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Kanzlerin Angela ist wieder an Bord. Dabei hatte sie sich, nach mehreren Amtsperioden, schon fast an ihren Ruhestand gewöhnt. Doch nach überstandener Pandemie ruft das Wahlvolk erneut nach ihr - "Wir wollen unsere Angela wiederhaben!". Den Vorschlag des Chefs des Nachrichtendienstes (RND), sich "zu ihrer eigenen Sicherheit" chippen zu lassen, findet sie toll – aber: "Nicht ohne meine Dogge!" Bei einem späteren Eingriff werden jedoch die Chips, die äußere Merkmale, Eigenschaften und Charakter abspeichern, versehentlich vertauscht. Ein Wettlauf mit der Zeit beginnt, denn Hündin und Frauchen Angela werden sich auf dramatische Weise immer ähnlicher. Eine Tragödie scheint sich anzubahnen, zumal der größenwahnsinnige Chef des RND seine Stunde gekommen sieht. Doch hat die Kanzlerin noch einen Joker im Ärmel.
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Seitenzahl: 295
Veröffentlichungsjahr: 2024
ALS BUCHAUTOR
IST ES MIR WICHTIG,
DIE MENSCHEN
DAVOR ZU BEWAHREN,
IN EINER SCHUBLADE
ZU VERSCHWINDEN.
„Und - soll icke noch einen draufsetzen?“, wendet sich die krisenfeste Lady aus der Uckermark an ihr Volk. Dass man niemals nie sagen soll, bewahrheitet sich auch hier. Fast könnte sie einem leidtun, was ihr ein durchgeknallter Buchautor so alles noch zumutet – egal, Angela beißt sich durch … im wahrsten Sinn des Wortes.
Guido Sawatzki
Als die Kanzlerin sich in die Haare der Ministerin verbiss
Politsatire
Impressum © 2024 Guido Sawatzki
Umschlag, Illustration: Desdemona Winkler
Lektorat, Korrektorat: Desdemona Winkler
Alle Rechte vorbehalten
Die in diesem Buch dargestellten Figuren und Ereignisse sind fiktiv. Jegliche Ähnlichkeit mit lebenden oder toten realen Personen ist zufällig und nicht vom Autor beabsichtigt.
Druck und Distribution im Auftrag des Autors/Guido Sawatzki:
tredition GmbH, Halenreie 40-44, 22359 Hamburg, Deutschland
ISBN
Paperback
978-3-384-17118-4
Hardcover
978-3-384-17119-1
e-Book
978-3-384-17120-7
Großschrift
978-3-384-17121-4
Das Werk stellt eine überarbeitete Fassung des ursprünglichen Titels „Die gechippte Kanzlerin“ dar und ist, einschließlich seiner Teile, urheberrechtlich geschützt. Für die Inhalte ist der Autor verantwortlich. Jede Verwertung ist ohne seine Zustimmung unzulässig. Die Publikation und Verbreitung erfolgen im Auftrag des Autors, zu erreichen unter: tredition GmbH, Abteilung "Impressumservice", Halenreie 40-44, 22359 Hamburg, Deutschland.
Cover
Titelblatt
Urheberrechte
Personen
Prolog
Die Kanzlerin wird tätig
Nicht ohne meinen Hund
Ein Baum fällt um
Peinlichkeiten
Der Kanzlerin reicht‘s
Im Kanzleramt geht’s rund
Angela & Benedikt
Intrigen
Benedikt spannt die Gäule an
Die Staatsmacht rollt an
Weisskrauth zieht die Strippen
Steffi schluckt den Köder
Doolittle kommt an seine Grenzen
Benedikt lernt fliegen
Fertig zum kidnappen
Anrüchige Allianzen
Fluchtvorbereitung
Steffi wechselt die Seiten
Volle Fahrt voraus – es ist soweit
Die Flucht
Trügerische Sicherheit
Des Geheimdienstchefs letzter Trumpf
Gegenmaßnahmen
Fischbach offenbart sich
Angela und ihr Spiegelbild
Weisskrauths letzter Coup
Resümee einer Kanzlerin
Epilog
Über den Autor
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Über den Autor
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Personen
Dr. Angela Rost, Bundeskanzlerin in ihrer 6. Amtsperiode, die ihre rundlichen Formen gerne mit rosafarbenen Hosenanzügen unterstreicht.
Dogge Angela, von ihr heiß geliebtes „Schoßhündchen“ und ihre ständige Begleiterin.
Karlheinz Rost, Ehemann der Bundeskanzlerin, der in der Rangordnung erst ganz weit hinter Dogge Angela einen Platz im Herzen der Kanzlerin findet.
Antonius Fischbach, Kanzlerinnenvertrauter und Deutsch-Reichskanzleramtschef im Ministerrang, dem das Wohl der Kanzlerin über alles geht.
Dr. Oliver Weisskrauth, Präsident des Reichsnachrichten-dienstes (RND) und Spionagechef, Gegenspieler von Fischbach, Karrierehengst, intrigiert gegen die Kanzlerin, inszeniert sich gern als Frauenschwarm.
Benedikt Bierdümpfl, niederbayrischer Waldschrat, Ex-Lehrer für Naturkunde und Alleinversorger, hat ein Herz für alle Verfolgten dieser Welt, Beschützer der Kanzlerin.
Prof. Dr. Aloisius Doolittle, Chirurg, treuer und ergebener Freund der Kanzlerin seit DDR-Zeiten.
Steffi Mayrhofer, Reporterin bei Radio Bayernland, weiß ihren Charme bei Dr. Weisskrauth einzusetzen, Job besessen, ehrgeizig, kennt jedoch ihre Grenzen.
Erich Malzhuber, nicht untalentierter Fotograf und für Steffi unverzichtbarer Helfer, Freund und Mädchen für alles.
Edmund Lackner, Ex-Bayer, stolzer Besitzer einer Cessna und Betreiber einer Fluglinie auf Elba, unterstützt Benedikt und die Kanzlerin nach Leibeskräften.
Renata di Campesi, Edmunds Verlobte, betreibt auf Elba ein Agriturismo, hat das Herz auf dem rechten Fleck.
Friedrich Freisel, Hauptmann eines Sondereinsatzkommandos, langjähriger Ex-Mitarbeiter von Dr. Oliver Weisskrauth, diesem treu ergeben.
Markus Knödel, Landeshauptmann (Ministerpräsident), der mitten im Wahlkampf steht und sich im Glanze der Kanzlerin sonnt.
Oliver Bierstöckl, Stellvertreter des RND-Präsidenten, steht unbedingt loyal zur Kanzlerin.
Prolog
Die einen gaben ihr den Beinamen „Krisenkanzlerin“, die anderen nannten sie schlicht „Das Chamäleon“. Weder das eine noch das andere war als Kompliment gedacht, im Gegenteil. Ohne Krise, so die vorherrschende Meinung, gäbe es diese Kanzlerin nicht – oder zumindest nicht mehr. Und das wiederum habe nur deshalb so gut geklappt, weil sie so schnell, dass die andern es kaum bemerkten, auf Du und Du mit der jeweiligen Krise war, sprich: Sie machte sich eins mit der Krise und weichte sie quasi von innen her auf … also gleichsam wie einen Mürbteigkuchen mit Butterstreuseln. Das war mit dem Euro so, als die Sache mit Griechenland auf der Kippe stand, aber auch bei der Flüchtlingskrise 2015. Und jetzt, nachdem ihr Nachfolger mitsamt seinen begnadeten Mitstreitern den Karren „Deutsch-Reichsland“ an die Wand gefahren hatte, war aus der „Rentnerin Angela“ erneut „Angela die Kanzlerin“ geworden.
Doch obwohl jetzt einige Nüsse mehr zu knacken waren – dessen war sie sich durchaus bewusst -, war sie auch in dieser Situation die Ruhe selbst geblieben. Das wiederum trieb andere zur Weißglut.
„Sie braucht einfach immer willfährige Helfer – oder genügend Trottel, die ihr mit ihrer ekelhaft transusigen Art auf den Leim gehen“ – dieser Satz wurde Dr. Oliver Weisskrauth, seines Zeichens Präsident des RND (Reichsnachrichtendienst) zugesprochen. Seitdem betrachtete die Kanzlerin ihn, wenn nicht als Erzfeind, so aber immerhin als jemanden, dem man auf die Finger schauen musste. Dank ihres unvergleichlichen Geschicks, sich mit den richtigen Leuten zu umgeben – keiner zu schwach, aber auch ja keiner zu stark – schaffte sie jedes Mal den Spagat, sich aus einer Krise herauszumanövrieren.
„Same procedure as last year?“ - Fast fühlte sich Angela Rost bei einer Wiederwahl wie in dem schon legendären Silvestersketch mit Butler James und Miss Sophie. Und treu und brav spielte sie weiterhin ihre Rolle. Irgendwie ein wenig langweilig, musste sie manchmal schon denken. Fast musste sie aufpassen, dass sie bei der Vereidigungsformel am Schluss nicht antwortete, „same procedure as every year“.
Die Kanzlerin wird tätig
Angela Rost war gerade zum mittlerweile x-ten Mal – sie hatte längst mit dem Zählen aufgehört - zur Bundeskanzlerin von Deutsch-Reichsland gewählt worden. Sowohl sie als auch das Wahlvolk akzeptierten dies schicksalsergeben als mittlerweile unabänderliche Tatsache. Zum einen hatte es regelmäßig an weiteren, geeigneten, also vergleichbaren Kandidaten gemangelt, zum anderen war da noch das Mysterium, dass just in den Monaten vor der alles entscheidenden Wahl irgendeine Krise buchstäblich wie aus dem Nichts auftauchte. Hier kam dann jedes Mal die bewährte hausbackene Art der Kanzlerin zum Tragen, so dass der jeweilige Problemfall fast so schnell wieder verschwand wie er gekommen war. Nun gut, eine Ausnahme war natürlich die Corona-Pandemie gewesen – eine gefühlte Ewigkeit war das her.
Diesmal jedoch war alles ganz anders. Wie nie zuvor schienen die globalen, politischen wie wirtschaftlichen Krisen ihr geliebtes Deutsch-Reichsland in den Würgegriff nehmen zu wollen; auch schienen die Menschen zunehmend verunsichert. Ihrem Volk fehlte sowohl die Perspektive als auch die geeignete Führung, die das fehlende Vertrauen wiederherstellen konnte. Davon war sie überzeugt. Nicht umsonst hatte das Volk – ihr (!) Volk – auf den Protestmärschen immer wieder skandiert, „Wir wollen unsere Angela wiederhaben, wir wollen unsere …!“.
Ja - und jetzt war ja sie wieder da … Angela, die Kanzlerin!
Trotzdem war sie sich ganz, wirklich ganz sicher, dass dies ihre letzte Amtszeit sein würde. Zwar wusste davon bisher noch niemand – nicht einmal ihrem Ehegatten hatte sie etwas in dieser Richtung auch nur angedeutet -, aber ihr Entschluss stand unverrückbar fest. Genug war genug.
Da passte ihr ein ganz spezieller Wunsch des RND (Reichsnachrichtendienst) tadellos ins Konzept. Allem, was Digitalisierung betrifft äußerst aufgeschlossen, fand sie an dessen Vorschlag, sich chippen zu lassen, nichts Ungewöhnliches. Im Gegenteil. Sie war regelrecht hingerissen und wunderte sich, weshalb man erst jetzt darauf gekommen war. Endlich eine Möglichkeit in Sicht, der beinahe schon tödlichen Langeweile zu entkommen – und mit Paukenschlag und Trommelwirbel der politischen Bühne adieu zu sagen.
Außerdem - für jeden normal Sterblichen lagen die Vorteile doch absolut klar auf der Hand. Beispielsweise ließen sich mit diesem implantierten Chip jederzeit ihre sämtlichen Identitätsmerkmale herauslesen. Er bestand aus einer speziellen Legierung, die aus Mondmaterial herausgeschmolzen worden war und die jeglicher Fremdeinwirkung widerstand. Zusätzlich verfüge das „Ding“, wie man ihr erklärte, über eine gewisse Selbstheilungsfunktion – will heißen: Sollte irgendein Teil ihres Organismus ausfallen, würde unmittelbar ein Notprogramm in Gang gesetzt. Dieses beinhalte die sofortige Aktivierung von gespeicherten, im Hintergrund mitlaufenden Kopien ihres Originalzustandes. Außerdem würden die seit der Implantierung stattgefundenen Veränderungen der betroffenen Person automatisch gelöscht, was unter Umständen allerdings nicht ganz ohne Komplikationen abginge und womöglich über einen längeren Zeitraum andauere.
„Also eine Art Rettungsanker?“, hatte die Kanzlerin den Programmierer noch gefragt. „Ja, auf jeden Fall – aber natürlich nur, wenn Sie zu dem Zeitpunkt noch in der Lage dazu sind, nachvollziehbare Entscheidungen zu treffen – also Ihr Gehirn noch nicht allzu sehr manipuliert wurde“, hatte der vielbeschäftigte junge Mann noch kurz und bündig geantwortet. Dann hatte er ihr den Umschlag mit der Gebrauchsanleitung und Funktionsweise des Chips in die Hand gedrückt, bevor er zum nächsten Termin eilte.
Für Angela Rost als Physikerin, also Frau vom Fach, war alles total logisch, so dass sie sich spontan einverstanden erklärte. Ihr Vertrauen in die Technik und in den Staatsapparat, dem sie schließlich vorstand, war tatsächlich grenzenlos, ganz abgesehen von der Vorbildfunktion, die sie gerne ausübte.
Nicht ohne meinen Hund
„Icke habe nicht nur vollstes Vertrauen in unsere deutsche Technik – unsere nationalen AnstrengungIen der letzten Jahrzehnte sollten sich, meine icke, ausgezahlt haben -, sondern auch in Euch alle, meine Kinder!“ bekräftigte sie ihre Entscheidung und verfiel dabei, so emotional aufgewühlt, wie sie sich fühlte, in ihren ureigensten Berliner Dialekt. Ihr komplett angetretenes Team, bestehend aus der gesamten Reichstagsfraktion sowie ihrem persönlichen Beraterteam, klatschte begeistert in die Hände. „Hoch, hoch … hoch!“ riefen alle durcheinander.
‚Kinder – ha!‘ empörte sich insgeheim Dr. Oliver Weisskrauth. Mit einem erzwungenen Lächeln führte er im Zeitlupentempo die Hände zusammen. Klatschen sieht anders aus, fand Antonius Fischbach, einer der engsten Vertrauten der Kanzlerin und nebenbei, fast zwangsläufig, Kanzleramtschef. In diesen Tagen ließ er diesen Dr. Weisskrauth wohl besser nicht aus den Augen.
„Eine Bedingung habe ich aber noch: Ihr alle wisst, dass ich mit meinem Hündchen hier all die Jahre durch Dick und Dünn gegangen bin. Deshalb soll meinem kleinen Liebling ebenfalls solch ein Chip unter die Haut appliziert werden. Und das ist mein unumstößlicher Wille!“
Als sie dann noch, wie zur Bestätigung, ihre Hände zu einer Raute faltete, war spätestens jetzt jedem klar: Widerspruch war nahezu – oder eigentlich besser: vollkommen - unmöglich. Der „kleine Liebling“, eine schwarz-weiss gefleckte riesige Dogge, lag während der kurzen Ansprache entspannt zu ihren Füßen. Lediglich ein sachtes Seufzen ließ ihre Lefzen leicht erbeben. Die senkrecht gestellten Ohren, die wie Speerspitzen wirkten sowie ihr halb geöffnetes Maul, in dem im Oberkiefer die dolchartigen Eckzähne jedem potenziellen Feind eine eindringliche Warnung zukommen ließen, signalisierten höchste Aufmerksamkeit. Den wachsamen bernsteinfarbenen Augen entging nicht die kleinste Kleinigkeit.
Nun muss man wissen – und jede und jeder Einzelne in der Umgebung der Kanzlerin wusste es -, dass die Hündin bei ihr die erste Geige spielte. Ihr Ehemann Karlheinz dagegen … hm … wollte man sehr, aber wirklich sehr großzügig sein, stand in der zweiten Reihe.
„Blass, blasser, am blassesten“ witzelte Dr. Weisskrauth gelegentlich über die „linke Hand“ seiner Chefin. Er selbst betrachtete sich als die legitime, rechte, sah sich ihr gegenüber aber immer in der Rolle des loyalen Dieners – wenngleich ihm das, zugegebenermaßen, zunehmend schwerfiel.
So fand er den Wunsch seiner Chefin, die Dogge ebenfalls zu chippen, zwar ungewöhnlich, hatte aber im Moment kein ernsthaftes Gegenargument zur Hand. Darüber hinaus hatte er der Kanzlerin ("bei meinem Ehrenwort") versichert, dass der Kreis derer, die von der Chip-Aktion wüssten, zumindest was seine Behörde anbelangte, auf zwei Personen beschränkt sei - auf ihn selbst und seinen Stellvertreter Oliver Bierstöckl. Auch sei es angeraten, hatte er sie ausdrücklich darauf hingewiesen, dass sie, die Frau Bundeskanzlerin, dieses Wissen ebenfalls keiner weiteren Person zugänglich machen dürfe. Laut einer schriftlichen Anweisung von Dr. Weisskrauth sollte nicht einmal der Chirurg wissen, wen er da vor sich auf dem OP-Tisch liegen habe - hierzu würde sie eine eigens für ihr fülliges Gesicht angefertigte hautenge Maske tragen. „Nu ja – Maske tragen sind wir ja mittlerweile gewöhnt, meenen se nich ooch, Herr Präsident?“. Dr. Weisskrauth konnte da nur süßsauer lächeln. Wie immer.
Ein bisschen Mitgefühl hätte der aber schon mal zeigen können, dachte die Kanzlerin bei sich. Zwar hatten sie diese ominösen, schrecklichen Monate der Pandemie längst hinter sich, in denen die Menschheit Gefahr lief, ihre Menschlichkeit an jenes unbarmherzige Killervirus namens Corona zu verlieren und vor allem die großen Industrienationen ihr Volk quasi in Isolationshaft nahmen. Lange hatte es danach gedauert, bis in den Demokratien das Vertrauen in den Staat einigermaßen wiederherstellt war.
Andererseits hatten damals die Geheimdienste weltweit zum ersten Mal ausgiebig Gelegenheit, ihre Überwachungssysteme zu testen und zu perfektionieren.
Apropos „geheim“: Nach der heutigen Ansprache der Kanzlerin im so genannten „kleinen Kreis“ jedoch – und dazu kannte Oliver Weisskrauth das Fußvolk hier mittlerweile zu gut – war freilich jegliche Geheimhaltung überflüssig geworden. Weisskrauth raufte sich die Haare – natürlich nur still und leise in Gedanken versteht sich. Weshalb nur, fragte er sich frustriert, musste diese Zicke von Kanzlerin ihn immer und immer wieder bloßstellen? Hatte er sie nicht ausdrücklich darauf hingewiesen, dass nur ihre engsten Vertrauten über die Chip-Aktion informiert sein sollten!
Wie passend - gleich zwei 'Oliver' an der Spitze, stellte die Kanzlerin fest. Was würde, dachte sie in dem Moment, der RND-Heini wohl sagen, wenn er wüsste, dass ihre Hündin ebenfalls nur auf einen Namen hörte: Angela! Dass dieser Dr. Weisskrauth ihr vorschreiben wollte, wem sie von der Chip-Aktion erzählen dürfe und wem nicht, fand sie außerdem reichlich unpassend - um nicht zu sagen, unverschämt. Überhaupt hatte er bei seiner Aufzählung der Personen, die von dieser Aktion Kenntnis hatten, den Chefarzt und Chirurgen, Prof. Dr. Aloisius Doolittle, vergessen. Zwar würde der nicht wissen, dass es die Kanzlerin war, die da vor ihm lag, aber ohne ihr uneingeschränktes Vertrauen in seine charakterlichen und chirurgischen Fähigkeiten hätte sie der Implantierung kaum zugestimmt. Außerdem waren sie alte Bekannte aus DDR-Zeiten. Nein, dass sie die Sache mit dem Chip heute so herausposaunte, damit hatte Weisskrauth bestimmt nicht gerechnet. Die Kanzlerin lachte sich ins Fäustchen.
Außerdem – eigentlich sollten doch zumindest ihre eigenen Leute aus langjähriger Erfahrung wissen, dass sie, Angela Rost, immer noch für jede Überraschung gut war. Ja, sie würde sich ihren Joker bis zu allerletzt aufbewahren.
Gleichzeitig hatte sie mit ihrer jetzigen kleinen Stichelei dem „Herrn Präsidenten“ deutlich klar gemacht, wer hier das Sagen hatte. "Die Verantwortung für diese Aktion sowie für die Weitergabe von Informationen trage letztendlich ich. Das ist aber sicherlich auch Ihnen klar, Herr Dr. Weisskrauth - oder?". "Selbstverständlich, Frau Bundeskanzlerin. Entschuldigen Sie bitte", gab dieser kleinlaut zurück. "Und sollte bei der ganzen Sache irgendetwas schieflaufen, Weisskrauth, mache ich Sie persönlich dafür haftbar. Persööönlich!", legte die Regierungschefin nach. Spätestens da wurde Dr. Oliver Weisskrauth wieder einmal klar, an welch dünnem Faden doch seine Karriere hing.
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Der reiskorngroße Chip sitze in der Nadel einer Spritze, die normalerweise für größere Tiere verwendet werde. Die kleine Wunde verheile innerhalb von zwei Tagen, hatte Prof. Dr. Doolittle der Bundeskanzlerin erklärt. "Der Eingriff dauert gerade mal zehn Minuten und schmerzt nicht mehr als ein Bienenstich", beruhigte der Arzt seine Patientin weiter. Er wählte seine Worte so neutral wie möglich, weil ihm die Identität seiner Patientin verschwiegen worden war. Lediglich von einer hochrangigen Persönlichkeit hatten die Geheimdienstler ihm etwas vorgefaselt. Natürlich hatte sich Aloisius Doolittle so seine Gedanken gemacht, aber er tippte da eher auf eine Staatssekretärin, die sich auf dieses Experiment eingelassen hatte. Was taten Politiker nicht alles für den Aufstieg auf dem Karrieretreppchen. Doolittle seufzte.
Die Prozedur selbst, das zeitgleiche Chippen der beiden Angelas, ging flott vonstatten, sofern man davon absah, dass zuvor Angela die Dogge erst noch hatte betäubt werden müssen. Der Tierarzt, der der vierbeinigen Angela den Mikrochip implantieren sollte, hatte sich zunächst beharrlich geweigert, diesen an sich minimalen chirurgischen Eingriff ohne eine zuvor verabreichte Beruhigungspille in Form von Angelas Lieblingsleckerlis - große getrocknete Rinderohren - durchzuführen. So furchterregend und drohend hatte die Dogge auf ihn gewirkt, vor allem dann, wenn sie ihr Gegenüber mit blutunterlaufenen Augen fixierte und dabei ihre Lefzen zurückzog. Allein der Anblick der dadurch freiliegenden mörderischen Zahnreihen hätte jeden Zweibeiner augenblicklich in Bewegungsstarre versetzt.
Erleichtert sah Kanzlerin Angela Rost von ihrem Krankenbett in der gegenüberliegenden sterilen zeltähnlichen Box dem erfolgreichen Bemühen des Tierarztes zu. "Brav, brav …" flüsterte sie dabei und winkte ein ums andere Mal beruhigend in dessen Richtung, wobei sich der Arzt nicht ganz sicher war, ob der Hund gemeint war oder er. Jegliche Kommunikation wurde vor allem auch aufgrund der Maske, die auf dem Gesicht der Kanzlerin lag, erschwert.
Ein Baum fällt um
Wenige Tage später:
Am Rande eines Wahlkampfauftritts in Niederbayern - die UIPD (Urchristliche identitäre Partei Deutschlands) peilte bei der anstehenden bayerischen Landtagswahl erneut die absolute Mehrheit an - sollte die ehrenwerte Frau Bundeskanzlerin offiziell und feierlich die Holzernte eröffnen. Ihre bayerische Schwesterpartei, die UIPDB, zugleich der kleinere Koalitionspartner in Deutsch-Reichsland, wurde durch den Landeshauptmann Markus Knödel vertreten, der unlängst seinen Vorgänger, den hochbetagten Horst Seegruber - böse Stimmen hatten diesem hinter vorgehaltener Hand schon seit langem eine ausgeprägte Senilität vorgehalten - im Amt abgelöst hatte.
Folgende Anmerkung sei an dieser Stelle gestattet: Früher hatte das ja noch 'Ministerpräsident' geheißen; aber im Zuge der politischen Annäherung ans Nachbarland Austria - früher 'Österreich' - hatte man kurzerhand die Ämter umbenannt. Und außerdem - offiziell war das zwar noch nicht, doch die Mehlschwalben zwitscherten es fast von jedem bajuwarischen Misthaufen in dieser reichsdeutschösterreichischen Grenzregion - war die angestrebte Angliederung, pardon: Wiedervereinigung, schon lang in aller Munde. Lediglich die Sozen wollten das immer noch nicht kapieren. Wenig verwunderlich, dass die im Deutsch-Reichslandtrend mittlerweile an der 5-Prozent-Marke entlang schrammten, rief sich Angela Rost hochzufrieden ins Gedächtnis, während sie dem Landeshauptmann die fleischige, dezent rosa gepuderte Hand entgegenstreckte. Der führte sie an seine Lippen und hauchte ihr vorbildlich einen zarten Kuss darauf.
Den RND-Präsidenten, der sich schräg hinter Markus Knödel postiert hatte, wollte die Kanzlerin dabei eigentlich geflissentlich übergehen. Doch den Augenblick nutzend, als sie weitergehen wollte, meldete sich Weisskrauth geschickt zu Wort: "Also Ihre neue Frisur mit diesen rötlichen Strähnchen steht Ihnen wirklich außerordentlich gut, Frau Bundeskanzlerin."
"Nanu, Herr Dr. Weisskrauth, fast hätte ich Sie übersehen. Überhaupt, was macht eigentlich der Geheimdienst hier?", entgegnete Angela Rost mit erhobener Stimme und rauschte hoheitsvoll in Richtung Rednerpult. Die Entourage wunderte sich. Weisskrauth‘s Gesicht war vor Ärger rot angelaufen. Abwarten, dachte er bei sich, irgendwann kommt auch meine Zeit.
Dogge Angela registrierte Knödels Handkuss mit einem leisen, kaum hörbaren eifersüchtigen Knurren. Doch schon war die Hand ihres Frauchens bei ihr und strich ihr liebevoll übers glatte Fell. „Aber, aber, du hast mir doch gerade noch die ganze Hand abschlecken dürfen!“
Oliver Weisskrauth hatte die Szene nicht minder aufmerksam verfolgt. Irgendetwas kam ihm dabei komisch vor. Doch was war das? Nun, sein geschulter analytischer Verstand würde ihn schon noch auf die rechte Spur bringen.
Nach außen hin wurde der ganze Aufwand betrieben, um die Bedeutung des aktuellen Anlasses, die traditionsgemäß an diesem Tag startende Holzernte im niederbayerischen Forst mit einem angemessenen Quantum Würde und Staatsgetragenheit zu feiern. Allerdings wusste jeder, dass der Landeshauptmann Gelegenheiten wie diese ausgiebig nutzte, um sich für die anstehenden Landtagswahlen in Position zu bringen.
Alles wäre wie üblich, also entsprechend dem einstudierten Prozedere verlaufen, wenn da nicht wie aus dem Nichts diese verflixte Kameradrohne eines Reporters der reichsdeutschen Berliner Zeitung über den Köpfen der Festgäste am Blau des Himmels aufgetaucht wäre, während die Bundeskanzlerin ihre Ansprache hielt. Dogge Angela hatte sich dadurch derart provoziert gefühlt - das konnte man in diesem Moment mit Sicherheit annehmen -, dass sie ihre gute Erziehung und die Rücksichtnahme auf ihr Frauchen, pardon, die Frau Bundeskanzlerin und die andächtig lauschende, fröhlich gestimmte Gesellschaft komplett über den Haufen warf. Und zwar allumfassend - will sagen: die Dogge zerrte derart heftig an der Leine, mit der sie am Rednerpult angebunden war, dass das aus niederbayrischer Fichte angefertigte, und speziell für Außeneinsätze und zum bequemeren Transport in Leichtbauweise hergestellte Holzgestell umgerissen wurde. Zu allem Überfluss schleifte die mit fliegenden Lefzen davonhetzende Hündin das Pult jetzt auch noch hinter sich her.
Dies allein lässt sich noch nicht als Auslöser für die nachfolgende Katastrophe ausmachen. Aber der zu diesem Anlass eigens engagierte Forstwirt Adalbert Hinterseer hatte den Knall, mit dem das Pult auf den Boden prallte, als Signal für seinen staatstragenden Einsatz interpretiert. Auf ein Zeichen hin – leider hatte ihm keiner vorher verraten, in welcher Form dies erfolgen würde - sollte er nämlich einer gewaltigen, zuvor mit einem sorgfältig durchgeführten, die Fallrichtung bestimmenden Fällschnitt präparierten 20-Meter-Fichte, den entscheidenden, ihr Leben beendenden Schlag versetzen. Mit einem einzigen, energischen Hieb durchtrennte er die letzten, die Fichte noch aufrechthaltenden Fasern und der Baum neigte sich schwerfällig in Richtung des heranstürmenden, eigensinnigen Hundes.
Bleibt noch hinzuzufügen, dass unser Forstwirt - seinen Namen hier nochmals zu erwähnen wäre angesichts der als schicksalhaft zu bezeichnenden Ereignisse der kommenden Monate wohl doch zu peinlich - offensichtlich nur deshalb derart unglücklich reagiert hatte, weil bis dahin bereits einige Stamperln Zirbenschnaps seine Kehle hinuntergeflossen waren. Aber schließlich hatte er auch schon erheblich länger als alle anderen in der spätherbstlichen Kälte ausharren müssen - von der Mühsal der Vorbereitungen ganz zu schweigen.
Angela Rost, welche blitzschnell die Gefahr erkannte, dass ihre tierische Namensvetterin von dem fallenden Baum aufgespießt oder zerquetscht werden könnte, ließ jegliche Contenance und politische Rücksichtnahme außer Acht. Unter den mehr oder minder panischen Schreien der erschrockenen Zuschauer rannte sie ihrer Dogge hinterher, so schnell es ihr der prall sitzende rosafarbene Hosenanzug erlaubte.
Dass sie mit ihren hohen Absätzen bereits nach wenigen Metern in dem, an dieser Stelle leicht morastigen Waldboden stecken blieb, vermochte die gestandene Frau nicht von ihrem Vorhaben abzubringen. Voller Panik und in allerhöchster Sorge um ihr heiß geliebtes Schoßhündchen schlüpfte sie aus dem lästigen Schuhwerk und versuchte - Baum hin, Baum her - ihrer Dogge zu folgen. Doch das Verhängnis nahm bereits seinen Lauf: Die stürzende Fichte hatte den Waldboden schon fast erreicht. Unter lautem Krachen verschlangen ihre Äste die beiden Angelas direkt vor den Augen der entsetzten, geradezu wie betäubt wirkenden und in unterschiedlichsten Tonlagen und Nuancen aufstöhnenden Festgemeinde.
Danach? Bleierne Stille. Lediglich Forstwirt Hinterseer konnte einen spontanen Kommentar nicht unterdrücken: „Oha.“
Landeshauptmann Knödel zählte wohl zu den ersten, die es schafften, die Erstarrung abzuschütteln und laut um Hilfe zu rufen - zumindest echote er dies später ein ums andere Mal in die ihm reihenweise entgegengestreckten Mikrofone der Radiound Fernsehanstalten aus ganz Deutsch-Reichsland und der halben Welt.
Erschreckt ließen die beiden für die Veranstaltung verpflichteten Rotkreuzler, die es sich in ihrem Rettungsfahrzeug hundert Meter vom Unfallort entfernt gemütlich gemacht und von alledem nichts mitbekommen hatten, ihre Brotzeit fallen. Nachdem sie sich pflichtschuldigst (nach einem letzten verzweifelten Schluck Kaffee) ihre Rettungsrucksäcke übergeworfen hatten, mussten sie zu ihrem Leidwesen feststellen, dass sich die Fichte so saudumm quer über die einzige befahrbare Straße gelegt und außerdem noch zwei weitere Bäume mitgerissen hatte, sodass sie mit dem Rettungsfahrzeug von ihrer Seite aus nicht bis an die Unglücksstelle heranfahren konnten.
Ob denn nicht Kollegen eventuell von der anderen Seite her anfahren könnten, fragten sie vorsorglich über Funk nach. Dann würde auch der Abtransport der Leichen - denn von ebensolchen gingen sie nach ihren bisherigen Erkenntnissen noch aus - leichter vonstattengehen. Schließlich sei die Frau Bundeskanzlerin bekanntermaßen nicht gerade ein Leichtgewicht … und dann noch ihr Riesenvieh. Überhaupt benötige man dafür ein Spezialfahrzeug. Der Landeshauptmann, der sich in diesem Augenblick in unmittelbarer Nähe des empfangenden Funkgerätes befand, rastete vor Empörung über diese Respektlosigkeit fast aus. "Nennen Sie mir sofort Ihre Namen, Sie hirnloses Pack. Sie san es in keiner Weis' würdig, in unserer vaterländischen Republik Deutsch-Reichsland so einen verantwortungsvollen Poschtn zu besetzen, Sie Rindviech, Sie!", brüllte er aufgebracht in das ihm gereichte Mikrofon.
"Groß … großräumig absperren!", wies Markus Knödel mit energischen, von Tatkraft strotzenden Worten die wenigen verfügbaren Beamten vom örtlichen Forstamt um sich herum an. "Ja - womit denn?", fragte verdutzt einer von ihnen in bemühtem Hochdeutsch. "Und außerdem, i hob mei Sonntagsg'wand an - so isch's ja schließlich befohl‘en worden!", widersprach er. Drei weitere, mit Silberknopf bewehrten schmucken Westen ausgestattete Kollegen nickten eifrig mit den Köpfen.
"Flexibilität, Herrschaften - Flexibilität!!!". Die Stimme von Landeshauptmann Knödel bekam einen zunehmend kreischend-schrillen, unheilvollen Unterton.
Sowohl die Rotkreuzler als auch die Forstler kamen zwar mit einiger Verspätung, aber letztendlich doch noch an den mittlerweile abgesperrten Unglücksort, hinter dessen rot-weißem Flatterband sich inzwischen die Fernsehteams drängelten.
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Im Deggendorfer Kreiskrankenhaus wurden an beiden Angelas zum Glück lediglich leichte Schürfwunden festgestellt. Aus Sicherheitsgründen, und weil er nicht über deren aktuellen Gesundheitszustand informiert war, ließ Dr. Weisskrauth vorsorglich bei beiden die kurz zuvor implantierten Chips wieder entfernen - natürlich unter strengster Geheimhaltung.
Dem jungen, ehrgeizigen Assistenten von Chefarzt Dr. Doolittle, dem mehr oder minder begabten Sohn eines Ossi-Ärzteehepaares, schärfte er ein, die beiden Chips, die sich zwar rein äußerlich aufs i-Tüpfelchen glichen, aber inhaltlich grundsätzlich unterschieden, ja nicht zu verwechseln.
„Verstehen Sie überhaupt die Bedeutung dessen, was ich Ihnen gerade zu erklären versuche – Sie Grünschnabel?“, fauchte Weisskrauth den jungen Arzt an, der sich für seinen Geschmack ziemlich tollpatschig anstellte.
Scheiß Wessi, dachte der im Stillen, dem werd‘ ich‘s zeigen. Glaubt der denn, er sei der Einzige, der seinen linken vom rechten Socken unterscheiden kann? Rechte Socke – ha! So wie der mich anglubscht, erwartet der jetzt wahrscheinlich noch von mir, dass ich vor ihm strammstehe. Alle Nazis haben sie offenbar doch noch nicht ausgerottet. Der hier wäre sicher so ein Fall.
„Was schauen Sie mich eigentlich so aufsässig an? Das sind nicht irgendwelche Chips. Haben Sie das kapiert?! Also – wie wollen Sie sicherstellen, dass hier nichts vertauscht wird? Haben Sie eine Idee?“ hakte Weisskrauth bissig nach.
Der junge Assistenzarzt griff nach einem gelben Malerband, riss zwei schmale Streifen herunter, und beschriftete den einen mit „Mensch“ und den anderen mit „Hund“.
„Hm, wirklich sehr einfallsreich“, lästerte Weisskrauth und verzog spöttisch das Gesicht. „Dann passen Sie nur auf, dass die Streifen auch halten. Ich persönlich würde für die Klebekraft von diesem Ossi-Zeug nicht unbedingt die Hand ins Feuer legen – so wie die Klebebänder aussehen, stammen die noch aus einer früheren Ostproduktion“, legte er spöttisch nach.
„Vertauschen … vertauschen …“ – Weisskrauth fiel jetzt wieder ein, was ihm bei jenem lächerlichen Handkuss dieses bayerischen Landeshauptmanns Knödel merkwürdig vorgekommen war. Richtig – der Ring. Der hatte gefehlt. Die Tradition des Handkusses hatte bekanntermaßen ihren Ursprung bei den frühen christlichen Würdenträgern, die ihren Siegelring immer an der rechten Hand trugen. Auch die Kanzlerin trug ihren Ehering eigentlich immer rechts. Warum diesmal nicht? „Seltsam“, murmelte der Geheimdienstchef vor sich hin.
Eine Erklärung dafür, das sei vorweggenommen, sollte er niemals bekommen. Seine diesbezüglichen Überlegungen waren somit eigentlich für die Katz. Doch auch das wusste er zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht.
Der junge Arzt, der mit seinem Gemurmel nichts anfangen konnte, streifte sein Gegenüber mit einem vernichtenden Blick, öffnete den Mund, klappte ihn aber gleich wieder zu. Von diesem Fiesling würde er sich seine Karriere nicht vermasseln lassen. Von dem nicht!
Sicherheitshalber legte er die beiden Chips zusätzlich in getrennten Schalen ab. Dies sollte seiner Meinung nach für den Chirurgen Hinweis genug sein, welcher Chip bei wem einzupflanzen war. Glaubte er zumindest!
Als drei Tage nach dem Unfallgeschehen an den beiden Patientinnen keine weiteren Verletzungen mehr festzustellen waren, wurden die Chips sauber zurück implantiert.
Peinlichkeiten
Jetzt hätten alle wieder zufrieden sein können - zuallererst Landeshauptmann Markus Knödel, dem hatte nämlich die ganze Geschichte und vor allem sein im Kameralicht geradezu bombastisch dargestellter Einsatz eine unerwartete Publicity und seiner Partei eine Rekordzahl an neuen Parteimitgliedern beschert. Allerdings begann sich die Bundeskanzlerin kurz nach dem erneuten Einsetzen des Chips, und zwar noch im Deggendorfer Kreiskrankenhaus, unwohl zu fühlen, begleitet von einem ständigen Verlangen, sich hinzulegen - und zwar auf den bloßen Boden, was vor allem bei ihren Repräsentationspflichten zu allerlei Peinlichkeiten führte, wie man sich vorstellen kann. Überdies hatte sie noch im Krankenhaus versucht, während eines Höflichkeitsbesuches der Ministergattin eines befreundeten Landes, diese in die Wade zu beißen. Nebenbei zeigte auch ihre Hündin, die Dogge Angela allerlei Merkwürdigkeiten. Beispielsweise stemmte sie immerfort ihre Hinterläufe in den Boden, gerade so, als wollte sie aufrecht gehen.
Eine Woche nach der Reimplantierung kam es zu einem unerhörten Zwischenfall: Bundeskanzlerin Dr. Angela Rost verbiss sich in die Haare der sambischen Ministerin Annegret Simcasoulou - übrigens eine frühere Miss Sambia -, die es sich nicht nehmen lassen wollte, der Patientin einen geheimen, aber nichtsdestoweniger ihrem beruflichen Fortkommen sicher nicht weniger dienlichen, um nicht zu sagen, höchst förderlichen Besuch am Krankenbett abzustatten. Damit dies auch ohne Störung geschehen konnte, hatte sie für das Krankenhauspersonal kleine Kuverts mit Geldbeträgen vorbereitet.
Der bedauerliche Vorfall am Krankenbett der Patientin geschah, als die Ministerin sich zu ihr herabbeugte, weil die Kanzlerin wohl etwas unschlüssig auf das mitgebrachte Geschenk, eine Dose handgepflückten original sambischen Tee gestarrt hatte.
„Watt soll icke denn damit – wa?“ Die Frage der Kanzlerin war vor allem deshalb so barsch ausgefallen, weil sie prinzipiell Frauen hasste, die mit einer üppigen Oberweite ausgestattet waren und alles dafür taten, damit auch aufzufallen. Als sich die sambische Ministerin dann in den Augen von Angela Rost auch noch provozierend nach vorn neigte, hatte die Kanzlerin mit blutunterlaufenen Augen ihr mittlerweile ungewöhnlich gewaltiges Gebiss entblößt und nach der üppigen, gelockten Haartracht der Ministerin geschnappt; und zwar so plötzlich, dass die schöne Sambierin zunächst vor Schreck keinen einzigen Ton herausbrachte.
Aber ihre dann folgenden, lauten und in die Länge gezogenen „Aaaaa … ooooaaaa … aaaaaa!“ verstanden auch diejenigen, die nicht in ihrem Land aufgewachsen waren - diese Wortbzw. Tonfolgen waren gewissermaßen international.
Zum Glück war Antonius Fischbach, der Vertraute der Kanzlerin und Chef des Deutsch-Reichskanzleramts zugegen und konnte Schlimmeres verhindern - wenngleich ein Büschel Haare im Maul pardon: Mund der Kanzlerin zurückblieb. Die Kopfhaut der Ministerin hatte glücklicherweise außer ein paar Kratzern nichts abbekommen, wie das Krankenhauspersonal nach der sofort eingeleiteten ärztlichen Untersuchung feststellte.
"Die Medikamente … verstehen Sie?", bekam Annegret Simcasoulou - ihre Großeltern waren übrigens ein Resultat der deutschen Kolonialzeit, daher der deutsche Vorname - als Grund für diesen merkwürdigen Vorfall zu hören. Zwar konnte die Ministerin den ausschweifenden Erklärungen der Ärzte nicht folgen, aber aufgrund des inständigen Bittens von Fischbach und mit Blick auf die durchaus als gut zu bezeichnenden zwischenstaatlichen und exzellenten wirtschaftlichen Beziehungen, gab die geschockte Frau schließlich ihr Ehrenwort, nichts von dem Erlebten nach außen zu tragen. Ein nochmaliges Treffen mit der Kanzlerin lehnte sie jedoch "at the current time“ („zum gegenwärtigen Zeitpunkt") ab.
„No, thank you …“ – der wieder erwachte Redefluss von Annegret Simcasoulou stoppte abrupt, musste sie doch mit ansehen, dass die Hündin, die neben dem Krankenbett ihres Frauchens wachte, während des gesamten Geschehens völlig ruhig im Schneidersitz verharrte, wobei ihre Pfoten eine Raute bildeten, also die Lieblingsgeste ihres Frauchens. Dass ein Tier die Verhaltensmuster seiner Besitzerin so haargenau nachahmen konnte, hatte die Ministerin mehr als nur verblüfft. Im Nachhinein war sie geradezu entsetzt. Fluchtartig verließ sie das Krankenhaus.
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Zunächst fasziniert, dann aber voller Verwunderung und Besorgnis beobachtete das Krankenhauspersonal die zunehmende Tendenz der Kanzlerin, sich zunächst gebückt, dann auf den Knien und schließlich kriechend fortzubewegen. Auch mied sie die Toilette und wollte ständig das Bein heben, um ihr „Geschäft“ zu verrichten. Dogge Angela dagegen wurde öfter vor der Damentoilette beobachtet, wo sie versuchte, mit beiden Pfoten die Türklinke herunterzudrücken. Natürlich wurde dies der Bundeskanzlerin mitgeteilt, die jedoch erstaunlicherweise keinerlei Anstoß daran nahm. Vielmehr wies sie den Deutsch-Reichskanzleramtsunterstaatssekretär, - der hatte sie auch auf das Verhalten ihrer Hündin aufmerksam gemacht - an, dafür zu sorgen, dass die Dogge auch dort freien Zugang erhielt.
"Das erledigen Sie doch bitte für mich, Herr ääh … ja?!". Die Art, wie die Kanzlerin das sagte, mit einem geradezu knurrenden Unterton, hatte, wie der Deutsch-Reichskanzleramtsunterstaatssekretär für sich vermerkte, nichts mehr von dem früheren, vordergründig jovialen Umgangston an sich.
Beide Angelas wirkten nach der OP unzertrennlicher als je zuvor. "Wir beide bleiben zusammen, was immer auch geschieht - nicht wahr?", habe die Kanzlerin laut einer Krankenschwester ihrer Hündin zugeflüstert, als sie sich unbeobachtet gefühlt habe. Auch schienen die beiden auf ungewöhnlichem Wege, nämlich telepathisch, zu kommunizieren.
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Nachdem niemand mehr die verstörenden Symptome übersehen konnte - selbst die Krankenschwestern wagten sich inzwischen nicht mehr allein in das Zimmer der beiden Angelas -, erklärte Dr. Doolittle, unter dessen Obhut sich die Kanzlerin befand, die gesamte Station zum absoluten Sperrgebiet. Mittlerweile hatte man ihm notgedrungen die Identität seiner Patientin offenbart, was ihn zu einem spontanen Wutausbruch nötigte, wo er doch so stolz auf die persönliche Bekanntschaft mit der Regierungschefin war.