Ambivalenz - Amélie Nothomb - E-Book

Ambivalenz E-Book

Amélie Nothomb

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Beschreibung

Claude ist ein unbeständiger Verehrer. Erst lässt er seinen Charme spielen und verführt Dominique mit Champagner und Chanel N° 5, dann wieder ist er unnahbar und abweisend. Gemeinsam haben sie eine Tochter, Épicène, die mit ihrem extravaganten Vornamen früh lernt, eigenständig zu denken und zu handeln. Sie weiß auch sofort, was zu tun ist, als die Mutter in einem Pariser Stadtpalais den Launen des Vaters auf die Schliche kommt.

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Amélie Nothomb

Ambivalenz

Roman

Aus dem Französischen von Brigitte Große

Diogenes

Er entzürnt sich nicht.

Das Wort ›entzürnen‹, das es nicht gibt, aber geben könnte, ist nur in seiner Verneinung vorstellbar. »Er entzürnt sich« wird man nie irgendwo lesen. Warum? Zorn ist kostbar, weil er vor Verzweiflung schützt.

Drei Stunden zuvor gab es keinen glücklicheren Mann als ihn.

»Du bist die Schönste. Neben dir sind alle anderen hässlich. Nein, es gibt überhaupt keine Frauen neben dir.«

»Du wirst dich aber daran gewöhnen müssen.«

»Seit fünf Jahren schlafen wir miteinander, und noch nie waren wir so grandios. Sind wir nicht unvergleichlich?«

»Nein.«

»Dein Name ist Reine. Anfangs war ich erschrocken, dass du Königin heißt. Heute fände ich es unerträglich, wenn du anders hießest. Reine – das bist du. Bleib bei mir, Liebste.«

»Ich kann nicht.«

»Wo willst du hin?«

»Heiraten.«

»Sehr komisch.«

»Das ist kein Witz. In zwei Tagen heirate ich Jean-Louis.«

»Was sagst du da?«

»Ich heirate Jean-Louis. Du kennst ihn.«

»Aber mich liebst du doch, mich! Und mich wirst du auch heiraten.«

»Als meine Eltern geheiratet haben, liebten sie einander bis zum Wahnsinn. Ihr Leben war dann eher mittelmäßig. Heute ist meine Mutter das Dienstmädchen meines Vaters. Das wäre mir zu wenig.«

»Mit mir wirst du kein mittelmäßiges Leben führen.«

»Wir sind seit fünf Jahren zusammen. Außer Liebe hast du nicht viel zu bieten.«

»Du hast dich aber nie beklagt.«

»Sei bitte nicht vulgär! Jean-Louis wird die Nummer zwei eines riesigen Elektronikunternehmens. Er geht mit mir nach Paris.«

»Paris!«

»Ja, Paris. Highlife, Pracht und Herrlichkeit. Das war schon immer mein Traum. Wie oft habe ich dir gesagt, dass ich aus diesem Kaff hier wegwill.«

»Ich bin erst fünfundzwanzig.«

»Und ich bin schon fünfundzwanzig. Ich kann nicht länger warten.«

»Weiß Jean-Louis von mir?«

»Wie denn nicht?«

»Und?«

»Das ist Vergangenheit.«

»Vergangenheit! Vor einer halben Stunde haben wir gevögelt wie die Götter!«

»Das war das letzte Mal.«

Schweigend zog Reine sich an.

»Das kann nicht sein, Liebste! Sag mir, dass das ein entsetzlicher Albtraum ist, ein grausamer Scherz, eine Provokation!«

»Es ist die Wahrheit. Adieu.«

 

Allein gelassen, entscheidet er sich für den Zorn. Den will er nähren, indem er sich rächt. Doch worin wird seine Rache bestehen? Wird er Reine töten? Bestimmt nicht. Das würde auf ihn zurückfallen.

Nein. Reine soll leiden. Sie soll genauso leiden wie er.

Er wird sich nie wieder entzürnen.

Dominique saß auf der Terrasse ihres Lieblingscafés und genoss den Samstagnachmittag. Sie liebte die Septembersonne, die wärmte, ohne die Haut zu verbrennen.

Sie war Sekretärin in einer Import-Export-Firma und stolz darauf. Ihr Vater war Fischer, ihre Mutter zu Hause.

»Bravo, mein Schatz!«, lobte die Mutter. »Du bist eine unabhängige Frau!«

Mit fünfundzwanzig Jahren blickte Dominique vertrauensvoll in die Zukunft. Sie war gern Single. Die Liebe würde schon noch rechtzeitig kommen. Wenn sie an die paar Freundinnen dachte, die Ehefrau und Mutter waren, war sie froh, es ihnen nicht gleichgetan zu haben. Unter der Haube – was für ein erbärmliches Schicksal!

Ihr fiel gar nicht auf, dass ein Mann sie vom Nebentisch aus anstarrte.

»Bonjour, Mademoiselle. Darf ich Sie auf ein Glas einladen?«

Sie wusste nicht, was sie sagen sollte. Er nahm das als Zustimmung und setzte sich zu ihr.

»Kellner! Champagner!«

»Zwei Gläser?«

»Eine Flasche. Vom besten!«

Der Kellner brachte einen Deutz mit zwei Champagnerkelchen und schenkte ein.

»Haben Sie etwas zu feiern?«, fragte die junge Frau.

»Ja, unsere Begegnung.«

Sie stießen an. Dominique hatte noch nie einen großen Champagner getrunken und war ganz ergriffen von dem grandiosen Geschmack.

»Wie heißen Sie?«

»Claude. Und Sie?«

»Dominique«, sagte sie und dass sie seit fünf Jahren als Sekretärin bei Terrage arbeite. Aber da er ihr anscheinend nicht zuhörte, verstummte sie wieder.

»Und was machen Sie beruflich?«, fragte sie nach einer Weile.

»Ich bin dabei, in Paris eine Firma zu gründen«, antwortete er so vage, als würde er sich lieber nicht dazu äußern.

Dieser Mann machte ihr ein bisschen Angst, ohne dass sie wusste, warum. Doch er hatte sie ja angesprochen, nicht umgekehrt. Dann war es ja wohl nicht so schlimm, wenn er enttäuscht war.

»Sie sind entzückend, Dominique.«

Sie verschluckte sich an ihrem Champagner.

»Und ich bin bestimmt nicht der Erste, der Ihnen das sagt.«

Doch, das war er. Bisher hatte nur ihre Mutter ihr das immer wieder versichert, und das war ja kein Wunder.

»Ich weiß nicht, was ich sagen soll, Monsieur.«

»Sagen Sie Claude zu mir. Wir sind ja gleich alt.«

»Ich bin aber keine Firmengründerin.«

»Ach, halten Sie sich doch nicht mit solchen Kleinigkeiten auf! Ich würde Sie gern wiedersehen.«

Er bestand darauf, dass sie ihm ihre Telefonnummer gab. Das tat sie zögernd und stand dann schnell auf, um ihre Verlegenheit zu verbergen.

 

Wäre sie eine ganz normale junge Frau gewesen, hätte sie danach eine Freundin angerufen, um ihr von der Begebenheit zu erzählen. Aber sie trug eine unerklärliche Scham in sich, über die sie so selten sprach, dass sie sie nicht benennen konnte: Dominique hatte Komplexe.

Sie wusste, dass nicht alle daran litten. Bei der Arbeit hatte sie ein paar hinreißende Kolleginnen, die an Schmeicheleien von Verführern gewöhnt waren. Zu ihr hatte nie jemand solche Dinge gesagt, woraus sie geschlossen hatte, dass sie eben nicht hübsch sei. In Wahrheit flirtete wahrscheinlich nur deshalb nie jemand mit ihr, weil man ihre Probleme erahnen konnte.

Dieser Mann – Claude, daran müsste sie sich noch gewöhnen – hatte das nicht gespürt. Sie nahm ihren ganzen Mut zusammen und betrachtete sich im Spiegel. »Entzückend«, hatte er gesagt. Was hatte er in ihr gesehen?

 

Sie überlegte. Warum sollte ein Firmengründer eine ihm unbekannte Sekretärin beschwindeln? Außerdem hatte sein Benehmen nicht den Eindruck gemacht, als ob er auf Abenteuer aus wäre. ›Warten wir mal ab, ob er mich anruft‹, sagte sie zu sich selbst.

Eine Woche verging. ›Ich hätte mir denken können, dass es ihm nicht ernst war. Deshalb freue ich mich erst recht, dass ich niemandem davon erzählt habe.‹

 

»Hallo, guten Abend, kann ich Dominique sprechen, bitte?«

»Am Apparat.«

»Hier ist Claude. Wie geht es Ihnen?«

»Ich dachte schon, Sie hätten mich vergessen.«

»Wie könnte man Sie vergessen! Verzeihen Sie, dass ich Sie so lange warten ließ. Ich musste nach Paris, um wichtige Fragen für die Firma zu klären. Hätten Sie heute Abend Zeit?«

 

Im Restaurant bestellte er für sie. Zu ihrer Verwunderung fand sie das angenehm und auch ein wenig erleichternd, weil sie befürchtet hatte, das Falsche zu bestellen.

»Sie haben Stil«, sagte er mit Kennermiene.

Es gelang ihr, nicht zu erröten. ›Ich muss ihn zum Reden bringen‹, dachte sie, ›sonst schaffe ich es nicht.‹

»Wie heißt Ihre Firma?«, fragte sie.

»Es ist die Pariser Filiale von Terrage. Import-Export.«

Sie lachte.

»Ich wusste, dass Sie mir nicht richtig zugehört haben beim letzten Mal, sonst wäre Ihnen das bestimmt aufgefallen. Ich arbeite nämlich dort.«

»Bei Terrage? Unglaublich!«

Sie fragte ihn, mit wem er zusammenarbeite. Er kenne niemanden außer dem Generaldirektor, antwortete er. Da machten sich ihre Komplexe bemerkbar und hinderten sie am Atmen. Sie wechselte das Thema.

»Gefällt Ihnen Paris?«

»Ich wollte immer dort leben. Die Stadt hat so eine Energie!«

»Ich war noch nie dort.«

»Sie werden es lieben.«

»Da müsste ich erst einmal hinfahren.«

»Wenn Sie mich erst einmal geheiratet haben, wird Ihnen nichts anderes übrigbleiben.«

Sie legte ihr Besteck ab, holte tief Luft und sagte: »Ich mag es nicht, wenn man sich über mich lustig macht.«

»Ich meine das vollkommen ernst. Dominique, wollen Sie meine Frau werden?«

»Sie kennen mich doch gar nicht.«

»Mir war auf den ersten Blick klar, dass Sie die Frau sind, nach der ich gesucht habe.«

»Wie vielen Frauen haben Sie das schon erzählt?«

»Sie sind die erste.«

Bebend stand sie auf.

»Mir ist nicht gut. Ich muss nach Hause.«

»Sie haben ja gar nichts gegessen.«

»Ich habe keinen Hunger.«

Er ging mit ihr hinaus.

»Darf ich Sie begleiten?«

»Nicht nötig. Danke für die Einladung.«

Sie ging sehr schnell und registrierte erleichtert, dass er ihr nicht folgte. Was war das für ein merkwürdiger Typ? Ob einer, der sich so benahm, verrückt war?

Die frische Luft zerstreute ihr Unbehagen und machte dem Triumph der entkommenen Beute Platz. Zu Hause ging sie sofort ins Bett und fiel in einen traumlosen Schlaf.

 

Am nächsten Morgen klingelte das Telefon.

»Dominique? Ich habe mich wie ein Idiot benommen. Was kann ich tun, damit Sie mir verzeihen?«

»Mich in Ruhe lassen.«

»Das verstehe ich. Hören Sie, ich gebe Ihnen meine Telefonnummer. Und Sie rufen mich einfach an, wenn Ihr Herz es Ihnen sagt.«

Sie notierte die Nummer, die er ihr diktierte, fest entschlossen, sie nie zu wählen.

 

Sonntags ging sie immer zu ihren Eltern essen und kaufte unterwegs einen Windbeutel namens Paris-Brest in der Konditorei.

Das Essen verlief ohne besondere Vorkommnisse. Dominique hatte die Schweigsamkeit ihres Vaters und das ruhige Naturell ihrer Mutter geerbt. Diese schaute ihr lange ins Gesicht.

»Was gibt’s, Mama?«, fragte die Tochter.

»Ich weiß es nicht. Aber ich kann dir ansehen, dass in deinem Leben gerade etwas Wichtiges passiert.«

»Hör bitte auf, mich so anzuschauen!«

Als sie nachmittags spazieren gingen, sprachen sie nicht mehr darüber. Aber Dominique fühlte, dass ihre Mutter recht hatte. Die Landschaft berührte sie, als ob sie sie nie zuvor gesehen hätte. Die Leute, die ihnen begegneten, sahen sie komisch an.

»Ihre Tochter ist ja richtig aufgeblüht!«, sagte eine Dame zu ihren Eltern.

Zum ersten Mal dachte Dominique, dass sie die Stadt gern verlassen würde.

Bei sich zu Hause nahm sie ein Bad, um sich zu beruhigen. Bis zum Abendessen hielt sie durch, dann wählte sie zu ihrer Schande Claudes Nummer. Er nahm beim ersten Klingeln ab, als hätte er schon den ganzen Tag neben dem Telefon gesessen.

»Ich habe so gehofft, dass Sie mich anrufen!«

»Ich weiß nicht, warum ich das tue. Sie verwirren mich. Mir geht das alles viel zu schnell. Ich kenne Sie ja gar nicht.«

»Sie haben recht, ich bin einfach zu stürmisch. Dabei habe ich mich noch nie so benommen, das ist nicht meine Art.«

Sie verabredeten sich auf ein Glas Wein. Claude war nett und amüsant. ›Wahrscheinlich habe ich ihn falsch eingeschätzt‹, dachte Dominique. Er war doch ein angenehmer Mensch.

 

Jeden Abend schlug Claude einen anderen Treffpunkt vor. Und Dominique merkte, dass sie sich jedes Mal darauf freute.

Am folgenden Samstag rief sie bei ihrer Mutter an und fragte, ob sie sonntags jemanden mitbringen dürfe.

»Natürlich«, sagte die Mutter ruhig, ohne etwas vom Aufruhr ihrer Gefühle durchblicken zu lassen.

Dann eröffnete Dominique Claude, dass er für den nächsten Tag bei ihren Eltern eingeladen sei. Er bedankte sich überschwänglich und fragte: »Darf ich jetzt du zu dir sagen?«

»Ja«, antwortete sie, »das ist viel ungezwungener.«

 

Dominique kam früher als sonst zu ihren Eltern, um ihnen bei der Vorbereitung zu helfen. Claude traf um halb eins mit einem fantastischen Blumenstrauß ein, den sie in eine Vase stellte, während der Gast im Wohnzimmer Platz nahm. Als sie etwas später das Zimmer betrat, sah sie, dass es ein Triumph war.

Der junge Mann plauderte charmant und locker, sprach dem Essen zu, sah zwischendurch immer wieder bewundernd zu Dominique hin, machte der Dame des Hauses Komplimente, ohne zu übertreiben, und verabschiedete sich nach dem Kaffee.

Abends rief der Vater zum allerersten Mal seine Tochter an und sagte: »Der Junge ist sehr sympathisch. Ich freue mich wirklich für dich.«

»Danke, Papa.«

»Ich geb dir jetzt deine Mutter.«

»Wie geht es dir, Mama?«

»Claude ist wunderbar, mein Schatz. Er liebt dich. Er meint es ernst. Und er sieht gut aus.«

Die letzte Bemerkung ihrer Mutter verblüffte Dominique. Erstens, weil ihre Mutter nie solche Sachen sagte. Und dann, weil sie selbst sich nie danach gefragt hatte. Claude sah also gut aus? Sie dachte darüber nach und musste schließlich einsehen, dass es stimmte. War sie so unempfänglich für Schönheit, dass ihr das gar nicht aufgefallen war? Und was hatte sie daran gehindert, es zu bemerken?

Sie dachte an die paar Flirts vor ihm und verstand es nicht. Damals war sie ganz anders gewesen, nicht diese verschüchterte Person von heute. Was passte ihr nicht an diesem Mann? Sie war auch in die Vorgänger nicht verliebt gewesen, und das hatte sie nie gestört.

Ja, aber in ihn sollte sie es sein. Claude wollte sie heiraten, er liebte sie. Er vereinte alle Eigenschaften, von denen sie geträumt hatte, und doch war sie in seiner Gegenwart beklommen.

Mit wem könnte sie darüber reden? In diesen Dingen hätte sie sich nie ihren Freundinnen anvertraut, ausgeschlossen. Ob es sinnvoll wäre, mit dem Raubtier selbst zu sprechen?

»Hallo, Claude?«

»Ich wollte dich gerade anrufen, mein Schatz. Deine Eltern sind zauberhaft.«

»Sie mögen dich sehr.«

»Ist das wahr? Wie schön!«

»Mama findet, du siehst gut aus.«

Er begann zu lachen.

»Zu freundlich von ihr!«

»Claude …«

»Ja? Was ist denn?«

Plötzlich eine Blockade. Die Worte blieben ihr im Hals stecken.

»Gibt’s ein Problem, Dominique?«