Als Weihnachten nach Hause kam - Wilhelm Bammessel - E-Book

Als Weihnachten nach Hause kam E-Book

Wilhelm Bammessel

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Beschreibung

Was passiert, wenn Weihnachten richtig unter die Haut geht? Nicht nur das heimelige Gefühl, der flauschige Duft von Kerzen, Tannen und frisch gebackenen Keksen. Nein, das echte Weihnachten. Der kalte Stall, die verwirrten und ängstlichen Hirten, das hilflose und scheinbar würdelose Kleinmachen eines Gottes. Wilhelm Bammessel erzählt, wie die unherrlichen Momente der Weihnachtsgeschichte die ganz normalen, unherrlichen Momente von einzelnen Menschen berühren. Geschichten, so sanft, nah und echt, dass sie zu Tränen rühren.

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Wilhelm Bammessel

Als Weihnachtennach Hause kam

Hoffnungsgeschichten

SCM Hänssler ist ein Imprint der SCM Verlagsgruppe, die zur Stiftung Christliche Medien gehört, einer gemeinnützigen Stiftung, die sich für die Förderung und Verbreitung christlicher Bücher, Zeitschriften, Filme und Musik einsetzt.

ISBN 978-3-7751-7416-9 (E-Book)

ISBN 978-3-7751-5861-9 (lieferbare Buchausgabe)

Datenkonvertierung E-Book: CPI books GmbH, Leck

© 2018 SCM Hänssler in der SCM Verlagsgruppe GmbH

Max-Eyth-Straße 41 · 71088 Holzgerlingen

Internet: www.scm-haenssler.de · E-Mail: [email protected]

Soweit nicht anders angegeben, sind die Bibelverse folgender Ausgabe entnommen:

Neues Leben. Die Bibel, © der deutschen Ausgabe 2002 und 2006

SCM R.Brockhaus in der SCM Verlagsgruppe GmbH Witten/Holzgerlingen.

Weiter wurde verwendet:

Lutherbibel, revidierter Text 1984, durchgesehene Ausgabe in neuer Rechtschreibung, © 1999 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart.

Umschlaggestaltung: Jens Vogelsang, Aachen

Titelbild: fotolia.com, © leekris

Satz: typoscript GmbH, Walddorfhäslach

Inhalt

Über den Autor

Und sie fanden beide

Etwas für mich

In Windeln gewickelt

Getröstete Weihnachten

Damit du mir endlich glaubst

Ein heiterer November

Das gerettete Brandscheit

Der andere Weg

Der verbrannte Gott

Der Hoffnungsbaum

Kein Platz für Jesus

Da ging die Laterne aus

Nicht einmal Stroh

Tryphosa

In der Krippenausstellung

Stille Nacht

Und sie wunderten sich

Auch eine Art, Neujahr zu feiern

Einer von uns

Schuldig

Weihnachten 1916

Winterliche Zugfahrt

Der Beter

Anmerkungen

[ Zum Inhaltsverzeichnis ]

Wilhelm Bammessel (Jg. 1958) arbeitete bis zu seiner Pensionierung als ev. Pfarrer in Würzburg, Berg bei Hof und Kronach. Seine besondere Leidenschaft gilt dem Predigen der Seelsorgearbeit und dem Erzählen von Geschichten.

[ Zum Inhaltsverzeichnis ]

Und sie fanden beide

Vorlesezeit: ca. 7 Minuten

Kurz vor zweiundzwanzig Uhr hielt es Jörg nicht mehr aus. Alle Vorbereitungen für den Weihnachtsabend hatten nichts genützt. Trübsinn und Einsamkeit brachen über ihm zusammen.

Dabei hatte er sich die Sache gut überlegt. Nicht mehr als zwei Gläser Wein wollte er trinken, und er hatte sich mit starker Selbstbeherrschung daran gehalten. Hatte nacheinander gelesen, im Internet gesurft, ferngesehen und mit dem Computer Schach gespielt, dazu gute Musik gehört.

Aber immer wieder waren seine Gedanken zu Martina gewandert, mit der er in den letzten Jahren zusammen Weihnachten gefeiert hatte – und nicht nur das. Warum hatte sie nicht aufpassen können? Oder besser: Konnte sie nicht akzeptieren, dass er seine Freiheit genießen wollte? Keine feste Bindung, und schon gar keine Verantwortung für ein Kind. Sie hatte das irgendwie nicht verstanden, vielleicht auch nicht verstehen wollen. War ihm denn etwas anderes übrig geblieben, als die Beziehung zu beenden? Von Abtreibung hatte sie ja ebenfalls nichts wissen wollen, sogar heftig und hysterisch reagiert, als er davon sprach. Nein. Es hatte keine Alternative gegeben für ihn.

So aber war dieses Weihnachten doch sehr öde und fad, ja geradezu grauenvoll. Was sollte er tun? Mitten in diese schweren Gedanken hinein hörte er die Glocken von der nahen Johanneskirche her läuten. Eine Idee sprang ihn an. Warum eigentlich nicht?, dachte er. Bin schon lange nicht mehr in einem Gottesdienst gewesen. Schlimmer als das Alleinsein zu Hause kann es auch nicht sein, und zog sich an für den Weg – Schirm nicht vergessen, wegen des ekelhaften Regens.

Der Gottesdienst freilich hatte kaum begonnen, als Jörg sich schon wieder unwohl fühlte. Diese Lieder! Diese rührselige Stimmung! Diese Sprache! Am schlimmsten fand er den salbungsvoll-feierlichen Ton, den der Pfarrer bei Begrüßung und Gebet anschlug. Was hatte das alles mit ihm zu tun? Mit seinem Problem? Seinem Alleinsein, seiner Enttäuschung über Martina?

Er war bereits drauf und dran, aufzustehen und zu gehen, als zum ersten Mal jener ältere Herr an das Lesepult trat, der – im Gegensatz zum Geistlichen – eine trockene Nüchternheit ausstrahlte. Mit sachlichem Ton las er einen Text, den Jörg nicht so recht verstand – von Stiefeln und Mänteln war da die Rede und von einer kleinen Stadt – aber darauf kam es ihm gar nicht an. Er empfand es einfach als wohltuend, dass hier jemand war, der sich nicht in eine süßliche Stimmung einhüllte, sondern sich vielmehr auf die Sache zu konzentrieren schien. Dieser weißhaarige Mann war ihm sympathisch. Weil er hoffte, ihn nochmals zu hören, blieb Jörg einstweilen in der Kirche und ertrug auch alles andere nun etwas leichter als vorher.

Tatsächlich trat jener Herr noch dreimal ans Mikrofon, um zu lesen – zuerst zwei fremdartige Texte, schließlich aber die berühmte Geschichte, die Jörg schon oft gehört hatte. Während aber bei den anderen Teilen des Gottesdienstes seine Gedanken weit herumkamen, zwang sich Jörg, bei den Lesungen genau aufzupassen und hinzuhören – weil ihm die sachbezogene Ausstrahlung des Weißhaarigen so guttat.

Bei dieser vierten und letzten Lesung geschah etwas Eigenartiges. Aus den altbekannten und oft gehörten Sätzen der Weihnachtsgeschichte traten auf einmal ein paar Worte hervor, kamen regelrecht auf Jörg zu, ergriffen ihn und ließen ihn nicht mehr los.

»Sie fanden beide, Maria und Josef, dazu das Kind …«1

Beide! Nicht nur Maria, auch Josef. Beide! Und wenn heute jemand zu Martina käme? Sie musste ihr Kind inzwischen bekommen haben. Termin war der Achte gewesen. Bei diesem Kind aber würde man nicht beide finden. Sondern nur Martina. Galten diese Worte am Ende ihm? War es denn möglich, dass die Lesung ihn meinte? Beide!

Vom Rest des Gottesdienstes bekam Jörg kaum noch etwas mit. Mechanisch stand er auf, wenn die Gemeinde sich erhob, und setzte sich wieder, wenn es vorüber war. Geistesabwesend schlug er das Gesangbuch auf, ohne überhaupt wahrzunehmen, was da gesungen wurde. Aus der Predigt des Pfarrers konnte er später nicht einen einzigen Gedanken wiedergeben. Er dachte nur immer wieder an Martina, die allein sein würde, und an Josef, der es anders gemacht hatte als er. Aber konnte das denn wirklich der richtige Weg sein auch für ihn, Jörg, der doch gerade erst Schluss gemacht hatte?

Der Gottesdienst war zu Ende. Er hatte es kaum gemerkt. Der ältere Herr stand noch vorne und plauderte mit einer Frau. Jörg fasste sich ein Herz und trat auf ihn zu. Ob er noch einmal diesen Text von vorhin lesen würde? Mit einem etwas verblüfften Ausdruck kam der Weißhaarige der Bitte nach. Ob er es selbst auch einmal sehen könne? »Aber bitte.«

Jörg las. Kein Zweifel. Da stand es, wie er es gehört hatte. Beide, Maria und Josef, dazu das Kind.

Er wandte sich erneut an den älteren Herrn: »Sagen Sie … kann das sein … gibt es das, dass Gott selbst zu mir geredet hat? Jetzt, vorhin im Gottesdienst, durch die Lesung?« Der Mann und die Frau wechselten einen Blick.

»Doch, das gibt es«, sagte der Weißhaarige.

»So etwas habe ich schon erlebt«, pflichtete die Frau ihm bei.

»Ein paar ganz wenige Male in meinem Leben«, ergänzte wieder der Mann.

Jörg schwieg. Vielleicht hätte er alles abgetan, wenn er nicht so fürchterliche Stunden hinter sich gehabt hätte. So aber wollte er der Frage nicht ausweichen. Dann packte ihn für Sekundenbruchteile ein starker Fluchtimpuls, aber auch der ging vorüber. In seinem Kopf gingen die Gedanken hin und her. Sein Freiheitsdrang kämpfte gegen das Liebesempfinden, Verantwortungsbewusstsein gegen das Lustprinzip.

Doch er spürte so etwas wie einen Vatertrieb in sich. So leicht konnte er dem aber nicht nachgeben. Also wagte er noch eine Frage: »Und wie war das, als Gott zu Ihnen persönlich geredet hat? War das ein einfacher Weg?«

Der Weißhaarige schüttelte bedächtig den Kopf.

»Nein, das kann man nicht sagen. Gerade einfach war Gottes Wille nicht«, meinte er, schränkte aber gleich wieder ein: »Allerdings …«, er überlegte noch einmal, »vielleicht wäre der andere Weg auch nicht einfacher gewesen. Das weiß ich nicht.«

Mit einem diskreten Zeichen verabschiedete sich die Frau und ließ die beiden Männer allein, wofür Jörg ihr insgeheim dankbar war. Während er noch nachdachte, sprach der Weißhaarige erneut:

»Aber unabhängig davon, welcher Weg denn der einfachere gewesen wäre – ist das denn wichtig? Man wird nicht glücklich dadurch, dass man es einfach haben möchte.«

Jörg schluckte heftig. Das ging doch sehr gegen sein Empfinden. Aber immer noch konnte er seinen Widerstand nicht aufgeben. »Wird man denn dadurch glücklich, dass man das tut, was Gott einem sagt?«, fragte er kritisch. Sein Gegenüber überlegte, schien seine Worte gut abzuwägen.

»Sagen wir es so: Ich habe es nie bereut, wenn ich Gottes Wort befolgt habe. Wenn ich heute sagen kann, dass mein Leben sinnvoll war und ich Erfüllung erlebt habe, dann vor allem deshalb, weil ich damals Gottes Wort gehört und befolgt habe.«

In diesem Augenblick spürte Jörg, dass er jetzt nicht noch einmal der Entscheidung ausweichen durfte. Er bedankte sich kurz bei dem Älteren und verließ die Kirche. Er holte sein Handy hervor, zögerte einen letzten kurzen Moment angesichts der vorgerückten Uhrzeit. Dann wählte er jene Nummer, die er von früheren Zeiten her noch auswendig kannte.

[ Zum Inhaltsverzeichnis ]

Etwas für mich

Vorlesezeit: ca. 8 Minuten

»Sag mal, was ist denn mit dir los?«, fragte Rainer, als sie wie üblich im Feierabendstau standen. »Dir scheint es ja richtig gut zu gehen. Und das am Montag!«

Lothar lachte. »Das stimmt. Liegt wahrscheinlich daran, dass ich gerade eine wunderbare Woche hinter mir habe.«

»Na hör mal! Die letzte Woche hattest du Urlaub, da geht es einem doch nicht gut, wenn man wieder auf Arbeit muss! Außerdem war doch ein richtiges Sauwetter, und warst du nicht zu Hause?«

»Stimmt.«

»Wie kannst du dann einen schönen Urlaub gehabt haben?«

»Doch, glaub mir. Mir geht es gut. Ich habe nämlich einmal eine ganze Reihe von Dingen nur für mich gemacht.«

Rainer schüttelte den Kopf. »Das macht doch jeder in jedem Urlaub.«

»Das stimmt nicht. Die meisten Leute machen im Urlaub das, wovon sie denken, dass sie es machen müssten. Und oft dienen die Ferien nur dazu, hinterher mit etwas angeben zu können.«

Rainer schwieg eine Weile. Dann meinte er: »So ganz unrecht hast du nicht. Aber nun sag doch lieber, was du denn gemacht hast.«

»Lauter Sachen nur für mich – und meine schöne und geliebte Frau. Zuerst haben wir die beiden alten Kinderzimmer neu eingerichtet …«

»So eine Arbeit findest du schön?«, unterbrach ihn Rainer.

»Doch, doch. Diese beiden Zimmer lagen uns schon lange auf der Seele. Die Kinder sind längst aus dem Haus und haben inzwischen selbst Familie. Die beiden Zimmer waren nur noch eine Mischung aus Rumpelkammer und Andenkenladen. Meine Frau hat noch mehr darunter gelitten als ich. Schließlich ist sie für das Haus mehr zuständig als ich …«

»Du stehst daheim wohl unter dem Pantoffel?«, lachte Rainer.

»Das nicht gerade. Aber schließlich habe ich beruflich aufsteigen können, während meine Frau eine lange Pause wegen der Kinder eingelegt hat und nur halbe Tage arbeitet. Da ist es doch ganz recht, wenn sie zu Hause etwas mehr zu sagen hat als ich.

Jedenfalls hat sie unter diesen beiden Zimmern gelitten. Sie musste das immer irgendwie abspalten. Und das ist nicht gut für die Seele. Schließlich habe ich gesagt: Pass auf, den nächsten kleinen Urlaub nutzen wir, um die Zimmer neu herzurichten.

Und das haben wir gemacht. Das eine Zimmer ist jetzt so etwas wie ein Arbeitsraum, damit man nicht alles auf dem Esszimmertisch oder im Keller machen muss. In den anderen haben wir endlich all die vielen Bücher gestellt, die an verschiedenen Orten im Haus standen, wo man so etwas eigentlich nicht haben will. Dann hatten wir noch einen Sessel von der alten Wohnzimmergarnitur übrig – den einzigen, der noch gut ist – und jetzt ist das so eine Art Lesezimmer geworden – sehr nützlich, wenn einer von uns fernsehen und der andere lesen will.

Ich hätte nicht gedacht, dass diese beiden Zimmer so schön werden könnten, aber man hält sich wirklich gerne darin auf. Dabei haben wir nicht einmal etwas Neues kaufen müssen dafür.«

»Und deshalb geht es dir jetzt so gut?«, fragte Rainer zweifelnd.

»Meiner Frau geht es jetzt viel besser, und das wirkt sich natürlich auch auf mich aus.«

»Na, ich weiß nicht …«

»Frag mal deine Frau«, sagte Lothar. »Vielleicht müsstet ihr das einfach auch einmal machen?«

Endlich rollte der Verkehr wieder flüssiger, was die beiden Männer aber nicht davon abhielt, ihr Gespräch fortzusetzen. »Aber es war ja auch nicht das Einzige«, schob Lothar hinterher.

»Also was noch?«

»Als wir die Zimmer hergerichtet hatten, haben wir anschließend entrümpelt. Eine Firma gerufen, die solche Sachen macht, und all das alte Zeug wegschaffen lassen. Das tut gut, sage ich dir!«

»Ich glaube, das kann ich verstehen«, knurrte Rainer. »Wenn ich an all das Gerümpel auf unserem Dachboden und im Keller denke … Ich habe mal den Spruch gelesen: ›Eigentlich bin ich ja froh, dass ich nichts ins Grab mitnehmen kann, denn das ist die einzige Möglichkeit, den ganzen Krempel einmal loszuwerden.‹«

Lothar lachte. »Wir beide haben beschlossen, nicht so lange darauf zu warten. Wir haben schon einmal angefangen.« Sie ließen den Stadtbereich hinter sich und bogen auf die Autobahnauffahrt ein. Lothar wartete einen Moment, bis sie sich eingefädelt hatten, dann fuhr er fort:

»Als Nächstes kamen die beiden Bücher an die Reihe, die ich hatte, die aber nicht wirklich mein Eigentum waren.«

»Also Lothar, dich kann ich mir wirklich nicht als Dieb vorstellen.«

»Danke. Ich hab sie ja auch nicht gestohlen. Die hatte ich ausgeliehen und es aus irgendeinem Grund versäumt, sie zurückzugeben. Sie waren auch nicht besonders wertvoll, zumindest, was den materiellen Wert betrifft. Außerdem war das jetzt alles schon lange her. Was macht man mit solchen Sachen? Mich hat es belastet, aber ich habe mich lange nicht getraut, das in Ordnung zu bringen.

Na, wie auch immer, jetzt habe ich mir ein Herz gefasst. Bei dem ersten Buch wusste ich noch, von wem ich es hatte. Ich habe die betreffende Person angerufen, gefragt, ob er es wiederhaben will, und als er das bejaht hat, habe ich es vorbeigebracht, zusammen mit einer edlen Flasche Wein als Entschuldigungszeichen.

Bei dem anderen Buch ist der ursprüngliche Besitzer inzwischen verstorben, und ich bin sicher, dass seine Erben kein Interesse daran haben. Das Buch nachträglich zu bezahlen, war mir irgendwie zu blöd – das war die Sache nicht wert. Ich habe überlegt, ob ich einen entsprechenden Betrag spenden soll – bei dieser Vorstellung ging es mir aber auch nicht besser. Ich war ziemlich ratlos, bis meine Frau vorgeschlagen hat, ich solle es wegwerfen, obwohl mir das Buch eigentlich gefällt. Das habe ich schließlich gemacht. Jetzt liegt es mir nicht mehr auf dem Gewissen.«

»Ein richtiges Großreinemachen«, meinte Rainer.

»Stimmt«, sagte Lothar. »Kann ich nur empfehlen. Aber ich bin noch nicht fertig.«

»Noch was?«, fragte Rainer ungläubig.

»Ja, ja. Wo ich schon beim Aufräumen war, habe ich auch in meiner Seele Ordnung geschaffen. Da gab es eine Person, die mir einmal etwas sehr Übles angetan hat …«

»Einen Moment bitte«, unterbrach ihn Rainer, gleichzeitig den Blinker setzend. »Hinter uns übt sich mal wieder jemand in der Kunst des Arschkriechens, den will ich nur schnell vorbeilassen.« Er wechselte auf die rechte Spur, wartete, bis der Drängler überholt hatte, und zog das Auto sofort wieder nach links. »Weiter.«

»Also, jener Mensch hat mir etwas Böses angetan, was mir jetzt seit Jahren nachgeht. Letzte Woche dachte ich, ich will das endlich loswerden. Ich habe mir alles aufgeschrieben, was ich diesem Menschen vorzuwerfen hatte, dann habe ich zu jedem Punkt gesagt: Das war nicht Recht vor Gott und den Menschen. Ich habe das auch begründet, entweder mit dem staatlichen Gesetz oder mit der Bibel. Und dann habe ich es im Namen Jesu vergeben. Als ich fertig war, habe ich den Zettel zerrissen.«

»Sagtest du nicht, du hättest etwas für dich getan?«, fragte Rainer.

»Natürlich! Das habe ich für mich gemacht. Ich wollte diesen Dreck endlich loshaben! Und jetzt ist er weg. Tut richtig gut.«

Die beiden Männer schwiegen eine Weile. Erst als sie die Autobahn schon wieder verlassen hatten, meinte Lothar: »Noch eine Sache habe ich gemacht. Das ist aber auch wirklich die letzte …«, und schwieg.

»Und was?«, fragte Rainer, als Lothar keine Anstalten machte fortzufahren.

»Ich weiß nicht, ob ich das erzählen soll …«

»Erst machst du mich neugierig und dann willst du nichts sagen«, lachte Rainer. »Das geht nicht.«

»Na gut.« Lothar zögerte trotzdem noch, ehe er endlich antwortete. »Ich habe eine größere Summe Geld gespendet.«

»Wie bitte?« Rainer schüttelte verwundert den Kopf. »Das ist jetzt aber wirklich nicht für dich, sondern für die anderen!«

»Doch!«, widersprach Lothar. »Auch das war für mich.« Er zögerte einen Moment. »Jesus hat gesagt: Gib dein Geld den Armen, und du wirst einen Schatz im Himmel haben. Und deshalb habe ich das gemacht: Ich will diesen Schatz im Himmel.«

Rainer schluckte kräftig. Eine ganze Menge Fragen bestürmten ihn. Aber inzwischen standen sie vor Lothars Haus, und es drängte beide Männer, endlich heimzukommen. Also verabschiedeten sie sich voneinander mit dem üblichen Also bis Morgen!, wobei beide – mir Recht – vermuteten, dass ihr Gespräch wohl noch eine Fortsetzung finden würde.

[ Zum Inhaltsverzeichnis ]

In Windeln gewickelt

Vorlesezeit: ca. 7 Minuten

»Das ist entwürdigend!« Besänftigend legte die Schwiegertochter ihre Hand auf seine Schulter: »Ja, Opa. Beruhige dich doch!« Der alte Herr aber schimpfte noch lauter: »Das ist entwürdigend!«

»Ja, Opa«. Christa Wiesner seufzte. Was sollen wir denn machen?, fügte sie hinzu, allerdings nur für sich.

»Das ist entwürdigend!« Dieses Mal schrie er es geradezu heraus. Die Schwiegertochter schwieg.