Altertümer, Geschichten und Sagen der Herzogtümer Bremen und Verden -  - E-Book

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Beschreibung

Friedrich Kösters Sammlung ist zunächst eine Frucht seiner Liebe zu der Provinz, die ihm nicht zuletzt aufgrund der Tüchtigkeit ihrer Bewohner lieb geworden ist. Anfangs ging es ihm nur um eine Zusammenstellung der vorhandenen Sagen, aber es zeigte sich bald, dass die Quellen wenig ergiebig waren und auch auf der Geest vieles vergessen blieb. Deshalb entschloss sich Köster, das mit aufzunehmen, was von Altertümern und Geschichten der Provinz zum Verständnis ihres besonderen Wesens dienen könnte -- und dessen ist mancherlei, schon in Folge ihrer mehr als achthundertjährigen Abgeschlossenheit unter dem bischöflichen Regiment. Herausgekommen ist ein umfassendes und rundes Werk, das nicht nur für die Bewohner dieses Landstrichs interessant ist.

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Seitenzahl: 362

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Altertümer, Geschichten und Sagen der Herzogtümer Bremen und Verden

 

FRIEDRICH KÖSTER

 

 

 

 

 

 

 

Altertümer, Geschichten und Sagen der Herzogtümer Bremen und Verden, F. Köster

Jazzybee Verlag Jürgen Beck

86450 Altenmünster, Loschberg 9

Deutschland

 

ISBN: 9783849680907

 

www.jazzybee-verlag.de

[email protected]

 

 

INHALT:

Vorbericht.1

Die Herzogtümer Bremen und Verden. Das Land und seine Bewohner. Überblick ihrer Beschaffenheit und Geschichte.3

1. Das Bremische Moor.22

2. Die Marschen.25

3. Die in den Herzogtümern Bremen und Verden noch vorhandenen alten Grabhügel und Steindenkmäler.30

4. Plinius und Tacitus über das Land und Volk der Chauken.33

5. Eine Szene aus dem Zug der Sachsen nach Britannien.36

6. St. Willehad, der erste Bischof von Bremen.38

7. St. Ansgar, der erste Erzbischof von Bremen.44

8. Eine Urkunde des Erzbischofs Adalbert vom Jahre 1059.51

9. Eine Nordpol-Expedition der Friesen im 11ten Jahrhundert.54

10. Verzeichnis der Heiligen, von welchem die Kirchen der Herzogtümer den Namen führen.56

11. Kirchliche Altertümer der Provinz.62

12. Heinrich der Eiserne, oder die Ritterburg im Tannensee.66

13. Die Sage vom Störtebeker.70

14. Ein Sittenspiegel aus Stade, angeblich aus dem Ende des 15ten Jahrhunderts.74

15. Die Ursachen, welche die Einführung der Reformation in den Herzogtümern befördert haben.76

16. Johann Bornemacher, ein Märtyrer der Reformation.89

17. Das Pater-Kleid und der Pater-Busch zu Visselhövede.97

18. Vorrede zu der Wurster Kirchen-Ordnung von 1534.100

19. Gemälde aus dem Schulleben. 1550.102

20. Abendgebet der Kinder.110

21. Zwei friesische Gesänge.111

22. Das kirchliche Leben in den Herzogtümern zu Anfang des siebzehnten Jahrhunderts117

23. Merkwürdigkeiten aus der Gegend von Hambergen.120

24. Nachrichten über den ersten schwedischen Gouverneur der Herzogtümer, Grafen Königsmarck.122

25. Kurzer Abriß der Geschichte des Königlichen Konsistoriums in den Herzogtümern Bremen und Verden.124

26. Zur Erinnerung an Georg Haltermann weil. Regierungsrat und Mitglied der Königlichen Landdrostei zu Stade.134

27. Kurze Geschichte der Städte Stade, Verden, Buxtehude, und Bremervörde, des Fleckens Horneburg, der Schlösser Rotenburg und Ottersberg und der Insel Krautsand.137

28. Volkstümliche Sitten und Gebräuche der Herzogtümer.154

29. Noch lebende Volkssagen und Legenden.172

30. Volkstümliche Sprichwörter und Redensarten.201

31. Proben der jetzigen Volkssprache in den Herzogtümern.207

32. Fragen und Wünsche.215

Vorbericht.

Die vorliegende Sammlung ist zunächst eine Frucht meiner Liebe zu der Provinz, welche mir seit siebzehn Jahren durch meine Amtsführung näher bekannt und durch die Tüchtigkeit und Biederkeit ihrer Bewohner wert geworden ist. Anfangs hatte ich es nur auf eine Zusammenstellung der vorhandenen Sagen abgesehen, dergleichen jetzt aus fast allen Landschaften und größeren Städten Deutschlands erscheinen: es zeigte sich aber bald, dass diese Quelle zu wenig ergiebig sei: unsere arbeitsamen Marschleute kennen kaum das heitere Spiel der Sage, und auch auf der Geest ist das Meiste davon verschollen: wie denn in Bechsteins großer Sammlung deutscher National-Sagen sich keine aus dem Bremen-Verdenschen finden. Deshalb entschloss ich mich, mit aufzunehmen, was von Altertümern und Geschichten der Provinz zur Kenntnis ihres besonderen Wesens dienen könnte; und dessen ist mancherlei, schon in Folge ihrer mehr als achthundertjährigen Abgeschlossenheit unter dem bischöflichen Regimente. So ist nun diese Sammlung freilich kein eigentliches Volksbuch geworden, indem sie Einzelnes enthält, was nur den gelehrten Forscher anzieht; größtenteils jedoch bietet sie Volkstümliches für alle Stände.

Dass mein Unternehmen ungewöhnliche Teilnahme gefunden hat, beweist die zahlreiche Liste der Subskribenten. Aber dem bloßen Zeitvertreib und einer flüchtigen Unterhaltung will dasselbe nicht dienen, sondern mein Wunsch ist, dass es unter dem gegenwärtigen Schwanken aller religiösen, geselligen und politischen Verhältnisse dazu beitrage, durch einen Rückblick auf der Väter Art und Sitte im Guten wie im Schlechten, den Sinn für alte Zucht und Ehrbarkeit, für echte Gottesfurcht und evangelisch-christliche Freiheit zu beleben und zu stärken. Denn noch steht das Wort des Herrn fest, dass die Gottseligkeit zu allen Dingen nütze ist, und dass dem Trachten nach dem Reiche Gottes auch die äußeren Lebensgüter zufallen werden. Ich bitte, mir keinerlei andere Absichten – Tendenzen, wie man jetzt zu sagen pflegt, – unterzulegen.

Weder in der einleitenden Übersicht noch sonst ist es mir um statistische Genauigkeit zu tun gewesen: ich wollte nur Land und Leute schildern, wie sie leiben und leben. Deshalb möge man es wohlwollend entschuldigen, wenn etwa einmal ein Irrtum in dem bunten Inhalt des Buches mit untergelaufen sein sollte.

Leicht das beste Material zu dieser patriotischen Blumenlese ist mir durch die Gefälligkeit von jungen und älteren Freunden des Unternehmens zugetragen worden: so die Sagen und Sprichwörter, die Lebensbeschreibungen Willehads und Anschars und die Szenen aus der Reformationszeit, durch welche diese Periode der Geschichte der Herzogtümer in ein vorher nicht gekanntes Licht gesetzt wird. Jenen Männern sage ich, auch im Namen der Leser, herzlichen Dank. Von meinen Beiträgen sind einige neu, andere früher in der Kirchlichen Chronik abgedruckt: Einiges ist von meinem ehrwürdigen Amtsvorfahren Pratje entlehnt. Zur Benutzung der in neueren Zeitschriften befindlichen Artikel habe ich die Genehmigung der Verfasser oder der Redaktionen erbeten und erhalten.

Die gesammelten Sagen enthalten nicht eben viel Originelles, Bedeutendes, Poetisches, aber sie dienen doch mit zur Charakteristik unserer Provinz; wie denn z. B. sich erkennen lässt, dass in ihnen das kirchliche Interesse, für Gotteshäuser und Gottesdienst, vorherrscht. Poetisch sind fast nur die Sagen aus Beverstedt; und die Art, wie Herr Superintendent Wiedemann die Geschichte von „dem dummen Teufel“ erzählt hat, kann an Hebels Alemannische Gedichte erinnern. Es schien zweckmäßig, die Sagen nach der Oertlichkeit, welcher sie angehören, zusammen zu stellen, weil sie da einen geschlossenen Ideenkreis bezeichnen. Dem Inhalte nach zerfallen sie etwa in Heiligen- und Teufels-, Kirchen- und Orts-Sagen.

Origineller sind jedenfalls die volkstümlichen Sprichwörter und Redensarten. Deren Sammlung hätte ansehnlich vermehrt werden können; allein ich habe mich mit Absicht auf das meines Wissens Eigentümliche und besonders Treffende eingeschränkt. Sie haben zum Teil etwas Derbes; und gewöhnlich sind solche Volkssprüche nur halb wahr; gewiss aber wird man auch manches gute Körnlein von „Weisheit auf der Gasse“ darin finden. An dieselben schließen sich die beiden niedersächsischen Dialogen, welche den Wohllaut der jetzigen Bremenschen Volkssprache und den heiter scherzenden, gutmütig neckenden Ton ländlicher Unterhaltung anschaulich machen.

Auf die Etymologie der Namen ist wenig Gewicht gelegt; und eben so wenig habe ich mich auf mythologische und symbolische Vermutungen eingelassen: ich meine, es ist besser, die einfache Tatsache zu erzählen und Jedem, was er daraus machen will, anheim zu stellen.

Einiges Material habe ich noch zu etwaigem künftigen Gebrauch zurückgelegt. Es steht nämlich zu hoffen, dass dieser erste Versuch eine Wünschelrute sein wird, um aus allen Teilen der Provinz – auch aus dem uns so nahe verwandten Lande Hadeln – ferner manches Wissenswürdige ans Licht zu bringen; so dass, wenn eine Fortsetzung erscheinen könnte, dann die ganze Vorzeit und in dieser die jetzige Gestalt der Herzogtümer wie in einem klaren Spiegel vor unseren Augen stehen würde.

Stade, im Januar 1856.

Köster.   

Die Herzogtümer Bremen und Verden. Das Land und seine Bewohner. Überblick ihrer Beschaffenheit und Geschichte.

Auf einer Anhöhe bei Altenwalde, unweit Ritzebüttel, sind merkwürdigerweise die Mündungen der Elbe und der Weser zugleich sichtbar. Wenn man nun von diesem Punkte aus den Lauf der Weser stromaufwärts bis Bremen und Verden verfolgt, von da zu Lande über Rotenburg und Buxtehude nach Harburg geht, und endlich die Elbe hinunter bis nach Cuxhaven schifft, so hat man ein Dreieck umschrieben, welches die Herzogtümer Bremen und Verden einschließt. Dieser Landstrich ist eine Fortsetzung jener großen Tiefebene, welche sich von der Stadt Hannover gegen die Nordsee hin mit geringer Senkung abdacht. Derselbe hat keine Berge, sondern nur einige unbedeutende Anhöhen: bei Stade den Hohenwedel, bei Dobrock die Wingst und bei Worpswede den Weyerberg; außerdem ist das Land vielfach von wellenförmigen Hügelreihen durchschnitten, im Ganzen aber eine, oft unübersehbare, Niederung, von der Lüneburger Grenze bis nach Cuxhaven. Der Boden besteht zum kleineren Teil aus guter Geest, zum größeren aus dürrer Heide, an den Ufern der Elbe und Weser aber aus fruchtbarem Marschland; daher die Provinz in dem alten Sprichworte verglichen wird mit einem abgeschabten Mantel, umgeben von kostbar goldener Borte. Die Geest gewährt dem Fleiße ihrer Bewohner einen teils genügenden, teils reichlichen Ertrag; und selbst die Heide bezeugt vielerwärts ihre Kulturfähigkeit durch den üppigen Wuchs des Heidekrautes: nur da, wo das Wasser keinen Abzug findet, ist sie zum sumpfigen Moor geworden: die Marschen aber, d. i. das meerische Land, sind in der Tat ein Geschenk des Meeres; indem die beiden großen Ströme alljährlich, vermöge der Ebbe und Flut, den Meeres-Schlick an das Ufer absetzen. Durch einen kostbaren Gürtel von Deichen hat nämlich des Menschen Hand den Überschwemmungen jener Ströme einen Zügel angelegt; und nun müssen mit Schleusen versehene Kanäle (Flehte und Siele, Wettern und Wasserlösen) dem Ufer, soweit die Flut reicht, jenen fetten Schlamm zuführen, welcher, mit magerer Erde und Dünger vermischt, eine staunenswerte Vegetation hervorruft und die Marschen zur Kornkammer des Hannoverschen Landes macht. Neben dem Haupt-Deiche gibt es auch Außen- und Binnen-Deiche: jene, nach dem Strome zu, wehren kleinere, diese, nach dem Lande zu, größere Fluten ab. An solcher marschbildenden Tätigkeit nehmen aber auch die kleineren Flüsse, welche in Weser und Elbe ausmünden, so weit Antheil, als der Wechsel von Ebbe und Flut sich erstreckt. So die Oste, welche von Süden nach Norden die Mitte der Provinz durchschneidend sich in die Elbe ergießt, und die Wümme, welche im Süden der Herzogtümer von Osten nach Westen läuft, in ihrem Laufe die Hamme und Wörpe aufnimmt, und vor dem Eintritt in die Weser Lesum genannt wird. Kleinere Gewässer, welche in die Elbe fallen, sind: die Medem, Schwinge, Lühe und Este, in die Weser, die Lune und Geesten. Von der Natur selbst durch das wellenförmige Terrain geschaffen, bilden sie gleichsam die belebenden Adern des Landes, und wo einzelne Bäche (Auen) eine Vertiefung des Bodens finden, entstehen Seen, wie der Bederkesaer, Flögeler und Balk-See: sie können sich jedoch mit denen im östlichen Holstein weder an Größe noch an malerischer Umgebung vergleichen.

Überhaupt wird man, bei solcher Beschaffenheit des Bodens, imposante Naturschönheiten in der Provinz nicht erwarten. Es fehlt aber keineswegs an einzelnen hübschen Partien. Dahin gehört, unter andern, der Schwarze Berg bei Stade mit der Aussicht auf die von der Schwinge durchschlängelten Wiesen, auf die Stadt, und im Hintergrunde auf die Schiffbelebte Elbe und das Holsteinische Ufer. Zwischen Horneburg und Buxtehude bildet das Hedendorfer Holz mit den schlanken Buchen, welche bei Neukloster einen stillen Weiher umschließen, einen wahrhaft idyllischen Punkt. Reizend sind ferner die Gärten und Parks der Bremer Kaufherren an der Lesum zu St. Magnus; und die Talgründe bei Scharmbeck werden von den höflichen Besuchern aus Bremen wohl die Bremische Schweiz genannt. Das Dobrocker Holz ladet besonders in der Pfingstzeit die Umwohner unter seine grünen Hallen ein; und mit Recht rühmt man den Bederkesaer See mit seinem „Holz an der Burg.“ Aber auch die goldenen Rappsaatfelder im Kehdingschen, die mit Blütenschnee bedeckten Kirschbäume des Alten Landes, und das glatte Hornvieh auf den Osterstadischen Triften haben ihre Schönheit. Und selbst mitten in der Heide überraschen jene wie glückliche Oasen auftauchenden altsassischen Bauerhöfe, von uralten Eichen umkränzt, ebenso sehr den Fremden, wie sie den Bewohnern bis zum unauslöschlichen Heimweh teuer sind.

Das Klima dieser Lande ist durch die Nähe des Meeres und der zwei großen Ströme, bei dem Wechsel von Ebbe und Flut, und weil Gebirge fehlen, rau, nebelreich und veränderlich, aber auch geschützt vor den Extremen von Hitze und Kälte; häufig sind daher rheumatische Beschwerden, aber Brustleiden eine Seltenheit. Die Westwinde schaden dem Baumwuchse, nicht aber die Ostwinde; daher die Weser-Ufer großenteils keine Bäume haben, die Elb-Marschen hingegen das herrlichste Obst produzieren. Merkwürdig auch, dass die Nachtigall sich von den Marschen fernhält. Im Lande Wursten klagt man seit alter Zeit über die ungesunde (salzige) Luft, welche jedoch den Einheimischen eben nicht schadet: überhaupt steht das Marsch-Fieber in bösem Ruf. Auf den Heiden pflegt man im Sommer das dürre Heidekraut anzuzünden, um in der dadurch gewonnenen Asche eine spärliche Buchweizen-Ernte zu erzielen: hieraus entsteht dann jener trockene Höherauch oder Moordampf, welcher in ganz Nord-Deutschland den Regen vertreibt und das Atemholen erschwert.

Die Produkte sind natürlich an Güte, wie an Menge sehr verschieden; aber jede Bodenart hat doch ihren besonderen Reichtum. Der der Moore besteht in den mächtigen Torflagern: ihre Ausbeute erfordert freilich eine höchst mühselige Arbeit, allein der Torf ist von vorzüglicher Qualität, und auf unzähligen Kanälen nach Bremen und Hamburg verschifft, wirft er schönen Gewinn ab. Und nachdem die Torfschicht völlig abgestochen worden, kommt oftmals ein tragbarer Boden an den Tag mit gutem Wiesenwachs. Die Heide besitzt drei große Erwerbsquellen an der Bienenzucht, dem Buchweizenbau und dem Verbrauch der über oder unter der Erde reichlich vorhandenen Feldsteine. Diese ersetzen uns gleichsam ein Bergwerk; indem sie teils zum Häuser- und Wegbau benutzt, teils ins Ausland verkauft werden; worüber der sel. Pratje ein Programm mit dem scherzhaften Titel: Panis ex lapidibus (Brot aus Steinen) geschrieben hat. Auf der Geest gedeihen fast sämtliche Cerealien, sei es zum eignen Bedarf, oder zur Ausfuhr: auch fehlen schöne Waldungen nicht, wenngleich geringer an Ausdehnung, wie im Lüneburgschen. Die Viehzucht ist überall ergiebig, besonders aber an der Unterweser, wo die Stoteler Butter einen weit verbreiteten Ruf genießt. Die Marschen erzeugen Pferde von starkem Körperbau, wie sie der dortige Boden fordert. Die Kirschen des Alten Landes werden bis nach Braunschweig und Kopenhagen ausgeführt; und die Wurster und Kehdinger, Neuhäuser und Oeftinger Marsch hat zwar weder Hölzungen noch Steine, aber dagegen den üppigsten Reichtum von Feldfrüchten aller Art, vornehmlich Weizen, Bohnen und Rappsaat. Im ganzen Lande finden sich zahlreiche Ziegeleien mit gutem Ertrage, aber wenig sonstige Fabriken: nur in der Stadt Buxtehude und am Weser-Ufer von Achim bis Blumenthal wird die Zucker-, Zement- und Porzellan-Bereitung schwunghaft betrieben. Die auf den Ackerbau hingewiesene Provinz hat sich Gottlob frei erhalten von dem Elende des übermäßigen Fabrikwesens.

Die Bevölkerung ist natürlich am stärksten in den fruchtbaren Marschen, am dünnsten in den Heide- und Moor-Distrikten. Die Bewohner der letzteren wohnen oft Stundenweit von ihrer Kirche entfernt, und in der Regenzeit durch Sümpfe von aller Welt isoliert. In den Marschen hat der Grundbesitz einen enormen Wert; daher die Häuslinge, welche desselben entbehren, sich in einer drückenden Lage befinden, und selbst die kleineren Grundbesitzer durch die größeren immer mehr und mehr verdrängt werden. Auf der Geest hingegen lebt, gleichmäßig verbreitet, ein glücklicher Mittelstand. Aber auch die Heide könnte, gehörig bebaut (wie dies die Moorkolonien beweisen), noch Tausenden ein Unterkommen gewähren, bevor die Auswanderung Bedürfnis würde. Die Einwohner zerfallen, ihrer Abkunft nach, in Friesen, an den Ufern der großen Flüsse, in Sachsen, auf den höher liegenden Strecken, und in eingewanderten Niederländern, besonders im Alten Lande. Auf den Marschen wohnt eine rührige, wohlhabende, kräftige, freiheitliebende, kaufmännisch rechnende Bevölkerung; die Heide- und Moorleute, in ärmlicher Einfachheit lebend, können, bei harter Arbeit und schwerer Kost, nur mit Mühe zu einigem Wohlstande gelangen; die Geest-Bewohner stehen zwischen beiden in der Mitte, haben ihr gutes Auskommen, und leben zufrieden in angeerbter Biederkeit und Gottesfurcht. Neben diesen Eigentümlichkeiten aber sind doch Allen die gemeinsamen Züge des niedersächsischen Charakters aufgeprägt. Der Sinn nicht leicht beweglich, aber beharrlich; nicht phantasiereich, aber praktisch; nicht glatt und geschmeidig, aber treuherzig und zuverlässig. Daher ein starkes Festhalten an alter Sitte und Gewohnheit; ein nicht sehr erregtes aber auch nicht leicht zu erschütterndes Christentum; überhaupt ein ruhiges, entschlossenes Wesen, ohne viele Worte. Die poetische Volkssage hat hier keinen sehr günstigen Boden: es fehlt dazu eine großartige Natur, der leichte Sinn und die Gesanges-Lust der Südländer, so wie eine tatenvolle Geschichte der Vorzeit. Die niederdeutsche Mundart der Bevölkerung ist, wie die der Holsteiner, ausgezeichnet rein, weich und wohlklingend: sie wird als ein teurer Besitz geliebt; und selbst die höheren Stände können, im gemütlichen Verkehr, derselben nicht entbehren. Wie sehr also auch das Hochdeutsche durch die Volksschulen sich ausbreitet; es ist doch noch keine Aussicht vorhanden, dass die altsassische Volkssprache ihre mehr als tausendjährige Herrschaft ganz verlieren werde.

Um nach dieser vorläufigen Übersicht ein genaueres Bild von der Provinz zu gewinnen, wollen wir jetzt näher eingehen auf ihre politische Einteilung, die Beschaffenheit der einzelnen Landschaften und die Verschiedenheiten der Stände. Hier müssen wir aber von den Herzogtümern Bremen und Verden im engeren Sinne ausscheiden die nordwestliche Ecke des Landes, oder das Land Hadeln. Dieses nach der Geschichte am frühesten bewohnte Gebiet war anfangs den Grafen von Lesmona unterworfen, dann den Bremischen Erzbischöfen, und etwa seit dem Jahre 1100 den Herzögen von Lauenburg: erst 1731 ward es von diesen an Hannover abgetreten. Bei allem Regenten-Wechsel aber haben die Hadeler sich ihre eigentümliche altfriesische Verfassung und Freiheit mehr oder minder zu bewahren gewusst. Die Kommunal-Verwaltung wird durch Kirchspielsgerichte unter einem Schultheißen wahrgenommen. Man unterscheidet das Hochland, mit der Hauptstadt Otterndorf, von dem niedrig gelegenen, oder Sietlande, dessen bisher oft durch Überschwemmung zerstörte Ernten jetzt hoffentlich durch den neu angelegten großen Kanal gesichert sind. Die äußerste Spitze des Landes Hadeln, das Amt Ritzebüttel, war einst Eigentum der reichen Familie der Lappen: von diesen wurde es 1372 an die Stadt Hamburg verkauft, welche daselbst nachmals das für die Nordsee-Schifffahrt so wichtige Cuxhaven anlegte.

Abzutrennen ist ferner das Gebiet der Freien Hansestadt Bremen, wiewohl dieselbe einst Jahrhunderte lang als Residenz der Erzbischöfe mit dem Lande, welches deren Sprengel bildete, innigst verbunden war. Reich geworden durch seinen Seehandel, benutzte Bremen die häufigen Geldverlegenheiten der geistlichen Herren, um sein Gebiet zu vergrößern und ein Privilegium nach dem andern zu erlangen; weshalb es auch Mitglied des Hansabundes wurde. Sein majestätischer Dom, sein merkwürdiger Roland und sein altertümliches Rathaus sind aber noch immer als geistiges Eigentum der ganzen Provinz zu betrachten. Im 12ten und 13ten Jahrhundert verschaffte es sich von den Kaisern allmählig, wiewohl unter fortwährendem Widerspruche der Erzbischöfe, die Reichsunmittelbarkeit; und diese wurde im 17ten Jahrhundert von Schweden, im 18ten auch von Hannover anerkannt. Jedoch blieb der Dom mit seinen Pertinenzien Eigentum sowohl der Erzbischöfe als der nachfolgenden Landesherren; bis in Folge des Lunéviller Friedens im Jahre 1802 auch dieser von Hannover durch Tausch an die Stadt abgetreten wurde. Eine räumlich kleine, aber höchst wichtige Gebiets-Vergrößerung erhielt Bremen 1826 durch den Ankauf des Bremer Hafens, welcher seinem Seehandel zur unentbehrlichen Basis dient.

In dem eigentlichen Bereich der Herzogtümer wenden wir uns nun zunächst zu den Ufer- oder Marsch-Distrikten. Gemeinschaftlich ist ihren Bewohnern die friesische Abkunft, die Verbindung des Ackerbaues mit der Schifffahrt, und der uralte Besitz gewisser Freiheiten und Vorrechte. Das Alte Land scheint seinen Namen daher zu führen, dass es am frühesten ist eingedeicht und bewohnt worden. Durch die parallel laufenden Flüsse Schwinge, Lühe und Este wird es eingeteilt in die erste, zweite und dritte Meile. Die erste und zweite Meile haben je 4 Kirchspiele, die dritte hat 2 (Estebrügge und Neuenfelde). Auffallend ist in diesem Ländchen das friesische Element der Bewohner durch die Einwanderung holländischer, richtiger flamändischer Kolonisten verdrängt worden: denn der schöne Menschenschlag, die Kommunal-Verfassung, die Kleidertracht, ja selbst die Bauart der Häuser (mit grell bunten Farben, und dem Schwan, statt der Pferdeköpfe, auf dem Dache) weisen unverkennbar auf einen flamändischen Ursprung hin. Der Verkehr mit dem nahen Hamburg hat in den Altländern vorzugsweise den kaufmännischen Sinn entwickelt, mit seinen Tugenden und Fehlern: daneben aber findet sich ein zähes Festhalten an alter Sitte und Lebensweise.

Das Land Kehdingen (in alten Schriften Kaidingen) mag so benannt sein von den Kaje-Deichen; indem die Endung Ding eine gemeinschaftliche Gerichtsstätte anzeigt (wie Wolterdingen am Walde, Schneverdingen am Schnee). An Fruchtbarkeit steht dasselbe fast dem Lande Hadeln gleich: der leicht erworbene Reichtum ist aber nicht ohne Nachtheil für die Einfachheit der Sitten und des häuslichen Lebens geblieben. Die Kommunal-Angelegenheiten wurden bisher hier, wie im Alten Lande, von erwählten Hauptleuten besorgt, unter dem Vorsitz eines Gräfen; und so gab es zwei Gräfen-Gerichte, Bützfleth und Freiburg, jedes von vier Kirchspielen; woher das Kirchspiel Oederquart den Namen hat. Dem Kehdingschen entlang liegen mehrere uneingedeichte Elbinseln, Sände genannt, und die größte derselben, Krautsand, bildet seit 1682 ein eigenes Kirchspiel.

Die Wurster (Wurtsaten oder Wurstfriesen) an der Unterweser heißen so von den Wurten, zum Schutz gegen die Flut aufgeworfenen Hügeln, auf denen ursprünglich ihre Wohnungen lagen. Sie haben den friesischen Charakter am längsten behauptet, namentlich den Sinn für kommunale Freiheit und Selbstregierung. Die friesische Sprache ist daselbst erst um das Jahr 1740 verschwunden, und friesisch sind noch jetzt die Ortsnamen Dorum, Mulsum, Midlum, die Manns-Namen Eide, Siade, Tante, Adickes, Lübs, und die Frauen-Namen Imme, Jibke, Nanne u. s. w. Der Hauptort Dorum bildet die Mitte zwischen vier südlichen und vier nördlichen Kirchspielen; und scheint somit die Vierzahl in den Marschen beabsichtigt zu sein. Die Ortsverwaltung liegt in den Händen erwählter Kirchspiel-Vogte, an deren Spitze sonst ein Großvogt stand. Der Wurster Marschboden ist weniger tief, daher leichter zu bearbeiten, aber auch nicht so ergiebig, als der an der Elbe.

Die Landschaft Osterstade erinnert an den Volksstamm der Stedinger, welche einst beide Weser-Gestade, das (östlich) Bremische und das (westlich) Oldenburgische, innehatten: sie umfasst im weiteren Sinne die ehemalige Grafschaft Stotel, nördlich davon das Vieland, welches von dem niedrigen, wasserreichen Boden (Vie) so genannt wird, und gegen Süden das eigentliche Osterstade. Eine Enklave derselben bildet das Land Wührden (Kirchspiel Dedesdorf), welches durch die Verheiratung einer Gräfin von Stotel an das Großherzogtum Oldenburg gekommen ist. Osterstade zeichnet sich aus durch seine für die Hornviehzucht günstigen Weiden; aber Bäume sind dort eine Seltenheit. Die Ortsvorsteher heißen Swaren (Geschworne), und eine Eigentümlichkeit des historisch sehr merkwürdigen Ländchens bildeten sonst die, jetzt fast ausgestorbenen Osterstadischen Junker, Edelleute, welche, gleich den alten Clans von Schottland, der ländlichen Hausmanns-Sitte treu blieben, Fürsten- und Ritterdienste verschmähend. Weiter nach Süden hat die Weser-Marsch geringere Fruchtbarkeit; indem in den Ämtern Blumenthal und Verden das sandige Ufer zum Teil so hoch ist, dass die Flut nicht leicht übertreten kann.

Beschauen wir jetzt das Innere des Landes, so ist da zuerst zu merken die Siebenzahl der aufgehobenen Klöster, welche zu ebenso vielen Ämtern geworden sind: Lilienthal, Osterholz, Zeven, Himmelpforten, Harsefeld, Alt- und Neukloster: nur Neuenwalde hat seinen Bestand behalten, indem es als Fräuleinstift der Ritterschaft verblieben ist, weil es im 16ten Jahrhundert freiwillig die Reformation annahm. Die Ämter Verden und Stade sind ebenfalls aus den Klostergütern dieser Städte entstanden. Hingegen Ottersberg, Rotenburg, Bremervörde, Neuhaus, Hagen und Blumenthal waren ursprünglich feste Schlösser der Erzbischöfe, in deren Schutz sich die Umwohner stellten. Das Amt Bederkesa, sonst Eigentum der Stadt Bremen, wurde nach dem Wesfälischen Frieden der Krone Schweden abgetreten; Beverstedt aber ist aus einer Vereinigung mehrerer Rittergüter hervorgegangen. Das größte unter den Ämtern ist Rotenburg (22,000 Einwohner auf 12 Quadratmeilen): es erstreckt sich fast ganz entlang der Lüneburgischen Nordgrenze, und seine weiten Haidflächen sind zum Teil nur spärlich bewohnt. Bremervörde, fast im Mittelpunkt der Provinz belegen, war deshalb in der erzbischöflichen Zeit Sitz der Landesbehörden: der Ort ist, vermöge seiner günstigen Lage an einer Furth der schiffbaren Oste, durch Torf- und Holzhandel sehr empor gekommen, und hat 1852 Stadt-Rechte erlangt. Das Amt Neuhaus ist darin eigentümlich, dass es sowohl Elb- und Oste-Marsch, als Geest in sich begreift. Achim bildete sonst ein Gohgericht, zur Bezeichnung alter ländlicher Gerechtsame. Bremervörde, Ottersberg, Osterholz und Lilienthal werden die vier Moor-Ämter genannt, weil sie die meisten Moore enthalten (das hohe, lange, Wallhöfer- und Teufelsmoor). Die Abwässerung dieser Moore durch von Jahr zu Jahr vermehrte Kanäle hat die benachbarten Flüsse immer stärker angeschwellt, so dass sie das Land weithin überschwemmen. Dies trifft besonders das von Wümme, Wörpe und Hamme umschlossene St. Jürgens-Land, dessen einsam inmitten üppiger Weiden liegende Pfarrkirche dadurch nicht selten von allem Verkehr abgeschnitten wird. Um die Anlegung herrschaftlicher Moor-Kolonien (zum Teil freilich mit unverhältnißmäßig großen Kosten) z. B. zu Gnarrenburg und Worpswede, hat sich am Ende des vorigen Jahrhunderts der Moor-Kommissar Findorf sehr verdient gemacht: ein Monument auf dem Weyer-Berge bewahrt sein Gedächtnis.

Die älteste unter den Städten des Landes ist Verden, etwa seit dem Jahre 800 ein berühmter Bischofssitz, von Carl dem Großen da angelegt, wo die Aller sich in die Weser ergießt. Um 1100 kamen hinzu die beiden Schwesterstädte Stade und Buxtehude, einst Mitglieder des Hansa-Bundes; wie sie denn fast fortwährend einerlei politisches Los geteilt haben: erstere sammelte sich um eine Burg, (und wurde dadurch, besonders seit den Zeiten Heinrichs des Löwen, eine Festung), letztere um ein Kloster; jene hat als Garnisonort und Sitz der Behörden ihre Haupt-Nahrung, diese durch Handel und Fabriken. Hingegen am unteren Weser- und Elbufer ließ es die Freiheitsliebe der Stedinger und Friesen zu einem Städtebau niemals kommen; sondern die freien Landsassen wohnten am liebsten jeder für sich auf seinem Gehöft. Unter den Flecken der Provinz aber verdient das alte Horneburg hervorgehoben zu werden, wegen seiner sieben Rittersitze der s. g. Burgmänner.

Hier nun wird es zweckmäßig sein, die beiden wichtigsten Classen der Bevölkerung näher zu betrachten, die Ritterschaft nämlich und die Bauerschaften. Die Ritterschaft ist, wenigstens im Herzogtum Bremen, noch jetzt sehr zahlreich, obwohl viele ihrer alten Geschlechter ausgestorben, sind, z. B. die Bicker, Brobergen, von der Lieth, Rahde, Zesterfleet. Am zahlreichsten sind die Familien von der Decken und von Marschalck (ursprünglich Bachtenbrock), und unter den Gütern am bedeutendsten die Marschalckschen an der Oste, die Bremerschen im Amte Neuhaus und die v. d. Deckenschen im Lande Kehdingen: doch können sie sich mit dem Holsteinischen oder Mecklenburgischen an Ausdehnung und Ertrag nicht vergleichen. Geschätzt werden die Rittergüer auf altertümliche Weise nach Nägeln, d. h. nach der Stellung der Pferde zum Ritterdienste; wobei man 24 Nägel auf Ein Pferd rechnet. Diejenigen unter ihnen, welche eigne Gerichtsbarkeit haben, werden als freier Damm bezeichnet. Eigentümlich ist, dass die Bremische Ritterschaft sich im Allgemeinen von Lehnsverhältnissen frei erhalten hat. Im Lande Wursten gibt es gar keine Rittergüter, und im Lande Hadeln nur Eins, der von Klencken: dass sie im Kehdingschen und dem Alten Lande ziemlich häufig sind, hat in historischen Ereignissen seinen Grund. Die Versammlungen der Ritter zu gemeinschaftlicher Beratung wurden während des 17ten und 18ten Jahrhunderts zu Basdahl gehalten und zwar ursprünglich zu Pferde unter freiem Himmel an dem Steinwalle nach Ihlermühlen zu, später in einem eigenen Hause daselbst: gegenwärtig in dem landschaftlichen Gebäude zu Stade.

In den Bauerschaften bestehen die sehr bestimmten Rangunterschiede von freien Erbgesessenen (Erbexen), welche sich gern Hausleute nennen: sodann von meierpflichtigen Köthnern (Kothsassen); und endlich von bloß zur Miethe wohnenden Häuslingen. Hausleute finden sich auf der Geest, Köthner in den Marschen nur ausnahmsweise: die Lage der Häuslinqe ist überall eine sehr unsichere. Die Orts-Gemeinden ferner unterscheiden sich in Börden, Kirch- und Nebendörfer. Den Namen Börde führen seit uralter Zeit nur gewisse Ortsverbände, als Beverstedt, Lamstedt, Selsingen, Rhade, Hesedorf (wozu das Kirchspiel Bevern gehört); und derselbe scheint besondere Vorrechte zu bezeichnen; denn Boer heißt noch jetzt im Holländischen der freie Grundbesitzer. Die Kirchdörfer sind der natürliche Hauptort für die oft sehr weit entlegenen und zahlreichen Nebendörfer (wie z. B. Selsingen und Worpswede deren mehr als zwanzig haben); wobei bemerkt werden mag, dass der Gottesdienst, besonders in den Marschen, oft von den Nebendörfern viel fleißiger besucht wird, als von den Eingesessenen des Kirchdorfs. Im Kirchdorfe ist, neben dem Amtmann oder Amtsvogt, der Pastor die geehrteste Person (ehedem schlechthin „unse Herre“ genannt), im Nebendorfe, außer dem Bauermeister, der Schulmeister. Die ländlichen Wohnungen und Gehöfte tragen in den Marschen einen holländischen Charakter an sich, große Sauberkeit und buntfarbige Eleganz; auf der Geest hingegen bewahren sie treu den mehr als tausendjährigen niedersächsischen Typus, wie ihn Justus Möser so beredt geschildert hat. Das Wirtschaftsgebäude, beschattet von kräftigen Eichen, welche schon Plinius als die höchsten in ganz Deutschland rühmt, liegt möglichst in der Mitte der Ländereien; der eine Giebel trägt die zwei sächsischen Pferdeköpfe, der andere das Nest des Storches, als des beliebten Sommer-Gastes. Von dem mit Nebengebäuden und Düngerhaufen besetzten Hofe tritt man durch die Flügel der mächtigen Haustür in die von den Viehställen eingeschlossene Dreschdiele: in deren Hintergrunde lodert auf offenem Heerde das Feuer, über welchem an seinem Haken der Kessel schwebt; und die Wand, welche Wohnstube und Kammern absondert, prunket mit blanken Schüsseln, Tellern und dergl. Schornsteine und Ziegeldächer gelten als ein seltener Luxus; denn der Torfrauch mag sich selbst, wo er kann, einen Abzug suchen; das Strohdach aber bringt im Winter Wärme, im Sommer Kühlung. Die Linde, als Versammlungsplatz der Gemeinde, ist vielerwärts verschwunden, und ebenso die Raths- und Gerichts-Stätten ganzer Landschaften unter freiem Himmel; z. B. der Wordings-Acker bei Otterndorf und die Stalleiche (ähnlich dem Upstallsboom in Ostfriesland, von Stallum, dem Richtersitze) in Hagen: nur Land Kehdingen ehrt und benutzt noch jetzt seinen mit Bäumen bepflanzten Schinckel. Die Namen der Dorfschaften deuten meist durch die Endsilben ihren Ursprung an; so in der Marsch Twielenfleth und Rechtenfleth, Grünendeich und Krummendeich: auf der Geest endigen sehr viele Namen mit stedt (fester Stätte); als Beverstedt, Ringstedt, Bargstedt, welche denn das Volk durch Abkürzung mundgerecht macht: Beverst, Ringst, Bargst, und sogar Berkste für Bederkesa. Hagen und Bram (Bramstedt) bezeichnen eine Grenze; Borstel und Büttel eine Anhöhe; Berhövede und Visselhövede heißen so von dem Haupte oder der Quelle eines Baches. Dass auch die Eigennamen der Landleute oft aus der ländlichen Natur entlehnt sind, kann nicht auffallen: so Thun, von Bargen, von der Wisch, von der Heyde, von der Horst, Brockmann, Rosenbrock, Wischhusen, Pogwisch, Blohm, Bisbeck, zum Felde, zum Fleet u. s. w.

Wie diese Eigentümlichkeiten des Landes und seiner Bewohner sich allmählich herausgebildet haben, zeige uns jetzt ein Blick in ihre Geschichte. Die Entstehung beider liegt aber in der vorgeschichtlichen Zeit. Denn der höher liegende Teil des Landes, die Geest, ist ohne Zweifel zuerst, wahrscheinlich durch neptunische Revolutionen, in einer unbestimmbaren Vorzeit entstanden, während die Marschen allmählich und bis in die historische Periode hinein durch vermehrte Eindeichung sich gebildet haben. In unseren Torfmooren aber, diesem reichen Feuerungs-Magazin für die Nachwelt, liegt eine mächtige antediluvianische Vegetation begraben. Das ausnehmend langsame Wachsen derselben in späterer Zeit lässt auf die Jahrtausende schließen, welche erforderlich waren, um die vorhandenen tiefen Torflager zu schaffen. Sodann mögen, vielleicht durch den Eisgang bei gewaltigen Überschwemmungen, vom hohen Norden her jene zahlreichen, großen und kleinen (erratischen) Granitmassen gekommen sein, welche teils von einer dünnen Erdschicht bedeckt, teils offen auf unseren Heiden liegen, wie von Riesenhänden umhergestreut. Wie lange nach dieser Katastrophe nun das Land, und wiederum zuerst die Geest, bevölkert worden? das wird wohl für immer im Dunkeln bleiben; wie auch, woher die ersten Einwohner gekommen sind? ob aus Asien, oder aus Skandinavien, oder von den westlich wohnenden Kelten? Jedenfalls liegt aber vor der beglaubigten Geschichte auch diejenige Periode, worin die auf unseren Heiden vorhandenen vielen Grabhügel, und jene kolossalen Denkmäler aus rohen Feldsteinen errichtet sind, stumme Zeugen der ersten Kindheit unseres Volkes, gleichsam ein Buch, das Niemand lesen kann. Denn keinerlei Schrift, nicht einmal in Runen, gibt von ihrem Ursprunge oder ihrer Bestimmung Zeugnis. Es ist sehr zu bedauern, dass diese Reliquien einer grauen Vorzeit, vom Volke bald Hühnenbetten und Heidengräber, bald Steinkeller oder Steinöfen genannt, zum Teil so schonungslos sind zerstört worden, neuerlich besonders durch den Chausseebau; wie auch, dass man die Antiquitäten aus der Römerzeit nicht in einem Provinzial-Museum vereinigt, sondern nach Hannover, Göttingen und Bremen zerstreut hat. Vergl. über die bei Mulsum im Lande Wursten gefundenen Römischen Altertümer das Hannoversche Magazin 1823 № 91–93 und 1824 № 9. Dank verdient daher das Verzeichnis der Steindenkmäler im Königreiche Hannover, welches der Forstrat Wächter, nach den eingezogenen Berichten der Ämter, entworfen hat, um wenigstens ihr Gedächtnis der Nachwelt zu erhalten. Wir liefern daraus unten einen Auszug des unsere Provinz Betreffenden, und bemerken nur noch, dass es in den Marschen keine solche Steindenkmäler gibt, weil es da an Feldsteinen fehlt und der feuchte Boden so schwere Massen nicht trägt.

Auf geschichtlichen Boden treten wir erst mit der Zeit, als Römische Heere in Deutschland eindrangen. Welchen Antheil unsere Vorfahren an dem Heereszuge der von Marius besiegten Kimbern und Teutonen, oder späterhin, um den Anfang der christlichen Zeitrechnung, an der Niederlage des Varus durch Arminius genommen, ist unbekannt; gewiss aber, dass Drusus und Germanicus, und darnach andere römische Feldherren, mit ihren Heeren bis an die Mündungen der Elbe und Weser vorgedrungen sind. Aus dem Ende des ersten Jahrhunderts haben wir die frühesten historischen Nachrichten über unsere Provinz, von dem älteren Plinius und von Tacitus (s. unter № 4.). Jener beschreibt das Land, dieser die Bewohner, welche von beiden Chauken genannt und von den Friesen unterschieden werden. Die Friesen nämlich waren die Küstenbewohner (von Fries d. i. Rand), und beschäftigten sich vornämlich mit der Schifffahrt; die Chauken hingegen Binnenländer, welche etwa das jetzige Niedersachsen und Westfalen innehatten. Ihr Name scheint sich in dem der Stadt Quakenbrück erhalten zu haben. Sie waren aber beide Stammverwandte, und werden zu den Ingävonen oder festen Einwohnern gerechnet. In der Tat ist, was sich noch jetzt von den Resten der friesischen Sprache findet, nichts anderes als ein niederdeutscher Dialekt. Merkwürdig aber, dass nach dem zweiten Jahrhundert der Name der Chauken ganz verschwindet und dem von da an bleibenden, der Sachsen (von sahs, dem Schlachtmesser) Platz macht: es scheint dies nicht auf einer Unterjochung der Chauken zu beruhen, sondern auf einer friedlichen Einwanderung der stammverwandten Sachsen aus Nordalbingien (Schleswig-Holstein), welche, von den Dänen gedrängt, sich zunächst im Lande Hadeln niederließen und allmählich dem ganzen Landstriche, von der Elbe bis über die Weser hinaus, ihren Namen gaben. Mehr davon s. bei Schaumann in der Geschichte des Niedersächsischen Volkes, Seite 5.

Bis auf die Zeit der Karolinger folgt nun eine lange Nacht der Geschichte, aus welcher nur einige dunkle Sagen sich erhalten haben, z. B. von der Besetzung des Landes Hadeln durch eingewanderte Türinger; womit vielleicht der Name des Düringschen Geschlechts, und der Ortschaft Düring bei Beverstedt zusammenhängt. Auch mögen unsere Vorfahren an den Zügen der Angelsachsen nach Britannien, in der Mitte des fünften Jahrhunderts, so wie später an denen der Langobarden (so genannt von ihren Barten d. i. Streitäxten) nach Italien Teil genommen haben: für Ersteres spricht vielleicht der Ortsname Jork im Alten Lande, für Letzteres die Nähe der einst berühmten Stadt Bardowiek. Im sechsten Jahrhundert zuerst treten die Franken erobernd auf (d. h. die vom Römerjoche frei gewordenen Deutschen), deren großes Reich allmählich von den Merowingern auf die Karolinger überging. Am Ende des achten Jahrhunderts führte Karl der Große seine langjährigen und verheerenden Kriege gegen die Sachsen unter Wittekind, welche sich damals als Westfalen an der Weser, Ostfalen an der Elbe und Engern in der Mitte zwischen beiden unterschieden. Ortsnamen unserer Provinz, wie Frankenborstel, Sassenholz, Hassendorf, deuten noch auf die damaligen Völkerzüge hin. Bekanntlich ließ Karl die Sachsen zu Tausenden teils bei Verden niederhauen, oder zur Taufe in die Aller treiben, teils in die Niederlande und nach Sachsenhaufen bei Frankfurt am Main verpflanzen. Der Krieg endigte durch den angeblichen Frieden von Selze (802); fast ohne irgendeine andere Bedrückung der Sachsen, als dass sie das Christentum annehmen mussten.

Karl stiftete nämlich die Bischofssitze zu Verden und Bremen, welche aber ihren Sprengel erst allmählich erwarben, je nachdem das Volk von seinem bisherigen Götzendienst wirklich abließ. Die Haupt-Götter, auch der Sachsen, lernen wir kennen aus der Entsagungs-Formel des heil. Bonifacius: ec forsacho (ich entsage) Tonar, Wuotan ende Saxnot: anscheinend kam in unseren Gegenden noch die Morgengöttin Ostera hinzu, welche besonders bei Osterholz verehrt sein soll. Ohne näher darauf einzugehen, bemerken wir nur, dass die Religion der alten Sachsen ein Naturdienst war, welcher sich durch Einfachheit und Sittlichkeit auszeichnete, und so den Übergang zum Christentum erleichterte. Denn er kannte keine Tempel, und hatte sogar eine Ahnung von dem dereinstigen Untergange seiner Götter (in der s. g. Götter-Dämmerung). Auch bewahrte das deutsche Volk, neben roher Kraft und herrschender Neigung zum Trunke, allezeit den Ruhm der Treue und Gerechtigkeit: streng geregelt war sein häusliches, und frei und heiter sein öffentliches Leben, groß das Ansehen der Hausfrau in der Familie, des Mannes in der Volksversammlung. Wenn also das damalige Kirchentum fast nur aus fremdartigen Zeremonien, der Anbetung hässlicher Reliquien und dem Hersagen lateinischer Formeln bestand, und dennoch allmählich die Deutschen bezwang, so mag man darin wohl einen Hauptbeweis der unzerstörbaren Herrlichkeit und Gotteskraft des Evangeliums erkennen. Nicht der heil. Suibert, sondern Patto war der erste Bischof von Verden, Willehad der von Bremen. Es existiert eine Stiftungs-Urkunde Karls d. Gr. für das Bistum Bremen vom Jahre 788, deren Echtheit zwar zweifelhaft ist, welche aber die Grenzen gegen das Bistum Verden gewiss richtig angibt. Karl behielt übrigens die altsassische Gau-Einteilung bei; nur dass er in die Gaue seine Grafen sandte, unter denen die von Lesmona (Lesum), Stotel und Stade nachmals Landesherren wurden. Das Bistum Verden umfasste den Sturm-Gau: im heutigen Bremischen war der angesehenste der Gau Wigmodi, von welchem daher oft das Land überhaupt benannt wird: er erstreckte sich entlang der Wümme durch den ganzen Süden der Provinz. Der Rosen- oder Roß-Gau enthielt die Umgegend von Harsefeld, der Eilangau die von Heeslingen; auch die Marschen bildeten besondere Gauen, z. B. das Alte Land den der Woltsaten. Doch weiß man darüber nichts Genaueres; nur die Sage spricht: Frisos Tochter, Wigmodia, hatte drei Söhne. Aus dem uralten Unterschied der freien Grundbesitzer (Ethelingi und Frilingi) von den Halbfreien oder Hörigen (Lati oder Liti d. i. Leute) bildete sich von jetzt an das Verhältnis der Rittergeschlechter zu ihren Hofleuten.

Unter Ludwig dem Frommen vereinigte der heil. Anschar (von dem vielleicht Scharmbeck den Namen führt, wie Wilstedt von Willehad) das Hamburgische Bistum mit dem Bremischen, und dieser Sprengel wurde später ein Erzbistum. Anschar und seine Nachfolger wirkten fort zur Pflanzung der christlichen Kirche durch Ausrottung der Überreste des Heidentums. Einen solchen Überrest finden Manche in der Anrufung der Jodute, von welcher noch jetzt ein Joduten-Berg bei Lehe, Wulsdorf und Langen (Kirchspiel Debstedt) benannt wird. Wahrscheinlich ist es aber nur ein entstellter Name der Mutter Maria: Adjutorium nostrum (daher auch halb deutsch: St. Hülpe). – Im zehnten und elften Jahrhundert, unter dem Kaisertum der Ottonen und Heinriche, wurden die ältesten Klöster im Lande angelegt: so um 960 Heeslingen (nachher nach Zeven verpflanzt) und etwas später Harsefeld; auch die ältesten Kirchen entstanden in dieser Zeit: wie die zu Bramstedt, deren Parochie sich über die Weser hinaus ins Oldenburgische erstreckt haben soll, zu Scharmbeck, Achim, Schneverdingen, Oldendorf und Visselhövede. Erzbischof Unwann um das Jahr 1000 soll zwölf neue Kirchen, meist aus zerstörten Götzen-Heiligtümern, erbaut haben. Der Dom zu Bremen ist in der Mitte des elften Jahrhunderts angefangen, aber erst lange nachher vollendet: der Bau des jetzigen Verdenschen begann im 13ten, und ward vollendet im 15ten Jahrhundert. Von jetzt an bildeten sich übrigens auch die Landeshoheit der Bischöfe, so wie andererseits die Freiheiten der Ritter und Städte immer weiter aus. Die Ottonen nämlich, und ihre meisten Nachfolger, konnten, mit beständigen Kriegszügen beschäftigt, um dieses fern liegende Gebiet sich wenig bekümmern; und so erlangten die Bischöfe, deren Autorität viel größer war, als die der kaiserlichen Grafen, ein Regal nach dem andern. Adeldag von Bremen und Erpo von Verden, um 980, machten hiermit den Anfang: am glücklichsten aber war darin der herrschsüchtige Adalbert von Bremen, um 1060, welcher z. B. die Grafschaft Lesmona vom Kaiser erkaufte. Da sie einmal die, viel eindringendere, geistliche Gerichtsbarkeit übten, lag es nahe, ihnen auch die bürgerliche zu übertragen; und da sie die geistlichen Zehnten erhoben, bekamen sie (gegen eine dem Kaiser zu zahlende runde Summe) leicht auch die fürstlichen Steuern in ihre Hand. Die Gauen und Grafschaften wurden dann in Archidiakonate verwandelt, und von den Archidiakonen, wie von geistlichen Grafen, verwaltet: die Bischöfe aber legten zur Befestigung ihrer Herrschaft, vielerwärts feste Schlösser an, als Ottersberg, Rotenburg, Hagen und Bremervörde, und die kleineren: die Burg vor Lesum, die Stintenburg bei Geestendorf, die Wittenburg bei Blumenthal, die Segeburg bei Wulsdorf, die Schlickenburg bei Neuhaus, die Cranenburg bei Hechthausen, den Kiek in de Elve und die Schwingenburg bei Stade. Diese aber, und andere damalige Ritterburgen, müssen nicht sehr fest gebaut gewesen sein: denn nirgends sind Ruinen davon bis auf unsere Tage geblieben. – Um indessen den Ansprüchen der Kaiser und anderer mächtiger Fürsten, z. B. Heinrich des Löwen, zu genügen, mussten die Bischöfe von Bremen und von Verden, da sie vermöge des Zölibats kein Erbgut besaßen, bald die Ritter und bald die Städte um Geld ansprechen; was dann von diesen zur Erlangung wichtiger Privilegien benutzt wurde. Die Ritter spannten, seit der ersten Ständeversammlung im Jahre 1397, die Forderungen an ihre geistlichen Oberherren immer höher, und befestigten, was sie erlangt hatten, durch die Sammlung des bremischen Ritterrechts. Die Stadt Bremen nahm schon 1111, den Erzbischöfen gegenüber, die Reichsfreiheit in Anspruch, welche ihr freilich noch lange nachher bestritten wurde. Auch die kleineren Städte, Verden, Buxtehude und Stade, haben auf diese Art mancherlei Gerechtsame erlangt. Die Marschen aber, als sie unter die Gewalt der Bischöfe kamen, ließen sich wenigstens ihr altes Gewohnheitsrecht nicht entreißen; und seit dem 15ten Jahrhundert wurde dasselbe aus der mündlichen Überlieferung in Schrift gefasst. So das Osterstader Landrecht, die Wurster Willkür, das Kehdingsche Statut und das Rechtsbuch der Altländer.

Zu den merkwürdigen Ereignissen aus der ersten Hälfte des Mittelalters gehören, um das Jahr 1000, die Einfälle Normannischer Seeräuber, Askomannen (wahrscheinlich von ihren Schiffen) genannt, welche das Land von Otterndorf bis Stade wiederholt ausplünderten, endlich aber bei dem Glinder-Moor (unweit Bremervörde) eine große Niederlage erlitten. Im 12ten Jahrhundert ist besonders wichtig die Einwanderung niederländischer Kolonisten, welche Erzbischof Friedrich um 1106 zu vollständigerer Eindeichung der Marschen in das Land zog, und welche dadurch in den Besitz namentlich des Alten Landes kamen. Aber es war das nur eine Fortsetzung der Zuzüge, welche die Marschen schon lange vorher aus Friesischem Stammes-Interesse erhalten hatten: die Gemeinde Hollern im Alten Lande, der Hollerdeich in Kehdingen, das Hollerland bei Bremen, vielleicht selbst das Hadeler Land bewahrt davon noch das Gedächtnis; und wer weiß, ob nicht auch das Alte Land (Olland) von Holland seinen Namen trägt? – Um dieselbe Zeit war die Graftschaft Stade, welche auch Dithmarschen in Holstein, also beide Gestade der Elbe umfasste (wohl die natürlichste Ableitung des Namens), nach dem Aussterben des gräflichen Hauses, an den Herzog zu Sachsen, Heinrich den Löwen gekommen: als dieser aber mit dem Kaiser Friedrich Barbarossa zerfiel, wurde sie 1180 dem Erzbischof Siegfried zugesprochen: dessen Nachfolger gelangten jedoch erst nach wiederholten Kämpfen in den Besitz. Der Verkehr zwischen Stade und dem jenseitigen Dithmarschen scheint damals sehr stark gewesen zu sein: er hörte aber auf, als die Dithmarscher sich 1224 nach der Schlacht bei Bornhöved, von der erzbischöflichen Oberherrschaft befreiten. Auch das Land Hadeln, um den Erpressungen des Bremischen Domkapitels zu entgehen, huldigte nach dem Falle Heinrichs des Löwen dem Herzog Bernhard von Lauenburg, und verblieb bei dessen Nachkommen bis 1731. – Mit dem Jahre 1187 begannen die Kreuzzüge der Erzbischöfe gegen die ketzerischen Stedinger diesseits und jenseits der Weser, deren eigentliches Verbrechen wohl nur ihr Reichtum war und die Behauptung altfriesischer Freiheiten. Man bemäntelte dadurch die Nichtteilnahme an den Kreuzzügen ins Heilige Land, und erweiterte in diesem heiligen Kriege zugleich das Stiftsgebiet. Der auf beiden Seiten mit unerhörter Rohheit geführte Kampf wurde erst 1234 durch Erzbischof Gerhard II. beendigt, mit Zerstörung der Burg Stotel und völliger Unterjochung der armen Stedinger. Damals lebte der gelehrte Abt Albert im Kloster zu Campe vor Stade, ein ernster Mann, welcher im Eingange seiner bekannten Chronik also über seine Zeit urteilt: „Vielleicht wird von den Nachkommen gefragt werden, wie der Zustand unseres Jahrhunderts beschaffen gewesen? Wir antworten ihnen: rar fides ideo est, quia multi multa loquuntur. Alle rauben, was ihnen nicht gehört; Wenige opfern, was ihnen gehört. Wir fürchten in der Tat, dass das Wort Christi jetzt vor der Tür sei: dieweil die Ungerechtigkeit überhand genommen, erkaltet die Liebe in Vielen (Matth. 24, 12.)“

Im späteren Mittelalter wurden um 1350 die freien Kehdinger von den Erzbischöfen Gieselbert und Burchard längere Zeit mit Krieg überzogen und, weil es ihnen an Gemeingeist fehlte, unterworfen: sie behielten zwar ihre freiere Kommunal-Verfassung; aber viele ihrer Güter wurden den Rittern geschenkt, welche Kriegshilfe geleistet hatten. – Aus dem Ende des fünfzehnten Jahrhunderts (1498) ist zu merken der Raubzug der schwarzen Garde unter Junker Slenz, angestiftet durch die Herzöge von Lauenburg, welche dem Erzbischof Johann (Rode) das Land Wursten entreißen wollten: derselbe misslang jedoch, und die zusammengelaufene Schar wandte sich darauf nach Dithmarschen. Übrigens scheint der Zustand der Provinz im vierzehnten und fünfzehnten Jahrhundert kein übler gewesen zu sein: er bewährte das Sprichwort, dass unterm Krummstabe gut wohnen sei. Denn Justiz und Polizei wurden mit geistlicher Strenge verwaltet; große Kriege blieben fern; der Abgaben waren wenige, und der Handel blühte; wodurch namentlich Stade sich bedeutend hob. Aus dieser Zeit stammen auch die meisten unserer alten massiven Gotteshäuser und die Ornamente darin: Bilder, Orgeln, Glocken und bronzene Taufgefäße.

Im Ganzen saßen auf dem bischöflichen Stuhle zu Bremen bedeutendere Männer, als auf dem zu Verden: jene waren freilich überdies die ungleich mächtigeren. Zu ihnen gehörte auch, um 1480, der eben erwähnte Johann Rode, der letzte Erzbischof von bürgerlicher Herkunft. Um das Domkapitel zu beschwichtigen, wählte er klüglich den Herzog Christoph von Braunschweig, welcher bereits Bischof von Verden war (1500) zu seinem Koadjutor; und unter diesem Fürsten fand die Kirchenverbesserung in den hiesigen Landen Eingang.

Wie es damit zugegangen, kann hier nicht ausführlich erzählt werden: auch liegt sehr Vieles davon im Dunkeln. Wir beschränken uns deshalb auf folgende Tatsachen. Schon 1521 wurde im Lande Hadeln das Evangelium gepredigt, um 1522 in Bremen durch Heinrich (Müller) von Zütphen, in Stade aber durch Johann Hollmann. Begünstigt wurde das Werk durch den Anstoß, welchen der im Volke herrschende gute Geist an den Missbräuchen des Papsttums, wie an der Willkür-Herrschaft des Erzbischofes nahm: die Landleute wurden hauptsächlich angezogen durch den Zauber der niedersächsischen Predigten und Gesänge statt der bisherigen lateinischen, die Ritter und Städte wohl auch durch die Aussicht auf kirchliche oder weltliche Vorteile. Dass dabei einzelne Rohheiten vorfielen, wie die Ermordung des Paters zu Visselhövede (s. unten), kann bei der Erbitterung des Volks nicht Wunder nehmen. Auch die Geschichte des in Verden 1526 verbrannten Mönchs Johann Bornemacher gibt ein Beispiel von der in jener Zeit zum Teil noch trüben Gärung der von der evangelischen Wahrheit aufgeregten Gemüter. Christoph vermochte die Bewegung, schon um seiner beständigen Geldverlegenheiten willen, nicht zu hemmen; doch blieb er bis an sein Ende ein erbitterter Feind der Reformation, und ließ sie wenigstens in Verden, wo er gewöhnlich residierte, nicht aufkommen. Auch im Bremenschen kämpften noch geraume Zeit Papismus und Protestantismus miteinander um die Herrschaft, so dass sich kaum ein bestimmtes Jahr des Sieges des Evangeliums in einzelnen Örtern angeben lässt. Der langwierige Krieg, welchen der Erzbischof zur Unterjochung der auf ihre Freiheit eifersüchtigen Wurstfriesen führte (von 1516 bis 1557), hatte ebenfalls ihren Übertritt zur lutherischen Lehre mit zum Vorwande: denn sie gaben sich 1534 sogar eine eigene Kirchenordnung (s. unten). Ihre erste Niederlage ist berühmt durch den Tod einer ungenannten heldenmütigen Jungfrau, welche ihnen die Fahne vorantrug. Sie wurden geschlagen, so oft die trockene Jahreszeit der Reiterei Christophs den Zugang verstattete: wenn sie hingegen ihr Land unter Wasser setzen konnten, war ihnen Nichts anzuhaben. Endlich unterlagen sie den wilden Wrisbergschen Freischaren, retteten aber doch im Friedensschlusse einen Teil ihrer alten Privilegien.

Christophs Nachfolger zu Verden sowohl, als zu Bremen ließen die Reformation gewähren, weil sie sie nicht aufhalten konnten, wenn sie auch für ihre Person dem Papsttum treu blieben. Im Jahre 1567 aber bekannten Eberhard von Holle zu Verden und Heinrich III. zu Bremen sich öffentlich zu der reinen Lehre, und vollendeten deren Einführung in ihrem Sprengel. Die Domkapitel wählten nun in der Regel Bischöfe aus den fürstlichen Häusern Braunschweig-Lüneburg und Dänemark-Oldenburg; und diese regierten ganz als weltliche Landesherren; nur dass sie, der Kapitulation gemäß, im Zölibat lebten. Die Verwaltung des Landes wurde durch ihre Kanzlei in Bremervörde wahrgenommen: sie war ebenfalls milde; indem die Provinz weder durch hohe Steuern noch durch die Religionskriege im mittleren Deutschland gedrückt wurde. Die hundertjährige Geschichte dieser protestantischen Bischöfe (bis auf den Westfälischen Frieden) ist aber weniger bekannt, als es für die Kenntnis der Entwickelung unserer Verhältnisse zu wünschen wäre. Wir gedenken hier nur der hardenbergischen Unruhen in der Stadt Bremen (um 1560), wodurch daselbst die reformierte Konfession zur Herrschaft gelangte: eine Folge davon war, dass die, der Stadt angehörenden, Gemeinden Lehe, Ringstedt, Holßel, Blumenthal und Neuenkirchen bis auf den heutigen Tag reformiert geblieben sind. Aber eine römisch-katholische Gemeinde ist bis jetzt in der Provinz nicht vorhanden gewesen.

Schwere Drangsale ergingen über das Land während des Dreißigjährigen Krieges