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"Für dich würde ich mein Königreich in Schutt und Asche legen."
Nachdem der Seelie König Torin sie versehentlich beinahe umgebracht hätte, findet sich Ava überraschend am Hof des Kummers wieder - ihrer wahren Heimat und Reich von Königin Mab. Denn wie sich nun herausstellt ist Ava eine Unseelie und damit eine Feindin von Torin und seinem Reich. Aber auch hier wird Ava nicht mit offenen Armen empfangen und als auch noch Torin am Hof des Kummers eintrifft, um die Frau, die er liebt, zurückzuholen, werden beide von Königin Mab gefangengenommen. Während Ava und Torin um ihr Überleben kämpfen, verstricken sie sich immer tiefer in Mabs Lügennetz und müssen alles riskieren, um die Wahrheit aufzudecken und Torins Königreich zu retten.
"Wenn du nach einer großartigen Fantasy-Romance suchst, dann wirst du die Welt von Frost und Ambrosia lieben!" @hikami.d.reads
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Seitenzahl: 400
Veröffentlichungsjahr: 2025
Titel
Zu diesem Buch
Widmung
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Danksagung
Die Autor:innen
Die Romane von C. N. Crawford bei LYX
Impressum
C. N. CRAWFORD
Ambrosia
Roman
Ins Deutsche übertragen von Bianca Dyck
Nachdem der Seelie König Torin sie versehentlich beinahe umgebracht hätte, findet sich Ava überraschend am Hof des Kummers wieder – ihrer wahren Heimat und Reich von Königin Mab. Denn wie sich nun herausstellt ist Ava eine Unseelie und damit eine Feindin von Torin und seinem Reich. Aber auch hier wird Ava nicht mit offenen Armen empfangen und als auch noch Torin am Hof des Kummers eintrifft, um die Frau, die er liebt, zurückzuholen, werden beide von Königin Mab gefangengenommen. Während Ava und Torin um ihr Überleben kämpfen, verstricken sie sich immer tiefer in Mabs Lügennetz und müssen alles riskieren, um die Wahrheit aufzudecken und Torins Königreich zu retten.
Für diejenigen, die von Feen aus dieser faden Welt geholt werden und wie Flammen über den Berg tanzen wollen.
(Und für diejenigen, die es nicht stört, dass ich diese Zeilen von W. B. Yeats gestohlen habe.)
Ava
Ich blickte in die Pfütze auf dem Waldboden, starrte die bronzefarbenen Hörner an, die aus meinem Kopf herausragten: klein und teuflisch, zur Seite und himmelwärts geschwungen. Meine Augen sahen dunkel und unergründlich aus, schiefergrün wie die stürmische See. Dreck klebte an meiner Wange und ich wischte ihn mit einer zitternden Hand weg.
Als ich durch das eisige Portal an diesen Ort gelangt war, hatten sich die lavendelfarbenen Spitzen meiner Haare in ein helles Grün verwandelt. Auch meine Kleidung hatte sich verändert. Ich trug nun ein meergrünes Kleid, das sich durchtränkt vom Wasser des Portals an meinen Körper schmiegte. Die feuchte Erde des Waldes hatte meine kleinen weißen Schuhe verschmutzt, genau wie den Saum des hauchzarten Kleides.
Mit einem entsetzen Schaudern ging mein Blick wieder zurück zu den Hörnern. Mein Puls beschleunigte sich.
Dämon.
Das war der Begriff, den die Seelie für die Unseelie verwendeten.
Torin hatte einmal gesagt: »Ein König muss unter Beweis stellen, dass er die Macht hat, Dämonen und Monster zu besiegen.« In der Festhalle seines Schlosses hing ein Wandteppich, auf dem dargestellt wurde, wie ein Seelie-König den Kopf eines Dämons mit goldenen Hörnern abtrennte.
Hörner, die wie meine aussahen …
Grauen trieb seine Klauen in mein Herz. Würde Torin mir eine Klinge durch die Kehle stoßen, wenn er mich sah?
Ava Jones hatte solche Hörner nicht. Sie gehörten zu meinem neuen Ich, zu einer Dämonin, deren Name in Vergessenheit geraten war.
Ich hob eine Hand, um eines der gebogenen Hörner anzufassen, fuhr mit dem Finger über die Spitze. Es war beunruhigend empfindlich, weshalb die Berührung mir einen Schauer durch den Körper jagte. Scharf wie die Spitze eines Fae-Schwertes. Für einen kurzen Moment flackerte ein Bild davon, wie diese Hörner jemandem den Bauch aufrissen, in meinen Gedanken auf …
Erneut erschauderte ich. Unter dem Zauberglanz der gewöhnlichen Ava Jones erwachte ein Monster zum Leben.
Als ich den Finger von der Spitze meines Horns nahm, glitzerte ein kleiner scharlachroter Tropfen darauf. Ich steckte den Finger in den Mund und schmeckte Kupfer.
Mit einem tiefen Atemzug versuchte ich, mich zu beruhigen. Der Duft des Waldes erfüllte meine Nase, satt und urtümlich: Moos, Erde und ein Hauch süßer Mandeln. Der Duft kitzelte etwas in den dunkelsten Tiefen meiner Erinnerungen wach. Nebel zog um mich herum auf und verschleierte mein Spiegelbild in der Pfütze.
Hinter mir raschelten Blätter und ich sprang auf die Füße, als mir eine furchtbare Tatsache wieder einfiel, die ich vor Schreck vergessen hatte: Hinter mir befand sich ein wahnsinnig großes Insekt.
Ich wirbelte herum. Eine Spinne in der Größe eines Hundes kroch auf mich zu, ihre sechs schillernden Augen waren direkt auf mich gerichtet.
Langsam und vorsichtig ging ich rückwärts, meine kleinen Schuhe wurden von der Pfütze durchtränkt. Die Spinne trippelte näher heran, lange, spitze Fangzähne glitzerten in ihrem offenen Maul.
Während ich zurückwich, verfluchte ich die Magie dieses Reiches stillschweigend dafür, dass sie mir ein hübsches Kleid, jedoch kein Schwert zur Selbstverteidigung zur Verfügung gestellt hatte. Natürlich hatte ich jetzt Hörner – allerdings war ich nicht bereit, dem Vieh so nahe zu kommen, um sie als Waffe einzusetzen.
Die Spinne kam weiter auf mich zu und ich drehte mich um und rannte in die entgegengesetzte Richtung.
Ich raffte mein Kleid und eilte durch den Nebel. Knorrige Baumwurzeln ragten aus der feuchten Erde unter meinen Füßen empor und ich musste vorsichtig sein, um nicht zu stolpern.
In dem Dunst konnte ich kaum erkennen, wohin ich lief, und das dichte Gestrüpp zerkratzte mir Arme und Beine. Ich platschte durch schlammige Pfützen und schlug Äste vor meinem Gesicht beiseite.
Panische Gedanken huschten mir durch den Kopf, während ich versuchte, die momentane Situation zu verstehen. Was genau war in der letzten Stunde passiert?
Eigentlich sollte ich jetzt die Königen der Seelie sein.
Ich sollte auf dem Thron sitzen und das Reich mit meiner Magie regenerieren, um es vor Frost und Hunger zu bewahren. Ich sollte Torins Ehefrau sein – zumindest zum Schein. Ich sollte fünfzig Millionen Dollar auf meinem Bankkonto haben. Aber Moria war mit einer Geschichte über ihre getötete Schwester und einer Vorhersehung meines Todes in meinem Zimmer aufgetaucht. Sie war sich sicher gewesen, dass Torin auch mich umbringen würde, und hatte bei dieser Aussicht sogar schadenfroh gewirkt.
Mein Brustkorb zog sich schmerzhaft zusammen, während mir bei meinem nächsten Gedanken das Herz brach.
Vielleicht hatte sie recht. Denn soviel ich wusste, Gebot die Ehre eines Seelie-Königs ihm, eine Unseelie wie mich zu töten.
Ich floh durch den Wald, wobei Torins Worte in meinen Ohren widerhallten: Monster … Dämonen … Allein von ihnen zu sprechen könnte ihre verderbte Aufmerksamkeit erregen.
Ein grollendes Zischen jagte mir Furcht über den Rücken. Ich blickte zurück. Die monströse Spinne holte auf. Ich lief schneller durch den Nebel, meine Lunge brannte. Dornen hinterließen leuchtend rote Striemen auf meinen bloßen Armen. In der Ferne hörte ich das Rauschen eines Flusses, also rannte ich auf das Geräusch zu. Wenn ich dem Fluss folgte, könnte er mich zu einem Dorf oder einer Siedlung führen.
Jeden Moment rechnete ich damit, dass die Spinne angreifen würde, dass ich ihre haarigen Beine auf meinem Rücken spüren würde, gefolgt vom brennenden Schmerz ihrer Fangzähne in meinem Nacken.
Als ich über eine Wurzel stolperte, ruderte ich mit den Armen, um das Gleichgewicht zu halten. Ich griff nach einem faustgroßen Stein auf dem Boden, wirbelte herum und schleuderte ihn auf die Augen der Spinne. Mit einem Kreischen wich die Kreatur zurück und ich sprintete davon.
Als ich den reißenden Fluss erreichte, tauchte die untergehende Sonne den Nebel in rotgoldenes Licht. Weißes Wasser rauschte über Treibholz hinweg und stürzte einen sanften Abhang hinunter in eine Lichtung. Ein kühler Sprühnebel legte sich auf mich. Ich suchte den Dunst ab, nahm aber keine Bewegung wahr.
Ich folgte dem schmalen Pfad neben dem Fluss. Tiefer im Wald verwandelten sich seine Farbtöne in kräftige, verwunschen wirkende Schattierungen. Grüne Blätter gingen in Kastanienbraun über, dann in helles Rot, und die Nuancen der Baumstümpfe reichten von Indigo bis Mitternachtsblau. Als die Nacht hereinbrach, verdunkelte sich das Licht zu dämmrigen Tönen aus Violett und Dunkelgrün.
Über rutschige Felsen und knorrige Wurzeln eilte ich entlang des Flussufers. Die Nacht senkte sich unaufhaltsam herab, die Schatten um mich herum wurden dichter und länger. Ich nahm einen tiefen Atemzug und versuchte, mir vorzustellen, wie ich mich hier in vollkommener Dunkelheit orientieren sollte.
Als ich den Weg hinunterlief, erreichte ich einen riesigen Baum mit tiefblauer Rinde, der aus der Dunkelheit ragte. Seine Äste erstreckten sich über den Fluss, das Mondlicht hoch über mir fiel durch die purpurroten Blätter. Der immense Stamm versperrte mir den Weg, die dicken Wurzeln schlängelten sich den Hang hinab zum Fluss.
Also schlich mich um ihn herum. Die dicken Äste schirmten das Mondlicht ab, Schatten hüllten mich ein.
Ich zitterte. Plötzlich packte mich jemand von hinten und zerrte mich in die Dunkelheit, einen Arm schraubstockartig um meine Taille geschlungen und eine Hand auf meinen Mund gelegt. Angst schoss durch meine Adern.
Ich wehrte mich, schlug meinen Angreifer mit den Ellbogen und versuchte, meine Hörner in seinen Kiefer zu rammen. Der Geruch von nassem Gestein und Erde stieg mir in die Nase und als sich meine Augen an die Dunkelheit gewöhnten, wurde mir klar, dass ich in eine Höhle geschleppt wurde.
Der Angreifer beugte sich herunter und flüsterte mir ins Ohr: »Bitte sei leise, Ava.«
Sofort erkannte ich den tiefen, geschmeidigen Bariton seiner Stimme wieder, gefährlich und verlockend zugleich. Der an den schweren Geruch von Eichen erinnernde Duft des Seelie-Königs hüllte mich ein, strich über die rauen Ränder meiner Angst. Ich befand mich im stählernen Griff des Mannes, der mich möglicherweise tot sehen wollte.
Die Frage zerrte immer noch an meinem Verstand: Würde er mich umbringen? Schließlich gehörte das zum Job eines Seelie-Königs.
»Ava.« Sein kräftiger Arm hielt mich an Ort und Stelle fest. »Du musst leise sein. Jemand ist dir gefolgt.«
Ich wurde reglos, kämpfte nicht länger gegen ihn an und meine Muskeln gaben nach. Langsam kam ich wieder zu Atem und er nahm die Hand von meinem Mund. Mein Herz trommelte nach wie vor so wild wie das eines Kolibris. Furcht? Oder lag es einfach an dem Effekt, den Torin immer auf mich hatte? Ich war nicht sicher.
Was es auch sein mochte, er ließ mich nicht los.
»Was machst du hier?«, flüsterte ich. »Wie bist du hergekommen?«
»Ich bin dir durch das Portal gefolgt«, murmelte er. »Und jetzt gerade versuche ich, dich vor einem Dämonen zu retten.« Torins Atem wärmte mein Ohr, sein muskulöser Arm blieb fest um meine Mitte geschlungen. »Er ist dir gefolgt.«
War ihm nicht aufgefallen, dass ich eine Dämonin war?
Mein Herz schlug schneller. In meiner Panik hatte ich den anderen Unseelie nicht entdeckt. »Und warum lässt du mich nicht los?«
»Weil ich sehe, dass du eine Unseelie bist, und jetzt alles infrage stelle.« Ein scharfer Unterton schwang in seiner Stimme mit, gefährlich wie eine Klinge, die sich unter Seide verbarg, und Furcht kroch mir das Rückgrat hinauf. »Wurdest du geschickt, um mein Königreich zu zerstören, Wechselbalg?«
Mein Kiefer verkrampfte sich angesichts dieser Anschuldigung und ich wand mich, um mich zu ihm umzudrehen. Allerdings ließ er mich nicht los, weshalb es mir lediglich gelang, den Kopf zu drehen. Ich starrte ihm direkt in die durchdringend blauen Augen, während ich gegen seine muskulöse Brust gepresst wurde, als wäre sie eine stabile Steinmauer. Sein Unterarm verharrte an meinem unteren Rücken, hart und unnachgiebig wie eine Eisenstange.
»Ich, auf einer Mission, um dein Königreich zu zerstören? Sei nicht albern, Torin.« Die Worte kamen scharf und ein wenig zu laut heraus, hallten an den Steinwänden wider. »Wenn das alles Teil eines skrupellosen Plans wäre, glaubst du ehrlich, dass du mich betrunken und mit Currysauce bekleckert in einer Bar angetroffen hättest?«
Er hob eine dunkle Augenbraue. »Senk deine Stimme, Wechselbalg«, flüsterte er. »Auch wenn es nicht deine Absicht war, hast du beeindruckend gute Arbeit dabei geleistet, mein Königreich zu zerstören. Mein Thron ist zerbrochen, meine Macht dahin. Das Reich der Fae wurde von Eis umschlossen und ich habe keine Königin, um es zu heilen. Hungersnot und Kälte werden mein Königreich erobern und ich stecke hier fest, am Hof des Kummers selbst, wo mir bei Gefangennahme eine grausame Hinrichtung droht. Diese Umstände scheinen für die Dämonen schon ein wenig praktisch zu sein, oder?«
Dämonen. Da war dieses Wort wieder, verließ seine perfekten Lippen. Aber wie konnte er ernsthaft denken, ich wäre eine Spionin?
»Es gab keinen Plan«, presste ich zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. »Ich habe dich nicht angelogen.« Ich versuchte nach wie vor, die ganze Sache zu durchblicken. »Und ich will die fünfzig Millionen Dollar, die du mir schuldest.«
Sein Mundwinkel zuckte. »Das kann nicht dein Ernst sein, Wechselbalg.«
»Wir haben einen Vertrag unterzeichnet. Als Fae-König kannst du ihn nicht brechen.«
»Du bist keine Seelie. Der Vertrag ist nichtig.«
Noch immer stand ich an ihn gepresst und blickte zu ihm hinauf. »Das gehört allerdings nicht zu den Regeln, oder? Es stand nicht im Kleingedruckten.«
»Ist das gerade wirklich dein größtes Problem?«
»Dein Königreich kommt wieder in Ordnung. Such dir einfach eine richtige Seelie-Frau. Ich bin sicher, das kriegst du hin.« Ich wünschte, mein Tonfall hätte nicht so säuerlich geklungen. »Aber du schuldest mir noch was.«
Sein Arm hielt mich fest und ich konnte seinen hämmernden Puls selbst durch die Schichten aus Kleidung spüren. »Weißt du, ich sollte wirklich nicht in deiner Nähe sein.«
»Dann solltest du mich vielleicht loslassen«, sagte ich ruhig.
»Es scheint, als müsste ich das tatsächlich.«
Torin
Verrückterweise wollte ich sie nicht loslassen. Selbst im Dämmerlicht der Höhle konnte ich den sanften Schwung ihrer kupferfarbenen Hörner erkennen. Sie war eine uralte Feindin der Seelie, mit teuflischen Hörnern und allem Drum und Dran – den Beweis dafür hatte ich direkt vor meinen Augen –, und ich war ihr zum Hof des Kummers gefolgt.
Das einzig Positive an dieser Situation war, dass ich gespürt hatte, wie der Fluch von Königin Mab nachgelassen hatte. In dem Moment, als ich mich aus dem Portal gekämpft hatte, hatte der Fluch seinen eisigen Griff um meine Brust gelöst. Es war eine seltsame Gewissheit, eine Leichtigkeit, die ich zuvor nicht erlebt hatte.
Warum war der Fluch fort? Keine Ahnung. Doch ohne seine Last konnte ich meinem Verlangen nachgeben … Ich konnte Ava berühren. Ich konnte sie innig küssen und den Saum ihres Kleides bis hoch zu ihrer Taille ziehen. Es lag in der Natur der Fae, der Lust nachzugeben, stets nach Vergnügen zu suchen …
Nur war die Person, die zurzeit jeden meiner Gedanken einnahm, eine Dämonin.
Hatte sie mich hier hergelockt? Das wusste ich nicht. Doch als ich bemerkt hatte, dass ein Fremder ihr folgte – ein bewaffneter Unseelie mit Hörnern und Flügeln –, musste ich sie in Sicherheit bringen.
»Ich kann nicht hierbleiben, Ava«, flüsterte ich. »Ich glaube, mir ist noch ein wenig Magie geblieben. Vielleicht kann ich ein Portal öffnen.«
Sollte Königin Mab mich erwischen, würde man mich buchstäblich bei lebendigem Leibe häuten. Sie würde einen Weg finden, um mir einen langen, schmerzhaften und demütigenden Tod zuteilwerden zu lassen. Und doch war meine Aufmerksamkeit vollkommen von der Unseelie vor mir eingenommen. In der finsteren Höhle blickte sie mit großen grünen Augen zu mir auf.
»Irgendeine Idee, wie wir hier wegkommen?«, fragte sie.
Wir. »Möglicherweise habe ich noch genug Magie, um ein Portal zu erschaffen. Doch du kannst nicht mit mir zurück ins Reich der Fae kommen, Ava.« Hier war der Fluch aufgehoben, aber zu Hause? Da würde ich sie sofort töten, sobald sie mir zu nahe käme.
Sie verengte den Blick, dann klimperte sie mit den langen schwarzen Wimpern. »Du willst mir wirklich Morias liebliche Gesellschaft vorenthalten?«
»Egal was für eine Vereinbarung wir hatten, jemand wie du kann nie wieder einen Fuß ins Reich der Fae setzen.«
Mein Verstand und mein Körper führten Krieg, ich wusste allerdings, dass ich Ava aus zwei überaus wichtigen Gründen nicht mitnehmen konnte: Erstens würde ich sie umbringen. Unbedacht, instinktiv hatte ich die Hand nach ihr ausgestreckt, als sie sich von mir abgewandt hatte. Der eisige Fluch war aus meinem Körper hervorgebrochen und der Griff des Winters hatte sie langsam eingeschlossen. Und zweitens war sie eine Dämonin – und eine Dämonin hatte unser Land mit einem Fluch belegt, der erbarmungslosen Frost und lange Winter mit sich brachte. Meine Untertanen würden sie zerfleischen – sie würden eher das Königreich vernichten, als eine Unseelie die Krone tragen lassen. Und wer könnte es ihnen verübeln? Wir litten seit Jahrhunderten.
Das hielt meinen Körper jedoch nicht davon ab, sich nach dieser speziellen Dämonin zu verzehren. In ihrer momentanen Gestalt erschien sie irgendwie noch verlockender – wild, skrupellos und verführerisch zugleich. Mein Puls raste in ihrer Gegenwart. Noch vor einem Moment hatte ich ihren Herzschlag durch den dünnen, feuchten Stoff ihres Kleides an meinem Körper gespürt. Eine Berührung, die im Reich der Fae tödlich geendet hätte …
Mein Blick fiel auf ihren perfekten Mund, voll und leicht geöffnet. Ich wollte die Lippen einer Dämonin kosten, sie vor Lust keuchen lassen. Verdammt.
Draußen ertönte ein tiefes, rhythmisches Klappern und unterbrach meinen inneren Kampf. Der Laut schickte mir einen eisigen Schauer über den Rücken.
»Es ist die Spinne«, flüsterte Ava.
Ich hob einen Stein auf und trat aus dem Höhleneingang. Sechs dunkel glänzende Augen blickten mir im Dämmerlicht entgegen, während die Spinne langsam am Stamm des riesigen Baumes herabkroch; von ihren Fangzähnen tropfte Gift. Das Blut pochte laut in meinem Schädel. Ich wollte dieses Ding nicht in Avas Nähe haben.
Als die Spinne sprang, preschte ich vorwärts und schmetterte den Stein gegen ihren Kopf. Das riesige Insekt fiel zu Boden, Blut spritzte auf meine Hände und meinen Körper. Ich ließ den Stein fallen. Mitternachtsblaues Sekret hatte mein weißes Hemd befleckt, also zog ich es aus. Ich ging zum Fluss und warf es beiseite, dann wusch ich mir die Hände im kühlen Strom.
Ich suchte den dunklen Wald nach Bewegung ab. Abgesehen vom rauschenden Wind in den Blättern und einem seltsamen Vogelgesang nahm ich nichts wahr.
Als ich die Höhle wieder betrat, musterte Ava stirnrunzelnd meine Brust. »Hat die Spinne dir dein Hemd geklaut?«
»Die meisten Frauen würden sich nicht beschweren.«
»Wie ich sehe, hat das Zerbrechen deines Throns deinem Ego keinen Abbruch getan.«
Unter all den Versuchen, das Ganze vor mir selbst zu rechtfertigen, brach eine grausame Wahrheit hervor und breitete sich in meinen Gedanken aus: Ich sollte sie hierlassen und mich selbst nach Hause bringen – doch ich konnte es nicht. »Ich werde dafür sorgen, dass du sicher bist, Ava, aber ich kann dich nicht mit in mein Reich nehmen. Und ich habe nicht genug Magie übrig, um zwei Portale zu öffnen.« Nur ein Hauch von Magie regte sich in meiner Brust.
Ihr Kiefer verkrampfte sich. Einen Augenblick lang schien sie zu wütend, um zu sprechen, und ihre dunkelgrünen Augen blitzten auf. »Wer ist mir gefolgt?«
»Ein großer Unseelie mit silbernen Hörnern und dunklen Flügeln, bewaffnet mit Wurfpfeilen. Aber gerade eben habe ich ihn nirgends entdecken können. Womöglich haben wir ihn dank des Nebels in der Dunkelheit abgehängt.«
Sie wanderte zum Höhleneingang und spähte in die Finsternis hinaus. Einen Moment später drehte sie sich wieder zu mir um, eine Sorgenfalte hatte sich zwischen ihren Augenbrauen gebildet. »Woher willst du wissen, ob und wann ich sicher bin?«
Weiß der Teufel.
Ich rieb mir über den Kiefer und meine Gedanken kreisten rauschend umher wie der wilde Fluss vor der Höhle. Vielleicht würden die Unseelie Ava mit offenen Armen willkommen heißen. Sie war eine von ihnen, eine lang verschollene Tochter des Hofs. Ich würde so schnell wie möglich in mein Königreich zurückkehren. Ich würde meinen Thron reparieren, meine Kraft wiederherstellen und heiraten … irgendwen. Moria vielleicht. In sie würde ich mich garantiert nicht verlieben.
Eine Königin, die nur benötigt wurde, damit sie ihre Rolle erfüllte, den Frühling zurückzubringen. Die Getreidespeicher waren so gut wie leer, das Vieh war für sein Fleisch geschlachtet worden und dem Königreich war das Geld ausgegangen.
Ich war der König der Seelie und mein Leben war ein einziger verdammter Scherbenhaufen.
»Ich werde aus der Ferne zusehen, wie die Unseelie auf dich reagieren. Wenn sie dich akzeptieren, dann werde ich heimlich in mein Reich zurückkehren und versuchen, es wiederherzustellen. Ich glaube, dir wird es hier besser ergehen als im Reich der Fae.«
Sie nahm einen tiefen Atemzug. »Warum warst du dann so verzweifelt darauf aus, mich in diese Höhle zu zerren?«
Ich fuhr mir mit der Hand durchs Haar. »Weil dieser Dämon bewaffnet war. Es wäre besser, wenn wir einen harmloseren auftreiben können. Jemanden, den wir mit bloßen Händen töten könnten, falls das nötig werden sollte.«
Ihre Augenbrauen hoben sich. »Klingt, als hätten wir einen interessanten Abend vor uns.«
Sie drehte sich um und schlüpfte aus der Höhle in den dunklen Wald hinaus.
Ich folgte ihr und beobachtete den berauschenden Schwung ihrer Hüften, während sie zwischen den Bäumen hindurchschlich. Je tiefer wir in den Wald vordrangen, desto kräftiger wurde das Rot der Blätter. Vom Mondlicht erhellt sahen sie aus wie Blutspritzer.
Wie sehr hatte ich die alten Götter verärgert, indem ich durch das Portal gesprungen war? Der gesalbte König der Seelie ließ sein Volk erfrieren, um eine Dämonin zu beschützen.
Die alten Götter hatten mich erwählt, um die Seelie anzuführen. Vor meiner Krönung hatte der gehörnte Gott die Edelmänner in Hirsche verwandelt und ich hatte meine Stärke bewiesen, indem ich jeden einzelnen geschlagen hatte. Dann, in Blut getränkt, waren wir zum Wispernden Schwert marschiert, um die letzte Prüfung der Götter zu absolvieren.
Nur ein rechtmäßiger Hochkönig konnte das Schwert heben. Es war von den alten Göttern im Land der Toten geschmiedet worden. Aus fomorischem Stahl geformt, konnte es sogar Felsen durchtrennen. Und wenn ein rechtmäßiger Hochkönig sein Heft ergriff, flüsterte das Schwert. In der Hand eines Königs sprach es auf dem Schlachtfeld von Tod und Tapferkeit, von verstümmelten Körpern und den Liedern der Götter. Und so hatte ich gewusst, dass die Alten mich erwählt hatten.
Was zum Teufel tat ich also hier?
Mit einem Stirnrunzeln drehte sie sich zu mir um. »Worüber grübelst du nach?«
»Das Wispernde Schwert«, murmelte ich gedankenverloren.
Sie seufzte. »Fantasierst du jetzt?«
Mein Mundwinkel zuckte. Sie hatte nicht ganz unrecht. Jeder König, der das Schwert benutzte, fing an, Stimmen zu hören.
Doch meine Gedanken an Ava waren eine andere Art des Wahnsinns und sie hatte mich bereits meines Verstandes beraubt.
Ava
Das Sternenlicht fiel durch die Äste der Bäume, als wir dem Fluss den Hang hinunter folgten. Je weiter wir liefen, desto mehr schien es, als würden wir uns einer Art Zivilisation nähern. Zwischen knorrigen Stämmen tauchten verfallene Steinbögen auf, die mit rot blühenden Kletterpflanzen bedeckt waren.
Torin ging hinter mir und ich warf ein paar verstohlene Blicke über die Schulter auf seinen Oberkörper, musterte seine athletische Gestalt. Das Mondlicht schien auf seinen an dornige Äste erinnernden Tätowierungen zu glänzen und sie wie Klingen aussehen zu lassen. Ein kleiner Teil von mir wusste es zu schätzen, dass er hier war und für meine Sicherheit sorgte. Ein anderer, viel größerer Teil von mir rebellierte gegen die Tatsache, dass er mich wahrscheinlich bald zurücklassen würde, um eine andere zu heiraten. Er brauchte eine Königin und ich kam schließlich nicht mehr infrage.
Der Gedanke, dass er auf seinem reparierten Thron sitzen würde, mit jemandem wie Moria an seiner Seite …
Ich war nicht in diesen Welten aufgewachsen, genährt von der Feindschaft zwischen den Königreichen. Was hatte es für einen Sinn, den gegenseitigen Hass über Jahrtausende andauern zu lassen?
Wieder sah ich ihn an und spürte, wie mein Herz ein wenig brach, als ich seine körperliche Perfektion betrachtete. »Wen wirst du heiraten?« Keine Ahnung, warum ich fragte, obwohl ich es nicht wissen wollte.
»Wen ich heirate, spielt keine Rolle, Ava. Das Wichtigste ist, dass ich zurückkehre und meinen Thron so schnell wie möglich repariere. Ohne intakten Thron habe ich keinerlei Kräfte«, erwiderte er leise. »Vielleicht Moria oder Cleena. Sie wären beide perfekt. Ehrlich gesagt vermute ich allerdings, dass meine größte Liebe immer ich selbst bleiben werde. Und kannst du es mir verübeln, Wechselbalg?«
Ich wirbelte herum und unterbrach ihn mit einer Hand an seiner Brust. »Nicht Moria. Sie hasst dich. Sie gibt dir die Schuld für den Tod ihrer Schwester.«
»Ich habe ihre Schwester getötet.«
»Warum?«
»Ihr Name war Milisandia und ich habe sie im Tempel der Ostara begraben.« Er nahm einen tiefen Atemzug. »Es war ein Unfall, den ich seitdem jeden Tag bereue. Bis jetzt konnte ich es niemandem erzählen. Nur meine Schwester wusste davon.« Sein leidgeplagter Blick suchte meinen. »Ich habe sie ermordet, Ava.«
Ich starrte ihn an, mein Herz zog sich schmerzhaft zusammen. Ich war nicht sicher, ob er verstand, dass Moria labil und gefährlich war. Sie hatte Alice umgebracht, verdammt noch mal. »Torin, ich denke nicht, dass sie es für einen Unfall hält.«
Seine Augen blitzten auf und er legte einen Finger an die Lippen. Sein Blick ging über meine Schulter. »Ich kann einen anderen Unseelie riechen.«
Ich atmete tief ein, nahm den neuen Waldduft war. Unter dem Aroma von Lehm, Moos und nach Mandeln duftenden Pilzen lag ein salziger Geruch, der vom Wind herangetragen wurde. Als ich mich konzentrierte, hörte ich in der Ferne Gesang. Hier war der Strom des Flusses sanfter geworden, mehr ein Plätschern als ein Rauschen. In der Stille der Nacht schien dem Wald um mich herum ein dezentes Summen innezuwohnen, wie sanfte Hintergrundmusik.
Ich wandte mich wieder dem Weg zu. Ein schwaches blaues Licht leuchtete zwischen verfallenen Steingewölben weiter unten am Fluss.
Das Lied schien nach mir zu rufen und mich zu sich zu locken. Ich übernahm die Führung, während Torin sich zurückhielt, seine Schritte waren kaum wahrnehmbar. Wir nutzten das dichte rötliche Laub als Deckung und ich spähte in Richtung des blauen Lichts.
Kurz darauf entdeckte ich die Quelle: große, blau leuchtende Glühwürmchen, die über einem murmelnden Bach durch die Luft schwebten. Und dort, wo dieser sich dem größeren Strom anschloss, befand sich eine Unseelie-Frau im Wasser, deren Arme am Flussufer ruhten. Ihr schimmerndes weißes Haar fiel über ihre nackten bronzenen Schultern. Sie trug eine kleine Kappe aus leuchtend roten Federn und einen durchsichtigen grünen Schleier über ihrem Gesicht. Sie wirkte nicht besonders bösartig.
Als ich meinen Hals reckte, sah ich schillernde Schuppen, die auf ihren Schulterblättern glitzerten.
Ich drehte mich zu Torin und er flüsterte: »Eine Merrow. Nicht gefährlich, glaube ich. Sie kann das Wasser nicht verlassen.«
Ich atmete tief ein und versuchte, den Geruch von anderen Kreaturen auszumachen. Doch ich konnte nichts wahrnehmen.
Die Merrow hatte wieder angefangen zu singen; ein leises, wunderschönes Lied, das mit der berauschenden Melodie des Lebens um uns herum harmonisierte.
Mit einem tiefen Atemzug schob ich mich durch das Laub, die feuchten Blätter strichen sanft über meine Haut. Die Merrow entdeckte mich und unterbrach ihr Lied. Sie legte den Kopf schief, Neugier glänzte in ihren violetten Augen.
Ich lächelte zögerlich. »Hallo.«
Sie witterte die Luft und antwortete dann in einer trällernden, unbekannten Sprache.
»Sorry, ich verstehe dich nicht.«
Sie schnupperte erneut. »Cromm. Isavell.« Sie lächelte. »Mab.«
Sie wirkte recht freundlich. Lächelnd berührte ich meine Brust. »Ava. Mab … das ist die Königin? Sorry, ist dein Name Isavell?«
Mit glänzenden Augen lächelte sie weiterhin. »Isavell.«
Götter, ich fühlte mich wie eine Idiotin. Mein Aussehen glich dem einer Unseelie, doch ich beherrschte kein einziges Wort ihrer Sprache.
Isavell, wenn das ihr Name war, kicherte. Sie stemmte sich aus dem Wasser hoch, wodurch ein silbernes ärmelloses Kleid zum Vorschein kam, das sich an ihren nassen Körper schmiegte. Sie sah wirklich bezaubernd aus. Vielleicht waren die Unseelie überhaupt nicht dämonisch. Womöglich waren sie nur über die Jahrhunderte hinweg von ihren Feinden dämonisiert worden, waren aber eigentlich sehr lieb.
Ich fragte mich, ob Torin mittlerweile beschlossen hatte, dass ich sicher war.
Gerade überlegte ich, was ich als Nächstes sagen sollte, als Isavell auf einen blühenden Baum zeigte. Vorsichtig ging ich einen Schritt darauf zu und sie lächelte mich ermutigend an. Kleine lilafarbene Beeren wuchsen zwischen den Blüten. Als ich mit gehobenen Augenbrauen auf sie zeigte, nickte Isavell.
Vielleicht wollte sie einen Snack?
Ich pflückte eine Handvoll Beeren und brachte sie ihr, wobei ich mich ans Flussufer hockte. Immer noch lächelnd steckte sie sich eine in den Mund. Dann gestikulierte sie in meine Richtung. Sie wollte mich damit füttern? Das war etwas intimer, als ich es mit Fremden gewohnt war, aber möglicherweise schlossen die Unseelie ja auf diese Weise Freundschaft.
Dieser Ort wirkte nicht wie ein Hof des Kummers.
Ich öffnete den Mund und sie steckte eine Beere hinein. Als ich zubiss, explodierte der süße, würzige Saft auf meiner Zunge. Ich kannte die Warnungen vor dem Verzehr von Speisen und Wein in den Reichen der Fae, aber ich war eine von ihnen.
Während ich am Flussufer hockte, teilten wir uns den Rest der Beeren. Als wir fertig gegessen hatten, befleckte violetter Saft meine Handfläche. Ich stand auf und wollte sie fragen, was ich vorfinden würde, wenn ich weiterging. Würde ich eine Stadt erreichen? Eine Stadt voller schöner Fae, die Snacks miteinander teilten?
Doch ich verstand ihre Sprache nicht, also deutete ich flussabwärts und hob die Brauen.
Wieder sog die Merrow witternd die Luft ein, ihr Lächeln verblasste langsam. Spürte sie die Anwesenheit des Seelie-Königs? Dunkle Schatten glitten über ihr Gesicht und ihre Lippen kräuselten sich, um entsetzlich scharfe Eckzähne zu entblößen.
Ich taumelte rückwärts.
Sie warf den Kopf nach hinten, ihre Federkappe fiel ins Wasser. Sie öffnete den Mund und stieß einen lauten, wehklagenden Gesang mit nur einem Wort aus, das ich erkannte: Isavell, gefolgt von dem Wort Morgant.
Mein Puls beschleunigte sich.
Dieses Verhalten erschien mir nicht mehr besonders freundlich, also rannte ich zurück ins Gestrüpp. Aus der anderen Richtung hallten Schritte und knackende Äste durch die Nacht. Mein Herz raste. Ich wurde gejagt.
Noch bevor ich die Gefahr ganz begreifen konnte, traf mich ein scharfer Stich in die Schulter und ein weiterer im unteren Rücken. Sofort wich die Luft aus meiner Lunge, als wilder Schmerz durch meine Muskeln und Knochen jagte. Ich hörte, wie Torin meinen Namen rief, als ich auf den feuchten Boden viel. Er nahm mich in seine kräftigen Arme, hielt mich fest an seine nackte Brust gedrückt und rannte.
Meine Glieder zuckten, während irgendein Gift sich darin ausbreitete, und ich hatte Mühe, meine Arme nicht von seinem Hals zu lösen. Die Wurfpfeile zerrten an meiner Haut.
»Das war ein Fehler«, zischte Torin, versteifte sich und ließ mich auf den Boden fallen.
Schmerz schoss durch meinen Rücken und ich rollte mich auf dem moosigen Untergrund auf den Bauch. Mit verschwommener Sicht suchte ich den Waldboden nach Torin ab. Aus seinem nackten Rücken ragten Wurfpfeile wie beim heiligen Sebastian und er hatte Mühe, sich auf seine Arme zu stützen.
Auf Händen und Knien kroch er auf mich zu und riss die Pfeile aus meinem Fleisch. Ich bewegte mich, um ihm zu helfen, aber ein Stiefel landete hart auf ihm und drückte ihn zu Boden, dann zerrte mich jemand von hinten hoch.
Ava
Auf dem Bauch liegend starrte ich den Mann an, der seinen Stiefel auf Torins Rücken drückte – ein hoch gewachsener Fae mit breiten Schultern, die mit einer bronzenen Rüstung bedeckt waren. Er trug eine Krone aus vergoldeten Skorpionen, die von seinen Hörnern gehalten wurde. Langes weißes Haar fiel an seinem Rücken hinab.
Ich schluckte schwer.
»Warte.« Mein Mund war ganz trocken und ich konnte nicht mehr klar denken. »Lass ihn gehen. Er gehört nicht hierher.« Konnte er mich überhaupt verstehen?
Schwarze Flügel spannten sich hinter ihm auf. Sie waren durchscheinend und dünn, wie Schmetterlingsflügel. Mit einem anderen Gesichtsausdruck hätte man ihn vielleicht als schön bezeichnen können. Seine Miene wirkte jedoch, als wäre er kurz davor, Torin zu Tode zu prügeln.
Er musterte mich aus schmalen bernsteinfarbenen Augen. Langsam nahm er den Fuß von Torin.
Dieser rollte sich auf den Rücken, wobei die Wurfpfeile abbrachen, und packte das Bein des Angreifers mit beiden Händen, um den Knöchel des Unseelie in eine Richtung und sein Knie in die andere zu drehen.
Der weißhaarige Unseelie fiel zu Boden, der Aufprall hallte durch den Wald.
Doch der Fremde blieb nur einen Moment lang unten und weder Torin noch ich konnten aufstehen. Mehr Unseelie näherten sich, gekleidet in Felle und Rüstungen, Leder und Moos; sie riefen etwas in ihrer seltsamen Sprache.
Ein Unseelie mit einem Geweih packte meine Arme und zerrte mich auf die Füße. »Morgant«, sagte er an den Fae mit der Skorpionkrone gerichtet.
Panik machte sich in meinen Gedanken breit, als ich daran dachte, was Torin hier im feindlichen Gebiet passieren würde.
Mein Körper vibrierte vor Schmerz, den das Gift auslöste, und ich wollte nichts lieber, als mich zu einem Ball zusammenzurollen und mich zu übergeben. Allerdings konnte ich das nicht, da Morgant mich zu einem Pferd zerrte. Er warf mich über den Rücken des Tieres, bevor er hinter mir aufstieg und einen Waldpfad entlangritt.
Ich hob den Kopf, um zurückzublicken, und Entsetzen traf mich wie eine Faust ins Gesicht. An einem Seil gefesselt wurde Torin hinter dem Pferd hergeschleift.
Mittlerweile war mir alles egal, außer einen Weg zu finden, um ihn aus dieser Situation zu befreien. Da ich seinen Anblick nicht ertragen konnte, wandte ich den Blick ab.
Der Wald lichtete sich und in der Ferne kam ein Schloss in Sicht, das sich aus den Felsen und dem Nebel erhob. Es ragte hoch über uns auf, sein Fundament wand sich wie knorrige Baumwurzeln, die in eine finstere Festung übergingen.
Das Gift schlängelte sich durch meine Adern und ließ meine Sicht verschwimmen. Ich schrie, bis ich heiser wurde, dann landete eine Faust hart auf meinem Hinterkopf und raubte mir die Sinne.
Mit brennenden Muskeln und pochendem Schädel lag ich auf einem unebenen Boden. Mondlicht warf kühles Licht in den Raum, eine seltsame Art Zelle. Zwei der Wände schienen aus bläulicher Rinde zu bestehen, die Hunderte von Metern in den Himmel ragte. Die anderen beiden waren aus Stein, eine Eisentür war in eine davon eingelassen.
Winzige silberne Punkte sprenkelten die Dunkelheit über mir, kleine Lichtstrahlen in einer Zelle, die sowohl schmal als auch unglaublich hoch war. Hier drinnen leisteten mir nur die Schatten Gesellschaft.
Ich fuhr mir mit der Hand über die Stelle am Rücken, an der mich die Wurfpfeile getroffen hatten, und verzog das Gesicht angesichts der Muskelkrämpfe, die bei jeder Bewegung einsetzten. Ich versuchte zu schlucken, da meine Kehle staubtrocken war.
»Torin?« Meine Stimme kam wie ein Krächzen heraus.
Als Antwort hörte ich nur meine eigene Stimme, die von den Wänden widerhallte.
Ich ließ den Kopf in die Hände sinken und versuchte, die stärker werdende Übelkeit im Zaum zu halten. Ich wusste nicht einmal, ob Torin lebend hier angekommen war.
Wenn ja? Dann hatte er es vielleicht geschafft, ein Portal zu öffnen und zu entkommen.
Sollte er hierbleiben, würden die Unseelie ihn in Stücke reißen.
Ich würgte, doch es kam nichts heraus. Wenn die Unseelie wirklich Monster waren, wie Torin behauptete, was zum Teufel sagte das dann über mich aus?
Meine Kehle fühlte sich rau an. »Torin?«, versuchte ich es erneut und bekam prompt einen Hustenanfall.
Ich stand auf und humpelte zur Eisentür. Verzweifelt schlug ich mit der Faust dagegen. »Hallo?«, rief ich. »Torin? Irgendjemand?« Je mehr ich schrie, desto unerträglicher wurde mein Durst. Meine Kehle fühlte sich an, als hätte ich Glassplitter geschluckt.
Panik ergriff mich und ich wandte mich wieder meiner schmalen, hohen Zelle zu, mein Blick fiel auf den mit Mondlicht gespickten Baldachin über mir. Meine Augen gewöhnten sich an die Dunkelheit, und so konnte ich die rötlichen Schattierungen der Blätter ausmachen.
Wenn ich die Wände erklimmen könnte, wäre ich womöglich in der Lage, auf diesem Weg ins Freie zu gelangen. Doch sowohl der Stein als auch die Rinde waren zu glatt, um sich daran festzuhalten.
Mein Hals brannte und ich konnte nur noch an kühles Wasser denken, daran, wie wohltuend es sich anfühlen würde, wenn es meine Kehle hinunterfließen würde.
Ich sackte gegen die Rinde und schloss die Augen. Ich leckte mir über die trockenen Lippen und dachte daran, wie Torin versucht hatte, mit mir im Arm davonzulaufen. Dann stellte ich mir vor, wie wir in den Fluss eintauchten, dessen kristallklares Wasser in unseren Mund strömte.
Wenn ich schon keine tatsächliche Linderung für meinen Durst bekam, würde ich mich mit der Fantasie zufrieden geben müssen.
Ava
Dünne Strahlen aus goldenem Licht drangen zu mir herein und ich erwachte auf dem Boden. Seit Tagen driftete mein Bewusstsein irgendwo zwischen Schlaf und Wachsein – zumindest glaubte ich, dass schon so viel Zeit vergangen sein musste. Sollte ich es jemals lebend hier herausschaffen, würde ich Essen und Trinken nie wieder als selbstverständlich erachten. Ich würde für immer über moderne Wunder wie Supermärkte und Duschen staunen.
Jeder Augenblick, den ich hier verbrachte – selbst im Traum –, wurde von einer Frage beherrscht, die wie ein leuchtendes Neonschild in meinem Verstand aufflackerte: Was tut Torin gerade?
Während ich auf dem Boden meiner Gefängniszelle lag, wanderten meine Gedanken zurück zu dem Abend, an dem er mir die Aussicht auf das Reich der Fae von einer schneebedeckten Klippe gezeigt hatte. Er hatte den Whiskey in seinem Flachmann mit mir geteilt und wir hatten den atemberaubenden Ausblick auf einen gefrorenen See und die dunklen Berge genossen, die ihn umgaben. Schnee hatte die schwarzen Hänge überzogen und dunkle Schlösser hatten sich am felsigen Horizont abgezeichnet. Goldene Fenster hatten in der Ferne geglänzt, Tausende gemütlicher Hütten und Heimstätten. Diese Erinnerung war jetzt meine neue Fantasie. Mein neuer Zufluchtsort.
Vielleicht saß er gerade genau dort und trank Whiskey. Wie wunderbar würde der Alkohol schmecken, wenn er meine Kehle hinunterglitt? Genau wie der Schnee. Ich würde auf die Knie gehen und ihn vom Boden auflecken.
Ich war gerade wieder in den Schlaf abgedriftet – nur für einen Moment –, als ich das Schaben von Eisen gegen Eisen hörte. Ich riss die Augen auf und mein Blick ging zur Tür. Ich hatte den Schnee beinahe schmecken können, hatte fast gespürt, wie er auf meiner Zunge schmolz, doch nun war mir die Illusion entrissen worden. Ich hoffte, dass sie durch echtes Wasser ersetzt werden würde.
Als sich die Tür öffnete, wallte ein Hauch von Angst aus den Untiefen meines Verstandes herauf. Morgant stand in der Tür, gekleidet in tiefgrünes Leder. Das Tageslicht wurde vom Gold seiner Skorpionkrone reflektiert.
Er hielt einen Steinbecher in der Hand, doch sein eisiger Ausdruck ließ meinen Magen rumoren.
Ich versuchte aufzustehen, aber meine Muskeln waren zu schwach, also lehnte ich mich einfach wieder an die Baumrinde.
»Wasser«, raunte ich. Welch geringes Maß an Fähigkeiten, andere zu bezaubern oder ihnen zu schmeicheln, ich einst besessen haben mochte, hatte sich schon vor Tagen verflüchtigt.
Wäre ich ein Mensch, dann wäre ich bereits tot.
Morgant schenkte mir ein grimmiges Lächeln und kniete sich neben mich. Sein bernsteinfarbener Blick wurde schmal. »Ich gebe dir einen Schluck, wenn du mir die Information gibst, die ich haben will.« Er packte meine Kehle. »Du riechst schrecklich.«
Als wäre mein momentaner widerlicher Zustand meine persönliche Entscheidung.
»Wie bist du in die Gesellschaft des Seelie-Königs gelangt?« Er sprach mit einem deutlichen Akzent und rollte das R.
Ich wusste nicht, ob sie Torin noch gefangen hielten, und ich würde dem Mann gegenüber, der ihn möglicherweise bei lebendigem Leibe häuten würde, seine Identität nicht bestätigen. »Der Seelie-was?«, fragte ich.
Sein Griff an meiner Kehle wurde fester. »Wenn du Wasser willst, wirst du meine Fragen beantworten. Mitglieder unserer Art lügen nicht.«
Mein Blick hob sich zu dem Licht, das durch die Zweige über mir fiel. Es musste hier doch irgendwann regnen. Nur war das bis jetzt noch nicht geschehen. »Ich weiß nicht, wovon du sprichst.«
Er ließ seine Hand an meiner Kehle und hielt mit der anderen den Becher über meinen Mund. Dann ließ er einen einzigen Tropfen auf meine Lippen fallen. Ich leckte ihn auf und brannte nach mehr.
»Die Sache ist die, Verräterin: Er spricht mit uns. Und du scheinst ihm überhaupt nicht wichtig zu sein.«
Ich starrte Morgant an und eine grauenhafte Erkenntnis durchströmte meine Gedanken. Die ganze Zeit über hatte ich mir vorgestellt, dass er mit einem Portal von hier entkommen wäre.
»Mein Name ist Ava Jones, nicht Verräterin.« Befand sich Torin wirklich hier im Kerker – oder bluffte Morgant nur? Denn wenn sie ihn folterten …
Finsternis nahm meinen Verstand ein.
Morgant verzog den Mund. »Der Seelie-König sagte, dass er dich verabscheut. Dass er in sein Königreich zurückkehren und eine wunderschöne Frau namens Moria heiraten wird.« Er neigte den Kopf. »Er besitzt dir gegenüber keinerlei Loyalität. Ich glaube, er findet dich abstoßend, geradezu liederlich, und denkt, dir mangele es an Disziplin und Kultiviertheit.«
Autsch.
»Er sagte«, fuhr Morgant fort, »dass er dich nur als Teilnehmerin für die Prüfung zur Auswahl der Königin zugelassen hat, weil er dich hasst. Weil er keine echte Ehefrau wollte. Er sagte, er könne dich niemals lieben.«
Ich starrte auf den Boden, meine Sicht verschwamm. Seitdem ich nach Hause gekommen und Andrew mit Ashley im Bett gesehen hatte, war mein Herz nach und nach zu Eis erstarrt. Jetzt sickerte die Kälte direkt in meine Adern und breitete ihren frostigen Mantel über meiner Brust aus. Bei Morgants Worten legte sich die letzte Lage Eis um mein Herz wie ein glitzernder Panzer.
»Nur ist er nicht der König«, sagte ich stumpf. »Er lügt dich an.«
Morgant löste den Griff um meine Kehle und schlug mir hart ins Gesicht. Der Hieb machte mich schwindelig und Schmerz schoss durch meine Schläfe. Ich fiel auf den Boden aus rauen Wurzeln und machte mir gar nicht die Mühe, wieder aufzustehen.
Sollte ich jemals meine Kraft zurückerlangen, dann würde ich diesem Mistkerl das Rückgrat herausreißen.
»Falls du versuchst, einen Mann zu beschützen, der dich hasst«, höhnte er über mir, »muss ich sagen, das ist ziemlich … Wie heißt das Wort in eurer Sprache? Erbärmlich. Außerdem finde ich es bizarr, dass du so schwach bist. Keine Magie. Keine Kraft. Weder Ehrlichkeit noch Ehre. Du bist überhaupt nicht wie eine wahre Unseelie. Wir lügen nicht. Und wir wissen, wer er ist. Die Königin weiß auch, wer du bist.«
Mein Blick huschte zu ihm. »Damit wäre sie die Einzige, denn ich habe keine Ahnung. Willst du’s mir verraten?«
»Sie hat es mir noch nicht mitgeteilt.« Seine kräftige Hand packte mich im Nacken. Er hob mich hoch in die Luft, unter seinen Fingern bildeten sich blaue Flecken. Ich trat nach hinten und schwang meine Beine dabei so hart, wie ich konnte. Es war, als würde man gegen eine Steinwand treten, eine, die ich kaum erreichte.
»Wo ist deine Magie?«, blaffte er. »Eine Unseelie sollte nicht so hilflos sein.«
Er ließ mich fallen und ich landete wieder auf dem Boden, wo ich mich zu einem Ball zusammenrollte. Noch bevor ich Zeit zum Antworten hatte, trat Morgant mir in die Rippen – heißer Schmerz schoss durch meine Flanke. Das Gefühl nahm mir die Sicht und für einen Moment wurde alles schwarz.
Ich zog die Beine an meine Brust, in dem Versuch, meinen Körper, meine Rippen zu schützen. »Ich habe keine Magie. Ich bin eine gewöhnliche Fae.«
»Es gibt keine gewöhnlichen Unseelie.« Seine erzürnte Stimme dröhnte durch die Zelle. »Wir haben alle Magie. Aber du? Du bist kaputt. Du hast zu viel Zeit in ihrer Gesellschaft verbracht.«
Mein Verstand raste, als würde ich gejagt werden. Wenn ich »kaputt« war, wie dieses Monster behauptete, dann half er mir nicht gerade, indem er mich auf den Boden warf und mir in die Brust trat.
»Wenn ich irgendwelche Magie hätte«, keuchte ich, »würde ich sie benutzen.« Es klang wie ein Flehen.
»Und in dem Fall würde ich dich vielleicht respektieren. Doch da du nichts hast, womit du dich wehren kannst, musst du mir ein paar Antworten geben, um zu überleben, nicht wahr? Denn der Seelie-König hat mir nicht erzählt, warum er hier ist. Und er sagte mir, dass seine Armee stark sei, hat mir aber keine Einzelheiten verraten.« Er kniete sich neben mich und strich mir das Haar aus dem Gesicht, während ich meine Rippen fest umklammert hielt. »Du bedeutest ihm absolut gar nichts, Ava Jones. Es gibt keinen Grund, warum du unseren feindlichen König beschützen solltest. Also erzähl mir von seiner Magie im Reich der Fae. Erzähl mir von seiner Armee. Tust du das, bekommst du eine Mahlzeit und Wasser. Tust du es nicht, breche ich dir vielleicht die Arme. Oder ich reiße die Löcher auf, die meine Pfeile in deine Schultern geschlagen haben. Du hast die Wahl.«
»Sie haben ganze Legionen. Und mächtige Magie. Sie werden herkommen, um ihren König zu retten, wenn ihr ihn nicht freilasst. Sie werden euch alle abschlachten.« Ich hatte keine Ahnung, ob irgendetwas davon stimmte. Wenn Torin im Kerker des Hofs des Kummers saß, musste sein Königreich dank Frost und Hungersnot bereits halb tot sein.
Er fletschte die Zähne, scharfe Fangzähne kamen zum Vorschein. »Versuchst du, uns zu drohen? Ich rate dir, deine Situation nicht zu verschlimmern«, dröhnte er mit tiefer, rauer Stimme. »Ich rate dir zu tun, was dir gesagt wurde.«
»Ich weiß wirklich gar nichts über Magie. Ich bin bei den Menschen aufgewachsen. Wenn die Königin weiß, wer ich bin, dann sollte sie auch das wissen.« Schon das Sprechen allein war anstrengend.
»Wie bist du hierher gelangt?«
Ich rollte mich flach auf den Rücken und starrte zu den Blättern hinauf. »Irgendeine Magie, die ich nicht verstehe.« Das zumindest entsprach der Wahrheit.
Er hielt den Steinbecher hoch. »Öffne den Mund, wenn du trinken willst.«
Obwohl ich mich für meinen erbärmlichen Zustand hasste, öffnete ich den Mund und streckte die Zunge heraus. Morgant ließ einen winzigen Tropfen Wasser nach dem nächsten auf meine Zunge fallen. Ich trank sie alle, bis er den Becher wieder wegnahm.
»Wie hat sie ausgesehen? Wie hat sie sich angefühlt? Diese Magie, die dich hergebracht hat.«
Wasser. »Es waren … blitzende Lichter … und ein Spruch …« Ich hatte ganz eindeutig nicht mehr die Kraft, mir eine überzeugende Lüge auszudenken, und Morgant verpasste mir erneut einen harten Schlag. Ein Schmerz, so scharf, dass helles Licht unter meinen Lidern explodierte, durchzuckte meinen Schädel.
»Rühr mich nicht noch mal an«, zischte ich mit so viel Wildheit, wie ich aufbringen konnte.
Morgant stand auf, sein bernsteinfarbener Blick bohrte sich in meinen. Er hielt den Steinbecher über mich und goss den Inhalt neben meinem Kopf auf den wurzelbedeckten Boden. »Du hast unter Menschen gelebt und weißt daher vielleicht nicht, wie widerstandsfähig wir Fae sind. Körperlich. Dein Verstand könnte brechen. Du könntest um den Tod flehen, während du verhungerst. Während du vor Durst wahnsinnig wirst. Aber der Tod wird dich nicht so einfach ereilen.«
»Du bist ein verdammtes Tier«, murmelte ich. Die Worte stolperten aus meinem Mund, bevor ich sie aufhalten konnte. Sobald sie ausgesprochen waren, wusste ich, dass ich einen schrecklichen Fehler begangen hatte.
Morgant wirbelte herum und Schmerz raste durch meine Schulter, wo einer der Pfeile mich durchbohrt hatte, doch er berührte mich gar nicht. Ich wand mich auf dem Boden, während seine quälende Magie mir die Schulter zerriss.
»Weißt du, mit welchen Geschenken Briga mich gesegnet hat?«, fragte er spöttisch. »Die Aschegöttin hat mich als Heiler auserkoren. Ich kann gebrochene Knochen und zerfetzte Haut und Muskeln wieder zusammensetzen. Doch die Magie, die heilt, kann einen Körper auch zerreißen.«
Scharfe Ranken aus Magie durchbohrten meine Muskeln wie Klauen. Ich bekam kein Wort heraus, nur unmenschliche Schreie.
»Und hier stehe ich nun«, zischte er, »mit hervorragender Kontrolle über meine Magie – und du hast gar keine. Du heulst wie ein Tier. Ich weiß, dass die Seelie uns so bezeichnen. Tiere. Dämonen. Aber wir respektieren Tiere hier, die majestätischen Kreaturen des Waldes. Im Reich der Fae werden sie gegessen. Und weißt du, was ich glaube? Die Seelie sollten dieses Wort nicht als Beleidigung benutzen, wenn sie doch brutaler sind als die Tiere selbst. Die Seelie spucken auf Fae wie dich. Erbärmliche Leute wie dich, nicht einmal fähig, auch nur einen Hauch von Magie zu beschwören.«
Als er seine entsetzliche Macht wieder zurückzog, fühlte es sich an, als würde ein Raubtier seine Klauen aus seiner Beute lösen.
Mein ganzer Körper bebte, Übelkeit wogte in meinem Bauch.
»Wenn du hier lebend rauskommen willst«, sagte er scharf, »solltest du vielleicht lernen, deine Magie zu benutzen. Das ist der beste Rat, den ich dir geben kann.«
Er verschwand aus meinem Sichtfeld und ich hörte, wie die Tür ächzend geöffnet und dann fest zugeschlagen wurde.
Ich drückte das Gesicht auf den Boden und zitterte unkontrolliert. Das Neonschild brannte weiter in meinem Hinterkopf, während Gedanken an Torin aufblitzten. Jetzt war ich mir sicher, dass er hier irgendwo eingesperrt war, schlimmer zugerichtet als ich.
Und ich litt eindeutig an Dehydrierung, denn ich fing an, Dinge zu sehen … Zu sehen, wie die Ranken und Blätter um mich herum emporstiegen, nach mir griffen …
Ein Klopfen unterbrach meine Vision. Ein Dröhnen in meinem Kopf?
Ich legte mich wieder auf den Boden, mein Kopf pochte. Mein Herz war wie Eis.
BUMM. BUMM.
Doch selbst als der Lärm anhielt, schloss ich die Augen. Zuerst dachte ich an den Winter – an einen Frost, der die Welt mit Weiß überzog. An Eis, das über ein Königreich kroch …
