Alte Frauen in schlechten Filmen - Christoph Dompke - E-Book

Alte Frauen in schlechten Filmen E-Book

Christoph Dompke

4,8

Beschreibung

Auch große Diven werden älter, aber nicht jede will das wahrhaben. Ob aus Eitelkeit oder des Geldes wegen: viele große Schauspielerinnen haben am Ende ihrer Laufbahn grauenvolle Filme gedreht oder mussten sich für Billigware verheizen lassen, weil ihnen andere Rollen nicht mehr angeboten wurden. Manchmal sind die Ergebnisse so furchtbar, dass sich bei augenzwinkernder Betrachtungsweise schon wieder Funken daraus schlagen lassen. Mit profunder Detailkenntnis vertieft sich Christoph Dompke in die letzten Zuckungen seiner Idole – das Spektrum reicht von Pola Negri über Joan Crawford bis Maryl Streep. Die Erstausgabe im Jahr 1998 rief in der Presse einen Sturm der Begeisterung hervor – diese Neuauflage ist von Grund auf überarbeitet und um zirka zwanzig Schicksale erweitert. Und das meinte die Presse zur Erstauflage: "Dompke ist eine Pioniertat gelungen, für die man ihm nur dankbar sein kann. " (Georg Seeßlen in epd film)

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CHRISTOPH DOMPKE

ALTE FRAUEN

IN SCHLECHTEN FILMEN

VOM ENDE GROSSER FILMKARRIEREN

Männerschwarm Verlag

Hamburg 2012

 

Die Menschen sind so. Sie tun alles,um zu vergessen, daß sie sterben müssen.Blaise Pascal

 

In MemoriamCissy Kraner(1918 – 2012)

«FIRST YOU’RE ANOTHER SLOE-EYED VAMP, THENSOMEONE’MOTHER, THEN YOU’CAMP.»

EINLEITUNG

I

Die erste Auflage von Weil doch was blieb - Alte Frauen in schlechten Filmen erschien 1998. Von dieser Erstauflage weicht der vorliegende Text in vielerlei Hinsicht ab, es handelt sich um eine stark ergänzte und überarbeitete Fassung. Viele meiner Urteile erscheinen mir heute zu streng, etwa über Lucille Ball und ihre zwar mediokre, aber doch unvergessliche Darstellung der Titelheldin im Filmmusical Mame (1974). Viele Filme habe ich bei der Arbeit für die erste Auflage nicht sehen können, weil sie weder im Kino gezeigt wurden, noch auf dem Video- und DVD-Markt verfügbar waren. Deshalb konnten herausragende Werke, die unbedingt schon in die erste Auflage gehört hätten - beispielsweise Flesh Feast (1970) mit der späten Veronica Lake - nicht gewürdigt werden. Nicht zuletzt ist natürlich auch der Autor selbst älter geworden - statt mit dem damals jugendlichen Furor blickt er nun mit der Milde des Alters auf den ein oder anderen Fehltritt der von ihm verehrten Darstellerinnen.

II

Die Auswahl der alten Frauen und der schlechten Filme ist schamlos subjektiv. Aus Platzgründen habe ich schweren Herzens eine Reihe von Filmen nicht in diesen Band aufgenommen, unter anderem die atemberaubenden Camp-Meisterwerke The Couch (1962) mit Hollywoods bester Scream-Queen, Hope Summers, Mahogany (1975) mit der wunderbaren, als Schau spielerin nur leicht überforderten Sängerin Diana Ross, oder Roar - Die Löwen sind los (1981) mit Hollywoods aufregendster Blondine Tippi Hedren. Die lovely old LadiesAngela Lansbury in Gesellschaft von Pinguinen (Mr. Poppers Pinguine, 2011) oder Julie Andrews in Gesellschaft von Dwayne «Te Rock» Johnson anzuschauen (Zahnfee auf Bewährung, 2010), war selbst mir zu traurig. Einiger Filme konnte ich trotz intensiver Recherchen nicht habhaft werden, und so müssen die Filmfreunde weiterhin rätseln, wie schlecht der Film Widow’s Nest (1977) mit Patricia Neal wirklich sein mag. Lana Turner schließlich hat in so vielen sonderbaren Filmen gespielt, dass allein daraus ein komplettes Buch hätte werden können. Die Wahl fiel auf Dosierter Mord (1969) – obwohl auch Heißer Strand Acapulco (1965), Madame X (1966) und Verfolgung (1974) eine Aufnahme in diesen Kanon mehr als verdient hätten. Viele Anregungen verdanke ich Paul Roen und dessen zweibändigem Standardwerk High Camp, und deshalb freue ich mich außerordentlich, dass er einen Text über American Gothic mit Yvonne De Carlo zu diesem Buch beigesteuert hat.

Es gibt freilich auch Damen, die sich wie Greta Garbo oder Doris Day sehr früh von der Leinwand zurückzogen, Damen, die rechtzeitig verstarben, ohne noch in merkwürdigen Filmen mitzuspielen wie Judy Garland, die im Camp-Klassiker Das Tal der Puppen (1967) durch Susan Hayward ersetzt wurde, oder Damen, die im Alter keine wirklich schlechten Filme gemacht haben – Vivien Leigh beispielsweise oder auch Katherine Hepburn. Letztere hat dafür auf ihre alten Tage in einem schlechten Musical gespielt, und zwar im Jahr 1969 in Coco von Alan Jay Lerner und André Previn. Über die Schallplatteneinspielung schreibt Michael Portrantiere:

«Wenn man die Hepburn singen hört, möchte man Lauran Bacall für eine Operndiva halten; im Rennen um den Titel des stimmlich unbegabtesten Stars in der Geschichte des Broadway-Musicals liegt sie Kopf an Kopf mit Bette Davis. Dieses Album muss man ganz einfach gehört haben, auch wenn man es danach wie wieder hören will.»

Aber das ist eine andere Geschichte, in der außerdem noch zu erzählen wäre, dass die Singstimme von Lauren Bacall der Nachwelt durch Aufnahmen von Applause erhalten blieb, der 1970 uraufgeführten Musicalversion des Camp-Klassikers Alles über Eva (1950). Lauren Bacall spielt darin Bette Davis’ Filmrolle – eine «Margo Channing in the disco era» (Michael Portrantiere). Bei der Auswahl der Filme war natürlich auch die delikate Frage zu klären, ab wann eine Darstellerin als alt zu bezeichnen ist. Ich habe mich von Stephen Sondheims Definition aus Follies leiten lassen, dem ultimativen Musical über Alterungsprozesse im Showbusiness. In der Hymne aller Show-Queens, I’m still here, singt Carlotta Campion (in der Uraufführung 1971 gespielt von Yvonne De Carlo): «First you’re another sloe-eyed vamp, then someone’s mother, then you’re camp.» Spätestens in dem Moment, nachdem eine Schauspielerin «someone’s mother» war, ist die Aufnahme in diesen Kanon folglich gerechtfertigt. Ruth Leuwerik war 47, als sie in Und Jimmy ging zum Regenbogen (1971) zu sehen war. Bereits 1963 hatte sie die Mutter einer beträchtlichen Kinderschar in der Komödie Das Haus in Montevideo verkörpert. Nach achtjähriger Filmabstinenz leitete die Simmel-Verfilmung 1971 die Spätphase ihrer Karriere ein. Barbara Valentin war 42 Jahre alt, als sie Die Insel der blutigen Plantage (1982) drehte. Doch bereits 1979 war sie die Witwe Schlotterbeck in Neues vom Räuber Hotzenplotz gewesen und als Bloody Olga in der Blutigen Plantage dann bereits Camp. Es gilt jedoch auch hier, dass Ausnahmen die Regel bestätigen. Liz Taylor ist in Die Rivalin (1973) noch keine alte Frau. Doch hat sie nach Wer hat Angst vor Virginia Woolf (1966) keinen herausragenden Film mehr gedreht, sondern nur noch ihr eigenes Image vermarktet – Die Rivalin ist ein besonders schönes Beispiel für diese Art von Camp.

Alte Frauen in schlechten Filmen gibt es immer noch und immer wieder. Die Betrachtungsweise von Schauspielern und Schauspielerinnen ist freilich unterschiedlich. «Es gibt», sagt Ryan Philippe im Interview mit der Süddeutschen Zeitung über seinen Film Der Mandant, «keinen einzigen Schauspieler, der keinen schlechten Film gemacht hat. Kein einziger von uns ist wirklich entspannt. Aber am schlimmsten ist es sicher für die Frauen … die Ehefrau eines Typen wie Matthew McConaughey würde normalerweise eine Anfang-Zwanzigjährige spielen. Nicht, wie in unserem Film, Marisa Tomei, deren Falten man ruhig sehen darf.» Das Problem ist nur, dass man die Falten von Marisa Tomei zwar sehen darf, aber kaum in Erinnerung behält, weil ihre Rolle klein und nicht besonders interessant ist. Deutlicher wird da schon Isabella Rossellini (ebenfalls im Interview mit der Süddeutschen Zeitung):

«Ich habe eher den Eindruck, Frauen in den mittleren Jahren sind inexistent im Kino. Wenn sie älter sind, dürfen sie dann wieder. Vereinzelt. Meryl Streep. Wenn die keine Zeit hat, fragst du Judy Dench. Die darf dann als Oma einen lebensklugen Satz absondern, aber es gibt keine Geschichten über diese Frauen.»

Selbst eine Schauspielerin wie Charlotte Rampling, die sich auch im Alter über fehlenden Rollenangebote kaum beklagen kann, sagt im Gespräch (diesmal mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung), dass in Amerika alle glauben würden, nur Hollywood sei so auf die Jugend fixiert, «und in Europa gäbe es jede Menge toller Rollen für Darstellerinnen über vierzig. Blödsinn! Es ist überall schwer. Für jeden.» Wie schwer, kann man an einigen Filmbeispielen erkennen, in denen den alten Damen kaum Raum zur Entfaltung gegeben wurde.

Natürlich stehen in Alte Frauen in schlechten Filmen die Darstellerinnen im Vordergrund, aber auch die Leinwand-Epen, in denen sie sich ein Stelldichein gaben, werden entsprechend ihrem Rang gewürdigt oder getadelt. Kritik ist immer subjektiv und of ungerecht - um die korrekte Schreibweise habe ich mich dabei jedoch stets bemüht. Denn, wie der amerikanische Songkomponist George M. Cohan gesagt hat: «As long as they spell my name right, I don’t care, what they write.»

III

Vielen der für dieses Buch ausgewählten Filme ist mit althergebrachten Mitteln der Filmbetrachung nicht beizukommen. Sie werden dementsprechend weder vom Feuilleton noch von der Wissenschaft beachtet. Unter den Gesichtspunkten des Camp können sie jedoch als ästhetisches Phänomen begriffen werden und offenbaren dann ein erstaunliches Universum von Bezügen und Verweisen. Der Begriff Camp ist leider im Deutschen nie recht heimisch geworden. Susan Sontag hat mit ihrem 1964 erschienenen Aufsatz Einige Anmerkungen zu ‹Camp› einen hilfreichen Leitfaden verfasst, um die ästhetischen Ausdrucksformen von einigen in diesem Buch vorgestellten Filmen erkennen und begreifen zu lernen: Sie sind gut, weil sie schrecklich sind.

«Camp ist Kunst», schreibt Sontag, «die sich ernst gibt, aber durchaus nicht ernst genommen werden kann, weil sie ‹zuviel› gibt.» Ein wesentliches Merkmal des Camp ist die Liebe zum Exaltierten und zur Extravaganz. Im Gegensatz zum Trash hat Camp meist einen doppelten Sinn, «in dem sich einige Dinge begreifen lassen.» Camp hat also eine Bedeutung für den Kenner und eine andere für den Außenstehenden, «hinter dem ‹direkten›, allgemein anerkannten Sinn, in dem etwas verstanden werden kann, ist ein privates Erlebnis verborgen.» Einige Beispiele für diese spezielle Art der Kunstbetrachtung finden sich im ersten Kapitel dieses Buches.

Sontag unterscheidet zwischen reinem und vorsätzlichem Camp; reiner Camp will «todernst» sein. Camp ist entweder naiv oder «durch und durch bewusst». Echter Camp hat nicht die Absicht, komisch zu sein, kann es aber werden, wenn genügend Zeit verstrichen ist und sich die Geschmäcker ändern. Sontag führt als Beispiel für echtes Camp die Choreographien an, die Busby Berkeley für viele Hollywood-Musicals der 1930er Jahre ersonnen hat – ein Sieg des Stils über den Inhalt. Die Teaterstücke und Musicals von Noel Coward wollen hingegen von vornherein komisch sein und sind deshalb kein reines Camp. Die überwiegende Zahl der Filmbeispiele stammt aus den USA, England und Deutschland, aus naheliegenden Gründen entziehen sich Filme aus Kirgisistan, Frankreich und Dschibuti dieser speziellen Form der Betrachtung.

Der sogenannte Camp-Geschmack entstand in einer Zeit des gesellschaftlichen Drucks auf Homosexuelle. «Zwar wäre es falsch», schreibt Susan Sontag, zu sagen, «dass der Camp-Geschmack mit dem Homosexuellen-Geschmack identisch sei. Zweifellos aber gibt es zwischen beiden eine eigentümliche Verwandtschaft und mancherlei Überschneidungen.» Der doppelte Sinn, in dem sich Dinge begreifen lassen, ist maßgeblich, wie Daniel Harris schreibt:

«Die Fantasie der Homosexuellen verwandelte die Filmdiven in Männer, sie gingen aus dieser eigenartigen Geschlechtsumwandlung als Fummeltrinen hervor, als Männer in Frauenkleidung (…). Aus purem Zufall, man kann auch sagen Serendipity, verkörperte die Diva die psychologischen Voraussetzungen für schwule Militanz und trug so dazu bei, die Schwulenbewegung zu radikalisieren. Die Gewohnheit der Homosexuellen, sich mit den unbesiegbaren Charakteren einer Scarlett O’Hara in Vom Winde verweht oder einer Alexandra del Lago in Süßer Vogel Jugend zu identifizieren, war so tief verwurzelt, dass sie die Ereignisse der 1960er und 1970er Jahre ermöglicht wurden, als die innere Diva der schwulen Männer aus der Gefangenschaft in einer Fantasiewelt befreit wurde und die Straßen im Sturm eroberte.»

Fünfzig Jahre nach seiner «Erfindung» durch Susan Sontag hat Camp stark an Bedeutung verloren. Wie Daniel Harris konstatiert, sind Homosexuelle in westlichen Gesellschaften nicht mehr darauf angewiesen, sich der Konversation über Hollywoodstars als einer Art Geheimsprache zu bedienen; vielmehr ist der kulturell gebildete Schwule selbst zum Camp geworden. Im Madonna-Vehikel Ein Freund zum Verlieben aus dem Jahr 2000 gibt es zwei Schwule, Showqueens jenseits der Vierzig, die sich nur für eine Frage interessieren, nämlich ob Ethel Merman 1966 in Annie Get Your Gun besser gewesen sei als Betty Hutton 1950. Harris schreibt:

«Weil schwules Leben sich nicht mehr verstecken muss, verschwindet die Notwendigkeit, uns durch Bezug auf die Glitzerwelt Hollywoods unserer heimlichen Zusammengehörigkeit zu versichern, und ein zentraler Bestandteil schwuler Sensibiltät gerät in Gefahr. Die Befreiung macht den Starkult als Gruppenmerkmal überflüssig, der lange Zeit die Zugehörigkeit zum Club der Eingeweihten signalisiert hatte.»

Je weiter man also in der Filmgeschichte voranschreitet, desto seltener wird man auf Merkmale des Camp in Filmen oder gar campe Meisterwerke treffen. Der Versuch François Ozons, 2007 mit Angel eine Camp-Fantasie zu inszenieren, musste scheitern, weil die Herangehensweise zu bewusst war und das Publikum sich im vorausgesetzten Koordinatensystem nicht mehr auskannte. Susan Sontag weist darauf hin, dass viele der Gegenstände, «die der Camp-Geschmack hochschätzt, altmodisch, unmodern, démodé» sind und erst «der Prozess des Alterns und des Verfalls die notwendige Objektivität gibt – oder die notwendige Sympathie weckt.» Das mag ein Grund dafür sein, dass sich unter den in Alte Frauen in schlechten Filmen beschriebenen Beispielen der letzten dreißig Jahre kaum noch Camp befindet.

Nun kann auch Trash schräg und lustig sein. Die völlige Abwesenheit von Geist und Grazie vieler Trash-Filme lässt diese entweder zu lichterlohen Lachnummern oder im Wortsinn zum allerletzten Abfall werden. Bereits 1976, angesichts des überflüssigen Remakes von A Star is Born mit Barbra Streisand und Kris Kristofferson, schrieb John Simon in New York, er habe das Gefühl, «dass unsere Gesellschaft bereit ist, in etwas noch Schlimmerem als einem kollektiven Todeswunsch zu versinken – in dem kollektiven Willen, in Hässlichkeit und Selbsterniedrigung zu leben.» Was Ethan Mordden in seinem Standardwerk über Musicals gesagt hat, gilt auch für Filme:

«Das Musical leidet heutzutage unter Bedeutungsverlust und Randständigkeit. Es führt die Kultur nicht länger an, sondern läuft den Entwicklungen hinterher, wobei es sich den verkommenen Methoden des Schlock (i.e. Ramsch) unterwirf. (…) Das heutige Amerika hat eine neue Art von Musical hervorgebracht, vulgär und primitiv, als die Antwort des Broadway auf die niedrigen Lebensformen, die wir als nationale Idole verehren - Adam Sandler, Anna Nicole Smith, Eminem und die Osbournes.»

Ähnlich wie im zeitgenössischen Musical hat auch der heutige Filmzuschauer keine Möglichkeit mehr, in Schönheit zu sterben – er muss mit dem Hässlichen leben. Zum Beispiel mit Maria Carey in Glitter (2001), worüber John Wilson schrieb: «Poor Mariah Carey. Only New York City had a worse year in 2001 than she did.»

IV

Kapitel eins beginnt mit einer Würdigung des Camp-Klassikers Was geschah wirklich mit Baby Jane? und dessen Hauptdarstellerinnen Bette Davis und Joan Crawford, weil auf diesen Film im Folgenden immer wieder Bezug genommen wird. Das Kapitel wird fortgesetzt mit einer Auswahl von Werken, die sich mehr oder weniger direkt auf diesen Klassiker beziehen.

Kapitel zwei rückt mit Zarah Leander, Evelyn Künneke und Mae West drei Camp-Ikonen in den Vordergrund.

Kapitel drei ist das umfangreichste. Hier geht es um meist berühmte Schauspielerinnen, die, verleitet durch die Beschränkungen des Alters, alles gespielt haben, was sich anbot, egal ob aus Geltungsdrang oder Geldnot. In den meisten der beschrieben Fälle versuchten sie dennoch mit ernsthafter Schauspielerei zu bestehen. Je merkwürdiger die Filme waren, desto größer wurde die Diskrepanz: «Das wesentliche Element im naiven oder reinen Camp ist Ernsthaftigkeit», schreibt Susan Sontag, «eine Ernsthaftigkeit, die ihren Zweck verfehlt». Daneben gibt es freilich auch einige besonders traurige Leinwandabschiede großer Darstellerinnen zu beklagen.

Kapitel vier präsentiert Filme aus den neunziger Jahres des vorigen und den ersten zehn Jahren dieses Jahrhunderts, die in dem Entertainment-Fachmann John M. Clum den Wunsch wachsen ließen, Kultur solle mehr wie ein Musical sein «and less like a shopping mall». Seine Forderung «I want some fabulousness» verhallt leider genauso ungehört wie Blanche Du-Bois’ Wunsch «I want magic» in Endstation Sehnsucht (1951).

Gute Rollen für ältere Schauspielerinnen gibt es in diesen Selbstbedienungsmärkten der Dumpfheit nach wie vor kaum. Jessica Lange bekam bezeichnenderweise im Fernsehen und nicht im Kino eine herausragende Altersrolle in der 2011 gestarteten Serie American Horror Story – Die dunkle Seite in dir. Die Kinofilme aus diesen Dekaden überschwemmen die Zuschauer wie ein Meer der Trostlosigkeit, aus dem sich nur äußerst selten eine kleine Insel der Seligen erhebt. Doch wir wollen uns auch dieser Herausforderung stellen, denn wie Susan Sontag sagt: «Der Kenner des Camp saugt den Gestank ein und rühmt sich seiner starken Nerven.»

Kapitel fünf ist das abschließende Satyrspiel. Statt Mitleid oder Entsetzen zu erzeugen, können alte Frauen natürlich auch in Staunen versetzen. Wenn die leitende Hand eines erstklassigen Regisseurs, die Kunst eines guten Dialogschreibers, der letzte Schliff einer phantasievollen Kostümbildnerin ihnen nicht mehr zur Seite stehen – dann bleibt eine fabelhafte Schauspielerin oder ein herausragender Showstar übrig, den wir in nicht selten grotesker Umgebung erleben. Die im letzten Kapitel versammelten Filme gehören auf ihre völlig verquere Weise zu den unterhaltsamsten des Buches, weil es sich um eine Form von Kunst handelt, die sich mit einem Wort des amerikanischen Schriftstellers H. L. Menckens charakterisieren lässt: «It is so bad that a kind of grandeur creeps into it.» Einige der Darstellerinnen haben sich zudem ganz offensichtlich vom Motto der unvergleichlichen Mae West leiten lassen: «When I’m good, I’m good. But when I’m bad, I’m better!»

«IHR NAHT EUCH WIEDER, SCHWANKENDE GESTALTE

MIT BABY JANE FING ALLES AN

«SYMPATHISCH UND ABSTOSSEND ZUGLEICH»

BETTE DAVIS UND JOAN CRAWFORD

IN:WAS GESCHAH WIRKLICH MIT BABY JANE? (1962)

Der amerikanische Camp-Kenner Paul Roen erinnerte sich daran, 1962 im Alter von vierzehn Jahren zusammen mit seinem besten Freund Was geschah wirklich mit Baby Jane? gesehen zu haben und «utterly obsessed» gewesen zu sein:

«Als Was geschah wirklich mit Baby Jane? endlich auch in unserer Stadt lief, sind mein Freund und ich gleich zweimal in der Aufführung gewesen. Mein Freund ist schon verstorben, natürlich an Aids. Damals im Jahr 1962 haben wir beide gedacht, Baby Jane wäre der beste Film aller Zeiten. Das würde ich heute nicht mehr sagen, er wohl auch nicht, nehme ich an. Aber ich bin sicher, er würde mir zustimmen, dass jeder Schwule diesen Film gesehen haben muss.»

Der beste Film aller Zeiten ist Was geschah wirklich mit Baby Jane? sicher nicht, aber bestimmt ein großartiger Film. Dass er trotzdem in diesem Buch gewürdigt wird, hat zwei Gründe: Zum einen lernte Hollywood an diesem Film, dass alte Frauen an der Kinokasse viel Geld einspielen können, und zum anderen gab Baby Jane den Auftakt für eine ganze Reihe von Nachahmungen, die im Folgenden vorgestellt werden sollen. Das ganze Ausmaß dieser Missgriffe lässt sich besser ermessen, wenn man zuvor einen Blick auf das «Original» wirft und sich dabei vergegenwärtigt, wie man es «richtig» macht.

Ein wesentlicher Faktor für den Erfolg von Was geschah wirklich mit Baby Jane? liegt im Verweben der Star-Persona der Darstellerinnen mit der Filmhandlung. Dieser Kunstgriff war zuvor bereits von Billy Wilder in seinem Film Boulevard der Dämmerung (1950) angewandt worden. Der Film erzählt das Schicksal eines vergessenen Filmstars namens Norma Desmond. Sie wird von dem echten Stummfilmstar Gloria Swanson gespielt, die zur Zeit der Dreharbeiten ebenfalls vergessen war. Billy Wilder macht daraus ein wunderbares Spiel zwischen Rolle und Person, unterstützt durch eine ganze Reihe mitspielender echter Regisseure und Darsteller aus der Zeit, als Gloria Swanson ein Star war: Erich von Stroheim, Cecil B. DeMille und Buster Keaton. Diese von Wilder genutzte Möglichkeit ergab sich nach dem Zweiten Weltkrieg, denn eine erste Generation von Schauspielern war gleichzeitig mit dem Medium Film in die Jahre gekommen. Boulevard der Dämmerung war ein Erfolg, und nicht wenige Zitate daraus sind in den Camp-Kanon eingegangen: «Mr. DeMille, I’m ready for my close-up.» Gloria Swanson als Norma Desmond war so überzeugend, dass sie eine Oscar-Nominierung erhielt. Der Oscar für die Beste Hauptrolle ging 1951 jedoch an Judy Holliday in einem Film, der bezeichnenderweise Die ist nicht von gestern (Born Yesterday) hieß.

In Was geschah wirklich mit Baby Jane? führt Robert Aldrich ebenfalls Star-Image und Filmcharakter parallel: So schaut sich Joan Crawford als an den Rollstuhl gefesselter Kinostar Blanche Hudson im Fernsehen alte Joan-Crawford-Filme an; die Tochter der Nachbarin wird von Bette Davis’ Tochter (Barbara D. Hyman) gespielt.

Joan Crawford war einer der größten weiblichen Stars des amerikanischen Kinos und einer der Stars mit besonders großer schwuler Gefolgschaft. Keine ihrer Darstellungen war so ausgefeilt wie die ihrer ewigen Konkurrentin Bette Davis, dafür besaß sie jedoch den größeren Glamour-Faktor. Über ihr Aussehen sagte sie selbst: «Alle imitierten meine volleren Lippen, meine dunkleren Augenbrauen. Für mich kam solche Nachahmung jedoch nie in Frage. Wenn ich nicht ich selbst sein kann, will ich gar niemand sein. Ich wurde so geboren!» In den angloamerikanischen Ländern entstand die große schwule Gefolgschaft der Crawford zu einer Zeit, in der Homosexualität strafbar war, Schwule deshalb «in the closet» lebten und auf der Leinwand zwar schwule Schauspieler in heterosexuellen Rollen zu sehen waren, aber keine schwulen Geschichten erzählt wurden. Schwule machten sich deshalb auf die Suche nach Subtexten in heterosexuellen Romanzen. Crawfords Filme waren in dieser Hinsicht besonders beliebt. Zum Beispiel das unter der Regie von Robert Aldrich entstandene Melodram Herbststürme (1956), ein klassisches «women’s picture». Joan Crawford, die, in der frühherbstlichen Phase ihrer Karriere stehend, eine Schreibkraft namens Millicent Wetherby spielt, hat es zu einigem Wohlstand gebracht und mit ihrem Liebesleben abgeschlossen. Dann lernt sie den von Cliff Robertson gespielten Burt Hanson kennen, deutlich jünger, dessen jungenhaftem Charme sie nach anfänglichem Zögern verfällt. Sie heiratet ihn, doch Cliff kommt mit seinem Leben nicht zurecht. Joan findet heraus, dass ihr Liebster schon verheiratet war, mit einer blonden Frau, die ihm jedoch keine Erfüllung brachte – und umgekehrt. Cliff versucht sich herauszulügen und wird von Wahn-und Wutausbrüchen heimgesucht: In einer dramatischen Szene bewirft er die arme Joan Crawford mit ihrer Schreibmaschine. Joan weist Cliff in die Psychiatrie ein. Er wird geheilt. Happy End.

Was sich unter der Oberfläche des Melodrams verbirgt, ist eine schwule Liebesgeschichte. Joan – in dieser Konstellation der ältere, einsame Liebhaber («Bin ich noch hübsch?») – führt den jüngeren Liebhaber («Ich hab mich mit jungen Mädchen getroffen und festgestellt, dass sie nicht zu mir passen.») in die Welt einer anderen Liebe ein («Du bist ganz anders als alle Frauen, die ich bisher kennengelernt habe.»). Sie muss sich dafür von ihren Mitmenschen beschimpfen lassen: «Wer sowas heiratet, muss verrückt sein!» Nach einer Terapie kann Cliff zu seiner Sexualität stehen. Diese Lesart mag einem aus heutiger Sicht völlig absurd erscheinen, doch Paul Roen beschreibt diese Art der Subtextualisierung in seinem Buch High Camp auf überzeugende Weise: «Crawford […] tests the limits of a hellish Fifties world of pain, anxiety, and frustration. As one character gloomily puts it, ‹Being in love is never easy. And the more in love you are, the less easy and more lonesome it gets.›»

Neben Joan Crawford ist auch Bette Davis mit vielen Filmen in High Camp vertreten. Einer ihrer größten Camp-Klassiker ist sicherlich Beyond the Forest (1949). Edward Albee hat diesen Film in seinem Teaterstück Wer hat Angst vor Virginia Woolf ? unsterblich gemacht. Als Martha und George, die beiden Protagonisten des Dramas, nachhause kommen, ruf Martha aus:

«Welch eine Bruchbude! Du, wo kommt das vor: Welch eine Bruchbude? Es ist aus irgendeinem blödsinnigen Bette-Davis-Film, aus irgendeinem Metro-Goldwyn-Mayer-Epos. Bette Davis kriegt am Schluss Bauchfellentzündung … Sie hat im ganzen Film dieses scheußliche schwarze Ungetüm von Perücke auf und sie will dauernd nach Chicago, aber sie wird krank und setzt sich an ihr Toilettentischchen, und sie greif zum Lippenstift, um sich die Lippen zu schminken, aber sie hat nicht mehr die Kraft dazu. Sie schmiert sich den Lippenstift übers ganze Gesicht.» (Dt. v. Pinkas Braun, der aus unerfindlichen Gründen «Warner Bros.» durch «MGM» ersetzt hat.)

Dieser «blödsinnige Bette-Davis-Film» ist Beyond the Forest. Bette Davis spielt mit einer schwarzen Langhaarperücke Rosa Molina, die frustrierte Frau eines Arztes (Joseph Cotton) in einem kleinen Ort nahe Chicago, «a midnight girl in a nine-o-clock town», wie Warner Brothers den Film bewarben. Sie bekommt ein Kind von Cotton, will aber lieber mit ihrem Liebhaber nach Chicago. Bei einem selbstverschuldeten Sturz verliert sie das Kind und wird krank. Mit letzter Kraft wankt sie die Treppe hinunter, legt Lippenstift auf (verschmiert ihn aber nicht über ihr Gesicht, da erinnert sich Albees Martha nicht ganz richtig, das machte erst drei Jahre später Tallulah Bankhead in Nachts, wenn Mutter mordet), schleppt sich zu den Bahngleisen und bricht vor dem abfahrenden Zug tot zusammen.

Alles an dem Film ist falsch: Bette Davis war schon etwas zu alt für die Rolle, deshalb sind alle Bewohner des Dorfes noch älter als sie, um Davis jünger erscheinen zu lassen. Die Perücke sieht aus wie aus einem Halloween-Shop und sie übertreibt jeden Blick, jede Geste, jedes Wort. Das ist zwar ausgesprochen unterhaltsam, aber doch nicht ganz das Drama griechischen Ausmaßes, das der Zuschauer erwartet, nachdem er die Schrifttafel gelesen hat, die zu Beginn des Films eingeblendet wird: «This is the story of evil. Evil is headstrong. Thus may we know and those deliver themselves over to it, end up like the scorpions in a mad fury stinging themselves to eternal death.» «What a dump» wurde zwar zum stehenden Ausspruch aller Travestiestars der Dekade, dennoch eignet sich der von Bette Davis dargestellte «Skorpion» als Identifikationsfigur für Schwule doch deutlich weniger als Joan Crawfords Millicent Wetherby in Herbststürme. «Identifying with Rosa Molina», schreibt Paul Roen, «is sort of sympathizing with Imelda Marcos.»

Ebenso wie Rosa Molina ist auch Baby Jane Hudson durch die Darstellung Bette Davis’ zu einer Camp-Ikone geworden. «In horror movie terms», schreibt Paul Roen, «Baby Jane is comparable to the Frankenstein monster: she gets to be sympathetic and unsympathetic simultaneously.» Tatsächlich ist ihre Gesangsdarbietung (einschließlich Tanzeinlage) des alten Baby-Jane-Hudson-Schlagers I’ve written a letter to Daddy immer noch unglaublich faszinierend – man sieht sie sich schaudernd an und erschauert zugleich vor dem ganzen Elend einer alten Frau, die nicht mehr an ihre alten Erfolge anknüpfen kann, aber nie etwas anderes gelernt hat, als auf Abruf Vaudeville-Songs zu singen. Freilich nicht auf realistische Art und Weise oder als erfühlte Darstellung im Sinne Stanislawskis, sondern in einer völlig outrierten – und gerade deshalb äußerst beglückenden – Darstellung.

Die Titelfigur ist eine stets betrunkene Schreckschraube, die vor langer Zeit ein großer Kinderstar gewesen ist. Sie lebt mit ihrer Schwester Blanche zusammen und kümmert sich um sie, einem ehemaligen Hollywoodstar, der an den Rollstuhl gefesselt ist. Sie ist auf dem Höhepunkt ihrer Karriere bei einem Autounfall verkrüppelt worden. Gerüchten zufolge war Jane, damals schon ein vergessener Star, für den Unfall verantwortlich: Aus purer Eifersucht soll sie ihre Schwester vorsätzlich angefahren haben. Jane kann sich nicht daran erinnert, sie war, wie so of, vollkommen betrunken. Aneinander gekettet leben die beiden, alt und vergessen, in einem verfallenen Haus. Seit einiger Zeit verschlechtert sich Janes Geisteszustand. Sie hat den Entschluss gefasst, Blanche loszuwerden, indem sie die hilflose Invalide terrorisiert, sie hungern lässt oder ihr widerliche Speisen vorsetzt, unter anderem eine gebratene Ratte und einen Wellensittich.

Entgegen allen Annahmen war Was geschah wirklich mit Baby Jane? ein Erfolg an der Kinokasse. Und das gerade weil, wie Paul Roen schreibt, der Film sich nicht zwischen Drama und Horrorfilm entscheiden könne: «Te end result is bizarre, pulpy camp.» Auch der fast unmittelbar danach ebenfalls von Robert Aldrich gedrehte Film Wiegenlied für eine Leiche (1964), mit Bette Davis, Olivia de Havilland, Agnes Moorehead und Mary Astor, einer der ersten Filme, der «graphic gore» in den Mainstreamfilm integrierte, war ein Erfolg an der Kinokasse. Beide Produktionen führten zu vielen Sequels und Ripp-Offs mit alten Filmstars, die ihre besten Zeiten hinter sich hatten und noch einmal zu Ruhm und Ehren kamen. Die guten unter ihnen gingen mit der Star-Persona der Darstellerinnen produktiv um. Die weniger guten ließen ihren Darstellerinnen wenigstens noch Gelegenheit, ihr Talent aufblitzen zu lassen. Denn, wie Baby Jane so schön sagt: «You can lose everything, but you can’t lose your talent!»

«A SENSE OF INSPIRED MADNESS»

GERALDINE PAGE, RUTH ROMAN UND MILDRED DUNNOCK

IN:EINE WITWE MORDET LEISE (1969)

Eine Witwe mordet leise variierte das Grundprinzip des Aldrich-Klassikers und nahm mit dem (Original-)Titel am deutlichsten Bezug auf das Original: Whatever happened to Aunt Alice? – zwar nicht inszeniert, aber doch produziert von Robert Aldrich. Der Trailer – ein Meisterstück, in dem in einem Stimmengewirr immer wieder der Name Aunt Alice zu verstehen ist – zielt ganz deutlich auf den Klassiker: «Whatever happened to Aunt Alice is more terrifying than what happened to Baby Jane.» Daran erkennt man, welchen Kultstatus Was geschah wirklich mit Baby Jane? in den zurückliegenden sieben Jahren erlangt hatte. 1968 hatte man im amerikanischen Fernsehen bereits Gelegenheit gehabt, mit How Awful About Allan eine ähnlich gestrickte Geschichte, ebenfalls nach einer Vorlage von Henry Farrell, zu sehen. What’s the matter with Helen mit Debbie Reynolds und Shelley Winters folgte im Jahre 1971, 1972 Wer hat Tante Ruth angezündet, wiederum mit Shelley Winters.

Freilich verschoben sich im Lauf der Zeit die Gewichte. Bette Davis und Joan Crawford, auch die Darsteller der Nebenrollen im Baby-Jane-Film wie Anna Lee und Marjorie Bennett, waren genuine Filmstars. In Eine Witwe mordet leise treffen wir auf eine andere Liga: Sowohl Geraldine Page als auch Ruth Gordon waren formidable Theaterschauspielerinnen, letztere ist zudem noch als Autorin und Drehbuchautorin hervorgetreten. Im Gegensatz zu Davis und Crawford, die beide bereits Oscar-Preisträgerinnen waren, erhielt Geraldine Page ihren Oscar erst spät, 1986 für ihre letzte Filmrolle in Trip to Bountiful – Reise ins Glück. 1987 erlitt sie in einer Aufführung von Blithe Spirit von Noel Coward einen tödlichen Herzinfarkt. Verdient hätte sie den Oscar freilich schon für ihren verblassenden Filmstar Alexandra Del Lago in der Tennessee-Williams-Verfilmung Süßer Vogel Jugend (1962), einer Meisterleistung mimischer und erfühlter Schauspielkunst und einer Meditation über die Tücken des Altwerdens, der sich der Zuschauer auch fünfzig Jahre später nicht entziehen kann. Page muss schon in der Bühnenfassung von Süßer Vogel Jugend so gut gewesen sein, dass sie für die Filmversion verpflichtet wurde. Das kam in Hollywood nicht häufig vor.

Wie beeindruckend sie als Schauspielerinnen auch sein mochten, die Star-Persona von Page und Gordon waren nicht annähernd so ausgeprägt wie die von Davis und Crawford. Ein Witwe mordet leise verlässt sich also ganz auf die Schauspielkunst ihrer Protagonistinnen.

Geraldine Page als Mrs Marrable ist Witwe geworden. Sie ahnt freilich nicht im Entferntesten, dass ihr Mann ihr außer einer Briefmarkensammlung nicht sehr viel hinterlassen hat. Als sie diese schlechte Nachricht erhält, spielt Geraldine Page sechs Minuten lang die ganze Palette menschlicher Reaktionen auf solch eine Eröffnung – Entgeisterung, Wut, Verzweiflung, Wahnsinn. Eine Meisterleistung. Die Schlussfolgerung, die Mrs Marrable schließlich aus dieser Malaise zieht, entspricht ganz den Gesetzen des Horrorfilms: Sie bezieht eine schöne Hazienda, erschlägt ihre Haushälterin mit einem Gesteinsbrocken, vergräbt sie im Garten, pflanzt eine Pinie und reklamiert die Ersparnisse der Hausangestellten für sich. Die Anzahl der Pinien nimmt unaufhörlich zu, dementsprechend häufig müssen neue Zugehfrauen eingestellt werden. Die Werbung für den Film beschrie den Vorgang mit dem schönen Reim: «What makes her garden grow, wouldn’t you like to know.» Die nächste Haushälterin ist Mrs Tinsley, gespielt von der wunderbaren Mildred Dunnock, die erst durch ihre Darstellung verdrehter alter Jungfern zu Ruhm gelangte. Sie hat in diesem Fach einige der eindrücklichsten Rollenporträts hinterlassen: die ewig unterdrückte Frau eines Südstaatenpatriarchen in Süßer Vogel Jugend (1962), die verwirrte, infantile, wie ein junges Vögelchen umherflatternde Tante Rose in Baby Doll aus dem Jahr 1956 (eine der zahlreichen Rollen, die Tennessee Williams seiner psychisch kranken Schwester Rose nachempfunden hat). Ihre Rolle in Eine Witwe mordet leise ist eine Variation der Dienstbotinnenrollen in Was geschah wirklich mit Baby Jane? (Maidie Norman) und Wiegenlied für eine Leiche (Agnes Moorehead). Eine gemordete Hausangestellte gehört zur Tradition dieser Filme und ist gleichzeitig immer ein Kräftemessen zwischen Star und Charakterdarstellerin. Page und Dunnock kämpfen freilich mit etwas feinerem Florett als Davis und Moorehead. Als Mrs Marrable sich, ganz die große Dame, von Mrs Tinsley einen Grand Marnier servieren lässt, sagt sie: «You never tasted it, have you?» Anschließend bringt sie ihr noch die korrekte französische Aussprache des Wortes Likör bei. Doch anstatt der verängstigten Seele ein kleines Gläschen des edlen Tropfens zu spendieren, erschlägt sie die Arme mit der Gartenschaufel und freut sich auf deren üppig gefülltes Sparkassenbuch.

Was Mrs Marrable freilich nicht weiß: Mrs Tinsleys ehemalige Arbeitgeberin ist ihr in Freundschaft zugetan und macht sich nun große Sorgen: Ruth Gordon als Alice Dimmock. Die findet es äußerst merkwürdig, dass die gute Mrs Tinsley so plötzlich verschwunden ist, und bewirbt sich als Haushälterin bei Mrs Marrable. Mit ihr hat die mörderische Witwe nicht so leichtes Spiel – Mrs Dimmock kommt ihr nämlich ganz schnell auf die Schliche. Ruth Gordons Ruhm ist, ähnlich dem von Mildred Dunnock und Geraldine Page, heute etwas verblasst, dabei war sie in den 1970er Jahren der heranreifenden Jugend sehr nahe gekommen – Harold und Maude von 1971, die Geschichte einer todesverliebten Freundschaft zwischen einem Jugendlichen und einer alten Frau. Doch in den Olymp der Filmgeschichte stieg Ruth Gordon in Rosemary’s Baby von Roman Polanski als Minnie Castavet auf. Die Rolle einer schrulligen alten Frau (für die sie 1969 einen Oscar für die beste weibliche Nebenrolle erhielt), die in Wirklichkeit die treibende Kraft einer teuflischen Sekte ist und die Wiedergeburt Satans vorbereitet, ist gerade deshalb so schockierend, weil sie während des gesamten Films überaus sympathisch bleibt.

Als Alice Dimmock hat Ruth Gordon keinen schweren Part, aber sie holt als patente Miss Marple alles aus der Rolle heraus. So gelingt ihr das Kunststück, trotz des nicht ganz ebenen Drehbuchs von Theodore Epstein den Zuschauer mitfiebern zu lassen. Pages Part ist schwerer – sie muss den Film tragen und gleichzeitig das Beste aus der eindimensionalen Rolle herausholen. Denn außer ihrer finanziellen Zwangslage und spärlichen Informationen über ihren Mann weiß man nicht eben viel von Mrs Marrable. Page spielt dieses Defizit einfach weg und die Zuschauer hängen gebannt an ihren Lippen. Dabei ist es völlig egal, ob sie ihre Angestellte schurigelt: «Are you aware that cocktail hour has come and gone», über ihre Nachbarin schimpf: «She’s like crabgrass – never really quelled – only cropping up secretly and victoriously in another spot», oder es angesichts von Alice Dimmocks Ausdauer, ihr auf die Schliche zu kommen, doch mit der Angst zu tun bekommt: «What a fraud you are! You want to utterly destroy me!» In einem schauspielerischen Kabinettstück ganz besonderer Art versucht sie, einen streunenden Hund zu töten, der seine Nase zu häufig in die Pinienpflanzungen steckt. Sie lockt ihn mit einem Stück Fleisch in die Stallung, macht dazu einen unglaublich freundlichen Gesichtsausdruck, auf den selbst Angela Lansbury stolz gewesen wäre – und schlägt zu. «Like Maggie Smith», schrieb Vincent Canby in der New York Times, «she touches everything with a sense of inspired madness.» Schöner und treffender ist die Kunst von Geraldine Page nicht zu beschreiben.

Leider hält der Rest des Films nicht mit. Der Regisseur Lee H. Katzin setzt eher auf unterschwellige Spannung denn auf Horroreffekte, aber die Nebenfiguren in den Nebenhandlungen sind bloß Staffage und bremsen den Furor der beiden Hauptdarstellerinnen allzu oft aus. Die Kostüme hingegen sind phantastisch, insbesondere Geraldine Page trägt 1970er-Jahre-Kreationen des Couturiers Renié mit Paiseley-Muster in Rot-orange-Tönen, von denen eine schöner ist als die andere. Doch das Grundproblem des Films ist ein anderes. Was geschah wirklich mit Baby Jane? und Wiegenlied für eine Leiche sind grotesker Grand-Guignol und deshalb gut und gruselig. Eine Witwe mordet leise ist die geschmackvolle Variante und bleibt deshalb nur als Zweikampf zwischen Geraldine Page und Ruth Gordon in Erinnerung. Der beschert uns im letzten Drittel des Films dann doch noch das gewaltsame Ende von Mrs Dimmock, eine überraschende Pointe und Mrs Marrables endgültiges Abgleiten in den Wahnsinn. Es stellt sich nämlich heraus, dass das Briefmarkenalbum des Verstorbenen, das Mrs Marrable längst dem Nachbarsjungen geschenkt hat, Tausende von Dollars wert ist und alle Morde somit unnötig waren. Zudem muss sie eines Morgens feststellen, dass man ihr Geheimnis entdeckt und dabei ihre geliebten Pinien vernichtet hat. Mit Tränen in den Augen lacht sie so irre, dass einem wirklich der Schreck in die Glieder fährt, und sagt: «After all, I make a very handsome pine tree.» Dann ist der Film zu Ende. Dank des fulminanten Damentrios bleibt er unvergesslich.

«IN HOLLYWOOD SIND KINDER WIE WEISSE KÜHE IN INDIEN»

DEBBIE REYNOLDS UND SHELLEY WINTERS

IN:WAS IST DENN BLOSS MIT HELEN LOS?(1971)

Ja, was ist bloß los mit Helen? Also mit Shelley Winters? Glaubt man Debbie Reynolds, dem Ko- und Hauptstar des Films, hatte Shelley Winters während der Dreharbeiten Probleme mit ihrem Psychiater und ihrem Übergewicht:

«Shelley Winters ist absolut irre. Ich wiederhole das jederzeit, denn so ist es einfach. Wenn Shelley an einem Film arbeitet, ist sie unberechenbar, um es einmal schmeichelhaft zu formulieren. Als wir uns zur ersten Lesung des Scripts trafen, sagte sie: ‹Mein Psychiater hat mir geraten, diesen Film nicht zu machen, weil er mich wahrscheinlich endgültig in den Wahnsinn treibt.› Ich blickte sie an. Da ich noch nie mit ihr gearbeitet hatte, war mir nicht klar, dass für Shelley alles, was sie sagt, im jeweiligen Moment auch die Wahrheit ist; da ist nichts gespielt. Shelley ist so. Shelley hat in einem fort übers Abnehmen geredet. ‹Bei diesem Film verliere ich bestimmt zwanzig Pfund. Gleich morgen fange ich damit an.› Und eine halbe Stunde später fragte sie dann, was es zum Nachtisch geben würde. So schwer wie damals war sie sonst fast nie. Für die Rolle war das perfekt. Shelley platzt immer gleich damit raus, dass sie Method Acting macht. Was ich nicht tue. Sie hatte es sich zur Gewohnheit gemacht, ihren Text während der Aufnahme ständig zu ändern. Und das ging immer so, Tag für Tag. Ein Querschläger nach dem anderen. Bis ich es schließlich nicht mehr ausgehalten habe. Ich habe die Szene abgebrochen, bin zur Wand hinübergelaufen, habe den Feuerwehrschlauch aus dem Kasten gerissen und ihn auf sie gerichtet. ‹Halt die Klappe, Shelley!›, habe ich geschrien. Es folgte dann eine der hefigsten Streitereien, die ich je im Leben hatte. Den Film fand ich toll, die Arbeit daran war aber schrecklich.»

Reynolds spricht damit einen der Gründe für das Scheitern dieses Films an. Shelley Winters sorgt, nicht nur durch ihre Gewichtsprobleme, dafür, dass der Film eine Unwucht bekommt, weil es dem Method Acting diametral entgegengesetzt ist, eine Star-Persona zu entwickeln. Debbie Reynolds hingegen tut genau das: Sie spielt gewissermaßen ein alt gewordenes Broadway-Baby, und die Rückbezüge zu Du sollst mein Glücksstern sein (1952) sind jederzeit zu erkennen. Diese beiden unterschiedlichen Herangehensweisen an eine Rolle – Sein und Schein – wollen einfach kein einheitliches Miteinander ergeben.

Die Karriere von Debbie Reynolds war nach diesem Filmmusical «to end all filmmuscials» zunehmend glücklos verlaufen, und auch das Glück in der Liebe war für Debbie Reynolds nur ein Schmetterling: 1959 wurde ihre erste Ehe geschieden, 1960 und 1984 heiratete sie zum zweiten und dritten Mal, auch diese Ehen gingen vor den Scheidungsrichter und ruinierten sie finanziell.

Erfolg im Film hatte sie noch einmal in einer Mutter-Rolle in Mother (1996) und in dem Fernsehfilm These Old Broads (2001), wo sie zusammen mit Shirley MacLaine und Liz Taylor zu sehen war: ein Käfig voller Alter. Mit ihrer Tochter, der Filmschauspielerin Carrie Fisher (als Prinzessin Lea in der Star-Wars-Trilogie zu Ehren gekommen und 2009 mit Schön bis in den Tod ebenfalls im Horrorfilm gelandet), scheint sie sich nicht besonders gut verstanden zu haben. Ähnlich anderen berühmten Filmtöchtern schrieb sich Carrie Fisher ihren Ärger vom Hals. Postcards from the Edge, auf Deutsch Grüße aus Hollywood, wurde 1996 mit Meryl Streep (als Carrie Fisher) und Shirley MacLaine (als Debbie Reynolds) verfilmt. Reynolds pekuniäre Situation war so schlecht, dass sie 2010 mit einer One-Woman-Show im Londoner West End zu sehen war – eine quicklebendige alte Dame, geschmackvoll geliftet, die sang und tanzte und auch ohne Tanz gern ihre Beine zeigte – und die Zuschauer nicht zuletzt mit einer brüllkomischen Parodie Barbra Streisands überraschte. 2011 ließ sie dann ihre Sammlung von Hollywood-Memorabilia versteigern – unter anderem Judy Garlands «Ruby Slippers» aus Das zauberhafte Land. Es muss ein besonders trauriger Tag in ihrem Leben gewesen sein.

Regisseur von Was ist denn bloß mit Helen los? ist Curtis Harrington. Debbie und Shelley spielen darin zwei Frauen in der Roosevelt-Ära, deren Söhne wegen Mordes verurteilt wurden. (Für Freunde der Serie Das Haus am Eaton Place: Debbie wird in der deutschen Fassung von der gleichen Stimme synchronisiert wie das Hausmädchen Rose.) Weil sie von einem anonymen Anrufer terrorisiert werden, fliehen beide nach Hollywood und gründen dort eine Tanzschule für kleine Mädchen: «Weißt du, in Hollywood sind Kinder wie weiße Kühe in Indien, denk an Shirley Temple zum Beispiel.» Gesagt, getan, und so sehen wir bald lauter kleine «Baby Janes». Debbie kann ihr Talent mittels einer Steppeinlage unter Beweis stellen – aber was hat die von Shelley gespielte Mutter bloß für Talente? Gar keine, außer dass sie die Tanzdarbietungen der lieben Kleinen auf dem Klavier begleitet und zwar, wie man leider feststellen muss, nicht besonders inspiriert. Kein Wunder also, dass sie über diesen völligen Mangel an Talent dem Wahnsinn anheimfällt und als Ersatzbefriedigung (Debbie hat inzwischen einen schicken reichen Verehrer) religiöse Erbauungsprogramme im Radio hört. Die werden in der Originalfassung gepredigt von der Priesterin der «Kirche zur offenen Hand», gespielt von Agnes Moorehead, deren religiös-fanatische Innbrunst sich in der Synchronfassung leider nicht mitteilt. Immerhin werden die Zuschauer auch mit einem sichtbaren Aufritt der wunderbaren Agnes Moorehead belohnt, während eines Gottesdiensts singt sie einen Choral und bedeutet der Trost suchenden Shelley, die Kirche zu verlassen: «Nun geh weiter, mach Platz für die anderen.»

Schließlich wird Shelley vollends unzurechnungsfähig. Sie mordet ihre im Hinterhof gehaltenen Kaninchen und wirft einen Mann, den sie für den Psychopathen hält, die Treppe hinunter. Später stellt sich heraus, es war ein Angestellter, der ihr eine Versicherungssumme auszahlen wollte. Und zum Schluss ersticht sie Debbie, stellt die Leiche wie eine Schaufensterpuppe auf und greift mit glasig-irrem Blick immer dieselben Akkorde auf dem Klavier.

Arme Debbie, wie ein einsamer Pappkamerad steht ihre Leiche zum Schluss in den Kulissen und erinnert fern an die kleine Dame aus Papier in Hans Christian Andersens Märchen vom Zinnsoldaten, die zusammen mit dem Soldaten im Ofen verbrennt:

«Da ging eine Tür auf, der Wind ergriff die Tänzerin, und sie flog wie eine Sylphide gerade in den Ofen zum Zinnsoldaten, loderte in Flammen auf, und fort war sie. Da schmolz der Zinnsoldat zu einem Klumpen. Von der Tänzerin dagegen war nur eine Flitterrose da, und die war kohlschwarz gebrannt.»

«SAY SOMETHING LOVEY»

MIRIAM HOPKINS UND GALE SONDERGAARD

IN: SAVAGE INTRUDER (1970)

Miriam Hopkins ist der Nachwelt vor allem als Rivalin von Bette Davis in Erinnerung. Die Beziehung zwischen den beiden Hollywood-Diven war ein ständiger Kampf. Davis’ Biograf James Spada führt die Bösartigkeit der Hopkins darauf zurück, dass sich Bette Davis ihren Annäherungsversuchen widersetzt habe – Hopkins war beiden Geschlechtern zugeneigt. Zudem bekam Davis einen Oscar für ihre Darstellung der Titelrolle in Jezebel – Die boshafte Lady (1938), eine Rolle, die Hopkins auf der Bühne gespielt hatte und gerne auch im Film übernommen hätte. Zu guter Letzt begann Davis auch noch eine Affäre mit dem Regisseur Anatole Litvak, zu einem Zeitpunkt, als der noch mit Hopkins verheiratet war.

Die Dreharbeiten zu den zwei Filmen, in denen Davis und Hopkins gemeinsam vor der Kamera standen – Die alte Jungfer (1939) und In Freundschaft verbunden (1943) –, müssen für alle Beteiligten die Hölle gewesen sein. Im Interview mit Boze Hadleigh, Hollywoods Garant für gastly gossip, äußerte sich Bette Davis denn auch unverhohlen deutlich:

«Sie war eine Schlampe, da können Sie jeden fragen, der mit ihr gearbeitet hat. Ich weiß, dass sie sich nie geändert oder auch nur gebessert hat. Sie hat ständig versucht, den anderen die Schau zu stehlen. Vielleicht kennen Sie Infame Lügen, die Verfilumg von Lillian Hellmans Theaterstück Te Children’s Hour, es geht um zwei Lesben. Hopkins hat darin mitgespielt, zusammen mit Merle Oberon. Merle sagt, sie kann sich eher vorstellen, eine Abtreibung machen zu lassen, als noch einmal mit Hopkins aufzutreten.»

Infame Lügen (1936), in dem das Thema lesbische Liebe aus Zensurgründen nicht offen behandelt werden durfte, wird den meisten Zuschauern durch das Remake Infam (1961) besser bekannt sein, bei dem ebenfalls William Wyler Regie führte. Shirley MacLaine übernahm darin Hopkins’ Part und Audrey Hepburn den von Merle Oberon. Miriam Hopkins spielte auch im Remake mit, ihrem Alter entsprechend als Tante Lilly. Der alte Film ist trotzdem besser als sein Remake.

Die Filmgeschichte ist oft ungerecht, und Miriam Hopkins hat es besonders hart getroffen. Sie ist heute meist nur eine Fußnote in der Filmgeschichte und findet in der Literatur meist nur als Lieblingsfeindin von Bette Davis Erwähnung. Dabei war sie ein großer Star der Paramount und spielte unter der Regie von namhaften Regisseuren wie Rouben Mamoulian, Ernst Lubitsch und William Wyler häufig sexuell emanzipierte Frauen, und zwar bevor Kolleginnen wie Carole Lombard und Claudette Colbert mit solchen Rollen zu Ruhm kamen. Der Wechsel zu Warner Bros. gab ihrer Karriere nicht den erhofften Aufschwung, dafür begegnete sie dort Bette Davis. Die bezeichnete ihre Spielweise als antiquiert, und so begann sie Ende der 1940er Jahre Mutterrollen zu spielen (so die Mutter von Olivia De Havilland in deren Oscar-prämierter Rolle als Die Erbin (1949) nach Henry James).

Als ihre Lieblingsfeindin so großen Erfolg mit Baby Jane erlebte, ließ auch Hopkins sich für einen Horrorfilm verpflichten, und zwar den heute kaum bekannten Streifen Savage Intruder, auch bekannt als Hollywood Horror House oder Comeback. Der Film wurde in keiner Beziehung ein Erfolg und zu einem Comeback für Miriam Hopkins schon gar nicht. Es war ihr letzter Film. Bette Davis wird sich darüber einen Ast gefreut haben.

Der Film beginnt ganz stimmungsvoll, nämlich mit einer Filmpremiere in Hollywoods Glanzzeit (angeblich handelt es sich bei den Aufnahmen um Footage aus dem Filmmusical Du sollst mein Glücksstern sein). Drauf folgt eine unsanfte Bodenlandung in der Gegenwart der 1970er Jahre, mit einem langen Kameraschwenk über die auseinanderfallenden HOLLYWOOD-Lettern, durch die der Wind pfeift. Am Fuße des Hügels ragt der abgetrennte Kopf einer alten Frau aus dem Wüstensand, ein schönes Sinnbild für den Zerfall einer einstigen Hochkultur.

Bevor der Zuschauer Miriam Hopkins zu sehen bekommt, in der Rolle der vergessenen Kinokönigin Katherine Parker, wird es erst einmal unappetitlich. In einer Kneipe sitzt eine angetrunkene alte Frau an der Bar (Dorothy Kingston), nimmt einen Drink zu sich, bezahlt und tritt den Heimweg an. Ein Mann folgt ihr, verschafft sich durch ein Fenster Zutritt zu ihrer Wohnung und schlägt sie nieder. Dann öffnet der wilde Eindringling einen kleinen Koffer mit einer nicht unbeträchtlichen Anzahl von Messern, Sägen und ähnlichem Besteck, das den Zuschauer nichts Gutes ahnen lässt, und versucht mit einem elektrischen Küchenmesser, der bewusstlosen Frau die Hand abzusägen. Die wacht natürlich sofort auf und schreit wie am Spieß. Daraufhin kommt ein kleines handliches Hackebeil zum Einsatz. Es spritzt abscheulich. Schnell wird dem Zuschauer klar, dass der abgeschlagene Kopf vor den HOLLYWOOD-Lettern das Werk eines Serienkillers ist. Ebenso deutlich wird, wie sehr sich schon damals das besonders in Italien erprobte Slasher-Gewerbe bereits in den Sumpfblüten des Exploitationkinos festgesetzt hatte, bevor es die Großproduktionen eroberte. Freilich ist es gerade der amateurhafte Charme der Tricks, die Szenen wie das Opening dieses Films besonders gruselig machen.

Eine Dichte wie in der Eingangssequenz erreicht der Film an keiner Stelle wieder. Er zerfällt in Einzelteile, die keine Summe ergeben. Ein Bus des Unternehmens Movielandtours hält vor dem Anwesen des einstigen Filmstars Katherine Parker. (Gedreht wurde in einer alten Hollywood-Villa, in der seinerzeit der Stummfilmstar Madge Bellamy gelebt hatte. In Internetforen wird darüber diskutiert, ob auch Stummfilmdiva Norma Talmadge dort gewohnt hat.) Ein kleines Mädchen steigt aus und erbricht sich. Dem Bus entsteigt außerdem ein junger Mann namens Vic, gespielt von David Garfield, dem Sohn des Schauspielers John Garfield (dem wiederum eine Affäre mit Miriam Hopkins angedichtet wurde). Derweil sieht der Zuschauer im Innern des Hauses die offenbar leicht alkoholisierte Katherine die Treppe hinuntersteigen. Sie hört Stimmen – doch diese Stimmen existieren nur in ihrer Erinnerung. Zu offensichtlich ist, worum es sich bei dieser Szene handelt: um eine Art von Sunset Boulevard Redux. Während Billy WilderGloria Swanson die Würde ließ, geht Donald Wolfe, der Regisseur und Drehbuchautor dieses Films, weniger zimperlich mit seinem Star um. Berauscht von der Erinnerung an alte, bessere Tage fällt Hopkins die Treppe hinunter, schlägt an deren Fuße auf und verliert dabei die Perücke.

Bei ihrem Sturz hat sich Katherine das Bein gebrochen, damit sie den Rest des Films als Versehrte an den Rollstuhl gefesselt ist oder sich auf Krücken fortbewegen muss. Wobei es zu den Ungereimtheiten des Drehbuchs gehört, dass Miriam Hopkins in Szenen, die danach verlangen, recht beweglich den Springinsfeld gibt.

Der junge Mann, der aus dem Bus gestiegen ist, tritt nicht nur in ihr Haus, sondern auch in ihr Leben. Das Haus wird zum Liebesnest. Vics Geheimnis wird freilich früh gelüftet, und damit werden alle Chancen auf ein spannendes, weil rätselhaftes Psychogramm verschenkt: In einer Rückblende sehen wir einen kleinen Jungen, der in psychedelischen Kulissen und in ebensolche Musik getaucht eine Tür öffnet. Was er sieht, prägt ihn für den Rest seines Lebens: eine Frau, offenbar seine Mutter, die es sich von verschiedenen Männern besorgen lässt, anstatt sich um ihren Sohn zu kümmern. Verständlicherweise greift der Kleine zum Beil und hackt seiner Mutter die Hand ab. Auch demjenigen Zuschauer, der nicht mit den Gesetzen des Horrorfilms vertraut ist, dürfte nun schwanen, dass es sich bei Vic um den mysteriösen Serienmörder handelt, und die Spannung des Films reduziert sich damit auf die Frage, ob und wann er Miriam Hopkins abschlachten wird, oder ob vielleicht zuvor noch deren Hausangestellte daran glauben müssen.

Eine dieser Angestellten, die Sekretärin Leslie, wird von Gale Sondergaard gespielt. Deren Hollywoodkarriere war seit den 1930er Jahren mit einem Oscar und einer weiteren Oscar-Nominierung auf steilem Weg nach oben. Doch dann wurde ihr Mann Herbert Biberman als Kommunist vor den Ausschuss für unamerikanische Aktivitäten gezerrt. Sie sagte vor dem Ausschuss für ihren Mann aus und bewies damit den Mut, der vielen ihrer Kollegen fehlte. Ihr Mut kostete sie die Karriere, sie kam auf die Blacklist, erhielt keine Filmangebote mehr und zog mit ihrem Mann von Hollywood nach New York. Dort spielte sie Theater und übernahm ab den 1960er Jahren Rollen in Fernsehproduktionen.

Savage Intruder war nach etwa 20jähriger Abwesenheit ihre Rückkehr auf die große Leinwand. Außer der Möglichkeit, ihr alt gewordenes Gesicht der Kamera zu präsentieren, hat sie darin kaum etwas zu tun. Es folgten weitere kleine Rollen in kleinen Filmen, beispielsweise der zweite Teil von Der Mann, den sie Pferd nannten (1976). 1983 kam ihr letzter Film in die Kinos, Echoes. Hier teilte sie sich die Leinwand mit zwei weiteren Horrorveteraninnen, Ruth Roman und Mercedes McCambridge.

Trotz ihrer Fähigkeit, eine wirklich sinistre Miene aufzusetzen (angeblich ließ sich Walt Disney von ihrem Gesicht für die böse Stiefmutter in seinem Trickfilm Schneewittchen und die sieben Zwerge (1937) inspirieren), ist sie in Savage Intruder die Gute. Sie durchschaut den jungen Mann schnell und versucht ihre Herrin zu schützen. Hier offenbart sich das zweite Vorbild des Streifens: In Wiegenlied für eine Leiche (1964) ist es Agnes Moorhead, die ihre von Bette Davis gespielte Dienstherrin aus den Fängen der von Olivia De Havilland gespielten Bösewichtin erretten will. Auch das Abhacken von Gliedmaßen wird darin präludiert.

Das ist das Schöne am Betrachten von Filmen wie Savage Intruder – man merkt, alles hängt mit allem zusammen, und neben der Freude beim verschämten Betrachten abartiger Machwerke tritt die Freude, lose Fäden zu verknüpfen und daraus einen Teppich der Verweise und Bezüge zu weben. Zugegeben, es ist eine subtile Freude für den, wie der Engländer sagt, «aquired taste», doch es öffnen sich Welten. Manchmal auch Abgründe.

Der Zuschauer dieses Films blickt hauptsächlich in Abgründe, nicht nur in die Abgründe kindlicher Traumata und deren Verarbeitung, sondern auch in den Abgrund des Begehrens. Denn die von Miriam Hopkins gespielte alte Diva verlangt geradezu nach körperlicher Lust, und sie spielt das, im Gegensatz zu anderen Teilen ihrer Rolle, wirklich überzeugend. «Put your arm around me», sagt sie zu ihrem Gespielen. Dann: «Say something lovely.» «Like what», fragt darauf Vic. Zu den Worten «like this» küsst sie ihn lange und leidenschaftlich. In einer anderen Szene lässt sie sich von Vic den Rücken massieren. Das Oberteil ist abgestreift, und als sie sich umdreht, kann man beinahe einen Blick auf ihre Brüste erhaschen. Leider nur fast, sodass über deren Zustand zu diesem Zeitpunkt kein abschließendes Urteil möglich ist.

Beflügelt von der neuen Liebe gibt Katherine Parker ein Fest für Freunde, kleidet sich in flatterhafte Gewänder, schaut sich (wie weiland Joan Crawford in Was geschah wirklich mit Baby Jane?) ihre eigenen alten Filme im Fernsehen an, und vor lauter Freude singt sie auch noch Taking a chance on love. Auch wenn es wahrscheinlich als Reminiszenz an I’ve written a letter to daddy gemeint ist, es geht daneben und wird zu einem Punktsieg für Bette Davis. Denn deren Darbietung des Vaudeville-Schlagers ist ein Meisterstück der Travestie. Miriam Hopkins’ Gesangsdarbietung ist allerhöchstens ein Meisterstück des Trash, weil man eine alte Frau sieht und hört, die völlig entfesselt vor sich hin kräht, ohne jedoch vom Regisseur geführt oder in einen erkennbaren Zusammenhang gestellt zu werden. Der Unterschied von einem Kabinettstück und einer Katastrophe ist anhand dieser beiden verwandten Szenen gut zu studieren.

Während Miriam Hopkins also vor sich hin singt, salbadert und sabbert, spritzt sich der Eindringling Drogen und vergnügt sich mit der asiatischen Küchenhilfe mit Namen Greta. Die bezeichnet ihn als Bastard. Kein Wunder, er verführt sie zum Drogenkonsum, und auf die Frage: «What do I need a painkiller for?», antwortet er: «Because you’re a pain.» Als sie nachts mit einer Taschenlampe durch das Haus streif, verliert sie durch einen perfekt ausgeführten Schlag ihren Kopf. Den Mörder sieht der Zuschauer zwar nicht, aber es besteht natürlich kein Zweifel darüber, um wen es sich handelt. Als murder-mystery versagt der Film folglich in jedem Fall. Die Sekretärin Leslie schöpf zwar Verdacht, kann sich aber das plötzliche Verschwinden der Angestellten nicht erklären. Auch sie wird gemeuchelt, ebenso wie die von Florence Lake gespielte Köchin.

Bevor diese Morde in Szene gesetzt werden, übrigens wesentlich weniger blutig als die Zerstückelung in der Eingangssequenz, kommt es allerdings noch zu einem der für die Zeit der Entstehung obligaten Zusammentreffen zwischen Alt und Jung. In diesem Fall unternimmt Miriam Hopkins einen Ausfug mit drogenkonsumierenden, blockflötespielenden und polonaisetanzenden Hippies. Die freundliche Drogenofferte eines Hippies: «I’ve got coke, speed, smack, grass and acid», lehnt sie mit den Worten «The only trips I take are to Europe» ab, findet aber trotzdem, dass «this whole thing» absolut faszinierend für sie sei. Nicht nur für sie.

Zweifellos ist Savage Intruder ein hoffnungsloser Fall, aber auch in den Mülldeponien der Filmgeschichte findet sich der ein oder andere Trüffel: Unvermutet erleben wir einen Weihnachtsumzug, in dem sich Katherine Parker als «Queen of the Christmas Parade» wiederfindet. Aller Wahrscheinlichkeit nach handelt es sich um Aufnahmen der Hollywood Boulevard Christmas Parade von 1968. Eine absurde Szene, die ausnahmsweise einmal mit gar nichts anderem in Beziehung steht. An der Straße, an der der Zug vorbeizieht, stehen viele Menschen, unter anderen sind ein Vater mit seinem Kind und ein eindeutig als Frau verkleideter Mann zu erkennen. «I wonder who the queen is», sagt der Vater zu seiner kleinen Tochter. Dabei ist es ganz eindeutig, denn auf dem Umzugswagen sitzen nur die als Rauschgoldengel verkleidete Miriam Hopkins und ein Weihnachtsmann. Die Antwort des Transvestiten ist trotzdem nicht überraschend: «The one with the beard!» Kein Wunder, dass Hopkins beim Betrachten der Zuschauer ausruf: «Too many queers on the Boulevard!» Nach dem Umzug flößt Vic ihr Alkohol ein und zwingt sie zu ihrer eigenen Pein und der des Zuschauers noch einmal Taking a chance on love zu singen.

Es ist zutiefst unerfreulich, dieser Demontage der Hopkins zuzusehen. Wie ein in einem Glas gefangenes Insekt zappelt sie in ihrem Zelluloid-Gefängnis, aus dem es genauso wenig ein Entrinnen gibt wie aus dem Albtraum einer Alterskarriere. Gnädig erspart uns der Regisseur die Einzelheiten ihrer Ermordung. Anschließend liegt Vic im Bett der Diva, aber es ist erstaunlicherweise nicht ihre Leiche, mit der er in Liebe verbunden ist, sondern eine Schaufensterpuppe, die die Züge von Miriam Hopkins trägt. Vic setzt die Puppe auch auf den Balkon in die labende Morgensonne. «I knew, you’ll leave me one day», sagt er, «I feel I can trust you now.» In der letzten Szene schiebt er die Puppe im Rollstuhl spazieren und pfeift Taking a chance on love, während draußen der Fremdenführer der Movielandtours sagt: «This is the home of Katherine Parker.» Ein alter Star als Schaufensterpuppe seiner selbst im Rollstuhl – gibt es ein überzeugenderes Bild für den verlorenen Kampf des klassischen gegen das Exploitation-Kino?

Angeblich wurde noch ein zweites Ende dieses Films gedreht, in dem die von Gale Sondergaard gespielte Sekretärin überlebt und den wilden Eindringling erschießt. Ob und wann dieser deutlich weniger faszinierende Schluss jemals im Kino gezeigt wurde, ist fraglich. In den meisten Nachschlagewerken taucht der Film nicht auf, in einigen wird er sogar als «unreleased» aufgeführt. Wahrscheinlich wurde der Film 1970 oder 1972 in Filmtheatern gezeigt, und 1974 unter dem Titel Hollywood Horror House ein weiteres Mal ausgewertet. Da war Miriam Hopkins schon tot.

«MAN LÄSST SIE BESSER IN IHRER EIGENEN KLEINEN WELT!»

FLORA ROBSON UND BERYL REID

IN: DER KELLER (1970)

Eine englische Variante des Star-Duells entstand 1970 mit zwei großen alten Damen des britischen Theaters und Kinos. Die eine davon, Flora Robson, hatte einschlägige Erfahrungen mit dem Horror, der in englischen Häusern verborgen ist: 1967 war sie im Gruselfilm Die verschlossene Tür als verrückte Tante zu sehen gewesen, die ein Biest auf dem Dachboden bewacht. Auch ihre sinistre Mörderin Miss Milchrest im Miss-Marple-Film Der Wachsblumenstrauß (1963) ist unvergessen. Beryl Reid hingegen hatte einschlägige Erfahrungen mit jenem Horror, den die Darstellung einer Lesbierin auf der Leinwand auslösen konnte. 1968 spielte sie im Film die Rolle, die sie schon auf dem Theater zum Erfolg geführt hatte, im Schauspiel Schwester George muss sterben von Frank Markus. Robert Aldrich hatte diese Rolle erst Bette Davis angeboten, und was die in einem Interview sagte, klingt eher nach einem vergifeten Lob:

«Man hat mich gebeten, in der Verfilmung des Stücks Das Doppelleben der Sister George, in dem es um eine lesbische Liebe geht, die Hauptrolle zu spielen. Ich habe mir das Stück angesehen, und ich musste nein sagen. Das Stück ist sehr gut, aber ich habe Beryl Reid, die auf der Bühne die Hauptrolle spielte, gesagt, dass sie diese auch in der Verfilmung spielen müsse. … Die Rolle war ihr geradezu auf den Leib geschrieben.»

Beryl Reid spielte die Rolle dann auch tatsächlich in der Verfilmung. 1970 war sie nochmals in einem kontroversen Film zu sehen, wiederum in der Verfilmung eines erfolgreichen Theaterstücks, Seid nett zu Mr Sloane von Joe Orton, das zusätzlich zum Thema Homosexualität noch Nymphomanie und Sadismus verhandelt.

Es ist also nicht ganz abwegig, dass Beryl Reid anschließend in einem «richtigen» Horrorfilm spielte. Der Keller ist leider im Gegensatz zu den beiden vorhergenannten ein wirklich schlechter Film geworden. Dabei ist der Vorspann noch ganz atmosphärisch: Panzer fahren durch die Heide, gelber Nebel wabert, ein Soldat steckt sich eine Zigarette an, wird angefallen und zerfleischt. So geht es einer ganzen Reihe weiterer Personen. Die ermittelnden Beamten sind sich schnell sicher: Es handelt sich um ein «Raubtier oder eine Bestie in Menschengestalt».

In der nächsten Szene sind wir in einem englischen Cottage zu Gast und lernen die beiden ältlichen Schwestern Joyce und Ellie Ballantyne kennen. Robson hat den Part der strengen Schwester Joyce übernommen, Reid den der kapriziösen Ellie. Ellie lebt in der Vergangenheit und schwelgt in den Erinnerungen an ihren Vater, einen ranghohen englischen Militär. Joyce kann das nicht verstehen: «Finde dich doch endlich einmal damit ab, dass die Wirklichkeit anders aussieht als 1918.» Umsorgt werden die beiden Damen von Alan, einem jungen Korporal, in den Ellie offensichtlich verliebt ist. Alle drei sind natürlich von den Morden verschreckt, aber auch unbedarften Zuschauern dürfte schnell klar werden, dass die beiden späten Mädchen ein Geheimnis hüten …

Was hätten ein guter Drehbuchautor und auch noch ein guter Regisseur aus dieser Grundsituation alles herausholen können? Doch James Kelley (für beides zugleich verantwortlich) macht daraus – nichts. Die Handlung schleppt sich dahin, die Liebesgeschichte, die sich zwischen Alan und einer Krankenschwester entwickelt, interessiert kein Schwein, und es ruft auch keins an. Dafür sorgt im Film die für den Zuschauer unsichtbare Doris, die Telefonvermittlerin des Ortes, eine Institution, die es Anfang der 1970er Jahre noch in ganz England gab und die zu überlisten das Thema unzähliger englischer Whodunits ist.

Die Auflösung der grässlichen Ereignisse und des ebensolchen Films breitet der Regisseur langwierig vor seinen Zuschauern aus. «Ich war erst sechs, als der Krieg ausbrach», erzählt Ellie dem ermittelnden Inspektor, und fügt vorsichtshalber hinzu, dass es sich um den Ersten Weltkrieg gehandelt habe. Ein paar Rückblenden mit Jahrmarkt und Schneeballschlacht zeigen uns die glückliche Kinderzeit. Vater muss in den Krieg und kommt als geistiger Krüppel heim, er schlägt seine Frau und hat Albträume. 1921 bekommen er und seine Frau noch einen Sohn, Steven. «Wir fanden das schockierend», sagt Ellie, «wo er doch in so einer Verfassung war.» Die Mutter stirbt. Steven geht auf ein Internat. Als der Zweite Weltkrieg ausbricht, will er es seinem Vater gleichtun und Soldat werden. Das weckt schlimme Erinnerungen bei den Schwestern, und so sperren sie ihn kurzerhand im Keller ein. Ellies Kommentar dazu lautet: «Joyce wusste stets ihren Willen durchzusetzen!» Um den armen Steven ruhigzustellen, geben die barmherzigen Schwestern ihm Tabletten, die Joyce sich verschreiben lässt, und bringen ihn damit durch den Krieg, was «gar nicht so einfach» war «in der schlimmen Zeit mit zwei Lebensmittelmarken für drei Menschen!». Als der Krieg vorbei war, ist Steven nicht mehr normal. Dabei haben die beiden doch «bloß sein Bestes gewollt»!