Alt werden ist ein Vergnügen, wenn Sie es richtig anstellen - Jürgen Bludau - E-Book

Alt werden ist ein Vergnügen, wenn Sie es richtig anstellen E-Book

Jürgen Bludau

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Beschreibung

Alt werden möchten wir alle, alt sein dagegen nicht. Dabei ist das Alter nichts, was uns Angst machen muss, wenn wir uns entsprechend vorbereiten und verhalten. In "Alt werden ist ein Vergnügen, wenn Sie es richtig anstellen" zeigt der Altersmediziner Dr. med. Jürgen Bludau, mit welchen körperlichen und gesundheitlichen Einschränkungen wir zu rechnen haben und wie wir diesen Herausforderungen begegnen, um "gut alt" zu werden. Dazu gehören Ernährung, Bewegung und Fitness, Prophylaxe und Gesundheitschecks ebenso wie Sex, Drugs & Rock´n´Roll. Oh ja! Misstrauen sollte man jedoch den Heilsversprechungen der "Anti-Aging-Medizin" und ihrer Wundermittel, mit denen sie uns das Geld aus der Tasche zieht. Sein Rat: akzeptieren wir unseren Körper und die Einschränkungen, die mit dem Alter einhergehen, und machen wir das Beste draus! Mit entsprechender Herangehensweise meistern wir das Altern in Würde – ganz ohne teures Anti-Aging – und erhalten uns ein Maximum an Lebensfreude. Wie genau das geht, zeigt er in diesem Buch.

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Ich widme mein Buch allen meinen Patienten

INHALTSVERZEICHNIS

Einleitung

Kapitel 1Cato der Ältere und die Geschichte des Alterns

Kapitel 2Die Geriatrie – das Spiegelbild der Kinderheilkunde

Kapitel 3Der milliardenschwere Anti-Aging-Hokuspokus

Kapitel 4Der Glaube an den Jungbrunnen als sprudelnde Geldquelle

Kapitel 5Verjüngung mit Skalpell – Sie werden kaum wiederzuerkennen sein

Kapitel 6„Mit 66 Jahren, da fängt das Leben an …“ – echt jetzt?

Kapitel 7Schlechter Schlaf, Schwindel, schwache Sinne

Kapitel 8Vorbeugung: Wartung und Pflege Ihres Modells der Marke Mensch

Kapitel 9Ärzte auf Partnersuche: Der Patient kennt seinen Körper am besten

Kapitel 10Schneller Sturz, tiefer Fall: im Alter die Balance bewahren

Kapitel 11Karies in den Gelenken: Volkskrankheit Arthrose

Kapitel 12Kommt das Erbgut in die Jahre, droht Krebs

Kapitel 13Das große Vergessen: Wenn das Gehirn schon zu Lebzeiten stirbt

Kapitel 14Wer macht sich schon gerne in die Hose?

Kapitel 15Sex and Drugs and Rock ’n’ Roll

Kapitel 16Hausaufgaben fürs hohe Alter – und danach

Kapitel 17Mal ein bisschen Bewegung, aber dalli!

Kapitel 18Greisenspeisen: Was in Omas Küche gehört

Kapitel 19Goldene Regeln für einen goldenen Herbst

 

Danksagung

Bibliografie

 

EINLEITUNG

Ich weiß nicht, wie es Ihnen ging, liebe Leserinnen und Leser, aber ich vermute, Sie haben es nicht viel anders erlebt: Als ich klein war, konnte ich mir nicht vorstellen, jemals alt, geschweige denn einer von denen zu sein, die zu den Anwärtern auf einen Platz im Seniorenheim zählen. Alles, was ich wollte, war, groß zu werden – und natürlich auch stark. Das Erwachsenenalter war sehr weit weg. Geburtstagen fieberte ich, wie wohl die allermeisten Kinder, entgegen, weil sie Geschenke verhießen. Aber dass ich – mal wieder – ein Jahr älter geworden war, spielte überhaupt keine Rolle. Wenn ich abends glücklich und aufgekratzt ob der wunderbaren neuen Spielsachen im Bett lag, habe ich gedacht: Oh je, nun muss wieder ein ganzes Jahr vergehen, bis ich das nächste Mal die Kerzen auf der Geburtstagstorte ausblasen darf.

Und zack, war ich 14 – ein Alter an der Schwelle zwischen Junge und Mann. Von da an habe ich nur noch darauf gewartet, endlich ein „richtiger“ Erwachsener zu sein, also volljährig, weil das bedeutete, den Führerschein machen zu dürfen. Aber schon so ab 25 schlich sich ein merkwürdiges Gefühl ein, das besagte: Die Zeit vergeht rasend schnell. Aus „oh je, wieder ein Jahr auf den Geburtstag warten“ wurde „oh je, schon wieder ein Jahr vorbei“. Auch für mich galt der berühmte Spruch: Je älter man wird, desto schneller vergeht die Zeit. Das Gefühl kennt wohl jede und jeder. Bei dem einen stellt es sich schon mit 30 ein, bei der anderen erst mit 40. Die Jahre fliegen nach dem ersten Drittel des Lebens nur so vorbei, mal in Überschall-, dann sogar in Lichtgeschwindigkeit – aber leider nicht mehr im Schneckentempo. Eben war der Osterhase da, schon klingelt der Weihnachtsmann an der Tür.

Der Eindruck entsteht im Kopf – klar, wo sonst? Erstaunlich ist, dass wir wissen: Das Jahr hat 365 Tage, aber das Zeitempfinden verändert sich. Forscher der Duke University in North Carolina versuchten herauszufinden, warum das so ist. Das Ergebnis der Studie: Je älter wir werden, desto langsamer werden Erlebnisse im Gehirn aufgenommen und verarbeitet. Weil aber auch das Hirn in späteren Jahren in der Leistung nachlässt, sinkt die Zahl der gespeicherten Informationen, und in der Folge werden weniger Bilder in der gleichen Zeit verarbeitet, Erlebnisse geraten im wahrsten Sinne des Wortes in Vergessenheit – und das lässt die Empfindung entstehen, die Zeit verfliege. Diese Entwicklung hat aber auch etwas Tröstliches, finde ich. Sie bedeutet nämlich nicht, dass Erfahrungen in der Jugend generell mehr Bedeutung haben und sich deshalb tiefer als Erinnerungen einbrennen – sie werden nur einfach atemberaubend schnell verarbeitet und im Gehirn verankert, sodass mehr vorhanden sind.

Als ich die große Feier zu meinem Fünfzigsten organisierte, beschlich mich ein ganz besonderes Gefühl, ein Mix aus Staunen und Ernüchterung. Nun bist du also schon ein halbes Jahrhundert auf der Erde, dachte ich. 50 klingt anders als 21, 33 oder 44. Aber es ging mir gut, ich war geistig und körperlich voll auf der Höhe, das Leben ging seinen gewohnten Gang. Ich fühlte mich energiegeladen und – jawohl – durchaus jung.

Dann näherte sich langsam, aber sicher der sechzigste Geburtstag – und etwas änderte sich. Die ersten Zipperlein stellten sich ein, ich brauchte mehr Schlaf als früher und länger, mich zu erholen, wenn ich ein bisschen zu viel Alkohol getrunken hatte. Und nicht zuletzt war da noch die Tatsache, dass das Rentenalter unaufhaltsam näher rückte.

Die Aussicht, bald wohlverdient von Altersbezügen zu leben und viel Zeit für mich zu haben, löste in mir durchaus Vorfreude aus. Andererseits dachte ich: Auf dem Weg zu Rente oder Pension zu sein, heißt auch, langsam, aber sicher ein Greis zu werden. Der Gedanke war mit Angst verbunden, die sich subtil äußerte. Sie speist sich aus einer mehr oder weniger bösen Ahnung. Was kommt da wohl (noch) auf einen zu? Man hat die Bilder von Pflegeheimen im Kopf, die teuer sind und die Ersparnisse verschlingen, in denen das Personal knapp ist und sich die vorhandenen Mitarbeiter – da überlastet – kaum um die Bewohner kümmern können. Nichts verunsichert mehr als der Gedanke, hilflos in einem Bett zu liegen und auf den Tod zu warten. Durch die Berichterstattung aus Kliniken und Altenheimen im Zuge der Corona-Pandemie dürfte sich dieser Eindruck noch verfestigt haben. Aber das ist noch mal ein eigenes Thema.

Getriggert wird die Angst auch dadurch, dass unsere westliche Gesellschaft ein generelles Problem hat mit Menschen, die nicht (mehr) tadellos „funktionieren“ und nicht (mehr) produktiv sind. „Das Alter“ und Senioren werden wenig bis gar nicht wertgeschätzt. Alte Menschen sind der Gesellschaft eine Last, ihr Vorhandensein konfrontiert mit der Tatsache: Auch du wirst einmal alt sein.

Altwerden wird in der westlichen Welt als etwas Negatives, nicht Erstrebenswertes empfunden. Man gehört dann zum „alten Eisen“, ist nicht mehr auf der Höhe der Zeit, kann keine Apps runterladen oder das WLAN konfigurieren und verliert den Anschluss an die neuesten Entwicklungen. Dem Staat und der Verwandtschaft kostet man Geld, insbesondere dann, wenn man zum Pflegefall wird. Das verletzende, lähmende Gefühl drängt sich auf, nicht mehr gebraucht zu werden. Ab wann gesteht man sich ein, nicht mehr allein zurechtzukommen in den eigenen vier Wänden? Dass es nicht länger ohne Hilfe geht? Zumal die Werbung im Fernsehen jeden Tag jung gebliebene Rentner präsentiert, die mit dem Hund spazieren gehen und vitaler sind als das Tier, die mit den Enkeln spielen, als wären sie in einen Jungbrunnen gefallen.

Es wundert mich nicht, dass viele Millionen Menschen auf der Erde Tag für Tag viel Geld für Präparate, Pillen, Nahrungsergänzungsmittel ausgeben und auf ein Wunder hoffen, dass die Arthrose verschwindet und der Alzheimer weggeht, als wären es Erkältungen. Es wundert mich auch nicht, dass so viele Menschen die vollmundigen Versprechungen der Anti-Aging-Medizin dankbar aufsaugen wie ein Schwamm. Die Lösung aller Probleme durch eine simple Pille ist allzu verlockend. Die Werbung spielt mit unseren Emotionen und Ängsten und passt ins Zeitalter unwissenschaftlicher „Alternativen“. Was mich ebenfalls nicht wundert, ist, dass sich das erhoffte Wunder nicht einstellt und Arthrose oder Alzheimer bleiben, wo sie waren. Was schwindet, ist das Geld auf dem Konto.

Wer vermag angesichts wundersamer Heilsversprechungen schon nein zu sagen? Ausprobieren kann man es ja mal, schaden wird es schon nicht. So entstand in der Vergangenheit über Jahrzehnte hinweg eine Industrie, die Hunderte Millionen Euro umsetzt, in der sich Pseudowissenschaftler tummeln und unwidersprochen den größten Blödsinn verzapfen können. In ihren Publikationen schwafeln sie von einer möglichen Lebenserwartung von 120, mindestens 150 und sogar 500 Jahren, sodass sogar der Spiegel im November 2019 titelte: „Adieu, Tod“.

Ich arbeite seit beinahe 30 Jahren in der Altersmedizin, der Geriatrie. Nach meiner Kenntnis existiert bis heute keine einzige halbwegs seriöse Forschungsstudie, die belegt, dass all die teuren Pillen und Mittelchen das Altern stoppen oder auch nur aufhalten können. In der medialen Berichterstattung über die wahnwitzigen Behauptungen wird die kleine, jedoch nicht ganz unwichtige Tatsache gerne unterschlagen, dass die Probanden in Experimenten zur angeblichen Lebensverlängerung Fische, Würmer und Mäuse waren. Nun könnte man sagen: Auch Medikamente werden an Mäusen getestet. Aber wenn es darum geht, den Tod um Jahrzehnte aufzuschieben, gibt es doch sehr große Unterschiede zwischen Maus und Mensch.

Als Mediziner kann ich vor dem ganzen Hokuspokus nur warnen. Mein Ansatz ist ein anderer, daher dieses Buch. Wichtig ist, dass wir den Alterungsprozess besser verstehen, dass wir begreifen, was mit unserem Körper passiert. Sodann plädiere ich für ein gesellschaftliches Umdenken, nämlich dass weder das Altwerden noch das Altsein eine Schande sind. Ich plädiere dafür, beides als Chance und Geschenk zu betrachten. Altern ist auch nicht gleich Altern, sondern die Summe aller persönlichen Lebenserfahrungen und somit individuell für jeden Menschen.

Es ist Zeit für einen Perspektivwechsel, für einen entspannten Blick auf das Leben. Alte Menschen brauchen sich nicht mehr zu beweisen – sie haben längst gezeigt, was sie können, schließlich haben sie ein ganzes Leben mit allen Höhen und Tiefen gemeistert. Dementsprechend nimmt, was in jüngeren Jahren wichtig war oder wichtig erschien, im Alter einen anderen Stellenwert ein. Freilich, der ältere Körper wird anfälliger für Krankheiten, das Alter geht einher mit dem Verlust an Selbstständigkeit. Dem sollte man sich stellen. Ich möchte dazu beitragen, dass die Angst vor dem Altern schwindet. An der Weisheit „Jeder ist seines Glückes Schmied“ ist auch im Alter was dran. Jeder hat es in der Hand, sich auf das Alter(n) vorzubereiten, um auch dann gut zu leben.

Ich diesem Buch erläutere ich den Alterungsprozess aus medizinischer Sicht, gebe Ratschläge für ein gesundes Altwerden und versuche, Ihnen die Angst – wenigstens ein bisschen – zu nehmen. Ich werde mein Anliegen in einer nutzbaren Art und Weise vermitteln. Keine Sorge, ich meide Fachausdrücke, wann immer es geht, und beschreibe alle Vorgänge leicht verständlich.

Ich nehme die Wirkung von Wunder- oder Allheilmitteln unter die Lupe und erkläre, warum die Einnahme oder Verwendung derlei Quacksalbergebräue Unsinn ist. Ich biete Ihnen auf wissenschaftlichen Fakten beruhende Informationen, damit Sie die richtigen Entscheidungen für Ihre Gesundheit treffen können, ohne hohe Summen für nichts zu bezahlen. Ich möchte Ihnen auch alltagstaugliche Tipps geben: zu Ernährung, Sport, Sexualität im Alter, Medikamenteneinnahme und dem so wichtigen und oft zu kurz kommenden Besuch beim Hausarzt. Aber ich meide auch nicht die unappetitlichen Folgen des Alterns wie Inkontinenz, Gedächtnisverlust, Stürze mit Brüchen als Folge, Pflege. Und nicht zuletzt werde ich auch das schlimmste Thema anfassen: den Tod.

Ich hoffe, mit meinem Buch einen Beitrag dazu zu leisten, das Altwerden zu enttabuisieren, vor allem aber, Ihnen ein langes und unbeschwertes Leben zu ermöglichen.

Kapitel 1

CATO DER ÄLTERE UND DIE GESCHICHTE DES ALTERNS

Über das Alter gibt es seit Jahrtausenden nur eine übereinstimmende Meinung: Es kommt unausweichlich. Doch jeder Mensch altert anders. Es war daher schon vor über 4.000 Jahren falsch, dass der ägyptische Dichter und Philosoph Ptahhotep, ein Beamter des Pharaos Asosi/Isesi (24. Jahrhundert vor Christi), pauschal das „qualvolle Ende des Greises“ beschwor. Er schreckte seine Zeitgenossen damit, dass ihnen im Alter grundsätzlich schwindende Kräfte, versagende Sinnesorgane und abnehmende Geisteskraft drohten. Zwar waren einige seiner Beobachtungen nicht falsch, sie lassen sich aber nicht so grob verallgemeinern, wie er es getan hat.

Zwei prominente Mediziner der Antike waren sich im Hinblick auf das Älterwerden lediglich darüber einig: Man sollte sich dafür warm anziehen. Der Grieche Hippokrates (460 bis ca. 370 v. Chr.), auf den Ärzte heute noch ihren Eid schwören, beschrieb das Altern als „kalt und nass“. Sein späterer altrömischer Kollege Galen (129 bis etwa 200 v. Chr.) befand hingegen, das Altern sei „kalt und trocken“.

Diese Erkenntnisse durften trotz der großen Bedeutung von Hippokrates und Galen für die Entwicklung der Medizin keine größere Gültigkeit für sich beanspruchen als heutzutage so manche Wettervorhersage. Sie beruhten auf der Annahme, dem menschlichen Körper gehe mit den Jahren sozusagen der Betriebsstoff aus, weswegen er erkalte. Daraus ergab sich eine auf den ersten Blick einleuchtende Übereinstimmung des Alters mit dem Winter. Galen ging übrigens davon aus, dass der von ihm konstatierten „Trockenheit“ alter Menschen mit Wein entgegengewirkt werden könne. Prost, Senioren! Dazu später mehr.

Bei den griechischen Philosophen Sokrates (469 bis 399 v. Chr.) und Aristoteles (384 bis 322 v. Chr.) finden wir deprimierende Schilderungen der letzten menschlichen Jahre. In den Schriften des Sokrates ist davon die Rede, dass sich im Lebensalter „alles Böse und Tödliche der Natur“ manifestiere. Aristoteles beschrieb alte Menschen als furchtsam und der Vergangenheit verhaftet.

Es gab im Altertum allerdings auch positive Beschreibungen über die letzten Jahre eines jeden Menschen, bevor er die Welt verlässt. Von jemandem, der es im Namen führte, Cato dem Älteren (234 bis 149 v. Chr.), durfte man das geradezu erwarten. Cato war ein römischer Politiker, Historiker, Literat und Offizier. Der ebenso vielseitige, aber nicht militärisch geschulte Cicero (106 bis 43 v. Chr.), der Cato nie begegnete, setzte ihm ein literarisches Denkmal, in seinem Werk „De senectute“ („Über das Alter“). Darin befürwortet Cato ein „Alter ohne Jammern“, das für „gemäßigte und unkomplizierte und gebildete Greise“ durchaus erträglich sei.

All diese frühen Gedanken über die späte Lebensphase – gestatten Sie mir bitte diesen Seitenhieb auf die einst männliche Dominanz in der Geisteswissenschaft – stammten von weißen alten Männern. Dabei genießen bis in heutige Tage Frauen im Allgemeinen den Vorzug, langlebiger als Männer zu sein. Zudem, das lässt sich bis in die Antike zurückverfolgen, mangelte es an Achtung vor Frauen, sobald sie ihre Gebärfähigkeit verloren hatten. Frauen, die – wenn auch begrenzt und nicht studiert – der Heilkunde durch Überlieferung alten Wissens mächtig waren, wurden gern der Hexerei bezichtigt und landeten auf dem Scheiterhaufen.

Eine herausragende mittelalterliche Persönlichkeit, die noch im hohen Alter geistig fit war, gehörte dem Geschlecht an, das in jener Epoche wenig Einfluss hatte. Die Mystikerin Hildegard von Bingen, bei der sich viele zeitgenössische spirituelle Strömungen ebenso bedienen wie Anhänger der Naturheilkunde, gründete noch in ihrem siebten Lebensjahrzehnt ein Nonnenkloster bei Bingen. Die inzwischen heiliggesprochene Nonne machte sich – mehr als 800 Jahre vor dem Bestseller „Darm mit Charme“ – Gedanken über die Wirkung von Ballaststoffen für ein angenehmes Magengefühl, stellte Überlegungen zur Diagnostik an, beschrieb den weiblichen Orgasmus und ging davon aus, dass die „Glut der Begierde“ bis zum 70. Lebensjahr anhält. Sexualität im Alter – auch diesem spannenden Thema werde ich mich in diesem Buch widmen. Hildegard blieb unvergessen, übrigens auch in der Musikgeschichte und Dichtung. Sie starb mit 81 Jahren und ist ein frühes Beispiel dafür, was die Wissenschaft später bestätigte: Mann oder Frau sollte den Kopf auch im hohen Alter nicht in den Sand stecken, sondern in Bücher. Wie schön also, dass Sie meins gerade lesen. So schlagen Sie zwei Fliegen mit einer Klappe: Sie halten Ihr Gehirn fit und erfahren hoffentlich, wie Sie richtig alt werden.

Aber nun zurück zur kurzen Geschichte des Altwerdens und des Umgangs damit. Das antike Athen, Hort der Demokratie, kannte die gesetzliche Verpflichtung der Kinder zu einer späteren Versorgung ihrer Eltern. Im gänzlich anders gestrickten Krieger-Stadtstaat Sparta konnte man von Ansätzen einer Gerontokratie sprechen. Dort hatte ein Rat der Alten – „Gerousia“, seine Mitglieder mussten über 60 Jahre alt sein – Mitspracherecht. Staatlich organisierte Bemühungen um Mindestexistenzgarantien für arme Menschen, die zum Arbeiten zu alt wurden, finden sich erst wesentlich später wieder, im 16. und 17. Jahrhundert. Allerdings lassen sich für einige wenige Privilegierte durch die Jahrhunderte auch Ruhestandsregelungen finden, die meist mit dem 60. Lebensjahr einsetzten, einer magischen Grenze, jenseits derer man auch heute als alt gilt.

Alte Menschen wurden bis in die Neuzeit hinein aber auch oft Ziel des Spotts der Jüngeren. Idealtypisch versinnbildlicht dies der Pantalone, eine Figur aus der italienischen Commedia dell’Arte. Er ist ein geiziger Griesgram und Hahnrei, der es nicht wahrhaben will, dass jüngere Frauen sich nicht mehr für ihn interessieren. Auch die alte Kupplerin, eine verschlagene Greisin, die lüsternen Männern willige junge Gespielinnen zuführte, war ein beliebtes Zerrbild.

Vor der Einführung von Systemen zur Rentenversicherung waren alte, mittellose Menschen jahrhundertelang auf die Fürsorge ihrer Verwandten, auf Almosen oder Armenhäuser angewiesen, wenn die Kraft ihrer Hände nachließ. Auf der anderen Seite der sozialen Skala gab es allerdings auch Greise mit Geld und Macht. Seit dem Mittelalter verließ die Stadt Venedig sich zur Lenkung ihrer Geschicke gerne auf Ältere. Zu Dogen, den Oberhäuptern der Kaufmannsrepublik, wurden oft gereifte Herrschaften weit über 60 gekürt. Dies hatte freilich nicht nur damit zu tun, dass ihnen Weisheit unterstellt wurde, sondern auch mit der Aussicht darauf, dass sie aus biologischen Gründen nicht allzu lange die Zügel in der Hand halten würden. So kann man die Amtszeit eines Politikers natürlich auch begrenzen.

Bei der am Ende des 19. Jahrhunderts in Preußen eingeführten ersten staatlichen Rente galt für das, was die Bürokratie staubtrocken den Erlebensfall nennt – gemeint ist die Auszahlung des Ruhegelds zu Lebzeiten –, freilich eine Mindestgrenze von 70 Jahren. Manchmal fürchte ich, dass wir bald wieder so weit sind. Da ich jedoch Arzt bin, kümmere ich mich um Ihre medizinische Altersversorgung – die finanzielle Seite überlasse ich der Politik.

Der „Eiserne Kanzler“ Bismarck hatte in der Zeit, über die ich hier nun berichte, erkannt: „Die soziale Bedeutung einer allgemeinen Versicherung der Besitzlosen scheint mir unermesslich zu sein; es ist unerlässlich, unter der großen Mehrheit besitzloser Menschen über die Gefühle, die mit dem Anrecht auf eine Rente entstehen, eine grundsätzlich konservative Haltung zu erzeugen.“ Der an sich progressive Ansatz zu einer Rentenversicherung sollte also den vaterlandslosen Gesellen, den aufkommenden Sozis, das Wasser abgraben – die Grundzüge des deutschen Sozialstaats waren geboren.

Viele Jahrzehnte später irrte sich ein anderer deutscher Legenden-Kanzler über die Stabilität der Finanzierungsgrundlage des Generationenvertrags für die Rente: „Kinder bekommen die Leute immer“, wird Konrad Adenauer als Äußerung in der Diskussion über die lohngekoppelte Rente zugeschrieben.

Andere Gemeinwesen prägten das Wort „Rentnerschwemme“. Laut Statistischem Bundesamt wird die Zahl der Bundesbürger über 67 im Jahr 2035 voraussichtlich 20 Millionen erreichen. Dann kommen rechnerisch etwa 43 Rentner auf 100 Menschen im erwerbsfähigen Alter. 2019 waren knapp 60 Prozent der 55- bis 64-Jährigen in der EU noch erwerbstätig.

Die gesellschaftlichen und ökonomischen Folgen der wachsenden Zahl der Ruheständler sind enorm. Bei der Bundestagswahl 2021 stellten Menschen über 60 bereits die größte Wählergruppe. Die EU-Kommission erwartet, dass Produkte und Dienstleistungen für ältere Menschen, die sogenannte Seniorenwirtschaft, im Jahr 2025 einen Umfang von 5,7 Billionen Euro haben werden, bei jährlichen Zuwachsraten von circa fünf Prozent. Dem stehen die steigenden Risiken für Altersarmut gegenüber. Und die Tatsache, dass im Jahr 2050 vermutlich mehr als 30 Millionen EU-Bürger pflegebedürftig sind.

NA, ALTES HAUS, WIE GEHT’S DIR?

Die Bewertung des unabwendbaren Ablaufens der menschlichen Lebensspanne ist nicht nur individuelle Einstellungssache – und da lässt sich recht viel einstellen, wie Sie auf den nächsten Seiten erfahren werden. Sie stellt sich auch als kulturhistorischer, philosophischer und gesellschaftlicher Diskurs dar, den negative wie positive Stereotype prägen. Im Buch „Das Alter – Eine Kulturgeschichte“, das neben anderen Quellen Anregungen für diese geraffte geschichtliche Einführung lieferte, schreibt Herausgeber Pat Thane: „Das ‚Alter‘ ist schon allein deshalb eine besondere Phase im Leben, weil es so lange dauert. Es beginnt nach landläufiger Meinung im fünften Lebensjahrzehnt und führt manchmal bis jenseits der 100 Jahre. Die ‚Jugend‘ und das ‚Erwachsenenalter‘ sind dagegen deutlich kürzer.“

Je nach Naturell und Temperament mag der eine das Versiegen seiner Schaffenskraft beklagen, ein anderer vielleicht von der Abrundung seines Lebenswerks sprechen. Es gab und gibt Gesellschaften, in denen Respekt vor den Alten und ihrer Erfahrung selbstverständlich waren und sind, ihr Rat hochgeschätzt ist.

Aus medizinischer Sicht lässt sich sagen, dass wir inzwischen zwar ein besseres Verständnis vom Alterungsprozess haben, daraus aber immer noch sehr unterschiedliche Schlüsse ziehen. Darauf basiert eine ganze Anti-Aging-Industrie, die ihren Kunden die Aussicht auf etwas weismacht, was doch bis dato noch niemandem gelungen ist: diesen Prozess grundsätzlich zu stoppen oder gar rückgängig zu machen. Jedoch haben wir heute die Geriatrie, auch Altersmedizin genannt, die ein Fachbereich der inneren Medizin ist und die medizinische Betreuung älterer Menschen verbessert hat. Dazu nun mehr.

Altes Haus, wie geht’s dir? Die Frage, die auch Begrüßungsformel sein kann, kennen Sie bestimmt. Sie ist selbst schon ein bisschen in die Jahre gekommen, aber durchaus noch gebräuchlich. Warum eigentlich? Wie kommen wir dazu, jemanden als ein Bauwerk zu betrachten, noch dazu ein vielleicht schon baufälliges?

Eine genaue Erklärung haben die Etymologen auf ihrer beständigen Suche nach den Wortursprüngen nicht gefunden, sie verliert sich vermutlich irgendwo in den Tiefen des Althochdeutschen. Eine recht originelle Deutung besagt, es handle sich bei einem „alten Haus“ um das bei Frauen erfolglose Gegenstück zum Herzensbrecher Casanova, dessen Name aus dem Italienischen übersetzt „neues Haus“ lautet. Und in der fränkischen Mundart sagt man von einem Kerl mit Flausen im Kopf, er habe „Einfälle wie ein altes Haus“.

Alles recht wenig charmant. Von geriatrischer Warte allerdings ergibt es Sinn, das Altern eines Menschen mit dem eines Hauses zu vergleichen.

Wenn der Neubau fertiggestellt ist und der Einzug bevorsteht, ist das Haus neuwertig; alles glänzt und funktioniert. Mit der Zeit jedoch stellen sich die ersten Mängel ein, fallen Reparaturen an. Wind und Wetter zerren an Dach und Putz. So ungern der Hausherr auch kostspielige Handwerker bestellen möchte: Er weiß, dass diese Aufwendungen nötig sind, um den Wert des Gebäudes zu erhalten.

Bei uns Menschen ist es im Grunde nicht anders. Zum Beispiel beschädigt stundenlanges Sonnenbaden, womöglich auch noch vor Öl triefend, am Strand von Gran Canaria oder Sylt unsere Haut. Falten und ein erhöhtes Risiko für Hautkrebs sind Urlaubssouvenirs, die man sich lieber nicht zulegen sollte.

Haben wir unserem Heim, dem Körper, aber einmal geschadet, müssen wir ebenfalls auf Fachleute für Reparaturen zurückgreifen, die allgemein Ärzte genannt werden. Und auch dabei können unangenehme Kosten anfallen, falls die Krankenkasse sie nicht übernimmt.

Ein gewisser Verschleiß lässt sich weder im eigenen Haus noch im eigenen Körper vermeiden, auch wenn man achtsam mit beiden umgeht. Das Alter fordert halt seinen Tribut. Wände und Böden zeigen Spuren des Gebrauchs, so sehr wir sie regelmäßig putzen und pflegen. Haushaltsgeräte halten nicht ewig, selbst wenn wir sie immer strikt nach Gebrauchsanleitung bedienen. Manchmal sind sogar Notreparaturen erforderlich, rufen wir sofort den Klempner, wenn sich unter der Spüle plötzlich Wasser sammelt.

Unseren Körper sollten wir in gleicher Weise pfleglich behandeln und auf Warnsignale achten. Um uns selbst gut in Schuss zu halten, müssen wir auf einen gesunden Lebensstil achten, regelmäßig zum Arzt gehen, uns Vorsorgeuntersuchungen unterziehen, Schutzimpfungen erhalten und vorsichtigen, weisungsgemäßen Gebrauch von Medikamenten machen.

Ich werbe an der Stelle auch gleich einmal für ein gesellschaftliches Umdenken: Alternde Männer – das gilt übrigens für jüngere ebenso – müssen niemandem beweisen, wie stark sie sind. Und wenn doch, dann nicht dadurch, dass sie nicht zum Arzt gehen. Medizinische Untersuchungen zu meiden wie der Teufel das Weihwasser, hat nichts mit männlicher Stärke zu tun – eher im Gegenteil. Dahinter steckt oft die Angst, etwas zu erfahren, was man nicht hören will. Das hat sicherlich auch mit dem uralten Rollenbild des Mannes in der westlichen Welt zu tun, der nicht als „Ernährer“ der Familie ausfallen darf. Wer krank ist, fällt nun mal aus. Aber deshalb den Arztbesuch endlos aufschieben? Besser nicht.

Natürlich wird man jedem Haus mit der Zeit die Jahre ansehen – wie uns Menschen ebenfalls. Aber auch ein altes Haus kann seinen Charme haben, und wir alle können fitte und gesunde 80-Jährige werden. Die Vereinten Nationen haben die 20er-Jahre dieses Jahrhunderts zum „Jahrzehnt des gesunden Alterns“ ausgerufen. Im Kern soll es darum gehen, die immer größere Zahl älterer Menschen besser in der Gesellschaft zu verankern, die Gesundheitssysteme stärker an ihre Bedürfnisse anzupassen und die Pflegeangebote zu optimieren. Die Erfüllung all dieser Ziele müssen wir nicht allein der UNO und ihrer federführenden Weltgesundheitsorganisation WHO überlassen. Jeder Einzelne kann etwas beitragen – zum Beispiel dazu, dass Pflegebedürftigkeit gar nicht oder möglichst spät eintritt.

Ich selbst habe großen Respekt vor dem Alter und Altwerden. Ich, der ich nun auch nicht mehr der Allerjüngste bin, bewundere ältere Menschen und deren Lebenserfahrung. Ich weiß auch, dass es nicht selbstverständlich ist, ein gesundes und zufriedenes Alter zu erleben. So passe ich besonders auf mein Gewicht auf, was mit über 60 Jahren nicht mehr ganz einfach ist. Wir essen in der Familie wenig Fleisch, mehr Fisch, und zum Frühstück gibt es einen Shake. Salat zum Mittagessen und abends etwas Warmes. Ein Glas Wein (und manchmal auch mehr) am Abend muss aber sein, und im Bett noch einen Tee. Übrigens: Kaffee nur am Morgen.

Vitaminpillen oder Sonstiges aus dem Reformhaus oder der Apotheke gibt es bei mir nicht. Für die Fitness fehlt mir leider die Zeit, daher gehe ich mit unserer Golden-Retriever-Hündin abends und an den Wochenenden spazieren, versuche wenigstens zweimal in der Woche, das Fitnessstudio aufzusuchen, was häufig aus Zeitmangel nicht klappt. Aber ehrlich gesagt: Manchmal bin ich einfach zu faul. Was ich gerne tue, ist, am Wochenende gemeinsam mit meiner Frau und unserer Fahrradgruppe die Mammolshainer Stöffe Bikerein paar Kilometer auf dem Fahrrad zu strampeln. Dieses radelnde Nebeneinander ist eine angenehme Art des sportlichen Miteinanders, gut für Lunge und Kreislauf.

GERI-WAS? DAS ALTER IST KEINE KRANKHEIT

Beruflich setze ich mich mit dem Thema Alter(n) seit meiner medizinischen Ausbildung am Royal College of Surgeons in Dublin auseinander. In der irischen Hauptstadt absolvierte ich eine einjährige Assistenzzeit: sechs Monate Chirurgie, dann ein halbes Jahr Innere Medizin. In der Inneren gab es die Möglichkeit, drei Monate auf der Geriatrie tätig zu sein – diese Chance habe ich ergriffen: Denn der zuständige Geriater imponierte mir damit, wie er multimorbide Patienten, wie wir Fachmediziner mehrfach Erkrankte nennen, behandelte, vor allem aber, wie er immer versuchte, sämtliche Aspekte zu berücksichtigen, die das Krankheitsbild beeinflussen und eine Linderung oder Heilung unterstützen könnten.

In Boston machte ich dann meine Facharztausbildung zum Internisten, eine zweijährige Geriatrie-Schulung an der Harvard Universität schloss sich an. Diese Uni beherbergt übrigens die älteste Geriatrie in den USA. Mit der Anerkennung meiner amerikanischen Ausbildung gab es in Deutschland dennoch Schwierigkeiten; die Ärztekammer eines westdeutschen Bundeslandes erwies sich – ich drücke es einmal freundlich aus – als nicht hilfreich. Der Vorgang war zum Lachen, wäre er nicht traurig gewesen. Amerika ist eines der medizinisch bestaufgestellten Länder der Welt. Der Zweifel an meiner Qualifikation – aber lassen wir das … Insgesamt bringe ich es auf drei Jahrzehnte Berufserfahrung in verschiedenen Führungspositionen in meiner Spezialrichtung. Ich bin also, das darf ich wohl so sagen, ein „alter Hase“. Das Land Berlin hatte denn auch Einsicht und bestätigte mich als internistischen Facharzt mit Zusatzbezeichnung Geriatrie.

Ich kann es nicht anders sagen: Ich liebe meinen Beruf und erst recht die Geriatrie. Alte Eisen wirken auf mich wie ein Magnet. Ich habe mich daran gewöhnt, wenn ich mich auf Partys oder Festen als Geriater vorstelle, dass mich dann jemand fragt: Geri-was? Ich erkläre es gerne und auch, warum ich eine Fachrichtung gewählt habe, in der ich es stets mit alten oder sehr alten Menschen zu tun habe, wie sie in den Doktorserien im TV so gut wie nie vorkommen. Sie haben es wie alle anderen Patienten verdient, bestmöglich behandelt zu werden.

Oft bin ich in meinem Berufsleben auf Kranke gestoßen, auf die ich mit Engelszungen einreden musste, damit sie sich nicht allzu bald selbst zu den Engeln gesellten. Es ist schon erstaunlich, wie stur manche Leute sein können.

Wie oft habe ich auf einen meiner Patienten eingeredet, er möge seinem eigenen Körper doch bitte dieselbe penible Pflege angedeihen lassen wie seiner Oldtimer-Sammlung! Natürlich durfte kein Kratzer an die alten Wagen kommen, sie wurden regelmäßig gewaschen und gewienert. Mit der eigenen Gesundheit hingegen nahm es der Auto-Enthusiast weniger genau. Sein Blutzucker war schlechter eingestellt als die Zündung seiner Lieblinge aus Chrom, weil ihm die Einnahme der Tabletten lästig war und er nicht genau darauf achtete. Nun kann ich als Arzt nicht einfach sagen: „Machen Sie, was Sie wollen. Wenn Sie so weitermachen, wird Ihre Oldtimer-Sammlung bald nur noch Erbmasse sein.“ Erst nachdem es ihm richtig schlecht ging, kam er zur Einsicht. Und ich dachte: Warum muss so oft erst etwas passieren, ehe der Mensch zur Einsicht gelangt?

Ich möchte, dass Sie keine Angst haben vor dem Altern, sondern dass Sie richtig alt werden. Ich werde deshalb immer wieder Beispiele aus der Wirklichkeit eines praktizierenden Arztes einstreuen. Vielleicht haben sie für manchen Leser Wiedererkennungswert. Ich glaube, dass Begebenheiten aus meinem Alltag für ein besseres Verständnis dafür sorgen, um was es mir in diesem Buch geht. Auch wenn im letzten Lebensabschnitt die Gesundheitsrisiken steigen, das Alter ist nichts Krankhaftes. Es ist ein unumkehrbares natürliches Geschehen, das individuell verschieden ausfällt. Altern ist also weder heilbar noch für jeden Menschen gleich. Mit den Worten des Altersforschers João Pedro de Magalhaes: „Altern ist ein langsamer, kontinuierlicher, physiologischer, das heißt nicht krankheitsbedingter Prozess, der zu einem Verfall der Körperfunktion führt und so zu einer eingeschränkten Lebensfähigkeit und Verwundbarkeit beiträgt.“ Was hinter diesem Phänomen steckt, ist bis heute nicht umfassend geklärt. Hier einige Thesen dazu:

•Die „Verschleiß-Theorie“ besagt, dass viele Körperteile sich mit zunehmendem Alter einfach abnutzen. Ein gutes Beispiel dafür ist die Arthrose der Gelenke, die zur weltweiten Volkskrankheit geworden ist und vielen Menschen rund um den Erdball Ärger und Schmerzen bereitet.

•Die „Autoimmun-Theorie“ hingegen geht davon aus, dass das Immunsystem über die Jahre zunehmend fehlerhaft arbeitet und den Körper selbst angreift. Das erinnert mich an die Aussage: „Die Revolution frisst ihre Kinder.“ Dies waren die letzten Worte von Pierre Vergniaud, 1753–1793, einem französischen Revolutionsführer der Girondisten, der auf dem Schafott endete. Das Zitat wird meist verkürzt verwendet, tatsächlich sagte er: „Die Revolution ist wie Saturn, sie frisst ihre eigenen Kinder.“ Ein gebildeter Abgesang, über den der Franzose in seiner letzten Nacht vielleicht so lange nachdachte wie Neil Armstrong über seine ersten Worte auf dem Mond.

•Die „Uhr-Theorie“ beschreibt eine langsam vor sich hin tickende Uhr, die irgendwann einfach stehen bleibt. Ein körperliches Beispiel dafür ist der Menstruationszyklus der Frau, der ein programmiertes Ende hat. Diese Theorie des Alterungsprozesses hat das Interesse der Anti-Aging-Medizin an Hormonen als möglicher Therapie gegen das Altern geweckt. Das Wachstumshormon Dihydroepiandrosterone (DHEA) ist ein beliebtes Produkt der Anti-Ager. Seine Anwendung ist nicht ungefährlich, ihr Nutzen zweifelhaft. Auch dazu später mehr.

Eine interessante Entdeckung sind sogenannte Telomere, die sich als Schutzkappen an den Endregionen von Chromosomen befinden und mit jeder Zellteilung kleiner werden. Sind diese Telomere vielleicht die Uhren des Körpers und bleiben eines Tages einfach stehen, wenn sie sich nicht mehr teilen können, wie die Professorinnen Elizabeth Blackburn und Elissa Epel es für möglich halten?

1985 entdeckte Blackburn gemeinsam mit ihrer Kollegin Caro Greider das Enzym Telomerase. Es verhindert, dass die Telomere sich bei einer Zellteilung verkürzen. Locker ausgedrückt: Die Zellen sterben nicht mehr ab, sondern teilen sich munter weiter. Und genau hier findet die Anti-Aging-Industrie einen weiteren Ansatzpunkt. Sie will glauben machen, man könne sich zusätzliche Lebenszeit verschaffen, indem man Substanzen einnimmt, die das Telomerase-Enzym aktivieren und stimulieren.

Leider hält dieses Versprechen der Realität nicht stand. Wie Blackburn mir auf Anfrage bestätigte, sei es völlig unsinnig, im Internet angebotene Pillen in der Hoffnung auf mehr Lebenszeit zu schlucken. Das Enzym Telomerase ist darüber hinaus auch nur in bestimmten Zellen aktiv, ganz besonders in Krebszellen.

Eine ähnliche Theorie postuliert, dass sich Körperzellen nur über eine bestimmte Zeit teilen können, bis sie sprichwörtlich den Geist aufgeben. Diese These stammt aus Labor-Experimenten in den 60er-Jahren, die eine festgelegte Lebensdauer von Zellen nachwiesen.

Noch eine Theorie: Zellen produzieren Abfallprodukte, die sie von Antioxidationsmitteln entsorgen lassen. Diese Müllabfuhr erledigen unter anderem Vitamine, vor allem Vitamin E. Es avancierte in den USA zum vermeintlichen Allheilmittel und Jungbrunnen. US-Toiletten dürfen seitdem als Goldgruben gelten. Denn die Amerikaner haben den teuersten Urin der Welt: Sie pinkeln die massenhaft in ihren Drugstores und Pharmacies eingekauften Vitamin-Booster völlig ungebraucht aus. Was in den USA „ausgeschieden“ wird, kommt meistens auch bei uns an. Zu diesem Unsinn später mehr.

Entscheidend ist die Frage: Wann läuft die Uhr ab? Es gibt keinen belastbaren Hinweis darauf, dass Menschen in ihrer Gesamtheit – spärliche, sehr spärliche Ausnahmen beiseite – jemals darauf hoffen dürften, mehr als 120 Jahre alt zu werden. Eine wissenschaftliche Studie aus dem Jahr 2021 ergab Hinweise darauf, dass vielleicht auch 130 Jahre möglich sind – aber nur in Einzelfällen. Die Fachzeitschrift „Royal Society Open Science“ veröffentlichte eine Analyse der Daten von rund 1100 Menschen über 105 Jahre aus 13 Ländern. Daraus ergab sich, dass das Sterberisiko eines Menschen ab einem gewissen Alter nicht kontinuierlich wächst, sondern bei 50:50 verharrt.

Nun stellen Sie sich einmal vor, Sie wüssten wirklich auf den Tag genau, wann Sie den Löffel abgeben werden: Würde Sie das beruhigen? Möchten Sie das planen? Die Jahre zuvor womöglich im permanenten Schatten Ihres persönlichen Enddatums verbringen?

Wenn Sie – ob Mann oder Frau – gerade etwas über 40 sind, können Sie recht gewiss davon ausgehen, dass Sie etwa so viel hinter wie vor sich haben. Man kann dann viele Rechnungen anstellen – und glauben Sie mir, Sie werden es ab einem gewissen Alter tun –, aber man sollte zwei Dinge tunlichst auseinanderhalten: Lebensspanne und Lebenserwartung.

Die Lebensspanne – auch Lebensdauer genannt – ist laut wissenschaftlicher Definition die größtmögliche Existenzzeit eines Organismus und grundsätzlich genetisch festgelegt. Auf diesen inneren Countdown zum Lebensende wirken jedoch auch andere erbliche Faktoren, Umweltbedingungen sowie eigenes Verhalten ein.

Der Begriff Lebenserwartung hingegen beschreibt laut gängiger Definition den für jedes Geburtsjahr wahrscheinlichen Abtrittszeitpunkt von dieser Welt. Es ist sinnvoll, sich kritisch damit auseinanderzusetzen. Denn es handelt sich um eine rein statistische Größe, die direkt weder mit Ihnen noch mit mir zu tun hat. Oder mit allen, die vor uns lebten und nach uns leben werden.

DER GROSSE IRRTUM

Es ist ein Irrtum zu glauben, in früheren Zeitaltern wären die Menschen durch die Bank deutlich früher gestorben als heute. Zwar lag der Durchschnittswert der Lebenserwartung niedriger, was unter anderem mit der hohen Kindersterblichkeit zu tun hatte. Das bedeutet aber nicht, dass es damals keine Greise gegeben hätte. Es lebten allerdings weniger alte Leute als heute, und sie mussten ganz gewiss auch genügsamer ihr Dasein fristen.

Zwischen 2012 und 2014 betrug die Lebenserwartung für einen neugeborenen Jungen 78,1 Jahre, für ein Mädchen 83,1. Diese Werte haben sich in den vergangenen 100 Jahren fast verdoppelt. Das heißt – wiederum – nicht, dass es um 1900 nicht auch 80-Jährige gegeben hätte. Aber die Chance, den 80. Geburtstag zu feiern, war damals bedeutend geringer als heute. Gründe dafür waren neben vergleichsweise schlechter Ernährung, einem wenig leistungsfähigen öffentlichen Gesundheitswesen, geringerer Wasserqualität und höherer Säuglingssterblichkeit das Fehlen von Medikamenten wie Antibiotika und Impfungen. Aber natürlich war auch die Medizin noch lange nicht so weit wie in unserer Zeit. Gegen Krebs war die Menschheit vor 100 Jahren noch total machtlos.

Mit zunehmender Bedeutung der Vorsorge in der Medizin und der besseren Behandlungsmöglichkeiten für Herzkrankheiten, Diabetes und Bluthochdruck, später auch Krebs sollte die Lebenserwartung deutlich steigen. Nicht zu vergessen ist auch die Einsicht, dass Rauchen, Fettleibigkeit und ein zu hoher Cholesterinspiegel für die Gesundheit schädlich sind und dass Sport sehr förderlich ist.

Eine weitere wichtige Entwicklung der vergangenen 100 Jahre ist das Phänomen der sogenannten Kompression von Krankheiten. Damit ist gemeint, dass sie sich erst zum Lebensende hin häufen. Um 1900 starben Menschen regelmäßig in allen Altersgruppen an infektiösen Krankheiten und Unfällen. Heute hingegen erliegen die meisten Menschen im hohen Alter meist chronischen Erkrankungen des Herzens und der Gefäße, der Lunge oder einem Krebsleiden.

Natürlich gibt es immer wieder tragische Nachrichten über junge Leute, die bei Unfällen oder durch Krebs gestorben sind. Doch statistisch kommt der Tod heute eher im hohen Alter. Als Konsequenz sind die Gesundheitssysteme vieler hochentwickelter Staaten zunehmend mit der Versorgung älterer Menschen belastet, die unter chronischen Krankheiten leiden.

Ein langjähriger Patient sagte mir bei jedem Besuch: „Als ich jung war, hatte ich mal eine Lungenentzündung, einen Infekt der Haut und einen Knochenbruch. All diese Krankheiten konnten ohne Probleme geheilt werden. Heute leide ich an chronischen Rückenschmerzen und einem schwachen Herzen. Sie, lieber Herr Doktor, geben Pillen und Massagen, aber heilen können Sie meine Krankheiten nicht.“ Der Mann hatte vollkommen recht.

Genug mit der Theorie. Lassen Sie mich Ihnen die Wahrheit und nichts als die Wahrheit präsentieren und berichten, was in unserem Körper passiert, wenn wir älter werden. Sind Sie bereit? Dann schlage ich vor, Sie setzen sich in einen bequemen Sessel und stellen etwas Musik an (wie wäre es mit Mozarts „Requiem“?), bevor Sie weiterlesen. Sie können auch den Rest dieses Kapitels überspringen, falls Sie sich nicht trauen, und es später lesen. Ich nehme es Ihnen nicht übel.