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"Du darfst mich niemals berühren, Ava. Verstehst du?"
Ava Jones lebt als Fae in der Menschenwelt und macht gerade eine schlimme Zeit durch. Denn als sie ihren Freund beim Fremdgehen erwischt, verliert sie nicht nur ihr Zuhause, sondern auch den Glauben an die Liebe. Ausgerechnet da trifft sie auf den Fae-König Torin, der demnächst heiraten soll - und zwar die Gewinnerin eines Turniers um Leben und Tod. Davon hält Torin nicht viel, genau wie von der Liebe, und bietet Ava fünfzig Millionen Dollar, wenn sie das Turnier gewinnt und eine Fake-Ehe mit ihm eingeht. In ihrer Situation kann Ava nicht anders als zuzustimmen. Doch je mehr Zeit sie mit dem attraktive Torin verbringt, desto schwerer fällt es beiden, sich daran zu erinnern, dass nichts zwischen ihnen echt ist. Vor allem, weil eine Beziehung mit Torin Gefahren bergen würde, von denen Ava noch nichts ahnt ...
"Ich habe Frost in einem Rutsch verschlungen! Vor lauter Gefühlen und Spannung konnte ich das Buch nicht aus der Hand legen." @ryann.thebusyreader
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Seitenzahl: 379
Veröffentlichungsjahr: 2025
Titel
Zu diesem Buch
Prolog
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Danksagung
Die Autor:innen
Die Romane von C. N. Crawford bei LYX
Impressum
C. N. CRAWFORD
Frost
Roman
Ins Deutsche übertragen von Bianca Dyck
Ava Jones lebt als Fae in der Menschenwelt und macht gerade eine schlimme Zeit durch. Denn als sie ihren Freund beim Fremdgehen erwischt, verliert sie nicht nur ihr Zuhause, sondern auch den Glauben an die Liebe. Ausgerechnet da trifft sie auf den Fae-König Torin, der demnächst heiraten soll – und zwar die Gewinnerin eines Turniers um Leben und Tod. Davon hält Torin nicht viel, genau wie von der Liebe, und bietet Ava fünfzig Millionen Dollar, wenn sie das Turnier gewinnt und eine Fake-Ehe mit ihm eingeht. In ihrer Situation kann Ava nicht anders als zuzustimmen. Doch je mehr Zeit sie mit dem attraktive Torin verbringt, desto schwerer fällt es beiden, sich daran zu erinnern, dass nichts zwischen ihnen echt ist. Vor allem, weil eine Beziehung mit Torin Gefahren bergen würde, von denen Ava noch nichts ahnt …
Die traurige Wahrheit ist, dass die meisten Beziehungen zum Scheitern verurteilt sind.
Früher hatte ich geglaubt, meine würde die Ausnahme bilden – dass ich den Richtigen gefunden hätte. Dass meine strahlende Liebe, anders als die meisten anderen, für immer brennen würde.
Andrew war ein Mensch – im Gegensatz zu mir. Ich war als Fae geboren worden, hielt mich allerdings so weit wie möglich von meinen Artgenossen fern. Die meisten Fae waren gewalttätig, launisch und atemberaubend arrogant. Andrew hingegen flocht mir Wildblumenkränze und schrieb mir Gedichte über Ahornbäume.
Anfangs war es seine Schönheit, die mich angezogen hat: blaue Augen mit goldenen Sprenkeln und gewelltes kastanienbraunes Haar. Wenn er lächelte, kräuselten sich seine Mundwinkel auf eine Art, die mich immer dazu verführte, ihn küssen zu wollen. Andrew duftete nach Zuhause, Seife und schwarzem Tee.
Doch das war nicht der Grund, warum ich mich in ihn verliebt habe. Es war seine Freundlichkeit.
Nach einer langen Woche machte er sich stets die Mühe, mir Tee zu kochen oder einen Cocktail zu mixen, und ich schlief mit dem Kopf auf seiner Brust ein. Bei Andrew fühlte ich mich tatsächlich sicher. Er war ein Mensch und ich eine Fae, aber das schien zwischen uns nie eine Rolle zu spielen.
Er hörte mir immer zu, antwortete umgehend auf meine Nachrichten und erkundigte sich nach meinem Tag. Er hatte einen Dackel namens Ralphie und er chauffierte seine Mutter zu ihren Arztterminen. Jeden Sonntag hingen wir in seiner ordentlichen Eigentumswohnung in der Vorstadt ab, tranken Kaffee und lasen dazu die gleichen Bücher.
Andrew glaubte wirklich, dass nichts wichtiger sei als die Liebe. Dass sie zelebriert werden sollte. Er sagte mir, ich sei seine Seelenverwandte.
Im Gegensatz zu meinen Artgenossen gab er mir ein Gefühl von Sicherheit. Geborgenheit.
Wir planten gemeinsam unsere Zukunft. Die Idee war wie folgt: Ich würde ihn dabei unterstützen, seine Hypothek abzuzahlen, während er sein Studium beendete und seinen MBA machte. Sobald er dann Geld verdiente, wäre mein Traum an der Reihe – eine Cocktailbar namens Chloe’s zu eröffnen, benannt nach meiner Mom. Andrew wollte mir bei der Finanzierung helfen. Wir würden ein glückliches Leben unter Menschen führen, in einer grünen Vorstadt voller Gartenpartys und Deckenburgen mit unseren Kindern. Mit sommerlichen Ausflügen zum Strand. Eben ein normales Leben als Menschen.
Das Problem war nur: Am Abend meines sechsundzwanzigsten Geburtstags erfuhr ich, dass alles eine Lüge gewesen war.
Und das war der Zeitpunk, an dem ich gänzlich aufhörte, an die Liebe zu glauben.
Ava
Ich stand auf dem gepflasterten Gehweg und hielt eine Tüte mit Essen fest in der Hand, wobei mir allein beim Gedanken an Chicken Vindaloo und Peshwari Naan schon das Wasser im Mund zusammenlief. Im Royal Bistro wurde das Naan köstlich buttrig und das Curry so scharf zubereitet, dass ich vor Euphorie bereits ins Schwitzen kam.
Da ich Geburtstag hatte, hatte mich der Manager der Bar früher gehen lassen. Ich hatte keine großen Pläne. Nachdem ich stundenlang Drinks für die Businessleute gemixt hatte, die jeden Freitagabend herkamen, wollte ich mich einfach nur vollstopfen und mir mit Andrew Komödien anschauen.
Auf dem Weg zu unserem Zuhause atmete ich den Duft von Chilipulver, Kreuzkümmel und Knoblauch ein, den die Papiertüte unter meinem Arm verströmte. Das war das Erste, was uns verbunden hatte, als unsere Freunde uns einander vorgestellt hatten – das Verlangen nach dem schärfsten Essen überhaupt.
Mit knurrendem Magen steckte ich den Schlüssel ins Loch und betrat Andrews Wohnung.
Bei den Geräuschen, die von oben zu mir herunterdrangen, spitzte ich sofort die Ohren. Dem unsagbar lauten Stöhnen und Keuchen nach zu urteilen schaute Andrew sich gerade irgendwelche versauten Videos an – das hörte man an diesen sehr gespielten, hohen Tönen, die eindeutig darauf ausgerichtet waren, Männer anzutörnen. Frauen würden sofort heraushören, wie gekünstelt es klang.
Interessant. Na ja, er dachte eben, dass er noch ein paar Stunden für sich hatte. Da sollte er sich ruhig so viele Pornos ansehen, wie er wollte. Nur warum in dieser Lautstärke, wo er doch wusste, wie hauchdünn die Wände der Wohnung waren?
Ich schob mir die Schuhe von den Füßen. Auf dem Weg in die Küche stieß ich mir den Zeh an einem Holzstuhl an, was mir einen schmerzerfüllten Schrei entlockte und eine irrationale Wut auf die Existenz des Stuhls in mir aufwallen ließ. Stirnrunzelnd holte ich das Vindaloo aus der Tüte. Und in dem Moment fiel mir auf, dass die Pornolaute aufgehört hatten. Andrew war es wohl peinlich, dass ich ihn erwischt hatte. Bei dem Gedanken musste ich lächeln. Ihm war doch sicher bewusst, dass es mich nicht störte, oder?
»Hallo?«, ertönte Andrews Stimme von oben. Er klang panisch. Ich drehte mich um, als ich ihn leiser sagen hörte: »Ich glaube, es ist nichts.«
Mir stockte der Atem. Sprach er da mit einer anderen Person?
Jetzt hämmerte mein Herz wie wild. Ohne mir wirklich darüber bewusst zu sein, dass ich einen heißen Behälter mit Curry in der Hand hielt, schlich ich die Treppe hinauf. Das schrille Stöhnen ging wieder los, genau wie das Quietschen der Matratze.
Grauen hielt mein Herz gefangen. Ich kam bei der Schlafzimmertür an, die leicht geöffnet war.
Sehr vorsichtig schob ich sie weiter auf.
Sofort zog sich mein Magen so schmerzhaft zusammen, dass ich mich beinahe übergeben hätte.
Andrew lag in der Mitte des Bettes, seine Gliedmaßen waren auf intimste Weise mit denen einer blonden Frau verschlungen, die ich noch nie gesehen hatte. Ich musste geschrien oder gebrüllt haben, denn sie fielen beide fast vom Bett, als sie zu mir herumwirbelten. Für einen langen Augenblick starrten wir alle einander an, von Entsetzen ergriffen.
»Ava, was machst du denn hier?« Andrews Gesicht war knallrot.
»Was zum Teufel machst du hier?«
»Du solltest doch noch bei der Arbeit sein.« Er lag unter einer nackten Frau und redete daher, als wäre das eine vollkommen logische Erklärung.
»Ich habe heute Geburtstag, deshalb durfte ich früher gehen.«
Andrew schob die Frau von sich, sodass sie nebeneinander auf dem Bett lagen – unserem Bett –, ihre nackte Haut verschwitzt und gerötet. Ich starrte die Szene an, war kaum in der Lage zu verstehen, was ich sah, und wusste doch, dass sich in dem Moment meine Zukunft in Luft auflöste.
»Ich wollte es dir erzählen …« Er schluckte schwer. »So war das nicht geplant. Es ist nur so, dass Ashley und ich uns ineinander verliebt haben.«
»Nichts für ungut«, fügte Ashley hinzu, während sie sich mit dem Laken bedeckte. »Aber Andrew ist durch mit dem Herumexperimentieren. Er möchte eine Familie. Eine normale Familie. Also … eine menschliche.«
Andrew schluckte schwer, sein ganzer Körper war angespannt. »Ashley und ich … wir haben Gemeinsamkeiten, Ava. Wir haben eine Zukunft.«
Ich konnte nicht atmen. Wieso hatte ich das nicht kommen sehen? In meinem Kopf wurde es still, es blieb nichts weiter als das Gefühl meines brechenden Herzens.
Da schleuderte ich das Vindaloo in seine Richtung und als der Plastikbehälter auf das Bett traf, explodierte er sofort. Kochend heißes Hähnchen mit Chilis bedeckte die beiden von Kopf bis Fuß. Andrew und die Frau schrien und ich fragte mich, ob ich etwas Illegales getan hatte. Konnte man dafür verhaftet werden, dass man heißes Curry nach jemandem geworfen hatte?
»Was machst du denn?«, brüllte Andrew.
»Keine Ahnung! Was machst du?«, schrie ich zurück.
Mein Blick zuckte durchs Zimmer und blieb am Wäschekorb hängen, in dem unsere Kleider ineinander verschlungen lagen. Aus irgendeinem Grund machte mich der Gedanke, meine Wäsche von seiner trennen zu müssen, trauriger als alles andere. Das Wäschewaschen war immer meine Aufgabe gewesen und ich hatte sie stets ordentlich für ihn gefaltet … Würde ich meine Klamotten aus dem Korb ziehen und sie ab sofort in einem Waschsalon waschen müssen?
Verdammte Scheiße, wo würde ich jetzt wohnen?
Andrew wischte sich das Curry mit dem Laken ab. »Du hast gesagt, ich hätte im Urlaub einen Freifahrtschein. Und je besser ich Ashley kennengelernt habe, desto mehr wurde mir klar, dass wir zusammengehören.«
»Einen Freifahrtschein?« Ich starrte ihn an, wobei ich die beiden durch den Tränenschleier nur noch verschwommen wahrnahm. »Ich sagte, ich weiß, was ein Freifahrtschein ist. Nicht, dass du einen hättest. Und du bist nicht im Urlaub.«
»Aber ich habe Ashley im Urlaub kennengelernt. Ich konnte einfach nicht anders. Ihre Schönheit hat mich magisch angezogen.«
Ich blinzelte und spürte, wie mir eine Träne die Wange herunterlief. »Dein letzter Urlaub war vor fast drei Jahren.«
Andrew schüttelte den Kopf. »Nein, Ava. Ich war mit dir letzten Winter in Costa Rica und du bist wegen einer Blasenentzündung die ganze Zeit auf dem Zimmer geblieben. Weißt du noch?«
»Du hast sie kennengelernt, als wir im Urlaub waren?«
Erneut schluckte Andrew schwer. »Na ja, mit dir konnte ich auf dieser Reise ja kaum Spaß haben.«
Neben ihm versuchte Ashley, sich hektisch das heiße Curry mit einem meiner Handtücher abzuwischen. »Dieses Zeug ist wirklich nicht gut für meine Haut.«
Mit einem Hundeblick blinzelte Andrew mich an. »Ava. Es tut mir leid. Das Ganze hier ist offensichtlich bloß eine Art Fehlkommunikation. Ich wollte dir nie wehtun. Aber das Herz will nun mal, was es will.«
Meine Kehle war eng und meine Brust schmerzte. »Was stimmt mit dir nicht?«
»I-ich wollte es dir ja erzählen …«, stotterte er. »Wir haben uns verliebt. Und Liebe ist wunderschön, oder? Liebe sollte immer zelebriert werden. Im Ernst, Ava, du solltest dich für mich freuen. Ich habe meine Seelenverwandte gefunden.« Er seufzte dramatisch. »Kannst du mal für eine Minute aufhören, egoistisch zu sein, und das alles aus meiner Perspektive betrachten?«
Die ganze Welt stand Kopf. »Du hast gesagt, ich wäre deine Seelenverwandte. Ich nehme an, du schreibst ihr auch Gedichte?« Ich wirbelte herum und war schon wieder im Flur, als es in meinem Kopf klick machte. »War das Gedicht über den Baum für sie oder für mich?«
»Das war für mich«, blaffte Ashley.
Unwillkürlich traf mich eine schreckliche Erkenntnis. Dies war nicht nur das Ende meiner Beziehung. Es war das Ende meiner gesamten Zukunftspläne. »Andrew, was ist mit der Bar? Du wolltest mir helfen, sie zu finanzieren.«
Mit einem kleinen Lächeln zuckte er die Schultern. »Oh, Ava. Dir fällt schon was ein. Geh doch aufs College oder so. Du wärst eine brillante Studentin.«
Panische Gedanken wirbelten mir durch den Kopf wie Herbstlaub in einem Sturm. Ich hatte zugelassen, dass Andrew zum Mittelpunkt meines ganzen Lebens wurde, und das war nun fort.
Tränen brannten mir in den Augen. »Du wolltest nur warten, bis du das Studium abgeschlossen hast, oder?«, fragte ich. »Denn nicht Ashley zahlt deine Rechnungen, sondern ich.«
Sie warf sich das Haar über die Schulter. »Ich bin Schauspielerin. So eine Karriere braucht Zeit.«
»Und Talent. Und wenn man bedenkt, wie gespielt der Orgasmus eben geklungen hat, habe ich da nicht viel Hoffnung für dich«, konterte ich.
Ashley schnappte sich den Behälter vom Bett und warf ihn nach mir. Rotes Curry besprenkelte mein Shirt.
Ich war bereits die verbitterte Frau. Die Verschmähte. Die böse Hexe, die einen Plan ausheckte, um die junge Schönheit zu beseitigen.
»Verschwinde!«, schrie sie.
»Er gehört ganz dir!«, brüllte ich zurück. »Ihr beide scheint wirklich perfekt zusammenzupassen.«
Ich musste abhauen, bevor ich noch etwas tat, was mir zwanzig Jahre Gefängnis einbrachte. Also schnappte ich mir meine Sporttasche vom Boden und lief die Treppe hinunter.
Und da war er – der Moment, in dem ich entschied, dass ich nie wieder jemanden lieben würde.
Denn Märchen? Waren nicht echt.
Ava
Eine Stunde später saß ich im Golden Shamrock und hatte die Ellbogen auf die klebrige Holztheke gestützt. Ich nippte an einem Guinness, während ich mir in dröhnender Lautstärke Hitched and Stitched im Fernsehen ansah – eine Reality-Show über Frauen, die um einen Bräutigam und eine Schönheits-OP für ihren großen Tag konkurrierten. Grauenvoll, ich weiß, doch das hinderte mich nicht daran, jede Woche wieder einzuschalten.
Möglicherweise kündigte dieser TV-Mist den Niedergang der Zivilisation oder so an, aber das interessierte mich gerade herzlich wenig. Ich war sechsundzwanzig Jahre alt mit …
Was hatte ich vorzuweisen? Eigentlich nichts. Absolut nichts.
Heute Abend wünschte ich mir nur noch einen Ort, an dem niemand sich um die Curryflecken auf meinem Shirt scherte, einen Ort, an dem ich mich ordentlich betrinken konnte, obwohl noch nicht ganz Wochenende war, ohne dass mich jemand dafür verurteilte.
Dafür war das Golden Shamrock perfekt.
Es war nicht einmal allein der Herzschmerz, auch wenn dieser den Wunsch in mir weckte, mich in Embryonalstellung zusammenzurollen. Das Ganze hatte auch meinen anderen Traum zerstört, zumindest fürs Erste – Chloe’s. Ich hatte Tag und Nacht an den Plänen dafür gearbeitet, um die Zulassung für meine eigene Bar zu bekommen.
Ich ließ den Kopf in die Hände sinken. Momentan verdiente ich als Barkeeperin jährlich etwa dreißigtausend Dollar und das meiste davon war in Andrews Hypothek geflossen. Vor Andrew hatte ich mir ein beengtes Apartment mit einer Alkoholikerin geteilt, die ständig im Badezimmer eingeschlafen war. Es war nicht das Ende der Welt, aber irgendwas an der Art, wie Andrew einfach so »Geh doch aufs College« gesagt hatte, hatte mich tief getroffen. Als könnte ich mir das plötzlich leisten.
Andrew war wohlhabend aufgewachsen, seine Eltern hatten Millionen in der Immobilienbranche gemacht. Aber er hatte sich entschieden, für eine Weile auf eigenen Beinen zu stehen. Was offenbar bedeutet hatte, dass ich ihm anstelle seiner Eltern geholfen hatte. Da er nie wirklich pleite gewesen war, hatte er eine unbekümmerte Unwissenheit kultiviert, die ihn dazu veranlasst hatte, mir zu sagen, ich solle mich für ihn freuen, während er dabei war, mehrere meiner Träume zu zerschmettern.
Ich nippte an meinem Guinness, bevor ich mir den Schaum von den Lippen leckte. Irgendwie würde ich schon klarkommen.
Eine vertraute Stimme zerrte mich aus meinem Elend. »Ava!«
Als ich aufblickte, sah ich meine beste Freundin Shalini auf mich zukommen. Ihr dunkles gewelltes Haar fiel über ihr figurbetontes rotes Kleid, das perfekt zu ihrem Lippenstift passte. Sie hatte schimmerndes Rouge auf ihre kupferfarbene Haut aufgetragen, wodurch ihr gestyltes Äußeres in starkem Kontrast zu meinem mit Curryflecken übersäten Arbeitsoutfit stand.
Shalini setzte sich neben mich und schlang sofort die Arme um mich. »Oh mein Gott, Ava. Was ist passiert?«
Augenblicklich brachen all die Emotionen, die ich zurückgehalten hatte, wie eine Flutwelle aus mir hervor und ich ließ den Kopf in die Hände sinken. »Ich habe Andrew dabei erwischt, wie er mit einer blonden Schauspielerin Sex in unserem Bett hatte.« Als ich wieder zu ihr aufsah, war meine Sicht verschwommen.
Shalinis braune Augen wurden groß und die Muskeln an ihrem Kiefer spannten sich an. »Willst du mich verarschen?«
Wie betäubt nippte ich an meinem Bier. »Er meinte, er hätte einen Freifahrtschein gehabt.«
»Einen was bitte? Was soll das heißen?«
Mit einem tiefen Atemzug erzählte ich Shalini die ganze Geschichte: dass ich früher nach Hause gekommen war, der gespielte Orgasmus, und dass ich mich für ihn freuen sollte. Als ich fertig war, spiegelte Shalinis Ausdruck absoluten Ekels meine Gefühle perfekt wider. Dann legte sich ein Lächeln auf ihre Lippen. »Hast du wirklich dein Curry nach ihnen geworfen?«
»Es war überall.«
»Ich hoffe, er hat Chilischoten auf seine Eier bekommen …«, Shalini hielt kurz inne, bevor sie das Gesicht verzog. Vermutlich versuchte sie gerade, sich nicht vorzustellen, wie Curry auf Andrews nacktem Körper aussah. Kopfschüttelnd sagte sie: »Einfach unglaublich. Ich meine, hat er wirklich geglaubt, du würdest ihn nicht erwischen?«
»Keine Ahnung. Schätze schon. Ich sollte ja lange arbeiten, aber heute ist mein Geburtstag.« Meine Wangen waren nass und ich wischte die Tränen mit den Händen weg. »Ich weiß, die meisten Beziehungen halten nicht, aber ich dachte, wir wären anders.«
Shalini tätschelte mir die Schulter. »Das Heilmittel für ein gebrochenes Herz ist ein heißerer Typ. Bist du schon auf Tinder?«
Entsetzt starrte ich sie an. »Das Ganze ist erst vor eineinhalb Stunden passiert.«
»Ach ja, richtig. Also gut, wenn du so weit bist, helfe ich dir gerne. Ich lechze praktisch nach einem Abenteuer. Vielleicht sollten wir eine Kreuzfahrt machen! Gibt es nicht welche speziell für Singles?«
Ich spähte in mein mittlerweile leeres Glas. War das mein viertes oder mein fünftes gewesen? Ich verlor allmählich den Überblick. »Auf keinen Fall. Mit Männern bin ich durch. Ich bin absolut glücklich mit Donuts und Filmen über Tudor-Königinnen.«
»Warte mal. Sollte Andrew nicht deine Bar finanzieren?« Shalinis Stimme wurde lauter. »Du hast die ganze Zeit über seine Hypothek abbezahlt. Er schuldet dir was.«
Ich nickte. »Und vermutlich hat er genau deshalb damit gewartet, es mir zu erzählen.«
»Was, wenn ich in deine Bar investiere?«
Dieser Vorschlag war unglaublich lieb, aber ich wollte eine perfekte Freundschaft nicht durch ein extrem hohes finanzielles Risiko zerstören. »Nein, aber danke. Mir fällt schon was ein.«
»Wir könnten zusammen eine Bar eröffnen. So eine mit Axtwerfen? Und vielleicht sollten wir Andrew zur Eröffnung einladen, ein paar Shots trinken und einfach sehen, wo uns die Klingen so hinführen.«
Ich nickte. »Wir könnten sie Tap that Axe nennen.«
»Erinnerst du dich noch daran, als Andrew dieses Beil zum Campen mitgebracht und beinahe ein Eichhörnchen enthauptet hat? Was für ein verdammter Idiot«, sagte Shalini. »Du brauchst ein Alphamännchen. Jemanden, der dich beschützen kann.«
Ich schwankte auf meinem Stuhl. »Igitt. Nein, ich brauche keinen Alphadeppen. Ich muss nur einen Weg finden, wie ich Geld für die Miete zusammenbekomme.« Ich hielt mich an der Theke fest und krallte die Finger ins Holz. »Wie dumm bin ich eigentlich, dass ich ihm vertraut habe?«
Sie zuckte mit den Schultern. »Du bist nicht dumm. Er ist derjenige, der etwas Gutes zerstört hat.«
Ich ließ mich gegen die Lehne meines Barhockers sinken. »Wie sieht es in der Innenstadt momentan mit der Miete aus?«
Sie räusperte sich. »Lass uns jetzt nicht darüber reden. Du kannst bei mir wohnen.«
»Okay.« Ich nickte. »Das klingt sogar irgendwie nach Spaß.«
Ein schlanker Typ mit braunem Haar stellte sich zu uns. Er trug schwarze Chucks, Jeans und einen grauen Hoodie. Seine gesamte Aufmerksamkeit galt Shalini – so war es immer, wenn wir zusammen ausgingen.
»Na, habt ihr Spaß?«, fragte er und zog die Augenbrauen hoch, was ganz eindeutig kokett wirken sollte.
»Sie nicht«, antwortete Shalini.
»Vielleicht kann ich es besser machen«, entgegnete er, wobei er sich weiterhin einzig an Shalini wandte. »Wo kommst du her? Ich spreche drei Sprachen.«
»Arlington, Massachusetts.«
»Nein, ich meinte … Wo kommst du eigentlich her? Ursprünglich.«
»Arlington.« Shalinis verengte den Blick. »Wie wär’s mit etwas Französisch? Foutre le camp!«
Nun lachte er nervös. »Das ist keine der drei Sprachen.«
»Beherrscht du Programmiersprachen? Wie wäre es damit: Sudo kill dash nine you?«
Die Augen des Mannes leuchteten vor Begeisterung auf. »Damit könnte ich was anfangen, wenn du mir das Admin-Passwort gibst.« Sein Tonfall klang dezent lüstern und ich hatte keine Ahnung mehr, was hier vor sich ging.
Mein Blick schweifte zurück zu Hitched and Stitched. Der Bräutigam zwang seine potenziellen Bräute gerade zu einem Boxkampf. Anscheinend war der beste Weg, eine Ehefrau zu wählen, den Kandidatinnen dabei zuzusehen, wie sie sich in Bikinis gekleidet gegenseitig verprügelten. Stirnrunzelnd fragte ich mich, wie viele von ihnen nach dieser Folge tatsächlich eine Nasen-OP brauchen würden.
Als ich mich wieder Shalini und dem Typen zuwandte, diskutierten sie über eine Programmiersprache.
Shalini war ein absolutes Genie, was Computer anging. Sie arbeitete für irgendein schickes Tech-Start-up, das vor ein paar Monaten an die Börse gegangen war. Ich wusste nicht, wie viel sie mit ihren Aktienbezugsrechten tatsächlich verdiente, aber es war zumindest so viel, dass sie nicht länger arbeiten musste. Früher hatte sie sich geradezu obsessiv ihrer Karriere als Akademikerin gewidmet und war dabei wahnsinnig ambitioniert gewesen, allerdings war sie inzwischen ausgebrannt und wollte jetzt einfach nur noch Spaß haben.
Shalini hielt eine Hand in die Höhe. »Steve, Ava hatte einen schweren Tag. Sie ist gerade nicht der größte Fan von Männern. Wir brauchen etwas Freiraum.«
Und an dieser Stelle beging ich einen entscheidenden Fehler. »Es ist nur so, dass ich meinen Freund dabei erwischt habe, wie er Ashley gevögelt hat.«
Steve biss sich auf die Lippe. »Wenn ihr Lust auf einen Dreier habt oder …«
»Nein!«, riefen Shalini und ich gleichzeitig.
»Na schön.« Steves Ausdruck wurde härter, als er mich musterte. »Ich will ja kein Arschloch sein, aber du bist ohnehin nicht besonders hübsch. Nicht mit den Elfenohren.« Dann schlenderte er vor sich hin summend davon.
»Fae!« Ich wandte mich wieder Shalini zu und berührte meine leicht spitz zulaufenden Fae-Ohren. »Mist. Das hat meinem Selbstwertgefühl nicht gerade gutgetan.«
»Du weißt, dass viele Männer sich so verhalten, wenn sie zurückgewiesen werden, richtig? Erst bist du die Schönste, die sie je gesehen haben, und in der nächsten Sekunde bist du eine verklemmte Bitch mit hässlichen Knien. Alle wissen, dass Fae-Ohren heiß sind, und das bist du auch. Du bist bloß ein bisschen einschüchternd.«
Ich lebte schon lange unter Menschen, versuchte mich anzupassen. Gerne hätte ich behauptet, dass es meine eigene Entscheidung gewesen sei, doch in Wahrheit hatten die Fae mich vor langer Zeit rausgeschmissen. Keine Ahnung, warum.
»Denken alle Menschenmänner so, wenn sie mich sehen?«, fragte ich.
Shalini schüttelte den Kopf. »Du bist verdammt scharf. Dunkelbraunes Haar, große Augen, sexy Lippen. Du bist eine süße Fae-Version von Angelina Jolie aus den Neunzigern. Und deine Ohren sind extrem heiß. Weißt du, was? Ab jetzt ist es mein Lebensziel, mir einen Fae-Freund zu angeln. Menschenmänner machen nur Ärger.«
Ich verzog das Gesicht. »Und Fae-Männer sind angsteinflößend.«
»Woher weißt du das?«
Eine düstere Erinnerung huschte durch meinen Kopf, doch sie war nicht greifbar, flüchtig – ein schemenhaftes Phantom in meinen Gedanken. »Keine Ahnung. Es gibt einige gewöhnliche Fae wie mich hier draußen, aber denen begegne ich nicht oft. Die Hochfae leben im Reich der Fae und ich glaube, sie haben magische Kräfte. Auf jeden Fall kommt man nur durch ein Portal in ihre Welt, und dafür braucht man eine Einladung, die ich definitiv nicht bekomme.«
»Aber was glaubst du, wie Fae-Männer im Bett sind?«
»Darüber habe ich noch kein einziges Mal nachgedacht.«
Sie zeigte auf mich. »Ist dir je aufgefallen, dass man den besten Sex mit den kaputtesten Männern hat? Den besten Sex meines Lebens hatte ich mit einem Typen, der davon überzeugt war, dass Aliens im Erdkern leben. Er hat im Garten seiner Eltern in einer Jurte gewohnt und seine einzige Aufgabe bestand darin, Kombucha herzustellen. Was er übrigens nie hinbekommen hat. Seine Schuhe wurden von Klebeband zusammengehalten. Atemberaubender Sex in der Jurte, und daher weiß ich, dass es keinen Gott gibt. Wer war es bei dir?«
»Bester Sex?« Mein erster Impuls war, Andrews Namen zu sagen, aber nein, das stimmte nicht. Und jetzt musste ich ihm gegenüber nicht länger loyal sein. »Sein Name war Dennis. Bei unserem ersten Date hat er mir kalte Suppe aus der Dose serviert und geschlagene fünfzehn Minuten lang versucht, mich von seinem Beat-Box-Talent zu überzeugen. Er hat Hasch-Brownies zum Frühstück gegessen und wollte professioneller Zauberer werden. Aber er hatte einen perfekten Körper und war ein Biest im Bett. Auf eine gute Art.«
Shalini nickte verständnisvoll. »Ganz genau. Das ist einfach grausam. Besteht die Möglichkeit, dass Fae-Männer gut im Bett und gleichzeitig normal sind?«
»Wer weiß? Ich bin ziemlich sicher, sie sind alle arrogant und irgendwie mordlustig. Aber mir wird nicht mal erlaubt, einen Fuß in die Fae-Welt zu setzen.« Darüber redete ich eigentlich nicht, doch das ganze Bier hatte meine Zunge gelockert.
»Warum nicht? Das hast du mir nie erklärt.«
Ich lehnte mich vor, um die Ellbogen wieder auf die Theke zu stützen. »In ihrer Welt dreht sich alles um Abstammung. Und da meine Eltern mich direkt nach der Geburt zur Adoption freigegeben haben, weiß niemand, von wem ich abstamme. Ich bin eine Ausgestoßene.« Ich spähte an mir hinab und sah den Anblick, den ich anderen in diesem Moment bot. »Shalini, ich bin nicht viel besser dran als Dennis, oder? Ich bin pleite und trage gerade ein Katzen-Sweatshirt voller Curryflecken.« Ich berührte mein Haar und stellte fest, dass ich einen dieser Ich-habe-aufgegeben-Dutts trug, aus dem einzelne Haarsträhnen herausragten. »Oh Gott. In diesem Aufzug bin ich Ashley begegnet.«
»Du siehst verdammt sexy aus. Du siehst aus, als hätte dich jemand die ganze Nacht wach gehalten, weil du rattenscharf bist.« Ihr Blick fiel auf mein leeres Bierglas. »Noch eine Runde?«
Ich nickte, obwohl mir bereits schwindelig war. Doch ich konnte immer noch Ashleys schrilles Stöhnen hören, und das musste aufhören.
»Mehr«, sagte ich langsam und seufzte. »Danke. Andrew war zu gut aussehend. Zu perfekt. Ich hätte wissen müssen, dass man so einem hübschen Mann nicht trauen kann.«
Shalini rief dem Barkeeper zu: »Können wir einen Krug Margarita haben? Und könntest du Hitched and Stitched lauter machen? Heute fliegt jemand raus.«
»Ich hoffe, es ist Amberlee«, sagte ich. »Nein, warte. Ich hoffe, sie bleibt. Sie ist total irre, und deshalb meine Favoritin. Sie hat versucht, Jennica mit einer Fluchkerze zu verfluchen.«
Während der Barkeeper den Krug füllte, tauchte ein Banner mit »Sondermeldung« auf dem Fernseher über der Bar auf und unterbrach damit die betrunkenen Schluchzer einer der Hitched-Kandidatinnen. Ein Nachrichtensprecher erschien; er stand an einer Straßenecke.
Ich starrte auf den Bildschirm.
»Gerade wurde bekannt gegeben«, berichtete der grinsende Reporter, »dass Torin, König der Fae, dieses Jahr heiraten wird.«
Schweigen legte sich über die Bar. König Torin war der Herrscher der Hochfae, einer tödlichen Gruppe von Fae, die unsere Welt aus der Ferne beherrschte. Genau die Art von Fae, die absolut nichts mit einer gewöhnlichen Fae wie mir zu tun haben wollte.
Und doch erwischte ich mich dabei, wie ich, genau wie alle anderen, gebannt auf den Fernseher starrte.
Ava
»Es wird ein großes Turnier mit heiratsfähigen Fae-Frauen abgehalten, um die Braut zu bestimmen«, fuhr der Reporter fort. »Nicht jede Fae-Frau wird zugelassen. Aus Tausenden von möglichen Kandidatinnen werden nur hundert ausgewählt, und zwar vom König höchstpersönlich. Seine Braut muss Stärke, Anmut …«
Ich verdrehte die Augen. »Das ist so überholt. Kann er nicht einfach eine Frau treffen und entscheiden, ob er sie mag oder …«
»Schhh!« Shalini schlug mir förmlich die Hand auf den Mund. »Ich liebe dich, aber ich werde dich wirklich umbringen, wenn du jetzt weiterredest.«
Shalini, meine vollkommen menschliche Freundin, war vollkommen besessen von den Fae. Ich hingegen war absolut zufrieden damit, mich von ihnen fernzuhalten.
Die Fae hatten sich erst vor etwa dreißig Jahren den Menschen offenbart. Anfangs hatten die Menschen mit Entsetzen und Abscheu reagiert – und unglücklicherweise hatte diese Einstellung den Großteil meiner Kindheit angedauert. Aber jetzt? Inzwischen konnten die Menschen gar nicht genug von den Fae bekommen. Im Laufe der Zeit hatten die Fae es geschafft, ein Selbstbild von sich zu erschaffen, dass vor Glamour und Reichtum nur so strotzte.
Ich hatte allerdings die vage Vermutung, dass sie hinter dieser eleganten Fassade immer noch ziemlich angsteinflößend waren.
»König Torin«, sagte der Reporter strahlend, »wurde vor sechsundzwanzig Jahren geboren. Schon seit einiger Zeit wird erwartet, dass er bald eine Königin wählt, und das mithilfe des uralten Brauchs des Turniers …«
Schon hundertmal hatte ich sein Gesicht gesehen: gebräunt, mit einem markanten Kiefer und kurz geschnittenem dunklen Haar. Auf diesem Bild trug er einen schwarzen Anzug, der seine breiten Schultern hervorhob. König Torin hatte ein teuflisches Grinsen auf den Lippen und eine seiner schwarzen Augenbrauen hochgezogen.
Möglicherweise war es das Bier oder auch der Herzschmerz, aber sein Anblick nervte mich. Man konnte ihm förmlich ansehen, wie extrem selbstverliebt er war.
Doch ich musste zugeben, dass es schwer war, den Blick von ihm zu lösen.
»Eingebildeter Mistkerl«, lallte ich. Oh ja. Ich war betrunken.
Shalini seufzte. »Ich habe gehört, er ist sehr mysteriös. Ihn umgibt so eine tragische Aura, aber niemand weiß, warum.«
Das ergab keinen Sinn. »Was ist tragisch daran, der reichste Mann der Welt zu sein? Weißt du, wie viele Bars er eröffnen könnte, wenn ihm danach wäre? Oder Schulen? Wie viele College-Abschlüsse er machen könnte?« Mir wurde bewusst, dass ich die Stimme erhoben hatte.
Ihr Blick huschte nach rechts. »Ich habe gehört, er leidet unter Schuldgefühlen. Angeblich soll er Leute umgebracht haben … aber er fühlt sich schuldig deswegen. Deshalb ist er total grüblerisch und gequält.«
»Was für ein toller Fang! Dir ist schon klar, dass ihn niemand charmant finden würde, wenn er hässlich wäre, oder? Ein Mörder zu sein wird normalerweise nicht als positive Eigenschaft betrachtet.« Ich kippte den letzten Schluck meiner Margarita herunter. Das war schnell gegangen. »Das ist doch das Problem mit den Reichen und Mächtigen, nicht wahr? Und mit den irrsinnig Schönen. Die lernen nicht, Grenzen anzuerkennen, entwickeln keinerlei Empathie, und ehe du dich versiehst, stecken sie ihren Schwanz in Schauspielerinnen namens Ashley.« Mir war vage bewusst, dass ich den letzten Teil geschrien hatte.
»Vergiss Andrew, Ava. Denk an König Torins muskulöse Oberarme. Du bist eine Fae! Warum machst du nicht bei dem Turnier mit?«
Ich schnaubte. »Was, ich? Nein. Erstens würde man mich niemals zulassen. Und zweitens würden mir dann unsere lustigen Übernachtungspartys und Tudor-Marathons entgehen. Und ich wollte mit dem Backen anfangen – vielleicht könnte ich damit ja sogar in Richtung Tudor-Ära gehen.«
Sie verengte den Blick. »Wir haben schon zwei Tudor-Marathons gemacht.«
»Dann eben Elizabeth I. Völlig egal.« Ich grinste. »Und ich mache Karfreitagsbrötchen.«
Ich starrte auf den Bildschirm, wo ein Video von König Torin lief, das aus der Ferne aufgenommen worden war. Er war sehr vorsichtig, was sein öffentliches Image anging – stets gepflegt, gut angezogen, nie war auch nur eine Haarsträhne am falschen Platz –, doch vor etwa einem Jahr hatte die perfekte Fassade einen Riss bekommen: Aus irgendeiner dunklen Ecke des Internets war ein Foto von Torin aufgetaucht, auf dem er wie ein Meeresgott aus den Wellen aufstieg, mit glänzenden Wassertropfen auf seinen definierten Muskeln. Mit seinem verschmitzten Grinsen und den perfekten Gesichtszügen wirkte sein Äußeres wie eine Mischung aus Henry Cavill in Die Tudors und Poseidon.
Ich meine, wenn man auf so etwas stand.
Die Aufnahme auf dem Bildschirm änderte sich wieder und nun schien ein Live-Videofeed aus einem Helikopter ausgestrahlt zu werden. Auf der Straße darunter fuhr ein silberner Lamborghini umringt von einer Eskorte schwarzer Motorräder geschmeidig durch den Verkehr.
»Der König und sein Gefolge haben das Reich der Fae verlassen, um jede einzelne der Kandidatinnen persönlich in Kenntnis zu setzen«, erklärte der Sprecher. »Wie es die uralte Tradition des Turniers vorsieht.«
»Ist das der Highway 8?«, fragte jemand vom anderen Ende der Bar aus.
»Woah«, sagte ein anderer Gast. »Sie sind in der Nähe.«
Ich warf einen Blick zu Shalini, die mit offenem Mund wie gebannt auf den Fernseher starrte.
»Heilige Scheiße!«, rief jemand. »Sie nehmen die Ausfahrt 13.«
»Das ist gerade mal zwei Blocks entfernt«, wisperte Shalini.
Wovon faselten denn alle?
Ach, vom Fae-König und seinem Braut-Spektakel.
Neben mir hörte ich Shalinis Stimme, atemlos vor Aufregung. »Hast du König Torin je persönlich gesehen?«
»Nein. Ich bin sicher, er ist ganz nett anzusehen, aber …« Ich verstummte, als sich eisiges Unbehagen in meiner Brust ausbreitete.
Ich konnte mich nicht länger darauf konzentrieren, was meine Freundin sagte, als der Tisch vor mir zu schwanken schien. Ich hatte ein unangenehm wässriges Gefühl im Mund. Die Margaritas waren eine schlechte Idee gewesen.
Ich ließ den Kopf in meine Hände sinken und Andrews perfektes Gesicht tauchte vor meinem inneren Auge auf. »Wir wollten Apfelbäume pflanzen.«
»Was? Wovon redest du da?«, fragte Shalini.
Das Tosen von Motorrädern erregte meine Aufmerksamkeit. Draußen vor dem Fenster rauschte der Erste von König Torins Gefolge vorbei. Das Poltern der Motoren klang wie ein abhebendes Flugzeug, doch falls der Lärm die Gäste des Golden Shamrock störte, war nichts davon zu erkennen. Sie drückten das Gesicht an die Scheibe, während ein, zwei, drei, vier Motorräder vorbeifuhren.
Schockiert stellte ich fest, dass es noch immer hell draußen war, obwohl es sich wie tiefste Nacht anfühlte. Wer betrank sich denn bitte mitten am helllichten Tag?
»Oh mein Gott!« Shalinis Stimme drang durch den ohrenbetäubenden Lärm. »Er ist gerade vorbeigefahren – warte, hält er etwa an?« Ihre Stimme klang nun besorgniserregend hoch.
Die ganze Bar klebte inzwischen an den Fenstern, ihr Atem ließ die Scheiben beschlagen und ihre Finger hinterließen Schmierflecken.
»Oh mein Gott!«, keuchte Shalini erneut. »Da ist er!«
Und schon rutschte ich vom Barhocker und begab mich stolpernd zum Fenster, um ebenfalls einen Blick zu erhaschen. Ich schob mich zwischen den Idioten, der einen Dreier gewollt hatte, und eine Frau, die nach Sagrotan roch.
»Oh, wow«, sagte Shalini vollkommen erstaunt. »Oh, wow …«
Langsam wurde die Tür des Lamborghinis geöffnet und der Fae-König stieg aus. Im spätnachmittäglichen Licht nahm sein schwarzes Haar einen goldenen Schimmer an. Er war groß und gut gebaut, trug eine dunkle Lederjacke und eine schwarze Hose. Er sah aus wie ein Calvin-Klein-Model aus der Anderswelt, in Sonnenschein gebadet, seine gebräunte Haut ein starker Kontrast zu dem Eisblau seiner Augen. Ein schwacher Bartschatten zierte seinen markanten Kiefer. Seine Haare war seit den letzten Aufnahmen, die ich von ihm gesehen hatte, ein Stück gewachsen. Es war nicht länger kurz geschnitten, sondern umrahmte seine Züge in dunklen Wellen.
Mit einem Hauch von Verlegenheit wurde mir bewusst, dass ich meine Nase an die Scheibe drückte und genauso gaffte wie alle anderen.
Torin musterte die Fassade des Golden Shamrock, seine blassblauen Augen glänzten im Licht. Was tat er hier? Wegen mir konnte er nicht hier sein, da die Fae nicht wussten, wo ich mich befand.
Mit verschränkten Armen lehnte er sich an den Lamborghini. Es dauerte einen Moment, bis ich begriff, dass er auf den Rest seines Gefolges wartete.
Der König zeigte auf die Bar und zwei seiner Wachen stiegen von ihren Motorrädern und gingen auf die Tür zu.
Neben mir flüsterte Shalini: »Glaubst du, sie sind wegen dir hier?«
»Unmöglich. Hier muss noch eine andere Fae sein.«
Ich suchte die Bar nach einer anderen ab. Normalerweise waren wir kaum zu übersehen. Unsere leicht länglichen Ohren und ungewöhnlichen Haarfarben verrieten uns für gewöhnlich sofort. Doch soweit ich erkennen konnte, waren alle im Raum menschlich.
Ein Mann aus König Torins Gefolge schob die Tür auf, er hatte langes schwarzes Haar und bronzefarbene Haut. Außerdem war er gebaut wie ein Schrank. Bei der darauffolgenden Stille hätte man eine Stecknadel fallen hören können.
»Der Fae-König wünscht einen Drink.«
Ich unterdrückte ein Kichern. Vermutlich war der König jahrhundertealte Weine aus den feinsten Weinbergen in Bordeaux gewohnt. Da war er hier im Golden Shamrock an der falschen Adresse, denn das Einzige, was hier alt war, war das Essen und die Gäste.
Das wollte ich gerade Shalini mitteilen, als König Torin durch die Tür trat und mir die Kinnlade herunterfiel.
Ich hatte ja gewusst, dass er gut aussah, doch als ich ihn nun mit eigenen Augen sah, traf mich seine Schönheit wie ein Faustschlag. Klar, ich hatte sein Gesicht auf dem Cover Tausender Klatschzeitschriften gesehen – den kantigen Kiefer, das teuflische Lächeln, die gletscherblauen Augen, in denen ein schmutziges Geheimnis zu funkeln schien. Einige Details, die ich nun aus der Nähe erkennen konnte, waren dort hingegen nicht zu sehen gewesen: die rabenschwarzen Wimpern, das dezente Grübchen in seinem Kinn.
Adonis höchstpersönlich? Gottgleich? War dies eine Art Fae-Magie?
Ich hatte immer gedacht, Andrew wäre eine Zehn auf der Skala des guten Aussehens. Doch wenn Andrew eine Zehn war, musste ich ein vollkommen neues Maß erfinden, denn mit dem Fae-König konnte er niemals mithalten.
Der Blick des Königs traf auf meinen und ich hörte komplett auf zu atmen, als mir ein eiskalter Schauer über den Rücken lief. Plötzlich fühlte es sich an, als würde sich von meiner Wirbelsäule aus Frost ausbreiten.
Schatten schienen sich um ihn herum zu versammeln, als er die Bar durchquerte, und die Besucher wichen instinktiv zurück. Ich hatte schon davon gehört, dass er diesen Effekt auf Menschen ausübte, dass allein seine Anwesenheit reichte, damit sie sich seinem Willen beugten.
Die Hand des Barkeepers bebte, während er dem König einen Whiskey eingoss.
»König Torin«, flüsterten die Menschen ehrfürchtig. »König Torin.«
Einige knieten nieder. Flotter-Dreier-Steve drückte seine Stirn auf den klebrigen Boden.
»Oh mein Gott!« Shalini keuchte und packte meinen Arm so fest, dass sie garantiert blaue Flecken hinterlassen würde.
Womöglich lag es daran, dass ich eine Fae war, vielleicht war es aber auch die fünf Gläser Bier und die Margaritas, die durch meinen schmächtigen Körper flossen, aber ich würde hier nicht auf die Knie fallen. Auch wenn ich die Macht eines Hochfae in meinen Knochen spürte, fühlte, wie sie Ehrfurcht gebot. Ich würde stehen bleiben. Selbst wenn es mich umbringen würde.
Torin nahm seinen Whiskey entgegen, während sein Blick sich in meine Augen bohrte. Als er auf mich zukam, wurde der Drang niederzuknien, nahezu überwältigend.
In seinem Kiefer zuckte ein Muskel. »Von den Fae wird erwartet, dass sie sich vor ihrem König verneigen.« Seine tiefe, samtige Stimme streichelte meine Haut.
So charmant wie möglich lächelte ich ihn an. »Aber ich bin ja keine von euch. Das habt ihr vor langer Zeit beschlossen.« Der Alkohol verbarg die Angst, die ich spüren sollte. »Also lebe ich jetzt nach den Regeln der Menschen. Und Menschen müssen sich nicht verneigen.«
Shalinis scharfer, schmerzhafter Druck an meinem Arm ermahnte mich dazu, die Klappe zu halten.
Ich verzog das Gesicht und hob eine Hand. »Und ich mag keine Männer mehr, seitdem ich Ashley rittlings auf Andrew angetroffen habe.«
Stille erfüllte den Raum, schwer und undurchdringlich.
Die Lippen des Königs zuckten. »Wer ist Ashley?«
Ich seufzte. »Sie ist nicht wirklich das Problem, schätze ich. Das Problem ist, dass ich mich nicht vor einem hübschen, reichen Mann verneige. Ich hatte iiirgendwie einen harten Tag«, lallte ich.
Er musterte mich ausgiebig, nahm die Flecken auf meinem Katzen-Sweatshirt und das leere Glas wahr, das ich fest umklammert hielt. »Das sehe ich.«
Wieder begegneten sich unsere Blicke. Hinter ihm schien sich die Dunkelheit zu verdichten und die Schatten kamen näher. Ein kalter Schauer fuhr mir durch die Knochen und meine Zähne begannen zu klappern.
Ehre deinen König. Ehre deinen König. Eine Stimme in meinem Kopf befahl mir, vor ihm niederzuknien, und Furcht tanzte über meinen Rücken.
König Torin krauste leicht die Stirn, als würde ihn mein Widerstand überraschen. Hatte er mich denn nicht sagen hören, dass ich keine von ihnen war?
Sein Mundwinkel zuckte. »Wie gut, dass ich nicht hier bin, um dich zum Turnier um meine Hand einzuladen. Dein Mangel an Respekt hätte dich umgehend disqualifiziert.«
Ich blickte in seine arktischen Augen. König Torin hatte mich gerade ausdrücklich von einem Wettbewerb ausgeschlossen, an dem ich überhaupt nicht teilnehmen wollte.
»Oh, keine Sorge, ich habe kein Interesse an deinem Wettkampf. Tatsächlich finde ich ihn irgendwie peinlich.«
König Torins Augen wurden groß und zum ersten Mal zierte ein Ausdruck, der an eine aufrichtige Emotion erinnerte, seine perfekten Gesichtszüge. »Weißt du, wer ich bin?«
»Oh ja, König Torin. Ich weiß, dass du königlichen Blutes bist und von der uralten Linie der Seelie abstammst, bla, bla, bla …« Mir war vage bewusst, dass das Lallen meiner Ansprache etwas von ihrer Schärfe nahm, allerdings war der König einfach zur falschen Zeit am falschen Ort und würde sich das nun anhören müssen. »Ich weiß nicht viel über dich oder die Fae, da ihr alle der Meinung wart, dass ich nicht gut genug für euch bin. Und das ist okay. Denn hier in der Menschenwelt gibt es wunderbare Dinge. Aber ich weiß, ihr denkt alle, ihr wärt besser als die Menschen. Und jetzt kommt’s, König.« Ich ignorierte Shalinis Fingernägel, die sich tiefer in meinen Arm bohrten. »Dieser ganze Pru… äh, Prunk, den du hier abziehst, ist nicht besser als der dümmste Aspekt der Menschenkultur. Dein Braut-Turnier? Ich weiß, es ist uralt und geht auf die alte Welt zurück, in der wir in Wäldern gelebt und Geweihe getragen haben, in der wir wie Tiere in den Eichenhainen gevögelt haben …«
Sein Kiefer verspannte sich und ich spürte, wie meine Wangen rot anliefen. Wo war das denn jetzt hergekommen? Und was sagte ich da überhaupt?
Kurz schloss ich die Augen, um meinen Gedankengang wieder aufzunehmen. »Aber inwiefern ist dieses ganze Konzept besser als Hitched and Stitched?« Wild gestikulierte ich in Richtung Bildschirm. »Dein Leben ist praktisch der Nadir der menschlichen Zivilisation. Dein Braut-Turnier wird mittlerweile sogar im Fernsehen ausgestrahlt. Es ist alles nur Show, oder etwa nicht? Und du bist nicht wirklich besser als Chad, der Pilot mit den absurd weißen Zähnen aus Hitched and Stiched. Bloß ein hübscher, reicher Mistkerl. Jede Frau, die bei diesem Turnier mitmacht, ist hinter zwei Dingen her: Ruhm und Macht.«
Shalini zischte: »Ava, sei still.«
Unter dem Schutzmantel der Trunkenheit wusste ich genau, dass ich gerade etwas Entsetzliches tat. »Okay, Ruhm, Macht und dein … du weißt schon.« Ich fuchtelte vor ihm herum. »Dein Gesicht und deine Muskeln. Vertraut niemals jemandem, der so heiß ist, Ladys. Na, jedenfalls lasse ich das mit dem Verneigen. Schönen Abend dir noch.«
Der Alkohol hatte einen Redeschwall in mir freigesetzt, den ich nicht hatte aufhalten können.
Die Gäste des Golden Shamrock starrten uns mit tellergroßen Augen an. Die Schatten hinter Torin schienen sich noch weiter zu verdichten, sodass sie beinahe greifbar wirkten. Und das bestätigte mir nur, dass ich recht gehabt hatte: Die Fae waren gefährlich. Weshalb ich vermutlich einfach auf die Knie fallen und den Mund hätte halten sollen.
Die Augen des Königs schienen heller zu strahlen und Eis erfüllte meine Adern. Ich fühlte mich wie eine Statue aus Eis, reglos und zerbrechlich. Selbst wenn ich es gewollt hätte, hätte ich mich nicht bewegen können.
König Torins Stimme war weich wie Samt und dezente Belustigung flackerte in seinen Augen. »Wie du wünschst. Ganz eindeutig hast du dein Leben ganz wunderbar im Griff.« Erneut glitt sein Blick über meinen Körper, nahm Notiz von dem Sweatshirt mit der mürrischen Katze darauf. »Das möchte ich dir auf keinen Fall verderben wollen.«
Und bevor ich noch ein weiteres Wort herausbringen konnte, wandte er sich ab und verließ die Bar.
Für einen langen Augenblick rührten sich die Gäste nicht. Dann löste sich der Bann und die Bar brach in lautes Stimmengewirr aus.
»Sie hat den Fae-König abgewiesen!«
»Was heißt Nadir?«
Shalini packte meine Schulter. »Was stimmt nicht mit dir?«
»Märchen sind nicht echt, Shalini«, entgegnete ich, während ich unter ihrer Berührung zusammenzuckte. »Und die Fae? Sind nicht die netten Wesen, für die du sie hältst.«
Torin
Es war beinahe Mitternacht, sowohl im Reich der Fae als auch in der Menschenstadt, als ich nach einem langen Tag auf Reisen in meine Gemächer zurückkehrte.
Ich stieß einen Atemzug aus, als ich mein Zimmer betrat. Die Wände waren waldgrün und hatten goldene Akzente, die feuchte Luft verströmte den frischen Duft nach Fingerhut und das süße Aroma des Apfelbaums, der in meinem Zimmer wuchs. Der Mond warf durch ein Dachfenster sein Licht auf den Baum und die Pflanzen. Das Ganze kam einem Gewächshaus so nahe, wie es im Schloss eben möglich war.
Komplett bekleidet ließ ich mich aufs Bett fallen.
Heute hatte ich persönlich einhundert Fae-Frauen dazu eingeladen, um meine Hand zu wetteifern. Eine Prinzessin aus jedem Adelsclan und zusätzlich vierundneunzig gewöhnliche Fae. Keine gewöhnliche Fae hatte je das Turnier gewonnen, doch die Einladung sorgte dafür, dass sie sich nicht ausgeschlossen fühlten und ihre Familien keine Rebellion anzettelten.
In den nächsten Wochen würden diese Frauen um den Thron der Seelie-Königin kämpfen, genau wie um die Chance, als meine Ehefrau an meiner Seite zu herrschen. Und diese betrunkene, schimpfende Frau, der ich in der Bar begegnet war, hatte vermutlich recht – was sie wirklich wollten, war Macht und Ruhm.
Doch das spielte keine Rolle.
Auch wenn ich nicht den Wunsch nach einer Ehefrau verspürte, war eine Königin auf dem Thron essenziell, um unsere Magie am Leben zu erhalten. Es war der einzige Weg, unser Königreich zu beschützen. Und viel wichtiger, es würde mir die Magie verleihen, nach der ich mich sehnte.
Wenn ich nicht heiratete, würde unser Reich untergehen und alle Fae würden sterben. So einfach war das – es spielte absolut keine Rolle, was ich wollte.
Meine Lider senkten sich gerade, als die Tür quietschend aufgeschoben wurde und ein Lichtstreifen aus dem Korridor den Raum erhellte.
»Torin?« Das war die Stimme meiner Schwester. »Bist du wach?«
»Ja, Orla.«
»Darf ich reinkommen?«
»Natürlich.«
Orla öffnete die Tür weiter und betrat mein Zimmer. Meine Schwester war dreiundzwanzig, also trennten uns nur drei Jahre, dennoch sah sie um einiges jünger aus. Schmal und mit großen Augen wirkte sie kaum älter als siebzehn, besonders in ihrem hellen Satinkleid und den Seidenpantoffeln. Ihr blondes Haar fiel lose auf ihre dünnen Schultern.
Sie stand im Türrahmen, das Gesicht ungefähr in meine Richtung gewandt, und wartete unbeholfen darauf, dass ich etwas sagte. Orla war blind, das Augenlicht hatte sie schon in der Kindheit verloren. Als mein Schweigen andauerte, sprach sie zuerst. »Wie ist es heute gelaufen?«
»Ich habe getan, was getan werden musste.«