Altersblut - Claudia Tülp - E-Book

Altersblut E-Book

Claudia Tülp

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Beschreibung

Auf einem Spielplatz wird in der Nacht ein Junge tot aufgefunden. Das Opfer zeigt deutliche Spuren von Misshandlungen auf. Die Kriminalkommissare Anke Fleur und Hans Eckhard ermitteln in dem familiären Umfeld des Opfers, was sich schnell als komplexes Geflecht aus Problemen herausstellt. In welcher Beziehung steht der Betreuer vom Jugendamt? Ein Schuss in der Innenstadt wirkt wie eine Art Hinrichtung. Die Ermittler kämpfen sich durch ein Gerüst aus Lügen und Intrigen. Der Fall führt sie ins Milieu und in die dunkle Welt des Darknet. Die beiden Kommissare stehen vor einer Aufgabe, die sie tief in die Abgründe menschlicher Psyche führt. Jede Spur, die sie verfolgen, verläuft im Nichts. Ein neues Gewaltverbrechen bringt sie an den Rand der Verzweiflung. Schaffen Fleur und Eckard, die Wahrheit ans Licht zu bringen, bevor weitere Morde geschehen?

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Einleitung
Verlorene Gefühle
Junges Blut
Verlorene Kindheit
Rätselraten
Teambuilding
Ein Irrgarten
Trockene Kindertränen
Endlose Suche
Unbekannte Person
Fragwürdig
Der Schatten
Verfluchtes Leben
Blutleere Wahrheit
Ausgelebt
Veränderungen
Verlogene Wahrheit
Die Anderen
Mühsamer Weg
Einsames Wettrennen
Spurensuche
Kinderschritte
Todesnachricht
Tippelschritte
Entdeckungen
Unberechenbar
Richtungswechsel
Erkenntnisse
Wahrheiten
Spurenverlauf
Erwartungen
Zielgerade
Zugeständnisse

Altersblut

Dritter Regionalkrimi mit Anke Fleur

von

Claudia Tülp

© 2024 Claudia Tülp

ISBN Softcover: 978-3-384-18975-2

ISBN E-Book: 978-3-384-18976-9

Druck und Distribution im Auftrag des Autors: tredition GmbH, An der Strusbek 10, 22926 Ahrensburg, Germany

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Für die Inhalte ist der Autor verantwortlich. Jede Verwertung ist ohne seine Zustimmung unzulässig. Die Publikation und Verbreitung erfolgen im Auftrag des Autors, zu erreichen unter: tredition GmbH, Abteilung "Impressumservice", An der Strusbek 10, 22926 Ahrensburg, Deutschland

Einleitung

Auf einem Spielplatz wird in der Nacht ein Junge tot aufgefunden. Das Opfer zeigt deutliche Spuren von Misshandlungen auf. Die Kriminalkommissare Anke Fleur und Hans Eckhard ermitteln in dem familiären Umfeld des Opfers, was sich schnell als komplexes Geflecht aus Problemen herausstellt. In welcher Beziehung steht der Betreuer vom Jugendamt? Ein Schuss in der Innenstadt wirkt wie eine Art Hinrichtung. Die Ermittler kämpfen sich durch ein Gerüst aus Lügen und Intrigen. Der Fall führt sie ins Milieu und in die dunkle Welt des Darknet. Die beiden Kommissare stehen vor einer Aufgabe, die sie tief in die Abgründe menschlicher Psyche führt. Jede Spur, die sie verfolgen, verläuft im Nichts. Ein neues Gewaltverbrechen bringt sie an den Rand der Verzweiflung. Schaffen Fleur und Eckard, die Wahrheit ans Licht zu bringen, bevor weitere Morde geschehen?

Verlorene Gefühle

Der Wecker zeigt 3:14 Uhr, als ein Smartphone anfängt zu klingeln. Anke Fleur reißt die Augen auf und muss sich orientieren. Wo ist sie? Sie hört ein leichtes Schnaufen neben sich. „Hast du Bereitschaft?“ Blitzartig ist sie wach. „Fleur!“, keift sie regelrecht in ihr Telefon. „Mensch Anke! Wird auch mal Zeit.“ Die Stimme von Schulz prallt ihr entgegen. „Was gibt´s?“, antwortet sie mit schlaftrunkener Stimme. „Hans hört das Telefon nicht, obwohl er für heute Nacht in Bereitschaft ist. Deswegen rufe ich dich an. Wir haben ein Kind aufgefunden.“ Anke gähnt still. „Das ist ein Fall für das Jugendamt.“ „Nein, dieser Junge ist tot. Misshandelt.“ Blitzschnell springt sie aus dem Bett. „Ich muss Udo sofort informieren“, vernimmt sie. Anke beißt sich auf die Zunge, bevor ihr herausrutscht, dass sie das doch übernehmen kann. Sie sieht lächelnd auf die andere Betthälfte. Udo schaltet die Nachttischlampe ein und sucht nach seiner Brille. „Klar, mach das. Wo soll ich hinkommen?“ Verzweifelt kramt sie nach etwas zum Schreiben. „Schick mir bitte die Adresse per WhatsApp. Ich finde jetzt keinen Stift.“ „Ja, wird erledigt. Bis gleich.“ Anke legt auf und im gleichen Moment brummt ihr Smartphone schon mit der Anschrift. Sie drückt auf die Nachricht und das Telefon von Udo klingelt. Artig meldet er sich mit „Dr. Kleist!“, und grinst sie dabei an. Anke muss sich das Kichern verkneifen. Was war gestern geschehen? Sie hatte vorgehabt, die Straßenbahn nach Hause zu nehmen, und jetzt liegt sie neben ihm im Bett. Müde tapert sie in sein Badezimmer und sieht in den Spiegel. Ihre Augen leuchten und sie erinnert sich. Udo schloss die Tür zur Forensik ab, als Anke an ihm vorbei lief. Sie ist ihm einige Tage aus dem Weg gegangen, nachdem sie ihn in der Forensik gesehen hatte, wie er einer Kollegin in die geöffnete Bluse sah. Ja, ihr Herz schlägt schneller, wenn sie ihn ansieht, aber sie hatte nicht vor mit einem Kollegen ihre Zeit zu verbringen, der sich mit jeder Kollegin vergnügte. Gestern rief er ihr hinterher, dass sie stehenbleiben solle. Sie ignorierte seine Worte und lief weiter. Er ist ihr gefolgt und riss sie förmlich an der Schulter herum. Sie sah in seine blauen Augen. „Anke, die Situation in der Forensik hast du falsch interpretiert! Meine Kollegin hat ein Muttermal zwischen der Brust und bat mich, das anzusehen. Es hatte sich verändert und sie befürchtete das Schlimmste. Sonst war nichts zwischen uns!“ Anke starrte ihn an. „Und warum erklärst du mir das?“ „Darüber brauchen wir nicht zu sprechen. Ich weiß sehr wohl, dass du mich dort gesehen hast. Denkst du nicht, dass ich die Spannung zwischen uns spüre? Du läufst seit Tagen vor mir davon und morgens kommst du nicht mehr zum Kaffee in die Forensik. Ich bin zwar ein Mann, aber blind bin ich nicht. Bitte...“, da fing es zu regnen an. Große kräftige Tropfen klatschten vom Himmel. Sie rannten schnell wieder zur Tür zurück, die Udo soeben abgeschlossen hatte. Er schloss auf und sie stellten sich eng an eng in den Eingangsbereich, um den Regenguss abzuwarten. Das Nächste war der Kuss und jetzt steht sie in seinem Badezimmer. Sie wirft einen Blick in den Spiegel. Die 46 Jahre sieht man ihrem sportlichen Körper noch nicht an. Schnell macht Anke sich frisch, bindet ihre Haare zum Zopf zusammen und geht zurück ins Schlafzimmer. Sie hört dabei, wie die Kaffeebohnen durch das Mahlwerk eines Kaffeevollautomaten gemahlen werden. Sie sammelt ihre Jeanshose vom Boden auf und erblickt aus dem Augenwinkel, wie Udo in blauer Unterhose und einem dampfenden Becher in dem Türrahmen steht. „Ich habe leider nur Vollmilch. Das nächste Mal kaufe ich extra Kaffeesahne nur für dich.“, sagt er. Ihr Herz macht einen Sprung. Er war im Bilde. Seit Monaten trinken sie, Udo und ihr Kollege Hans Eckhard zusammen in der Forensik Kaffee und diskutierten über die Mordfälle. „Danke“, sagt sie verlegen. Er küsst sie leicht auf ihre Lippen und drückt ihr den heißen Becher in die Hand. „Verbrenne dich nicht. Würdest du eben auf mich warten? Ich habe dich mit hierher genommen und ich kann dir nicht sagen, wann die nächste Straßenbahn fährt. Wir sind am Ende der Stadt und um diese Zeit fährt nur die Nachtlinie.“ Ach herrje, das hat sie völlig vergessen. Anke besitzt kein eigenes Auto. Sie wohnt in einem Szeneviertel in Bremen und dort stehen nur wenige Parkplätze zur Verfügung. Die tägliche Suche in der Hoffnung auf einen Abstellplatz, hat sie aufgegeben. Sie hat ihr Auto verkauft und fährt somit jeden Tag mit der Straßenbahn zur Arbeit und nutzt dort ihren Dienstwagen. Gewöhnlich ist sie mit ihrem Kollegen Hans unterwegs und es hat sich so eingebürgert, dass er fährt. Das stört sie nicht, so kann sie auf dem Beifahrersitz ihre Gedanken treiben lassen. „Das wäre am unkompliziertesten. Lässt du mich im Büro raus? Weiter fahre ich mit dem Dienstwagen.“ „Ich muss ohnehin in die Forensik. Ich habe meine Tasche gestern dort vergessen.“ Seine alte lederne Arzttasche aus den 50er Jahren. Bei jedem Fall ist die Tasche mit im Einsatz. Die hat er von seinem Vater erhalten, der eine Hausarztpraxis auf dem Land hatte, aber leider vorzeitig verstorben ist. Das war einer der Gründe, warum er das Medizinstudium angefangen hat. Sie trinkt den Kaffee und Dr. Udo Kleist zieht sich an. Sie beobachtet ihn dabei. Sein unwiderstehlicher Körper und die grauen Schläfen haben sie verführt. Trotz seines Alters sieht er verdammt ansprechend aus. Er ist ein Workaholic genau wie sie und wenn das hier kein One-Night-Stand ist, wird es interessant, wie eine Beziehung zwischen ihnen beiden funktioniert. „Hey Träumer, wir fahren los“, haucht er ihr ins Ohr und streicht eine Haarsträhne aus ihrem Gesicht. Sie hat sich verliebt. Gnadenlos in ihn verliebt. Sie steht auf und folgt ihm zum Auto.

Junges Blut

Schulz steht heute Nacht vor dem Gebäude. Er trägt seine warme Jacke und hat den Kragen hochgeklappt. Die Nacht ist kühl und der Rauch der Zigarette ist schon vom weiten erkennbar. Er beobachtet, wie Anke aus Udos Auto aussteigt. Er schweigt, tritt seine Zigarette aus, hebt sie auf und schlendert zurück zum Empfangstresen im Eingangsbereich. Seine Jacke wirft er über seinen Stuhl. „Moin Schulz“, ruft Anke, leicht errötet beim Betreten des Gebäudes. „Moin Anke“, vernimmt sie. Sie läuft direkt ins Büro, um den Autoschlüssel zu holen. Ihr Schreibtisch ist abgeschlossen und ihr fällt nicht ein, wo der Schlüssel ist. Sie wühlt verzweifelt in ihrer Jackentasche. „Hast du es noch einmal bei Hans versucht?“, fragt sie ihn durch die Bürotür. „Er hat zurückgerufen und ist unterwegs. Aus Kirchweyhe benötigt er um diese Uhrzeit keine 20 Minuten.“ „Dann treffe ich ihn auf dem Spielplatz. Wer hat den Toten gefunden?“ „Ein junges Pärchen. Sie kürzten über den Spielplatz ihren Weg nach Hause ab, als sie die Schuhe sahen. Ein paar Turnschuhe guckten aufrecht stehend aus dem Gebüsch. Das kam ihnen komisch vor und sie sahen sich das von nahe an. Da entdeckten sie, dass in den Schuhen ein Kind steckte. Die Personalien haben die Kollegen aufgenommen.“ Anke dankt Schulz innerlich dafür, dass er sie nicht auf Udo anspricht. „Hast du meinen Schlüssel gesehen“, fragt sie ihn. Schulz grinst und klimpert mit ihrem Schlüssel in der Hand. Anke verdreht die Augen und Schulz wirft ihr den zu. Sie öffnet die Schublade, nimmt ihren Autoschlüssel heraus und läuft los. „Alles klar. Ich fahre jetzt los“, ruft sie. Schulz nickt und hebt kurz grüßend die Hand. Draußen vor der Tür atmet sie tief ein und wieder aus. Sie sieht das Regenwasser auf dem Parkplatz stehen und muss über eine große Pfütze springen, um an die Tür von ihrem Dienstwagen zu gelangen. Sie sieht Udos Auto vor der Forensik stehen und legt den Rückwärtsgang ein.

Zeitgleich fährt ihr Kollege Hans Eckhard mit seiner roten Familienkutsche vor. Mit drei Kindern macht so ein 7-Sitzer schon Sinn, aber jedes Mal wenn Hans in Jeans, Schlips und Jackett aussteigt, schmunzelt Anke leicht. „Moin Hans, hast du keinen Dienstwagen mehr?“, ruft sie ihm entgegen. „Moin Anke, der steht im Büro und Wenke benötigt den Großen hier heute nicht. Da habe ich Zeit gespart und bin gleich durchgefahren. Mittlerweile kennen die Kollegen das Auto und winken mich durch.“ Wenke, seine Ehefrau kommt aus einer Polizeifamilie. Ihr Vater und der Opa waren schon im Polizeidienst. Sie ist es gewohnt, dass zu jeder Tages- und Nachtzeit Einsätze stattfinden. Selbst ihre Mutter war kurz bei der Streifenpolizei, bis ihr Vater sie geheiratet hat und sie mit zwei Kindern zu Hause blieb. Wenke hält die Familie zusammen und stärkt Hans in seinem Beruf als Kriminalkommissar den Rücken. Sie ist für Hans ein Glücksgriff und die perfekte Frau und Mutter, im Gegensatz zu Anke. Sie ließ sich aus Köln nach Bremen versetzen für einen Mann. Sehr schnell verlobten sie sich, bis der Alltag kam. Ihr Partner hatte nach kurzer Zeit die Nase voll von ihren unplanbaren Arbeitszeiten, zog aus und überließ ihr die Dachgeschosswohnung im Viertel. Anke hatte Bremen lieben gelernt und ist geblieben. Sie ist ein Einzelgänger und das vielfältige Bremer Viertel perfekt für sie. Dort gibt es jede Menge Lokale und kleine Pubs. Sie liebt das Leben in der multikulti Gesellschaft und beobachtet gerne die Menschen, die an ihr vorbeiziehen. Mit Hans hat sie sich schnell arrangiert und den passenden Kollegen gefunden. Das ganze Team FI01 steht zueinander und die Arbeit macht Spaß. Die Kollegen haben sie in den ersten Tagen auf den Arm genommen. Sie nahm zuerst an FI01, stehe für Finde Idioten. Sie war entsetzt und hielt es für möglich, bis die Kollegen am Ende der Woche es nicht mehr ausgehalten hatten und es ihr erklärten. Es war ihr so peinlich, dass sie daran keine Zweifel hatte. Ihr damaliger Verlobter hatte sie für verrückt erklärt und er hatte recht. In Wirklichkeit war die Wache Findorff damit gemeint. Das war ihr Einstieg unter den Kollegen und heute lacht sie darüber. Zurück nach Köln war unvorstellbar. In Köln wurde ihre beste Freundin bei einem Drogeneinsatz erschossen und ihre Eltern waren verfrüht verstorben. Geschwister hat sie keine. Sie hat niemanden mehr, der ihr nahe steht und somit war ihr Weg nach Bremen ein Leichtes. Jetzt war sie hier und ohne Partner ebenso glücklich. Ohne Partner? Udo. Fast täglich morgens trafen sich die drei bei Udo in der Forensik auf einen Kaffee. Das wurde zu einem Ritual. Sie diskutierten über den aktuellen Fall und tauchten tief ein in die Welt der Pathologie, wenn Udo alles bis aufs kleinste Detail beschrieb. Bis bei Anke sich zunehmend mehr Gefühle für Udo einstellten. Sie vermied die morgendlichen Kaffeerunden und versuchte ihm aus dem Wege zu gehen. Bis heute Morgen. Da wacht sie neben ihm auf und hat keine Ahnung, wie sich das jetzt weiterentwickelt.

Zu zweit laufen sie über den Spielplatz in Richtung Schaukel, wo die Kollegen schon alles mit dem rot-weißen Band abgesperrt haben. Anke schlägt den Kragen ihrer Winterjacke hoch. Sie haucht in die Hände und reibt sie aneinander. „Der Frühling kommt in langsamen Schritten. Hoffentlich hat dieser verdammt verregnete Winter bald ein Ende“, sagt sie zu Hans während sie gemeinsam an der leicht schwingenden Schaukel vorbeilaufen. „Ja, da hast du Recht. Wird endlich Zeit. Bald kann ich mit den Kindern in den Garten und Fußballspielen. Später den Grill anheizen und die Würstchen grillen. Nach so einem langen verregneten Winter wünscht man sich die Zeit schnell herbei.“ Unweit von der roten Rutsche hebt der Kollege das Absperrband und lässt die beiden Kriminalkommissare passieren. „Was haben wir hier?“, fragt Hans, die junge schlanke Frau im weißen Overall die heraussticht mit ihrer dunkleren Hautfarbe. Julia gehört seit einem Jahr zum Team der Spurensicherung. Sie hat eine schnelle Auffassungsgabe und erledigt die Arbeit mittlerweile ohne ihren Chef Klaus Herber. Der ist ein langjähriger Freund von Hans, dessen Kinder spielen mit Hans` Sohn zusammen im Fußballverein. Julia dreht sich um. „Hallo Frau Fleur, hallo Herr Eckhard. Wir haben hier einen blonden Jungen mit jeder Menge Verletzungen an seinem zarten Körper. Es scheint, als ob man ihn hierher gezogen hat, obwohl er so dünn ist. Es sind einige Schleifspuren hier im Sand zu sehen.“ Sie zeigt auf die Stelle und schüttelt dabei den Kopf. Wenn es sich um Kinder handelt, ist die Stimmung im Team erdrückend. „Was kann so ein kleiner Kerl für die bekloppten Erwachsenen“, schimpft sie und nimmt ihre Arbeit wieder auf. „Moin!“ Anke wird es bei dieser Stimme warm ums Herz. Der Rechtsmediziner ist eingetroffen. „Moin Udo. Du siehst heute Morgen gar nicht so zerknittert aus wie sonst. Hast du mal wieder eine Nacht durchgeschlafen und nicht die ganze Nacht Berichte im Büro geschrieben?“, feixt Hans. Anke wendet sich ab. Sie merkt, wie ihr Gesicht anfängt zu glühen. Udo hingegen klopft Hans kurz auf die Schulter. „Heute hast du tatsächlich einmal recht. Das eigene Bett in Gesellschaft bewirkt Wunder“, entgegnet er. Hans erwidert nichts, aber er zwinkert ihm zu und jeder würde sofort erahnen, was in seinem Kopf herumgeistert. Mit etwas Abstand begutachten sie zusammen den zarten Jungen, der rücklings im Gebüsch liegt „Hmm, scheint ungefähr 8 Jahre alt zu sein und wirkt mager. Das heißt aber nichts. Viele Kinder in diesem Alter sind extrem dünn. Das legt sich bei den meisten später“, schätzt Udo und klopft Hans auf den Bauch. Julia gibt ein Zeichen, dass sie so weit fertig ist. Udo hebt seine lederne Tasche vom Boden hoch und nimmt seine Arbeit auf. „Morgen“, knurrt es von hinten. „Mensch Klaus, endlich mal aufgestanden?“, meint Hans zu dem Leiter der Spurensicherung. „Das ist aber eine unchristliche Zeit. Julia! Läuft alles?“ „Ja Chef!“, ruft sie knapp zurück. Durch Julia hat Klaus Herber sich etwas zurückgezogen und ist nicht mehr die Erste am Tatort. Als Morgenmuffel sind die morgendlichen Zeiten nichts für ihn.

„Der Junge weist einige ältere Verletzungen auf. Sieht nach Brandwunden aus, wie von einer Zigarette oder Ähnlichem“, ruft Udo den anderen zu. „Was macht er um diese Zeit überhaupt auf dem Spielplatz?“, fragt Anke erschüttert. Sie läuft über den Platz und lässt den Tatort auf sich wirken. „Woran ist er gestorben?“, hinterfragt sie beim Näherkommen. „Seine Seele wird wohl schon lange tot sein. Die Rippen stechen extrem durch seine Haut. Das sieht man erst unter seinem T-Shirt. Das hat hier nichts mehr mit dem Alter zu tun. Er ist unterernährt, aber ich bin kein Hellseher Anke. Mehr in meinem Bericht, den du ohne jeden Zweifel nicht liest.“ Sie steht mit Händen in den Hüften gestemmt vor ihm. „Dafür habe ich doch euch. Hans erläutert mir das Wesentliche. Warum soll ich mir den Small Talk dazu durchlesen?“ „Danke Anke. Ich schreibe über Stunden einen Bericht, damit du ihn als Small Talk abwertest?“ „Doch, Hans liest Seite für Seite“, erwidert sie. Hans sieht zwischen beiden hin und her. „Bleibt bitte bei der Sache. Wer richtet ein Kind so her? Das ist kaum vorstellbar“, fassungslos betrachtet Hans den Jungen. „Lass uns mal zurück ins Büro. Hier werden wir nichts mehr ausrichten. Wir haben einen neuen Fall und müssen schnellstmöglich die dazu passenden Eltern finden.“ „Hier fehlt mir echt der Gunnar Schleif. Unser Duali hätte eine nette Aufgabe bekommen“, trauert Anke hinter ihrem letzten Studenten her, der sie begleitete. „Tja, Carola muss mit unterstützen. Dein Gunnar ist ja wieder in der Hochschule in der Theoriephase. Eines Tages ist das dein neuer Kollege und ich gehe in Rente“, bemerkt Hans mit einem Grinsen. „Das ist nicht mein Gunnar!“, meckert Anke ihn an. „Carola wird das übernehmen. Für eine Halbtagskraft ist diese Aufgabe erst einmal ausreichend. Was ist mit dir? Denkst du noch über eine Reduzierung deiner Stunden nach oder gehst du gleich in Rente?“, witzelt sie, als beide in Richtung Auto laufen. „Nein, wenn ich Carola sehe, denke ich nicht mehr über eine Stundenreduzierung nach. Sie kommt mittags nach Hause, da wartet schon der Mann und das Kind. Er übergibt ihr den Sohnemann und fährt direkt zur Arbeit. Nein danke.“ Hans schüttelt dabei den Kopf. „Ich arbeite Vollzeit weiter und meine Frau erledigt den Rest. Sie ist die perfekte Mutter und Ehefrau, das werde ich nicht zerstören, damit sie arbeiten geht, wenn ich nach Hause komme.“ Sie steigen beide in ihre Autos und fahren in Richtung Büro. Anke hält kurz beim Bäcker und kauft drei belegte Brötchen. Sie steigt in ihr Auto und legt die Brötchen auf den Beifahrersitz. „Es wird wieder Zeit für einen Kaffee in der Forensik“, freut sie sich mit einem Blick in den Rückspiegel.

Verlorene Kindheit

Es ist 6 Uhr 25, als Anke mit der Tüte Brötchen das Büro betritt. Schulz zieht sich seine Jacke an. „Oh, du hast Feierabend?“, fragt sie ihn. „Nee, ich ziehe mir gerne die Jacke um diese Uhrzeit an“, und schaut sie dabei belustigend an. Anke verdreht ihre Augen. „Die Nacht war ansonsten nicht aufregend. Wie sieht es mit dem Jungen vom Spielplatz aus?“ „Nicht so gut. Er wurde scheinbar misshandelt. Man fragt sich wirklich, warum richtet jemand ein Kind nur so zu?“ „Grauenvolle Vorstellung. Ich bin mal weg. Jan ist schon eingetroffen und ist hinten.“ „Alles klar. Schlaf gut“, und genau in diesem Moment kommt der Kollege Jan um die Ecke. „Moin Anke. Es gibt einen neuen Fall?“ „Ja, wir brauchen alle Hände dafür.“ „Kein Problem, ich bin da. Gunnar Schleif wäre jetzt eine willkommene Stütze.“ „Ja, ja, das höre ich heute nicht zum ersten Mal.“ Sie betritt das Großraumbüro und sieht Hans schon am Laptop tippen. „Ich habe Brötchen mitgebracht. Wenn Udo zurück ist, können wir zusammen frühstücken.“ „Ach, ist alles wieder in Ordnung zwischen euch beiden? Die letzten Tage hattest du keine Lust auf einen Kaffee bei ihm in der Forensik.“ Dabei runzelte er die Stirn. „Alles geklärt. Wir haben darüber gesprochen.“ „Über was?“ „Das geht dich nichts an“, grinst sie. Sie fühlt sich beflügelt und hofft, dass keiner die Veränderung merkt. „Gestern so und heute so. Euch Frauen werden wir Männer nie verstehen.“ Hans tippt weiter auf seiner Tastatur. „Was machst du da?“, fragt sie ihn. „Ich koche Kaffee.“ „Hää, seid ihr heute Morgen alle Clowns?“ „Nein Anke. Was erwartest du bei so einer Frage?“ „Du kannst jetzt gerne deine Augen verdrehen. Das ist bei dir nichts Ungewöhnliches mehr.“ Hans duckt sich, weil ein Bleistift angeflogen kommt. „Das kann aber mal ins Auge gehen“, lacht er. „Ja, ich habe es begriffen“, kommentiert sie genervt. „Also Hans, warum durchkämmst du die Datenbank?“ „Ich suche nach einer Vermisstenmeldung. Die Eltern müssten doch ihren Sohn vermisst gemeldet haben. So etwas unternehmen Erziehungsberechtigte im Normalfall.“ Anke schenkt sich einen Kaffee ein und sucht verzweifelt die Kaffeemilch. „Ist alle“, ruft Jan von hinten. „Bin begeistert. Hoffentlich kommt Udo bald. Der nimmt mich wenigstens ernst.“ „Seit wann?“, fragt Hans und geht dabei gleich in Deckung. „Sachlich Leute!“, Udo steht in der Tür und Anke merkt, wie die Wärme in ihr aufsteigt. „Hi, fertig vor Ort?“ „Ja, die Leiche kommt jetzt in die Forensik. Werde mich gleich damit beschäftigen.“ „Keinen Kaffee bei dir?“, merkt Anke enttäuscht an. „Nee, heute nicht. Ihr erwartet sicher schnellstmöglich den Bericht.“ Anke nimmt die Brötchentüte und öffnet sie. „Hier, nimm dir aber bitte ein Brötchen mit. Das kannst du jetzt schon essen, bevor du loslegst.“ „Ja Mama“, und blinzelt ihr zu. „Ja stimmt. Er nimmt dich ernst“, kommentiert Hans die Situation. Bevor Anke reagiert, steht er auf und greift sich auch einen Becher. „Udo, schickst du uns vorab ein Foto von dem Jungen per E-Mail?“ Udo nickt und verlässt das Büro. „Hier, nimm dir auch ein Brötchen. Mit Frühstück im Magen arbeitet es sich besser und wehe du sagst noch etwas“, dabei hält sie drohend den Finger hoch. Hans schenkt sich einen Kaffee ein und nimmt sich wortlos ein Brötchen. Anke aktiviert ihr Laptop und gleichzeitig ploppt auf ihrem Smartphone eine E-Mail im Posteingang auf. Sie ignoriert es und wartet auf das Hochfahren ihres Laptops. Sie öffnet dort den Posteingang. „NEIN!“, schreit sie auf. Hans läuft schon einmal vorsichtig in den Vorraum. „Du hast das gelesen! Du bist in CC!“ Er ignoriert Anke. „Das mache ich nicht mit! Gunnar Schleif war ja okay, aber nicht noch so eine duale Studentin. Allein dieser Name. Alicia Dingelblei. Warum landen die Dualis bei mir?“ Mürrisch klappt sie ihren Laptop wieder zu. Hans schaut vorsichtig durch die Tür. „Das nennt man mal einen guten Start in den Tag.“ „Ach Hans, ich bin nicht zum Babysitten geeignet und verstehe nicht, warum die alle zu mir kommen.“ „Das frage mal Gunnar Schleif. Er hat bei seinem Abschlussgespräch nur lobend über dich gesprochen.“ „Aha, und deshalb habe ich die Nächste an der Backe?“ „Ja.“ Hans schlürft geräuschvoll seinen Kaffee. Anke nimmt sich das letzte Brötchen aus der Tüte. Der Fleischsalat quillt jetzt schon überall heraus und tropft sofort auf ihren Pullover. Genervt wischt sie den Fleck ab und stopft sich vorsichtig das Brötchen in den Mund. Dabei bleibt sie gleich am Spülbecken stehen. „Der Morgen hat so nett angefangen und jetzt das“, flucht sie leise vor sich her.

„Guten Morgen Kollegen“, vernehmen sie die freundliche Stimme von Carola. „Moin Caro. Du hast anscheinend nicht viel Schlaf bekommen?“, fragt Hans sie. „Nein, leider nicht. Der Kleine zahnt und schreit permanent. Ich war froh, dass ich endlich zur Arbeit konnte. Kaum wollte ich los, war der Kleine eingeschlafen. Na ja, dann kann mein Mann etwas schlafen. So, es gibt einen neuen Fall?“ Dabei zieht sie ihre Jacke aus und hängt sie an den Haken. „Welche Aufgabe habe ich zum Recherchieren?“, erkundigt sie sich und setzt das Teewasser auf.

Gemeinsam setzen sie sich an den Besprechungstisch. Anke steht an ihrem Lieblingsplatz, das Flipchart. „Wir fangen erst einmal damit an, herauszufinden, wer dieser junge Mann ist“, eröffnet Hans die kleine Runde. „Warum trug er nur ein T-Shirt? Wir haben Frühling und die Temperaturen sind zu kalt für NUR ein T-Shirt. Die Jeanshose hatte Löcher, aber das heißt heutzutage ja nichts mehr, wenn ich sehe, was die jungen Leute heute an den Beinen tragen“, fährt er fort. Anke fängt an, auf dem Flipchart zu notieren: Blaues T-Shirt, Jeans, weiße Adidas-Turnschuhe und weiße Socken. „Hmm, nicht ganz“, murmelt Hans. Anke sieht ihn erstaunt an. „Hast du gesehen, dass die andere Socke gelb war?“ „Nee echt?“ Hans nickt und Anke ändert das ab. „Der Körper ist übel zugerichtet. Dazu wird uns Udo später mehr erzählen und die Spusi beeilt sich hoffentlich mit ihrem Bericht.“ „Da es sich bei dem Toten um ein Kind handelt, garantiert“, bemerkt Carola. „Hatte er keinen Schülerausweis oder irgendetwas dabei?“, erkundigt sie sich. „Nein, nichts. Die Spusi würde uns informieren, wenn sie etwas auf dem Spielplatz entdeckt hätten, aber wie schon erwähnt, wir warten auf die Berichte. Ach ja, es gab eine Schleifspur bis dorthin, wo der Junge lag. Der Junge wurde gezogen, aber nicht komplett über den ganzen Spielplatz.“ „Der arme Kerl“, meint Jan. „Jan, ich möchte, dass du einmal überprüfst, ob es in dem Umkreis vom Spielplatz Überwachungskameras gibt. Wir brauchen einen Anhaltspunkt. Irgendwer muss dort langgelaufen sein. Carola stellst du bitte das Internet auf dem Kopf nach diesem Jungen. Udo schickt uns ein Foto per E-Mail. Wir wissen nicht, wer er ist, woher er kommt und ob seine Eltern ihn suchen. Frag auch im Kinderheim nach. Wer weiß, ob der Junge daher stammt. Das ist nicht viel, aber damit arbeiten wir erst einmal.“ Carola nickt und verlässt den Besprechungsraum. „Und wir?“, dabei sieht Anke ihn nachdenklich an. „Wir beide klingeln jetzt erst einmal die gesamte Nachbarschaft aus dem Bett und fragen sie, ob einer etwas in der letzten Nacht gesehen hat.“ Anke nickt und stopft sich den Rest vom Brötchen in den Mund. Klatsch macht es wieder und etwas Fleischsalat fällt herunter. „Anke, du achtest nächstes Mal lieber darauf, was du auf deinem Brötchen nimmst“, lacht Jan. Anke verdreht die Augen, wischt sich den Mund ab und greift nach ihrer Jacke.

Rätselraten

Sie fahren von Findorff in Richtung Ostertor, wo Anke zu Hause ist. Verträumt sieht sie sich die Häuser an. Die alten Bremer Häuser sind charakteristisch, stellt sie fest. Die Stuckverarbeitungen auf den Fassaden könnten unterschiedlicher nicht sein und Bremen hat sich damit ein Stück Architektur erhalten. Sie schweift ab und ist in Gedanken bei Udo. Sie hofft, dass es nicht nur eine einmalige Geschichte zwischen den beiden ist.

„Anke!“ Sie wird aus ihren Träumereien gerissen.

„Was?“

„Wo bist du? Schläfst du?“ Hans sieht sie skeptisch an. Sie bemerkt, dass er schon eingeparkt hat und die Fahrertür offen steht.

„Nein, ich habe nachgedacht.“

„Und? Gibt es Ergebnisse?“

„Hä, wieso Ergebnisse?“

„Ach Anke! Was ist nur los. Hat dich das mit der neuen Studentin so mitgenommen?“ Anke steigt aus und schüttelt den Kopf. „Wie teilen wir uns auf?“ „Einer rechts und einer links entlang.“ Sie zieht den Kragen ihrer Jacke hoch und läuft los.

Die Straßenlaterne leuchtet den Weg in der Morgendämmerung. Anke sehnt sich endlich nach dem Frühling. Als Joggerin hasst sie es, im Dunkeln am Werdersee langzulaufen. Außerdem ist es kalt. Nasskalt hier im Norden. Der Werdersee ist dunkel und wenn ein Hund auf sie zuläuft, erstarrt sie. Sie hat ein Spray dabei, seitdem ein Hund nach ihr geschnappt hat.

Sie öffnet bei dem ersten Hauseingang die Pforte. Sie quietscht leicht und der Besitzer müsste jetzt spätestens wissen, dass sich jemand im Vorgarten aufhält. Sie steht vor der Haustür und klingelt. „Ja!“, kommt es aus der Gegensprechanlage. „Guten Morgen, Kriminalpolizei. Ich habe eine Frage zur letzten Nacht. Haben Sie etwas Ungewöhnliches gesehen und gehört?“„Nein!“, und die Leitung klickt. Anke schnauft und überlegt kurz, ob sie noch einmal klingelt. Sie entscheidet sich aber dagegen und läuft zum nächsten Hauseingang. Hier steht die kleine Pforte offen und die Tageszeitung steckt im Briefkasten. Sie klingelt erneut und wartet. Es dauert eine ganze Weile, bis sich die Tür öffnet. Dahinter steht ein junger Mann mit zerwühlten Haaren im hellblauen Bademantel. „Wissen Sie, wie spät es ist?“

„Ja, der frühe Vogel fängt den Wurm.“

„Ich scheiß auf den frühen Vogel! Ich hatte Nachtschicht.“, und rums, die Tür fällt vor ihrer Nase ins Schloss. Anke klingelt erneut. Keine 2 Sekunden später öffnete sich die Tür nochmals und bevor der junge Mann etwas sagt, hält Anke ihm ihren Dienstausweis unter die Nase. Er schluckt seinen Zorn herunter und starrt sie wortlos an.

„Guten Morgen, Fleur von der Kriminalpolizei. Herr?“

„Kleiner.“

„Herr Kleiner, danke das Sie aufgemacht haben.“ Wir haben einen toten Jungen hier gegenüber auf den Spielplatz gefunden. Haben Sie etwas Ungewöhnliches letzte Nacht gesehen?“

„Beim Nachtdienst?“

„Nein, aber als Sie heute Morgen nach Hause gekommen sind?“

„Sie meinen die Jugendlichen, die sich mit lauter Musik hier auf dem Spielplatz volllaufen lassen? Oder die Junkies, die sich einen Schuss setzen?“ „Ja, so etwas zum Beispiel.“

„Das war gestern Abend um 21.30 Uhr, als ich zum Dienst gefahren bin. Heute Morgen habe ich nur ihre Kollegen gesehen, die hier alles abgeriegelt haben. Es war ja taghell erleuchtet, aber es hat mich nicht interessiert. Ich bin müde, wenn ich vom Dienst komme.“

„Wäre es möglich, die Jugendlichen vom Vorabend zu beschreiben?“

„Nein, die interessieren mich nicht. Kommen Sie am Freitagabend wieder. Da ist der Spielplatz voll mit dem Gesocks. Kann ich jetzt zurück in mein Bett?“

„Ja, wenn Sie mir nichts mehr zu sagen haben. Was machen Sie beruflich? Ich frage nur aus reiner Neugier.“

„Ich bin Krankenpfleger hier vorne im Krankenhaus.“

„Löblich. Hier ist meine Visitenkarte, für den Fall, dass Ihnen etwas einfällt.“ Herr Kleiner nimmt die Karte entgegen und schließt sofort die Tür. Anke seufzt und verlässt das Haus. Ihre Gedanken drehen sich über diese Gleichgültigkeit des Nachbarn. Wie kann jemand so desinteressiert sein, wenn direkt vor der eigenen Haustür so ein Mord passiert? Sie dreht sich um und läuft zum nächsten Haus. Die kleinen Gartenpforten findet sie drollig, aber den Sinn hat sie nicht verstanden. Sie klingelt und liest dabei den Namen Franzen. Es ertönt ein Hundegebell. Die Haustür öffnet sich und ein Hund steht knurrend in der Tür. „Moin, verkaufen Sie schon so früh am Morgen etwas?“, fragt die Frau, schätzungsweise Mitte 40, schiebt das Tier zurück ins Haus und schließt die Tür. „Darüber denke ich mal nach, wenn der Job mir bei der Kriminalpolizei keinen Spaß mehr macht.“ Die Frau zögert.

„Kriminalpolizei?“

„Ja, Anke Fleur“, und zeigt ihren Ausweis.

„Das ist ja dramatisch. Was gibt es denn?“

„Wir haben heute Nacht einen toten Jungen hier auf dem Spielplatz aufgefunden und suchen jetzt Zeugen, die etwas gesehen haben. Haben Sie etwas Ungewöhnliches mitbekommen?“, dabei brummt Ankes Smartphone in der Hosentasche.

„Nein, auf dem Spielplatz ist ständig etwas los. Da höre ich gar nicht mehr hin. Ich hätte dieses Häuschen gar nicht erst gekauft, wenn ich eine Ahnung gehabt hätte, wie laut ein Spielplatz sein kann. Aber jetzt ist es leider so. Ich bin froh, dass ich keine eigenen Kinder habe. Ich hätte sie niemals alleine auf den Spielplatz gelassen.“ Anke wirft einen Blick auf ihr Telefon und sieht, dass das Foto des Jungen eingegangen ist. Sie öffnet das Bild und zeigt es der Frau.

„Oh, der ist aber jung. Ich kenne ihn nicht und habe ihn kein einziges Mal hier gesehen. Das tut mir leid, dass ich Ihnen nicht helfen kann, aber ich muss jetzt wirklich zur Arbeit.“

„Danke für Ihre Zeit“, und Anke gibt auch der Frau ihre Visitenkarte.

„Gerne! Bitte finden Sie schnell diesen Menschen, der das einem Kind angetan hat.“