Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Nach Lavater hat Alles im Leben eine Physiognomie. Für diese Ansicht bürgte selbst ein Etwas, dem sonst das wohl gerade nicht nachgesagt werden kann, das man im gewöhnlichen Erdendasein unter Physiognomie zu verstehen pflegt. — Es war ein Klingelzug! …… Laut, hart, gewissermaßen herausfordernd, durchtönte er in der Frühe eines Pfingstmorgens den eleganten Vorsaal eines erhöhten Parterre, wo es trotz des Sonn- und Feiertages gar wenig sabbathlich aussah.
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 216
Veröffentlichungsjahr: 2025
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Am Scheidewege.
Novellen
von
Luise Ernesti
I.
Nach Lavater hat Alles im Leben eine Physiognomie. Für diese Ansicht bürgte selbst ein Etwas, dem sonst das wohl gerade nicht nachgesagt werden kann, das man im gewöhnlichen Erdendasein unter Physiognomie zu verstehen pflegt. — Es war ein Klingelzug! …… Laut, hart, gewissermaßen herausfordernd, durchtönte er in der Frühe eines Pfingstmorgens den eleganten Vorsaal eines erhöhten Parterre, wo es trotz des Sonn- und Feiertages gar wenig sabbathlich aussah. Da standen auf Marmorconsolen und kleinen Tischen, auf dem Fenstersimse und am Fußboden, die beaux restes eines exquisiten Mahles: Braten, Pasteten, Kuchen, Crêmes, zwischen halbgefüllten Champagnerflaschen in Eiskübeln, zwischen hellgeschliffenen Krystallcaraffen, Pocalen und Gläsern mit den letzten Tropfen Château Lafitte oder echten Johannisberger; da lagen auf einem Stuhle die diversen Kleidungsstücke, welche den Anzug eines jungen Kriegers der Jetztzeit bilden; und inmitten dieses Chaos von Sachen und Dingen befand sich ein junger Soldat, der eifrig beschäftigt war, an äußerster Kante der einen Console, wo er nothdürftig Raum erobert, Kaffee zu brauen, dessen Aroma bereits die Luft durchzog.
Bei dem plötzlichen, dem Anschein nach sehr unvermuthet ertönenden Klingelzuge nahm das ehrliche und gutmüthige Gesicht des Soldaten einen Ausdruck höchsten Entsetzens an und er ließ in seinem so sichtbar zu Tage tretenden Schreck den Kessel mit dem siedenden Wasser fallen, den er gerade in der Hand hielt und welcher sich zu seinem jähen Sturz auf die Erde noch die silberne Kaffeekanne und herrliche Mundtasse als Gesellschafter mitnahm. Klirrend — polternd schlug Alles zu Boden; … erstarrt, wie gelähmt stand der junge Bursche da! … Ja, es war unverkennbar, dieser Klingelzug, der nach Lavater eine Physiognomie besaß, hatte eine sehr unangenehme. Unmöglich konnte sonst der Soldat so verstört aussehen, so völlig fassungslos den Klöppel der Klingel betrachten, der, sich mehr und mehr beschwichtigend, nun so langsam hin- und herschwankte, als schüttle er äußerst bedenklich das Haupt ob jener Physiognomie, die man ihm gegeben.
Viel Zeit blieb dem Soldaten nicht zur Beobachtung — zum Nachdenken. Kaum strömte die heiße Fluth des Kessels über den Rest einer Makronentorte dahin — kaum lagen die Scherben der Tasse am Boden, zwischen denen die dicke silberne Kanne schwerfällig nach rechts und links kollerte — in einzelnen starken Schlußaccorden den großen Spectakel beendend — da öffnete sich auch schon, eben so plötzlich wie es geklingelt hatte, eine Thür neben dem entsetzten Soldaten, und in ihren Rahmen erschien eine jugendlich schlanke Männergestalt in eleganter Morgenkleidung, mit einem Antlitz, das nur zu deutlich auf ein moralisches Ungewitter schließen ließ. Ein Griff — ein Ruck von seiner starken Hand, und er hatte den entsetzten Soldaten zu sich in die Stube gezogen, eine Uebersiedlung, die diesem keineswegs zur Wiedererlangung seiner Ruhe und Fassung verhalf. So leise, wie der Herr die Thür geöffnet hatte, schloß er sie auch wieder, und leise — jedoch mit einer Stimme, die einzig Aufregung und Zorn. derartig erstickten fragte er:
»Tölpel, gebot ich Dir nicht, Dich stille, ganz stille zu verhalten?«
»Zu Befehl, Herr Lieutenant!« stotterte der Soldat.
»Und doch machst Du solchen Höllenlärm, gerade in dem Augenblicke, wo er klingelt?«
»Er? — Ach, um Gott, Graf Lothar, Sie glauben also auch, daß Er es ist?«
»Nun, zum Teufel, wer Anderes als Der, der heute das Geld zu fordern hat und ein so unverschämter Gläubiger ist, wird so zu klingeln wagen?«
»Das dachte ich auch — und der Schreck, daß er jetzt, in so früher Morgenstunde, schon kommt und da ist … o, einzig bei dem Gedanken fiel mir der Kessel aus den Händen.«
Die Miene des jungen Soldaten war so kläglich, daß sein Herr bei dem Anblick in lautes Lachen ausbrach — immer herzlicher lachte, als es draußen von Neuem und sehr stark klingelte, und der Bursche, bei diesem Ton erzitternd, sich auf den nahestehenden Stuhl setzte — den Kopf neigend — die Hände über dem Knie faltend, verzweifelnd ausrief: »Ja er ist’s — er ist’s — nur Mirzemaier läutet so!«
»Gewiß ist er es!« bestätigte der Officier im heitersten Tone, und all’ sein Zorn auf den Burschen schien wie mit Blitzesschlag verschwunden zu sein. Mit bestem Humor in Stimme und Antlitz — mit einem Humor, der seiner innersten Natur sehr eigenthümlich sein mußte, um in einer anscheinend so üblen Situation so schnell wieder hervorbrechen zu können, setzte er hinzu: »Nach Deinem Donnergepolter mit Kaffeekessel und Kanne, da wird es nun nichts sein mit unserm »Nicht zu Hause.« Jetzt gilt es, einen andern Ausweg zu finden, Friedrich! — Besinne Dich, was Du ihm sagen willst.
»Ich?« Der Soldat schnellte vom Stuhl empor und sah voll Angst auf seinen Herrn.
»Ja, Friedrich, Du! — Du hast es zu verhindern! daß Mirzemaier mich weder hier im Hause sieht, noch spricht, bis der Brief, bis die Hilfe aus Altenzell da ist. Auf der Straße will ich mich schon vor ihm hüten.«
»Ach, Graf Lothar — Sie kennen Mirzemaier — der ist nicht für’s Verhindern. Er ist zu klug und schlau.«
»Nun, Friedrich, Du bist doch auch nicht immer auf den Kopf gefallen.«
Das Compliment, das hiermit dem Soldaten gemacht war, blieb wirkungslos — die Freude darüber ging auch möglicherweise in dem Sturmgeläut unter, das die Klingel vollbrachte. Der Soldat stand geradezu vernichtet; er sah so dumm, so betroffen in seiner Angst aus, daß, hätte sein Herr ihn angeblickt, er sicher von dieser Physiognomie keine gründliche Rettung erwartet — kaum flüchtigsten Schutz erhofft hätte. … Der Officier sah aber den Soldaten nicht an. Das Klingeln schien ihm die Laune zu verderben, er ging mit stürmischen Schritten in seinem eleganten Schlafzimmer auf und nieder, stieß im Vorübergehen die hohen Flügelthüren auf, die zu dem anstoßenden Gemach führten, und man gewann dadurch Einblick in die Räume, welche ihm zur Wohnung dienten: ein weiter Salon, ein kleines Arbeitszimmer, ein Speisesaal, dann noch ein Saal, in dem ein schönes Billard stand. — Die ganze Ausstattung der verschiedenen Räume entsprach der Wohnung selbst, die war in Hinsicht der Lage und des Baustyls sicher eine der schönsten Potsdams. Wie wenig harmonirte aber mit dem schönen Bilde des Comfort und Behagens jener ungestüme Gläubiger an der Eingangspforte des kleinen häuslichen Paradieses!
»Friedrich, der Halunke hat sicher geahnt, daß ich mich heute mit einer Landpartie herauszureden gedachte.«
»Zu Befehl, Herr Lieutenant!« entgegnete Friedrich ruhiger. Er schien Fassung und militärische Haltung während der Promenade seines Herrn wiedergewonnen zu haben.
»Sicher patrouillirte er auch schon lange in der Straße auf und ab — möglicherweise ist er in der Nähe des Hauses seit dem Morgengrauen des Tages, den er mir als ›letzte Frist‹ gegeben hat. Meinst Du nicht, Friedrich?«
»Zu Befehl, Herr Lieutenant.«
»Hol’ Dich der Kukuk mit Deinem ›zu Befehl.‹ Rede, sprich, was willst Du thun — wir haben keine Zeit zu verlieren.«
»Ach, Herr Lieutenant — lieber, bester Graf Lothar, Sie machen doch wohl nur einen Ihrer ewigen Scherze, daß ich etwas gegen Abraham Mirzemaier ausrichten soll und könnte.«
»Nein, wahrlich, Friedrich, ich rede im vollkommenen Ernste. Nebenbei bist Du schuld, daß jene Ausflucht mit der Landpartie verunglückte; Du also hast für Anderes zu sorgen und mußt Genügendes auffinden: Mirzemaier baldmöglichst aus dem Hause zu bringen, damit auch ich hinaus kann.«
»Gott im Himmel!« rief der Soldat verzweifelnd, um nach kurzer Pause kläglich beizufügen: »O, sprach ich doch gestern! — o hätte ich doch gestern geredet, dann war sicher heute Alles gut, und —«
Friedrich stockte. Er schien zu bereuen, so viel gesagt zu haben, zog in höchster Verlegenheit sein kleines Taschentuch hervor, wischte sich die Schweißtropfen von der Stirn, sah seinen Herrn mit unverkennbarer Angst an, preßte endlich dies blau und weiß gewürfelte Tuch wie einen Ball zusammen und sprach in flehendem Tone: »Ach, Herr Lieutenant, verzeihen Sie, bedenken Sie, wir waren Jugendfreunde — entschuldigen Sie, ich meine Spielkameraden — das heißt, Sie, der junge Herr Graf, hatten die Güte, mit mir, dem armen Bauernknaben, zuweilen zu spielen, wenn Sie auf dem Schlosse Ihres Herrn Onkels zum Besuch waren, und darum —«
Der Officier, der staunend den Soldaten in seiner Angst betrachtet hatte, rief ungeduldig:
»Mensch, so komme doch nur endlich zur Besinnung! — thust Du doch gerade, als pflegte ich Dir zehnmal am Tage den Kopf abzureißen. Was that ich Dir, das diese Angst vor mir rechtfertigt?«
»Nichts — gar nichts — ich bin nur zu unverschämt gewesen, davon zu sprechen, was ich gestern dachte, und das mich ja gar nichts angeht.«
»Was war’s? — ein Ausweg — eine Rettung?«
»Ja, ganz gewiß — jedoch —«
»Nun, ich muß sagen, Dir hat der Mirzemaier allen Verstand genommen. So rede doch. Dir war doch noch nie die Zunge angewachsen, und so dumm Du oft aussiehst, so gescheidt hast Du schon mitunter gehandelt. — Sagte ich Dir auch vor einigen Tagen, Du schienst nicht vergessen zu können, daß die alten Zeiten dahin — daß wir nicht mehr in Altenzells Wäldern wären und die Eichkätzchen jagten — daß ich jetzt Dein Herr und Vorgesetzter sei, und Du nur das Losungswort hättest: ›zu Befehl‹ — — Du weißt darum doch, wie die Strafpredigt gemeint war. Ich erinnere Dich nur an vorhin, wie lustig Du da warst, und wie Du meintest, es sei heute Pfingsten, und da müsse man fröhlich sein. Rede also ruhig von Allem.«
Die Festesfreude schien dem jungen Soldaten keine übermäßige mehr zu sein und alle freundlichen Worte keine feste Brücke. Trübselig und gedrückt sagte er: »Ach, gestern hätte ich sprechen müssen — gestern, als Sie das viele Geld ausgaben, denn da dachte ich —«
»Gestern gab ich viel Geld aus? — Wann wo sahst Du das …«
»Verzeihen Sie, gesehen habe ich’s nicht, aber Sie hatten es doch.«
»Ich? — Mensch, Du bist von Sinnen, ich habe seit länger denn acht Tagen keinen Groschen.«
»Keinen Groschen? — Zu Befehl, Herr Lieutenant, aber sehen Sie, Herr Lieutenant, als Sie mich gestern in’s Hôtel schickten, das Souper für achtzehn Personen zu bestellen, à Couvert einen Friedrichsd’or, da trugen Sie mir doch auf, zu sagen, Sie würden am Mittag die Sache berichtigen. Bezahlten Sie nun gestern Mittag das Geld, da hatten Sie es doch, und als ich den Wein holte, riefen Sie mir ganz gewiß die Worte nach: ›Du hast nur das Bestellte zu fordern, ich habe schon Alles in Ordnung gebracht.‹ — Und dieser viele Wein und dieser schöne Wein — o, der kostete sicher zehnmal so viel wie das Essen, denn, mein Himmel, welchen Durst hatten all’ die Herren. — Meinen Sie nicht, Graf Lothar, das Geld reichte für Herrn Abraham?«
Ein warmes Roth überströmte flüchtig das hübsche Gesicht des jungen Officiers, dann rief er lachend, wenn auch mit gewisser Verlegenheit lachend: »Nein, Friedrich wie hoch das kleine heitere Fest auch kommen mag, der Betrag hätte — sei es fest versichert, für Mirzemaier, für dieses Wucherers Anspruch, nicht auf die Frist von vierundzwanzig Stunden gereicht. — Der läßt sich seine Geduld ganz anders bezahlen. Uebrigens beruhige Dich, die ganze Geschichte ist auf Credit genommen, und wann der Mittag anbricht, wann ich bezahle, das mag Gott wissen.«
»Wie — was? — Um Gott, Herr Graf, Sie machten neue Schulden zu Ihren alten?«
»Zu Befehl, Herr Friedrich!« parodirte der Officier.
Friedrich traten Thränen in die Augen.
»Mensch, bist Du von Sinnen — zu weinen! um Mirzemaier zu weinen!«
»Um Mirzemaier! — —« Friedrich schien empört über die Annahme und setzte gedrückt hinzu: »Ich weine um Ihnen, Herr Lieutenant.«
»Ein schönes Bekenntniß! — Die Thränen kannst Du auch sparen.«
»Ich bin schon fertig. Die reine Angst erpreßte sie mir, als ich eben dachte —«
»Was? — So stocke doch nicht ewig. Uebrigens, Friedrich, Mirzemaier scheint fort zu sein; er klingelt nicht mehr.«
»Fort? — Das glaube ich nicht, er wird auf der Straße patrouilliren, um Sie möglicherweise am Fenster zu entdecken. Schließen wir lieber die Thür, die nach den vorderen Stuben führt — hier in den Hof kann er nicht, von wo aus er am leichtesten in Ihre Stube zu blicken vermöchte; die Hofthür ist abgeschlossen.«
Der Officier, der nur mehr zerstreut den Burschen anhörte, fragte lebhaft: »Wie oft schrieb ich doch nach Altenzell an den Onkel um dies Geld?«
»Dreimal, Herr Lieutenant … und, sehen Sie, daran dachte ich eben, als Sie von neuen Schulden — von neuen Ausgaben wollte ich sagen — sprachen.«
»Dreimal? — Ja, ich glaube Du hast Recht.«
»Und als der Herr Graf von Altenzell das letzte Mal schrieb, ermahnte er Sie dringend, keine Schulden mehr zu machen.«
»Das war aber schon geschehen, und namentlich hatte ich im Spiel so viel unterdessen verloren. Die Mahnung kam zu spät. Wann schrieb der Onkel?«
»Nach Neujahr, Herr Lieutenant.«
»Seitdem kein Brief und jetzt auch nicht das Geld! — Friedrich, er war ganz sicher krank — ist jetzt am Ende todt.«
»Der gnädige Herr von Altenzell krank — todt? — O nein, der ist stets gesund wie ein Fisch.«
»Nun, Fische sterben auch. Schrieb er nicht von Rheumatismus?«
»Nein, von Schnupfen.«
»Es ist aber gewiß sein alter Gichtanfall dazugetreten — und wenn die Gicht zum Herzen dringt —«
»Ich bitte Sie, Graf Lothar, denken Sie nicht an seinen Tod — rechnen Sie nicht auf solchen Glücksfall.«
»Glücksfall? — Der Tod des lieben, guten Onkels ein Glücksfall, und ich darauf rechnen! — Allmächtiger Gott, wie kannst Du so reden, da Du am besten weißt, wie ich diesen stillen, sanften Onkel liebe. — Ich will wahrlich seinen Tod nicht — für mich kann er noch hundert Jahre leben! — Ich will nur ein wenig von seinem Gelde, das ihm ja doch nichts nützt und von dem er so viel hat, daß die Leute sagen, er könnt’s mit Scheffeln messen. — Und zu dem Vermögen weder Kind noch Kegel! — Ich, der einzige von den Verwandten, mit dem er auf gutem Fuße steht.«
»Wissen Sie Letzteres ganz bestimmt? — Ich kann mich nämlich des Gedankens nicht entschlagen, daß der Herr in Altenzell hier mit seinem Bruder, dem Herrn Präsidenten, ausgesöhnt ist, und der Onkel Sie — Sie bei ihm verklagte wegen … wegen … nun, Sie wissen, der Herr Präsident hält Sie nicht für sparsam.
Der Officier lachte laut auf und entgegnete fröhlich: »Nein, sogar für einen Verschwender. Ich aber sagte ihm noch vorgestern, zu was ich denn der Liebling des reichen Onkels wäre, und ob er glaube, meine Schulden wären nicht Bagatelle gegen seine enormen Revenuen?«
»Das sagten Sie ihm? Wann?«
»Vorgestern! Nein, nein, vor acht Tagen war’s.«
»Und vor acht Tagen sah ich im Hause des Präsidenten in den Händen der Magd einen Brief adressirt an den Grafen Curt von Limbach auf Schloß Altenzell. Ich warnte Sie schon früher — Sie stritten stets dagegen.«
»Unmöglich, Friedrich. Der Onkel hier sprach noch vorgestern mit tiefer Bekümmerniß von der Feindschaft, die Onkel Curt in Altenzell seit Jahren gegen ihn gehegt!«
»Verstellung, Lüge! — Der Mann ist falsch wie Galgenholz, und —«
»Friedrich! — Es ist mein Onkel — ein Mann, der stets freundlich gegen mich ist — mich wie ein Vater liebt.«
»So sagt er. — Er haßt Sie aber sicher seit dem Tage, wo Sie das erste freundliche Wort von Altenzell erhielten, und wie haßte er Sie wohl erst, seitdem er Geld sandte.«
»Du bist nicht recht gescheid! — Du kannst den Onkel Präsidenten nicht leiden, weil er Dich einmal einen unverschämten Schlingel genannt hat.«
»Und das war an dem Tage, wo ich zum ersten Male sah, daß er nach Altenzell geschrieben hat geschrieben über Sie … O, ich sah es wohl, als ich neben seinem Schreibtisch stand — und —«
»Friedrich, laß die Dummheiten, die Verleumdungen.«
»Herr Lieutenant, sagte Ihnen je Jemand, warum der Präsident und Ihr verstorbener Vater mit seinem Bruder in Altenzell sich verfeindet hatten?«
»Ja! wegen eines Gerüchts — eines dummen Gerüchts, das sich als Märchen herausgestellt hat. Jemand glaubte den Onkel in Altenzell unter seinem Stande verheiratet, und sie waren thöricht genug, darauf zu hören, noch dümmer, den Bruder darnach zu fragen. — Das nahm der alte Herr übel.«
»Das allein?«
»Nun, ich dächte, es wäre Beleidigung genug, zu glauben, er sei der Ehrlosigkeit fähig, Weib und Kind nicht öffentlich anzuerkennen. Der Onkel und mein Vater sprachen übrigens nie anders davon, als sei es ein Märchen.«
Friedrichs ehrliches Gesicht nahm einen so pfiffigen Ausdruck an, daß sein Herr überrascht auf ihn blickte und fragte: »Was hast Du im Sinn?«
Die Antwort kam nicht zu Stande — ein alles frühere Klingeln übertreffendes Geläute ertönte im Vorsaal, und der Officier rief:
»So, da ist er ja wieder, und dem Anschein nach sehr ungeduldig. Nun aber, Friedrich, geh’ und sage ihm —«
»Ach, Graf Lothar, lassen Sie mich doch hier bleiben!« bat der Soldat, entsetzt über den Gedanken, mit Herrn Abraham Mirzemaier zu sprechen.
»Schäme Dich, Dich so zu fürchten, Du — ein Soldat, und dabei sagst Du stets, Du könntest für mich durch’s Feuer gehen?«
»Durch’s Feuer — ja, aber nicht zu Herrn Mirzemaier, Herr Lieutenant. Ein Gefecht, ein offener Kampf ist mir lieber.«
Der Officier schien seines Burschen kriegerische Ansicht zu theilen. Er lächelte, sagte aber bei neuem Klingelzuge verstimmt: »Wahrlich, er reißt die Klingel ab.«
»O, lassen sie ihn doch reißen — ich bezahle sie mit Freuden.«
»Was werden die Leute im Hause von dem Spectakel denken!«
»Es ist Niemand da; Geheimraths aus der ersten Etage sind seit einer Stunde nach dem Brauhausberge und ihre Lotte ist mit hinaus; — Hofraths aus dem zweiten Stock reisten gestern nach Burg zu ihrer Tochter, und ihre Magd, Mine, fuhr mit dem Frühzuge nach Berlin. Die Einzige, die sich über das Klingeln wundern könnte, ist die arme Base — die wundert sich aber über nichts.«
»Die arme Base — wer ist denn das?«
»Eine stille, alte Jungfer, die mit Niemand redet, nur Sonntags zur Kirche geht, sich um Niemand bekümmert und ganz abgeschlossen für sich lebt.«
»Und wo wohnt dieses auserlesene Wesen?«
»Früher oben in der Mansarde — seit dem Frühjahre mit in unserm Parterre, die Wohnung nach dem Garten hin; und durch den Garten, der nach der kleinen Gasse führt, geht sie auch einzig, wenn sie ausgeht. .
»Hier, im Parterre? — Da hat ja unser Wirth, Herr Felsner, sein Absteigequartier, wenn er von Berlin kommt.«
»Er hat jetzt oben in der Mansarde seine Stuben.«
»Ich mußte doch nicht etwa jener alten Jungfer mein schönes Verandazimmer einräumen, das hier an diese Stube grenzt?«
»Ja, sie wünschte die Gartenwohnung — die Veranda — allein für sich zu haben.«
»Sie wünschte, die arme Base wünschte, und ich, Graf Limbach, mußte der alten Schachtel weichen? — Das ist doch gar zu toll!«
»Es kam wegen der langen Krankheit des Kindes. Das arme Ding kann doch nun im Garten spielen den ganzen Tag die freie Luft genießen.«
»Das Kind? — Die alte Jungfer hat ein Kind?«
»Das netteste kleine Püppchen, das Sie sich vorstellen können, und Herr Felsner nennt sie ›das klügste Kind der Welt.‹ Sie ist sein ganzer Liebling.«
»Aber, Friedrich, das scheint ja eine ganz unmoralische Geschichte zu sein, die Du mir da erzählst — Felsner, der glückliche Vater von sechs Kindern in Berlin, hat in Potsdam noch eine Puppe, die sein Liebling ist.«
»O, diese alte Jungfer ist noch mehr sein Liebling — die ist sein Augapfel.«
»Immer besser, und Du erzählst das so harmlos. — So sehr alt ist die alte Jungfer wohl nicht?«
»Hofraths Mine meint — Uebrigens Herr Lieutenant, Sie sahen doch neulich die großen Schachteln auf dem Corridor. Die bringt Herr Felsner immer für die alte Jungfer von Berlin mit, und —«
»Was? — Er bringt ihr immer solche Schachteln voll Geschenke mit?«
»Geschenke? — nein, Herr Lieutenant, jetzt hat Geheimraths Lotte es endlich heraus, was in den Schachteln steckte: Putzsachen, aus denen die arme Base pariser Hüte für berliner Modehandlungen macht.«
Der Officier gähnte. Friedrich war verdutzt über diese Aufnahme seiner Eröffnung und sagte entschuldigend: »Ich würde kaum von der armen Person gesprochen haben, wenn ich nicht den Herrn Lieutenant schon die ganzen Wochen hätte fragen wollen, ob es nicht ein großes Glück sei, daß so ruhige, stille Leute hier nebenan wohnten.«
Der junge Mann blickte unwillkürlich zu der schweren damastnen Portière hin, die jene Thür verhüllte, die seine Stube mit den Gartenzimmern verband, und entgegnete zu Friedrichs Freude: »Ja, still muß die Person und ihr Kind sein, denn ich hörte noch niemals dort ein Geräusch. — Das Kind ist wohl nicht mehr klein? Hat sie nur das eine?«
»Anna ist sieben Jahre — sieht aber aus wie fünf.«
»Und sie hat nur dies eine Kind?«
»Sie? — Anna ist nicht das Kind der armen Base — es ist ihre Nichte.«
»So — so! — Und Felsner gilt als Onkel?«
»Er ist der Vetter der alten Jungfer.«
»Wie ist ihr Name?«
»Das weiß ich wirklich nicht — ich glaube — sie heißt aber auch Felsner, hier im Hause nennt man sie nur ›die Alte,‹ oder auch ›die Stille.‹«
»Und stille Wasser sind tief!« rief der junge Mann lachend.
Das Lachen machte sofort dem größten Ernste Platz, und er fragte mit gerunzelter Stirn: »Ha, was ist das? — Nun wird’s zu toll!«
»Die Klingel ist herunter!« sprach Friedrich kleinlaut. »Und nun er nicht mehr läuten kann, klopft er an die Thür!«
»Jetzt aber hinaus, Friedrich, und sprich mit diesem Unverschämten.«
»Er ist jetzt unten an der Hofthür. — Er ist fort, Herr Lieutenant!« rief Friedrich freudig.
»In fünf Minuten ist er wieder da. Geh’, sage ich Dir zum letzten Mal, und sprich mit ihm.«
»Und was soll ich ihm sagen?«
»Was? — Allmächtiger Gott, wie dumm Du thust! — Da sag’ doch einfach, ich sei in der Kirche. Es ist ja Pfingsten.«
»In der Kir—che?«
»Zum Teufel! reiß’ doch darüber nicht so die Augen auf! Warum kann ich nicht in der Kirche sein?«
»Zu Befehl, Herr Lieutenant — — aber Herr Lieutenant, Ihr Regiment ist doch heute nicht zum Gottesdienst befohlen?«
»Geht man denn nur auf Commando in die Kirche? — Kann ich nicht aus freiem Antriebe darin sein?«
»O … ja … das wäre allerdings möglich; aber — — nein, Herr Lieutenant, es ist doch unmöglich, denn unsere Kirche beginnt erst um zehn Uhr, und jetzt ist’s kaum halb Sieben.«
»Kann ich nicht katholisch sein — die Messe hören? — Ja, das sage ihm.«
Wie riß der Soldat erst die Augen auf über den so schnell zu Stande gebrachten Glaubenswechsel! Er würde sicher sprachlos geblieben sein, sah er nicht auch ein, die Lage drängte zum Reden und Handeln. Ziemlich ernst sagte er: »Daß Sie freiwillig in der Kirche sind, das glaubt Herr Mirzemaier nimmer.«
»So sag’ ihm Anderes — nur schaffe ihn bald fort.«
»Er geht nicht — ich kenne das; öffne ich die Thür nur so weit, daß eine Maus hindurch kann, drängt er sich herein und steht dort auf dem Vorplatze, bis Sie kommen — nein, bis zum jüngsten Tage! Sie wissen ja, wie er sich bei Baron Rothenstein benommen hat, als ich gerade bei dessen Bedienten war.«
»Und ich sollte wie Rothenstein in der Falle bleiben? Nimmermehr! In einer Stunde will ich fort. Bis dahin muß das Haus rein sein.«
»So springen Sie doch aus diesem Fenster. Ich werfe nachher die Sachen in den Hof, Sie kleiden sich im Garten an und gehen durch das Pförtchen und die enge Gasse. Da sieht Sie Mirzemaier nicht. — Sind Sie aber jetzt fort, so öffne ich gleich, lasse alle Stuben auf — er kann hineinsehen, kann auch auf dem Vorflur bleiben, ganz wie es ihm gefällt.«
»Und ich soll unterdessen im Hofe sitzen, wenn ich nicht etwa mit versprungenem Fuß auf den Steinen liege? — Friedrich, Du bist toll.«
»Im Garten ist ein Lusthäuschen. Felsner ließ es bauen. Da bleiben Sie.«
»Noch einmal, Friedrich, Du bist toll. Dort, wo die arme Base sicher sitzt, soll ich mich hinbegeben noch dazu in ihr Eigenthum? — Oder soll ich ihr zu Füßen fallen und sagen, mich verfolgt ein Gläubiger, mich bedroht Wechselarrest — retten, schützen Sie mich!«
»Sie brauchten nichts zu sagen — Sie könnten eben so sicher sein, daß sie nichts fragt. Sie ist ganz anders wie alle anderen Menschen.«
»Ich bin aber nicht so — ich will nicht zum Fenster hinaushopsen und mir zu Pfingsten das Bein brechen; ich will nicht Angesichts von fünfzig Fenstern Toilette im Freien machen; ich will einfach Ruhe haben.«
Um Erfüllung dieses Wunsches stand es schlimm. Friedrich hörte den plumpen Schritt Herrn Abrahams schon wieder auf der kleinen Treppe, die zu dem erhöhten Parterre führte — verzweifelnd rief er: »Ich habe zwanzig Thaler, Graf Lothar. Nehmen Sie das Geld in Anbetracht der tausend Wohlthaten, die Sie einst als Knabe meiner Mutter erwiesen, wenn mein Vater betrunken nach Hause kam und Sie sich kühn und entschlossen zwischen den Wütherich und das arme bedrohte Weib warfen. Und sind Sie es nicht, dem die Witwe die Stelle im Schlosse Ihres Onkels dankt, dem ich so Vieles danke?«
»Du bist ein guter Kerl, Friedrich. Aber sieh, zwanzig Thaler, das ist nichts. Abraham Mirzemaier, dieser Wucherer par excellence, läßt sich seine Geduld ganz anders bezahlen, sagte ich Dir schon einmal. Da muß man mehr haben.«
»Herr Lieutenant, ich schreibe heut’ an meine Mutter, daß sie den Herrn bittet, Ihnen rasch hundert Thaler zu senden.«
»Hundert — ich brauche sofort fünftausend, um mich nur für’s Erste zu arrangiren; das Doppelte und mehr, um aus der ganzen Klemme zu kommen.«
»Zehntausend Thaler, und vielleicht noch mehr — Gott im Himmel!«
Friedrich machte ein Gesicht, als klingelten zehn Mirzemaier; der Officier rief ärgerlich: »Ach thue doch nicht so! — was ist die Summe für den Besitzer von Altenzell!«
Trotz der Worte stand Friedrich wie erstarrt. Hellstes Verzweifeln sprach aus Augen und Zügen, als er dann das neue Anpochen des Gläubigers vernahm.
Er sah sich um — — — da plötzlich schien ihm ein Gedanke zu kommen, der besser war, als Alles, das sein Herr ihm angerathen hatte, denn er rief freudig: »O das geht! — Das ist der beste Ausweg! Das ist Hilfe — Rettung.«
Er eilte mit den Worten an das Fenster — im nächsten Momente sprang er hinaus. Was sein bedrängter Herr auch dachte — — — nicht Das, was geschah. Wenige Minuten später schon polterte es nebenan im Zimmer der armen Base, die sonst eine so stille Nachbarin war. Es schien, als rückte dort Jemand schwere Möbel — und Anderes konnte das Getöse auch nicht sein. Erstaunt blickte der Officier auf die Thür, die mit Portièren verhangen war; er begann jetzt das Kommende zu ahnen, lächelte — dann, als seine Stirn sich faltete, vernahm er ein leises Pochen und Friedrichs Stimme bat flehend: »Herr Lieutenant, schließen Sie diese Thür auf!«
Er that’s — hinter den sich öffnenden Flügeln und Vorhängen tauchte des Soldaten vor Freude strahlendes Gesicht auf.
»Aber um Gott, Friedrich, hier wohnt ja die alte Jungfer.«