Heimat-Roman Treueband 44 - Rosi Wallner - E-Book

Heimat-Roman Treueband 44 E-Book

Rosi Wallner

0,0
5,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Lesen, was glücklich macht. Und das zum Sparpreis!

Seit Jahrzehnten erfreut sich das Genre des Heimat-Bergromans sehr großer Beliebtheit. Je hektischer unser Alltag ist, umso größer wird unsere Sehnsucht nach dem einfachen Leben, wo nur das Plätschern des Brunnens und der Gesang der Amsel die Feierabendstille unterbrechen.
Zwischenmenschliche Konflikte sind ebenso Thema wie Tradition, Bauernstolz und romantische heimliche Abenteuer. Ob es die schöne Magd ist oder der erfolgreiche Großbauer - die Liebe dieser Menschen wird von unseren beliebtesten und erfolgreichsten Autoren mit Gefühl und viel dramatischem Empfinden in Szene gesetzt.

Alle Geschichten werden mit solcher Intensität erzählt, dass sie niemanden unberührt lassen. Reisen Sie mit unseren Helden und Heldinnen in eine herrliche Bergwelt, die sich ihren Zauber bewahrt hat.

Dieser Sammelband enthält die folgenden Romane:

Alpengold 202: Die Verfemten
Bergkristall 283: Warum schweigst du, Bäuerin?
Der Bergdoktor 1761: Da stand sie vor verschlossener Tür
Der Bergdoktor 1762: Ulla - das Mädchen aus dem Rehwinkel
Das Berghotel 139: Zweite Chance für die Liebe

Der Inhalt dieses Sammelbands entspricht ca. 320 Taschenbuchseiten.
Jetzt herunterladen und sofort sparen und lesen.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 604

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Rosi Wallner Christian Seiler Andreas Kufsteiner Verena Kufsteiner
Heimat-Roman Treueband 44

BASTEI LÜBBE AG

Vollständige eBook-Ausgaben der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgaben

Für die Originalausgaben:

Copyright © 2015/2017 by Bastei Lübbe AG, Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Für diese Ausgabe:

Copyright © 2022 by Bastei Lübbe AG, Köln

Covermotiv: © Anastassiya Bezhekeneva / Shutterstock

ISBN: 978-3-7517-2972-7

www.bastei.de

www.luebbe.de

www.lesejury.de

Heimat-Roman Treueband 44

Cover

Titel

Impressum

Inhalt

Alpengold 202

Die Verfemten

Bergkristall - Folge 283

Warum schweigst du, Bäuerin?

Der Bergdoktor 1761

Da stand sie vor verschlossener Tür

Der Bergdoktor 1762

Ulla - das Mädchen aus dem Rehwinkel

Das Berghotel 139

Zweite Chance für die Liebe

Guide

Start Reading

Contents

Die Verfemten

Packender Schicksalsroman um die Not zweier Herzen

Von Rosi Wallner

Nach einem feuchtfröhlichen Fest in der Dorfwirtschaft des kleinen Alpendorfes wird Franz Hofmayr tot aufgefunden. Kurz darauf wird Niklas Stettner wegen Totschlags zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt. Dieser beteuert zwar verzweifelt seine Unschuld, war aber an dem Abend so betrunken, dass er sich an nichts mehr erinnern kann.

Nach Verbüßung der Haft kehrt der einst so lebensfrohe Niklas völlig gebrochen auf den elterlichen Hof zurück. Doch die Schande klebt an ihm wie Pech, niemand im Alpendorf will etwas mit ihm zu tun haben. Einziger Lichtblick im Leben des Mannes ist Angela Bernbacher, die ab und zu auf den Hof kommt und an Niklas’ Unschuld glaubt.

Aber kann sie ihm helfen, dass die Wahrheit jemals ans Licht kommt?

Angela Bernbacher betrachtete sich in ihrer Kammer eingehend in dem schmalen Schrankspiegel und seufzte dann schmerzlich auf.

Wie konnte man nur so hässlich sein!

Es half nichts, dass man ihr immer wieder versicherte, sie sei ja erst fünfzehn, und es würde sich mit den Jahren noch manches ändern. Doch das sollte sie nur trösten, wenn sie wieder einmal besonders niedergeschlagen war und sich in ihre Kammer verkrochen hatte, anstatt mit den anderen jungen Mädchen zur Kirmes zu gehen.

Aus ihr würde niemals ein schöner Schwan werden.

Mit Tränen in den Augen zupfte sie an ihren rotblonden Haaren, die sich wirr und kaum zu bändigen um ihr schmales Gesicht ringelten. Ihre Haut war auffallend blass, sodass Angela immer kränklich wirkte, wozu die Schatten, die unter ihren großen grünen Augen lagen, noch beitrugen. Ihre Züge wirkten irgendwie kindlich und unfertig. Und dass sie immer noch eine Zahnspange tragen musste, grämte Angela besonders.

»Dürr wie ein Steckerl«, murmelte sie anklagend vor sich hin.

Während ihre Klassenkameradinnen schon weibliche Formen aufwiesen, war Angelas Gestalt so mager, dass sie dadurch noch jünger wirkte. Sie hatte große Hoffnungen in das neue, aufwendige Dirndl gesetzt, vielleicht würden geschickte Raffungen und die Schürze die Mängel ihrer Figur überspielen.

Weit gefehlt! Das hübsche moosgrüne Seidendirndl, dessen Farbe so gut zu ihren Augen passte, hing trostlos an ihr herab, auch wenn sie versuchte, das Schürzenband enger zu schnüren, um wenigstens ihre schlanke Taille zu betonen.

»Einfach zurückgeblieben«, setzte sie ihr Selbstgespräch fort.

Am liebsten hätte sie sich das Kleid vom Leib gerissen und sich in ihrer Kammer eingesperrt, aber das wagte sie nun doch nicht. Ihre Eltern hatten für dergleichen kein Verständnis und erwarteten von ihr, dass sie die Familienehre hochhielt.

Denn heute wurde im Bürgermeisterhaus die Verlobung der ältesten Tochter gefeiert.

Angelas Gedanken flogen zu ihrer Schwester, und wieder haderte sie mit dem Schicksal. Wie konnte Mutter Natur ihre Gaben so ungleich verteilen? Sie waren Schwestern, und doch glichen sie sich weder vom Wesen her und schon gar nicht äußerlich.

Die schöne Maya.

So wurde Maya Bernbacher schon von frühester Jugend auf genannt, denn kein anderes Mädchen im Tal kam ihr an Schönheit gleich. Ihre Züge konnte man als klassisch bezeichnen, nur der Mund war etwas zu voll, doch das machte gerade den besonderen Reiz ihres Gesichts aus. Das üppige, beinahe schwarze Haar bildete einen auffallenden Gegensatz zu den Augen von tiefem Blau, was ihren Blick sehr seelenvoll erscheinen ließ. Allerdings empfanden manche, die sie näher kannten, das bald als Täuschung. Ihre Haut war ebenfalls sehr hell, doch es schien ein goldener Schmelz auf ihr zu liegen.

»Bist du so weit, Angela?«

Die Stimme ihrer Mutter schreckte sie auf, und sie versuchte ein letztes Mal, den weit schwingenden Rock in gefällige Falten zu legen. Ohne anzuklopfen, betrat Anna Bernbacher das Zimmer ihrer Tochter. Sie war daran gewöhnt, dass sich ihr alle Türen öffneten.

Anna war einst ebenfalls eine Schönheit gewesen und jetzt immer noch eine stattliche, anziehende Frau, die in der Festtagstracht des Dorfes eine ausgezeichnete Figur machte. Doch von ihrer Tochter Maya war sie dadurch übertroffen worden, dass Annas Züge eine strenge Herbheit aufwiesen, die sich mit den Jahren noch verstärkte.

Nun stand sie da und musterte mit schief geneigtem Kopf ihre jüngste Tochter, aber ihr Gesichtsausdruck verriet nichts von ihren Gedanken. Sie war mit Angela eigens nach München gefahren, um in der Residenzstraße eine passende Ausstattung für sie zu erstehen, was das Mädchen sehr verwundert hatte. Doch sie kannte ihre Mutter gut genug, um zu wissen, dass das nicht nur aus mütterlicher Fürsorge geschehen war, sondern vor allem, weil sich die Bernbachers nicht ihrer hässlichen jüngsten Tochter schämen wollten.

»Geht das so?«, fragte Angela zaghaft. Sie wagte es kaum, ihrer Mutter ins Gesicht zu blicken, denn sicher würde sie wieder einmal von ihr enttäuscht sein.

»Die Farbe passt sehr gut zu deinen Augen und deinen Haaren«, sagte Anna mit gleichmütiger Stimme.

»Mit den Haaren bin ich net zurechtgekommen, sie lassen sich einfach net richtig kämmen«, gestand Angela kleinlaut ein.

»Das ist schon recht so, bist ja noch ein junges Madel. Ich hab übrigens etwas für dich«, fügte sie dann hinzu.

Angela sah überrascht hoch.

Anna öffnete eine kleine Schatulle, die ein hübsch gearbeitetes kleines Herz aus Gold mit einem Diamanten in der Mitte barg. Anna legte die dünne Kette um Angelas Hals und verschloss sie im Nacken. Sie lenkte den Blick von Angelas sparsamem Dirndlausschnitt ab, ohne zu aufdringlich zu wirken.

»Das ist doch viel zu kostbar«, flüsterte Angela hingerissen.

»Das ist grad richtig für ein Madel deines Alters. Bist ja jetzt kein Kind mehr, und das schmückt dich wirklich«, sagte Anna und strich ihrer Jüngsten mit einer raschen Geste über das ungebärdige Haar.

»Ich dank dir, Mutter.«

»Bald bist auch du erwachsen, meine kleine Angela«.

Annas Stimme klang so weich und wehmütig, wie sie es von ihrer Mutter noch nie gehört hatte. Wahrscheinlich war diese Milde darauf zurückzuführen, dass Maya, ihr ganzer Stolz, nun bald heiraten und ein eigenes Leben führen würde.

Am liebsten hätte sie die Mutter umarmt, doch Anna Bernbacher hatte etwas an sich, was Zärtlichkeitsbekundungen verbot. So bedankte Angela sich nochmals bei ihr, denn sie war sich der Bedeutung dieses Geschenks durchaus bewusst.

Dieser Augenblick der Gemeinsamkeit verflog nur allzu rasch, als Anna sich wieder straffte und mit ihrer üblichen befehlsgewohnten Stimme sagte: »Jetzt wird es Zeit, dass wir herunterkommen. Die Mannsleut haben sich schon zum Bieranstich versammelt.«

Angela folgte ihrer Mutter nach unten, und sie traten vor die Tür des Anwesens, das am Dorfeingang gelegen war. Hinter dem großzügigen Wohnhaus gab es einen Innenhof, dahinter erstreckte sich ein großer Bauerngarten, der in eine Streuobstwiese überging. Und dort, unter blühenden Apfelbäumen, waren lange Tische und Bänke aufgestellt, denn es war herrliches Frühlingswetter, das zum Feiern im Freien einlud.

Beim Anblick ihrer Schwester, die mit ihrem Verlobten an der Seite Gäste begrüßte und Geschenke als auch Glückwünsche entgegennahm, stockte ihr der Atem.

Die schöne Maya. An diesem Tag machte sie ihrem Namen alle Ehre, obwohl sie sich dafür entschieden hatte, die dunkle Tracht der Frauen des Dorfes zu tragen. Doch das erhöhte ihre Schönheit nur noch.

Um die Strenge ihres Gewandes etwas zu mildern, hatte sie sich einen Blütenkranz ins Haar gewunden, was ihrer Erscheinung einen feierlichen Glanz verlieh. Ihr Verlobter konnte seine Blicke kaum von ihr lassen, und jeder konnte sehen, wie sehr er Maya liebte.

Dabei war es keineswegs so, dass Severin Weidinger neben Maya verblasste. Er galt als einer der schmucksten Burschen im Tal, und die Dorfmädchen schwärmten für ihn. Doch er ließ sich auf kein Gspusi ein – die Einzige, der sein Herz gehörte, war Maya.

Sie hatte es ihm nicht leicht gemacht. Spröde und unnahbar war sie gewesen, hatte ihn oft vor seinen Freunden verspottet. Und dann war sie für eine Weile ins Ausland gegangen und hatte keinen seiner sehnsuchtsvollen Briefe beantwortet. Als sie wieder in das kleine Dorf zurückkehrte, war sie ruhiger geworden, nachdenklicher, sprach aber nur wenig über die Zeit, die sie in London verbracht hatte.

Nun zeigte sie sich seinem Werben endlich zugänglicher, und ihre Eltern bestärkten sie recht nachdrücklich darin, Severin Weidingers Frau zu werden. Denn auf gewisse Weise war er der Ziehsohn des Bürgermeisters, da Severin schon seit einiger Zeit sehr erfolgreich in der Gemeindeverwaltung tätig war. Er stammte aus einem wohlhabenden Elternhaus, war jedoch der Zweitgeborene, sodass sein älterer Bruder den Hof übernehmen würde, wenn es an der Zeit war. Zu seinem Erbe gehörten einige Grundstücke in unmittelbarer Nähe des Dorfes, auf die Bürgermeister Bernbacher schon lange ein begehrliches Auge geworfen hatte.

Es passte also alles. Und obendrein war er noch in seine Verlobte heftig verliebt, und auch Maya machte keinen unglücklichen Eindruck. Sie unterhielt sich strahlend mit den Gratulanten, und immer wieder klang ihr helles Lachen auf.

Nicht ohne Neid stellten die meisten Festtagsgäste fest, dass der Bürgermeister stolz auf seine Familie sein konnte. Gut, seine Frau war eher von der herben Art, aber sie gaben immer noch ein beeindruckendes Paar ab. Dann diese schöne Tochter, die ganz nach dem Wunsch und Willen der Eltern heiraten würde, wovon andere, die Töchter im heiratsfähigen Alter hatten, nur träumen konnten. Sein Sohn studierte Jura in München, und es hieß, dass der Bernbacher ehrgeizige Ziele mit ihm verfolgte.

Wie üblich befand sich Angela bald am Rande des Geschehens und beschränkte sich darauf, alles genau zu beobachten. Eigentlich konnte sie dankbar sein, eine Bernbacher zu sein, doch bei besonderen Anlässen fühlte sie sich eher wie ein Anhängsel und nicht wie ein Familienmitglied.

Oft hatte sie das Empfinden, dass ihre Eltern nicht mehr mit weiterer Nachkommenschaft gerechnet hatten und diesem Nachkömmling weniger Aufmerksamkeit schenkten als den älteren Kindern. Hinzu kam, dass sie äußerlich stark gegen ihre älteren Geschwister abfiel, und wäre sie nicht zu Hause geboren worden, hätte es bestimmt schon Gerüchte über eine Kindesvertauschung gegeben. Denn Angela sah keinem der Bernbachers ähnlich.

Das hatte gerade in den letzten Jahren wie ein Schatten über ihr gelegen, und sie hatte sich immer mehr in sich zurückgezogen. Zwar ging sie nach der Schule der Mutter im Haushalt zur Hand, aber am liebsten hielt sie sich in ihrer Kammer unter dem Dach auf. Das war ihr Zufluchtsort, dort las oder zeichnete sie, und für ihre Familie war sie oft geradezu unsichtbar.

Doch nun kam sie nicht darum herum, sich neben ihren Eltern niederzulassen. Das Brautpaar saß ihr gegenüber, und Angela verfolgte, mit welchem Respekt und liebevoller Fürsorge Severin seine junge Braut behandelte. Angela verspürte einen Stich des Neids, den sie sofort beschämt verdrängte. Stattdessen bemühte sie sich, sich über das Glück ihrer Schwester zu freuen, aber so recht gelingen wollte es ihr nicht.

Das Essen war köstlich, und Lobesworte wurden laut, die Anna erfreut entgegennahm. Sie hatte einen ganzen Tag mit Angelas Hilfe vorgekocht, soweit das möglich war. Schon in aller Frühe waren Mutter und Tochter aufgestanden, und sie waren mit den restlichen Vorbereitungen für das Festmahl, das aus mehreren Gängen bestand, gerade rechtzeitig fertig geworden.

Maya hatte sich nicht daran beteiligt, denn sie war den ganzen Morgen damit beschäftigt gewesen, sich für diesen Tag zurechtzumachen. Das war nicht ohne Tränen abgegangen. Mal wollte die Frisur nicht richtig sitzen, dann wieder bildete sie sich ein, dass das Kleid in der Taille zu eng war. Immer wieder hatte Anna ihre Kochtöpfe im Stich lassen müssen, um ihre Tochter zu beschwichtigen oder praktische Hilfe zu leisten.

Nach einem herrlichen Dessert, das allen auf der Zunge zu zergehen schien, zerstreuten sich die Festgäste. Die Älteren blieben still auf ihren Plätzen sitzen – die Bäume spendeten genügend Schutz vor der schon recht warmen Frühlingssonne – und genossen die Aussicht auf das Gebirgsmassiv, das das kleine Hochtal begrenzte.

Andere wiederum unterhielten sich angeregt und gaben sich ihren Jugenderinnerungen hin, was teils Gelächter, viel öfter jedoch Wehmut hervorrief. Denn manche, mit denen sie diese unwiederbringliche Zeit ihres Lebens verbracht hatten, weilten nicht mehr unter ihnen, auch wenn sie nie in Vergessenheit geraten würden.

Die Kinder spielten Fangen oder Verstecken unter den blühenden Obstbäumen, ihr Rufen und Lachen war weithin zu hören. Angela entschloss sich zu einem Spaziergang über die Wiesen und steuerte nach einer Weile eine kleine Bauminsel an, einen ihrer Lieblingsplätze. Obwohl sie nur aus wenigen, aber hohen Bäumen bestand, glaubte man sich in einen lichten Hain versetzt. Oft zog sich Angela dorthin zurück, um zu lesen oder vor sich hin zu träumen.

Es war ein verwunschener Ort.

Als sie ein paar Schritte auf dem vom Sonnenlicht gesprenkelten Pfad gegangen war, spürte sie, dass sie nicht allein war. Sie hörte seufzende Laute, einen leisen Aufschrei und eine heisere Männerstimme. Als sie durch das Geäst eines Busches sah, erblickte sie ihre Schwester in leidenschaftlicher Umarmung mit ihrem Verlobten.

Angela stand wie erstarrt, dann bewegte sie sich langsam rückwärts, bis sie unbeobachtet das Wäldchen verlassen konnte. Alles in ihr war in Aufruhr. Niemals hätte sie sich vorstellen können, dass ihre sonst immer so kühle und beherrschte Schwester sich zu etwas Derartigem hätte hinreißen lassen.

Doch dann siegte die Vernunft über ihre mädchenhafte Empörung. Maya und Severin waren ein Paar, wahrscheinlich schon seit Längerem, und standen kurz vor der Hochzeit. Sie wusste, dass es durchaus üblich war, dass erst geheiratet wurde, wenn die Braut ein Kind erwartete, um den Fortbestand der Familie zu sichern.

Nein, sie hatte kein Recht, ihre Schwester zu verurteilen, und sie nahm sich vor, sie niemals wissen zu lassen, dass sie sie durch einen Zufall beobachtet hatte. Aber dennoch verspürte Angela eine leise Trauer darüber, dass ihr Zufluchtsort ihr nicht mehr allein gehörte.

Als sie sich wieder gefasst hatte, kehrte sie zu den Feiernden zurück, und die heitere Feststimmung teilte sich ihr allmählich auch mit. Sie trank ein paar Schlucke Wein und fühlte sich bald viel leichter, sodass sie über die albernen Scherze lachte und bei einem Ratespiel mitmachte.

Als es dunkelte, nahm eine Gruppe Trachtenmusiker im Hof Aufstellung, der mit Girlanden und Lampions geschmückt war. Nun kamen auch noch andere junge Leute aus dem Dorf hinzu, und bald wurde ausgelassen getanzt, während die, die auf ihren Plätzen geblieben waren, zu den bekannten Melodien klatschten oder sangen.

Ein richtig schönes Fest, hieß es später im Dorf.

Und das dachte auch Angela, als sie endlich spätnachts allein in ihrer Kammer war. Sie hatte noch geholfen abzuräumen, sodass sie nun völlig erschöpft war. Doch hinter ihrer Stirn kreisten die Gedanken, immer wieder sah sie die Szene in dem Wäldchen vor sich, so sehr sie diese Erinnerung auch zu verdrängen versuchte.

Würde jemals ein Mann sie so voller Leidenschaft und Verlangen umarmen und sie so innig lieben, wie Severin ihre Schwester Maya liebte?

Eine unbestimmte Sehnsucht, die sie noch nie verspürt hatte und für die noch nicht die Zeit gekommen war, ergriff von ihr Besitz. Trotz ihrer Müdigkeit konnte Angela lange nicht einschlafen, und als ihr doch endlich die Lider zufielen, wurde sie von wirren, erschreckenden Träumen gequält.

***

Severin Weidinger war beliebt in seinem Heimatort, und daher scharten sich zahlreiche Spezln um ihn. Sein engster Freundeskreis bestand aus den Geschwistern Bernbacher, den Gruberbuben, wie Wiggerl und Korbinian Gruber allgemein genannt wurden, und Niklas Stettner, der aber seit längerer Zeit in München lebte.

Man traf sich am liebsten auf der Kreuzalm, einer stattlichen Berghütte, von deren Terrasse man das gewaltige Kreuz auf einem der Berggipfel vor Augen hatte. Sie war noch nicht von Touristen überlaufen, sondern wurde höchstens von Wanderern besucht, die sich in der Gegend gut auskannten.

Heute hatten sich die jungen Leute wieder zusammengefunden, um das Wochenende zu feiern und Pläne für ihre nächsten gemeinsamen Unternehmungen zu schmieden. Im Mittelpunkt stand natürlich die bevorstehende Heirat von Severin und Maya, zu der alle eingeladen waren. Sie waren bester Laune, auch wenn die neueste Freundin von Sixtus Bernbacher das Gespräch immer wieder mit schrillem Gelächter unterbrach.

Aber jeder wusste, dass Sixtus das üppige blonde Mädchen bald wieder gegen ein anderes Gspusi austauschen würde. Denn sein Lebenswandel hatte etwas ziellos Umherschweifendes an sich, was sein Vater damit zu entschuldigen pflegte, dass sich der Bub halt ordentlich die Hörner abstoßen müsse.

Als Maya gerade schilderte, wie sie sich den Ablauf des Festes vorstellte – denn es sollte eine große Hochzeit werden –, bemerkte sie erstaunt, dass ihr Verlobter ihren Ausführungen nicht die Aufmerksamkeit schenkte, die sie von ihm erwartete.

»Was ist denn, Severin? Warum bist du so unruhig?«, fragte sie mit einem scharfen Unterton in der Stimme.

»Tut mir leid, Schatzerl«, entschuldigte er sich. »Aber ich hab für heut eine ganz besondere Überraschung für dich.«

Maya war sofort besänftigt.

»Da bin ich aber gespannt. Und wann ist es so weit?«

»Eigentlich hätte er schon vor einer halben Stunde kommen müssen. Deswegen bin ich halt auch so unruhig geworden.«

Severin spähte mit zusammengekniffenen Augen den steilen Bergpfad hinunter, der zu der Berghütte führte.

»Eben! Da kommt er, spät aber doch!«

Die schlanke, hochgewachsene Gestalt eines Mannes erklomm den Weg in sichtlicher Eile, sodass er ganz außer Atem auf dem Vorplatz der Hütte anlangte. Er hielt erst einmal inne, ehe er die Treppe zur Terrasse hochstieg, wo ihn die Freunde sofort umringten. Die riesenwüchsigen Gruberbuben schlugen ihm so kräftig auf Schulter und Rücken, dass er zusammenzuckte.

»Jesses, Niklas, dass du wieder bei uns bist«, rief Sixtus und umarmte ihn, was recht ungewöhnlich für ihn war.

»Tut mir leid, dass ich zu spät bin, aber ich hab mich halt völlig verschätzt«, sagte Niklas schließlich.

»Bist nichts mehr gewohnt. Ich sag es ja immer, die Stadt verweichlicht die Leut«, erklärte Wiggerl.

Zum Beweis wollte er dem Freund gleich noch einmal kraftvoll auf die Schulter schlagen, doch dieser drehte sich mit einer flinken Bewegung weg und wandte sich Severin zu, der verkündete: »So, und jetzt darf ich dir meine zukünftige Frau vorstellen, die Maya. Die hast du ja sicher net vergessen, oder?«

Severin lachte, ein Lachen, aus dem die Zärtlichkeit eines liebenden Mannes, aber auch Besitzerstolz herauszuhören war.

»Wer könnte dich schon vergessen, Maya.«

Hingerissen sah er sie an. Die junge Maya Bernbacher war schon eine Schönheit gewesen, als er sein Heimatdorf verlassen hatte, doch jetzt war sie zu einer Frau herangereift, die ihn innerlich erzittern ließ. Mit den Augen eines Künstlers nahm er gierig alles in sich auf – das vollkommene Oval ihres Gesichts, den sinnlich geschwungenen Mund, das schwarze Haar …

»Jetzt hat es ihm die Sprache verschlagen«, spottete Wiggerl.

Und wenn Gruber ihm noch so heftig auf die Schulter geschlagen hätte, in diesem Augenblick hätte er es nicht gespürt.

Auch Maya starrte ihn an wie eine Erscheinung. War das noch der linkische Bauernjunge, über den sie sich damals so oft lustig gemacht hatte?

Denn Niklas stellte unter den Freunden eine Ausnahme dar, als Einziger stammte er nicht aus einem wohlhabenden Elternhaus. Sein Vater – die Mutter war bei seiner Geburt gestorben – war ein armer Kleinbauer, der sich nur über Wasser halten konnte, indem er sich zusätzlich als Waldarbeiter verdingte. Niklas war verwildert aufgewachsen, bis der Lehrer der Dorfschule, die der Junge selten genug besuchte, dessen außergewöhnliche Begabung entdeckte.

Niklas war nicht nur sehr intelligent, sondern er besaß auch ein herausragendes Zeichentalent. Gemeinsam mit dem Pfarrer gelang es dem Lehrer zu erwirken, dass Niklas mit den Söhnen der Honoratioren des Dorfes das Gymnasium in der Kreisstadt besuchen konnte. Anschließend war es für Niklas ein Leichtes, ein Stipendium für die Kunstakademie in München zu erlangen.

Und nun war er wieder da. Kein linkischer Bauernjunge mehr, sondern ein selbstbewusster, gut aussehender junger Mann mit großer Ausstrahlung. Sein markantes Gesicht wurde von dunklen Augen beherrscht, deren durchdringender Blick Maya erschauern ließ, und die lockigen schwarzbraunen Haare fielen ihm verwegen in die Stirn.

»Das ist wirklich eine Überraschung«, überwand sich Maya, die sich als Erste gefasst hatte, schließlich zu sagen.

»Nicht wahr? Ich hab’s dir doch versprochen«, gab Severin arglos zurück. »Komm, setz dich her zu uns.«

Niklas nahm auf diese Aufforderung hin neben Maya Platz, die ein wenig von ihm abrückte, wie um zu beweisen, dass sie an Severins Seite gehörte. Dennoch glaubte er, ihren Duft wahrzunehmen und die Wärme ihres Körpers zu spüren.

»Und? Wirst du wieder zurückkehren nach München? Kann man ja verstehen, hier ist ja net viel los«, fragte Sixtus.

»Nein. Nur gelegentlich muss ich hinfahren, der Beziehungen wegen …«

»Beziehungen, ach so«, ließ sich Wiggerl anzüglich vernehmen, »hast ein fesches Weiberl dort zurückgelassen?«

Maya verspürte einen heftigen Stich in der Herzgegend.

»Schmarrn. Ich hab zu arbeiten. Mit Beziehungen meine ich Galeristen und was sich sonst so tummelt«, wehrte Niklas ab.

»Und wie müssen wir uns das vorstellen, deine Arbeit?«, fragte Maya ironisch.

»Daheim in der Scheune ist Platz genug, da kann ich die Bildhauerei betreiben. Ich hab einen größeren Auftrag bekommen, und die Skulptur muss zu einem bestimmten Termin fertig sein. Es ist ja net so, dass Künstler in den Tag hineinleben können, und irgendwann kommt die Erleuchtung über sie«, erwiderte Niklas.

Er warf mit einer fließenden Kopfbewegung sein ungebärdiges Haar zurück, was Maya unwiderstehlich fand.

»Dann werden wir uns hoffentlich alle im Glanz deines Erfolgs sonnen dürfen«, meinte Sixtus, und vielleicht schwang ein wenig Neid in seinen Worten mit.

Niklas zuckte lässig mit den Schultern.

»Man kann nie vorher wissen, ob ein Projekt gelingt.«

»Künstler sind einfach das Größte«, gurrte Lissi, Sixtus’ Freundin, und himmelte Niklas verliebt an.

»Hast du das nicht gestern auch von den Juristen gesagt?«, warf ihr Sixtus beleidigt vor, was allgemeines Gelächter hervorrief.

Lissi fühlte sich verspottet und schmollte eine Weile, bis sie sich wieder am Gespräch beteiligte. Dann stellte sie neugierige Fragen über das »Künstlerleben«, wie sie es nannte, und Niklas gab bereitwillig Antwort.

»So romantisch, wie das oft dargestellt wird, ist es nicht. Nichts fliegt einem zu, auch für diejenigen, die ein überragendes Talent haben, bedeutet es harte Arbeit. Ohne Selbstdisziplin führt der Weg rasch nach unten, wie ich es bei einigen miterlebt habe, die mit mir an der Akademie angefangen haben«, sagte er bedauernd.

»So hast du also wirklich Erfolg, Niklas?«, fragte Korbinian, der bis jetzt das Gespräch schweigend verfolgt hatte.

Niklas war kein Mensch, der vor seinen Freunden prahlte, obwohl er in München als vielversprechendes Talent galt.

»Ich stehe ja erst am Anfang«, sagte er nur knapp.

»Aber du bleibst doch wohl einer der Unsrigen, auch wenn dich die Großkopferten hofieren«, meinte Wiggerl auf seine manchmal etwas treuherzige Art.

»Das versteht sich von selbst. Hier gehör ich hin, hier sind meine Leute. Das Getriebe der Großstadt liegt mir einfach net.«

Er verschwieg, wie sehr ihn das Heimweh nach seiner Bergheimat gepeinigt hatte. Wie eine Erlösung war es für ihn gewesen, als er endlich in der Lage war, selbstständig zu arbeiten, was bedeutete, dass er zurückkehren konnte.

»Ein Hoch auf Niklas, der nun wieder zu uns gehört«, verkündete Severin, und alle prosteten Niklas zu.

»Ich dank euch«, sagte Niklas mit heiserer Stimme, und ein warmes Gefühl der Verbundenheit durchströmte ihn.

Nun wandte sich die Unterhaltung wieder der Hochzeit zu, nur dass sich dieses Mal Maya, die sich sonst wortreich über jede Einzelheit ausließ, seltsam unbeteiligt zeigte.

»Wann soll es denn überhaupt so weit sein?«, fragte Niklas seinen Freund und sah Maya dabei nicht an.

»Im Spätsommer, wie es hier üblich ist. Nach der Erntezeit, aber vor der Kirmes«, gab Severin Auskunft.

Niklas hatte seinen eher zurückhaltenden Freund noch nie so glücklich gesehen. Immer wieder suchte er Mayas Blick oder berührte sie unauffällig. Es gab keinen Zweifel daran, dass sie die Liebe seines Lebens war.

Eine Woge von Eifersucht und Neid überfiel Niklas. Die Vorstellung, dass Severin diese Frau in seinen Armen halten durfte, war unerträglich für ihn. Maya, die er so begehrte, wie er noch nie eine Frau begehrt hatte.

Aber dann schämte er sich dieser Empfindungen. Sie durften nicht die Oberhand gewinnen, denn sie würden sich zerstörerisch auf den Freundeskreis auswirken, an dem ihm so viel lag.

»Wo bist du denn mit deinen Gedanken, Niklas? Ich hab dich eben etwas gefragt«, wurde er aus seinen Überlegungen gerissen.

Niklas zuckte zusammen und entschuldigte sich.

»Ich wollt dich drum bitten, dass du Trauzeuge wirst. Pate für unser Erstes soll der Sixtus werden. Bist du damit einverstanden?«

Severin lächelte ihn freundschaftlich an.

»Ja, ja, natürlich – das kommt so überraschend«, stammelte Niklas verwirrt.

Trauzeuge, er sollte Trauzeuge bei der Hochzeit der Frau werden, in die er sich leidenschaftlich verliebt hatte!

Nur mit äußerster Mühe beherrschte er sich und heuchelte Freude über diese unerwartete Ehrung. Er beugte sich leicht nach vorn, um einen Blick in Mayas Gesicht zu erhaschen, doch ihrer Miene war nichts zu entnehmen. Sie saß ganz still neben ihm, als ginge sie das alles mit einem Mal nichts mehr an.

Bevor die Dunkelheit anbrach, machten sich die Freunde auf den Rückweg, der nicht ohne Schwierigkeiten verlief, denn Lissi hatte zu sehr dem Wein zugesprochen und musste von Sixtus sehr nachdrücklich gestützt werden. Wiggerl erbot sich, dabei behilflich zu sein, und unter Gelächter und derben Anspielungen bewegte sich der kleine Zug nach unten.

Severin hatte Maya umfasst, und es brodelte in Niklas, als er beobachtete, wie zärtlich und vertraut er sie an sich zog. Wahrscheinlich waren sie schon vor der Hochzeit Mann und Frau geworden …

Die Gruberbuben, die volltönende Stimmen besaßen und im Kirchenchor mitsangen, stimmten ein altes Volkslied an, in das die anderen einfielen. Lissi stieß hin und wieder einen schrillen Jauchzer aus, was Sixtus mehr als peinlich war. Schließlich blieb er mit ihr hinter den anderen zurück, und jeder wusste, dass ihr Weg sie nicht nach Hause, sondern zu den wogenden Almwiesen führen würde.

In Niklas rangen widersprüchliche Gefühle miteinander – einerseits Seligkeit, wieder in seiner geliebten Heimat zu sein und sich im Kreis der Freunde wiederzufinden, gleichzeitig aber auch verzehrender Liebesschmerz. Was würde er dafür geben, Maya in seinen Armen halten und sie küssen zu dürfen …

Ihr Bild hatte sich in seine Seele eingebrannt.

Schließlich trennten sich die Freunde, als sie den Dorfeingang erreicht hatten, jedoch nicht ohne noch ihr nächstes Treffen zu vereinbaren.

»Komm bald einmal bei uns vorbei, wir haben ja noch einiges zu bereden, da du unser Trauzeuge wirst«, lud ihn Severin ein.

»Ja, das machen wir dann noch aus. Es war ein schöner Mittag mit euch zusammen«, fügte Niklas hinzu.

Severin lächelte.

»Es wird wieder alles so, wie es einmal war.«

Doch Niklas wusste, dass er sich darin täuschte.

Severin begleitete Maya zu ihrem Elternhaus, kurz davor hielt er jedoch inne und zog sie in eine Toreinfahrt, wo er sie leidenschaftlich küsste. Doch Maya erwiderte seine Küsse nicht, sondern entzog sich ihm.

»Lass mich los, Severin«, stieß sie heftig hervor.

»Was hast du denn, Schatzerl?«, fragte er enttäuscht, denn Maya hatte sich, seitdem sie sich einig waren, noch nie gegen seine Zärtlichkeiten gesträubt.

»Mir ist heut net so besonders«, erwiderte sie.

»Warum hast du nichts gesagt? Dann wären wir doch schon früher gegangen«, sagte er besorgt, denn es kam ihm jetzt erst zu Bewusstsein, dass Maya, die sonst immer sehr lebhaft, fast überschwänglich war, oben auf der Hütte immer wieder in Schweigen verfallen war.

»Ist dir übel, oder hast du Kopfschmerzen?«

»Ich mag net drüber reden. Am besten ist, ich geh so früh wie möglich ins Bett«, gab sie mit kaum unterdrücktem Unwillen zur Antwort.

Maya bat ihn im Gegensatz zu sonst nicht hinein, sie wandte sich noch nicht einmal nach ihm um, sondern verschwand mit einem kurzen Nachtgruß im Haus. Severin blieb nachdenklich zurück, er konnte sich ihr Verhalten nicht erklären. Maya hatte noch nie über körperliche Beschwerden geklagt, sie war ganz im Gegenteil von blühender Gesundheit. Und er hatte sie auch noch nie launisch erlebt.

Vielleicht erwartet sie ein Kind, ging es ihm plötzlich durch den Kopf. Das wäre eine Erklärung für ihr Unwohlsein. Er empfand ein überwältigendes Glücksgefühl, so als wäre Maya erst völlig die Seine, wenn ein Kind sie verband.

Er stellte sich vor, wie er ihr gemeinsames Kind auf den Armen hielt, vielleicht wäre es sogar ein Sohn und Erbe …

Dann jedoch zwang er sich zu Besonnenheit. Erst musste er Gewissheit haben, ehe er sich solchen Zukunftsträumen hingab.

***

Niklas Stettner hatte einen längeren Weg zurückzulegen, denn das kleine Anwesen seines Vaters lag weit außerhalb des Dorfes. Er folgte ein Stück der Landstraße, dann bog er in einen Wirtschaftsweg ab, der an dem einsamen Gehöft vorbeiführte.

Die Nacht war mondhell, die blühenden Obstbäume leuchteten, und die Almwiesen wogten wie ein silbernes Meer. Das Gebirgsmassiv ragte dunkel auf, nur die Gletscher gleißten im Mondlicht. Es war sehr still, eine Stille, wie man sie nur auf dem Land fand und die Niklas in der Stadt sehr vermisst hatte. Nur hin und wieder wurde sie vom Laut eines Tieres aus dem nahen Bergwald unterbrochen, das auf nächtliche Jagd ging. Manchmal auch wehte der Wind das Bellen eines Hundes von einem der Höfe zu ihm hinüber.

Als er am Hofgatter anlangte, blieb er einen Augenblick stehen. Verzaubert vom Mondschein mutete der kleine Hof idyllisch an, während er im nüchternen Tageslicht verfallen und heruntergekommen wirkte. Der Stall stand schon lange leer, denn sein Vater hatte die Milchwirtschaft aufgegeben, der Hof wurde nur noch von Hühnern und einer kleinen Gänseschar bevölkert.

Aus dem unteren Stockwerk fiel trübes Licht auf den Hofplatz, sein Vater war anscheinend aufgeblieben, um auf seine Rückkehr zu warten. Dieser Angewohnheit war er treu geblieben, so ermüdend seine Arbeit auch gewesen sein mochte.

Niklas trat in den Flur, und all die vertrauten Gerüche umfingen ihn. Sein Vater hatte aus der Not eine Tugend gemacht und konnte recht gut kochen und sogar backen, sodass noch der Duft von frischem Kuchen in der Luft hing.

»Du sollst doch net auf mich warten«, sagte Niklas. Das war die übliche Begrüßung, wenn er seinen Vater in der Stube vorfand, wenn er spät nach Hause kam.

Ambros Stettner, der wohl ein wenig eingedöst war, seufzte erleichtert auf.

»Bist endlich da, Bub. Ich hab dir noch ein bisserl Geselchtes hergerichtet«, sagte er und musterte seinen Sohn liebevoll.

»Danke, Vater.«

Niklas hatte auf der Almhütte etwas gegessen, doch er setzte sich an den Tisch zu seinem Vater und ließ sich Butterbrot und Geselchtes schmecken. Sein Vater schwieg, um ihn nicht beim Essen zu stören, aber man sah ihm an, wie glücklich er darüber war, dass die Abende, die er in den letzten Jahren einsam in der Stube verbracht hatte, nun vorbei waren.

»So gut hat es mir in München nie geschmeckt«, lobte sein Sohn die einfache Mahlzeit und schob den Teller zurück.

Ambros wollte darauf eine Antwort geben, aber sein Körper wurde unvermittelt von einem heftigen, stoßweisen Husten erschüttert, der nicht enden wollte.

»Dein Husten gefallt mir gar net. Seit wann hast denn den?«

Stettner machte eine wegwerfende Handbewegung.

»Ach, den hab ich schon länger. Weißt du, morgens in der Früh ist es halt kalt, und wenn man dann einen Baum fällt, kommt man leicht ins Schwitzen. Da bleibt es wohl net aus, dass man sich erkältet.«

»Du solltest zum Arzt gehen …«

»Ach, das sind doch alles nur Quacksalber«, meinte Ambros abschätzig.

»Auf jeden Fall hat es ein Ende mit der Waldarbeit. Das ist viel zu gefährlich und zu anstrengend auf die Dauer«, sagte Niklas in bestimmtem Ton.

»Ich kann doch net zu Hause umeinand sitzen und nichts tun! Ich hab ja noch net einmal das Rentenalter erreicht«, rief Ambros empört aus.

»Nichts zu tun? Du hast den großen Garten, das ist Arbeit genug, und außerdem brauch ich Hilfe, damit ich mich in der Scheune einrichten kann. Von meinem Stipendium leben wir bequem, und wenn mit dem Projekt alles gut geht, dann können wir sogar daran denken, langsam den Hof zu renovieren.«

»Schön wär’s«, murmelte Ambros zweifelnd. Er war es nicht gewohnt, dass ihm das Schicksal mit Güte begegnete.

»Wir schaffen das schon, Vater, versprochen. Du hast dich wahrhaftig genug abgerackert in deinem Leben.«

Niklas dachte an die Zeit zurück, als er mit den Kindern der Honoratioren das Gymnasium in der Kreisstadt besucht hatte. Sein Vater hatte Mehrarbeit auf sich genommen, damit sein Sohn nicht hinter den anderen zurückstehen sollte. Bis Niklas dahintergekommen war.

»Ich will net Tennis spielen, und teure Kleidung brauch ich auch net. Tanzstunden nehm ich schon gar net, ich bin nämlich ein Naturtalent«, hatte er damals zu seinem Vater gesagt und ihn geradezu angefleht, seine Gesundheit nicht zu ruinieren.

Nun war sein Vater vor der Zeit alt geworden. Seine hohe Gestalt, die Niklas von ihm geerbt hatte, war in sich zusammengesunken, sein ganzer Körper wirkte müde und verbraucht. Tiefe Furchen zogen sich durch das wettergegerbte Gesicht, und seine Hände waren schrundig und gerötet.

Nun war es an ihm, seinem Vater einen schönen Lebensabend zu verschaffen. Er sollte endlich für seine Selbstlosigkeit und Aufopferung belohnt werden. Er griff nach der verarbeiteten Hand seines Vaters. So saßen sie still da, bis Ambros, der es gewohnt war, früh aufzustehen, hinauf in seine Schlafkammer stieg.

Niklas hingegen ging noch nicht zu Bett. Eine innere Unruhe peinigte ihn so stark, dass er wusste, dass er keinen Schlaf finden würde. Er ging noch einmal hinaus in die mondhelle Nacht und beschritt die vertrauten Pfade. Alles in ihm schrie nach der Frau, deren Bild ihm unauslöschlich vor Augen stand.

Maya, die seinem besten Freund gehörte.

In seiner Verzweiflung irrte er ziellos umher, bis ihn eine jähe Erschöpfung überkam und er nach Hause zurückkehrte.

***

Die Zusammenkünfte derjenigen, die in die Hochzeitsvorbereitungen von Maya und Severin mit einbezogen waren, fanden bei den Bernbachers statt. Das hatte vor allem praktische Gründe; das Bürgermeisterhaus war für alle leicht erreichbar, und außerdem war Severins älterer Bruder bereits verheiratet und hatte eine große Nachkommenschaft. Die Kinder tollten durch Severins Elternhaus, dass es nur so schallte, bei den Bernbachers jedoch konnten sich die jungen Leute ungestört besprechen.

Niklas hatte nun Maya einige Zeit nicht gesehen, doch wenn er gehofft hatte, dass ihr Bild langsam verblassen würde, so sah er sich getäuscht. Sie ging ihm nicht aus dem Sinn, und oft war er so geistesabwesend, dass sein Vater ihn inzwischen nachdenklich und besorgt musterte. Doch er verlor kein einziges Wort über den Zustand seines Sohnes, wofür Niklas ihm von Herzen dankbar war.

Auch die Arbeit verschaffte ihm keine Ablenkung, obwohl er mithilfe seines Vaters damit beschäftigt war, die alte Scheune auszuräumen. Verrostete Gerätschaften, alte Holzleitern, alles, was sich in den letzten Jahren dort angesammelt hatte, wurde herausgetragen, um Platz für seine Bildhauerwerkstatt zu schaffen.

»Im Winter wird es aber schwierig«, meinte sein Vater. »Da wirst du dir ja was abfrieren, wenn du bei der Kälte hier herinnen arbeitest.«

»Dafür werden wir schon eine Lösung finden. Wenn nur erst einmal dieses Projekt fertig ist, dann sehen wir weiter«, gab Niklas zuversichtlich zur Antwort.

Ambros lebte auf während dieser Zeit, Vater und Sohn waren sich wieder so nah wie damals, bevor Niklas in die Stadt gegangen war. Die Energie des jungen Mannes schien sogar auf ihn überzugehen, und sie arbeiteten einträchtig Seite an Seite.

Niklas war der Aufforderung seines Freundes, sich im Bürgermeisterhaus zu treffen, nur widerwillig nachgekommen. Denn Maya zu sehen würde seine Qual nur noch verschärfen und ihm erneut die Hoffnungslosigkeit seiner Liebe vor Augen führen. Und er fürchtete auch, dass er sich verraten würde, denn seine Gefühle für Maya waren so stark, dass er sich kaum beherrschen konnte.

Doch am Ende sah er ein, dass ihm nichts anderes übrig blieb. Und so kleidete er sich sorgfältig an, ganz im ländlichen Stil, der ihm am besten stand, sodass sein Vater staunend erkannte, was für ein schöner Mann aus seinem Sohn geworden.

»Wirst allen Madeln den Kopf verdrehen, so wie du ausschaust«, scherzte er, als Niklas sich von ihm verabschiedete.

»Ach geh«, gab sein Sohn zur Antwort, und sein Gesicht verschattete sich, sodass Ambros das Herz schwer wurde.

Das ist es also, er ist der Liebe begegnet, dachte Ambros Stettner, und Angst um seinen Sohn nistete sich in seinem Herzen ein.

Als Niklas vor dem stattlichen Bürgermeisterhaus anlangte, standen schon die Gruberbuben vor der Tür und diskutieren heftig miteinander. Sie waren für eine Gesangseinlage bei der Trauung vorgesehen, doch die Brüder waren sich immer noch uneins darüber, in welche Richtung ihr Liedvortrag gehen sollte.

»Du immer mit deinem altbackenen Schmarrn«, schimpfte Wiggerl gerade, womit er einen Zornesausbruch seines Bruders heraufbeschwor.

»Eine Trauung ist kein Kerzerlabend und schon gar keine Scheunendisco«, hielt er Wiggerl aufgebracht entgegen.

»Na, ihr zwei seid ja schon in richtiger Feststimmung«, spöttelte Niklas, woraufhin sich der Unmut der beiden gegen ihn richtete.

»Du musst ja nur dastehen und gut ausschauen«, meinte Wiggerl bissig.

»Vielleicht sollten wir aber erst mal hineingehen, ehe wir uns hier zu krageln anfangen«, schlug sein Bruder Korbinian, der Vernünftigere von beiden, vor.

Im Flur empfing sie wunderbarer Kuchenduft.

»Mayas Mutter hat wieder ihren berühmten Apfelkuchen gebacken«, rief Wiggerl schwärmerisch aus.

Offensichtlich wirkte der Apfelkuchen der Bürgermeistersfrau Wunder, denn die streitbaren Gruberbuben wurden mit einem Mal ganz friedfertig.

Anna hatte Wiggerls erfreuten Ausruf offenbar bis in die Küche gehört, denn sie trat lächelnd heraus und begrüßte die jungen Männer.

»Das wär ja noch schöner, wenn ich euch darben lasse bei so wichtigen Gesprächen«, sagte sie.

Anna Bernbacher ging in ihrer Rolle als stolze Brautmutter völlig auf. Sie war schon mehrere Male mit ihrer Tochter nach München gefahren, um noch etliches zu erstehen, das ihrer Meinung nach im Haushalt der jungen Leute fehlte. Und natürlich sollte die ganze Familie zu dem Fest entsprechend ausstaffiert sein …

Das Brautpaar kam dazu, und Scherzworte flogen hin und her. Severin und Maya wirkten glücklich, niemand sah ihnen an, dass es am gestrigen Abend eine heftige Auseinandersetzung zwischen ihnen gegeben hatte, die erste, seitdem sie ein Paar waren. Doch mittlerweile hatten sie sich versöhnt, und alles war nun wieder eitel Sonnenschein.

Severin hatte sich nämlich endlich ein Herz gefasst und sie gefragt, warum sie plötzlich so verschlossen und abweisend ihm gegenüber sei.

Maya hatte bloß mit den Schultern gezuckt.

»Die Hochzeitsvorbereitungen, der ganze Aufwand …«

Das war seltsam. Denn eigentlich hatte er bisher eher den Eindruck gehabt, dass Maya »den ganzen Aufwand«, wie sie es jetzt nannte, vorangetrieben und auch genossen hatte.

»Ich hab gedacht, dass das andere Gründe hat.«

In Mayas Augen flackerte etwas auf, was er für Angst gehalten hätte, wenn es nicht allzu abwegig gewesen wäre.

»Und was hast du genau gedacht?«

»Nun, dass du vielleicht in anderen … dass du vielleicht ein Kind erwartest«, stammelte er unbeholfen.

»Das ist net dein Ernst«, fuhr Maya auf. »Wir haben doch vereinbart, dass wir damit noch warten wollen. Schließlich sind wir jung und wollen erst noch etwas vom Leben haben. Oder hast du das schon vergessen?«

»Nein. Aber es hätte ja sein können. Und ich hätt mich auch drüber gefreut«, gab er enttäuscht zur Antwort.

»Das glaubst du. Ich hab schon dafür gesorgt, dass es net so weit kommt.«

»Wir haben nie darüber gesprochen …«

»Das wundert mich net«, erwiderte Maya ungewohnt bissig. »Die Mannsleut haben schon immer den Frauen die Verantwortung dafür zugeschoben.«

»Es tut mir leid«, sagte Severin reuig, »ich bin einfach …«

»Nun ist das ja geklärt«, fiel sie ihm ins Wort.

Und Severin gab sich damit zufrieden, obwohl er sich insgeheim schon als stolzer Vater gesehen hatte. Aber Maya hatte ja recht, es war besser, wenn sie sich erst einmal an ihr Leben als Eheleute gewöhnten, ehe sie eine Familie gründeten.

Er schloss sie in die Arme, und sie erwiderte seine Zärtlichkeiten so leidenschaftlich, dass er sich wieder für den glücklichsten Mann unter der Sonne hielt.

»Wenn man euch beide sieht, könnte man glatt neidisch werden«, meinte Wiggerl auf seine unverblümte Art.

Er war schon lange heimlich verliebt in Maya, eigentlich seit der Schulzeit, hatte dann aber den Kürzeren gezogen.

»Es gibt hier genug fesche Madeln. Schau dich halt um«, gab Severin ungerührt zur Antwort und lachte.

Liebevoll zog er Maya an sich, und Niklas durchfuhr die Eifersucht wie ein Schlag. Hastig wandte er sich ab. Als er das Paar wieder anblickte, entdeckte er, dass Maya ihn unverwandt ansah, und er glaubte auch zu erkennen, dass ihre Mundwinkel zuckten.

Hatte sie seine Reaktion auf die Liebesbezeugung ihres Verlobten bemerkt? Sicherlich hatte er sich geirrt, denn jetzt zeigte sich wieder freundlicher Gleichmut auf ihrem schönen, glatten Gesicht.

»Nun kommt in die Stube, oder wollt ihr alles auf dem Flur ausdiskutieren?«, forderte Anna die jungen Leute auf.

Ein schön gedeckter Kaffeetisch erwartete sie mit einem Strauß Frühlingsblumen und dem viel gepriesenen Apfelkuchen in der Mitte.

»Greift zu! Der Kaffee wird gerade in der Küche frisch aufgebrüht, und dort steht auch noch ein Kuchen. Ihr braucht euch also net zurückzuhalten.«

Annas Blick flog zu Niklas hinüber.

»Ich geb dir auch noch etwas für den Vater mit. Wie geht es ihm denn eigentlich? Ich hab ihn schon lang nimmer gesehen.«

»Net so gut. Aber er hilft mir, wo er kann. Über deinen Kuchen wird er sich gewiss freuen, vielen Dank.«

Die Frau des Bürgermeisters war immer freundlich zu ihm gewesen, schon als er noch ein Kind war. Oft hatte sie ihn zum Essen eingeladen oder ihm andere Wohltaten zukommen lassen. Damit stand sie ganz im Gegensatz zu manch anderen Müttern, die es nicht gerne sahen, wenn ihre Kinder mit Niklas spielten. Mit dem Häuslerkind hast du nichts zu schaffen, hieß es, und Niklas erinnerte sich heute noch daran, wie gedemütigt er sich dann gefühlt hatte.

Wahrscheinlich hatte Anna gespürt, dass er sich durch seine besondere Begabung von den anderen unterschied, und ihn deshalb nicht mit Verachtung gestraft. Jedenfalls war es immer gut, eine Frau wie Anna Bernbacher als Fürsprecherin zu haben, denn ihre Meinung galt etwas in der Gemeinde.

Angela stand in der Küche und brühte den Kaffee auf, gleichzeitig lauschte sie zu der Stube hinüber. Sie hatte keine Erinnerung mehr an Niklas Stettner, und sie war neugierig darauf, ihn kennenzulernen.

Ein Künstler, der in München gelebt hatte und vielleicht sogar einmal berühmt werden würde …

Das beflügelte ihre Fantasie, und sie hatte große Mühe, sich auf das, was sie tat, zu konzentrieren.

Angela hatte den ganzen Morgen Äpfel geschält und klein geschnitten und war mehrmals von ihrer Mutter ermahnt worden, nicht so herumzutrödeln. Aber die Äpfel, eine ganz bestimmte Sorte von der Wiese der Bernbachers, waren klein und schrumpelig vom Einlagern, sodass es eine mühsame Arbeit war. Doch sie gaben dem Kuchen ein einzigartiges Aroma, und daher schwor Anna Bernbacher auf sie.

»Wo bleibt der Kaffee?«, rief ihre Mutter, und Angela zuckte zusammen.

Das Mädchen ergriff die große, bauchige Kanne und trug sie vorsichtig über den Flur. Als sie die Stube betrat, fiel ihr Blick auf einen unbekannten Mann, der am Fenster saß und ihr freundlich zulächelte.

Angela starrte ihn an, und etwas geschah mit ihr, das sie aller Kräfte beraubte.

»Angela!«

Der schrille Aufschrei ihrer Mutter, das Klirren von Porzellan und ein heftiger Schmerz an ihren Beinen – alles geschah gleichzeitig und riss sie aus ihrer Verzückung.

»Wie kannst du nur so deppert sein und die Kanne fallen lassen! Das war ein Erbstück«, schimpfte ihre Mutter.

Blutübergossen stand das Mädchen da, es zitterte am ganzen Körper vor Scham. Der Rock klebte feucht an Angelas Beinen, und die Stelle, die die heiße Brühe getroffen hatte, schmerzte unerträglich.

»Nun kehr doch wenigstens die Scherben auf«, wütete ihre Mutter weiter, »du bist wahrhaftig zu gar nichts zu gebrauchen.«

Das ging Niklas, der ein äußerst ausgeprägtes Gerechtigkeitsempfinden hatte, nun aber doch zu weit.

»Es war doch sicher das Madel, das die ganzen Äpfel für den Kuchen geschält und geschnitten hat, oder?«, verteidigte er das Mädchen.

Darauf blieb die Antwort aus.

»Ihr habt bestimmt Brandsalbe im Haus. Das tut dir doch ziemlich weh, oder?«, fügte Niklas, an das Mädchen gewandt, hinzu.

Angela nickte und senkte den Kopf.

Schließlich bequemte sich die Mutter doch, ihrer Tochter zu Hilfe zu kommen, und zog sie unsanft aus dem Raum. Severin stand auf und kehrte die Scherben zusammen, während Maya in der Küche neuen Kaffee zubereitete.

»Niklas, der Ritter der Unterdrückten«, spottete Wiggerl. »Sie ist halt schon ein armes Vogelscheucherl, die Angela.«

Wieder hatte Niklas das Empfinden, das Mädchen verteidigen zu müssen.

»Sie ist ja fast noch ein Kind. Und es ist net recht, wie man mit ihr umgeht.«

An ihrem ganzen Verhalten konnte er erkennen, dass Angela in ihrer Familie einen schweren Stand hatte. Sie musste sich ungeliebt und benachteiligt fühlen, hatte sie doch schon immer im Schatten ihrer schönen Schwester gestanden, der alle Aufmerksamkeit zuteilwurde. Mutter Natur hatte Angela stiefmütterlich behandelt und ihre Gaben zwischen den beiden Schwestern ungleich verteilt. Darüber hinaus war Angela sehr empfindsam, und ihr schien auch jegliches Durchsetzungsvermögen zu fehlen.

Als Anna zurückkam, war wieder Ordnung eingekehrt, so wie sie es schätzte. Angela hatte darauf beharrt, in ihrer Kammer zu bleiben, und kein Mitglied der Familie schien sie zu vermissen. Und wieder verspürte Niklas Mitgefühl mit dem Mädchen.

Der Zwischenfall geriet in Vergessenheit, lediglich Anna grollte ihrer jüngsten Tochter immer noch, obwohl sie es zu verbergen suchte. Der Kuchen wurde von allen gelobt, was Annas Laune wieder hob, und nachdem der Tisch abgeräumt war, kam man auf den eigentlichen Grund des Treffens zu sprechen.

Niklas wurde genau unterwiesen, wie er sich als Trauzeuge zu verhalten hatte, und er sagte wenig dazu. Maya erstickte die weitere Auseinandersetzung der Gruberbuben, was den Liedvortrag anging, schon im Voraus im Keim, indem sie selbst etwas auswählte. Es war ein altes Kirchenlied mit getragener Melodie, das meistens nur bei besonderen Anlässen gesungen wurde.

»Und am Ende kann der Chor mit einstimmen, das klingt noch feierlicher«, sagte Maya.

»Wenn du meinst«, stimmte Wiggerl widerwillig zu.

Doch Mayas Wunsch war ihm schon immer Befehl gewesen, und es hatte auch gar keinen Sinn, sich ihr entgegenzustellen, wenn sie sich einmal etwas in den Kopf gesetzt hatte. Darin war sie wie ihre Mutter.

»Der Wiggerl hätte eure Hochzeit nämlich gern zu einem Rock-Konzert gemacht«, stichelte sein Bruder.

Das rief natürlich Gelächter hervor, und Wiggerl musste sich so einiges gefallen lassen. Nachdem es vorläufig nichts weiter über den Ablauf der Hochzeit zu besprechen gab, wandte man sich wieder anderen Themen zu. Im Mittelpunkt stand Niklas, dessen Tun und Lassen von den Dörflern teils mit aufrichtigem Interesse, teils mit Argwohn verfolgt wurde. Niklas war zwar einer der ihren, aber der erste Künstler, der sich in dem kleinen Bergdorf niedergelassen hatte.

»Und wie steht’s bei dir? Ist die Werkstatt eingerichtet?«, fragte Sixtus.

»Fertig eingerichtet ist sie noch lange nicht. Aber es ist schon ein Fortschritt, dass alles angeliefert worden ist, sodass ich mit der Arbeit beginnen konnte. Es war schwierig, den großen Steinblock, aus dem die Skulptur entstehen soll, hierher zu transportieren. Aber jetzt ist es glücklicherweise geschafft.«

Ein rascher Seitenblick auf Maya verriet ihm, dass sie gespannt an seinen Lippen hing, was ihn ungemein ermutigte.

»Kommt doch einmal vorbei und schaut euch alles an. Und bringt auch die Angela mit«, sagte er zu seinem eigenen Erstaunen.

»Das Madel scheint es dir aber angetan zu haben«, spöttelte Sixtus. »Was ist denn mit ihr? So schlimm wird sie sich doch net verbrüht haben.«

»Sie ist oben in ihrer Kammer und will nimmer hervorkommen, da konnt ich mit Engelszungen reden«, sagte ihre Mutter.

Dass Anna mit Engelszungen redete, entzog sich zwar Niklas’ Vorstellungskraft, aber er meinte versöhnlich: »Es ist halt ein schwieriges Alter.«

Wie immer, wenn sie diesen Ausspruch hörte, bekam Anna schmale Lippen. Denn ihrer Meinung nach gab es kein »schwieriges Alter«, sondern nur gutes und schlechtes Benehmen. Aber sie zog es wohlweislich vor, zu schweigen.

Später gesellte sich noch Xaver Bernbacher, der Bürgermeister, dazu, der seine Amtsgeschäfte ausnahmsweise rechtzeitig abgeschlossen hatte. Sein Lieblingswein, ein Grüner Veltliner, wurde aus dem Keller geholt, und der Abend klang sehr harmonisch aus.

Niemand hatte bemerkt, dass Niklas und Maya einander heimlich beobachteten, wie Blitze schossen ihre verstohlenen Blicke hin und her. Und Niklas’ Herz tat jedes Mal einen schnellen Schlag, wenn er sah, wie es in ihren Augen aufglomm.

Auf dem Heimweg fühlte er sich wie berauscht, obwohl er wie immer mäßig getrunken hatte. Berauscht vom Frühling, der überwältigenden Macht der Natur, von dem Zusammensein mit den Freunden, die er so lange vermisst hatte, vor allem aber von Maya. Brennende Sehnsucht erfüllte ihn, ein Verlangen, dem er nicht Herr werden konnte.

***

Angela lag zusammengekrümmt auf ihrem Bett und weinte. Es war ein Weinen, das tief von innen kam und von lang unterdrücktem Schmerz kündete. Aber es waren auch Trauer und das bittere Gefühl der Hoffnungslosigkeit, die immer mehr Raum in ihr einzunehmen schienen. Sie konnte kaum noch aufhören zu weinen.

Niklas – seine Gesichtszüge hatten sich ihr so eingeprägt, als ob sie ihn schon seit Langem kennen würde. Es war ihr, als wäre sie endlich einem Menschen begegnet, der alles für sie sein könnte. Gleichzeitig aber wusste sie, dass er niemals so für sie empfinden würde. Er war ein gut aussehender Mann, Künstler dazu, und sicher umschwärmten ihn die Frauen. Frauen, die schön und gebildet waren, und nicht so ein armseliges, zerrupftes Dorfganserl, über das alle nur spotteten. Außerdem war sie viel zu jung.

Aber er hatte ihr geholfen, war als Einziger auf ihrer Seite gewesen. Schwärmerisch erhöhte sie ihn in ihrer Fantasie, allein der Gedanke an ihn sollte ihr Trost spenden.

»Er ist mein Weißer Ritter«, murmelte sie vor sich hin, denn davon hatte sie in einem ihrer Bücher gelesen.

Sie verfiel in Träumereien, aus denen sie erst aufgeschreckt wurde, als ihre Mutter unsanft an die Tür klopfte.

»Mach die Tür auf, Angela. Was fällt dir ein, abzuschließen!«

Sie gab keine Antwort, sondern krümmte sich noch mehr zusammen. Ihre Mutter entfernte sich nach einer Weile vor sich hin schimpfend, und Angela atmete erleichtert auf. Kurz danach kam auch noch ihr Vater hochgepoltert, doch er hielt sich nicht lange auf.

»Das Madel wird halt eingeschlafen sein«, hörte sie ihn sagen, was ihm eine unwirsche Antwort seiner Frau einbrachte.

Am nächsten Morgen kam Angela zeitig nach unten, um ihrer Mutter bei der Vorbereitung des Sonntagsessens zu helfen. Vorher hatte sie jedoch ihre Kasse mit dem Ersparten geplündert und hielt es ihrer Mutter abbittend hin.

Anna sah sie erstaunt an.

»Was soll ich mit dem Geld? Das ist doch sicher dein Erspartes.«

Angela nickte.

»Das ist für die Kanne. Es tut mir sehr leid, dass ich sie hab fallen lassen. Immer stell ich mich so ungeschickt an. Ich bin nur eine Last für dich …«

»Was redest du denn daher, Madel! Du bist doch keine Last für mich. Ich hab dich genauso lieb wie deine Geschwister. Manchmal bin ich etwas ungeduldig, aber als der Sixtus und die Maya in deinem Alter waren, war ich halt acht oder zehn Jahre jünger. Das macht schon was aus«, sagte sie.

Dieses Eingeständnis versetzte Angela in große Verwunderung, denn üblicherweise sah Anna immer nur die Schwächen und Unzulänglichkeiten der anderen, aber nie ihre eigenen. Angela wollte die Mutter umarmen, aber da kam Sixtus, der einen ziemlich übernächtigten Eindruck machte, in die Küche gestürmt.

Und damit war der kostbare Augenblick vertan.

Annas Augen leuchteten auf, als sie ihren Sohn erblickte, und Angela hatte wie immer den Eindruck, dass sie nicht mehr für ihre Mutter existierte. Still setzte sie sich hin und begann das Gemüse zu putzen, während Sixtus ohne ein Wort des Tadels ein reichhaltiges verspätetes Frühstück vorgesetzt bekam. Denn zur üblichen Frühstückszeit hatte er wieder einmal nicht aus dem Bett gefunden.

Am nächsten Tag fuhr Angela in die Stadt zur Schule, als wäre nichts geschehen, und zu Hause machte sie sich so unsichtbar wie möglich. Aber dennoch hatte sich in ihrem Leben eine entscheidende Wende ereignet.

Was auch immer sie tat, sie dachte dabei ständig an Niklas, nichts anderes hatte mehr eine Bedeutung für sie. Wenn es wieder einmal zu einem Auftritt mit ihrer Mutter kam, was sie vorher immer in tiefste Verzweiflung gestürzt hatte, beschwor sie jetzt sein Bild vor ihrem geistigen Auge herauf, und nichts konnte sie mehr berühren.

In ihrer freien Zeit unternahm sie weite Spaziergänge, die sie immer näher zu dem Anwesen der Stettners führten. Die Verlobten, Sixtus und die Gruberbuben hatten schon die Werkstatt besichtigt, und es war nicht bei dem ersten Treffen dort geblieben. Wie sie gehört hatte, verliefen diese Zusammenkünfte immer in sehr ausgelassener Stimmung, und es kam dabei sogar zu Gesangseinlagen der Gruberbuben.

Auch Angela war pflichtschuldigst anfangs dazu eingeladen worden, doch sie lehnte entschieden ab. Sie passte nicht in diesen übermütigen Kreis, und ihre Angst, vor Niklas bloßgestellt zu werden, war so groß, dass sie auf ein Wiedersehen verzichtete. Obwohl sie sich vor Sehnsucht nach ihm verzehrte.

In den Pfingstferien begann sie damit, sich auf heimlichen Pfaden an den Stettnerhof heranzuschleichen. Schließlich fand sie ein Versteck hinter dichtem Buschwerk, von dem aus sie ungesehen beobachten konnte, was sich dort tat.

Niklas arbeitete unermüdlich. Wann immer sie ihren Beobachtungsplatz einnahm, hörte sie ihn in der Scheune hämmern. Manchmal trat er heraus, kühlte sich das erhitzte Gesicht und auch den nackten Oberkörper an dem spärlichen Rinnsal des Hofbrunnens.

Dann begann Angelas Herz wie rasend zu schlagen, und sie war so verzückt, dass sie den Atem anhielt.

Doch es war nicht so, dass ihre Nähe auf dem Stettnerhof unbemerkt blieb.

»Ich weiß net, Vater, ich hab dauernd das Gefühl, als ob mich jemand beobachtet«, sagte Niklas eines Mittags beim Essen.

»Vielleicht ein paar Dorfkinder, die jetzt in den Ferien nichts Besseres zu tun haben«, meinte Ambros und unterdrückte krampfhaft einen Hustenanfall.

»Die hätten sich net so lautlos verhalten, und irgendwann hätt sie auch die Neugier hierher getrieben«, wandte Niklas ein.

»Da hast recht. Ich werde mich am besten mal umschauen. Wer weiß, wer sich da herumtreibt«, schlug er vor.

»Sei vorsichtig, Vater.«

Ambros hatte die Angewohnheit, jeden Abend einen Rundgang zu unternehmen, und nun verlegte er ihn mehr in die Richtung, aus der man den Innenhof gut einsehen konnte. Zunächst entdeckte er nichts Auffälliges, aber als er einmal früher als üblich unterwegs war, schimmerte etwas Helles durch das Gebüsch.

»Mei, was ist denn das?«, murmelte er vor sich hin.

Vorsichtig näherte er sich, verbarg sich immer wieder hinter Baumstämmen, bis er ein junges Mädchen erblickte, das geduckt zwischen den Büschen kauerte und mit sehnsuchtsvoller Miene zu Niklas Stettners Werkstatt hinüberspähte.

Sie war so in ihrer Beobachtung gefangen, dass sie nichts um sich herum wahrnahm und auch nicht bemerkt hatte, dass er sich näherte. Ambros hätte beinahe laut aufgelacht. Das also war die Gefahr, die in den Wäldern lauerte! Ein junges Mädchen, fast noch ein Kind, das sich in seinen Sohn verschaut hatte!

Doch dann machte er eine ungeschickte Bewegung, und das junge Mädchen fuhr auf und blickte ängstlich um sich. Als es spürte, dass jemand in der Nähe war, bahnte es sich schnell einen Weg durch das Gestrüpp und verschwand fluchtartig, als hätte man es bei etwas Verbotenem ertappt.

»Was lachst du denn so in dich hinein, Vater?«, fragte Niklas beim Abendbrot.

»Ich hab heut den Schrecken des Waldes entdeckt. Du hast dich net getäuscht, Bub, es hat dich tatsächlich jemand beobachtet.«

»Hast du ihn denn erkennen können?«

»Ja, ja«, sagte Ambros lachend.

»Mach es doch net so spannend, Vater.«

Hier im Tal kannte man einander, selbst wenn man lieber seiner eigenen Wege ging. Und so hatte Ambros auch sofort gewusst, dass das seltsame junge Mädchen ins Bürgermeisterhaus gehörte.

»Die kleine Bernbacher, ich weiß nimmer, wie sie mit dem Vornamen heißt, hat hinter den Büschen gelauert, kannst du dir das vorstellen?«

»Ja, schon. Sie ist ein scheues, schüchternes Madel. Sie hat sich noch net mal mit den anderen hergetraut, und so ist sie halt in aller Heimlichkeit hergekommen.«

Niklas wusste selbst, dass diese Erklärung auf schwachen Füßen stand.

Ambros schnaubte.

»Ich glaub net, dass die an der Werkstatt interessiert ist.«

Niklas lachte ungläubig auf.

»Was willst du denn damit sagen? Die Angela ist doch noch ein halbes Kind, das arme kleine Hascherl.«

»So siehst du das. Aber wenn sie anfängt, um dich herumzustreichen, dann kommen die Leut schon auf Gedanken. Du weißt ja, was man von Künstlern und ihrer lockeren Moral immer behauptet«, wandte Ambros ein.

»Mal doch den Teufel net an die Wand, Vater. Ich hab net vor, mich mit dem Madel abzugeben. Die Angela tut mir halt leid, das ist alles.«

Damit musste sich Ambros zufriedengeben. Er brummelte noch etwas in seinen Bart, kam aber nicht mehr auf das Mädchen zu sprechen. Insgeheim nahm er sich vor, es zu verscheuchen, sobald er es wieder einmal in der Nähe des Hofes antraf.

Doch dazu sollte es nicht kommen. Angela war derart verstört, dass man ihr scheinbar so sicheres Versteck ausfindig gemacht hatte und wahrscheinlich auch dahintergekommen war, was sie dort gesucht hatte, dass sie von da an die Nähe des Anwesens mied.

Angela schämte sich nun auch dafür, Niklas so ausspioniert zu haben, obwohl es weniger die Neugier, sondern allein die unstillbare Sehnsucht ihres Herzens gewesen war, die sie dazu getrieben hatte.

***

Niklas war meistens so in seine anstrengende Arbeit vertieft, dass er sich um nichts und niemanden mehr kümmerte. Und wenn er einmal doch innehielt, versank er in Tagträumereien von bitterer Süße.

Maya war inzwischen mehrmals mit den Freunden da gewesen, und jedes Mal hatte ihre Gegenwart ihn mit fiebriger Erwartung erfüllt. Mit keinem Wort, mit keiner Geste hatte sie ihn ermutigt, aber das Spiel ihrer Blicke, die sich immer wieder fanden, lockte und versprach brennende Glut. Doch er wagte es nicht, den ersten Schritt zu tun, denn Severin war sein bester Freund, den er nicht unglücklich sehen wollte.

Aufseufzend ließ er seine Werkzeuge sinken, um sich ein wenig auszuruhen. Plötzlich hörte er leichte Schritte, und er wandte sich um.

Vor ihm stand Maya.

Sie trug einen bunten Sommerrock, der um ihre schlanken Beine schwang, und eine leichte weiße Bluse, die den Ansatz ihres Busens freigab. Ihre üppigen dunklen Haare fielen ihr in ihrer ganzen Lockenpracht auf die Schultern. Sie lächelte ihn an, und ihr Mund war wie eine leuchtende reife Frucht.

Noch nie hatte er eine so schöne Frau gesehen.

»Maya«, stammelte er.

Dann fasste er sich wieder und fragte: »Kommen die anderen noch nach?«

Wieder lächelte Maya, und in ihren Augen stand ein eigenartiges Licht, das ihn noch mehr verwirrte.

»Nein, ich bin allein.«

Geschmeidig ging sie auf ihn zu und fuhr mit der Hand sacht über seine Brust. Da konnte er sich nicht länger beherrschen, aufstöhnend umschlang er sie und zog sie hinab. Und sie versanken in einem Strudel der Leidenschaft.

Danach trafen sich Niklas und Maya, so oft es ihnen möglich war, in einer alten Jagdhütte der Bernbachers, die schon lange nicht mehr genutzt wurde. Maya legte große Vorsicht an den Tag, um ihre Beziehung weiterhin zu verschleiern, was Niklas, der ganz in ihrem Bann war, nicht hinterfragte.

Sie wartete an einem abgelegenen Waldparkplatz mit dem Auto auf ihn, und Niklas stieg ein, nachdem er sich mehrmals vergewissert hatte, dass niemand in der Nähe war. Dann fuhr Maya ihren kleinen Wagen geschickt auf einem Wirtschaftsweg in die Nähe der Hütte.

Niklas und Maya waren wie im Fieber. Je häufiger sie sich trafen, desto unersättlicher wurden sie, hatten immer mehr Mühe, sich voneinander loszureißen. Die Hütte war zu ihrem Paradies geworden, ein Zufluchtsort, wo sie sich ganz ihrer Leidenschaft hingaben und sie die Wirklichkeit nicht erreichen konnte.

Doch so ganz unbemerkt blieb es nicht, denn mit beiden ging während dieser Zeit eine Veränderung vor sich. Für Niklas hatte seine Kunst immer an erster Stelle gestanden, aber nun wurde er immer geistesabwesender und arbeitete nur noch mit Unterbrechungen.

Sein Vater machte sich große Sorgen um ihn. Es war ihm nicht entgangen, dass Niklas immer wieder für längere Zeit verschwand und dann sichtlich aufgewühlt nach Hause zurückkehrte, um dann wortlos in seiner Kammer oder in der Scheune zu verschwinden.

»Da steckt bestimmt ein Weiberl dahinter«, murmelte er immer wieder vor sich hin, »und das ist net gut für den Bub.«

Aber er wagte nicht, es laut zu sagen, hoffte, dass diese Liebe vorüberging wie ein heftiger Gewittersturm im Sommer.

Auch Severin hatte angefangen, Maya argwöhnisch zu beobachten. Sie schien jede Freude an ihrer bevorstehenden Hochzeit verloren zu haben und wich seinen Zärtlichkeiten mit einem gezwungenen Lächeln aus.

»Was ist mit dir, Maya? Für das Zölibat bin ich net geschaffen, und jetzt kommt es mir so vor, als wartet genau das auf mich, wenn wir heiraten«, sagte er eines Abends mit offenem Unmut, als sie ihn ziemlich brüsk zurückgewiesen hatte.