Die Bataver - Felix Dahn - E-Book

Die Bataver E-Book

Felix Dahn

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Beschreibung

Dies ist Band 7 der historischen Romane aus den Zeiten der Völkerwanderung. Dahns Popularität gründete vor allem auf den historischen Romanen, die sich in den Gründerjahren des Deutschen Reiches außerordentlicher Beliebtheit erfreuten.

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Die Bataver

Felix Dahn

Inhalt:

Felix Dahn – Biografie und Bibliografie

Die Bataver

Erstes Buch.

I.

II.

III.

IV.

V.

VI.

VII.

VIII.

IX.

X.

XI.

XII.

XIII.

XIV.

XV.

XVI.

XVII.

XVIII.

XIX.

XX.

XXI.

XXII.

XXIII.

Zweites Buch.

I.

II.

III.

IV.

V.

VI.

VII.

VIII.

IX.

X.

XI.

XII.

XIII.

XIV.

XV.

XVI.

XVII.

XVIII.

XIX.

XX.

XXI.

XXII.

XXIII.

XXIV.

XXV.

XXVI.

XXVII.

XXVIII.

Die Bataver, F. Dahn

Jazzybee Verlag Jürgen Beck

Loschberg 9

86450 Altenmünster

ISBN: 9783849608767

www.jazzybee-verlag.de

[email protected]

FelixDahn – Biografie und Bibliografie

Rechtsgelehrter, Geschichtsforscher und Dichter, geb. 9. Febr. 1834 in Hamburg als Sohn von D. 1) und dessen erster Gattin, Konstanze D. (gebornen Le Gay), studierte 1849 bis 1853 in München und Berlin Rechtswissenschaft, Philosophie und Geschichte und habilitierte sich 1857 in München als Dozent für deutsches Recht, wurde 1862 außerordentlicher Professor daselbst, 1863 ordentlicher Professor in Würzburg, 1869 korrespondierendes Mitglied der Akademie der Wissenschaften in München, 1872 Mitglied des Gelehrtenausschusses des Germanischen Museums in Nürnberg und ordentlicher Professor für deutsches Recht in Königsberg, von wo er 1888 an die Universität Breslau berufen wurde. 1885 ward er zum Geheimen Justizrat ernannt. Als juristischer Schriftsteller hat sich D. bekannt gemacht durch folgende Arbeiten: »Über die Wirkung der Klagverjährung bei Obligationen« (Münch. 1855), »Studien zur Geschichte der germanischen Gottesurteile« (das. 1857), »Das Kriegsrecht« (Würzb. 1870), »Handelsrechtliche Vorträge« (Leipz. 1875), »Deutsches Rechtsbuch« (Nördling. 1877), »Deutsches Privatrecht« (Leipz. 1878,1. Abt.), »Die Vernunft im Recht« (Berl. 1879), »Eine Lanze für Rumänien« (Leipz. 1883), »Die Landnot der Germanen« (das. 1889). Auch besorgte er die 3. Ausgabe von Bluntschlis »Deutschem Privatrecht« mit selbständiger Darstellung des Handels- und Wechselrechts (Münch. 1864). Von seinen geschichtlichen Arbeiten sind hervorzuheben: die Monographie »Prokopius von Cäsarea« (Berl. 1865) und das umfassend angelegte rechtsgeschichtliche Werk »Die Könige der Germanen« (Bd. 1–6, Münch. u. Würzb. 1861–71; Bd. 7–9, Leipz. 1894–1902), ferner: »Westgotische Studien« (Würzb. 1874); »Langobardische Studien« (Bd 1: Paulus Diakonus, 1. Abt., Leipz. 1876); »Die Alamannenschlacht bei Straßburg« (Braunschw. 1880); »Urgeschichte der germanischen und romanischen Völker« (Berl. 1881–90, 4 Bde.); »Geschichte der deutschen Urzeit« (als 1. Band der Deutschen Geschichte in der »Geschichte der europäischen Staaten«, Gotha 1883–88). Von Wietersheims »Geschichte der Völkerwanderung« bearbeitete D. die zweite Auflage (Leipz. 1880–81, 2 Bde.). Seine kleinen Schriften erschienen gesammelt u. d. T.: »Bausteine« (1.–6. Reihe, Berl. 1879–84). Sehr umfangreich ist auch Dahns belletristische Produktion, in der er zumeist altgermanische Stoffe mit modernem Leben verbrämt und eine entschieden nationale Gesinnung zur Schau trägt. Seine gründlichen historischen Studien kamen dem Dichter zu gute. Weitaus das beste dieser Werke war der erste historische Roman »Ein Kampf um Rom« (Leipz. 1876, 4 Bde.; 31. Aufl. 1901). Ihm folgten: »Kämpfende Herzen«, drei Erzählungen (Berl. 1878; 6. Aufl., Leipz. 1900); »Odhins Trost« (1880, 10. Aufl. 1901); »Kleine Romane aus der Völkerwanderung« (1882–1901, 13 Bde., und zwar: 1. »Felicitas«, 2. »Bissula«, 3. »Gelimer«, 4. »Die schlimmen Nonnen von Poitiers«, 5. »Fredigundis«, 6. »Attila«, 7. »Die Bataver«, 8. »Chlodovech«, 9. »Vom Chiemgau«, 10. »Ebroin«, 11. »Am Hofe Herrn Karls«, 12. »Stilicho«, 13. »Der Vater und die Söhne«, von denen die meisten in einer Reihe von Auflagen vorliegen); hierzu kommen: »Die Kreuzfahrer«, Erzählung aus dem 13. Jahrh. (1884, 2 Bde.; 8. Aufl. 1900); »Bis zum Tode getreu«, Erzählung aus der Zeit Karls d. Gr. (1887, 15. Aufl. 1901); »Was ist die Liebe?« (1887,6. Aufl. 1901); »Frigga's Ja« (1888, 2. Aufl. 1896); »Weltuntergang«,[419] geschichtliche Erzählung aus dem Jahre 1000 n. Chr. (1889); »Skirnir« (1889); »Odhins Rache« (1891, 4. Aufl. 1900); »Die Finnin« (1892); »Julian der Abtrünnige« (1894, 3 Bde.); »Sigwalt und Sigridh« (1898); »Herzog Ernst von Schwaben« (1902), sämtlich in Leipzig erschienen. Ferner schrieb D. die epischen Dichtungen: »Harald und Theano« (Berl. 1855; illustrierte Ausg., Leipz. 1885); »Sind Götter?. Die Halfred Sigskaldsaga« (Stuttg. 1874; 7. Aufl., Leipz. 1901); »Die Amalungen« (das. 1876); »Rolandin« (das. 1891). Seine dramatischen Werke sind: »Markgraf Rüdiger von Bechelaren« (Leipz. 1875); »König Roderich« (1875, u. Ausg. 1876); »Deutsche Treue« (1875,3. Aufl. 1899); »Sühne« (1879,2. Ausg. 1894); »Skaldenkunst« (1882), und die Lustspiele: »Die Staatskunst der Frau'n« (1877) und »Der Kurier nach Paris« (1883); endlich das Festspiel »Funfzig Jahre« (1962, sämtlich Leipzig). Auch verschiedene Operntexte hat D. verfaßt: »Harald und Theano« (Leipz. 1880, nach seiner epischen Dichtung); »Armin« (das. 1880, Musik von Heinrich Hofmann); »Der Fremdling« (das. 1880); »Der Schmied von Gretna-Green« (das. 1880). Desgleichen war D. als Lyriker rege tätig: auf seine »Gedichte« (Leipz. 1857; 2. durchgesehene Auflage u. d. T.: »Jugendgedichte«, das. 1892) folgten: »Gedichte, 2. Sammlung« (Stuttg. 1873, 2 Bde.; 3. Aufl., Leipz. 1883); dann: »Zwölf Balladen« (das. 1875); »Balladen und Lieder«, 3. Sammlung der »Gedichte« (das. 1878, 2. Aufl. 1896); 4. Sammlung, mit seiner Gattin Therese (das. 1892); 5. Sammlung (»Vaterland«, das. 1892); endlich eine »Auswahl des Verfassers« (das. 1900). Außerdem sind zu nennen Dahns Schriften: »Moltke als Erzieher« (5. Aufl., Bresl. 1894) und die sehr breiten »Erinnerungen« (Leipz. 1890–1895,4 Bücher in 5 Bänden). Seine »Sämtlichen Werke poetischen Inhalts« erschienen Leipzig 1898–1899 in 21 Bänden; neue Folge 1903ff. Mit seiner Gattin Therese (gebornen Freiin von Droste-Hülshoff, geb. 28. Mai 1845 in Münster) verfaßte er: »Walhall. Germanische Götter- und Heldensagen« (12. Aufl., Leipz. 1898). Von ihr allein erschien noch mit einer Einleitung des Gatten: »Kaiser Karl und seine Paladine. Sagen aus dem Karlingischen Kreise« (Leipz. 1887).

Die Bataver

Erstes Buch.

I.

Wo der Rheinstrom in zahlreichen Mündungen die Nordsee, – »das germanische Meer« – erreicht, da wohnten um die Mitte des ersten Jahrhunderts unserer Zeitrechnung, aus der heute noch nach ihnen benannten »batavischen« Insel und auf dem linken Ufer des Flusses die Bataver und, als ihre Nachbarn im Norden, auf dem rechten Ufer, die kleinere Völkerschaft der Kánnenefáien.

Beide, nahe verwandt, waren schon lange bevor Julius Cäsar in Gallien erschien, hier eingewandert.

Ursprünglich Gaue der Chatten – der heutigen Hessen – hatten sie die alten Sitze an Lahn und Fulda, die der rasch anwachsenden Volkszahl zu schmal gewordene Landmark, verlassen und waren allmählich – den Rhein hinab – weit nach Westen gezogen, hier neben den Galliern eine neue Heimat sich gründend. –

Nur gar wenig war in all' der Zeit der Urwald gerodet worden, lediglich soviel das Bedürfnis erheischte für die wenigen Dörfer und für die zahlreicheren einsamen Einzelhöfe, die aus dem Holz der gefällten riesenhaften Bäume kunstlos aufgezimmert wurden.

Allein stärker, eindringlicher noch als der Urwald verlieh der ganzen Gegend weithin das Eigenartige das Wasser: der Ursumpf.

Wo nicht die natürliche Schutzwehr der Dünen und die noch wenig häufigen Deiche die See abhielten, mischte diese, bei jeder Flut weit in das Land hinein rollend, überall ihr Salz mit dem Süßwasser des Stromes, der, auf seinem ganzen Lauf ungebändigt und ungeregelt, neben seinen drei Hauptarmen in gar vielen anderen, von Jahr zu Jahr – und in den Jahreszeiten – wechselnden Rinnsalen dem Schoße des Meeres zu trachtete.

Außer der großen, besonders also genannten »Insel der Bataver«, lagen daher noch gar viele mittlere und kleine Auen, Werder und Eilande von dunklem Schilf, von hellen Weiden umgrünt, aber auch von hohen Bäumen bestanden, zwischen den breiten Armen und den schmalen Adern des gewaltigen Stromes, der, damals noch unvergleichlich wasserreicher als heute, auch weit oberhalb seiner Mündungen gar oft aus seinem seebreiten Bette trat und die niemals völlig getrockneten meilenlangen Sümpfe aufs neue reichlicher mit seinem Überflusse tränkte.

Nur die ortvertrauten Landeskinder kannten einerseits die Watten, die Seichtstrecken, die Furten, auf welchen Mann, Roß oder Wagen, andererseits die Tiefstellen, auf welchen Kähne dies stets wechselnde Wirrsal von Meerwasser, Stromwasser, Sumpf, Düne und Wald sicher durchschreiten mochten.

II.

So lag denn auch der Hof Brinnos, eines Edelings der Kannenefaten, rings von Urwald und von Ursumpf umgeben.

Nur auf Pfeilschußweite von der im Viereck errichteten »Hofwere« – dem mannshohen Zaun von starken eingerammten und durch zähes Weidengeflecht wagrecht verbundenen Eichenpfählen – hatte man den Wald mit Feuer und Axt niedergelegt.

Zu dem auf allen Seiten hinter jener Lichtung ragenden Wald zogen sich bald zitternde Moorstrecken dahin, bald langgedehnte, flußähnliche Lachen, – sonder sichtbaren Ursprung und Abfluß –: bald glitzerten in den nur spärlich die ungeheueren Wipfelkronen der Eichen, Erlen und Ulmen durchbrechenden Sonnenstrahlen kreisrunde Tümpel von unheimlicher Undurchsichtigkeit des tiefschwarzen Moorwassers, das, völlig regungslos, bis in den Kern der Erde hinabzureichen schien.

An den einsamen Edelhof führte nur ein Zugang aus dem Walde – von Südosten – her: ein durch Steine, auch wohl gelegentlich durch Knüttel und Äste mehr angedeuteter als gefestigter Weg, durch das dichte Gestrüpp des Unterholzes gebrochen, nur notdürftig gesichert gegen den heimtückischen Sumpfgrund durch aufgeschütteten Sand, hier und da durch gestampften Lehm: aber gar oft mußte ein weiter Sprung über bebende – »bibbernde« – Moorheide hin gewagt werden, um wieder festen Boden zu gewinnen.

Nordöstlich, hinter dem Hof, zog sich ein schmaler Arm des Rheines hin. Unzählbare Wasservögel jeder Art, vom hohen Reiher mit königlichem Busch bis herab zum winzigen Moorhuhn, standen und schwammen in dem weit über mannshohen undurchdringbar dichten Schilf, in das ein schmaler Durchlaß für den Nachen geschnitten war. In dem Schlamm der Waldsümpfe lagen die Wildeber in Rudeln, oft aufgescheucht vom stampfenden Wisent, der in der trüben zähen Flut Schutz gegen die Sommerhitze und die Stechmücken suchte; auch des Elchhirsches hohe – wie vorzeitliche – Gestalt reckte wohl die breiten Schaufeln aus dem Röhricht. –

Vom Walde her gelangte man durch den mit Gras bewachsenen Hofraum an die Hauptthüre des Hauses: über ihr prangte oder dräute der mächtige, schwarz-zottige Kopf eines Auerstiers, auf dessen beiden ungeheueren Hörnern goldene, silberne, eherne Armreife aufgereiht waren: – erschlagenen Feinden abgestreifte Beute. Darüber war in den Querbalken der Thüre, weithin sichtbar, die Hausmarke eingeschnitten, ein Streithammer: das einen Fuß lange Zeichen, mit Mennig gefärbt, leuchtete grell rot.

Die Thüre führte unmittelbar in den Hauptraum des Gebäudes, die Halle: auch sie bildete, wie das ganze Gehöft, ein Viereck. An jeder Langseite zog sich eine Stellung von sechs Holzpfeilern hin, die, bunt bemalt, das Dach trugen.

Im Hintergrund, in der Mitte, erhob sich auf Stufen ein Gezimmer, mit geschnitzter Geländerbrüstung, der Hochsitz des Hausherrn: über den stattlichen Holzstuhl war ein mächtig Bärenfell gespreitet, daneben stand rechts und links je eine, ebenfalls mit Fellen bedeckte Bank für die vornehmsten Gäste: ein langer schmaler Tisch, reich mit Trinkhörnern und Bechern besetzt, war vor Stuhl und Bänke gerückt. Unterhalb des Hochsitzes, genau in der Mitte des ganzen Raumes, ragte der Herd, zugleich der Altar des Hauses, aufgeschichtet aus mächtigen Steinplatten. Der Rauch suchte sich durch die Luken des Dachgebälks einen Ausweg: aber er fand ihn nicht immer gleich, wie das tiefe Braun und Grauschwarz des verräucherten Gebälkes bezeugte.

Die zwölf Pfeiler und die Brüstung des Hochsitzes waren reich behangen und geschmückt mit Kriegswaffen und Weidgerät, sowie mit Beutestücken aus Kampf und Jagd.

Ein schwüler Sommerabend dunkelte bereits draußen im dichten Urwald: da waren in der Halle fünf Männer versammelt.

Auf dem Hochsitz ragte ein Riese von erheblich mehr als sechs Schuh. Das breite Haupt, den Stiernacken, umhüllte ihm dicht ganz kurzkrauses Haar von leuchtendem Rot: wie lodernd Feuer war's und prächtig anzuschauen. Ein mächtiger Bart von etwas hellerer Farbe reichte dem Hünen über das ebenfalls rote Wollenwams auf die Brust bis an den zwei Hände breiten, mit Eberhauern und runden Goldplatten reichgezierten Wehrgurt von Büffelleder. An den Gurt schlossen sich Kniehosen von stärkstem Segellinnen aus Hanf, oberhalb der Kniee mit Lederriemen gefestigt.

Das war – bis auf die über den Knöcheln kreuzweise geschnürten Bastschuhe – alle Bekleidung des Hausherrn: die Waden zeigten sich nackt, ebenso die gewaltigen Arme, an denen spiralförmig geschlungene Silberreife prangten. In dem Gürtel stak ein wuchtiger, kurz geschafteter Wurfhammer von schwerem, hartem Syenitstein.

Zur Linken des Riesen saßen zwei Männer, ebenfalls in germanischer Tracht, während der Gast auf der rechten Seite, – ein Mann von etwa fünfundvierzig Jahren – unter dem batavischen Kriegsmantel, den ihm auf der linken Schulter eine schöne etruskische Spange zusammenhielt, die römische Tunika trug.

»Das Mahl ist zu Ende,« – hob der im Hochsitz an. »Nun füllt nochmals den Becher und dann, – dann hört mich an. Reiche das Methorn herum, Sido. Wie? Leer? – Wo steckt mein Brüderlein? He, Brinnobrand, langer, was treibst du?«

Da schritt aus einem Verschlag im Hintergrund hervor ein Jüngling, so wunderschön, daß jedes Auge staunen mußte, das ihn zum erstenmal ersah.

Er war, obzwar etwa fünfzehn Jahre jünger denn der Hausherr, noch fast um eines halben Hauptes Länge größer als dieser, so daß er nahezu sieben Fuß maß. Während der ältere etwa vierzigjährige Bruder kraftgedrungene Formen zeigte, war der jüngere schlank, hoch aufgeschossen, der Edeltanne gleich. Das in langen Wellen leuchtende Gelock und der jugendliche Bart leuchteten in viel hellerem, dem Blond sich näherndem Rot. Das edelgebildete Antlitz war mädchenhaft weiß und wie von Rosafarbe behaucht, blendendweiß glänzten der Nacken und die Arme aus dem hellgrünen Gewand: aber der Ausdruck des blauen Auges – mit den so stark erweiterten Sternen – war seltsam: der Blick schien stets weit in die Ferne gerichtet.

Der Jüngling trug auf der Schulter einen mächtigen, fünf Schuh langen Lederschlauch.

»Was schleppst du daher, Brüderlein?« fragte der Hausherr; mitleidig musterte er den vortretenden.

»Wein! – Für Ihn! – Er trinkt nur Wein: – wie Wodan.« Und er winkte mit den treuherzigen kindlichen Augen dem Gast in der römischen Tunika, schwang mit einem Ruck den wuchtigen Schlauch von der Schulter als wär' er ein Spielzeug, und stellte ihn aufrecht; er wollte nun die Verschnürung oben mit seinem Langmesser durchschneiden, allein der Fremde wehrte schweigend ab. Da legte sich der Jüngling ihm zu Füßen auf den Boden und lehnte das Haupt an des Mannes Kniee.

»Die Knechte,« begann der Hofherr aufs neue, »dürfen nun nicht mehr eintreten und zuhören: – wir bedienen die Hörner selbst. Aber auch nicht horchen dürfen sie an den Thüren.« Er wollte sich erheben, nachzuforschen.

»Bleib! Horchen nicht!« sprach sein Bruder, ohne aufzusehen.

»Ei, der Knecht ist ein Schalk,« warnte der älteste der Gäste mit grauem Haar und friesischem Mantel.

»Können nicht horchen, Ulemer,« schmunzelte der junge Riese.

»Warum nicht, Bruder?« fragte der Hausherr.

»Einer hat sie aneinandergebunden: – Alle zehn! – Mit den Füßen. – Und hat sie draußen auf die Tenne alle nebeneinander hingelegt: den ersten und den letzten angepflockt. Können nicht aufstehen! Sind aber ganz zufrieden: Einer stellte ihnen den vollen Metkrug hin. – Rede nun, Bruder Brinno; Einer will hören. Aber Einer weiß schon, was kommt.« Und er machte die Bewegung des Schlagens, mächtig ausholend mit dem rechten Arm; dann lachte er und streckte die gewaltigen Glieder.

Voll Schmerzes ruhte der Blick des Bruders auf der herrlichen Gestalt: »auch das – auch ihn hat Rom ...!« grollte er leise. Er atmete tief und begann laut: »Ihr ahnt es wohl, Jagdgefährten, nicht nur um den Bären zu erlegen, hab' ich euch – zum Teil so weit her – in meinen Hof geladen. Es gilt anderem Weidwerk.«

»Der Wölfin gilt's, der reißenden,« rief grimmig der Friese, trank aus dem Wisenthorn und reichte es weiter. »Thu' Bescheid, Sido!«

Der Aufgeforderte war ein schöner Jüngling in Brinnobrands Alter, aber von kürzerem, mehr gedrungenem Wuchs; sein Haar, dunkler als das der anderen Germanen, war gegen den Wirbel hinaufgekämmt und oben zusammengeschnürt in einen auf den Hinterkopf herabfallenden Schopf; sein Wams aus kostbarem dunkelbraunem Otterfell war mit Gold benäht; auch seine Waffen, die an der Wand lehnten, trugen reichere Zier als die der übrigen; neben seinem Schwert hing an dem Pfeiler eine kleine dreieckige Harfe.

»Euch, ihr Friesen und Bataver,« begann Brinno wieder, »brauche ich nicht zu sagen, was ihr, was wir seit drei Menschenaltern für Rom gethan, von Rom erlitten. Aber du, Freund Sido, der du, unseren Gauen fremd, ein Ferngast, zu uns kamst, – du mußt es hören, mußt es daheim erzählen den Deinen. Denn nicht soll man sagen in den Höfen der Markomannen, leichthin, ohne Grund brechen wir hier am rinnenden Rhein Vertrag und Treue. Dir ist des Sanges Gabe verliehen: man rühmt deinen Harfenschlag, Königssohn: wohlan, ein grimmig Haßlied sollst du daheim singen von unsrer Treue und von der Römer Lohn. Und auch du« – hier wandte er sich unmutig zu dem Gast in der Tunika – »ich weiß: du widerstrebst mir noch immer! – auch du sollst, was du zwar genau kennst, beleuchtet sehen vom Blitze meines Zorns vor deinem klugen, aber allzulange grübelnden Auge, Chlogio, Chariovalds Sohn.«

»Meinst du mich?« erwiderte ablehnend der Angeredete, »du weißt doch: ich heiße Claudius Civilis.«

III.

»Schon als zuerst vor nun bald achtzig Wintern,« fuhr der Hofherr fort, »die Römer über den Rhein trachteten, die Germanen jenseit des Stromes zu unterwerfen, erkannten sie, daß sie da drüben keinen Schritt vorwärts thun konnten, blieben wir Links-Rheinischen, wie Bataver, Kannenefaten, Friesen, ihnen feind, ja, versagten wir ihnen auch nur unser Land und unsre Gewässer. Da traten sie denn an unsre Ahnen heran mit glatten Worten, mit reichen Geschenken: der Stiefsohn des Imperators, Drusus, nannte uns des römischen Volkes Freunde. Die Könige, die Edeln unsrer Gaue wurden eingeladen in die üppigen Städte Galliens, in die waffenblitzenden Lager der Legionen: sie teilten die Tafel des Kaisersohnes. Bald wurden sie nach Rom selbst entboten: – an ihren Fingern gleißte der Ring der romischen Ritter.« – Brinnobrand nickte und wies auf die Hand des Civilis. –

»Sie wurden mit goldenen Ketten geschmückt und – gefesselt! Gar manche von ihnen, durch den Reiz des Fremden bestrickt, heirateten gallische, italische Frauen, andere wurden von römischen Sippen als Wahlsöhne angenommen, wie dein Großvater, Chlogio, von den Claudiern. – Und kamen sie nun zurück aus den Sälen an dem gelben Tiber – dann waren sie verzaubert!

Es geht eine Rede unter unsern Völkern: »wer Rom sieht, stirbt oder wird römisch!«

Nicht nur die römische Tunika, – römische Gedanken hatten sie angenommen! Geblendet waren ihre waldgewohnten Augen von all' dem Glanz von Purpur, Marmor, Gold und Elfenbein. Und nun, geschult in der Kunst, die Worte überredend zu stellen, prangend in römischen Waffen, in römischem Schmuck schlugen sie, heimgekehrt zu den uralten Malstätten unter ragender Esche den schlichten ungefügen Männern in Bärenfell und Büffelhaut zur Annahme die Verträge vor, die zu Rom die schlauen Herrscher geschrieben hatten. Unsere thörichten Helden daheim verstanden gar nicht, sie zu deuten. Aber der Königssohn, der Edeling, der sie mitgebracht, empfahl ja so warm die Annahme! Er wies die Geschenke vor, die er vom Imperator für sich, seine Gefolgen, für die Weiber daheim von der Imperatrix erhalten hatte. Er meldete, wie, wenn wir nur wollten, gar bald die römischen Händler Wein und viel bessere Waffen denn die unsern, und kostbarere Gewande in das rauhe Sumpfland tragen würden, wie die Legionen selbst – für uns! – Straßen durch die Wälder bauen, Brücken über die Ströme schlagen, kunstvolle Gräben von Fluß zu Fluß ziehen wollten. Aber sie erzählten auch, wie schon jetzt auf dem Markt zu Rom, unter hochgewölbten Marmorbogen, auf eherner Tafel zwischen den Namen der Völker, die der Imperator aus seinen Verbündeten am höchsten ehre, auch der Name der Friesen und der Bataver prange.

Und sie riefen – und sie sprachen wahr dabei! – es gebe nicht Glanz, nicht Gut, nicht Lustgenuß auf Erden, den sich nicht ein tapfrer Mann im Dienste Roms gewinnen möge.

Und dabei standen umher, auf ihre Schilde vorgebeugt, und mit offnen Augen und Ohren, staunend und lauschend, die guten Thoren mit den Riesenleibern und den Herzen von Knaben. Sie betasteten des Redners römische Brünne, sie schlürften aus den mitgebrachten Krügen den feurigen Trank: – und zu Hunderten, zu Tausenden bald drängten sie sich in den Waffendienst des Imperators und all' unsere Gaue schlossen Verträge von Frieden und Freundschaft und Waffenbund mit Rom.

Und siehe da, es war und ward alles – im Anfang! – wie Rom versprochen. Die Legionen kamen in unsere Waldsümpfe, bauten Straßen, pfeilgerad, wölbten stolze Brücken, fällten die ungeheuren Eichen unserer Haine, schleppten Steine und Erde herbei, bauten befestigte Lager mit Graben und Wall und wir halfen eifrig mit, – gegen reiche Bezahlung – und als alles fertig war, siehe, da lag auf unsrem Land ein unabschüttelbares Netz, ein Joch von Stein und Erz.

Durch unser und der Friesen Land, von unsern Wegweisern geführt, drangen Drusus und dessen Nachfolger Jahr um Jahr über den Rhein gegen die noch freien Germanen. Für Rom haben gar oft unsere wasservertrauten, schwimmfrohen Jünglinge Weser und Elbe und die Flüsse auf der britannischen Insel durchschwommen.

Und als vor zwei Menschenaltern jener große Cherusker, von Wodans Geist beseelt, so viele Völker da drüben fortriß zu sieghafter Erhebung, als der erschrockne Imperator zu Rom im Geist dies Gallien schon überflutet, Italien bedroht sah, da, als den Welschen alles wankte: – da blieben wir getreu!

Und doch, Chlogio, war deine Mutter, die hohe Frau, die Schwester des Cheruskerhelden selbst! Aber dein Vater Chariovald und Donarbrand, mein Vater, hielten fest am Bundesvertrag mit Rom. Ja, als Germanicus kam, zu rächen Varus und die Legionen, da durchschwammen unsere Reitergeschwader die breite Weser, wo sie in reißendsten Wirbeln kreiselt, und dort fiel, von cheruskischen Wurfsperen, Chariovalda und unserer Edelinge Blüteschar. Fern in Britannien, im Sumpfe der Démĕten, liegt mein Vater: – er fiel für Rom, Und wenn Claudius Civilis das linke Auge fehlt ...«

»Auf daß er auch hierin Wodan gleiche,« fiel der Jüngling ein, zu Civilis emporblickend.

»So hat er es für Rom verloren durch einen Silurenpfeil.«

Civilis zuckte die Achseln. »Wir übten von jeher die Pflicht der Heldenschaft,« sprach er kurz.

»Und was übte Rom?« schrie Brinno wild. »Verrat und Treubruch! Wie an allen Völkern so an uns. Ja, im Anfang freilich, solange noch nicht fertig gewölbt war das Joch, – da hielten sie die Verträge. Aber jetzt – wie treiben sie es jetzt?

Nicht wie Verbündete, wie Knechte behandeln sie uns! Ihre Legaten, ihre Tribunen sättigen sich an uns des Raubes und, sind ihre himmelschreienden Frevel nicht mehr zu bemänteln, ziehen sie davon, abgelöst durch frische Plagegeister. Du seufzest, Chlogio, denn du kannst es nicht leugnen. Durch Vertrag steht die Zahl der Krieger fest, die wir zu stellen haben: aber sie haben in den letzten Jahren ausgehoben – mit Gewalt! – soviele sie nur auftreiben konnten. Und das Allerscheußlichste – man kann es nicht aussprechen vor der heiligen Flamme des Herdes! – unsere schönen Knaben, bevor sie waffenreif, führen sie davon in ihre Lager, ja bis nach Rom und verführen oder zwingen sie – den keuschen Göttern zum Entsetzen! – zu ihren scheußlichen Lastern. Und als Zeichen ihrer Herrschaft über uns – wie über die ganze Erde! – pflanzen sie überall, wohin sie dringen, ihre goldnen Adler auf, die so stolz und sicher auf ihrer Querstange ruhen, wie der Adler ihres Donnergottes neben dessen Thron. Wie ich sie hasse, diese Adler, die Götter der Legionen! Kaum halt' ich an mich, sehe ich sie daher schweben, der hochmütigen Gewaltherrn hochmütig Wahrzeichen. Ob ich wohl je im Leben einen solchen niederraffe mit dieser Hand? Dann wollt' ich gerne stracks damit nach Walhall fahren.

Es war von jeher unser Ruhm und Stolz, daß wir nur Heldendienst, nicht Schatzung, leisteten: sie erheben aber jetzt Tribut und Steuern von uns wie von den lange geknechteten Galliern, von unserem kargen Sumpfland wie von ihren reichsten Provinzen in Asia. Der Steuereinnehmer, der Pfänder, treibt dem Freimann das letzte Rind von der Weide und reißt der Frau den Bernsteinschmuck vom Busen. Wollen wir's noch länger dulden? Wollen wir wirklich Sklaven Roms werden wie Syrer und Juden?«

»Nein, wir wollen's nicht!« rief Ulemer, den Mantel zurückwerfend und alle stimmten ein: – bis auf Civilis.

Der Jüngling zu seinen Füßen sprang auf von der Stufe des Hochsitzes, auf welcher er gekauert. »Nein,« schrie er gellend, »Einer will's auch nicht! Tot schlägt er sie, alle! So!« Und er schmetterte einen dröhnenden Schlag auf den Estrich der Halle: so stark war der Streich, daß sich die Faust abdrückte in dem harten Lehm.

Erstaunt sah Sido auf den jungen Riesen mit den herrlichen Gliedern, dem schönen Antlitz und dem stieren, unheimlichen Blick. Brinno aber sprach voll Mitleids: »Ja, mein armer Bruder! Der Stolz unserer Sippe nicht nur, des ganzen Gaues! Auch ihn – auch ihn hat Rom vernichtet!«

»Wie das?« forschte der Gast mit teilnahmvollem Blick.

»Es ist rasch gesagt, das Scheußliche. Ein Weib – eine gallische Römerin, versteht sich! – ein Eheweib – und das wieder versteht sich bei Römerinnen! – entbrannte in Verlangen nach dem Jüngling, weiß wie Paltar, gliederstark wie Donar. Er wandte ihr den Rücken und schüttelte vor Ekel das trotzige Gelock. Da kaufte sie um schweres Geld von einem gallischen Zauberweib einen Liebestrank und goß ihn bei dem nächsten Mahl zu Xanten in seinen Wein. Wehe! Liebe konnte der Sud dem Keuschen nicht in das Blut zwingen: – aber er nahm ihm den Verstand. Schaum auf den Lippen, sprang er auf von den Tischen und tanzte grell lachend im Saal umher. Seit der Stunde ist er nicht mehr – wie er war. Oft redet er ganz irr. Aber freilich, du solltest ihn einmal hören – du harfender Held! – Harfe schlägt er, und Liedstäbe findet er noch so trefflich, – ja ergreifender denn je. Die greise Zauberin – nicht das Römerweib! – ergriff Reue über ihre That: als sie zu sterben kam, ließ sie mich rufen und gestand mir alles. Von ihrem Lager hinweg flog ich in die Villa des Statthalters: – denn seine Gattin war die Vergifterin: – ich hätte sie erwürgt mit dieser Hand: aber sie war Tags zuvor entflohen mit einem Gladiator.«

»Hieß sie nicht Lucretia?« fragte Sido. »Mir ist, ich hörte von ihr, als mich der Vater nach Rom schickte, die verzögerten Fahrgelder zu holen. Sie ward dort die Buhle eines Kaisers, dann seines Feldherrn ...«

»Hie ja, Lucretia!« lachte der Irre. »Sehr schön! Augen wie Kohlen, Haar wie die Nacht, wogende Brüste. Aber giftig wie die Tollkirsche. Einer mag sie nicht küssen. Wo ist sie – die blonde Göttin – mit dem Stern auf der Stirn?« schloß er verträumt, wieder wie suchend in die Ferne blickend.

Brinno nickte: »Jawohl. Sie ist die Schwester des schönsten Weibes in Gallien.«

»Also – wie mir alle Leute rühmen,« – sprach der Königssohn, »der Claudia Sacrata, der Gemahlin eines Druiden?«

»Der Druide,« lächelte Brinnobrand, »ist ein guter Mann. Er schenkte mir einmal einen persischen Apfel. Aber innen war er faul, – das heißt der Apfel.«

»Ergrimmt dich nun nicht, o Civilis,« fragte Ulemer, »dieser römische Frevel!« – »Hat der römische Staat ihn vergiftet?« erwiderte dieser kurz. – »Du meinst,« fuhr Brinno auf, »was nur mich, was nur die Meinen angeht ...« – »Nicht doch. Was, von einem Weib gefrevelt, einen einzelnen traf, darf nicht ...« – »Hei,« unterbrach ihn der Zornige und blies in den vollen Bart, »wärst du dieser einzelne, – du sprächst anders.« – »Nein, Brinno. Und du weißt das!« – »Ja, ich weiß es! Vergieb,« bat der Riese gutmütig. »Ich bin nun einmal ein –«

»Flammenkopf. Nicht umsonst heißt ihr von Geschlecht zu Geschlecht von Brennen und Brand und nicht umsonst ist euer Ahn der rote Donnergott« erwiderte Civilis mit einem Lächeln, das dem durchgeisteten Antlitz gut ließ, und drückte die dargereichte Hand des Freundes.

IV.

»Du kannst es nicht leugnen, Civilis,« begann Ulemer der Friese, »wir alle leiden seit lange schweres Unrecht von Rom.«

»Deshalb,« entgegnete dieser, »haben wir, nach Beschluß des letzten Alldings, Gesandte an den Imperator geschickt – darunter meinen Bruder – uns zu beklagen. Brinno hat uns viel geschadet durch unvorsichtige Worte, durch Drohungen. Man bezweifelt am Tiber unsere Treue, man besorgt einen Aufstand, man –«

»Man hat ein schlechtes Gewissen!« warf Brinnobrand plötzlich dazwischen mit einem Blick schärfster Einsicht. »Ganz wie Lucretia beim Festmahl! Als ich sie – nach dem Feuertrunk – rasch ansah ... sie konnte es nicht aushalten.«

»Wie klug er sprechen, denken kann! Nicht?« meinte Brinno und strich mit der Hand über das Gelock des Bruders, der herangetreten war, ihm das Horn vollzuschenken.

»Und deshalb,« rief Ulemer Civilis zu »hast du sogar deinen eigenen älteren Knaben als Geisel nach Rom geschickt – freiwillig!« – »Sehr edel und sehr thöricht,« schalt Brinno. – »Nicht thöricht. Denn ich werde Rom die Treue halten.« – »Immer?« – »Ja immer! Bis Rom – merke wohl, nicht ein Römer. – Rom uns die Treue bricht und die Verträge.« – »Sie sind aber schon gebrochen!« rief Brinno. »Von schlechten Beamten Roms, nicht von Rom! Deshalb ja habe ich – mit meinem Bruder – all' unsere Beschwerden zusammengestellt – viele Rollen hab' ich vollgeschrieben – und sie zusammen mit der Urschrift unserer alten Verträge nach Rom gesandt. Sobald man dort meine Worte gelesen, wird man uns zu unserem Rechte verhelfen.«

»Ich wünschte,« grollte Brinno, »man verwürfe deine Klagen ungelesen. Dann kommen wir doch los von Rom.«

»Und dann, kurzblickender Held, und dann?« sprach Civilis verweisend. »Schau' doch um dich! Blicke doch über den Rhein, auf unsere Vettern da drüben! »Barbaren« nennt der Römer sie mit Recht. Und dann schau' auf uns! Wenn unsere Hallen nicht mehr rohe Bretterhütten, unsere Gefäße nicht mehr aus handgekneteter Erde, unsere Mäntel nicht mehr Wolfsfelle, unsere Waffen nicht mehr weidengeflochtene Schilde und im Feuer gehärtete Stangen sind, wenn unsere Edelinge in der Sprache Roms schreiben ...«

»Und denken!« unterbrach Brinno, »Ja, leider! Ich aber verwünsche Marmorhalle und goldgriffig Schwert und Falerner. Schaue du um dich hier in dieser Halle: ist's hier nicht wohnlich? Und kein Stück römischer Arbeit siehst du! Denn das sind die Künste, mit welchen sie die Gallier zu dem gemacht haben, was sie sind. Freilich nicht mehr Barbaren! Aber noch viel weniger Römer: ein Gemisch von beiden, von gallischer Eitelkeit und römischer Üppigkeit, aber nicht von römischer Kraft und Zucht. Sollen auch wir ein solch' ekler Brei werden, weder echte Germanen noch echte Römer? Haben sich nicht auch in unser Volk schon eingefressen, wie römische Künste, so römische Ränke? Deine eigene Sippe ... doch ich schweige! Ich will dich nicht betrüben.«

»Verachte mir die Gallier nicht zu sehr, Brinno,« warnte Ulemer. »Gar volkreich sind ihre weiten Lande. Und feige – wahrlich – sind sie auch nicht! Viel können sie uns helfen, stehen sie zu uns. Sie sollen Großes planen.«

»Ja,« lächelte Civilis, »aber sie reden zu viel und zu laut davon, um es zu schaffen. Nein, Ulemer! Von allem, was Brinno gesagt, wiegt am schwersten, was er über die Gallier gesagt hat. Aber gerade dies Geschick – die Knechtung durch Verrömerung – das sollen ja die Verträge von uns abwehren, die heilig beschworenen. – Brinno hat recht: besser bleiben wie die Überrheiner als werden wie die Gallier: die schlechten Nachahmer und zugleich die Sklaven Roms. Gallien aber, o Freund Ulemer, wird nie mehr den Galliern gehören.«

»Was soll daraus werden?«

»Römisch wird es! Oder, wenn die Landnot, der wachsende Mangel an Ackerboden, die Unsrigen über den Rhein drängt, vielleicht einmal germanisch. Wenn wirklich jemals Rom uns unterjochen wollte wie diese Gallier, dann ...« Er stockte.

»Nun, was dann?« drängte Brinno.

»Dann, bei Arminius, der jetzt aus Walhall auf uns niederschaut!« – sein graues Auge loderte – »dann sollte Rom an mir einen Feind erleben, wie es keinen mehr bekämpft seit jenem Hannibal und eben seit Armin! Aber was ereifre ich mich! Mein Ohm, mein Vater, der Bruder und ich: – das Werk unseres Lebens haben wir gebaut auf Rom und eher fließt der Rhein zu Berg, als daß Rom das Vertrauen täuscht. Bald sind unsere Gesandten zurück und ...«

Da erscholl von draußen her wüster Lärm.

Man vernahm in der Halle vom Walde her auf der mit Knütteln belegten Straße den Hufschlag mehrerer eilend nahender Rosse. Hier und da klirrte eine Waffe. Jetzt hörte man deutlich rufen – in der Mundart der Bataver –: »Hilfe! Zu Hilfe, Brinno! Hilfe, Brinnobrand!«

Wirt und Gäste ergriffen die an die Wand gelehnten Speere oder rissen die Kurzschwerter aus den Wehrgehängen und stürmten aus der Halle durch den Vorderhof ins Freie hinaus.

Da sahen sie zunächst an dem etwas erhöhten Saum des Waldes zwei römische Reiter auftauchen: – afrikanische Bogenschützen waren's aus Numidien: sie stutzten und hielten die Gäule an, wie sie die Überzahl gewaffneter Männer aus dem Gehöft ihnen entgegeneilen sahen: doch bevor sie Kehrt machten und im Walde verschwanden, schossen sie noch ihre langen Bogen von den Hörnern der Antilope ab auf einen vor ihnen fliehenden Reiter, der in dem niedriger liegenden Vorland jetzt erst in den Gesichtskreis der Helfer trat: der Flüchtling trachtete offenbar, mit letzter Anstrengung seines keuchenden Tieres den Hofzaun zu erreichen.

Beide Schüsse trafen.

Roß und Reiter stürzten wenige Schritte vor dem Thor: je einer der armslangen Rohrpfeile hatte das Pferd durch die Mähne in den Hals, den Reiter zwischen die Schultern getroffen. Die Männer sprangen hinzu und zogen den Wunden unter dem heftig umherschlagenden Hengst hervor.

»Katwald! Wie? Du! Von Römern verfolgt?« fragte Civilis.

»Wer ist es?« forschte der Markomanne.

»Seines Bruders Schildträger,« erwiderte Brinno, während er, von Brinnobrand unterstützt, den Wankenden langsam in den Hof führte.

»Was ist mit meinem Bruder? Meinem Sohn?«

»Tot sind sie beide!« stöhnte der Verwundete. »Dein Bruder hingerichtet, dein Knabe – weh!«

»Bei allen Göttern!« rief Civilis. »Was ist mit Childerich?«

»Er hat sich selbst getötet, scheußlicher Gewalt zu entgehen.«

Da schrie der Vater laut auf, fuhr mit beiden Händen in sein ergrauend Haar und stürzte besinnungslos nieder auf das Antlitz.

V.

Geraume Zeit darauf saß Civilis – lange hatte seine Betäubung gewährt – in der Halle neben dem Schilflager des Wunden. Brinno hatte den Pfeil mit kundiger Hand herausgeschnitten, Brinnobrand den Erschöpften mit Wein und Speise gelabt, die andern Gäste standen in düstrem Schweigen umher.

Da hob Civilis an: seine Stimme war, wie der Ausdruck seiner Züge, stark verändert – er schien plötzlich um Jahre gealtert: ganz langsam sprach er, jedes Wort erwägend. »Katwald, vielgetreuer! Du sollst nicht reden. Nein! Schone dich! Nur mit dem Kopfe nicken! Ich will selbst – all' das Unglaubliche, was du vorher – vom Schmerz gequält, – aus den zusammengebissenen Zähnen hervorgestoßen hast – ich will es selbst – kurz – wiederholen; du nicke nur: »ja« oder schüttle, wenn ich falsch verstanden, den Kopf. Aber, o Katwald – ich beschwöre dich! – gieb genau acht! bejahe nichts, was nicht unzweifelhaft geschehen ist! Denn – beim Schwert Armins! – an deinem Kopfnicken hängt das Geschick eines Volkes – mehr als Eines Volkes! Ströme von Blut entfesselt ein Wort von dir oder hemmt sie. Du verstehst?«

»Ich verstehe,« stöhnte schmerzlich der Wunde.

»Auch ihr andern – hört auf jedes meiner Worte und achtet auf sein Ja oder Nein. – Also! – Ihr alle – mein Bruder, – mein Sohn, – die drei andern Edelinge – und das Gefolge, ihr gelangtet glücklich nach Rom. Ja? Ihr mußtet lange warten bis ihr einen Freigelassenen, – Nein? – Einen Sklaven also! – des Imperators Vitellius zu sprechen bekamt. Und ihr hattet doch gemeldet, Gesandte der Bataver seid ihr? Ja? Also das wußte man? Habt ihr auch den Imperator gemahnt, wer ihm die letzte, die blutige Mordschlacht – dort zu Bedriacum bei Cremona – wider jenen Otho gewonnen hat?

Endlich erhieltet ihr Gehör, aber nicht bei Vitellius selbst, bei seinem Bruder und dem Präfectus Prätorio. – Doch erst, nachdem ihr bei dem Gastfreund meines Bruders viele tausend Sesterzen aufgenommen, um die Thürhüter des Präfectus, ja um diesen selbst zu bestechen? Bei dieser Unterredung war auch noch zugegen ein Legat: – wie hieß er? O bitte. Mann, stirb nicht, ehe du mir diesen Namen noch einmal genannt!«

»Mummius Lupercus!« sprach der Wunde laut.

»Mummius Lupercus!« wiederholte Civilis grimmig, aber ganz leise. »Ich kenn' ihn.«

»Aus dem britannischen Feldzug,« rief Brinno. »Erinnerst du dich, Chlogio? Ein Lüstling, aber ein tapfrer Mann.«

Civilis nickte schweigend und fuhr fort: »Der Legat fand sofort Gefallen an meinem schönen Knaben. Er lobte dessen weiße Haut, dessen weiche Wangen. Er versprach Verwendung für unsere Sache bei dem Imperator. Er lud Childerich ein – ihn allein – zu gleichalterigen Gespielen – in seine Villa bei Tibur. Mein Sohn aber faßte Widerwillen gegen den Menschen. Er schlug es aus. Ihr wurdet entlassen. Wieder hattet ihr lange zu harren auf Bescheid. Endlich wurdet ihr alle in das Palatium abgeholt von einem Tribun mit gewaffnetem Ehrengeleit. Im Vorhof wurden die Gefolgen aufgehalten. Mein Bruder, mein Sohn, die drei andern Edelinge wurden vor den Imperator – vor den Imperator selbst! – geführt. Da waren der Legat und der Präfectus Prätorio. Und Vitellius der Imperator – nun gieb acht, Katwald! denn nicht meines Bruders, meines Knaben Blut – dieses ist das Ärgste! – Der Imperator selbst erklärte mit eignem Mund: alle Verträge mit uns hebe er auf. Barbaren seien wir, besiegte, also rechtlose Barbaren und hätten hinzunehmen, was immer Rom uns auferlege. Nicht?

Mich aber, den Verfasser jener frechen Schrift, die auf unser Recht poche – er zerriß sie dabei, nicht wahr? – mich hättet ihr in Ketten auszuliefern: mein Haupt müsse fallen: die Majestät des Imperiums habe ich beleidigt. Und als mein Bruder und die Edelinge zorngemut erklärten, jedes Wort in dieser Schrift sei auch ihr Wort, da befahl der Imperator – er selbst! – sie in Fesseln zu schlagen, in den Kerker zu werfen und auf den Tod anzuklagen vor dem Senat. Und so geschah's. Und sie sahen euch nur noch einmal wieder, als sie über den Hof geführt wurden – in Ketten. Mein Knabe aber ward als Geisel Mummius Lupercus – zur Bewachung! – übergeben. Er nahm ihn – von vielen Kriegern umschart, – mit in sein Stadthaus. Du jedoch, treuer Katwald, folgtest, von weitem dich nachschleichend, durch den Säulengang. Und bald darauf hörtest du sein Hilfegeschrei und – oh, oh« –

»Halt ein, Mann,« rief Brinno, »das kann kein Vater sprechen. – Und plötzlich ward in einem hohen turmgleichen Eckbau von innen ein Laden aufgerissen und herab stürzte sich auf das Pflaster des Marmorhofs der Knabe und zerschmetterte sich das schöne Haupt und sagte dir sterbend, das Scheusal habe ihm die Freiheit versprochen und goldene Schätze, wolle er teilen des Römers schändliche Laster und Childerich habe ihm in das Antlitz geschlagen: da habe der Wütende sich auf ihn gestürzt, er aber habe den Tod gewählt.«

»Mein Sohn, mein lieber Sohn!« stöhnte Civilis noch einmal. Dann richtete er sich rasch auf und fuhr fort: »Und von seiner Leiche hinweg bist du geflohen, deine Genossen wieder aufzusuchen und mit ihnen in die Heimat zu eilen. Da hast du schon meines Bruders und der drei andern Gesandten Häupter aufgepflanzt gesehen auf den Eisenzacken des tarpejanischen Kerkers. Und hast gesehen, wie die Henker die kopflosen Rümpfe an langen Haken in den Tiber schleiften und wie die römischen Dirnen ihren Scherz trieben mit den nackten Leichen und sie schamlos verstümmelten. Das alles hast du gesehen, scharf gesehen, Katwald? Schwör's bei den Göttern!«

»Ich schwör' es bei Wodan!« wiederholte der Wunde und hob matt die Schwurhand.

»Nun, Freund«, rief Brinno, losbrechend und den in dumpfen Schmerz Versinkenden an der Schulter rüttelnd, »um Blutrache wider Rom schreien zu dir Bruder und Sohn! Rufe die Bataver zum Kampf! Ist's noch nicht genug?«

»Nein,« erwiderte Civilis, sich langsam aufrichtend, »dafür ist es nicht genug. Das traf nur mich, mein Haus, verübt von einem Frevler und einem – vielleicht – wahnwitzigen Mann im Purpur des Imperators. Ich werde ihn suchen, diesen Lupercus. Ich werde in Rom Senat und Volk befragen, ob« –

»O teurer Herr,« unterbrach Katwald, »sie haben schon geantwortet. Ich habe ja noch nicht alles berichten können.«

»Was? ... Was noch weiter?«

»Als wir, in römische Mäntel gehüllt – der Gastfreund gab sie uns, auf daß wir leichter entkamen, – uns noch einmal auf den Platz vor den Kerker schlichen, die Häupter unserer Herrn zum letztenmal zu sehen, da drängte dort alles Volk durcheinander, erwartungsvoll. Und plötzlich schmetterte die Tuba und aus den Thüren des Palastes neben dem Kerker trat auf die oberste Stufe der breiten Marmortreppe ein Aufzug in Gold und Waffen gleißender Männer und ein Herold – oder so was dergleichen – verlas aus einer Rolle laut vor allem Volk: »der Senat von Rom hat beschlossen und der Imperator hat bestätigt, was hier – angesichts jener blutigen Häupter – verkündet wird dem Volk von Rom: null und nichtig sind die Verträge mit den Völkerschaften der Bataver und Kannenefaten, der Friesen, Sugámbern und Gugérnen. Durch kecke Auflehnung wider das Reich der Römer haben diese Barbaren jedes Recht verwirkt, nur durch unbedingte Unterwerfung unter die Gnade Roms können sie noch das Schicksal von ihrer aller Häuptern wenden, das diese vier getroffen, die, unter dem Anschein einer Gesandtschaft, die Empörung ihrer Völker zu vertreten gewagt. Sprich, Volk von Rom, bist du einverstanden mit Imperator und Senat?«

Da schrie alles Volk vom Knaben bis zum Greis: »So sei's! so sei's! Heil dem Imperator! Heil dem Senat! Wehe den Barbaren!«

Und wieder schmetterte die Tuba, der glänzende Aufzug verschwand, die Tausende aber um uns her sprangen und schrien und schlugen in die Hände. Hätten uns die Rasenden erkannt, – nicht lebend wären wir entronnen. Wir flohen glücklich aus der Stadt und gelangten unversehrt in die Heimat. Aber es scheint, ein Befehl, uns aufzufangen, war uns vorausgeeilt: vor wenigen Stunden hielt uns an der Brücke über die Nabália ein Geschwader numidischer Reiter an und der Führer fragte uns aus, woher und wohin? Nach unsern ersten Antworten winkte er den Seinen, uns zu greifen: wir stoben auseinander. Was aus meinen Gefährten ward, – ich weiß es nicht. Mir setzten zwei der Reiter nach bis – bis hierher.«

Erschöpft verstummte der Mann und sank zurück auf das Lager.

»Er mag von Glück sagen,« flüsterte Brinno, »sie waren vom zweiten Geschwader, mit den roten Helmbüschen.« »Was meinst du?« fragte Sido – »Die vom ersten – mit den schwarzen Roßschweifen – führen Pfeile, die unfehlbar töten, ob auch langsam, sobald sie nur die Haut geritzt.«

Civilis aber sprang nun auf: düstere Glut barg sein Auge. Er streifte vom Finger einen goldenen Ring, – nur widerstrebend wich dieser von der altgewohnten Stätte – legte ihn auf den Herdstein, nahm Brinnos Hammer, den der an den Pfeiler gehängt, herab und schmetterte mit Einem Streich den Ring in viele Stücklein.

»Was that er? Was bedeutet ...?« fragte der Suebe. – »Es war der Ring der römischen Ritter,« erwiderte Ulemer, »der Imperator Claudius hat ihm denselben angesteckt.« – »Ja, nach unserm Sieg über die Siluren,« ergänzte Katwald, sich auf den Ellbogen stützend. – »Heil uns,« jubelte Brinno, »Nun ist er endlich unser. Jetzt, Gott Donar, reiß' ihn vorwärts.«

»Noch nicht Donar,« sprach Civilis heiser, tonlos, verhalten. »Erst beim Losbruch. Jetzt – noch lange! – leite mich ein anderer. Jahre-, jahrzehntelange Verblendung, – ich mache sie gut. Ich schwör' es! Ich lasse wachsen Bart und Haar, bis – bis ich ein stummes Gelübde erfüllt. Du aber, Gott der gerechtesten, weil der widervergeltenden Arglist, durchhauche mich mit einem Atem deines Geistes, du – Wodan von Walhall!«

VI.

Wo im grünen Lande der Brukterer die Lippe unter tiefsten Urwaldschatten murmelnd dahinrauscht, da stieg, nahe dem linken, dem südlichen Ufer in schwindelnde Höhe eine uralte, riesige Esche.

Die trug, im Kreis um den Stamm gefügt, ein gar seltsam, ein geheimnisvoll Gezimmer. Erst fünfzehn Fuß von der Erde – bis dahinauf waren die Äste beseitigt, – begann der luftige Verschlag, in zwei Stockwerke gegliedert. Wagrecht über die Seitenäste hin in dieser Bodenhöhe waren rings um den mächtigen Stamm, den fünf Männer nicht umklaftern mochten, dünne Bretter gelegt und gefestigt: sie bildeten den Fußboden des ersten geräumigeren Geschosses.

Fünfzehn Fuß über dem Boden dieses untersten Stockwerks war in gleicher Weise ein zweites, schmaleres, nicht so weit von dem Stamm herausragend angebracht, in das man von dem ersten auf einer leichten Leiter hinaufstieg: die Öffnung in dem Boden des zweiten, auf der Ostseite des Stammes, durch eine Drehscheibe schließbar, verstattete das Hindurchschlüpfen nur einer schlanken Gestalt.

Fünfzehn Fuß über dem Boden des zweiten Geschosses senkte sich das Dach, dicht an den Stamm gezimmert, nach Nord, Süd und West steil schräg ab, über das untere Stockwerk vorspringend, den Regen außerhalb desselben ablaufen zu lassen.

Noch weit über das Dach ragte der Wipfel des mächtigen Baumes in die Wolkenhöhe: unsichtbar verlor er sich hier: denn die Gipfeläste der niedrigeren Nachbarn schlossen ihn von dem Blicke des am Fuße Stehenden ab: nur der Adler, die ziehenden Wolken und die wandernden Sterne schauten des Baumes geheimnisumrauschtes Haupt.

Aber auch in die beiden Stockwerke drang – unverstattet – kein Blick. Dichtes Segeltuch, dunkelgelb und dunkelrot in dem ersten, lichtgrün und dunkelgrün in dem zweiten Geschoß, an Schnüren an den Ästen hinlaufend und leicht zu- oder aufzuziehen, verhüllte das Innere oder ließ, nach Wunsch zurückgeschlagen, Luft und Licht einfluten.

Der Aufstieg zu dem unteren Gezimmer mochte auch nur durch die von oben herabgelassene Leiter geschehen: war diese aufgezogen, konnte der nicht zu umklafternde und ästelose Stamm nicht erklettert werden.

So bildete der mächtige Baum nicht nur eine luftige Wohnstätte, auch eine Burg, deren Bewohner wider deren Willen nicht zugänglich waren.