Am Hof Karls des Großen - Felix Dahn - E-Book

Am Hof Karls des Großen E-Book

Felix Dahn

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Beschreibung

Karl der Große war von 768 bis 814 König des Fränkischen Reichs. Er erlangte am 25.12.800 als erster westeuropäischer Herrscher seit der Antike die Kaiserwürde, die mit ihm erneuert wurde. Der Enkel des Hausmeiers Karl Martell war der bedeutendste Herrscher aus dem Geschlecht der Karolinger.

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Seitenzahl: 560

Veröffentlichungsjahr: 2021

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Felix Dahn

Am Hof Karls des Großen

Historische Romane

 

 

 

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Die Freibitte

Der Liebe Maß

Herrn Karls Recht

Erstes Buch

Zweites Buch.

Drittes Buch.

Viertes Buch.

Fünftes Buch.

Sechstes Buch.

Impressum neobooks

Die Freibitte

Am Hof Karls des Großen

Erzählungen aus der Zeit Karls des Großen

Felix Dahn

(Orginaltext)

Ihrer der Frau Herzogin zu Trachenberg,Fürstin Natalie von Hatzfeld,Durchlaucht verehrungsvoll zugeeignet.

In dem Palatium der Langobardenkönige zu Pavia reichte der von der Königin und ihrer Tochter bewohnte Flügel bis dicht an das Ufer des Tessin, dessen Fluten auch an schwülen Sommertagen einige Kühlung der gegen den Fluß hin offenen Säulenhalle, dem Hauptgemach der Frauen, zuführten. Hier waren an einem solchen heißen Sommerabend um Ansa, die ehrwürdige Gemahlin des Königs Desiderius, und um Adalperga, deren Tochter, eine Anzahl vornehmer langobardischer Frauen und Mädchen, auch Geistliche und ein Paar weltliche »Gasindi« und Höflinge des Palatiums versammelt.

Die Königin war ernst, ja sorgenvoll, so schien es, im Hintergrund der weiten Halle in ein Gespräch mit Bischöfen und älteren Vornehmen vertieft, indes die schöne Adalperga – schon feierten Lieder, nicht nur lateinische der Hofpoeten, auch langobardische im Mund des Volkes ihre Anmut, Bildung und Herzensgüte – ganz vorn auf der offenen Bogenwölbung gegen den Fluß hin an einem mächtigen Steintisch saß, dessen Mosaikplatte zahlreiche Handschriften trug; diese zu ordnen und allmählich in eine hohe eherne Amphora wegzulegen war ein junger Mann beschäftigt, dessen Kleidung ein seltsames Gemisch von Geistlichem und Weltlichem zeigte. Das edle Antlitz mit den feingeschnittenen Zügen schien gebleicht von zu anstrengender – wohl auch nächtlicher – Forschungsarbeit: aber das Auge blitzte von feuriger Begeisterung und um den schwarzen langen sutanengleichen Rock war doch der Wehrgurt mit dem Schwert gegürtet.

Dagegen völlig die Tracht eines Kriegers zeigte ein ihm gar ähnlicher etwas jüngerer Mann, der sich neben ihm auf den Tisch mit den Rollen beugte und nun mit leichtem Schütteln der braunen Locken lächelnd meinte: »O Fürstin, das Latein laß ich mir noch gefallen: – hab' ich's doch sogar in diesen meinen harten Kopf hinein gehämmert: –, aber diese krausen Schnörkel, dies Griechische sogar, soll Euch mein gelehrter Bruder beibringen? Wozu? Ihr habt's doch nicht nötig zu Eurem Geschäft.« – »Was ist denn mein Geschäft, Gasind Arichis?« fragte Adalperga mit anmutiger Neugier. – »Fürstin und schön zu sein,« war die rasche Antwort. »Nicht wahr, Bruder Paulus, das findest du auch?« – Aber dem Befragten schoß es blutrot in Wangen und Stirn. Verweisend sprach er »Mit so hohen Dingen scherzt man nicht, mein Bruder.« – »Wer sagt dir, daß ich scherze? 's ist mir hoher Ernst damit. Und kundigere Männer als ich finden's auch. So mein hoher Patron und Senior Arichis ...« Da hob die Jungfrau ein wenig das schöne Haupt und sah dem Sprecher in die Augen, aber gleich blickte sie wieder in die griechische Schrift.

»Was sagte der Herr Herzog von Benevent?« fragte der ältere Bruder. – »Ei, unser Herr, er, der sich wahrlich versteht auf Frauenschöne, er meinte kurz vor seiner Abreise ins Frankenreich: »Fürstin Adalperga ist das schönste Weib der Erde.« – Da errötete diese über und über; um das Gespräch abzubrechen, schob sie die Schriften zurück und auf die beiden leeren Stühle neben dem Tisch deutend, sprach sie: »Kommt, ihr Warnefridinge, da setzt euch zu mir und erzählt – ihr habt es längst versprochen! – die seltsame Geschichte eurer Sippe, eurer ›Fara‹. Man sagt, gar Wunderhaftes schmücke und verhülle sie zugleich, wie Efeuranken ein alt Gemäuer.« – »Ein treffend Bild, wahr und schön,« meinte Paulus sich niederlassend. »So schmückt und verhüllt zugleich Frau Sage auch unseres ganzen Volkes Geschichte: man kann, man soll Sage und Geschichte nicht scheiden,« schloß er sinnend, »erzählt man davon. Gern möcht' ich all' das einmal erforschen und berichten,« meinte er nachdenklich. »Freilich ist auch Bedenkliches dabei, was an die Heidengötter, die Dämonen mahnt« – und er schlug ein Kreuz über die Brust; »von denen soll man nicht viel reden.« – »Doch soll man das,« lachte der jüngere Bruder und setzte sich an die andere Seite Adalpergas. »Sind gar schöne und oft lustige Geschichten. So, wie Frikka ihrem Gemahl, Herrn Wodan ...« – »Nenn' ihn nicht, er ist der Dämonen Haupt und König,« warnte Paulus.

Aber Arichis fuhr fort: »Mein Bruder ist so fromm wie ein Mönchlein! Also: wie Frikka ihren weisen Gemahl überlistete, was unserem ganzen Volk den Namen gab.« – »Ich hörte davon einmal: – aber die Frau Äbtissin, meine Erzieherin, liebte das nicht ... und doch wüßt ich's gern.« – »So hört! Das erzähle ich besser als mein ernsthafter Bruder,« fiel Arichis ein, »Findet Ihr nicht, Fürstin, er wird immer unweltlicher, immer mehr priesterlich? Umsonst dräng' ich ihn, gleich mir Gasind unseres Herzogs zu werden.« – »Nun, er trägt ja das Schwert. Habt Ihr gewählt, gelehrter Paulus, zwischen Brünne und Kutte?« – »Noch nicht. Ich schwanke.«

»Nun also, tapfrer Gasind Arichis, wie war das mit der Überlistung?« – »Das war so,« hob er wieder an.

»Unser Volk hieß ursprünglich – in seinen alten Sitzen an dem Elbestrom fern im Norden – die Winiler. Die Winiler hatten Krieg mit den Vandalen; diesen wollte Wodan – das barg er jedoch heimlich im Herzen – den Sieg geben. Frikka, seine Gattin, aber den Winilern. Auf ihr Fragen und Forschen erwiderte er, arglistig in den Wirrbart lächelnd: ›Ich gebe denen den Sieg, die ich morgen früh von meinem Pfühl aus zuerst sehe.‹ Das wären aber die Vandalen gewesen, die im Osten lagerten: denn nach Osten schaut Walvaters Pfühl ...« – »Erstaunlich viel weißt und fabelst du von diesem übeln Waland!« schalt Paulus. – »Aber Frikka drehte seinen Pfühl am späten Abend um ...« – »Das ist lustig,« lachte Adalperga. – »Und riet den Weibern der Winiler, um Sonnenaufgang vor ihren Männern sich aufzustellen und das aufgelöste Haar – wie einen Bart – um den Mund zu schmiegen. Das taten sie und als nun Siegvater im Morgendämmer zum Himmelsfenster hinaussah ...« – »Der wohnt aber doch im tiefsten Pfuhl der Hölle!« meinte berichtigend der Bruder. – »Rief er erstaunt: ›was sind das für Langbärte?‹ Da sprach Frikka: ›Du gabst ihnen den Namen: so gib ihnen auch den Sieg – als Patengabe‹, und küßte ihn auf den bärtigen Mund und streichelte ihm die Wange ...« – »Aber Bruder! Laß ab.« – »Hei, sie war ja seine Frau! Da ist doch nichts Schlimmes dabei, nicht wahr, Fürstin? – Und der Gott? ... Nun er tat, was schöner Ehefrau Gatte tut: er lächelte und tat nach ihrem Willen und gab uns den Sieg, und ›Langobarden‹ heißen wir seither.« – »Das ist schön, daß unser Name schon an Sieg sich knüpft. Aber nun erzählt weiter ... von eurer Sippe.« – »Fang' an, Paule. Wirst du allzu fromm oder läßt du mir das Schönste weg, fall' ich, verbessernd und ergänzend, ein.«

»Also: – da die hohe Fürstin unsre Fara solcher Ehre würdigt, von ihr zu hören – mit den Langobarden, die vor mehr als zweihundert Jahren unter König Alboin aus Pannonien in dies reiche Land einwanderten, das unsre schöne Heimat ward, war auch unser Ururgroßvater Leupichis: er siedelte sich und die Seinen in Friaul an – am Ufer der Livenza – und ward Gasindus des Herzogs von Friaul. Und seither sind wir von Geschlecht zu Geschlecht getreue Gefolgen dieses Herzoghauses gewesen.« – »Ja, gar mancher unsrer Vorfahren,« fiel Arichis ein, »hat den Schild solchem Herzog getragen und ist mit ihm, auch wohl für ihn erschlagen worden!« – »Aber auch das fürstliche Haus hat Schutz und Treue unsern Vätern gewährt: ein Held dieser Sippe ist im Schirmkampf für unsre Ahnen gefallen.« – »Ja, und daß ich hier lebend sitze neben der Tochter meines Königs, wem verdank' ich das, als unsrem Herzog?« – »Wie das?« forschte Adalperga eifrig. »Hat er ... hat der Herr Herzog von Benevent –?« – »Herausgehauen hat er mich vorigen Herbst aus einem ganzen Rudel wilder Slovenen. Wir sollten sie aus dem Ostland treiben, in das sie aus der Windischen Mark eingefallen waren: bis Marianum waren sie schon vorgedrungen. Herzog Arichis schlug sie dort aufs Haupt und lustig war die jagende Verfolgung! Aber ich ward darüber allzu lustig und fiel in einen Hinterhalt im dichten Grenzwald: es waren ihrer fünf, mein Gaul stürzte –, ich war verloren; da sprengte mein Herzog heran ... –« – »Auf seinem schönen Rapphengst?« fragte das Königskind. – »Jawohl! – Schau, wie gut Ihr beschlagen seid in seinem Marstall! – Und holte mich heraus – er allein! – er blutete dann, aber er lachte dazu.« – »Und,« fuhr Paulus fort, »sie haben aus ihrem Reichtum gespendet, als wir in wilder Kriegsdrangsal alles verloren hatten, sie haben mit Rat und Tat uns geholfen allezeit. Und so sind wir ihnen denn zu Dank und Treudienst verpflichtet immerdar. Und nicht nur Pflicht, – nein, stolze Wonne wär's, für dies hohe Geschlecht das letzte Herzblut zu vergießen.«

Er hatte sich in edle, in lodernde Begeisterung hineingesprochen: es ließ ihm gut; die feinen Züge, das schöne Auge verklärten sich: mit freundlichem Staunen sah's die Jungfrau, Arichis aber rief: »So gefällst du mir, Paule! Ich seh' dich doch nochmal in Helm und Brünne stolze Streiche tun für Arichis von Benevent. Denn Ihr wißt ja wohl, daß zwei Brüder des Herzoghauses von Friaul übergesiedelt sind in jenes südlichere Land und dort das Herzogtum erwarben. Und weil bei diesem Haus – jetzt von Benevent – der Name Arichis fast erblich ist, – haben auch wir, mit jenem übergesiedelt, dessen Namen gar oft geführt: so heiße ich – unwürdigermaßen! – wie jener Herzog, dessengleichen – bei Gott! – kein Held lebt im Volk der Langobarden;« – Abermals errötete Adalperga. Aber Paulus deutete das irrig – als Erzürnung: »ausgenommen, Arichis, den Herrn König Desiderius,« mahnte er. Jedoch die Königstochter meinte: »Ach, mein lieber Vater ist alt und krank und der viele Gram um dieser bösen Franken willen ...! Hat er doch um deswillen« – sie stockte ein wenig – »den Herrn Herzog, den ihr wie um die Wette lobt, in jenes Reich über die Alpen geschickt – recht lange, lange bleibt er aus, mein' ich! – zu erkunden, was etwa Schlimmes dorther droht. – Aber nun endlich zurück zu Leupichis, eurem Ahn.«

»Der hinterließ, wie er starb, fünf noch ganz junge Söhne, der jüngste hieß wie er. Da brachen in das Gebiet von Friaul die greulichen Horden der Avaren ...–« – Adalperga schauderte: »Unholde sollen's sein, nicht Menschen.« – »Sie plünderten, mordeten, verbrannten, was sie erreichten und schleppten die fünf Knaben, an die Schweife ihrer Gäule gebunden, mit sich in die Knechtschaft, in die öden Steppen der Avarenringe! Die vier älteren sind dort geblieben und verschollen. Der Jüngste aber, Leupichis, hatte nie die Sehnsucht nach der Freiheit, die Hoffnung auf die Wiederkehr in die Heimat aufgegeben. Jeden Abend vor dem Einschlafen hatte er zu den Heiligen gebetet, zumal zu dem Schutzherrn unserer Fara, Sankt Sabinus zu Spoleto, ihm glückliche Heimkehr zu gewähren.« – »Wohl, wohl,« meinte Arichis. »Aber unser alter Rinderhirt, der mir die Sache – wie oft! – erzählte draußen auf der Heide, flüsterte immer dazu: ›er hat auch stets einen Wuchs Ernte-Hafer stehen lassen auf dem Felde – für Herrn Wodans Grauroß.‹« – »Nicht doch! – In einer kalten Winternacht nun, ohne Mond und Sterne, floh der zum Jüngling Herangewachsene aus der Lehmhütte, die ihm samt ein paar Ziegen sein Herr als Wohnung angewiesen hatte, nahe dem Grenzring der Avaren: er nahm nur Bogen und Pfeilköcher und etwas trockenen Ziegenkäse mit. Als er aber nun den nächsten Wald erreicht hatte, wußte er nicht, – denn die Sterne fehlten – welche Richtung er einschlagen solle auf seiner Flucht, um Langobardenland zu erreichen. Auch schien das Gestrüpp des dornigen Dickichts im Unterholz undurchdringbar: er konnte weder vorwärts noch rückwärts, ratlos blieb er stehen: er wollte verzagen. Da sah er plötzlich zu seiner Rechten zwei kleine rotgelbe Lichter funkeln, die, nah an der Erde, an ihm vorüber vorwärts schossen: es war ein Wolf, der wies ihm den Weg durch das Gestrüpp: er folgte, dankend Sankt Sabinus, der ihn gesendet.«

Arichis schüttelte das kurzkrause Gelock: »Aber der alte Hirte lachte und raunte. ›Wie käme ein Heiliger zu einem Wolf? Den Wolf hat Wodan gesendet:‹ ›der Wolf ist Wodans geweihtes Weidwild‹ so sagt ein uralt Wort. Und: ›reich lohnt Wodan treuen Dienst‹ ein anderes. Er hatte wohl der Ähren für sein Grauroß nicht vergessen, – sagte der Hirt, nicht ich, frommer Bruder!« – »Wundersam war nun, wie ein paar Tage lang das Untier wirklich als Wegweiser dem Fliehenden vorantrabte, nie ihn bedrohte, nie außer Sichtweite lief, oft sich umwandte, ob Leupichis auch richtig auf dem schmalen Pfade durch das Dorndickicht folge? Aber am dritten Tage – die mitgenommene wenige Mundspeise war längst verzehrt – plagte den Ahn der Hunger, ganz erschöpft fürchtete er zu erliegen: da spannte er den Bogen, legte den Pfeil auf, den Wolf zu töten, ihn zu verzehren.« – »Das war recht undankbar von dem Ahn – sagte nämlich Grimmo der Hirt, der soviel alte Dinge, Sagen und schöne Sprüche wußte, wie nur etwa noch Willehalm sein jüngerer Bruder, viel hab ich von ihnen gelernt: – Gott lohn' es ihnen im Himmel! – Und auf dem Fleck strafte ihn Wodan: der Pfeil ging fehl, was sonst dem Ahnherrn nie geschah, er sah nur noch, wie der treue Wegweiser vorwurfsvoll umsah und verschwand, dann stürzte er todmüde zu Boden.« – »Im Traum aber erschaute er einen Mann, der stand bei seinem Haupte und sprach: ›Steh auf! Leupichis, was schläfst du? Geh dahin, wohin deine Füße gerichtet liegen: denn dort liegt Langobardenreich, wohin du trachtest:‹ das war Sankt Sabinus.« – »Er trug aber einen Schlapphut, dieser Mann,« warf Arichis ein, »und dunkelblauen Mantel und in der Hand einen Speer: so sehn die Kutten-Heiligen nicht aus.« – »Und der Ahn sprang auf und wanderte, wie ihm das Traumgesicht gewiesen und fand am Abend eine Siedelung: darin waltete eine schöne junge Mutter, die ihn aufnahm, speiste, nächtigte, den Weg wies: tief dankte er der Hausfrau.« – »›Die trug ein linnenblütenblau Gewand, klirrende Schlüssel am Gürtel, und ein golden Halsgeschmeide,‹ sagte der Hirt. Das war ...« – »Und so gelangte er in ein paar Tagen nach Friaul, an die Livenza und an das alte Stamm-Gehöft, das Allod unserer Fara: aber das sah traurig aus! Verödet lag's seit vielen Jahren, das Dach war von den Avaren abgebrannt, offen klaffte die Halle gen Himmel: Buschwerk und Gedörn füllte die Stuben: und ein gewaltiger Eschenbaum« – – »Das ist Wodans Weihebaum.« – »Ragte hoch durch die Dachlücke in die Luft. Daran hing der Ahn sofort Bogen und Köcher auf, als des Besitzes Zeichen. Und der gütevolle Herzog, der Ahn des heutigen, beschenkte ihn reich mit milder Hand, so daß er ein Weib gewinnen und unsre Fara neu begründen konnte.« – »So sind wir von Geschlecht zu Geschlecht diesem Fürstenhaus zu tiefem Dank verbunden. – Aber horch, wer kommt da?«

Und Arichis wandte sich: die Doppeltüre, die in das Innere des Palastes führte, ward aufgerissen und herein trat in lebhafter Bewegung eine hohe Gestalt, klirrend in Waffen. Adalperga sprang auf: »Er! Er zurück« flüsterte sie.

Der Ankömmling aber schritt durch die umgebenden Palastgroßen und Frauen auf die Königin zu, beugte tief das Haupt und sprach: »Frau Königin, soeben komm' ich an: Tag und Nacht ritt ich aus Frankenreich: schlimme Kunde bring' ich: König Karl und sein Reichstag haben – für den heiligen Vater! – den höchst unheiligen Krieg gegen uns beschlossen. Aus dem Sattel gesprungen eilte ich an das Krankenbett Eures königlichen Gemahls, zuerst ihm das zu melden. Dann aber, hohe Frau – in dieser Stunde höchster Gefahr ist es Zeit, um Waffenschutz und Waffenschirm für Euer Haus zu sorgen: jetzt – nicht früher, – wagte ich es, bei König Desiderius um die Hand Eurer Tochter Adalperga zu werben: er sagt sie zu, wenn die Mutter und die herrliche Jungfrau ...« – Da unterbrach ihn die immer noch schöne Greisin, faßte seine Hand und sprach: »Die Stunde der Werbung adelt Euch, Herr Herzog, mehr als Eures Blutes Adel und all' Euer Waffenruhm. Nehmt sie hin – seht, wie hoch sie errötet! Ich kenne ihr Herz: – Komm, Adalperga, folge diesem Herzen.« Das Mädchen schwebte gesenkten Hauptes auf die Mutter zu, die ihre Hand in die des Herzogs legte.

Alle Versammelten drängten nun aus der Bogenhalle in das Innere des Palastes in heftigster Erregung. So bemerkte niemand, – auch nicht der Bruder, – daß eine schlanke Jünglingsgestalt bei dem Versuch, zu folgen, ohnmächtig auf den Estrich niedersank.

Wie herrlich ist der Ausblick von Monte Casino weithin über das Land, über das blühende Tal des Garigliano im Westen und Süden und die umliegenden Berge, die es vom Golf von Gaëta scheiden, aber doch zuweilen das tief blaue Meer erschauen lassen: im Osten das Tal von San Germano, dem alten »Casinum«, von seinem raschen Flüßlein Rapido, damals noch »Vinius« genannt, durchflutet und hoch überragt von den Felskämmen der Abruzzen!

Ein starker Wille der völligen Weltentsagung wahrlich gehört dazu, an diesem entzückenden Fleck der Erde alles Irdische von sich zu streifen und nur noch dem Geistlichen, der Kirche zu leben. Aber keine Regung des Bedauerns, der geheimen Sehnsucht nach Rückkehr in das Leben der Welt lag auf den bleichen Zügen des jungen Mönches, der, in die schwarzen Ordensgewande Sankt Benedikts gekleidet, mit dem Rücken an der Außenseite der westlichen Eingangspforte des Klosters an die schwarz-graue Felsmauer gelehnt, traumverloren in den prachtvollen Sonnenuntergang des Frühlingstages hinausblickte: er hatte den linken Arm auf den Rücken gelegt, die rechte Hand, mit der Rückseite quer über die Stirn gehalten, suchte die blendenden Strahlen, die schon wagrecht leuchteten, abzuwehren.

Lange stand er regungslos, man hätte ihn für die Statue eines Benediktiner-Mönches halten können, die, aus dem schwarzen Schieferfels gehauen, hier Wache hielt. Endlich störte ihn aus seiner Ruhe ein Geräusch, das sich von unten vernehmen ließ, von der Straße, die heute noch von Westen in höchst steiler Steigung und mit vielen Windungen um die Felsvorsprünge auf den Gipfel des Berges führt. Ein solcher Vorsprung hatte auch bis dahin unsichtbar und unhörbar gemacht den kleinen Zug, der sich nun rasch näherte. Voran zwei berittene und bewaffnete Klosterknechte: dann folgte ein reich geschirrtes Maultier, dessen kleine Silberglöcklein, bei jedem Schritt erklirrend, zuerst vernehmbar geworden: der Reiter achtete nicht all' der berauschenden Schönheit von Natur und Landschaft um ihn her: er las eifrig in der Regula Sankt Benedikts: die Sorge für den sichern Gang seines Tieres auf dem schmalen Steg, hart an dem schwindelnden Abgrund hin, überließ er einem kleinen Hirtenjungen, der, barhäuptig und barfüßig, nur mit einem braunen zottigen Lammfell bekleidet, daneben her lief, die Zügel am Gebisse haltend, und offenbar gar stolz auf solches Amt. Dahinter schwankte, mühsam von vier Männern emporgetragen, eine geschlossene Sänfte: ein dritter Gewaffneter ritt hinterdrein.

Der junge Mönch schritt jetzt langsam den Kommenden entgegen: er hatte den Reiter des Maultieres erkannt: als er ihn erreicht hatte, kniete er zu dessen Rechten nieder, beugte das glatt geschorene Haupt und sprach: »Euern Segen, Herr Abt und Vater! Wie lang hab' ich sein entbehrt.« – Mit liebevollem Blick legte der Abt die Rechte auf sein Haupt: »Gott der Herr hat dich gesegnet mit reichen Gaben des Geistes und des Herzens: und eifrig hast du sie verwendet in seinem und in der Menschen Dienst. Er wird dir lohnen. Steh auf!«

Im Weiterschreiten sprach nun der Mönch: »O Vater Theudemar, wie lange doch bliebt Ihr den Euern fern! Wie fehltet Ihr uns allen – und zumeist mir.« – »Ich blieb nicht länger unten in der Welt, als es die Pflicht gebot. Das sind Zeiten, mein Paulus, in denen Sankt Benedikts unwürdiger Nachfolger nicht unter den Büchern und mit Gebeten allein die Tage verbringen darf. Zwar nicht viel drang und dringt hinauf in den heiligen Frieden dieses Hauses aus dem Lärm und den Kämpfen der Welt da unten: – nur verworrene Kunde hat uns bisher erreicht von all' dem Geschehenen – aber Hilferufe Leidender, Verfolgter, Verwundeter fanden doch den Weg zu mir: so eilte ich zu helfen wo ich konnte.«

Sie hatten nun das Klostertor erreicht: der Abt stieg ab, die Sänfte zu erwarten, die langsam näher kam: »Und dir, mein Sohn, hab' ich auch etwas mitgebracht, zu helfen, zu heilen, zu pflegen: du wirst es gern tun, wär' es auch ein Feind.« – »Gewiß, mein Vater. Es steht geschrieben: ›Liebet die euch hassen‹.« – »Nun,« lächelte der Abt, »diesmal wird das nicht von dir verlangt. Siehe, es ist nicht ein Feind, es ist ...« – »Mein Bruder, mein Arichis!« rief Paulus und lief auf die geöffnete Sänfte zu, aus welcher die Träger nun den Insassen hoben.

»Paulus! Du hier? Du lebst?« erwiderte Arichis, sich wankend auf des Bruders Schulter stützend. – »Und du! Wie bleich! Verwundet? Schwer verwundet?« – »Ja,« sprach der Abt, »schwer. Aber Gott hat geholfen.« – »Und dieses guten Mannes Pflege,« sprach der Wunde. – »Kommt nun herein, ihr wieder Vereinten. Ins kleine Refektorium! Da wollen wir den Gast laben nach der anstrengenden Reise bis heute von Reate her. Dann mögt ihr euch erzählen, was ihr seit eurer Trennung erlebt habt: – ihr und dies Land Italia.«

Nach dem von klösterlicher Einfachheit vorgeschriebenen Abendessen, das sie nicht wie sonst mit der Gesamtheit der Brüder, sondern in einem schmalen, hochgewölbten, kühlen Nebenraum des Refektoriums einnahmen, wollte der Abt die Brüder allein lassen, aber beide baten ihn, zu bleiben: »Wir haben nichts Geheimes vor dir, Vater,« meinte Paulus. – »Ja, deine Seele kenne ich so klar wie den Grund kristallhellen Quells, besser kenne ich sie als du selbst! Aber dieser Kriegsmann ...« – »Bleibt, Herr Abt, und helft mir, diesen Schweigsamen zum Reden bringen. – Also hier – und als Mönch! – finde ich dich wieder, Bruder! Spurlos verschwunden warst du, verschwunden mir und allen im Palast zu Pavia, von jenem Abend an, da unser Herzog mit der Nachricht von dem Frankenkrieg eintraf. Vergeblich suchte ich, aus dem großen Saale, wohin wir alle der Königin folgten, zurückgekehrt, dich in der Säulenhalle am Tessin, im ganzen Palast, in der Stadt: – niemand wußte von dir als ein Torwart: der meinte, er habe dich erkannt, wie du in derselben Nacht, auf einem Maultier reitend, durch das Südtor die Stadt verlassen. Das war die letzte Spur all' diese Monate. Du warst also ...?« – »Ohne Aufenthalt hierhergeeilt – in den heiligen Frieden Sankt Benedikts: und in die Entsagung.« – »Und beide hat er gefunden,« sprach der Abt, »nach der ersten Beichte, die ich ihm abnahm. Ich fand nichts – in der Vergangenheit – zu vergeben, nur zu warnen für die Zukunft.« – »Ich danke, Vater!« sprach Paulus und küßte seine Hand.

»Aber,« grollte Arichis, »warum mir, dem König, dem Herzog gar nichts sagen. Warum?« – »Weil ihr,« lächelte der Mönch wehmütig, »mich bestürmt hättet, zu lassen, was ich doch tun mußte. Das wollt' ich euch und mir ersparen.« – »Und so plötzlich!« – »Nicht doch! Du weißt es ja: lange schwankte ich ›zwischen Brünne und Kutte‹.« – »So sprach damals Adalperga: du hast ein gut Gedächtnis!«

Paulus errötete: nach einer Weile fuhr er fort: »An jenem Abend nun kam's über mich, erkannte ich wie im hellen Blitzschlag, daß für mich nur in der Weltentsagung Friede zu finden ist. Ich eilte Tag und Nacht hierher – das Schwert warf ich noch vom Säulenaltan des Palastes aus in den Tessin! – und Abt Theudemar würdigte mich – nach der Probezeit – der Aufnahme in Sankt Benediktus Schar. Das ist alles, was ich erlebt seit jenem Abend.« – »Hm,« meinte Arichis nachdenklich, »ist nicht eben viel. Und doch: – da liegt ein Dunkel, das ich nicht durchdringe. Kaum ahn' ich ...« – »Nun aber rede du,« unterbrach der Bruder hastig, »viel hast du zu berichten!«

Und Arichis hob an, nach einem herzhaften Schluck des tiefdunkelroten Weines, den die fleißigen Mönche dem sonnenbestrahlten Schieferschutt ihres Berges abgewannen und aus den Trauben Sankt Benedikts kelterten: »Ja, vielerlei hab' ich zu erzählen, aber vielleicht ist das Wenige mehr, was mein Bruder berichtet – und das Viele, was er verschwiegen hat. – Rasch auf die Verlobung unseres Herzogs folgte die Vermählung und rasch auf die Vermählung folgte der Krieg. Kaum war die junge Herzogin in das ferne und feste Benevent in Sicherheit gebracht, kaum stieß der Eidam mit seinem Aufgebot zum Heer des Königs, das die Engpässe, die ›Clusen‹, am Südabhang des Mons Cenisius sperrte, als der furchtbare Frankenkönig, der ›Karl von Eisen‹ mit seinem Heere heranzog. Und der Schreck zog vor ihm her; war es doch ein ›heiliger Krieg‹ den die Franken zu führen vorgaben – und glaubten, – Sankt Peter die Städte und Landschaften zurückzugeben, die unsre Könige ihm entrissen. Bei diesem heiligen Krieg fielen gar viele Tausende von ihrem Könige ab und traten auf des Papstes und seines Helfers Seite: die Engel des Herrn, flüsterte man in unsrem Lager, ziehen unsichtbar Herrn Karl voraus und bahnen ihm den Weg zum Siege.« – »Es muß ein wunderbarer Mann sein,« meinte Paulus nachdenklich. »Ich möchte ihn sehen.« – »Das wünsche dir nicht, Bruder! Wenigstens nicht wie ich ihn sah, als Feind, im Sturme der Schlacht. Noch heute gedenk' ich's mit Grauen. Also unser Heer lag in den verschanzten Clusen, die offene, breite Straße über den Berg sperrend. Der Herzog aber mit uns Beneventanern lagerte auf dem äußersten linken Horn in einer tiefen Schlucht: in die führte, von dem mit firnem Schnee und Eis bedeckten Felsengipfel des hohen Berges herab ein ganz schmaler, kaum mannsbreiter Klettersteig, in steilstem Anstieg drüben, in schroffstem Absturz hüben: nur Steinbock und Luchs und der verwegenste Gemsenjäger wagen sich auf den schwindelnden Pfad: hart vor dessen Mündung hatte der Herzog sein Zelt aufgeschlagen. Ich hatte etwas höher oben die vorderste Wache: mondlose Nacht war's, kurz vor Hahnenkraht, ich lehnte an einer finster schattenden Eiche: denn das verlöschende Wachtfeuer warf wechselndes Licht bis zu meiner Höhe herauf: Totenstille ringsum: nur der Steinkauz klagte zuweilen in den schwarzen Felsen über mir: da blitzte plötzlich um den nächsten Vorsprung des Gesteins helles, blendendes Fackellicht: »Feinde!« schrie ich, »Feinde! – Zu den Waffen!« wollte ich weiter rufen: ich konnte nicht! Grauen erstickte mir die Stimme: denn hart vor mir stand, im hellsten Schein zweier Fackeln, die zwei Männer dicht hinter ihm trugen, grellrot beleuchtet, ein Gewaltiger, um mehr als Haupteslänge mich überragend, ganz in funkelndes Erz gehüllt: »Vorwärts, Neffe Roland« rief er, mit furchtbar dröhnender Stimme; »drauf, Held Oliver von Viane; der Herr hat sie in unsre Hand gegeben! Sankt Peter und Sankt Denis!« Hoch blitzte ein Schwert: zersplittert wie Glas zersprang bei seinem Streich meine gute Klinge von Aquileja: derselbe Streich spaltete meine Ringbrünne und drang noch ein gar ansehnlich Ende in meine rechte Brust: – da – ich spür es noch.« Und er legte die Hand auf die schmerzende Rippe. »Ich stürzte: über mich hinweg sprangen die drei Männer: bevor mir die Sinne vergingen sah ich noch den Herzog vor seinem Zelt grimme Hiebe tauschen mit dem zur Rechten – Roland von Bretagne war's, wie ich später erfuhr – gar bald fiel der Herzog: seinen Bannerträger hinter ihm, den Gastalden von Nola, durchspeerte der andre Begleiter: – das war Herr Oliver von Viane. Dann aber sah ich nichts mehr als von dem Felspfad herab zahllose Fackeln, Helme, Speere der Franken: ›Herr Karl und Sieg‹, riefen sie: da schwanden mir die Sinne.« – »Armer Bruder,« seufzte Paulus und griff nach der abgemagerten Hand.

»Das ist nicht Menschenwerk,« meinte der Abt. »Ich hörte davon raunen: ja, schon singt man im Volk ein Lied davon: Herr Karl, unfähig, die Clusen auf der breiten Straße zu stürmen, flehte zu Sankt Denis: urplötzlich stand vor ihm ein Jägersmann, der sich erbot, eine kleine erlesene Schar auf nur ihm bekanntem Felsensteig so zu führen, daß sie im Rücken der Langobarden auftauchen solle. So geschah's: aber als Herr Karl dem Jäger danken und lohnen wollte, verschwand er im Nebel der Berge. Es war der Engel des Herrn. Dem Willen Gottes muß man sich fügen.« – »Ei, das kann ich nicht! Noch nicht! Kann ich nur erst wieder das Schwert heben, wollen wir doch sehen, ob der verfluchte Engel« – beide Mönche bekreuzten sich – »verzeiht, ehrwürdiger Abt! – ihm jedesmal hilft. Aber damals freilich hat der engelhafte Jägersmann – hätt' ich ihn doch an der Gurgel! – die Schlacht, ja den Krieg entschieden.« – »Wie ging das zu?« forschte Paulus. »Wo ist der König, seine – seine Sippe, wo der Herzog? In Pavia ...?«. »Verloren ist alles. Nachdem die Franken uns im Rücken standen, – wie vor der Stirn, – waren die Clusen nicht zu halten: alles floh nach Pavia. Aber bald erschien vor der Stadt der furchtbare Herr Karl: Mangel, Hunger, Entsetzen, – der König ergab sich und sein Haus.« – »War Adalperga, ... war die Frau Herzogin ...?« – »Nein! Sie war ja in dem sichern Benevent geborgen. König Desiderius ward gefangen: er ward mit seiner Gattin in ein fränkisch Kloster abgeführt ...« – »So ist kein Reich der Langobarden mehr!« rief Paulus in tiefem Weh, sprang auf und erhob beide Hände.

»Doch!« antwortete der Abt, »aber sein König heißt – Karl. Nicht eine Provinz des Frankenreichs, – ein eigen Königreich bleibt Langobardien.« – »Das – das ist ein Trost,« seufzte Paul. – »Nein, kein Trost,« knirschte der Wunde. »Und da mein Herzog lebt, – frei und in Sicherheit –, so hoff' ich, alsbald heißt Langobardiens König ... Arichis.«

»Hüte dich,« warnte der Abt, scheu nach der Türe blickend. »Sogar vor meinen Mönchen: – schweige.«

»Wo, wo weilt der Herzog. Er ist also frei?« fragte Paulus. – »Es gelang ihm, aus der Gefangenschaft, sobald Herrn Rolands Schwertstoß ein wenig geheilt war, zu entspringen und nach Benevent zu entkommen, Herr Karl, den dringende Sorgen nach Hause riefen, – die heidnischen Sachsen sind heerend tief ins Frankenland gedrungen – hat Frieden mit ihm geschlossen und ihn als Herzog von Benevent anerkannt, so lang Arichis sich ruhig verhalte. Wird hoffentlich nicht lange dauern.« – »Wie? Man sagt, er hat geschworen: – den Untertaneneid!« mahnte der Abt. – Arichis zuckte die Achseln: »Erzwungener Eid!« – »Gleichviel!« – sprach Paulus, »ein Eid! Gott läßt sich nicht spotten. Schon wieder sinnst du Kampf?« – »Und Vergeltung!« sprach Arichis, die Faust ballend.

– »Dem Tode kaum entronnen, gewiß durch ein Wunder der Heiligen!« mahnte der Bruder. »Erzähle! Wie ging dir's nach dem Überfall, wie kamst du hierher?« – »Nicht durch ein Wunder der Heiligen, durch – einen ganz andern,« erwiderte Arichis, kopfschüttelnd und tief trinkend »Lang lag ich, wo ich gefallen war, ohne zu denken. Feind und Freund hielt mich wohl für tot. Als ich zu mir kam, war heißer Mittag: hoch stand die Sonne: ringsum alles hell – aber alles still, grabesstill. Angriff, Flucht und Verfolgung hatte beide Heere seit vielen Stunden weithinweggeführt: wohl nach Pavia zu. Ich erhob mich – nur ein Paar Tote um mich her – darunter nicht, den ich ängstlich suchte, der Herzog! Gott hierfür dankend trachtete ich nun, so schwer es ging – ich war schwach, die Wunde brannte! – möglichst verdeckt vor Franken, die etwa in der Nähe streiften, ein paar Berghöfe von Langobarden zu erreichen, die ich auf den Almen in den mittleren Höhen oberhalb unserer Zelte liegen wußte. Mühsam kletterte ich die steilen Pfade hinan: da plötzlich, hart am Abgrund, verließ mich die Kraft, der Speer, auf den ich mich stützte, entfiel meiner Hand und ich stürzte – nach der Rechten hin – tief, tief in den Abgrund.« – »Bruder, Bruder!« seufzte Paulus. – »Und unverletzt kamst du unten an?« forschte der Abt.

»Ja: ich fiel auf tiefen, weichen Schnee: durch ein Wunder der Heiligen, werdet ihr rühmen. Meinethalben, – diesmal! Aber heraus, herauf aus dem schauerlichen Abgrund hat mir geholfen: – ein anderer. Denn nun ergriff mich alsbald die Angst furchtbaren Todes! Ich rutschte auf allen Vieren, oder aufrecht stehend tastete ich mit den Händen rings umher an den fast kreisrunden senkrechten Felswänden, die, – wie in einem schmalen Turm von wenig Fuß Breite – mich überall umstarrten: nirgends, nirgends ein Aufstieg aus der Abgrundtiefe, nirgends auch ein Spalt, um seitwärts zu entrinnen. Ach, unzähligemale suchte ich alles ab in meinem engen Gefängnis, vergebens strengte ich das Auge an, irgend eine Lücke zu erspähen, stundenlang: – die Sonne war hinter dem hohen Gletscher gesunken –: mich fror: vergebens auch schrie ich – gleichviel, ob Feinde mich hörten, mich fingen! – schrie, bis mir die Stimme versagte: ich sah mich gefangen, rettungslos eingeschlossen in dem schmalen Felsenkerker, nie von Menschenaugen entdeckt: – dem Verschmachten, dem Verhungern preisgegeben!« – »Bruder, lieber Bruder!« – »Warum habt Ihr nicht gebetet?« – »Oh, ich betete, frommer Abt, betete in meiner tödlichen Not heiß, wie wahrlich nie im Leben noch. Ich rief Gott an, den Herrn Christus, Sankt Peter ...« – »Auch Sankt Sabinus?« – »Gewiß, Bruder, unsern Schirmherrn. Ich gelobte ihm eine Kapelle aus all meinem Erb und Eigen zu erbauen. Vergeblich! Ich rief alle Heiligen an, deren Namen ich je vernommen. Umsonst! Umsonst! Ich ward schwächer und schwächer. Verzweifelt warf ich mich in den Schnee, ich schloß die Augen, ich dachte, sie nie wieder aufzuschlagen. Da plötzlich, in dieser furchtbaren Stille, die seit Stunden kein Laut unterbrochen hatte, kein Ton – hör' ich, hoch über mir, wie vom Himmel her, einen lauten Ruf: ich blicke empor: ein Rabe senkt sich krächzend mit regungslos ausgebreiteten Flügeln, langsam, aus Wolkenhöhe, gerade oberhalb meines Hauptes, zu mir herab: ich springe auf: es verscheucht ihn nicht: er läßt sich dicht neben mir nieder, schaut mich an mit seinen runden, klugen, schwarzen Augen, krächzt mir zu und schreitet langsam und feierlich über den Schnee hin – manchmal umblickend, ob ich ihm auch folge? – nach links hin bis vor einen halb manneshohen, dunkelgrauen Felsblock: auf dessen Oberspitze flattert er auf und ruft mich nochmal an: ich folge, ich erreiche den Block: nur ganz wenig schwebt der Vogel auf einen höheren Fels empor, wie um mir Platz zu machen: ich schaue ihm nach, ich fasse den Block mit beiden Händen, – da gibt er nach, gleitet langsam links über den Schnee und zeigt mir einen langgestreckten Spalt in der Felswand, in den von der Ausgangsseite das Licht der eben da draußen zu Golde gehenden Sonne fällt: – ein Weg, ein Ausweg! Wodan, jauchzte ich, wegweisender Wodan! Dank dir, glühenden Dank.«

Der Abt schüttelte den Kopf: »Welch heidnischer Aberglaube!« – »Das war Zufall,« meinte Paulus. – »Zufall? Wie? Welche Verblendung! Ihr seid verstockt! Zu euern Heiligen-Mirakeln reicht euch viel weniger aus, um daran zu glauben! Und hier! Dem Urahn naht, Weg weisend, rettend, der Wolf, dem Urenkel ebenso der Rabe, beide des Waltenden geweihte Tiere –: und das soll Zufall sein? Ei, die Heiligen, zu denen ich schrie, stundenlang, hören mich nicht, aber der alte Schirmer unsrer Sippe, den ich nicht angerufen, rettet mich.« – »Laßt mich ihm den Wahn austreiben,« bat Paulus den Abt, der ernst verweisend den Finger hob. »Ich will ihn schon bekehren. Sprich, Bruder, das ward wirklich deine Rettung?«

»Sie ward's! Höre nur! – Ich kroch, gebückt, durch den Spalt, immer dem Licht entgegen. Bald war die Enge zu Ende, die Felsen traten zu beiden Seiten zurück, ein Bergquell rieselte zur Linken herab, in dem und neben dem watete ich, mühsam, aber gefahrlos empor: so erreichte ich den Saumpfad, hoch oben, von dem ich herabgestürzt. Ziemlich nah vor mir erschaute ich einen der Almhöfe, die ich suchte: eilig – der Anblick gab mir schnelle Füße – lief ich darauf zu: da horch! Hoch ob meinem Haupte wieder der Ruf des Raben: er flog über mir, getreulich folgend, als ich die Gattertüre des Hofzauns öffnete, krächzte der treue Vogel noch mal, wandte sich pfeilschnell um sich selbst und flog stürmisch nach Westen, wo Walvater wohnt, ihm Kunde zu bringen von meiner Rettung: denn ›im Westen wölbet sich Walhall‹: so flüsterte heimlich die Mutter.« – »Es ist nicht anzuhören,« grollte der Abt. »Genug von dem Federvieh!« »Und gleich auch genug von mir. Die guten Stammgenossen in dem Gehöft nahmen den Schlachtwunden gar mildsinnig auf, labten ihn, pflegten sein, wollten ihn nicht fortlassen, bis die Wunde ganz geheilt. Das aber währte mir zu lang: mich trieb das Herz, nach unsrem Herzog zu forschen, nach Benevent zu eilen, für Frau Adalperga zu kämpfen, tat das Not.« – »Bruder, wackrer! Ach beneidenswerter!« – »Aber auf dem Wege dorthin brach die kaum geheilte Wunde wieder auf: ich blieb hilflos liegen auf der staubigen Straße: da fand mich dieser edelherzige Mönch, las mich auf und führte mich – im Sattel kann ich mich noch nicht halten – in seiner eignen Sänfte, führte mich dem verloren geglaubten Bruder zu. Dank ihm von Herzensgrund.« – »Nun wollen wir dich ausheilen!« sprach Paulus, ihm die Hand auf die Schulter legend. – »Ja, vorher bin ich ja zu nichts zu gebrauchen. Dann aber flugs nach Benevent!«

In Benevent, im Garten des hochgelegenen Kastells, zugleich Palatiums der langobardischen Herzoge, wandelten wenige Wochen darauf die beiden Arichis, Senior und Gasindus, in eifrigem Gespräch: nur selten achtend des schönen Ausblicks, den der prachtvoll gelegene Ort über die hohen Felsenwälle hinweg, über die ragenden Pinien und Cypressen des Burgberges hin, auf die vielfachen Windungen der beiden Flüsse, des Calore und des Tamaro, zwischen üppigen Gefilden gewährte. Der Herzog trug den Schwertarm noch in der Binde; es war aber wohl nicht nur der Wunde Schmerz und Fieber, die sein Angesicht gebleicht hatten, das, eingefallen und hager, ein finsterer Ausdruck beherrschte; er blieb oft plötzlich stehen in dem ungleichmäßigen, bald hastigen, bald zagenden Schritt, auf den Gartenwegen, dem der Gasindus zur Linken stets nachgiebig folgte.

»Ja,« rief der Herr, »wenn alle, wenn nur ein paar Zehntausend dächten, fühlten wie du, Vielgetreuer! Ich würde nur so lange warten, bis dieser Arm wieder heil. Aber es ist, wie wenn ein Zauber diesem Karl alle Herzen zuwendete. Oder ist es nur schnöde Furcht? Es kann nicht sein! Schlachtbewährte Freunde, sobald sie in seiner Nähe geweilt, mahnen, bitten, beschwören mich, nie wieder das Schwert zu heben gegen diesen Mann. Das hielte mich nicht ab, bei Gott! Ich glaube nicht an diesen Zauber, nicht an seine himmlische Sendung. Glaubt er selbst daran? Vielleicht! Dann bildet er sie sich ein! Wenn jedoch dieser Wahn den meisten meiner Krieger das Schwert in die Scheide bannt, dann wirkt der Wahn wie Wahrheit: ein kleines Häuflein treuer Helden aber würd' ich nur ins sichere Verderben führen!«

»Führt mich, wohin Ihr wollt, mein Herzog. Ich folge Euch gern: – auch ins Verderben.« – »Ich schwanke noch,« hob der Herzog wieder an, weiter schreitend. »Auch dich hat doch sein Anblick erschüttert?« – »Ich leugn' es nicht. Nie sah ich seinesgleichen! Aber gleichviel, Euch ...« – »Schweige jetzt. Da kommt die Herzogin: sie darf nichts erfahren von meinen Racheplänen, die sie ohnehin schon leise ahnt, mit Angst und Beben: auch ihr hat dieser Karl es angetan, den sie doch nie gesehn. Und dein frommer Bruder dort an ihrer Seite – wie eifrig sie reden! – der würde wohl ...?« – »Er ist Euch – und Frau Adalperga! – mit ganzer Seele ergeben, nicht minder als ich wahrlich: er würde für Euch – beide! – sterben ohne Besinnen. Nur eins hält ihn von unsrem Weg fern ...« – »Nun? Was? Auch Furcht vor Herrn Karl?« – »Mein Paulus kennt nicht Menschenfurcht. Nur der ... der Eidbruch ...«

Der Herzog stampfte mit dem Fuß: »Pfaffengeschwätz! Kircheneid! Erzwungener Eid ist kein Eid. Ich schwor, nicht um mich, um mein Volk zu retten vor der Zertretung, in jenem Augenblick der Übermacht des Siegers. Diesen Eid zu brechen, – nicht um meinetwillen, nur um dies mein Volk aus der Fremdherrschaft zu befreien –, besinn' ich mich nicht lange. Ja, wenn es Mannes Ehre wäre, Freundschaft, Dankespflicht! Aber so! Und du – denkst du auch wie dein heiliger Bruder?« – »Ich bin Euer Gefolgsmann und folge meinem Herrn durch Recht und Unrecht: in den Tod, in den Himmel oder in die Hölle: allüberall ist mein Platz an Eurer Schildseite.« – »Wackerer! Aber still, da sind sie. – Was habt ihr, das euch so bewegt? Dieses Schreiben da?«

Die Herzogin und Paulus traten nun in das rings offene runde Tempelchen, in das die breiten sich hier kreuzenden Gartenwege mündeten: – einst war es, wie die Inschrift am Altar bezeugte, den Nymphen geweiht gewesen. Während der Mönch vor dem Herzog sich tief verneigte, ließ sich die Frau auf der halbkreisförmigen Marmorbank vor dem halb verfallenen Altar nieder und reichte dem Gemahl eine kurze Pergament-Schedula: »Ja, das hat uns aufgestört aus unsrem Griechisch Lehren und Lernen. Es ist hoch wichtig für unsern frommen Freund, – auch wohl für andere,« fügte sie sinnend bei.

Der Herzog nahm: »Ah, ich sehe von Abt Theudemar. ›Meinem teuern Sohn und Schüler Paulus Heil in Christo. Wichtige, lebenentscheidende Nachricht hab' ich dir zu künden: eben traf ein im Kloster, wo man dich vermutete, ein Beauftragter des großen Frankenkönigs: dieser hat durch den heiligen Vater von deiner – des noch so jugendlichen! – tiefen Gelehrsamkeit, zumal auch in der im Abendlande gar seltenen Kenntnis des Griechischen, vernommen und lädt dich durch Papst Hadrianus ein, in sein Palatium zu Aachen zu eilen, zu jenen zahlreichen Gelehrten, die er dort aus dem ganzen Abendlande um sich geschart. Eine Einladung Herrn Karls lehnt man nicht ab: sie ist Befehl‹.« – »So?« riefen wie aus einem Mund trotzig die beiden Arichis. – »Er soll's mit mir versuchen,« lachte der Gasinde. – »Am liebsten,« rief der Herzog, »käm' ich nach Aachen, ungeladen, – mit hunderttausend Helmen. Aber laß uns weiter lesen, was der weise Abt darüber zu sagen hat: ›Gleichwohl, lieber Sohn, enthalte ich mich, dich durch abtherrliches Gebot zu zwingen wie ich dich, den heftig Widerstrebenden, zuletzt flehentlich Bittenden durch Berufung auf dein Gehorsamsgelübde zwang, den Bruder nach Benevent zu begleiten und das Herzogpaar dort aufzusuchen‹« »Ei, ei, Herr Mönch,« so unterbrach der Herzog die Lesung, »das ist ja wenig schmeichelhaft für uns. Ich dächte, zumal Frau Adalperga hätte Besseres von Euch verdient. Ihr sonntet Euch gar gern in ihrem Glanz, solang sie im Glück thronte im Palast zu Pavia: aber nun, da wir im Schatten ...« – »Ja,« sprach die Frau, mit leise vorwurfsvollem Ton und einem tiefen Blick der schönen Augen, »es hätte mir fast weh getan, als ich das las.«

Da zuckte es schmerzlich über des Mönches bleiches Antlitz, er zerdrückte eine Träne: seine Lippen bebten, aber er fand kein Wort: nur ganz wenig schüttelte er das Haupt. Aber der Bruder kam ihm zu Hilfe: scharf, gespannt hatte er das wehevolle Ringen des Mönches aus dem bewegten Mienenspiel erkannt und verfolgt: »Nicht also, edles Paar,« rief er jetzt lebhaft. »Nicht das – wahrlich! – ist der Grund! Keine Seele hängt treuer an euch als die meines Paulus. Aber diese Seele war krank: ist es wohl noch! Unüberwindliche Furcht vor der Welt, Scheu vor den Menschen hat ihn urplötzlich befallen: so wollte er die stille Klosterzelle am Garigliano, die volle Einsamkeit nie mehr verlassen, selbst nicht, um euch beide wieder zu sehen.« – »Du sprichst wahr,« nickte der Herzog, wieder in die Cartula blickend, »der Abt schreibt: ›Ich kenne ja aus deiner wahrhaftigen Beichte die Gründe dieser Weltscheu, deiner Vergrabung in die Einsamkeit. Aber ich mußte die giftige Pflanze der Verzweiflung an der eigenen Willenskraft an ihrer Wurzel ausreißen: du solltest auch jene Augen wieder schauen können, die du vor deiner plötzlichen Weltabkehr zuletzt gesehen: du solltest stark sein, ohne Erschütterung auch diese Menschen – auch diese! – wieder zu sehen ohne Rückfall in Welt-Furcht, in Furcht vor dir selber: du solltest alles Kranke in dir als überwunden mir darweisen und selbst empfinden.‹«

Da zog ein schmerzliches Lächeln um die seinen Lippen des Mönches. Sein Bruder seufzte unhörbar: »Armer Paulus!«

Der Herzog las weiter: ›Ob du aber schon so weit genesen, dich in den glänzendsten Hof des Abendlands wagen zu wollen, zu können, – das kann ich nicht wissen: das muß ich dir zu prüfen überlassen. Entscheide. Aber rasch: Herr Karl kennt keinen Aufschub. Der Bote sollte dich flugs aus dem Kloster in das Frankenreich entführen. Der heilige Geist erleuchte dich und führe dich zu der richtigen Wahl.‹

Der Herzog warf das Pergament auf den Tisch: in seinen scharfen Augen blitzte leidenschaftlich ein Gedanke auf: den wollte er wohl gern vor allen verbergen, denn er senkte die Wimpern, als er rief: »Versteht sich! du mußt dem Rufe folgen.«

Hoch erstaunt sahen alle drei auf ihn: der Gasindus fand zuerst ein Wort: »Wie, Herr? Der gehaßte Karl will Euch dieses goldtreue Herz entführen und Ihr helft dazu?« – »Nun, das Herz,« sprach Frau Adalperga innig, »wird uns wohl bleiben, auch wenn's in Aachen schlägt.« – Da warf sich der so stumme, verhaltene Mönch ihr zu Füßen und küßte den Saum ihres Gewandes: »Dank, hohe Fürstin, für dies Wort, für das Vertrauen: – es heilt gar viele Wunden.« Er erhob sich rasch: »Aber wie sollte ich das Menschengewimmel am Hof Herrn Karls ertragen, ich, der nur gezwungen aus der Cella sogar hierher ging?«

Einstweilen hatte der Herzog seinen Gasindus am Arm ergriffen, aus dem Tempel geführt und in sein Ohr geflüstert.

»Ich verstehe,« erwiderte der: »Ja, das ist ...« – »Schweig! Höre weiter! Er soll, er darf ja gar nicht merken, was wir durch ihn erkunden wollen. Aber wenn er uns alles von dort berichtet, dann ...« Und er ging mit ihm ein paar Schritte rund um den Tempel.

»Also,« sprach Adalperga zu ihrem Freund und sah ihm eindringend in die Augen, »Ihr werdet nein sagen, obwohl der Herzog es wünscht?« – »Ich sage nein.« – Da erhob sie sich von der Bank, trat einen Schritt näher, legte leicht – nur einen Augenblick – die Rechte auf seine Schulter: er erbebte. »Auch, wenn ich es wünsche, wenn ich Euch darum bitte?« – »Adalp ... Frau Herzogin! Ihr mich bitten – mich!« – »Hört den Grund. Jeder Mensch soll dahin eilen, wo er seinen Freunden – und Ihr seid unser Freund, ich weiß es! – am meisten nützen kann: das ist für uns ein Freund dort: – am Hof Herrn Karls. Vernehmt, – aber schweigt gegen alle, auch gegen meinen Gemahl! es ist das erste Geheimnis, das ich vor ihm hehle! – ich ahne, ach nein: ich weiß: der Herzog sinnt auf – – Bruch mit Herrn Karl.« – »Da sei Gott vor!« flüsterte Paulus und erbleichte. »Sein Schwur!« – »Eidbruch! Auch ich zittre davor. Ich fürchte, ich kann den Rachezorn meines Gatten nicht zurückhalten, sobald er sich stark genug wähnt. Er rennt sich, – uns alle ins Verderben. Dann, dann ist mir von höchstem Wert ein Fürsprecher am Hof, ein Freund, ein Liebling des Siegers: – denn das werdet Ihr so sicher werden wie aller Menschen Liebling mit Eurem goldnen reinen Herzen.« – Des Mönches Antlitz verklärte ein edler Glanz: »Zwar wird das mir nie zuteil werden! Aber schon der Gedanke, daß Ihr daran glaubt, und daß Ihr wünscht ...! Ich verspreche Euch, vermag ich es, so rette ich Euren Gemahl aus jeder Gefahr – um jeden Preis!«

Da traten die beiden Männer wieder in das Tempelrund: der Gasinde flüsterte noch auf den Stufen: »Es wäre freilich gar wertvoll. Aber er geht nicht hin.« – »Wer weiß! Wir sind alle ehrgeizig. – Nun, Paule, wie steht's? Muß ich Euch Gründe nennen? Sagt Ihr noch immer Nein?« – »Ich sage: Ja. Die Frau Herzogin hat mich bekehrt: ich gehe an den Hof Herrn Karls, weil ich – vielleicht – dort Gutes wirken kann.« – »Trefflich,« rief der Herzog mit einem triumphierenden Blick auf seinen Gefolgsmann. »Jedenfalls Besseres als in der Klosterzelle. Und ganz anderes!«

»Seinem hochehrwürdigen Vater und Herrn Theudemar dem Abt, Paulus, Warnefrids Sohn, der Mönch.

Hätt' ich auch nicht verbrochen, Euch, dem hohen Paar zu Benevent und meinem herzgeliebten Bruder oft und ausführlich Nachricht zu schreiben von all' dem, was ich seit unserer Trennung erlebt und erfahren im Reiche der Franken, es würde mich das Herz dazu zwingen, die Fülle, die überwältigende Fülle der Dinge, die es bewegen, die es zu sprengen drohen, vor Euch auszuschütten. Es ist eine Welt der Wunder, in der ich lebe: aber das Wunderbarste der Wunder ist er, der Unvergleichliche, der Unschilderbare: ist Herr Karl!

Ich weiß, hoher Herzog, diese Worte wecken Euren Zorn: aber ich muß der Wahrheit Zeugnis geben: ja, ich muß: es ist Pflicht: denn lernt Ihr die Wahrheit über diesen Mann, den Unbezwinglichen, dann müssen Euch jene Gedanken vergehen, jene Hoffnungen siegreichen Rachekampfes wider ihn, die Euch im geheimen bewegen: – kenn' ich doch Euren trotzgemuten Heldensinn. Ich flehe Euch an, zu Eurem, Eures Hauses, unseres Volkes Heil: – gebt sie auf, jene Hoffnungen, verscheucht sie für immer, fügt Euch in das von Gott Gewollte. Ja, von Gott, nicht von jenem Sterblichen. Denn fest wie all' sein Volk, wie er selbst glaube ich: Herr Karl ist Gottes des Herrn auserkorenes Rüstzeug, seine Kirche zu beschirmen, seinen Namen auszubreiten unter den Heiden, das Reich Gottes auf Erden zu begründen: ich glaub' es, was seine Völker, was auch seine Feinde raunen: der Engel des Herrn schwebt zu seinen Häupten Tag und Nacht: von seinen Augen strahlt ein Glanz, erhaben, blendend und doch so herzgewinnend durch eine wunderbar warme Güte der Seele. Ihn schildern, das kann niemand: erleben muß man ihn!

Ich sah ihn zuerst in Poitiers, wohin mein treuer Begleiter, Bischof Constantius von Chur, mich über Aosta, Lyon und Limoges zu ihm führte: der Herrscher brachte dort mit eigner milder Hand Hilfe den schwer durch Mißwachs, Hunger und Hunger-Seuche getroffenen Provinzialen: ich traf ihn in der fieberverpesteten Hütte eines armen Winzers; die Ärzte scheuten die Ansteckung, er nicht. Er richtete sich auf von dem Lager des Kranken, über das er sich gebeugt hatte, und sah mich lang an mit seinen großen, die Seele durchdringenden Augen: dann lächelte er, reichte mir die mächtige Hand und sprach: ›Mönchlein, du gefällst mir: in dir ist kein Falsch. Aber zu wenig Blut. Bring du uns dem Himmel näher, – wir wollen dich, du bleicher Geist, der Erde näher bringen.‹

Von Stund an war mein Herz, mein Geist, mein Wille sein eigen! Wir blieben in Poitiers, bis die Seuche erloschen und der mitgeführte Geldvorrat ausgespendet war, dann begleitete ich den König quer durch Gallien gegen den großen Rheinstrom hin und in seine dortigen Villen zu Metz, Diedenhofen, Düren, endlich hierher, in das große Palatium zu Aachen! Hier erst, in seiner wahren Heimat-Pfalz, ging mir das ganze Wesen des Mannes auf und seine Größe! Nicht das Gedränge der Gesandten all' der Fürsten und Völker, die seine Gunst suchen, vom heiligen Vater bis zum Sultan Arraschid zu Bagdad, von den dänischen, angelsächsischen, den asturischen Königen bis zu den Boten des Kaisers aus Byzanz, – nicht die Geschenke, die Schätzungen, welche sie huldigend ihm zu Füßen legen, erregen mein bewundernd Staunen, – nein, die väterliche Liebe, mit der er unermüdlich der Bedrängten, der Armen, der Hilflosen in seinem weiten Reiche gedenkt. In der Nacht springt er vom Lager und schreibt den Namen eines kleinen Bauern fern in den Alpen Bajuvariens am Inn oder an der Loisach, dessen Hilferuf gegen den gräflichen Unterdrücker noch nicht erhört ist, auf seine schlichte Gedenktafel von Schiefer, er, der schreckliche Schlachtenschlager, der ›eiserne Karl‹, er trägt in der Brust das gütevollste Herz.

Und sein Geist! Er hat mich gewürdigt der Aufnahme in den Kreis von weisen Meistern, die seinen Hof zu einer hohen Schule machen. Hier lerne ich von dem ernsten Angelsachsen Alkuin, von dem wir ja alle zu lernen haben, hier traf ich den Landsmann Petrus von Pisa, hier den edlen Goten, den schönheitdurstigen und schönheitspendenden Theodulf von Orleans. Und mit so vielen andern noch darf ich Unwürdiger wie mit meinesgleichen verkehren! Und ganz wie einer von uns lebt und forscht und tafelt und scherzt mit uns auch der mächtigste Herrscher des Abendlands, er neckt und läßt sich necken in Prosa und Gedicht, der ›David‹ dieser Tafelrunde, wie wir ihn, jeden Titel und Hofzwang meidend, nennen müssen: wie Alkuin Horatius Flaccus ist Angilbert, des Herrschers vertrautester Rat, Homer und der junge liebenswerte Einhart – auch manche Jungfrau des Hofes findet ihn so! – heißt gar Beleseel nach dem kunstreichen Baumeister der Stiftshütte, weil der Kluge, Feine gar kunstverständig ist in allerlei Bauwerk. Der ist mir von allen der Liebste, meiner Seele der Nächste geworden.

›Wie sie wohl meinen Paulus getauft haben?‹ forscht hier mein neugierig Brüderlein. Ei seltsam genug! Am dritten Abend unsrer Tafelrunde stieß sich Freund Einhart an dem einzigen ›Ungetauften‹ in dem Kreis und bat Herrn Karl, mir einen Namen zu wählen: der sah mir ernsthaft ins Gesicht, dann lächelte er: ›nun reichlich – reichlicher als mit Fett und Muskeln! – hat ihn der Schöpfer bedacht mit der Nase. »Ovidius Naso« wollen wir ihn nennen.‹

Alle stimmten laut lachend bei und Einhart meinte: ›Aber die ars amandi müßte er wohl erst lernen, um sie zu lehren.‹ Da lachten sie alle noch lärmender. Ich aber schwieg und dachte: ist das eine Kunst? Ich meine, lieben ist nicht eine Kunst, ist eine Notwendigkeit, ein Herzenszwang. Könnte ich euch, ihr in dem Herrn Geliebten, auch nicht lieben? Ich muß, ob ich will, ob nicht! – Nicht müde wird der Herrscher bis in die späte Nacht, uns zu fragen, sich zu belehren. Und mich hat er – die hohe Fürstin hat beschämend richtig geweissagt! – gar bald tief in sein großes Herz geschlossen: auch wenn es nicht Freund Einhart und dessen gar eifrige Schülerin, die schöne Königstochter Emma, versicherten, – ich merke es mit glückseligem Dank täglich an allerlei Dingen und Worten im Ernst und Scherz.

Gestern bei der Abendtafel lobte ich die persischen Äpfel, die ihm der heilige Vater als Geschenk gesandt aus seinem Garten am Tiber: als ich spät Nachts heim komme in mein Hospitiolum neben dem Palast, finde ich sechs der schönsten mit einem Zettel: ›sie seien nicht geschenkt, verkauft, je um vier Verszeilen, und beim Frühmahl müsse ich die fertig vorlesen‹. Da galt es fleißig dichten bis zur Hahnenkraht, denn Theodulf und Angilbert dichten schön, aber richten scharf. Nun, sie waren alle zufrieden, – Die hohe Fürstin gedenkt vielleicht noch der Verse, die sie mir zuweilen auftrug in Pavia: – ach, die waren doch viel besser. Wie oft gedenk ich mit Heimweh der Seele der schönen Tage am Tessin!

Dieser Brief wird, ich merk' es, ein ganzes Tagebuch: nun, ein solches habt ihr ja, hat zumal der Herr Herzog gewollt, und heute hab' ich das Wichtigste zu melden, was mir bisher am Hof begegnet: eine hohe Auszeichnung: manche beneiden sie mir, meint Einhart. Der König winkte mich heran in aller Frühe bei seinem Ankleiden, dem nur die Vertrautesten beiwohnen dürfen: – er gibt ihnen dann wohl Aufträge, die ihm in schlafloser Nachtstunde gekommen, – lachte mich an mit seinem sonnigen Lachen und sprach: ›Paule, mein Liebling, heute Nacht gab mir der Herr wieder einmal die Weisheit im Schlaf, das heißt im Traum: du weißt, Rothtrud, mein schön Töchterlein, ist verlobt mit Constantin, dem Sohn des Kaisers Leo zu Byzanz. Zu Ostern bring' ich sie mit großem Geleit nach Rom: von dort schifft sie sich ein nach Byzanz: so soll ein Sproß unsres Königshauses auch die Kaiserkrone tragen: bei Sankt Denis, wir sind es wert –! Würdiger als mancher dieser »Romäer« da drüben würde mancher von uns heißen: »Imperator Romanorum«. Aber genug hiervon. Nun, soll schön Rothtrud über Griechen herrschen, muß sie ihres Volkes Sprache verstehn: denn sie soll nicht, wie jene byzantinischen »Imperatrices«, die sie auf Goldgrund malen, steif, regungslos, wie lebendige Tote, nein, wie eine pflichtgetreue Königin der Franken, die emsige Hausfrau des Herrscherhofes, wie ihre Mutter, meine herzgeliebte Frau Hildigard – Gott segne sie alle Stund' und führe sie bald wieder aus ihren Mutter-Schmerzen! – soll meine Tochter da drüben walten, die Tränen der Bedrängten trocknen, ihre Klagen stillen: dazu muß sie aber diese Klagen verstehen: griechisch muß sie lernen! Nun hat zwar der Imperator auf mein dringend Verlangen – er selbst und sein Sohn waren – seltsamerweise! – gar nicht auf den Gedanken gekommen, was doch mehr ihre als meine Sache! – mir zwei feine Griechen seines Palastes geschickt – in prahlerisch prunkenden Seiden-Gewanden: nahm sie neulich mit auf die Saujagd in die Ardennen, wußte, es werde regnen – da lachte er so recht fröhlich vor sich hin – regnete auch: tüchtig wurden sie naß bis in ihre feine »romäische« Haut, die Seidenfetzen verschrumpften. – Einen Alten und einen Jungen: der Alte ist mir aber zu alt d. h. zu langweilig: wohnte neulich einer Lehrstunde bei, schlief ein nach einer halben! – auch mag ich nicht den bösen Falschblick seiner Augen; der Junge aber – Agathon heißt er – ist mir zu jung: meine Rothtrud ist gar schön! Nun schlief ich ein in Sorge darüber, wer mir wohl die beiden Griechen ersetze? Und im Traum tratest du an mein Bett, du mein Paule, mit deinem lieben, nur allzubleichen Gesicht und sprachst: »Herr König, ich kann gut griechisch. Und ich bin treu, nicht falsch. Und jung zwar bin auch ich, aber ich bin Sankt Benediktus zu eigen.« Da sprang ich vom Pfühl und schrieb quer über meine ganze Tafel und alles, was schon darauf stand – da sieh her! – »Paulus der Mönch lehrt sie griechisch!« Und so soll's werden! Wenn du willst, heißt das. Willst du? Ist dir schön Rothtrud nicht zu schön?‹ lachte er. Ich neigte mich und sprach gerührt: ›mit Freuden will ich‹. Denn Fürstin Rothtrud ist mir nicht zu schön.

Nun hat der Unterricht seit einigen Tagen begonnen. Ich staune: ein paar Wochen hat sie der alte Elisäus schon gequält: und was hat sie gelernt? Nichts! Gar nichts! Und dabei ist die junge Fürstin hellen Geistes, raschen Verstandes und hat ein wunderbares Gedächtnis. Aber freilich, erwäge ich ihr ganzes Verhalten bei meinen weisen Lehren, so begreif' ich ihr Nichtwissen, wenn sie's mit dem Alten ebenso getrieben hat. Sie hört mir zu, engelgeduldig: nur denkt sie einstweilen offenbar an etwas ganz anderes! Dabei lächelt sie immer vor sich hin, zuweilen mutwillig, so daß ich meinte, sie lache mich aus: aber nein, denn meist ist es ein still seliges vor sich hin Sinnen und Lächeln, ein beneidenswertes, geheimes Glück verratend. Auf Mädchenlächeln aber, auf Mädchen überhaupt versteh' ich mich gar nicht, o Fürstin Adalperga!

Am Schluß der heutigen Stunde – jetzt eben – hörte ich etwas, das gewiß den Schlüssel des Geheimnisses birgt: leider verstand ich zu wenig davon. Fürstin Emma, die den Stunden beiwohnt – sie schreibt dabei gar eifrig an den Übersetzungen ins Latein, die ihr Freund Einhart aufgibt – flüsterte der Schwester beim Hinausgehen etwas zu – ich nahm gerade in der Ecke meinen schwarzen Mantel um, aber ein wenig hörte ich doch: – es war offenbar eine Mahnung, merksamer zu sein, ihre schriftliche Aufgabe fleißiger zu machen: da antwortete Rothtrudens metallische, glockenreine, aber auch glockentiefe Stimme: ›Ach was! Lerne du nur weiter bei deinem Einhart und kümmere dich nicht um mich. Du wirst doch nicht etwa glauben, daß ich jemals den Griechenprinzen nehme?‹ Und lachend schwebte sie hinaus. – Was soll das heißen? Den König, den ganzen Hof, mich zum besten haben?

Allgütiger Gott! Dank den Heiligen, daß sie mich unwürdig Werkzeug wählten, ein schändliches Verbrechen zu verhindern! Kaum hatte ich heut' in aller Frühe mein Morgengebet vollendet, als an mein schmales Kämmerlein gepocht wurde und herein trat zu meinem höchsten Staunen meine fürstliche Schülerin, ehrerbietig gefolgt von einem gar stattlichen, schönen Herrn: ich kannte ihn gut, es ist ihr Mariskalk, Graf Rorich von Maine, einer der prächtigsten von unsren – d. h. von des Königs! – Palatinen. Die Jungfrau hob an: ›Verzeiht, mein weiser Lehrer, den Verdruß, den Euch die ungelehrige Schülerin gemacht hat. Die Schule ist aus, denk' ich: zu ihrem, aber auch zu Eurem Heil, Sprecht, Graf von Maine.‹ Und den traf ein kurzer Blick, welchen wohl andres noch als Dank durchglühte, – soviel verstehe sogar ich von Mädchenblicken.

Der Graf neigte sich höfisch vor mir geringem Mönch und begann: ›Mein ganzer Dienst, all meine Treue und Sorge ist Fürstin Rothtrud geweiht und wird es bleiben mein Leben lang. Unleidlich war mir von je der Gedanke, die Herrliche dem falschen Byzanz anzuvertrauen, und einem – ich weiß es! – ungeliebten Mann. Mit Argwohn beobachtete ich von Anfang an die beiden Griechen, zumal Elisäus: mir fiel auf, daß sie, sowie ein weiterer Gesandter vom Kaiser eintraf, geheim tuschelten, sich Nachts heimlich besuchten und besprachen. Gestern nun – Ihr wißt es – kam wieder ein Bote aus Byzanz mit allerlei Schreiben – an den König, die Königin, Fürstin Rothtrud, – die offen übergeben wurden: es stand – wie gewöhnlich – nichts drin als griechischer Wind. Nach dem Nachtmahl sah ich Elisäus und Agathon durch den Palastgarten nach ihrem Hospitium schreiten, in eifrigstem Flüstergespräch, in hitziger Erregung offenbar: ich folgte ihnen leise: die mond- und sternenlose Nacht, das Dunkel der hohen Bäume verbarg mich, da hörte ich, – als Gesandter des Herrn in Byzanz hab' ich zwar nicht die Sprache schreiben oder sprechen, wohl aber ein wenig verstehen, auch etwas buchstabieren, gelernt, – wie der Alte zu dem Jungen sprach: er war des Weines voll, wankte im Gang und zitterte an den Händen: »Jetzt ist das Netz gespannt, alles verabredet! Drum gönnte ich mir ein paar Becher Falerner mehr denn heute erhielt ich, durch den Boten des Kaisers, von dem Protonotar die geheime Meldung, – hier im Gürtel barg ich sie« – er klopfte darauf – »schön Rothtrud ist schon so gut wie gefangen im Meerturm am Bosporus. Wehe diesen Barbaren!« Damit erschloß er die Haustür ihres Hospitiums: ich wollte herzuspringen, – ihn fassen: aber da sah ich in dem Licht, das aus dem geöffneten Gang strahlte, etwas Weißes auf die Erde gleiten: wie er den Schlüssel in der Gürteltasche suchte, war ihm das Schreiben herausgeglitten, so hoffte ich: und so war es. Ich raffte es auf, lief in den Hof des Palastes zurück, wo in dem Tor die Pechfackel brennt und las, – ach wollte lesen! Es waren zwar griechische Buchstaben, aber in einer Geheimschrift – von niemand zu entziffern,‹ schloß er seufzend.

›So fürchtete mein Freund,‹ fiel die Jungfrau rasch ein. ›Als er aber heut' in aller Frühe – er hat täglich mit mir auszureiten!‹ erklärte sie ein wenig errötend – ›'s ist sein Amt! – mir vom Roß herab die Rolle reichte, – da gedacht' ich, wie Ihr, gütevoller Lehrer, der Schülerin auch von jenen Geheimschriften der Griechen gesprochen, jenen, – wie heißen sie doch?‹ – »Formatae.«– ›Und wie Euer großer Lehrer – wie hieß er doch?‹ – »Flavianus!« – ›Jawohl, – Gott segne Flavianus! – Euch auch eine Anzahl solcher byzantinischer Geheimschriften entziffern gelehrt habe. Geben die Heiligen, daß diese darunter war!‹ Und sie zog aus dem Busen den zerknitterten Papyrus und reichte ihn mir mit zitternder Hand.