Als in Innsbruck die Sirenen heulten - Michael Svehla - E-Book

Als in Innsbruck die Sirenen heulten E-Book

Michael Svehla

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Beschreibung

Der Verlauf und die Auswirkungen der Bombenangriffe auf Innsbruck in den letzten drei Jahren des Zweiten Weltkriegs.In den Jahren 1943-1945 erlebte Innsbruck zahlreiche Luftangriffe, Hunderte Menschen wurden damals getötet oder verletzt. In seinem reich bebilderten Buch skizziert Michael Svehla den Verlauf der Angriffe, er beschreibt das Ausmaß der Zerstörungen und Verteidigungsmaßnahmen und die Sofortmaßnahmen für die ausgebombte Bevölkerung. Damit gibt der Autor einen lebendigen Einblick in den Alltag zwischen drohendem Angriff, Fliegeralarm und Bombenkeller, der ergänzt wird von Berichten von ZeitzeugInnen. Darüber hinaus beschreibt Michael Svehla die Wiederaufbau-Tätigkeiten und deren Auswirkungen auf Stadtentwicklung und Stadtbild. Bilder aus der Zeit vor dem Krieg, Aufnahmen von den Bombenschäden und zeitgenössische Fotos der heutigen Stätten der damaligen Zerstörung werden einander gegenübergestellt. Diese Bilddokumentation zeigt anschaulich, wie sehr die Bombenangriffe das Antlitz Innsbrucks verändert haben.

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MICHAEL SVEHLA

ALS IN INNSBRUCK DIE SIRENEN HEULTEN

LUFTANGRIFFE 1943–1945

VERÖFFENTLICHUNGEN DES INNSBRUCKER STADTARCHIVS, NEUE FOLGE 67

MICHAEL SVEHLA

Als in Innsbruckdie Sirenen heulten

Luftangriffe 1943–1945

Universitätsverlag Wagner

Inhaltsverzeichnis

DANK

VORWORT

I. DIE AUFSTELLUNG DER 15. US-LUFTFLOTTE UND DER EINSATZABLAUF EINES LUFTANGRIFFES

II. DIE LUFTANGRIFFE AUF DIE STADT INNSBRUCK

1. Angriff vom Mittwoch, 15.12.1943

2. Angriff vom Sonntag, 19.12.1943

3. Angriff vom Dienstag, 13.6.1944

4. Angriff vom Freitag, 20.10.1944

5. Angriff vom Donnerstag, 26.10.1944

6. Angriff vom Mittwoch, 15.11.1944

7. Angriff vom Donnerstag, 16.11.1944

8. Angriff vom Samstag, 25.11.1944

9. Angriff vom Donnerstag, 30.11.1944

10. Angriff vom Sonntag, 3.12.1944

11. Angriff vom Donnerstag, 7.12.1944

12. Angriff vom Freitag, 15.12.1944

13. Angriff vom Samstag, 16.12.1944

14. Angriff vom Dienstag, 19.12.1944

15. Angriff vom Montag, 25.12.1944

16. Angriff vom Freitag, 29.12.1944

17. Angriff vom Mittwoch, 14.2.1945

18. Angriff vom Freitag, 16.2.1945

19. Angriff vom Dienstag, 27.2.1945

20. Angriff vom Samstag, 7.4.1945

21. Angriff vom Dienstag, 10.4.1945

22. Angriff vom Freitag, 20.4.1945

Bilanz der Luftangriffe

III. MILITÄRISCHE VERTEIDIGUNGSMASSNAHMEN

IV. ZIVILE SCHUTZ- UND RETTUNGSMASSNAHMEN

1. Örtliche Luftschutzleitung 75

2. Vor dem Luftangriff 79

3. Nach dem Luftangriff 85

4. Bauliche Maßnahmen nach den beiden ersten Luftangriffen vom Dezember 1943

V. WIEDERAUFBAU

1. 1943–1945: Instandsetzung der Infrastruktur (Sofortmaßnahmen) 113

2. 1945–1959: Von der Schutträumung und dem Wiederaufbau der beschädigten Häuser bis zum Beginn der Stadterweiterung

3. Der Wiederaufbau am Beispiel der Bäckerei Hans Pietsch – Haspingerstraße 1

VI. BILDTEIL

1. Bombenruinen – einst und heute

2. Verblichene Spuren im Heute

VII. ANHANG

1. Aufstellung der Fliegeralarme in Innsbruck

2. Bombenplan mit allen Treffern

3. Aufstellung aller Schadenstreffer (schwer/total)

4. Chronologie der Wiederaufbauten/Neubauten 1946–1969

5. Bezeichnungen der Straßen und Plätze: damals – heute

6. Quellenverzeichnis

DANK

Ich möchte mich bei all jenen Zeitzeugen bedanken, die mir bereitwillig und ohne zu zögern ihre Zeit und ihre Erinnerungen geschenkt haben. Ohne sie wäre dieses Buch nicht derart lebendig geworden. Besonderen Dank möchte ich folgenden beiden Personen aussprechen: dem Verleger des Universitätsverlags Wagner, Herrn Markus Hatzer, der sich sofort begeistert zeigte von dieser Idee, und dem Leiter des Stadtarchives Innsbruck, Herrn DDr. Lukas Morscher, für sein stetes Interesse und die vielen kleinen, aber sehr entscheidenden Hinweise. Vielen Dank nochmals!

Schließlich gebührt der größte Dank meiner Frau Helga und meiner Tochter Anna, die mir ein Höchstmaß an Geduld und Toleranz entgegenbrachten. Ohne ihre Unterstützung hätte ich es nicht geschafft.

VORWORT

Am 15. Dezember 2018 jährt sich zum 75. Mal der erste Luftangriff auf Innsbruck im 2. Weltkrieg. Es gibt nur mehr sehr wenige Zeitzeugen, die sich an diese bedrohliche Zeit erinnern können. Manche sind bereit, über ihre Erlebnisse, ihre Eindrücke und auch Ängste zu sprechen: entweder, um sich davon zu befreien, oder einfach auch nur darum, damit es nicht vergessen wird. Wir, die Nachkriegsgenerationen, können uns überhaupt nichts darunter vorstellen: Was passiert, wenn die Luftschutzsirene losheult? Wohin bzw. an wen sollen wir uns wenden, wenn plötzlich unsere Wohnung mit all unseren persönlichen Gegenständen innerhalb von nur wenigen Augenblicken aufgehört hat zu existieren? Das vorliegende Buch soll einige Antworten darauf geben und uns neuerlich daran denken und dafür danken lassen, in welcher glücklichen Zeit des Friedens wir leben dürfen.

Michael Svehlamichaelsvehla.wordpress.com

I. DIE AUFSTELLUNG DER 15. US-LUFTFLOTTE UND DER EINSATZABLAUFEINES LUFTANGRIFFES

Der Bombenkrieg lag bis weit in das Jahr 1943 hinein für die Innsbrucker (wie auch überhaupt für die gesamtösterreichische) Bevölkerung noch sehr fern. Doch mit der Eroberung Süditaliens im Herbst desselben Jahres durch alliierte Bodentruppen besetzte die US-Luftwaffe auch sogleich die Flughäfen rund um Foggia, um von dort aus ihre Bombenangriffe bis nach Süddeutschland, Österreich, Ungarn, Rumänien und Jugoslawien durchzuführen. Mit dem Beginn des strategischen Luftkrieges gegen Österreich (eröffnet wurde dieser mit dem Angriff von 64 Bombern am 13.8.1943 auf Wiener Neustadt) und im Speziellen den ersten Angriffen auf Bozen (2.9.1943) sowie Feldkirch (1.10.1943) sollte auch den letzten Optimisten in Innsbruck klar geworden sein, dass Luftangriffe auch auf die Gauhauptstadt sehr wahrscheinlich werden würden. Denn nicht weniger als vier wichtige Eisenbahnverbindungen treffen dort zusammen – die Arlbergbahn aus dem Westen, die Mittenwaldbahn aus dem Norden, die Westbahn aus dem Osten sowie die Brennerbahn aus dem Süden. Darüber hinaus wurde der gesamte Nachschub für die deutsche Südfront über die Brennerstrecke transportiert.

Und tatsächlich: Als die Masse der Bomber der 15. US-Luftflotte zwischen 7. und 12.12.1943 von Tunis in den Raum Foggia verlegt wurde, wurde Innsbruck kurz darauf erstmals angegriffen. Ein deutliches Warnsignal für die kommenden Monate! Denn als sich ab Mitte 1944 die Angriffsziele auf die Treibstoffversorgung sowie die Verkehrs- und Nachschubnetze zu konzentrieren begannen, stieg auch Innsbruck auf der Prioritätenliste der US-Angriffsplanungen rapide nach oben. Folglich musste die Stadt in den letzten sechs Monaten des Krieges noch insgesamt 19 Luftangriffe über sich ergehen lassen und dabei auch die größten Schäden an historischen Bauwerken in Kauf nehmen.

Um alle geplanten Angriffsziele systematisch durchführen zu können, wurde am 1.11.1943 die 15. US-Luftflotte mit dem Hauptquartier in Bari aufgestellt. Sie setzte sich aus fünf Bombergeschwadern („Bomb Wings“) sowie einem zusätzlichen Jagdgeschwader („Fighter Wing“) zusammen:

 

Bomber- bzw. Jagdgeschwader

Bomber- bzw. Jagdgruppe

Eingesetzte Bomber bzw. Jäger

Eingliederung

stationiert

5th Bomb Wing Hauptquartier: Foggia

2nd Bomb Group

B-17 „Fortress“

Nov. 1943

Amendola

97th Bomb Group

B-17 „Fortress“

Nov. 1943

Amendola

99th Bomb Group

B-17 „Fortress“

Nov. 1943

Tortorella

301st Bomb Group

B-17 „Fortress“

Nov. 1943

Lucera

463rd Bomb Group

B-17 „Fortress“

Mär. 1944

Celone

483rd Bomb Group

B-17 „Fortress“

Apr. 1944

Sterparone

47th Bomb Wing Hauptquartier: Manduria

98th Bomb Group

B-24 „Liberator“

Nov. 1943

Lecce

376th Bomb Group

B-24 „Liberator“

Nov. 1943

San Pancrazio

449th Bomb Group

B-24 „Liberator“

Jän. 1944

Grottaglie

450th Bomb Group

B-24 „Liberator“

Jän. 1944

Manduria

49th Bomb Wing Hauptquartier: Castellucia

451st Bomb Group

B-24 „Liberator“

Jän. 1944

Castellucia

461st Bomb Group

B-24 „Liberator“

Apr. 1944

Torretta

484th Bomb Group

B-24 „Liberator“

Apr. 1944

Torretta

55th Bomb Wing Hauptquartier: Spinazzola

460th Bomb Group

B-24 „Liberator“

Mär. 1944

Spinazzola

464th Bomb Group

B-24 „Liberator“

Apr. 1944

Pantanella

465th Bomb Group

B-24 „Liberator“

Mai 1944

Pantanella

485th Bomb Group

B-24 „Liberator“

Mai 1944

Venosa

304th Bomb Wing Hauptquartier: Cerignola

454th Bomb Group

B-24 „Liberator“

Feb. 1944

San Giovanni

455th Bomb Group

B-24 „Liberator“

Feb. 1944

San Giovanni

456th Bomb Group

B-24 „Liberator“

Feb. 1944

Stornara

459th Bomb Group

B-24 „Liberator“

Mär. 1944

Giulia

306th Fighter Wing Hauptquartier: Lesina

1st Fighter Group

P-38 „Lightning“

Nov. 1943

Salsola

14th Fighter Group

P-38 „Lightning“

Nov. 1943

Triolo

31st Fighter Group

P-51 „Mustang“

Apr. 1944

San Severo

52nd Fighter Group

P-51 „Mustang“

Apr. 1944

Madna

82nd Fighter Group

P-38 „Lightning“

Nov. 1943

Vincenzo

325th Fighter Group

P-51 „Mustang“

Nov. 1943

Lesina

332nd Fighter Group

P-51 „Mustang“

Mai 1944

Ramitelli

Special Units1

5th PRG

F-5

Okt. 1944

Bari

154th WRS

P-38 „Lightning“

Jän. 1944

Bari

885th BS (H) (S)

B-24 „Liberator“

Jun. 1944

Brindisi

859th BS (H) (S)

B-24 „Liberator“

Jän. 1945

Brindisi

Abb. 1: Bomben auf Innsbruck! Blick oberhalb von Hötting auf die Stadt, die Umgebung des Haupt- und Westbahnhofes ist in dicke Rauchschwaden gehüllt. Im Dunst erkennt man links das EWI-Hochhaus und rechts das Kloster und die Basilika in Wilten. Die Aufnahme stammt vom Angriff am 13.6.1944.

Die Jagdflugzeuge wurden vor allem als „Begleitjäger“ zum Schutz der Bomber eingesetzt, indem sie diese bis zum Zielort begleiteten und mögliche angreifende deutsche Jäger in Schach halten sollten. Zur Durchführung von Nachtangriffen bzw. als Ergänzung zu den US-Tagesangriffen wurde die 205 Bomb Group der britischen RAF gebildet und der 15. US-Luftflotte unterstellt. Dieser britische Verband verfügte über rund 120 Bomber des Typs B-24 und zeichnete auch für den Nachtangriff im April 1945 auf Innsbruck verantwortlich.

Die übliche Gruppenstärke einer Bombergruppe betrug 62 Flugzeuge, die tatsächliche Gefechtsstärke schwankte jedoch zwischen 18 („minimum effort“) und 36 („maximum effort“) Flugzeugen. Die Jagdgruppen hatten eine Stärke von rund 48 Flugzeugen.

Flugzeugtypen

Der 15. US-Luftflotte standen zwei verschiedene schwere Langstreckenbomber, sogenannte „4mots“, zur Verfügung:

Die Boeing B-17 „Fortress“: ein viermotoriger schwerer Bomber mit einer Höchstgeschwindigkeit von rund 460 km/h, Reichweite circa 3.200 Kilometer. Bewaffnung: dreizehn 12,7-mm-Maschinengewehre und bis zu 8.000 kg Bomben. Besatzung: 9 bzw. 10 Mann.

Die Consolidated B-24 „Liberator“: ebenfalls ein viermotoriger schwerer Bomber, Höchstgeschwindigkeit circa 470 km/h, mit einer Reichweite von rund 3.400 Kilometern. Bewaffnung: zehn 12,7-mm-Maschinengewehre plus übliche Bombenlast von rund 2.300 kg. Besatzung: 8 bis 10 Mann.

Die US-Luftstreitkräfte setzten bevorzugt die B-24 ein, weil dieser Bomber eine größere Reichweite bei geringerer Bombenladung hatte. Allerdings galt die B-24 unter den Besatzungen als nicht sehr vertrauenswürdig: Es hieß nämlich, dass, wenn diese einmal zu brennen begonnen hatte, es selten länger als zehn Sekunden dauerte, bis die Maschine explodierte!

Die beiden Jagdgeschwader verfügten über folgende Standardjäger:

Die P-51 „Mustang“: ein einsitziger Langstrecken-Begleitjäger mit einer Höchstgeschwindigkeit von rund 700 km/h und einer Reichweite von bis zu 3.300 Kilometern. Bewaffnung: sechs 12,7-mm-Maschinengewehre oder sechs 127-mm-Raketen.

Die P-38 „Lightning“: ein einsitziges Jagdflugzeug mit einer Höchstgeschwindigkeit von rund 670 km/h und einer Reichweite von circa 700 km. Bewaffnung: vier 12,7-mm-Maschinengewehre und eine 20-mm-Maschinenkanone.

Bombenarten

• „Sprengbomben“ in verschiedenen Gewichtsklassen (50 kg, 125 kg, 250 kg, 500 kg, 1.000 kg). Die am häufigsten eingesetzte Bombenart war die 250-kg-Bombe. Aus 6.000 m Höhe abgeworfen, konnte sie ein vierstöckiges Gebäude bis zum Keller problemlos durchschlagen. Die drei schwersten Gewichtsklassen waren mit einem speziellen Sprengstoff gefüllt, dessen Explosionsblitze oft noch durch die Wolken wahrgenommen werden konnten. Diese Bomben wurden mit einem besonderen Zündmechanismus und einer Zündverzögerung derart versehen, dass diese die obersten Stockwerke eines mehrstöckigen, in Innsbruck zumeist vierstöckigen, Wohnhauses durchschlagen konnten und erst im zweiten oder ersten Stock explodierten. So wurde maximaler Schaden am Gebäude erreicht. Für die in den Luftschutzkellern sitzenden Menschen bestand dabei zumindest eine gute Überlebenschance. Niedriger standen die Überlebenschancen jedoch, wenn diese Bomben entweder in ein- bis zweistöckigen Wohnhäusern einschlugen oder allgemein am Gehsteig direkt an der Hausmauer explodierten.

• „Splitterbomben“ mit den Größen 20 kg und 130 kg. Die Spezialität dieser Bomben war, dass sie bei der Explosion in viele Splitter zerlegt wurden. Die Bomben detonierten, ohne in den Boden eingedrungen zu sein.

Bei den Angriffen auf Innsbruck wurden stets bei jedem Einsatz Mehrzweckbomben (= Sprengbomben) eingesetzt. Nur einmal, am 20.10.1944, wurden auch Splitterbomben abgeworfen. Und in zwei weiteren Fällen, am 26.10. sowie am 16.12.1944, verwendete man zusätzlich auch Brandbomben.2 Die Bomber wur den üblicherweise mit sechs bis neun Bomben beladen.

Abb. 2: Eine Aufstellung von Blindgängern in unterschiedlichen Gewichtsgrößen: 50-, 100-, 250- und 500-kg-Bombe (v. l. n. r.).

Abb. 3: Ein Soldat des Sprengkommandos Innsbruck posiert zum Größenvergleich neben einer 250-kg-Bombe.

Zum Einsatzablauf (mit Angriffskurs)3

Vor Beginn eines Einsatzes führten die Luftbildaufklärungsstaffeln mehrere Aufklärungsflüge durch, um die künftigen Ziele zu fotografieren. Im Hauptquartier arbeiteten Spezialisten die erzielten in die jeweiligen Einsatzkarten für die Bomberbesatzungen ein. Daraus wurde dann ein Einsatzbefehl erarbeitet. Das anzugreifende Objekt wurde im Einsatzbefehl entweder als Primärziel oder Alternativ-(-Ausweich-) Ziel 1. bzw. 2. Priorität eingestuft (die meist in der Nähe der An- oder Abflugrouten lagen). Abgesehen davon gab es noch das Gelegenheitsziel, das vom Staffelführer eigenverantwortlich ausgesucht werden durfte, sofern keines der erstgenannten Ziele angegriffen werden konnte. Gründe dafür waren z. B. Schlechtwetter, technische Gebrechen oder Abdrängen durch feindliche Jäger.

Die Mengen an Treibstoff und Bombenlast wurden von den Einsatzplanern genau berechnet. Sie hatten dabei einige Faktoren zu berücksichtigen: die Entfernung zum jeweiligen Angriffsziel, die zu erwartende Windgeschwindigkeit und die vorgesehene Flughöhe. Der Treibstoffvorrat wurde für einen Rückflug ohne Bombenlast berechnet, das heißt mit leichteren Flugzeugen, die damit auch eine größere Reichweite bekamen. So exakt diese Planung auch war, es konnte immer zu unvorhergesehenen Situationen kommen, wie z. B. Umwege auf dem Hin- oder Rückflug, Angriffe von deutschen Jagdflugzeugen, schlechte Wetterbedingungen über dem Zielgebiet. All dies zwang den Führer des Bomberverbandes, unter Druck besondere Entscheidungen zu treffen: entweder das vorher festgelegte Ziel trotzdem anzufliegen oder das Ausweichziel bzw. als dritte Lösung das Gelegenheitsziel anzusteuern oder – wenn es gar keine andere Möglichkeit mehr gab – sich der Bomben im Notabwurf zu entledigen. Denn ein Rückflug mit der gesamten Bombenlast war aus Sicherheitsgründen nicht erlaubt.

Abb. 4: Die von Karl Klotz bei Feldarbeiten aufgefundenen Bombensplitter. Sie weisen eine Länge zwischen zehn und dreißig Zentimetern auf.

Die Anflugrouten wurden derart gelegt, dass sowohl Flak4-Stellungen als auch die Flugplätze der deutschen Jagdgeschwader möglichst umgangen wurden. Jene Bomberverbände, die auf Westösterreich und Bayern angesetzt waren, flogen zumeist auf festgelegten Routen großteils über die Adria bis zum Millstätter See (Kärnten), dort teilten sich die weiteren Anflugwege in Richtung Westen und Osten. Als ein Beispiel für eine solche Anflugroute sei jene für den Angriff am 13.6.1944 angeführt: Torretta – Bovino – Castelnuovo – Tremite-Inseln – Caorle – Chiemsee – Landshut – Fahlenbach – Aichach – München (Primärziel) – Innsbruck (Alternativziel) und der Rückweg über Cortina d’Ampezzo – Tremite-Inseln – Torretta.5

Wie kann man sich aus heutiger Sicht einen solchen Angriffsflug vorstellen? „Noch immer war ein Einsatz eine unaufhörliche Tortur. Viele Männer hockten fünf bis zehn trostlose Stunden, von einer fast 30 Kilogramm schweren Ausrüstung erdrückt, auf einem engen Platz. Außer einem Fallschirm trugen sie stahlverstärkte Westen zum Schutz gegen Flaksplitter, einen unförmigen Fliegeranzug gegen die Kälte in großen Höhen und Sauerstoffmasken (...). In dieser Kluft bedeuteten selbst die einfachsten Arbeiten eine Anstrengung. Zu diesen Unannehmlichkeiten gesellte sich eine zermürbende Eintönigkeit. Alle paar Minuten berechnete der Navigator die Position des Flugzeugs und trug sie ins Bordbuch ein. Stunde über Stunde lauschte der Funker atmosphärischen Störungen in seinem Kopfhörer, während Pilot und Kopilot sich mühten, die Maschine in der Nähe der anderen Bomber zu halten. Unentwegt suchten die Schützen den Himmel nach Luftwaffenjägern ab und kämpften darum, wach und auch aufmerksam zu bleiben.“6

Der Zielanflug der Bomberverbände begann inmitten krepierender Flakgranaten. Die Druckwellen der explodierenden Flakgranaten schüttelten einen Bomber ordentlich durch. In einem Umkreis von vier Metern konnte eine 8,8-cm-Flak-Granate, die rund 1.500 Splitter erzeugte, ein solches Flugzeug zum Absturz bringen.7 Der Zielanflug fand oft schon statt, bevor das eigentliche Ziel bereits gesehen werden konnte. Dazu wurde im Einsatzbefehl ein letzter Kontrollpunkt, der Ablaufpunkt (initial point), angegeben.8 Der Bombenschütze im Führungsflugzeug öffnete die Bombenschächte und nahm nochmals kleinere Flugkorrekturen vor. Wenn alle Daten passten, wurden die Bomben ausgeklinkt.

Wurde ein Bomber während des Angriffes durch die Flak getroffen und konnte dieser noch weiterfliegen, so bemühte sich der Pilot, zumindest die neutrale Schweiz zu erreichen (was in rund 30 bis 45 Minuten Flugdauer möglich war). Dort wurde die Besatzung dann interniert. Schlechter erging es jenen Fliegern, die über dem Gau Tirol-Vorarlberg mit dem Fallschirm abspringen mussten. Sie wurden von den örtlichen Polizeidienststellen in Gewahrsam genommen, nach Innsbruck überstellt, dort verhört und dann in eines der Stalag-Kriegsgefangenenlager in Deutschland weitertransportiert.

Anschließend versuchten sich alle Bomber zu sammeln („rallye“) und flogen auf derselben Route wieder zurück. Ein solches Sammeln konnte zwischen 30 und 45 Minuten dauern. Ein Einsatz nach Tirol und wieder zurück zur Heimbasis dauerte rund acht Stunden. Die Angriffshöhe lag durchschnittlich bei etwa 7.600 Metern.

Folgendes Erlebnis veranschaulicht die Todesgefahr als ständige Begleiterin selbst im vermeintlich sicheren Bombenflugzeug, welches bei einem Angriff in ca. 7.000 m Höhe über die Stadt flog: „(...) Schon während des Zielanfluges erhält der linke Außenbordmotor einen Flaktreffer und verliert Treibstoff. Da es bis zum Auslösepunkt nur mehr wenige Sekunden sind, bleibt Fagan (Anm.: der Name des Piloten) auf Kurs. Als er zum Sammeln nach rechts abdrehen will, erschüttern mehrere Explosionen das Flugzeug. Der Kopilot wird am Arm verletzt und Fagan dankt es nur seiner Flakweste, daß ihm nicht ein Splitter die Brust aufreißt. Das Flugzeug schmiert über den linken Flügel ab und trudelt, kaum noch steuerbar, nach unten aus dem Verband heraus, wunderbarerweise ohne andere zu rammen. Armaturenbrett und Sprechfunkanlage sind zerstört. (...) und 16 km nördlich von Innsbruck bleibt es endlich auf einem westlichen Kurs. Aus der zerstörten Treibstoffanzeige und einer Leitung im Bombenschacht spritzt das Benzin. Der Bordmechaniker, selbst verletzt, repariert alles. Dabei steht er, bei minus 20 Grad (Celsius), von Benzin durchnäßt, ohne Sauerstoffgerät und Fallschirm auf dem 25 cm breiten Laufsteg im offenen Bombenschacht. Jetzt fällt auch der linke Innenbordmotor aus. Das Flugzeug verliert pro Minute 5.000 Fuß an Höhe. Fagans Bestreben ist zunächst nur, ein Stück von Innsbruck wegzukommen. Nachdem die Besatzung Bordwaffen, Munition, Sauerstoffflaschen, Flakwesten und Verpflegung über Bord geworfen hat, vermindert sich die Sinkgeschwindigkeit. Jetzt besteht Hoffnung, die Schweiz zu erreichen. Nach einer halben Stunde kommt tatsächlich der Bodensee in Sicht. (...) Als sich der linke Innenbordmotor aus der Aufhängung reißt, gibt Fagan den Befehl zum Absprung. Das Flugzeug schlägt am Ortsrand von Würenlingen auf. Der Kopilot ertrinkt in der Aare, der Navigator bleibt am Flugzeug hängen und wird ebenso wie einer der Bordschützen tot beim Wrack gefunden. Die sechs Überlebenden werden von den Schweizern (...) interniert.“ 9

Die von der Innsbrucker Flak abgeschossenen US-Bomber10

Der Innsbrucker Flak gelang es nur ganz selten, tatsächlich einen amerikanischen Bomber während eines Angriffes über der Stadt abzuschießen. Einige Male konnten derart schwere Flaktreffer gesetzt werden, dass Flugzeuge in weiterer Folge abstürzten.

Am 25.12.1944 fand wohl der spektakulärste Vorfall mit einem US-Bomber statt: Eine B-24 der 450. BG, 720. Bomb Squadron wurde von der Flak voll getroffen und explodierte über der Stadt. Acht Mann der Besatzung fanden dabei den Tod, die restlichen drei Männer konnten sich mit dem Fallschirm retten, gerieten aber bei der Landung in Kriegsgefangenschaft. Ein Soldat landete dabei mit seinem Fallschirm mitten auf dem Rennweg zwischen Inn und der damaligen Villa des Gauleiters Franz Hofer (Rennweg 10)! Ein Soldat, dessen Fallschirm sich in einem Baum verfangen hatte, wurde am Herzog-Otto-Ufer tot aufgefunden, ein weiterer tot im Hof des Bürgerbräus. Der bei der Villa des Gauleiters gelandete Soldat erinnerte sich Jahrzehnte später:

„Während des Zielanflugs wurde das Flugzeug in schneller Folge von drei Granaten getroffen. Eine explodierte unter dem Cockpit, zwei weitere unter dem rechten Flügel nahe dem Rumpf und zwischen den beiden Motoren. Die Sauerstoffanlage geriet in Brand und ein Teil des rechten Flügels brach ab. Das Flugzeug kippte in eine steile Spirale. Arcand (Anm.: Das ist der Name dieses Soldaten) schnallte seinen Brustfallschirm an das Gurtzeug, das er schon am Körper trug, und wollte die hintere Sprungluke öffnen. Diese war aber zugefroren und er geriet in Panik. Smith, der Funker, trat ein Fenster hinaus und sprang. Arcand wusste nicht mehr, wie er aus dem Flugzeug herausgekommen ist und die Reißleine gezogen hat. Aber plötzlich hing er am Schirm und sah unter sich den Inn. Sein linker Unterarm war gebrochen, so dass er den Fallschirm nicht dirigieren konnte. Vom Boden hörte er Gewehrschüsse und fürchtete, dass sie ihm galten. Arcand landete atemlos und betäubt nahe des Inn bei einer Villa zwischen Bäumen. Zwei Soldaten waren da, die ihm auf die Beine halfen und den Fallschirm losschnallten. Wütende, mit Stöcken bewaffnete Bürger kamen ihnen entgegen. Aber die beiden Soldaten hielten die Leute zurück, bis ein Militär-LKW kam und Arcand mitnahm.“11

 

__________

1 Die 5th PRG (Photo Reconnaissance Group) war eine Luftbild-Aufklärungsstaffel. Die 154th WRS (Weather Reconnaissance Squadron) wurde zur Wetter-Aufklärung eingesetzt. Die F-5 war eine für diese Zwecke adaptierte P-38 „Lightning“. Bei der 885th und der 859th BS (Bombardment Squadron, Heavy) handelte es sich um zwei Bomberstaffeln für Spezialeinsätze (geheime Missionen).

2 Daten entnommen Schönherr, Die amerikanischen Luftangriffe, 1996, Tabelle der Angriffsdaten, S. 5748f.

3 Bailey, Der Luftkrieg in Europa, 1981, S. 98–110.

4 Abkürzung für Fliegerabwehrkanone.

5 Torretta Flyer Nr. 27, Winter Spring 1995, S. 25.

6 Bailey, Der Luftkrieg in Europa, 1981, S. 98.

7 Schönherr, Die amerikanischen Luftangriffe, 1996, S. 5732, Anm. 62.

8 Ablaufpunkte für Angriffe auf Innsbruck waren u. a. Lermoos, Ehrwald, Haiming, Telfs, Rattenberg, Wörgl.

9 Zitiert nach Schönherr, Die amerikanischen Luftangriffe, 1996, S. 5747.

10 Vergleiche dazu Albrich, Die amerikanischen Bomberverluste, 2015, wo sehr detailliert alle Flak-Abschüsse beschrieben werden.

11 Zitiert nach Schönherr, Die amerikanischen Luftangriffe, 1996, S. 5747 (aus stilistischen Gründen wurden die Erinnerungen in die Mitvergangenheit umgeschrieben).

II. DIE LUFTANGRIFFE AUF DIE STADTINNSBRUCK12

Vorbemerkungen

In Innsbruck gab es sechs Polizeireviere (diese waren Einrichtungen der damals sogenannten Schutzpolizei, die ihren Sitz in der Straße der Sudetendeutschen 6–8 hatte), die sich wie folgt auf das Stadtgebiet verteilten:

• Polizeirevier 1 – Innenstadt (Maria-Theresien-Straße 16)

• Polizeirevier 2 – Saggen (Straße der Sudetendeutschen 2)

• Polizeirevier 3 – Hötting (Schulstraße 1)

• Polizeirevier 4 – Wilten (Neuhauserstraße 11 – Köllenspergerareal)

• Polizeirevier 5 – Pradl (Pradler Straße 29)

• Polizeirevier 6 – Arzl (Arzler Straße 170)

Warum gerade der erste Angriff auf Innsbruck derart viele Todesopfer forderte, hat zu einem nicht unerheblichen Teil auch mit der Tatsache zu tun, dass es bereits seit September 1940 zu insgesamt 27 Fliegeralarmen gekommen war, die nie zu einem tatsächlichen Angriff führten. Deshalb schenkte die Bevölkerung den Fliegeralarmen nicht mehr die notwendige Beachtung. Die Erinnerungen einiger Zeitzeugen dazu hören sich heute so an: „Beim ersten Alarm an diesem 15. Dezember dachte man noch, dass eh wieder nichts sein werde, wie schon so oft. In aller Ruhe aß man weiter seine Knödel und ließ sich Zeit. Plötzlich flog das Fenster herein, und in der Knödelsuppe lagen Glassplitter.:“13 „(...), es rechnete niemand damit, dass es auf Innsbruck Bombenabwürfe geben würde. Zu oft hatte man in den Wochen zuvor die Alarmsirenen gehört, hatte Keller oder andere Schutzräume aufgesucht – und nie war was geschehen.“14 Ein fataler Irrtum der Bevölkerung! Darüber hinaus wurde an diesem 15.12. Alarm zu unterschiedlichen Zeiten in den verschiedenen Stadtteilen gegeben, so dass Teile der Bevölkerung gar keine bzw. ungenügend Zeit hatten, die Luftschutz-Keller aufzusuchen (siehe dazu ausführlich die Erläuterungen zum ersten Angriff). Und drittens kam erschwerend hinzu, dass bauliche Vorbereitungen im Vorfeld dieses ersten Angriffes nicht getätigt worden waren. Dies wog umso schwerer, weil nach einigen Nachtangriffen auf München im Herbst 1942 den Verantwortlichen eigentlich hätte klar werden müssen, dass nun auch Innsbruck flugtechnisch erreichbar war und daher jederzeit zu einem Ziel der alliierten Bomber werden konnte.

Ab November 1944 gab es fast täglich Fliegeralarm in der Stadt, z. T. auch mehrmals am Tag. Knapp 90 % davon fanden um die Mittagszeit statt – Entwarnung wurde zumeist am Nachmittag gegen 15.00 Uhr gegeben.15

So viele unterschiedliche Quellen – so viele verschiedene Daten! Zusätzlich erschwerend kommt hinzu, dass die Unterlagen nicht mehr vollständig vorhanden sind bzw. damals die Schadensstellen nicht immer vollständig erhoben worden sind. Weiters sind immer wieder händische Übertragungsfehler aufgefallen.

1. Angriff vom Mittwoch, 15.12.1943

Der Angriff begann, als die meisten Bewohner/-innen gerade beim Mittagessen saßen. Die einfliegenden Bomberverbände bestanden aus B-17 der 97. und 301. BG, begleitet von 39 P-38 „Lightning“ der 14. FG, die aus südöstlicher Richtung kamen und in einer einzigen Angriffswelle über das Stadtgebiet flogen.

Die Schwerpunkte der Zerstörungen (schwere bis Totaltreffer) lagen:

∇ in der Innenstadt im Geviert Maria-Theresien-Straße – Museumstraße – Meinhardstraße – Bozner Platz;

∇ im Dreieck Brunecker Straße – untere Museumstraße – Weinhartstraße;

∇ in der Altstadt: Riesengasse und Seilergasse;

∇ in Wilten: Sonnenburgstraße, Egger-Lienz-Straße, Speckbacherstraße, Müllerstraße 59.

Interessanterweise kam es kaum zu schwereren Zerstörungen am Hauptbahnhof bzw. Bahnhofsplatz. So konnte bereits am Abend desselben Tages der Zugverkehr wieder aufgenommen werden, zum Teil mit Umsteigeverkehr.

Abb. 5: Das schwer getroffene Anatomische Institut in der Müllerstraße, in dem Franz Schmid und seine drei Kinder den Tod fanden.

Besonderheiten:

• Nach diesem Angriff wurden die ersten Häftlinge des Arbeitserziehungslagers Reichenau zu Rettungs- und Aufräumungsarbeiten (auch zur Beseitigung von Blindgängern) in der Stadt eingesetzt. Der damalige Leiter der Gestapo Innsbruck, Werner Hilliges, vereinbarte mit dem Gauleiter-Stellvertreter Herbert Parson und dem Polizeipräsidenten als obersten LS16- Leiter den Einsatz von rund 200–300 Häftlingen. Trotz ausdrücklicher Bekanntgabe vor dem Einsatz an diese Personen, dass jede Plünderung die Todesstrafe nach sich ziehen werde, wurden sieben eingesetzte Häftlinge auf frischer Tat beim Plündern von Lebensmitteln und Bekleidungsgegenständen erwischt und nach erfolgter Rücksprache mit dem Reichssicherheitshauptamt in Berlin schon am nächsten Tag durch Erhängen hingerichtet (die Exekution fand im Lager Reichenau statt).17 Eine entsprechende Verlautbarung in der Ausgabe der Innsbrucker Nachrichten vom 17.12.1943 (Überschrift: „Plündern kostet das Leben“) sollte Warnung und Abschreckung für die Bevölkerung sein.

• Im Anatomischen Institut spielte sich eine besondere Familientragödie ab: Der Hausmeister Franz Schmid war gemeinsam mit seiner Ehefrau und den drei Kindern auf dem Weg in den Luftschutzkeller. Die Ehefrau lief noch einmal zurück in die Wohnung, um ein Trinkfläschchen für ihren fünf Monate alten Sohn zu holen. Während ihr diese Entscheidung das Leben rettete, starben die Angehörigen unter den Trümmern.

• Gauleiter Franz Hofer beabsichtigte, die – völlig intakte – Servitenkirche „aus Versehen anzusprengen, damit dann diese Kirche völlig beseitigt werden könnte18 Dies sollte im Zuge von notwendigen Sprengungsarbeiten erfolgen, die an einigen Gebäudeteilen des Klosters, welche an die Klosterkirche angrenzten, durchgeführt werden mussten. Der Gauleiter wollte nämlich vom Gauhaus aus einen Aufmarschplatz schaffen, welchem die Servitenkirche im Wege stand. Der für die Sprengung zuständige Bauingenieur lehnte diesen Auftrag ab und in weiterer Folge wurde dieses Ansinnen nicht mehr wiederholt.

• Dasselbe Schicksal sollte auch der durch einige Bombentreffer beschädigten Jesuitenkirche widerfahren. Ein Pionierzug des in Mittenwald stationierten Gebirgspionierersatzbataillons 54 wurde als Räumungs- und Sprengkommando in Innsbruck eingesetzt. Der Zugsführer erhielt am 17.12. einen schriftlichen Befehl mit der Feststellung, dass beide Türme der Kirche einsturzgefährdet wären und somit gesprengt werden müssten. Nicht zuletzt wegen des zwei Tage später erfolgten nächsten Angriffs auf Innsbruck überstürzten sich die Ereignisse derart, dass dieses Ansinnen offenbar vergessen wurde.19

Abb. 6: Die Parten der vier Personen, die bei diesem Angriff getötet wurden.

Trotz zahlreicher Luftschutzübungen in den vorangegangenen Kriegsjahren war man dann, als es tatsächlich ernst wurde, doch mit der Situation überfordert:

∇ Eine rechtzeitige Warnung der Bevölkerung blieb aus. Es wurde Fliegeralarm zu unterschiedlichen Zeiten in den verschiedenen Stadtteilen gegeben (zwischen 12.30 und 12.37) und ohne die üblicherweise vorangehende Vorwarnung! Da der Angriff schon um 12.38 begann, hatte die Bevölkerung im besten Fall acht Minuten Zeit, sich in Sicherheit zu bringen, im schlechtesten Fall nur mehr eine Minute!

∇ In der Bevölkerung herrschte eine gewisse Sorglosigkeit vor, denn trotz der vielen bisherigen Fliegeralarme war der Ernstfall bislang noch nie eingetreten. Deshalb schenkte die Bevölkerung den Fliegeralarmen nicht mehr die notwendige Beachtung und die wenigsten glaubten an eine Bombardierung der Stadt. So erinnert sich beispielsweise die Zeitzeugin Fr. D. B.: „Man hatte keine Angst vor den Fliegern, weil ja schon öfters welche über Innsbruck hinweggeflogen sind. Und wir haben immer gerne geschaut, weil es da so schön geglitzert hat in der Sonne. Man hat immer geglaubt, bei uns wird nie etwas sein. Das war nur aufregend für uns Kinder. Was die Erwachsenen gedacht haben, habe ich nicht mitbekommen. Man hat damals nicht sehr viel geredet.“

∇ Erschwerend kam hinzu, dass mit dem Bau von Luftschutzstollen bis zu diesem Zeitpunkt nicht begonnen worden war. Dies wog umso schwerer, weil nach einigen Nachtangriffen auf München im Herbst 1942 den Verantwortlichen eigentlich hätte klar werden müssen, dass nun auch Innsbruck flugtechnisch erreichbar war und daher jederzeit zu einem Ziel der alliierten Bomber werden konnte.

∇ Die Leichenbergung und der Transport zum dafür vorgesehenen Aufbahrungsplatz am Westfriedhof erfolgten großteils ohne Identifikation bzw. Kennzeichnung der Leichen. Der Kriminalpolizei entstanden so die allergrößten Schwierigkeiten, denn sie musste den Hinterbliebenen, die ihre Angehörigen suchten, zum Teil mehrere verstümmelte Leichen zur Erkennung zeigen.

∇ Durch den Ausfall fast aller Orts- und Fernsprechkabel gab es keine Telefonverbindung zwischen den Stadtteilen Innere Stadt, Pradl und Wilten. Dies verursachte eine erschwerte und verzögerte Koordinierung der Rettungs- bzw. Sofortmaßnahmen.

Zeitzeugen berichten:

∇ Pradl, Defreggerstraße: „Ich war gemeinsam mit anderen Kindern des Hauses im Stiegenhaus, als die Bombe in der südlichen Gabelsbergerstraße einschlug. Die Stiegenhausfenster sind durch den Luftdruck hereingebrochen. Es hat geknallt und geklirrt und das Zeug ist heruntergefallen, auch die Holzsprösseln. Die Detonation war gar nicht so laut, es war der Druck, das war so ein ‚Wumm‘, etwas, was man noch nie erlebt hat. Man war geschockt und dachte