Altlasten - Kay Clasen - E-Book

Altlasten E-Book

Kay Clasen

4,8

Beschreibung

Ein Unfall und ein unbekanntes Hindernis im Untergrund führen beim Umbau und der Nutzungsänderung einer alten Fabrik zu unerklärlichen Ereignissen. Der Architekt und Bauleiter versucht durch Nachforschungen in alten Unterlagen bei Archiven und Behörden Licht in die Sache zu bringen. Ein im Museum entdecktes Foto führt ihn schließlich zu einer ehemaligen Zimmerei, die beim Bau der Gebäude am Ende des neunzehnten Jahrhunderts beteiligt war. Irgend etwas Geheimnisvolles muss damals geschehen sein. Aber erst bei einer Reise die ihn bis an das andere Ende der Welt führt, gelingt es ihm ds Rätsel zu lösen. Oder etwa doch nicht?.....

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Ähnliche


Für Martina

Inhaltsverzeichnis

der Unfall

Nachforschungen

Pastor Sandmann

Katharina

Conrad

Altlasten

Senator Brögemann

der alte Knabe

Fabrikbistro

bis ans andere Ende der Welt

die Ringe

Johannis

1. der Unfall

Es war der gleiche Stress wie immer, wenn man morgens mit dem Auto in die Innenstadt fährt. Stau ohne Ende. Ich hatte mir zwar angewöhnt meine Baustelle erst nach neun Uhr aufzusuchen aber heute war alles anders. Warum ich das Telefon kurz nach sieben überhaupt abgehoben hatte, war mir immer noch nicht klar. Normalerweise ignoriere ich so etwas. Aber dieser Anruf war anders. Das Klingeln hatte etwas bedrohliches, es wollte nicht überhört werde.

„Hallo,“ sagte ich nur kurz und anscheinend recht mürrisch.

„Gerd Petersen,“ meldete sich die Stimme am anderen Ende zögernd. Petersen war der Polier meiner wichtigsten Baustelle. Wenn er so früh anrief musste es einen triftigen Grund geben. Er kannte meine Abneigung gegen frühe Aktivitäten.

„Ich muss Sie informieren dass wir hier heute morgen einen Unfall hatten,“ sagte er.

„Es wäre gut wenn Sie möglichst bald kommen könnten, die Polizei ist noch hier und stellt Fragen über Fragen und der Mann vom Arbeitsschutz wird auch bald hier sein.“

„Unfall, was war los und ist jemand verletzt?“

„Den Jupp,“ sagte er, „den Jupp Wegner hat´s erwischt.“

„Der Jupp, der sollte doch heute früh die Kellersohle aufstemmen, dass war doch alles abgesprochen.“

„Hat er auch und dabei anscheinend eine Starkstromleitung getroffen, es hat jedenfalls wahnsinnig geknallt und er ist in die Ecke geflogen.“

„Starkstromleitung? Unmöglich, wir haben doch gestern alles abgeklemmt. Das kann nicht sein.

Hat´s ihn schlimm erwischt?“

„Weiß keiner so genau. Er war jedenfalls bewusstlos und ist gleich ins AK Altona gebracht worden. Mit Blaulicht und so.“

„Gut, ich bin schon unterwegs. Wird bei der Rushhour aber etwas dauern. Lass die Arbeit in dem Bereich einstellen, wir müssen erst mal alles überprüfen.“

Langsam hatte ich mich drei Kreuzungen weiter gearbeitet. Auf Nebenstraßen ausweichen bringt auch nicht viel. Alle Ampeln sind für den Verkehrsfluss auf den Haupteinfallsstraßen programmiert und diese zu kreuzen dauert noch länger. Also Geduld üben. Tun konnte ich im Augenblick ohnehin nicht viel. Nach Radiomusik, Werbung, Wetter und Nachrichten stand mir nicht der Sinn. Also nachdenken.

Der Jupp war ein vorzüglicher Mann. Wie konnte ihm so etwas passieren. Wir hatten gestern sorgfältig alle Vorbereitungen für die Stemmarbeiten getroffen, Elektrizität und Wasser in dem Bereich abgeklemmt.

Gasleitungen waren nicht vorhanden da das gesamte Grundstück nicht mehr an das städtische Gasnetz angeschlossen war und Starkstromleitungen unter der unversehrten Sohle eines Gebäudes aus dem 19.Jahrhundert? Ob vielleicht der Kompressor Probleme hatte? Oder war Jupp an das Beleuchtungskabel geraten? Nun, in Kürze würde ich es wissen.

Noch zwei Ampelkreuzungen und ich hatte freie Fahrt. Ich bog in die schmale Tordurchfahrt ein, die die einzige Zufahrt zu dem alten Gebäudekomplex war, den wir umzubauen hatten. Mein Parkplatz, den ich mir regelmäßig wieder frei kämpfen musste, war tatsächlich frei. Als ich aus dem Wagen stieg viel mir sofort die unnatürliche Ruhe auf, die für eine Baustelle absolut ungewöhnlich war. Kein Kompressor, keine Flex, kein Hämmern war zu hören. Der erste Hof war absolut leer, kein Mensch zu sehen.

Im zweiten Hof standen die Bauarbeiter zusammen, diskutierten und rauchten. Polier Petersen kam gleich auf mich zugelaufen.

„Polizei ist wieder weg,“ sagte er.

„Die haben sich Stichworte notiert, einige Leute befragt und wollen jetzt ein Protokoll machen. Viel haben sie nicht erfahren, war ja auch keiner dabei, bei dem Unfall.“

Und er fügte leise hinzu:

„Hab auch keine Ahnung was er da unten im Keller gemacht hat, begreif ich wirklich nicht.“

Langsam kam wieder Bewegung in die umher stehenden Leute. Es gab anscheinend nichts mehr zu bereden und so nahm man die liegen gelassene Arbeit wieder auf. Zur Frühstückspause würde man sich des Themas wieder annehmen, auch wenn es bis dahin keine Neuigkeiten gab.

„Ist im Keller vom Kesselhaus noch jemand,“ fragte ich.

Dort hatte der Jupp gearbeitet.

„Nein, da ist keiner, wir haben aber alles so liegen lassen wie es war, auch die Kabellampe brennt noch.“

„Gut, ich werde mich dort mal umsehen. Mit der angefangenen Stemmarbeit machen wir aber vorerst noch nicht weiter. Erst will ich wissen was los war.“

„Geht klar, und wenn der vom Bauarbeiterschutz kommt schick ich ihn runter.“

Der einzige Zugang zum Kesselhauskeller war durch das alte, zigmal umgebaute Nebentreppenhaus zu erreichen. Alte, ausgetretene Sandsteinstufen, abgefallener Putz durch den die rohen Ziegelsteinwände zu sehen waren, gemauerte Gewölbedecken und Sprossenfenster aus Gusseisen. Drei Kellerräume waren zu durchqueren, mit rußgeschwärzten, spinnwebüberzogenen Ziegelwänden, gemauerten Kappendecken zwischen rostigen Stahlträgern. Die richtige Umgebung für einen Gruselfilm.

Da im letzten Keller noch die Kabellampe brannte, konnte ich mich durchtasten ohne an die Wände zu stoßen.

Was ich vor fand war undramatisch. Der Presslufthammer lag auf dem Boden, den Luftschlauch und das E-Kabel hatte man durch ein altes Lüftungsloch gesteckt um das Kompressoraggregat außerhalb des Raumes betreiben zu können. Auf dem Ziegelsteinboden die beiden angezeichneten Markierungen für die zu stemmenden Löcher. Nur ein aufgerissenes Päckchen Mullbinden und einige Tupfer waren hier Fremdkörper und deuteten darauf hin, dass der Jupp vermutlich einige Spritzen oder eine Infusion erhalten hatte.

Ich beugte mich zu der Stelle hinunter wo er angefangen hatte den Boden aufzubrechen. Zwei Steine waren angestemmt. Die losen Brocken lagen noch an Ort und Stelle. Da die Ziegel hochkant verlegt waren, musste die obere Schicht etwa 10 – 12 cm dick sein. Ich klappte mein Taschenmesser auf und begann die losen Teile raus zu kratzen. Mit einiger Mühe konnte ich so viel heraussammeln, dass ich unter der ersten eine weitere Schicht fühlen konnte. Schließlich konnte ich eine Stelle von einigen Zentimetern freilegen. Ich hängte die Kabellampe ab und hielt sie über das kleine Loch. Merkwürdig, was ich sah und durch Abklopfen mit den Messer auch hörte war eindeutig Metall. Keine Bewehrungseisen oder etwas ähnliches, nein es schien eine Metallplatte zu sein.

Da ich im Hintergrund Schritte und Stimmen hörte beendete ich meine Untersuchungen und richtete mich auf.

Der Mann vom Bauarbeiterschutz kam zusammen mit dem Polier.

Unsere Begrüßung war kühl. Wir kannten uns von anderen Baustellen und hatten nicht unbedingt das beste Verhältnis zueinander. Bauarbeiterschutz ist sicher wichtig und sinnvoll aber die Sachbearbeiter lassen doch zu gerne die Obrigkeit durchblicken und legen mit ihrer Macht Baustellen wegen Kleinigkeiten still, obwohl die Probleme meistens mit einem Telefonanruf zu beheben wären. Das dadurch teilweise enorme Kosten entstehen, interessiere sie nicht, bekam ich oft genug zu hören.

„Hier gibt’s ja nicht viel zu sehen,“ sagte er nach einem schnellen Rundblick.

„Die Kabellampe brennt noch also ist noch Strom da,“ erkannte er scharfsinnig.

„Dann kann es nur am fehlerhaften Stemmgeschirr liegen. Ich beschlagnahme den Presslufthammer und werde ihn untersuchen lassen.“

Das angestemmte Loch im Fußboden beachtete er nicht. Mir war es ganz recht denn ich wollte der Ursache möglichst ohne ihn auf den Grund gehen.

Mit den Worten:

„Ich lasse von mir hören,“ bückte er sich um den schweren Hammer aufzuheben aber den hatte Petersen schon auf seiner Schulter um ihn zum Wagen des Bauinspektors zu bringen.

Ich war wieder allein.

Mit meinem kleinen Taschenmesser konnte ich nicht viel ausrichten, mir Werkzeug zu holen und selbst zu stemmen schien mir auch nicht recht passend und andere Leute wollte ich unbedingt davon fernhalten. Warum, war mir auch nicht klar.

Also bat ich Petersen die Stemmarbeiten vorläufig nicht weiter zu führen.

„Jetzt muss ich erst mal ins AK- Altona und sehen wie es dem Jupp geht. Ich ruf euch von dort aus an.“

Unsere Baustelle hier war beileibe keine der üblichen Art, kein Bürogebäude auf der grünen Wiese, keine Wohnblocks gemäß neuestem Bebauungsplan, kein zweckmäßiger Industriebau. Es war ein sogenanntes „Bauen im Bestand“, wie es so schön heißt. Das alte Fabrikgebäude stammte noch aus dem Ende des 19. Jahrhunderts, ein wirklich ehrfürchtiger alter Bau im klassischen Stil der damaligen Zeit. Dicke Ziegelsteinwände, die Geschoss-decken aus mächtigen Holzbalken, über dem Keller gemauerte Gewölbedecken. Die Dächer ebenfalls aus Holz gebaut und mit Pfannen gedeckt. Ein Großteil der Fenster war noch originalgetreu erhalten, gusseiserne Fenster mit Sprossen und kleinen Scheiben. Die viergeschossigen Gebäude umschlossen drei Innenhöfe und waren nur durch eine schmale Toreinfahrt von der Straße aus zu erreichen. Nicht unbedingt ideale Bedingungen für die Durchführung umfangreicher und langjähriger Bauarbeiten.

Unter Denkmalschutz stand das Ensemble nicht, war aber vom Denkmalschutzamt als schutzwürdig eingestuft und alle Arbeiten wurden daher argwöhnisch überwacht. Bei jeder Veränderungen wollte man natürlich gefragt werden.

Bekanntermaßen ist in unserem Land alles geregelt, nahezu ausnahmslos. In vielen anderen Ländern ist es immerhin so dass alles erlaubt ist was nicht verboten ist. Bei uns ist alles verboten was nicht ausdrücklich erlaubt ist. Natürlich müssen Regeln sein wenn viele Menschen auf engem Raum zusammenleben. Ich kann mich jedoch nicht des Eindrucks erwehren, dass unser Staat meint er müsse uns vor uns selbst schützen.

Vorschriften im Bauwesen? Es gibt so viele, dass es mich wundern würde, wenn es einen Menschen gäbe, sie alle kennt. Wir hatten uns für unser Bauvorhaben von einem Bauinformationsdienst einmal alle Gesetze, Verordnungen, Verfügungen, DIN-Normen und sonstigen Vorschriften auflisten lassen die wir zu beachten hätten. Es waren fünfundvierzig doppeltbedruckte, engbeschriebene DINA4-Seiten. Nicht etwa der jeweilige Gesetzestext. Nein nur die jeweiligen Titel. Dass für einen Neubau oder eine umfangreiche Erweiterung eines Hauses eine behördliche Genehmigung erforderlich ist, leuchtet ein. Wer will schon neben seinem schmucken Einfamilienhaus plötzlich eine Schlosserei, eine Fischfabrik oder gar eine Schweinemästerei haben. Aber ob ich mir in meinem Dachboden ein zusätzliches Zimmer ausbaue, sollte dem Staat egal sein. Ist es aber nicht. Einen Bauantrag bitte, mit Plänen, Beschreibung, Formularen, Kosten. Eine eventuelle Genehmigung kostet selbstverständlich, die Ablehnung allerdings auch.

Weshalb ich allerdings einen Antrag auf Nutzungsgenehmigung stellen muss wenn ich eine Gewerbefläche als Büro nutzen will ist eine ganz andere Frage. Wenn jemand Wohnungen als Büro nutzt ist es eine Zweckentfremdung von Wohnraum. Die Begründung, Wohnraum ist Mangelware und muss vor Missbrauch geschützt werden, ist in vielen Fällen zweifelhaft aber zumindest nachvollziehbar. Weshalb ich aber für die Umnutzung von Büros in Wohnungen ebenfalls eine Nutzungsgenehmigung brauche, verstehe ich allerdings nicht.

Architekt ist ein schöner Beruf, zweifellos aber wie viel schöner könnte er sein wenn es die Überbürokratisierung und die Regelungswut der Obrigkeit nicht gäbe.

Das hohe Gebäude des Allgemeinen Krankenhauses Altona ist schon von weitem zu sehen. Es schien keine Besuchszeit zu sein denn der Parkplatz war kaum belegt. Ich fragte mich zur Notaufnahme durch und erfuhr dort dass der behandelnde Arzt, ein Dr. Thomsen, noch anwesend war.

„Sind Sie ein Verwandter?" war seine Frage als ich mich nach dem Befinden von Jupp Wegner erkundigte.

„Nein. ich bin kein Verwandter, ich bin der bauleitende Architekt der Baustelle auf dem er heute verunglückt ist. Daher ist es schon wichtig für mich, zu wissen wie es ihm geht und was passiert ist. Deshalb bin ich gekommen."

„Gut," sagte er, „kann ich verstehen. Ich darf es eigentlich nicht aber da es ihm gut geht und wir keinerlei Verletzungen festgestellt haben, kann ich das ja zumindest sagen."

„Kann er denn gleich wieder entlassen werden? Ich kenne Wegner nur zu gut. Sein größter Wunsch wird sein möglichst schnell hier weg zukommen."

„Im Grunde schon aber wir hätten ihn doch gerne noch einen Tag zur Beobachtung hier behalten. Wenn er darauf besteht, müssen wir ihn auf eigenen Wunsch und eigenes Risiko entlassen. Wenn Sie ihn sprechen wollen zeige ich Ihnen das Zimmer."

Er ging voraus den breiten Gang entlang, öffnete eine Tür und sagte in den Raum gewandt:

„Es ist Besuch für Sie da."

Jupp Wegner saß mit hochgestelltem Kopfteil im Bett und schaute erwartungsvoll zur Tür.

Ich hatte immer schon Probleme, Bauarbeiter, auch die, die ich schon lange kannte, in Arbeitskleidung und meist mit Schutzhelm, die zu erkennen wenn sie mir mal privat und in Zivil begegneten. Sie sahen einfach ganz anders aus, irgendwie verkleidet. Schon bei Richtfesten oder anderen Bauveranstaltungen war das so. Hier war es nun ganz extrem, Vorarbeiter Wegner, ein Klotz von Kerl, saß in seinem weißen Krankenhaushemd wie ein Häufchen Elend im Bett.

„Ach Sie sind das," sagte er leise und dann zögerlich:

„Ich hoffe Sie holen mich hier raus damit ich noch vor Feierabend wieder auf der Baustelle sein kann. Ich muss da ja noch meine Sachen zusammen räumen."

„Das mit dem Zusammenräumen, dass vergessen Sie mal schnell, dafür sind andere da. Erst mal möchte ich wissen, wie geht`s denn so?"

„Mir geht`s prima, mir ist langweilig, ich will hier weg."

Ich erzählte ihm was der Arzt mir eben erklärt hatte und das er es eben selbst entscheiden müsse. Er nickte nur und ich wusste sofort was er machen wollte.

„Was mich natürlich noch interessiert, und auch deshalb bin ich gekommen, will ich gerne zugeben, was ist denn eigentlich passiert, dort unten im Keller?"

„Ja," sagte er und zog das Wort in die Länge,

„dass war schon alles sehr merkwürdig. Ich denke ich hab alles richtig gemacht. Ich hab den Kompressor oben hingestellt, hab den Luftschlauch und das Stromkabel für die Lampe durch das Loch in der Decke gesteckt. Hab Hammer und Lampe runter geschleppt, beides angeschlossen, Schutzbrille aufgesetzt, Handschuhe angezogen und dann den Meißel an der von Ihnen und Petersen markierten Stelle angesetzt. Bei den ersten Schlägen lief auch alles normal wie immer, die Ziegelschicht vibrierte, fing an zu bröckeln und die ersten kleinen Splitter lösten sich. Als ich mit dem Hammer etwa 10 cm tief eingedrungen war klang das Hämmern ganz kurz etwas hohler und dann, ja dann gab es einen dumpfen Knall und es wurde blendend hell. Dabei hat´s mich denn wohl umgehauen. Das Nächste an das ich mich erinnere war das Gesicht von Petersen und dass er rief man solle den Notarztwagen rufen. Ich kann mir aus der ganzen Geschichte keinen Reim machen. Ein Stromkabel kann ich wohl kaum getroffen haben."

„Nee," beruhigte ich ihn,

„in der alten Sohle gibt es keine Stromkabel, die waren beim Bau des Hauses noch gar nicht erfunden. Der Bauarbeiterschutz hat den Hammer beschlagnahmt, aber an dem lag`s sicher auch nicht. Auf jeden Fall ist gut dass nichts Schlimmes passiert ist.“

Nachdenklich fuhr ich zur Baustelle zurück und beruhigte den Polier und die anderen Kollegen.

„Solln wir´s noch mal versuchen?“ fragte Petersen

„Irgendwie müssen wir da ja durch und die neuen Stützenfundamente einbauen.“

Ich merkte an seinem Verhalten dass er meine Sondierungen schon bemerkt hatte.

„Mit dem Hammer sicher nicht,“ sagte ich,

„wir sollten mit einem kleinen Bohrer vorbohren um festzustellen wie groß denn das Hindernis im Boden ist. Ich denke erstmal im Abstand von immer einem Meter, und dann nur 8 – 10 mm große Löcher. Lasst uns das morgen früh machen, ich will dabei sein.“

Ich hatte für heute noch andere Dinge auf meiner Liste abzuarbeiten und die gingen vor.

Petersen hatte Recht, wir mussten in die Sohle hinein, ohne den alten Fußboden mehr als unbedingt nötig zu beschädigen. Die zukünftige Nutzung des Kellerraumes war noch unbestimmt aber der schöne alte Boden sollte auf jeden Fall erhalten bleiben. Also aufstemmen mit großem Geschirr ging nicht.

Auf der Rückfahrt zu unserem Büro ließ ich mir die Sache noch einmal durch den Kopf gehen. Eigentlich war es kein besonderes Problem. Hindernisse im Erdreich konnten immer mal auftauchen, meist Findlinge aus der letzten Eiszeit, oder aber Relikte aus dem letzten Krieg, insbesondere in der Hamburger Innenstadt. Nicht grundlos gibt es hier einen so genannten Kampfmittelräumdienst, der immer gerufen wird wenn ein Fundstück nach einer Bombe aussieht. Man rechnet damit dass dreißig Prozent aller abgeworfenen Fliegerbomben nicht gezündet haben und immer noch betriebsbereit im Boden vor sich hin rosten. Das war uns bekannt aber hier war der Fußboden unbeschädigt und auch das darüber stehende Gebäude hatte, zumindest an diese Stelle, keine Bombentreffer erhalten. Was mir jedoch viel mehr Sorgen machte war der Gedanke an eventuelle archäologische Fundstücke. Das würde heißen es gäbe eine Bauverzögerung ohne Ende. Auf einer anderen Baustelle hatte ich das schon einmal durchgemacht. Beim Ausschachten der Fundamente hatten wir damals Tonscherben entdeckt und kurze Zeit später bevölkerten Mitarbeiter des archäologischen Landesamtes die Baugrube und wir durften alle Arbeiten einstellen. Man war glücklich einige Scherben von Vasen, eine lederne Sandale, einen platt gedrückten Silberbecher und Unmengen von Tierzähnen zu finden. Auch Reste eines alten Torfbrunnens und Bodenverfärbungen die auf einen Bohlenweg hindeuteten, meinte man entdeckt zu haben. An einem Montagmorgen glaubte ich meinen Augen nicht zu trauen. Die Archäologen hatten sich im Eifer der Grabung am letzten Wochenende bis tief unter die Fundamente des Nachbargiebels gewühlt. Ich rief sie aus sicherer Entfernung zu mir, selbst in die Baugrube zu steigen, dafür fehlte mir der Mut. Mit großen Mengen an Sand und Kies konnten wir die Wand stabilisieren und mit Hinweis auf die Gefährlichkeit weiterer Arbeiten erreichen dass die Grabungen eingestellt wurden.

Dieses wollte ich jetzt nach Möglichkeit vermeiden, insbesondere im Interesse des Bauherren. Denn Teile der renovierten Büroflächen waren bereits zu festen Terminen vermietet. Andererseits wollte ich mich natürlich nicht der Gefahr aussetzen eventuell wertvolle historische Fundsachen zu zerstören. Das könnte durchaus unangenehme strafrechtliche Konsequenzen haben. Bekannterweise steht man als Bauleiter immer mit einem Bein im Gefängnis, und sei es nur weil andere Schuldige nicht zu finden sind, ich wollte aber doch so lange wie möglich das zweite Bein noch draußen halten. Es galt also einen Mittelweg zu finden.

Christine war gerade dabei der letzten Entwurf für die Ausgestaltung des neu zu schaffenden Raumes in der Maschinenhalle farbig anzulegen, als ich ins Büro kam.

„Lass dir Zeit,“ sagte ich,

„so wie es aussieht müssen wir den ganzen Bereich umplanen. Wir haben Schwierigkeiten die Stützenfundamente dort hinzusetzen wo wir es vorgesehen haben. Irgendwas liegt an der Stelle im Untergrund. Keine Ahnung was es sein könnte.“

Unser Architektenbüro war zwar mit zwei Personen nicht besonders groß. Trotzdem waren wir ausreichend leistungsfähig um auch größere Bauvorhaben zu bewältigen. Dass hatten wir schon mehrfach bewiesen. Mit meiner Frau Christine als Dipl.Ing und Innenarchitektin sowie mir als Dipl. Ing für Hochbau und Architekten waren wir für alle Planungs-und Bauleitungsaufgaben bestens gerüstet. Alle Arbeiten heißt von der ersten Planungsidee über die Baugenehmigung, Ausführung, Bauleitung, Abrechnung bis zur schlüsselfertigen Übergabe an den oder die Auftraggeber. Nur statische Berechnungen fehlten in unserem Programm aber dafür gibt es ja Ingenieurbüros.

Die Aufgabenteilung innerhalb unserer Architektengemeinschaft hatte sich irgendwie von selbst ergeben und so streng sahen wir sie auch nicht. Im Grunde machten beide Alles. Christine hatte die besseren Ideen und konnte besser skizzieren als ich und war daher meist für den Entwurf zuständig. Ich übernahm dann die Umsetzung in die Konstruktionszeichnungen per CAD. Ausschreibung und Vergabeverhandlungen machten wir meist beide und auch bei der Bauleitung, die eigentlich meine Sache war, unterstützte sie mich, genauso wie bei Besprechungen mit unserem Bauherren. Programme für computergestützte Zeichnungen im Bauwesen gab es schon seit einigen Jahren und auch ich hatte darin investiert und hoffte dass sich die doch erheblichen Kosten irgendwann rentierten. Gerade bei kleinen Büros schien es mir sinnvoll. Es stellte sich auch sehr schnell heraus, dass wir diesen Auftrag ohne CAD nicht bewältigt hätten.

Ein bestehenden Gebäude mit CAD zu bearbeiten ergibt ganz eigene Probleme, wie wir hier bald erkannten. Von unserem Fabrikgebäude gab es kaum Zeichnungen und die wenigen die ich im Altarchiv der Baubehörde ausgegraben hatten stimmten nicht immer mit der Wirklichkeit überein. So mussten wir den ganzen umfangreichen Gebäudekomplex zuerst einmal aufmessen. Eine wochenlange Arbeit mit Maßband und Zollstock. Wenn ich dann die ermittelten Zahlen in den Computer übertrug stimmte es nur in den seltensten Fällen überein. Der Computer arbeitete mit Millimetern, so genau konnten wir aber nicht messen. Schon ein etwas strammer gezogenes Maßband war etwas länger als ein auf dem Boden liegendes. Auch die Winkel erwiesen sich meist nicht als rechte. So hieß es trotz der modernen Computeranlage hier und da zu improvisieren.

Aber wenn wir die Gebäude erst einmal passend eingegeben hatten, beziehungsweise passend gemacht hatten, konnte man damit vorzüglich planen.

Die Umbauarbeiten konnten hier immer nur abschnittsweise vorgenommen werden. Einzelne Stockwerke bez. Gebäudetrakte wurden auch weiterhin genutzt und darauf mussten wir Rücksicht nehmen, so gut es eben ging. Manche Firmen zogen nach abgeschlossener Renovierung in neue Flächen ein und die alten wurden danach umgebaut.

Daher waren wir mit Planung, Ausschreibung, Vergabe und Bauleitung gleichzeitig beschäftigt, im Gegensatz zum klassischen Ablauf bei dem zu Baubeginn die Ausfüh-rungsplanung schon auf dem Tisch liegt.

Jetzt konnten wir die Pläne die Christine zu nächsten Besprechung mit dem Bauherren vorbereitet hatte getrost liegen lassen, vermutlich sogar wegschmeißen, zumindest was die Umgestaltung der neuen Eingangshalle betraf.

Natürlich bedurfte es bei unserem Bauvorhaben unzähliger Genehmigungen. Da war einmal die Baugehmigung für die Umbaumaßnahmen mit der obligatorischen statischen Berechnung. Für die veränderte Nutzung musste eine Nutzungsgenehmigung beantragt werden. Die Gebäude waren für ein produzierendes Gewerbe gebaut worden. Dafür waren die Bedingungen heute nicht mehr zumutbar. Die schlechten Anliefermöglichkeiten waren ein großes Problem, dazu kam die für heutige Ansprüche nicht ausreichende Tragfähigkeit der Decken. Wer will außerdem heute noch seine Waren mit einer Seilwinde durch die Luken ziehen? Zum anderen war das Stadtviertel durchaus im Trend. Immer mehr Firmen aus der Werbebranche, dem florierenden Internetgeschäft sowie von Film und TV suchten hier Büroflächen. Man schätze das unkonventionelle Milieu und den Charme eines alten Fabrikgebäudes. Letztlich rechnete sich die Renovierung, Modernisierung und Umnutzung trotz der hohen Kosten durchaus.

Einen Nachteil bringt die Umnutzung für den Bauherren allerdings. Mit der Genehmigung werden sofort die neuesten Bestimmungen der Bauordnung, der Gewerbeordnung und so weiter, gültig. Das hat teilweise weitreichende Konsequenzen. Als Beispiel sei genannt die Lösung der Parkplatzfrage. Bis zur Umnutzung hatten die alten Regelungen bestand. Da bei Bau der Fabrik um 1885 herum niemand mit einen Pkw zur Arbeit fuhr, gab es diese Vorschrift überhaupt nicht. Mittlerweile waren auch alle Grundstücke in der Nachbarschaft bebaut. Woher also die große Anzahl der jetzt auf einmal erforderlichen Stellplätze nehmen? Was nicht geht, geht nicht. Das weiß auch der Staat. Deshalb hat man schnell eine neue Einahmequelle geschaffen und lässt sich die nicht gebauten Stellplätze bezahlen! Wer keine Stellplätze bauen kann, darf also die geforderten finanziell ablösen. Bei eine Bauvorhaben unserer Größe war das sehr schnell eine Größenordnung von einigen hunderttausend Mark.

Das tat unserem Bauherrn besonders weh. Lieber war er bereit viel Geld für die Renovierung auszugeben als nur Ablösesummen an den Staat zu zahlen, für die es keinen Gegenwert gab.

Mit dem Wort Bauherr hatte ich am Anfang meiner Berufslaufbahn große Schwierigkeiten. Es klang immer so wie Gutsherr und assoziierte sofort „nach Gutsherrenart“. Nach landläufiger Vorstellung steht der Gutsherr vor seinem Herrenhaus, erteilt die Befehle und das Fußvolk nickt beflissen und eilt von dannen um die Order zu erfüllen. So ganz verkehrt ist dieser Vergleich nicht, denn die Mehrzahl der Bauherrn verhält sich oft genau so. Die besten Bauherren sind immer noch die, die man nach der Grundsteinlegung nur zum Richtfest und bei der Schlußabnahme trifft. Und die natürlich in der Zwischenzeit die ihnen zugeschickten Rechnungen bezahlen. Ihre anderen Visiten auf der Baustelle sind nur störend. Besonders weil sie meist mit neuen Ideen auftauchten, die ihrer Meinung nach ganz schnell und einfach zu realisieren sind, natürlich ohne Mehrkosten und ohne Verzögerung. In der Praxis bedeutet es jedoch Umplanung, neue Kostenangebote einholen, Terminverschiebungen. Alle Baufirmen warten nur auf Nachtragsaufträge denn daran kann man endlich gutes Geld verdienen. Was natürlich energisch bestritten wird. Die Begründungen für die höheren Preise sind oft abenteuerlich und zeugen zumindest von großer Fantasie.

Unser jetziger Bauherr war da nicht viel anders. Verschärfend kam hinzu dass er sich das Renovieren alter Häuser zum Hobby erkoren hatte und daher dieser Umbau für ihn eine ganz persönliche Sache war. Im Klartext bedeutete das, er war täglich auf der Baustelle.

Nun ist das noch kein Problem an sich. Das beginnt erst in dem Moment wo der Bauherr den Handwerkern Anweisungen gibt oder mündliche Aufträge erteilt. Wenn diese dann noch im Gegensatz zu den Anweisungen der Bauleitung stehen, ist das Chaos schon programmiert. Insbesondere die Abrechnung der entsprechenden Arbeit entwickelt sich meist schwierig. Der Bauherr in seiner lockeren Art hat über Kosten nie nachgedacht geschweige denn gesprochen und die Baufirmen stellen alles in Rechnung was nur möglich ist. Wir dürfen diese Rechnungen dann prüfen und versuchen zu vermitteln.

Wie wir zu einem solchen Auftrag kamen? Ganz klassisch, man kennt jemanden der jemand kennt. Das Architektenbüro in dem ich in den Anfangszeiten meines Berufslebens einmal tätig war, hatte für unseren jetzigen Bauherren einmal ein Wohnhaus entworfen und gebaut. Als dann bei einer Routinebegehung der Fabrik durch Baubehörde und Feuerwehr ein Problem auftauchte hatte der Bauherr dieses um Klärung des Problems gebeten. Nun sind solche Aufträge nicht gerade beliebt. Sie machen viel Arbeit, verursachen meist auch Ärger bei allen Seiten und dafür ist die Bezahlung dann vernachlässigbar. Daher wird gerne versucht solche Sachen wegen momentaner Arbeitsüberlastung an Kollegen zu vermitteln. An solche wie mich, zum Beispiel. Vor wenigen Jahren selbstständig gemacht und immer bemüht sich eine Kundenstamm aufzubauen. Ich konnte es mir nicht leisten diesen Auftrag abzulehnen, hoffte im Stillen natürlich auf weitere und dann lukrativere.

Zum damaligen Zeitpunkt war den Architekten jegliche Art von Werbung durch die Architektenkammer verboten. Der Architekt wirbt durch seine Leistung, hieß es. Selbst ein fettgedruckter Eintrag ins Telefonbuch war schon eine Standeswidrigkeit. Ein freischaffender Architekt macht so etwas nicht. Freischaffend, das Wort sagt eigentlich schon alles. Es klingt nicht nur wie freischwebend sondern der Status eines Freischaffenden ist es auch. Als selbstständiger Unternehmer tätig, keinerlei soziale Absicherung, eingezwängt in eine staatliche Gebührenordnung, Berufsordung, Ehrenordnung und so weiter. Als junger selbstständiger Architekt zu Aufträgen zu kommen ist ein hartes Brot. Oftmals blieb nur die freie Mitarbeit in größeren Büros. Deren Zahlungsmoral war meist nicht sonderlich gut.

Nun dieser Auftrag betraf wieder einmal die berühmte und beliebte Nutzungsänderung. Ein langjähriger Mieter wollte seine Mietflächen reduzieren. Daher hatte man von seiner Fläche einen Teil abgetrennt. Da zwei Treppenhäuser vorhanden waren, war auch nach der Teilung der Zugang zu jeder der beiden Mietungen gesichert. Gut gedacht nur nicht zu Ende gedacht. Das fand jedenfalls die Kommission bei der Ortsbesichtigung. Die Mietung lag in ersten Obergeschoss. Es war zwar jeweils ein Ausgang ins Treppenhaus vorhanden aber eben nur einer, kein Notausgang für den Fall der Fälle. Der ist nun aber vorgeschrieben. Darüber gab es keine Diskussion. Im Behördlichen Schreiben stand dann:

„Der Mangel ist bis zum genannten Termin abzustellen ansonsten müssen die beiden Mietungen geschlossen werden.“

Den Mangel abzustellen war nun meine Aufgabe. Nach langen Überlegungen, Studium aller einschlägigen Verordnungen und noch längeren Unterredungen mit allen möglichen Abteilungen, fanden wir schließlich eine Lösung, die für beide Seiten zufriedenstellend war.

Damit hatte ich einen Fuß in der Tür.

Es folgten kleinere Umbauten, Instandsetzungen und so weiter. Die Sache begann sich zu lohnen. Als dann eines Tages die Generalsanierung des ganzen Komplexes anstand, war es wie selbstverständlich unser Auftrag als mittlerweile Hausarchitekten.

Am nächsten Morgen hatte Petersen im Keller schon alle Vorbereitungen für unsere Untersuchung getroffen. Vorerst hatten wir noch die alltäglichen Dinge zu klären. Ein Gebäudetrakt war geräumt worden und heute sollte dort mit den Abbrucharbeiten begonnen werden. Das hieß es mussten Staubschutzwände gestellt werden, eine Schuttrutsche angebaut und Platz für die Lkws zum Abtransport geschaffen werden. Lagerplatz hatten wir hier kaum und auch die Zufahrt für die Lastwagen war äußerst beengt. Wenn dann noch andere Gewerke Material bekamen, war das Chaos vorprogrammiert. Morgen sollte in einem anderen Geschoss der Gussasphalt für den Fußbodenestrich verlegt werden. Dazu mussten die schweren Fahrzeuge mit dem heißen, kochenden Asphalt zentimeterweise rückwärts durch die enge Toreinfahrt gelenkt werden. Dafür brauchten sie natürlich Platz Es war reichlich Aktion in den nächsten Tagen und das musste organisiert werden. Petersen als Polier des Hauptunternehmers war dabei der Dreh-und Angelpunkt auf dem Bau. Ohne ihn lief absolut nichts.

Dann verzogen wir beide uns allein in den bewussten Kellerraum. Stromkabel, Lampe und Bohrhammer lagen schon bereit. Einen Meter seitlich der angestemmten Stelle setzte Petersen den Bohrer auf eine Fuge zwischen den Ziegelsteinen und schaltete die Maschine ein. Mit vertrautem Brummen zog sich die Hilti in den Zement hinein. Aus dem Bohrloch quoll graues Zementpulver. Vier Zentimeter, fünf, sechs, der Bohrer drang zügig tiefer. Bei sieben Zentimetern meinte ich ein anderes Geräusch zu hören und kurz darauf kam Rauch aus dem Bohrloch und es roch nach verbranntem Eisen. Petersen stoppte sofort und zog den Bohrer heraus, besser gesagt er zog die Reste des Bohrer heraus und diese waren rotglühend. Bester Bohrstahl mit extra gehärteten Schneiden.

Mir kam es vor als wurde es plötzlich warm im Raum.

„Versteh ich nicht,“ sagte Petersen, „mit dem geh ich sonst durch Stahlbeton wie nichts und auch Bewehrungsstahl schafft er.“

Er löste das Bohrfutter und zog den Bohrer mit einer Zange heraus. Dann langte er in seinen Werkzeugkasten, nahm einen neuen Bohrer heraus und setzte ihn ein.

„Auf ein Neues,“ meinte er dazu.

Wir gingen in der Linie einen Meter weiter und versuchten es noch einmal. Sieben Zentimeter gingen reibungslos, dann das gleiche Ergebnis wie eben. Wieder einen neuen Bohrer und wieder einen Meter weiter. Hier kamen wir problemlos mit den vollen fünfzehn Zentimetern in den Boden. Nun einen halben Meter zurück und dort versuchen. Bei acht Zentimetern war Schluss und der Bohrer war hin.

Immerhin hatten wir das Objekt hier auf einen halben Meter genau lokalisiert. Jetzt auf der anderen Seite die gleiche Prozedur. Nach zwei Stunden hatten wir drei Seiten eingegrenzt, die andere Seite schien bis zur Giebelwand zu reichen und dort war die Grundstücksgrenze mit dem Nachbarhaus. Wir gingen nach oben um frische Luft zu schnappen und Petersen rief im Magazin seiner Firma an um neue Bohrer zu bestellen. Alle verfügbaren hatten wir verbraucht.

Ich trug die festgestellten Maße in meinen Kellerplan ein. Das Objekt war etwa fünf Meter breit und lag mit der Vorderkante vier Meter vor der Giebelwand. Es betraf also genau den Bereich in dem zwei Stützen geplant waren. Übermorgen war die wöchentliche Baubesprechung mit den beteiligten Firmen und danach die übliche interne Besprechung mit dem Bauherrn. Bis dahin musste uns eine Lösung einfallen.

Die geplante Wand sollte einen Teil der großen ehemaligen Maschinenhalle abtrennen. Die alte Halle in der früher die Dampfmaschinen standen war als neue Eingangshalle vorgesehen und erhielt eine Galerie und eine repräsentative Treppenanlage. Sie sollte auch für Veranstaltungen und Ausstellungen genutzt werden. Alle Wände bestanden aus Ziegelmauerwerk, teilweise sogar mit Ziergesimsen, wie es damals eben üblich war. Daher musste auch die neu zu errichtende Wand unbedingt aus Ziegeln sein und zwar alten Ziegeln, wie überall hier im Haus. Ziegelmauerwerk heiß aber auch viel Gewicht. Deshalb waren Stützen im Keller und ein darüber liegender Träger unvermeidlich.. Wenn allerdings die Stützenabstände zu groß würden, wie es sich jetzt andeutete, würde der Träger zu hoch und der Keller dann nicht mehr nutzbar.

Zurück im Büro besprachen wir die Sache. Einen Träger auf die Decke zu legen, also einen Überzug zu bauen, kam auch nicht in Frage da dann keine Türen in der Wand möglich wären. Schließlich hatten wir die Idee eine Fachwerkwand aus sichtbaren Stahlträgern zu machen, wie sie in alten Industriegebäuden häufig vorkamen und diese dann mit den alten Ziegelsteinen auszumauern. Die Konstruktionen waren damals meist genietet. Diesen Stil wollten wir in irgend einer Weise nachempfinden.

Christine skizzierte einen Besprechungsentwurf für den Bauherren.

Die Baubesprechung verlief routinemäßig. Christine führte wie immer das Protokoll. Es waren einige organisatorische Dinge zu klären, Eigentlich war das Petersens Aufgabe aber immer wenn neue Firmen tätig wurden gab es Anlaufschwierigkeiten und. Reibereien die hier bereinigt werden konnten, Und wie immer ging es um Termine und um Zusatzarbeiten die, zumindest nach Meinung der ausführenden Firmen nicht kalkuliert und im Auftrag berücksichtigt waren. Naturgemäß ist das bei Umbauten und Renovierungen häufig der Fall, besonders bei einem solch alten Gebäude wie diesem.

Wir waren mit der Besprechung fast am Ende als unser Bauherr auftauchte. Wie immer hatte er Einiges zu beanstanden, meist waren es optische Dinge. Die Überwachung und Einhaltung der technischen Dinge und der Qualität war ohnehin meine Sache und insofern selbstverständlich und für ihn uninteressant. Heute war ihm nur wenig aufgefallen und daher konnten wir die Baubesprechung schnell beenden.

Anschließend ging es zu dritt weiter. Ich berichtete kurz über den Arbeitsfortschritt in der vergangenen Woche aus meiner Sicht und die geplanten Arbeiten in den nächsten Tagen. Wir hatten einige Aufträge vorbereitet die unterzeichnet werden mussten und er gab uns einige Rechnungen zurück, die wir auf seinen Wunsch hin noch einmal überprüfen sollten. Dann kam ich auf die Entdeckungen unter der Kellersohle zu sprechen. Ich wusste dass alte historische Dinge ihn faszinierten, schließlich hatten wir strickte Order keinen alten Balken und alte Steine wegzuschmeißen. Auch jetzt spitzte er die Ohren und überlegte wohl schon ob irgend etwas zu verwerten sei. Aber als ich das Wort Archäologisches Landesamt erwähnte, das wir die Sache wohl melden müssten und das dann erhebliche Terminverzögerungen die Folge wären, war das Interesse schon nicht mehr so groß.