hochgekraxelt bin! Und ich sag dir nur eins: Lass die Finger von meiner Tochter!«

In Andreas’ Augen glomm ein böses Licht auf, doch er erwiderte mit gespielter Harmlosigkeit: »Jetzt übertreib aber net, Ullmer! Die Julia sieht mich halt gern, das ist alles!«

»So, das ist alles!«, wiederholte Ullmer bösartig. »Meinst du, ich wüsst net, was gespielt wird? Dass du heimlich in der Kammer von der Julia warst?« Ullmer erstickte beinahe vor Wut, während Beat Meringer fassungslos seinen Sohn anstarrte und die Farbe wechselte.

»Heut sind die Sitten und Gebräuche halt ein bisserl anders als zu deiner Zeit.« Andreas zuckte die Schultern. »Das darf man doch net so eng sehen!«

»Das mag sein, aber eines ändert sich net: Dass nämlich so ein Hungerleider wie du, der nichts im Kopf hat, niemals ein anständiges Madl wie meine Julia bekommt! Ich hab andere Pläne mit ihr! Sie ist schon lang dem Thalinger-Ernst versprochen, der ist ein ordentlicher Bursch, und da kommt ein feines Sachl zusammen!«

In Andreas, der ernsthaft erwogen hatte, Julia zu heiraten, wallte heißer Zorn empor, der jede vernünftige Regung in ihm auslöschte.

»Wer sagt denn, dass ich deine Julia überhaupt will? Eine, die man so leicht rumkriegen kann! Der Thalinger wird sie auch bloß nehmen, weil sie den Hof erbt!«

»Du …!« Ullmer richtete sich auf und holte aus, dabei verlor er das Gleichgewicht und wäre hingestürzt, wenn Beat Meringer ihn nicht am Arm ergriffen hätte.

»Lass mich aus!« Unwirsch riss sich der Ullmer los und stieß krachend den Stuhl zurück. »Ich weiß doch genau, wie’s um euer armseliges Gelump heroben steht! Und wenn sich dein Sohn noch mal in der Nähe von meiner Tochter blicken lässt, werd ich dafür sorgen, dass ihr bald kein Dach mehr über dem Kopf habt! Hast verstanden?«, wandte er sich mit blutunterlaufenen Augen an Beat Meringer, der unwillkürlich zurückwich.

Andreas zeigte sich weit weniger beeindruckt als sein Vater und öffnete die Stubentür.

»Schaust besser, dass du hinauskommst, Ullmer, eh ich mich vergess! Mit deiner faden Tochter hab ich eh nichts im Sinn, schau lieber zu, dass du sie bald unter die Haube bringst, anstatt hier groß das Maul aufzureißen! Reinweg leid kann er einem tun, der Thalinger!«

Es hätte nicht viel gefehlt, und Ullmer wäre erneut auf Andreas losgegangen, dann aber wandte er sich abrupt um und verließ unter wilden Drohungen und Schmähworten das Haus.

Beat Meringer sank wie erschlagen auf die Ofenbank, er war keines Wortes mehr mächtig. Lähmendes Schweigen senkte sich über den Raum, bis Meringer schließlich stammelte: »Was hast dir nur dabei gedacht! Hast denn keinen Funken Anstand und Ehrgefühl mehr im Leib!«

»Wegen der Julia? Daran stirbt keiner!«, gab Andreas grob zur Antwort.

»Ich kann euch junge Leut nimmer verstehen. Für mich hat es immer nur meine arme Anni, deine Mutter, gegeben, keine andere davor oder danach!«

Andreas spürte, wie ein Gefühl der Beschämung in ihm aufstieg.

»Ich weiß, Vater, und ich hab das immer bewundert. Aber ich bin halt anders.«

»Ja. Und mit deiner Unbedachtheit bringst du uns alle ins Unglück. Der Ullmer hat großen Einfluss hier im Dorf, und wenn ich mal doch eine Hypothek aufnehmen müsst …«

»Ach darum geht’s also! Net um die Moral, sondern ums Geld!«, unterbrach Andreas seinen Vater schneidend. »Ich mag aber net mein ganzes Leben lang wegen des Geldes vor den anderen kuschen! Und schon gar net vor so einem wie dem Ullmer!«

Meringer fuhr wütend auf, und ein Wort gab das andere, sodass es zu der bislang schlimmsten Auseinandersetzung zwischen Vater und Sohn kam. Unüberbrückbar waren die Gegensätze aufgebrochen, und keiner von beiden wär imstande, nachzugeben und den ersten Schritt zu einer Versöhnung zu tun.

***

Andreas’ Wut begann, sich auf Julia Ullmer zu richten, die nichts vom Eingreifen ihres Vaters ahnte und die letztendlich nur das Opfer einer unglückseligen Verkettung der Umstände war.

Nach dem sonntäglichen Kirchgang lauerte Andreas ihr auf, und es gelang ihm, sie unbemerkt in eine Seitengasse zu ziehen, wo sie vor Beobachtung sicher waren.

Julias hübsches Gesicht strahlte auf, sie nahm an, dass er endlich wieder ein Treffen mit ihr vereinbaren wollte; diesen Augenblick hatte sie die ganzen letzten Tage herbeigesehnt. Doch seine nächsten Worte zerstörten unbarmherzig alle ihre Hoffnungen.

»Da hast mir was Schönes eingebrockt, Julia! Dein Vater ist bei uns heroben aufgetaucht und hat herumgetobt, als hätt ich dir weiß Gott was angetan! Irgendjemand hat es ihm gesteckt. Hast es wohl gleich deiner besten Freundin erzählt? Und damit du es weißt, ich mach mir nichts aus Frauen, die net den Mund halten können!«

Julia wich zurück, ihr schön geschwungener Mund begann zu zittern, und ihre sanften Augen füllten sich mit Tränen.

»Ich hab niemandem davon erzählt …«

»Ach ja? Jedenfalls scheinen alle Bescheid zu wissen. Und dass du dem Thalinger versprochen bist, hast du mir auch net gesagt«, fügte er grausam hinzu.

»Das bin ich auch net! Nur der Vater tät es gern sehen!«, rechtfertigte sie sich mühsam.

»Das spielt jetzt eh keine Rolle mehr. In so eine Familie heirate ich net ein, und das ist das Ende der ganzen Geschichte. Also pfüat dich! Und viel Glück mit dem Thalinger, hoffentlich langweilt ihr euch net gegenseitig zu Tode!«

Damit wandte er sich ab und steuerte auf die Hauptstraße zu, um sich im »Lamm« mit seinen Freunden zu einem Frühschoppen zu treffen.

Julia stand wie gelähmt da; das schwarze Gebetbuch, das noch von ihrer Mutter stammte, war ihr aus den kraftlosen Händen geglitten und lag vor ihr im Staub.

So fand Mirl Kalterer, ihre engste Freundin, das Mädchen vor, und sie erschrak heftig bei dem Anblick, der sich ihr bot.

»Ich hab dich gesucht! Maria und Josef, was ist denn mit dir? Hat dir jemand was getan oder bist krank? So sag doch etwas!«

Doch Julia war außerstande zu sprechen; blicklos starrte sie vor sich hin, alles Leben schien aus ihr gewichen zu sein. Sie hatte Andreas Meringer mit der ganzen Kraft ihrer unverbrauchten Gefühle geliebt, und nun fühlte sie sich beschmutzt und gedemütigt.

Mirl gelang es schließlich, Julia nach Hause zu bringen; mit steifen Schritten stieg sie zu ihrer Kammer hoch und verschloss die Tür hinter sich. Als ihr Vater sich später gewaltsam Einlass verschaffte, erkannte er seine Tochter kaum wieder.

»Du bist an allem schuld! Du hast ihn mir weggenommen!«, rief sie außer sich, ehe sie das Bewusstsein verlor.

Julia Ullmer erkrankte schwer, und was auch immer man dem Ullmer nachsagen konnte: Er liebte seine einzige Tochter sehr, und er verzehrte sich vor Angst, sie zu verlieren. Er glaubte zu wissen, was geschehen war: Meringer hatte sich auf eine Weise von Julia getrennt, die das junge Mädchen zutiefst getroffen haben musste. Daher raste er vor Zorn und schwor sich, seinen ganzen Einfluss zu nutzen, um es Andreas Meringer heimzuzahlen.

Doch dessen hätte es kaum bedurft, denn die Dorfleute machten sich sehr wohl einen Reim aus Julias Krankheit, die beinahe ihr Leben zerstörte. Da das sanftmütige Mädchen überall beliebt war, während man Andreas’ hochfahrende, großsprecherische Art wenig schätzte, wandte sich die öffentliche Meinung rasch gegen ihn.

Überall stieß er auf Ablehnung, man erwiderte seinen Gruß nicht, und selbst die »Lamm«-Wirtin gab ihm zu verstehen, dass er nicht mehr gern gesehen sei. Andreas ging kaum noch hinunter ins Dorf, er verschanzte sich in stummem Groll auf dem Hof und haderte mit dem Schicksal. Er kam weder zur Einsicht, dass er seine Ausgrenzung aus der Dorfgemeinschaft selbst verschuldet hatte, noch empfand er Mitleid mit Julia, deren Leben eine so verhängnisvolle Wendung genommen hatte.

Fast wider Erwarten erholte sich Julia, und zur freudigen Überraschung ihres Vaters erklärte sie sich einverstanden, Ernst Thalinger zu heiraten. Hauptsächlich jedoch wollte sie vom Ullmer-Hof wegkommen, denn noch immer gab sie ihrem Vater alle Schuld am Scheitern ihrer großen Liebe.

Sie war eine blasse, stille Braut, die von dem jungen Thalinger fürsorglich, als wäre sie noch immer eine Kranke, behandelt wurde. Ernst, ein verschlossener Mann, liebte Julia schon seit Jahren, doch hatte er gelernt, abzuwarten.

So gelang es ihm mit Geduld und Rücksichtnahme, Julia für sich zu gewinnen, und die Ehe, die unter so ungünstigen Voraussetzungen geschlossen worden war, wurde später ausnehmend glücklich.

***

»Das sieht ja richtig amtlich aus«, meinte Andreas beunruhigt und drehte den Brief, den der Postbote gerade abgeliefert hatte, misstrauisch in den Händen. »Vom Amtsgericht ist es.«

Sein Vater, mit dem er nur selten ein paar Worte wechselte, zuckte die Schultern.

»Wüsst net, was das zu bedeuten hat. Mach den Brief halt auf.«

Andreas gehorchte, und während er las, verwandelte sich sein Gesichtsausdruck.

»Stell dir vor! Aufs Notariat in die Kreisstadt soll ich kommen! Es geht um eine Erbschaft. Um den Nachlass von Quirin Meringer!«

»Quirin! Dann lebt er also nimmer …« Jähe Trauer überschattete die Züge des Beat Meringer. Seine Hand fuhr zum Herzen, wo er, wie häufig in der letzten Zeit, ein schmerzhaftes Ziehen verspürte. »Ich wünscht, wir hätten noch …« Seine Stimme versagte.

Andreas schenkte der Verfassung seines Vaters keine Beachtung, man sah ihm an, dass hinter seiner Stirn fieberhaft die Gedanken kreisten.

»Meinst, dass es da etwas zu holen gibt?«, fragte er fast gierig. »Vielleicht hat es dein Bruder ja zu etwas gebracht! Er ist doch ins Ausland gegangen, nicht wahr?«

Sein Vater gab keine Antwort; die alten Erinnerungen hatten wieder von ihm Besitz ergriffen, so als hätte er gestern erst den verhängnisvollen Streit mit Quirin ausgefochten. Und nun war es zu spät, das Schicksal hatte es ihnen nicht vergönnt, sich wieder brüderlich die Hände zu reichen.

»Was meinst, Vater? Wenn da wirklich was herausspringen tät …«

Meringer schrak auf.

»Was soll ich denn dazu meinen? Geh halt aufs Notariat, dann wirst es schon erfahren!«, erwiderte er ungehalten. Die so unverhohlen zur Schau getragene Habgier seines Sohnes stellte seine väterlichen Gefühle wieder einmal auf eine harte Probe.

***

Gleich am nächsten Tag, zum frühestmöglichen Termin, fand sich Andreas Meringer auf dem Notariat in der kleinen Kreisstadt ein. Er fühlte sich befangen und fehl am Platz in dem hohen Raum mit den vielen Bücherregalen, die bis zur Decke reichten. Misstrauisch beäugte er den Notar, einen ältlichen Mann mit goldgefasster Brille, der sich umständlich an seinen Papieren zu schaffen machte.

Doch er hatte Andreas mit ausgesuchter Höflichkeit empfangen und der Sekretärin die Anweisung gegeben, frischen Kaffee zu bringen. Der Notar erging sich noch in einigen Allgemeinplätzen, und nachdem er noch sein Beileid ausgesprochen hatte, kam er zum Kernpunkt.

Quirin Meringer, führte der Notar aus, hatte nie geheiratet und ernannte seinen Neffen, »den Sohn meiner über alles geliebten Anni«, wie er es in seinem Testament ausgedrückt hatte, zu seinem alleinigen Erben.

Weiterhin erfuhr Andreas, dass das Vermögen, das sein Onkel ihm hinterließ, beträchtlich war. Der junge Mann erblasste, als der Notar Summen nannte und die Liste der Besitztümer verlas.

»Das sind allerdings nur ungefähre Schätzungen; die eigentliche Höhe muss erst noch festgestellt werden, da ein Teil der Gelder festgelegt ist. Ihr Onkel hat Glück gehabt, sein Traum von Reichtum und Erfolg ist in Amerika in Erfüllung gegangen«, fügte der Notar hinzu und konnte nicht verhindern, dass leichter Neid durchklang.

»Ich gehe davon aus«, fuhr er fort, »dass Sie die Erbschaft annehmen. Es sind keinerlei Bedingungen daran geknüpft. Oder wünschen Sie noch eine Bedenkzeit?« Diese Frage, die der Notar anhängte, klang recht spöttisch.

»Ich nehm an!«, stotterte Andreas verlegen.

»Dann müsste ich Sie erst einmal um einige Unterschriften bitten, einen Augenblick!«

Obwohl ihm der Notar Zeit genug ließ, die Unterlagen zu prüfen, war Andreas außerstande, das Gelesene zu erfassen. Wie blind setzte er seinen Namen an die angewiesenen Stellen. Schließlich war auch das überstanden, und der Notar verabschiedete sich freundlich von ihm, nicht ohne noch einen weiteren Termin mit ihm zu vereinbaren. Denn es waren noch viele Formalitäten erforderlich, um das Geld nach Deutschland zu transferieren, sodass Andreas darüber verfügen konnte.

Doch Andreas hatte bereits einen Scheck entgegengenommen, den er sofort einlösen konnte, woran ihm auch sehr gelegen war. Als er auf die sonnenüberflutete Straße hinaustrat, fasste er sofort in die Jackentasche, wohin er ihn achtlos gesteckt hatte. Das kostbare Stück Papier knisterte verheißungsvoll, und Andreas lächelte.

Er kam sich vor wie in einem Traum, als hätten sich plötzlich alle seine sehnsüchtigsten Wünsche erfüllt, als wäre plötzlich ein anderer Mensch aus ihm geworden, dem das Geld Macht und Bedeutung verlieh, sodass er in Zukunft nicht nur über sein eigenes Leben, sondern auch über das anderer Menschen bestimmen konnte.

Er beschloss, sich einen Vorgeschmack zu gönnen; nachdem er auf der Bank gewesen war, unternahm er einen Streifzug durch die Geschäfte und kaufte, wonach ihm gerade der Sinn stand. Kleidungsstücke, die er in bunten Taschen hinaustrug, einen Teil einer Spielzeugeisenbahn, die er sich als Kind immer gewünscht hatte, Mitbringsel für die Hofleute, eher protzig als nach deren Bedürfnissen ausgerichtet.

Gegen Abend ging er, beladen mit seinen Einkäufen, in das teuerste Restaurant und bestellte ein Gericht mit einem vornehm klingenden Namen, das ihm allerdings nicht schmeckte.

»An das feine Leben werd ich mich schon noch gewöhnen, auch an all die ausländischen Sachen. Mein Onkel hat es ja auch gekonnt«, murmelte er vor sich hin.

Mit unsicheren Schritten durchquerte er das Restaurant in Richtung Ausgang. Der ungewohnte Champagner hatte ihn ganz benommen gemacht, und er war froh, als er rechtzeitig für den Abendzug am Bahnhof anlangte.

***

»So, das war er, unser Erbe«, sagte Dr. Stillinger zu seiner Sekretärin, die ihm noch einen Kaffee brachte.

»Nun, er schaut doch ganz nett und vernünftig aus. Dass er ein wenig schüchtern und linkisch war, das kann man ihm wahrhaftig nicht verdenken in der Situation«, meinte sie.

»Meine liebe Sylvia«, sagte der Notar belehrend, »meine liebe Sylvia, ich würde mit jedem wetten, dass dieser Bauerngimpel alles durchbringt. Jawohl, alles, was sein Onkel, der ungemein gerissen gewesen sein muss, im Laufe der Jahre zusammengerafft hat.«

Sylvia wiegte zweifelnd den wohlfrisierten Kopf, während sie geschickt mit dem Geschirr hantierte.

»Aber man sagt doch gerade den Bauern große Schläue im Umgang mit Geld nach. Warum soll er nicht nach seinem Onkel geraten sein?«

»Sicher wird ihm eine gewisse Bauernschläue nicht abgehen, aber auf der anderen Seite neigt er zur Großmannssucht. Oder ist Ihnen entgangen, dass er weit besser gekleidet war, als es seinen Verhältnissen entspricht? Nein, da täusch ich mich nicht. Der wird alles durchbringen und am Ende noch ärmer dastehen als vorher.«

Nach einer kleinen Pause fügte er hinzu: »So ein Glück haben halt immer die Falschen. Ich wüsste schon, wie ich das Geld arbeiten ließe.«

Und er lehnte sich zurück und erging sich in angenehmen Träumereien über Börsenkurse und die interessanten Tendenzen auf dem Immobilienmarkt.

***

»So! Jetzt hat dieses Knausern und Sparen ein Ende!«, rief Andreas, als er spätabends lärmend und paketbeladen das Haus betrat.

»Ja?«, meinte sein Vater kurz angebunden; das vom Alkohol gerötete Gesicht und die hektischen Bewegungen seines Sohnes missfielen ihm gründlich.

»Ich hab geerbt! Alles geerbt! Und reich war er, dein Bruder Quirin! Davon hätt er uns wahrhaftig schon früher etwas abgeben können! Sag mal, da stand etwas Seltsames in seinem Testament, hat er eine Schwäche für meine Mutter gehabt? Ist das der Grund, dass ich …?« Andreas wollte sich schier ausschütten vor Lachen.

»Schweig!«, herrschte ihn sein Vater an, und Andreas verstummte unwillkürlich.

»Ist ja schon gut! Musst mich ja net gleich so anbelfern! Hier sind ein paar Sachen für euch!«

Leni und Katrin bedankten sich mehr bedrückt als freudig, als jede einen Kleiderstoff aus den Umhüllungen geschält hatte. Katrin ließ die kostbare Seide durch die Hände gleiten und murmelte dabei: »So einen schönen Stoff hab ich noch nie gesehen! Ich dank dir, Andreas!«

Doch sie wusste, dass sie ihn niemals tragen würde; das Material war zu aufwendig und die Farben zu auffallend. Wenn die Dorfschneiderin ihr davon ein Kleid nähte, würde sie, Katrin, sich zum Gespött der Leute machen.

Auch Meringer war mehr erschrocken als angetan über die goldene Tabaksdose, die für ihn gedacht war. Sie war groß und unhandlich und passte nicht zu ihm und seinen bescheidenen Gebrauchsgegenständen.

»In Zukunft lass ich mir nur noch Maßanzüge schneidern, das ist das einzig Wahre«, meinte Andreas, während er Janker und Hemden hervorholte, die sein Vater allesamt geschmacklos fand, was noch milde ausgedrückt war.

»So, willst in Zukunft im Maßanzug den Stall ausmisten? Das wär mal was anderes«, meinte sein Vater trocken.

Andreas starrte seinen Vater zunächst fassungslos an, dann brach er in höhnisches Gelächter aus, ein Gelächter, das Katrin in der Seele wehtat.

»Meinst, ich nehm noch einmal eine Mistgabel in die Hand? Da hast du dich geschnitten! Ich werd mich doch net weiter hier abschinden wie bisher! Nein, die Zeiten sind jetzt vorbei, ein für alle Mal!«

Meringer war inzwischen die eigentliche Tragweite der Erbschaft zu Bewusstsein gekommen, und er meinte einlenkend: »Das war doch nur ein Spaß! Kein Mensch verlangt das von dir! Schließlich können wir jetzt renovieren und noch jemanden einstellen. Von den modernen Maschinen ganz zu schweigen!«

Man merkte Beat sichtlich an, wie er sich mit dem Gedanken anfreundete, dass mithilfe von Andreas’ Erbschaft der Hof wieder rentabel gemacht werden könnte.

»Ich hab nichts dagegen, Geld in den Hof zu stecken. Schon, um es dem Ullmer zu zeigen! Stell dir vor, wenn unser Anwesen größer und moderner wär als seines! Net aushalten tät er das, das weiß ich genau!«

Auch der Vater konnte sich ein Lächeln bei dieser Vorstellung nicht verkneifen, doch Andreas’ nächste Worte zerstörten jäh den Anflug eines Einverständnisses zwischen Vater und Sohn.

»Aber ich will sowieso net hier versauern. Ich will was vom Leben haben und mehr sehen als das armselige Kaff, wo schon ein Wirtshausbesuch das höchste der Gefühle ist. Und seit der Sach mit den Ullmers schauen die mich im Dorf alle scheel an, und ich mag mich nirgends mehr blicken lassen. Diese beschränkten Spießer! Aber das hab ich jetzt nimmer nötig«, brach es aus Andreas hervor.

»Und wie stellst dir deine Zukunft vor?« Beat Meringer kostete es große Überwindung, seine zornige Enttäuschung zu zügeln.

»Ich will was von der Welt sehen, reisen will ich! Und nachher lass ich mich in irgendeiner Stadt nieder. Vom Landleben hab ich genug!«

»Also ein reicher Nichtstuer willst werden, der sein Erbe verprasst! So stellst du dir das also vor«, rief Meringer voller Ingrimm aus.

»Warum soll ich net Geschäfte machen wie mein Onkel? Mit dem Kapital werd ich vielleicht noch reicher.«

»Das zerrinnt dir zwischen den Fingern! Du verstehst nichts von Geschäften, du bist mit Leib und Seel Bauer, auch wenn du es net wahrhaben willst! Unsere Vorfahren waren alle tüchtige Leut, die net nur an ihr eigenes Vergnügen dachten! Ihre Arbeit war auch für andere von Nutzen!«

»Erspar dir doch endlich die Moralpredigten, Vater! Das kommt bei mir nimmer an. Ich hab hier nichts mehr verloren!«

Meringer erblasste und schien sich zu besinnen, doch als er dann sprach, klang seine Stimme fest und entschieden: »Dann pack dein Bündel, wenn du hier nichts mehr verloren hast. Aber du wirst es bereuen, das sag ich dir schon jetzt! Hier sind deine Wurzeln, hier gehörst du hin! Und auf dein verdammtes Geld, das uns schon jetzt Unglück gebracht hat, pfeif ich, und den Hof überlass ich dir auch net«, setzte Meringer voller Bitterkeit hinzu.

»Vater …«

»Wenn du dir zu schad bist, hier Hofbauer zu sein und lieber in der Welt herumreisen willst, dann hast du hier nichts mehr zu suchen.«

»Seid net gar so hart miteinander! Warum soll sich der Andreas net seinen Wunschtraum erfüllen und etwas sehen von der Welt? Vielleicht kommt er dann umso lieber wieder zurück«, versuchte Katrin angstvoll zu vermitteln und ergriff Meringers Arm, als könnte sie ihn so an der Fortsetzung des Streites hindern.

»Misch dich net ein! Das geht dich überhaupt nichts an!«, herrschte Andreas sie böse an, und das junge Mädchen senkte stumm den Kopf. »Mich zieht’s bestimmt nimmer hierher zurück. Ich bin froh, wenn ich das ganze schäbige Zeug nimmer sehen muss! Das kannst mir glauben!«

»Dann verlier bloß keine Zeit! Und dein Geraffel kannst auch wiederhaben!« Meringer schleuderte seinem Sohn die Tabaksdose vor die Füße, und Andreas wandte sich abrupt um, stürmte aus dem Raum und schlug heftig die Tür hinter sich zu.

Lähmende Stille lastete über dem Raum, bis sie durch einen röchelnden Atemzug unterbrochen wurde. Beat Meringer war in sich zusammengesunken und presste die Hand auf die schmerzende Brust; seine Züge waren verzerrt.

»Bauer, was ist mit dir!«

Leni umfasste ihn, während Katrin in die Küche eilte, um ein Glas kaltes Wasser zu holen. Langsam erholte sich Meringer, die wächserne Blässe wich aus seinen Zügen, sein Atem ging wieder regelmäßiger.

»Du solltest beim Doktor vorbeischauen. Das ist net das erste Mal, dass dich dein Herz plagt«, sagte Leni besorgt.

»Ach was! Ich brauch keinen Doktor! Oder gibt es eine Medizin gegen einen missratenen Sohn? Ich hab mich halt aufgeregt, das ist alles«, knurrte Meringer, doch die angestrengten Linien um seinen Mund straften seine Worte Lügen.

»Bist halt gar zu stur und dickschädelig, Bauer«, sagte Leni. »Glaub mir, du machst einen großen Fehler, wenn du den Andreas so gehen lässt. Er ist jung und leichtsinnig. Kein Wunder, dass ihm das Geld so zu Kopf gestiegen ist. Soll er sich doch draußen die Hörner abstoßen. Die Katrin hat ganz recht. Umso lieber kommt er dann zurück. Er ist und bleibt doch einer von uns, das darfst net vergessen. Und es ist immer unrecht, die Tür hinter einem Menschen zuzuschlagen.«

Meringer schätzte die Meinung der treuen Magd und widersprach ihr nicht. Er dachte an Quirin und daran, dass sich das Schicksal vielleicht auf grausame Weise wiederholen könnte.

»Na, vielleicht hast recht, Leni. Ich werd mit dem Andreas reden. Aber net heut – ich bin plötzlich so müd, so furchtbar müd«, erwiderte er tonlos.

Ohne Widerstand zu leisten, ließ er sich von den beiden Frauen stützen, als er zu seiner Schlafkammer hinaufstieg, und Leni war ihm noch weiterhin behilflich.

»Ich glaub, dem Bauern geht es net gut. Das war net nur die Aufregung«, flüsterte Leni der Katrin später kummervoll zu.

Katrin nickte bedrückt, und die beiden saßen noch eine Weile schweigend in der Küche zusammen, obwohl schon längst Schlafenszeit war, doch etwas hinderte sie daran, zu Bett zu gehen.

Es sollte jedoch nicht zu einer klärenden Aussprache zwischen Vater und Sohn kommen, so wie sich Beat Meringer das fest vorgenommen hatte, denn noch im Morgengrauen, bevor die anderen aufgestanden waren, schlich Andreas Meringer wie ein Dieb aus dem Haus. Er hatte nur das Nötigste dabei; selbst seine neuen Sachen hatte er zurückgelassen, weil sie ihm plötzlich nicht mehr gefielen.

Rasch schritt er aus, doch dann hielt er inne, und gegen seine Absicht sah er zurück, ehe der Hof seinen Blicken entschwinden konnte. Ein seltsames Gefühl wallte in ihm empor, das keineswegs ein Gefühl der Befreiung war, und ein Laut wie ein Schluchzen stieg in seine Kehle. Dann aber bezwang er sich und ging weiter. Er würde sein ganzes bisheriges Leben hinter sich lassen; eine verheißungsvolle Zukunft tat sich vor ihm auf.

***

Als Leni am nächsten Morgen beim Frühstück die Nachricht überbrachte, dass Andreas weggegangen war, nahm Meringer das gelassener auf, als Leni zu hoffen gewagt hatte.

Sie selbst war sehr aufgebracht, seit sie, nachdem Andreas nicht zu der gemeinsamen Mahlzeit erschienen war, nach ihm geschaut und die Kammer leer und verlassen vorgefunden hatte.

»So ein Feigling, so ein herzloser! Sich heimlich davonzuschleichen, ohne wenigstens Lebewohl zu sagen! Noch net mal einen Abschiedsbrief hat er geschrieben, der Malefizbub, der undankbare!«, hatte sie wütend vor sich hin geschimpft. »Aber glaub mir, Bürscherl, so schön, wie es dir vorstellst, geht’s net zu in der großen weiten Welt! Falsche Freunde, die es nur auf dein Geld abgesehen haben, wirst genug finden, aber keinen, der dich wirklich gern hat und alles für dich tut so wie dein Vater! Doch der Himmel wird dich schon noch strafen!«

Das meinte sie nicht wirklich so; es war ihr nur aus Zorn herausgerutscht, vor allem aber, weil sie um die Gesundheit des Bauern fürchtete.

Aber es war Katrin, die bei der Nachricht erbleichte; klirrend entglitt der Löffel ihrer kraftlosen Hand, und ein Zittern ging durch ihren Körper.

»Er ist weg? Für immer weg?«, stammelte sie, und ihr Blick irrte hilflos umher.

Erneut stieg bitterer Groll in Leni empor. So hatte sie doch recht gehabt mit ihrer Vermutung, dass das Mädchen etwas für Andreas empfand.

»Für immer? Das glaub ich, net«, meinte Leni nur kurz angebunden.

Das Essen blieb fast unberührt, und es bedeutete für alle eine große Erleichterung, vom Tisch aufzustehen und Zuflucht zu den täglichen Pflichten nehmen zu können.

Erst als Katrin hinter der Scheune die Hühner füttern ging, konnte sie sich endlich unbeobachtet ihrem Schmerz hingeben. Sie kauerte sich auf einen Holzstoß und weinte herzzerreißend, es war ihr, als wäre etwas in ihrem Innersten entzweigerissen.

Sie stellte sich vor, was für ein Leben Andreas, der jetzt reich war, führen mochte – ein Leben fern der alltäglichen Langeweile und von der Plackerei in beengender Armut. Die Erinnerung an den Hof und an die, die dort lebten, würde bald in ihm ausgelöscht sein, vergessen wie ein unklarer, quälender Traum.

Doch da Katrin nicht nur ein empfindsames Herz, sondern auch Vernunft besaß, versuchte sie, sich wieder zu fassen und sich mit diesem Schicksalsschlag abzufinden.

»Wie konnt ich mir nur so dumme Hoffnungen machen, dass er mich eines Tages mit anderen Augen ansieht? Er war schon immer ein Paradiesvogel. Auch ohne die Erbschaft hätt er nie und nimmer zu mir gepasst«, murmelte sie vor sich hin.

Entschlossen wischte sie sich mit dem Schürzenzipfel die Augen trocken, erhob sich und machte sich daran, die Eier einzusammeln. Doch ihre Hände zitterten immer noch leicht, und sie hatte Mühe, den Korb mit den Eiern unbeschadet in die Küche zu tragen. Leni tat, als bemerkte sie das verweinte Gesicht des Mädchens nicht, wofür Katrin ihr sehr dankbar war.

Und Katrin stieg noch mehr in Lenis Achtung, weil sie ihren Schmerz bezwang und noch mehr als zuvor in ihren täglichen Pflichten aufging. Nie verlor sie ein Wort über den jungen Meringer. Als hätte er nie existiert.

Auch wenn die Bewohner des Meringer-Hofes in Eintracht miteinander lebten, so herrschte seit dem Weggang des Hofsohns eine bedrückende Atmosphäre. Beat wurde immer wortkarger, oft versank er in düsteres Grübeln, und die Arbeit schien ihm schwerzufallen, als sähe er keinen Sinn mehr darin.

Schon um seinetwillen hofften Leni und Katrin, dass wenigstens ein Lebenszeichen von Andreas eintreffen würde, doch sie warteten vergeblich. Der Postbote fand nur selten den Weg zum Meringer-Hof hinauf, und der ersehnte Brief blieb aus.

Manchmal nahm Katrin, wenn sie abends allein in ihrer Kammer war, den Stoff heraus, den Andreas ihr geschenkt hatte und den sie gleich ganz in die Truhe tat. Sie strich über die farbenprächtige Seide, die diese andere Welt, in der Andreas jetzt leben mochte, vor ihrem geistigen Auge erstehen ließ.

Dann aber versteckte sie den Stoff wieder, fast schuldbewusst, als hätte sie sich zu verbotenem Tun hinreißen lassen, und schwor sich, nie wieder an Andreas Meringer zu denken.

***

Wie gewöhnlich unternahm Beat Meringer gegen Abend noch einen Gang über den Hof und die angrenzenden Felder. Er hielt sich gern eine Weile im Stall auf und begutachtete seine Tiere.

Er konnte zufrieden sein; das Vieh gedieh prächtig, und auch die Ernte war besser als in den vergangenen Jahren ausgefallen. Unterstützt von zwei Erntehelfern, hatte er sie sicher unter Dach und Fach bringen können. Früher wäre er froh und erleichtert gewesen, dass sich die Lage so verbessert hatte, doch jetzt empfand er es geradezu als Hohn. Wofür das alles, wenn er keinen Erben für den Hof hatte?

Inzwischen hatte Meringer die Hoffnung fahren lassen, dass Andreas je wieder den Weg nach Hause und in die angestammte Lebensbahn zurückfand. Und je mehr Zeit verstrich, desto mehr verhärtete sich auch Meringers Herz gegen seinen einzigen Sohn, der alles von sich gewiesen hatte, wofür seine Vorfahren so hart gearbeitet und Entbehrungen auf sich genommen hatten.

Oft beschäftigte er sich jetzt mit dem Gedanken, wer den Hof erben sollte, wenn er, Beat, nicht mehr am Leben war. Eines stand unverrückbar für ihn fest: Eher wollte er den Hof jemand Fremdem überlassen, der ihn in seinem Sinne bewirtschaftete, als seinem eigenen Fleisch und Blut.

Beat Meringer stützte sich schwer auf den Pfosten des Hofgatters und ließ den Blick über das Anwesen schweifen. Die Geranien flammten von den dunkel gebeizten Holzbalustraden herab, die letzten Sommerblumen blühten in verschwenderischer Pracht – eine Idylle, die ihn ganz besonders anrührte.

Beat überließ sich Erinnerungen aus glücklicheren Tagen; er dachte daran, wie er seine junge Frau einst über die Schwelle dieses Hauses getragen hatte. Nichts, auch ihr allzu früher Tod nicht, hatte den Glanz und die überwältigende Freude dieses Augenblicks in ihm auslöschen können.

»Ach, Anni«, murmelte Beat mit zuckenden Lippen vor sich hin, »wenn du nur bei mir geblieben wärst! Dann tät ich mich eher mit allem abfinden.«

Sein Blick trübte sich, und er fuhr sich mit der Rechten über die Augen.

»Vielleicht hat es net sein sollen, vielleicht hab ich zu viel verlangt vom Schicksal«, stammelte er.

Da spürte er das inzwischen altvertraute Ziehen in der Herzgegend, doch dieses Mal war es so stark, dass es seine Brust zu zersprengen drohte. Feurige Kreise drehten sich vor seinen Augen, er stöhnte laut auf, und dann umfing ihn tiefe Dunkelheit.

Seine Hand glitt vom Pfosten ab, und Beat Meringer schlug schwer auf dem Boden auf, alles Leben schien aus ihm gewichen.

***

»Wo der Bauer nur bleibt? Er ist schon so lang draußen«, sagte Katrin, die mit flinken Fingern einen ausgerissenen Saum festnähte, beunruhigt.

»Bei dem schönen Wetter wird er sich halt ein bisserl versäumt haben«, gab Leni zurück, obgleich sie ebenfalls begann, sich Sorgen zu machen: Ihren scharfen Augen war nicht entgangen, dass Beat Meringers Kräfte nachließen, obwohl er noch nicht alt war. Aber wie so oft trugen Kummer und Enttäuschung dazu bei, eine ohnedies angegriffene Gesundheit noch mehr zu schwächen.

Schließlich stand Katrin auf und strich sich entschlossen über ihre Schürze.

»Ich geh nach ihm schauen. Net, dass er gestürzt ist und irgendwo hilflos liegt.«

Als Katrin Meringers reglose Gestalt am Hofgatter auffand, schrie sie entsetzt auf, denn im ersten Augenblick war sie davon überzeugt, dass er tot war. Dann aber stellte sie erleichtert fest, dass er atmete und dass sein Puls spürbar war.

Wenig später kam er wieder zu Bewusstsein, und mit Lenis Hilfe, die auf Katrins Aufschrei hin herausgeeilt war, gelang es ihr, den Meringer aufzurichten und ins Haus zu schaffen.

»Er kommt noch mal davon, aber mit knapper Not«, sagte der Dorfarzt später auf seine unverblümte Art zu den beiden Frauen.

»Müsst er net ins Spital?«, fragte Katrin mit gepresster Stimme.

»Er sperrt sich, der alte Dickschädel. Hier wär er geboren, und hier wollt er auch sterben, meint er. Aber dafür ist noch ein bisserl Zeit.« Der Doktor klappte die abgeschabte schwarze Arzttasche, die ihn schon seit Jahrzehnten auf seinen Wegen begleitete, zu, und sein Blick umfasste die beiden Frauen, die stumm und blass nebeneinanderstanden.

Armes Hascherl, die Katrin, ging es ihm durch den Sinn, erst sterben ihr so früh die Eltern weg, und jetzt schaut es schon wieder so aus, als würd sie ihr Zuhause verlieren. Denn was wird aus dem Hof werden, wenn der Meringer nimmer kann und sein Sohn sich weiter in der Welt herumtreibt?

»Ich schick euch gern jemanden, der euch bei der Pflege hilft«, sagte er milder als sonst, doch sowohl Leni als auch Katrin wehrten ab, was der Doktor auch erwartet hatte.

»Morgen schau ich wieder nach ihm, aber wenn sich in der Zwischenzeit etwas verändert, dann sagt mir sofort Bescheid!«

Er lehnte den Obstler ab, den Leni ihm noch anbot, und lüpfte mit einem leisen Ächzen die schwere Tasche, denn er war auch nicht mehr der Jüngste.

»Muss noch zum Ullmer-Hof hinaus, dort steht es auch net zum Besten«, brummelte er und verabschiedete sich.

***

Beat Meringer erwies sich wider Erwarten als ein recht geduldiger und einsichtiger Patient. Aber obwohl er regelmäßig seine Medikamente einnahm und widerstandslos die karge Krankenkost aß, die ihm fürsorglich zubereitet wurde, kam er nicht wieder zu Kräften. Er konnte, so sehr er sich bemühte, das Bett immer nur für kurze Zeit verlassen. Danach verfiel er in den Zustand völliger Erschöpfung, sodass er die Versuche zuletzt ganz aufgab.

Der Doktor drängte auf weitere Untersuchungen, stieß aber auf taube Ohren.

»Wenn ein Uhrwerk abgelaufen ist, dann kann man es nimmer richten«, meinte Beat störrisch.

»Das kannst in zwanzig Jahren sagen, aber net schon jetzt«, erwiderte der Doktor erbost. Er wollte noch deutlicher werden, doch da sah er, dass Meringer wieder in den Schlaf hinübergedämmert war, und etwas wie Bedauern glitt über seine zerfurchten Züge.

Unten im Flur passte Leni ihn ab, ihr sonst so freundliches Gesicht trug einen bekümmerten Ausdruck.

»Der Bauer gefällt mir net, Doktor. Der Hofer-Toni hat damals in dem Alter noch schlimmer dagelegen und ist dann doch noch ein alter Krauterer geworden, der alle geplagt hat. Ich versteh das gar net. Es hat dem Bauern doch früher nie was gefehlt.«

Der Doktor, sonst für seine scharfe Zunge bekannt, suchte nach Worten.

»Weißt, manche wollen halt nimmer so richtig, auch wenn sie es net zugeben«, sagte er langsam.

Leni nickte und seufzte.

»Die Sach mit dem Andi, dass der so einfach auf und davon gegangen ist, das hat ihn schwer mitgenommen. Kein Brief kommt von dem Nichtsnutz, und das kann er net verwinden, unser Bauer. Dass seinem einzigen Sohn weder der Vater noch der Hof etwas wert ist!«, stieß sie voller Erbitterung hervor.

»Ja, eine Schand ist’s! So sind sie halt oft, die jungen Leut! Denken nur an sich selbst und ahnen net, was sie damit anrichten. Und wenn man dem Klatsch glauben darf, ist er an dem Unglück der Ullmer-Julia auch net ganz unschuldig.«

»Und ob! Der Andreas war mir immer wie ein eigenes Kind, aber jetzt …« Lenis Stimme versagte.

Der Doktor, sonst nicht von weicher Gemütsart, umfasste tröstend ihre knochigen Schultern, als Leni in krampfhaftes Schluchzen ausbrach.

»Er wird schon bekommen, was er verdient«, meinte er grimmig, »früher oder später! Jetzt müssen wir halt zuschauen, dass wir seinen Vater über den Berg bringen.«

***

Der Sommer ließ sich dieses Jahr nicht so leicht vertreiben. Sonst hatte es um diese Zeit schon oft winterliche Einbrüche mit Schneefall gegeben, der überstürzt zum Almabtrieb führte und manchen Bergwanderer in Bedrängnis brachte.

Als Katrin die Krankenstube betrat, war sie von mildem Sonnenschein erfüllt, was ihr eine fast heitere, hoffnungsfrohe Atmosphäre verlieh.

Beat Meringer befand sich in friedvoller Stimmung; auf Kissen gestützt, saß er im Bett und musterte das Mädchen mit wachen Augen.

Katrin zog es das Herz zusammen, so sehr hatte Meringer sich verändert. Die Augen lagen tief eingesunken in dunkel umschatteten Höhlen, die Nase sprang scharf aus dem abgezehrten Gesicht hervor. Seine Hände, auf denen blaue Adernstränge sichtbar waren und die einem sehr alten Mann zu gehören schienen, fuhren unruhig über die Bettdecke.

Mit anmutigen Bewegungen machte sich Katrin im Raum zu schaffen; sie lüftete, schüttelte die Kissen auf und goss die Blumen auf dem Fenstersims.

Meringer folgte ihr mit den Blicken, und er begann, sich Gedanken über sie zu machen, während er vorher ihre Anwesenheit immer für etwas Selbstverständliches gehalten hatte. Ihre ruhige Freundlichkeit tat ihm wohl, und er lauschte gern ihrem Geplauder, das von jeder boshaften Anspielung frei war, selbst wenn es sich auf etwas ausgefallene dörfliche Ereignisse bezog.

Es fiel ihm auch auf, dass Katrin zu einer jungen Frau herangewachsen war, zu einer schönen jungen Frau, worüber selbst ihr trostloser Kittel und die strenge Haartracht nicht hinwegtäuschen konnten.

Er stellte sie sich mit offenen Haaren in einem ansprechenden Kleid vor, und ihm kam der Gedanke in den Sinn, ob sein Sohn wohl Gefallen an ihr gefunden hätte. Vielleicht hätte sie Andreas halten können …

Beat Meringer seufzte tief auf, und Katrin wandte sich ihm sofort erschrocken zu.

»Ist dir was, Bauer?«

»Nein, ich hab nur an etwas denken müssen. Komm, Madl, setz dich ein bisserl hierher und erzähl mir etwas. Was machen’s denn so drunten im Dorf?«

Katrin lächelte erleichtert und folgte nur zu gern dieser Aufforderung, sah sie doch ein gutes Zeichen darin, dass Meringer wieder Anteilnahme an seiner Umgebung erkennen ließ.

Im Krämerladen hatte sie gehört, dass die »Lamm«-Wirtin einem großmäuligen Städter eine verpasst hätte, weil dieser behauptete, sie hätte beim Auftragen das Schnitzel mit dem Daumen festgehalten.

»Ein richtiger Aufruhr ist ausgebrochen! Die Frau schrie wie am Spieß, und der Sohn fing an, sich mit den Dorfburschen herumzuprügeln, weil sie die »Stadtfräck« ausgelacht haben. Die ›Lamm‹-Wirtin hat die ganze Familie vor die Tür gesetzt, und da standen sie mit einem Berg von Koffern mitten auf der Straße und drohten mit dem Rechtsanwalt!«

Meringer konnte nicht verhindern, dass sich ein Lächeln um seinen Mund stahl; es war zum ersten Mal seit seiner Erkrankung, dass sich bei ihm ein Anflug von Heiterkeit zeigte.

»Ja, die ›Lamm‹-Wirtin ist kein sanftes Lämmchen! Mit der war schon in jungen Jahren net zu spaßen! Einmal, so entsinn ich mich, hat sie sich sogar geweigert, einem der Trunkenbolde Bier einzuschenken. Er solle sein Geld lieber zu seiner Frau als ins Wirtshaus tragen, denn seine zahlreichen Kinder würden in Lumpen herumlaufen, hat sie ihm gesagt. Er durft sich nimmer bei ihr blicken lassen«, schilderte er mit leichtem Schmunzeln.

»Ja, ein rechter Drachen ist sie, die ›Lamm‹-Wirtin, aber sie hat das Herz auf dem rechten Fleck«, meinte Katrin, erfreut, ihn so lebhaft zu sehen.

»Es tut mir so leid, dass ihr so viel Arbeit habt, du und die Leni. Und ich lieg hier nutzlos herum und bin euch noch eine Last dazu«, sagte Meringer unvermittelt.

»Das darfst net sagen, Bauer. Wichtig ist nur, dass du wieder gesund wirst. Und mit der Arbeit geht es schon, jetzt nach der Ernte«, erwiderte sie schnell.

»Bist schon eine richtige Hofbäuerin, Katrin! So wie du mit allem fertig wirst!«

Das ungewohnte Lob trieb dem Mädchen die Röte in die Wangen, was es noch reizender aussehen ließ.

»Ah, geh, Bauer! Ich tu nur, was anfällt, und was mir die Leni anschafft!«

»Nun stell aber dein Licht net so unter den Scheffel, Madel! Jeder, der dich mal zur Frau bekommt, kann von Glück sagen«, meinte Meringer.

»Ich mag net heiraten«, sagte Katrin kaum hörbar und senkte den Kopf.

»Das kann sich ändern. Das haben schon viele vor dir gesagt«, entgegnete der Bauer nur knapp.

Ein eigenartiger Verdacht begann sich in ihm festzusetzen. Offenbar hatte nicht nur er den Sohn verloren, sondern auch Katrin beklagte den Verlust eines Menschen, dem sie vielleicht Liebe entgegengebracht hatte.

»Soll dir die Leni etwas Besonderes zum Abendbrot machen?«, fragte Katrin, bevor sie sich zum Gehen wandte.

»Sie soll sich keine Umständ machen. Ihr verwöhnt und verhätschelt mich eh genug.«