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Amerikas Demokratie im Würgegriff der Superreichen Die tief verwurzelte Verflechtung von Geld und Macht ist ein Erbe, das seit der Gründung der USA besteht und zur DNA der mächtigsten Nation der Welt gehört. Dieses Buch beleuchtet, wie Superreiche, von den Gründervätern bis hin zu Elon Musk und Co. die amerikanische Politik beeinflussen und dabei gleichzeitig die Demokratie nicht nur in den USA sondern weltweit gefährden. Trotz zahlreicher Reformversuche wächst die Macht des Geldes seit Trumps Wiederwahl unaufhaltsam. Wird es der ältesten Demokratie der Welt gelingen, die Macht der Oligarchen zu brechen und ihre demokratischen Grundwerte zu bewahren? Ein fesselnder Einblick in das Wesen Amerikas und die Zukunft dieser zerklüfteten Nation.
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Veröffentlichungsjahr: 2025
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www.piper.de
ISBN 978-3-492-61178-7
© 2025 Piper Verlag GmbH, Georgenstraße 4, 80799 München, www.piper.de
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Covergestaltung: BÜROJORGESCHMIDT, München
Covermotiv: Picture Alliance (NurPhoto | Nicolas Economou; Photoshot / Michael M. Santiago / Avalon; newscom | BONNIE CASH); Tom Williams / CQ-Roll Call, Inc / Getty Images; IMAGO / Political-Moments und Shutterstock.com
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Text bei Büchern ohne inhaltsrelevante Abbildungen:
Für Annett, Lara und Emily
Cover & Impressum
Teil I
Die Broligarchie und die USA heute
Kapitel 1 – Musk, Bezos, Zuckerberg, Trump
Kapitel 2 – Amerikas neue Oligarchen
Kapitel 3 – JD Vance: Dank Geld zur Macht
Teil II
Eine amerikanische Tradition
Kapitel 4 – Amerikas alte Oligarchen
Kapitel 5 – Mit Geld an die Spitze
Kapitel 6 – Maschinen, Korruption und Skandale
Teil III
Die neue Welt
Kapitel 7 – Citizens United: Ein Urteil und die Folgen
Kapitel 8 – Netzwerke der Macht
Kapitel 9 – Reform
Stichwortverzeichnis
Anmerkungen
Inhaltsübersicht
Cover
Textanfang
Impressum
Register
Der Milliardär lässt sich feiern, als er im New Yorker Madison Square Garden aus der Kulisse tritt. Die Arme in die Luft gestreckt, die Finger zum Victory-Zeichen gespreizt, schreitet Elon Musk zum wummernden Beat von Zayde Wolfs Song »Gladiator« den kurzen Weg zum Rednerpult ab.
Offiziell ist der reichste Mann der Welt hier nur Vorprogramm – gleich soll Präsidentschaftskandidat Donald Trump sprechen. Doch Musk wird gefeiert wie ein Star. Am Podium verweilt er dann auch einen Moment, zieht seine schwarze »Make America Great Again«-Mütze vor den rund 20 000 Zuschauern in der legendären Arena in Midtown Manhattan. Dann ballt er die Fäuste, legt den Kopf in den Nacken und stößt einen Triumphschrei aus, der bis in die höchsten Ränge der Halle schallt. Neun Tage vor dem Wahltag, der Trump ein zweites Mal ins Weiße Haus katapultieren sollte, gibt sich Musk bereits siegesgewiss. Sein Optimismus sollte sich auszahlen.
Es waren vordergründig nur ein paar Schritte, die Musk vom Backstagebereich bis zur Bühne gehen musste. Doch die Reise, die ihn hierherführte, war viel länger. Politik hatte den Vielfach-Unternehmer lange Zeit kaum interessiert. Und wenn doch, dann tendierte er zu den Demokraten. In der Vergangenheit hatte er ein paar Spendenschecks an Kandidaten wie Barack Obama oder Hillary Clinton geschickt. Manchmal auch an Abgeordnete, Senatoren oder Gouverneure, die ihm oder seinen Unternehmen nützlich sein konnten.
Viel war es gleichwohl nicht – insbesondere gemessen an seinem fantastischen Vermögen. Bis 2022 habe er insgesamt nur rund eine Million Dollar zur Unterstützung von Kandidaten ausgegeben, errechnete die Plattform OpenSecrets, die öffentlich einsehbare Wahlkampffinanzierungsunterlagen auswertet.[1] Verglichen mit den Zuwendungen anderer Millionäre und Milliardäre ein Witz. Er hatte andere Prioritäten. »Musk hatte sich nie besonders mit Politik abgegeben«, schreibt sein Biograf Walter Isaacson. »Wie viele Techies war er in sozialen Fragen liberal, allerdings mit einer gewissen libertären Abneigung gegen Regulierung und politische Korrektheit.«[2] Doch nun stand er hier, in der Mitte des Madison Square Garden, und ließ sich frenetisch von Zehntausenden Trump-Anhängern bejubeln.
Das Publikum hatte allen Grund, ihn zu feiern. Denn ohne Musk hätte ihr Kandidat wenige Tage vor der Wahl deutlich schlechter dagestanden. Der Milliardär war in den vergangenen Monaten zum wichtigsten Geldgeber des Mannes geworden, mit dem ihn eine viele Jahre zurückreichende, nicht immer einfache Beziehung verband. Durch Cash-Infusionen von insgesamt mehr als 290 Millionen Dollar – mehr als je ein anderer Spender in der Geschichte der USA gegeben hatte – gelang es Musk, Trumps finanziell und organisatorisch zeitweise abgehängte Kampagne wieder wettbewerbsfähig zu machen.
Anfang Oktober war ihm seine Gegenkandidatin Kamala Harris in Umfragen deutlich enteilt, und das landesweit ebenso wie in den Swing States, die angesichts des amerikanischen Wahlsystems über den Ausgang von Präsidentschaftswahlen entscheiden.[3]
Musk reagierte. Plötzlich begann er, selbst Reden auf Trumps Veranstaltungen zu halten.[4] Und er pumpte über eine weitestgehend von ihm finanzierte Organisation allein in den letzten Wochen vor dem Wahltag einen deutlich zweistelligen Millionenbetrag in den Wahlkampf, schickte bezahlte Mitarbeiter los, die an Türen klopfen oder sich ans Telefon klemmen sollten, um die Bürger von Trump zu überzeugen und an die Urnen zu bekommen.[5]
Plötzlich begannen Harris’ Zahlen in den Umfragen wieder zu sinken, die Chancen des Ex-Präsidenten auf eine Rückkehr ins Weiße Haus stiegen. Am 5. November schließlich holte Trump als erster Republikaner seit 20 Jahren wieder mehr Stimmen bei einer Präsidentschaftswahl als der demokratische Kandidat und gewann in sämtlichen Swing States. Die Gründe für seinen Triumph waren vielfältig, doch ohne die finanzielle Unterstützung von Gönnern wie Musk wäre er wohl nicht möglich gewesen.
Das sieht auch der Milliardär selbst so. »Ohne mich hätte Trump die Wahl verloren, die Demokraten würden das Repräsentantenhaus kontrollieren und die Republikaner hätten 51:49 Stimmen im Senat«, wird er im Juni 2025 auf seiner Social-Media-Plattform X schreiben.[6] In den Wochen zuvor war das Verhältnis zwischen den beiden spürbar abgekühlt. Trump und Musk hatten sich im Streit um die gesetzgeberischen Prioritäten des Präsidenten zerstritten, nun überzogen sie sich mit Drohungen und Beleidigungen.
Musk deutete die Gründung einer neuen Partei an[7], stimmte dem Vorschlag eines rechten Bloggers zu, Trump des Amtes zu entheben[8], und warf dem Präsidenten vor, in den Ermittlungsakten über den berüchtigten Pädophilen Jeffrey Epstein aufzutauchen.[9] Der Republikaner wiederum drohte, Musks Firmen ihre Regierungsaufträge zu entziehen[10], und kündigte »ernsthafte Konsequenzen« an, sollte der Milliardär künftig Trumps politische Gegner finanzieren.[11]
Keine sechs Monate nach dem Beginn der zweiten Amtszeit des Präsidenten war das Verhältnis der beiden damit auf seinem Tiefpunkt angekommen. Musk ruderte schließlich zunächst zurück, löschte einige seiner Posts und entschuldigte sich kleinlaut. Doch dabei blieb es nicht. Am 5. Juli – einen Tag nachdem Trump ein von Musk heftig kritisiertes Gesetzespaket unterschrieben hatte – kündigte der Milliardär auf seinem Kurznachrichtendienst X tatsächlich die Gründung einer neuen Partei an – der America Party.[12] Spätestens seit diesem Post gilt die Beziehung der beiden als zerrüttet.
Doch im Herbst 2024, kurz nach dem Wahltag, lagen diese Ereignisse noch in ferner Zukunft. Trumps historischer Triumph war ein gemeinsamer Sieg des Kandidaten und seiner großzügigen Geldgeber. Und der Präsident dankte es seinen finanzstarken Gönnern. Einige berief er direkt in sein Kabinett, von anderen ließ er sich mehr oder weniger diskret ihre Wünsche diktieren. Doch niemand bekam damals so viel Einfluss wie sein größter Spender: Musk. Trump setzte ihn an die Spitze einer »Department of Government Efficiency« (DOGE) genannten Gruppe, die den Staatsapparat radikal umbauen, das hieß vor allem: beschneiden sollte – im Zweifel mit der Kettensäge.
Was Musk sich da vorgenommen hatte, wirkte auf weite Teile der Bevölkerung schnell wie eine Bedrohung. Um mindestens zwei Billionen Dollar werde er die staatlichen Ausgaben kürzen, versprach er im Madison Square Garden – eine absurd hohe Summe, die damals fast einem Drittel des gesamten US-Haushalts entsprach. Nach menschlichem Ermessen war das, was Musk da vorschlug, nicht zu schaffen – zumal der überwiegende Großteil der Mittel in Sozialprogramme und das Militär fließt. Beide Bereiche verfügen über enormen Rückhalt in der Öffentlichkeit und in der Politik. Andererseits: War es Musk als CEO von Tesla und Gründer von SpaceX nicht immer wieder gelungen, das scheinbar Unmögliche zu erreichen?
Trotzdem: Dass Trump ausgerechnet seinen größten Geldgeber dazu ermächtigte, den amerikanischen Verwaltungsstaat nach seinem Gutdünken umzubauen, war ein gigantischer Tabubruch. Offensichtlicher war die Verquickung von Geld und Macht – eine Beziehung, die in den Vereinigten Staaten auf eine lange, sehr lange Geschichte zurückblicken kann – selten zur Schau gestellt worden.
Sicher, die Interessen von Amerikas Superreichen haben in den Überlegungen der Regierungen schon immer eine überproportionale Rolle gespielt. Im amerikanischen System kommt das Geld für Kampagnen nun einmal fast ausschließlich von Spendern. Und diese erwarten in der Regel eine Gegenleistung für ihre Großzügigkeit.
Doch was Trump da mit DOGE in die Welt rief, hatte eine andere Qualität. Er übertrug die Verantwortung für die amerikanische Bundesregierung – die wohl komplexeste und mächtigste Organisation auf dem Planeten – direkt an einen Geldgeber, der über keine nennenswerte Erfahrung mit dem Staatsapparat verfügte, dafür aber einen ganzen Strauß an Interessenkonflikten mitbrachte. Es war ein Skandal. Und ein epochaler Einschnitt.
Dass dieser Umbruch gerade jetzt stattfand, ist gleichwohl kein Zufall. Denn es ist schon sehr lange her, dass der Einfluss von Amerikas Superreichen auf die Politik des Landes so groß war wie heute. Die Kosten für Wahlkämpfe sind seit dem Anfang des Jahrhunderts durch die Decke gegangen. Im Jahr 2000 gaben sämtliche Kandidaten für Ämter auf Bundesebene zusammengenommen noch rund 3,2 Milliarden Dollar für ihre Kampagnen aus. 2024 hatte sich diese Summe verfünffacht.[13] Mit den Preisen stieg auch die Abhängigkeit von Großspendern, die willens und in der Lage waren, die notwendigen Schecks auszustellen. Und davon gab es mehr als genug.
Dafür sind vor allem zwei Entwicklungen verantwortlich: Die zunehmende Konzentration des Reichtums des wohlhabendsten Landes der Welt in der Hand einer kleinen Elite zum einen und neue Regeln, die es dieser Gruppe erlauben, überproportional großen Einfluss auf die Geschicke des Landes auszuüben, zum anderen. Dazu später mehr. Heute fließt ein deutlich größerer Anteil des insgesamt in den USA erarbeiteten Einkommens in die Taschen des reichsten einen Prozents der Bevölkerung als noch vor vierzig oder fünfzig Jahren.
In den 1970ern und 1980ern lag diese Zahl unter zehn Prozent. Heute sind es fast 25 Prozent. Sogar zum Ende des Gilded Age im frühen 20. Jahrhundert, als eine kleine Gruppe Großindustrieller vormals unvorstellbare Vermögen angehäuft hatte, fiel die Verteilung gleichmäßiger aus als in diesen Tagen.[14] Und der Anteil am Gesamtvermögen des Landes, der sich in der Hand des reichsten 0,1 Prozent der Bevölkerung befindet, ist in den vergangenen Jahrzehnten ebenfalls stark angestiegen – von rund 8,5 Prozent im Jahr 1990 auf zuletzt fast 14 Prozent.[15]
Im Frühjahr 2025 besitzen 19 Personen in den USA – das sind 0,00001 Prozent der Bevölkerung – gemeinsam einen kollektiven Reichtum von 3,1 Billionen Dollar, was 2 Prozent des amerikanischen Haushaltsvermögens entspricht. Und wenn sich an den aktuellen Trends nichts ändert, könnten es in vierzig Jahren rund 20 Prozent sein.[16] Heute verfügen dreizehn Amerikaner über ein Vermögen von mehr als 100 Milliarden Dollar. Solche Zahlen wären noch vor wenigen Jahren undenkbar gewesen. Zwar hatte Bill Gates diese Schallmauer bereits 1999 kurz durchbrochen, aber der Dot-Com-Crash reduzierte seinen Reichtum bald darauf erheblich. 2017 wurde Jeff Bezos der zweite Hunderter-Milliardär. Seitdem ist ihre Zahl sprunghaft angestiegen.[17]
So ist in den Vereinigten Staaten in den vergangenen Jahrzehnten eine kleine Gruppe entstanden, die es sich erlauben kann, mit einem Bruchteil ihres Vermögens den Kurs der mächtigsten Nation des Planeten in ihrem Interesse zu beeinflussen. Teuer ist es für sie nicht. Elon Musk mag 2024 eine Summe in die Unterstützung von Donald Trump gesteckt haben, die das Bruttoinlandsprodukt des Inselstaats Palau übertraf, doch gespürt haben dürfte er es kaum. Angesichts seines am Wahltag rund 264 Milliarden Dollar großen Vermögens entsprachen seine Ausgaben zur Unterstützung Trumps gerade einmal 0,11 Prozent seines Reichtums.
Sechs Monate später, als er sich weitestgehend aus DOGE zurückgezogen und zunächst angekündigt hatte, künftig weniger Geld für politische Zwecke auszugeben, taxierte Bloomberg sein Vermögen auf rund 376 Milliarden Dollar.[18] 290 Millionen Dollar ausgeben und um 130 Milliarden Dollar reicher werden? Musks Investition in Trump hatte sich ausgezahlt.
Oligarchie – so nennt man die Herrschaft einer kleinen Gruppe, die den Staat zu ihrem eigenen Vorteil lenkt. »Oligarchen sind Akteure, die über massive Konzentrationen materieller Ressourcen verfügen und diese kontrollieren, um ihren persönlichen Reichtum und ihre exklusive soziale Stellung zu verteidigen oder zu verbessern«, wie es der Politikwissenschaftler Jeffrey A. Winters einmal formulierte.[19]
Neu ist das Konzept nicht. Schon Platon erwähnt die Oligarchie in seinem Werk Politeia. Begeistert war er nicht. Sie sei »eine mit mannigfaltigen Übeln beladene Verfassung«, so der Philosoph.[20] Sein Schüler Aristoteles hatte für die Staatsform ebenfalls nicht viel übrig. »Da regieren also Wenige und Schlechte anstelle der Tugendhaftesten und Tüchtigsten«, schrieb er in seiner Nikomachischen Ethik.[21]
Nicht wenige Kritiker fürchten nun, dass sich die Vereinigten Staaten, die älteste bestehende Demokratie der Welt, zunehmend in eine Oligarchie verwandeln. Der Politikwissenschaftler Winters beschrieb die USA bereits in seinem 2011 erschienenen Buch als eine »zivile Oligarchie«, in der Oligarchen zwar nicht direkt herrschten (wenn sie ein Amt innehätten, dann niemals explizit als oder für Oligarchen), aber in der »der staatliche Zwang, das Eigentum der Oligarchen zu verteidigen, unpersönlich durch bürokratische Institutionen geregelt wird«[22].
Was zunächst abstrakt klingt, ist mittlerweile jedoch auch in der Bevölkerung angekommen. Große, überparteiliche Mehrheiten zeigen sich bereits besorgt über den Einfluss, den Amerikas Superreiche schon jetzt auf ihr Leben haben. In einer Studie des Meinungsforschungsinstituts Harris gaben im Sommer 2024 mehr als 70 Prozent der Befragten an, sie wünschten sich, dass Milliardäre »eine kleinere Rolle in der US-Politik spielen«. Der Aussage »Milliardäre werden zunehmend zu Diktatoren« stimmten fast 60 Prozent zu.[23]
Befindet sich Amerika also auf dem Weg in die Oligarchie? »Diesen Punkt haben wir längst erreicht«, sagt beispielsweise Joseph Stiglitz. Wie im postsowjetischen Russland habe sich mittlerweile um das Staatsoberhaupt eine Art Hofstaat aus reichen Anhängern gebildet. »Sie unterstützen den Präsidenten, und im Gegenzug sorgt er dafür, dass sie ein gutes Leben haben«, sagt der Wirtschaftsnobelpreisträger.
Was jedoch zu kurz komme, seien die Interessen der normalen Bevölkerung, der Menschen, die sich nicht Zugang zum engsten Zirkel der Macht erkaufen könnten. Aus einer Regierung »aus dem Volk, durch das Volk, für das Volk«, wie es in der Gettysburg Address von Präsident Abraham Lincoln geheißen hatte, sei eine Regierung »von den Oligarchen, durch die Oligarchen und für die Oligarchen« geworden, so Stiglitz. Die Macht der Eliten, glaubt der Ökonom, bedroht damit die amerikanische Demokratie.
Es ist nicht nur der Zirkel um Trump, von dem diese Gefahr ausgeht. Vielmehr handelt es sich um einen Systemfehler: In den vergangenen Jahren haben sich um beide große Parteien Ökosysteme finanzstarker Gönner gebildet, die mit ihren Großspenden die Kriegskassen ihrer bevorzugten Kandidaten zum Bersten bringen können. Sonderlich groß sind diese Zirkel nicht. Bereits im Wahlkampf 2012 kamen rund 28 Prozent der nachverfolgbaren Spenden von nur 31 385 Einzelpersonen, schreibt Politikwissenschaftler Lee Drutman. Eine Zahl, die einem Prozent von einem Prozent der US-Bevölkerung entspreche. »Diejenigen, die solche Spender für sich gewinnen können, können für ein Amt kandidieren«, so Drutman. »Diejenigen, die solche Spender nicht überzeugen können, können es in der Regel nicht.«[24]
Geld allein reicht nicht immer, um schlussendlich auch die Wahl für sich zu entscheiden – Trump gewann das Weiße Haus sowohl gegen Hillary Clinton als auch gegen Kamala Harris trotz eines kleineren Wahlkampfbudgets. Doch solche Fälle sind die Ausnahme. Und angesichts der astronomischen Summen, die ein Präsidentschaftswahlkampf mittlerweile verschlingt, sind alle Kandidaten auf die Großzügigkeit ihrer Geber angewiesen, um überhaupt konkurrenzfähig sein zu können.
So kostete der Kampf ums Weiße Haus 2024 insgesamt mehr als 5,5 Milliarden Dollar.[25] So viel Geld lässt sich bei Normalbürgern allein nicht einwerben, zumal deren Spenden an Kandidaten gesetzlich gedeckelt sind. Großspender wiederum können über eigens dafür aufgesetzte Finanzierungsinstrumente unbegrenzt Geld zur Unterstützung von Republikanern oder Demokraten zur Verfügung stellen. Kein Wunder also, dass ihre Anliegen in den höchsten Zirkeln der amerikanischen Macht oft größeres Gehör finden.
Die Interessen von Amerikas Oligarchen sind allerdings häufig nicht deckungsgleich mit denen der Allgemeinheit – selbst wenn sie die besten Absichten verfolgen sollten (was wahrhaftig nicht immer der Fall ist). Zu sehr unterscheidet sich ihr Leben von dem des Durchschnittsamerikaners. Mietsteigerungen, Krankenversicherungskosten, höhere Lebensmittelpreise: All das betrifft die Superreichen kaum. Ihnen sind häufig andere Themen wichtiger – Regulierungen etwa, die sich auf die Wirtschaftssektoren auswirken, denen sie ihr Vermögen verdanken, weltanschauliche oder kulturelle Fragen oder die Höhe des Spitzensteuersatzes. Dinge also, die sich zwar durchaus auch auf das Leben von Normalverdienern auswirken, die aber in vielen Fällen nicht ihre Hauptanliegen sind.
Hinzu kommen – zumindest für einen Teil der Superreichen – Spezialinteressen, die an der Lebenswelt der Bevölkerung weitgehend vorbeigehen. Wenn das Meinungsforschungsinstitut Gallup die Amerikaner darum bittet, die wichtigsten Herausforderungen des Landes zu benennen, dann spielen Dinge wie die Erforschung des Weltraums, die Besiedelung des Mars oder die Zukunft von Kryptowährungen schlicht keine Rolle.[26] Für einige unter den Großspendern sind sie jedoch von essenzieller Bedeutung.
Die Großspender verfolgen ihre Interessen mit Nachdruck. Das muss nicht unbedingt schlecht sein. Nicht wenige Superreiche wollen das Bildungssystem verbessern, Krankheiten bekämpfen oder dem Klimawandel etwas entgegensetzen. Hehre Ziele. Aber: Einem Milliardär eine schlechte Idee auszutreiben, ist kaum möglich. Ein großes Vermögen schützt oftmals auch vor Selbstzweifeln. »Wenn Sie jeden Morgen als Elon Musk aufwachen würden, der reichste unter den rund 120 Milliarden Menschen, die jemals gelebt haben, würden Sie denken, dass dies nur ein Zufall ist? Oder würden Sie denken, dass Sie einer der Auserwählten sind?«, fragt der Journalist Nate Silver.[27]
Und diese Gefahr der Hybris besteht nicht nur für Musk. »Es gibt Menschen in dieser Schicht der Superreichen, die sich für die Erben der Pharaonen halten – dazu auserwählt, die Erde zu regieren«, sagt Brooke Harrington, Soziologieprofessorin an der Elite-Universität Dartmouth, die seit vielen Jahren in diesem Segment forscht. Nicht wenige betrachteten ihren finanziellen Erfolg als Beweis dafür, dass sie den anderen Menschen überlegen oder zu höheren Dingen berufen seien. Im Extremfall könne dies dazu führen, so Harrington, dass sie selbst Staaten und Regierungen »als Spielzeug« betrachten. Viele von ihnen wollten schlicht ihren Reichtum mehren, die Regeln so anpassen, dass ihr Vermögen wächst.
Andere jedoch verfolgten größere Pläne. Männer wie Musk – Harrington nennt sie die »Broligarchen«, ein Kofferwort aus dem umgangssprachlichen »Bro« für Brother und Oligarchen – wollten eine völlig neue Gesellschaft erschaffen, mit sich selbst an der Spitze und möglichst wenig Regeln, die ihre Macht einschränken können. »Man könnte es eine libertäre Monarchie nennen«, sagt Harrington. »Und ich weiß, dass das widersprüchlich klingt.«
Die Warnung der Professorin mag extrem klingen. Neu ist sie gleichwohl nicht. »Die Freiheit einer Demokratie ist nicht sicher, wenn die Menschen das Wachstum privater Macht bis zu einem Punkt tolerieren, an dem sie stärker wird als ihr demokratischer Staat selbst«, so US-Präsident Franklin Delano Roosevelt bereits 1938 in einer Rede vor dem Kongress. »Das ist im Kern Faschismus – die Herrschaft einer Einzelperson, einer Gruppe oder einer anderen kontrollierenden privaten Macht über die Regierung.«[28]
Stehen die Vereinigten Staaten wieder an einem solchen Punkt? Geld und Macht haben in den USA schon immer zusammengehört. Doch wenn das Geld die Macht übernimmt, dann gerät die Demokratie in Gefahr. Und wenn sie in Amerika wackelt, dann werden die Auswirkungen überall auf der Welt zu spüren sein. Deshalb ist es wichtig, sich mit Amerikas Oligarchen auseinanderzusetzen. Wer sind sie? Was wollen sie? Und wie groß ist ihr Einfluss wirklich?
Die Straßen im Regierungsviertel von Washington, D.C., sind fast menschenleer, als US-Präsident Joe Biden und sein Vorgänger und designierter Nachfolger Donald Trump am Morgen des 20. Januar 2025 gemeinsam vom Weißen Haus Richtung Kapitol fahren. Eine Kältewelle hat die amerikanische Hauptstadt fest im Griff – bestenfalls −8 Grad sind für den Tag vorhergesagt, flankiert von heftigen Böen. Nur der allerhärteste Kern der Anhänger des Republikaners hat sich bei diesem Wetter nach draußen getraut, um der schwarzen Limousine zuzuwinken, als sie die Pennsylvania Avenue hinunterbraust.
Trump hätte es gern anders gehabt. Eigentlich hätte seine zweite Amtseinführung eine große Party auf der Mall direkt vor der Westseite des Kapitols werden sollen, der Höhepunkt eines der unerwartetsten politischen Comebacks der amerikanischen Geschichte. Doch die eisigen Temperaturen verhinderten solche Feierlichkeiten. Kurzerhand ließ Trump die Zeremonie nach innen verlegen.
Die Gästeliste musste zusammengestrichen werden. Anstatt vor Zehntausenden Fans seinen zweiten Amtseid abzulegen, konnten in der Rotunde des Kongressgebäudes nur rund 600 Zuschauer dabei sein, als Trump als 47. US-Präsident eingeschworen wurde. Selbst prominente republikanische Gouverneure wie Ron DeSantis aus Florida oder Brian Kemp aus Georgia durften die Zeremonie nur auf einer Leinwand in einem nahe gelegenen Overflow-Raum verfolgen. Doch für eine besondere Gruppe hatte Team Trump ausreichend Plätze gefunden: für die Milliardäre.
Mukesh Ambani war gekommen, der reichste Mann Indiens. Ebenso Bernard Arnault, Chef des Luxusimperiums LVMH und der wohlhabendste Nicht-Amerikaner der Welt. Doch die Ausländer waren die Ausnahme. Da waren der konservative Medienmogul Rupert Murdoch, Großspenderin Miriam Adelson und Trump-Freund und Casino-Magnat Phil Ruffin.
Auch mehrere ultrareiche Unterstützer, denen der künftige Präsident wichtige Rollen in seiner Administration angeboten hatte, waren anwesend. Howard Lutnik etwa, später Trumps Handelsminister. Oder Vivek Ramaswamy, Biotechunternehmer und MAGA-Liebling, der später beim Entschlacken des Verwaltungsstaats helfen sollte.
Die besten Plätze hatte Trump gleichwohl für ein besonderes Trio reserviert. Links in der zweiten Reihe hinter dem Rednerpult, direkt hinter Trumps Familie, aber vor dem designierten Kabinett, hatten Elon Musk, Jeff Bezos und Mark Zuckerberg ihre Plätze eingenommen – die drei reichsten Männer der Welt.
Zwischen Musk und Bezos hatten die Planer noch Sundar Pinchai platziert, den CEO des Google-Mutterkonzerns Alphabet. Eine Reihe weiter hinten verfolgten Google-Mitgründer Sergey Brin und Tim Cook, CEO von Apple, das Geschehen. Etwas abseits hatten noch TikTok-CEO Shou Zi Chew und OpenAI-Chef Sam Altman ihre Stühle. Insgesamt verfügten Trumps reichste Gäste Forbes zufolge über ein kollektives Vermögen von 1,35 Billionen Dollar.[29]
Die Bilder dieser Tech-Milliardäre bei Trumps Amtseinführung signalisierten einen Wendepunkt im Verhältnis von Amerikas Oligarchen und der formalen Macht in Washington. Nicht wenige von ihnen hatten den Republikaner in der Vergangenheit mehr oder weniger offen kritisiert, aus ihrer Abneigung für seine Spielart des Rechtspopulismus keinen Hehl gemacht. Doch nun bildeten sie die Kulisse für seine zweite Amtsübernahme und demonstrierten damit ihre Bereitschaft, sich dem neuen Präsidenten unterzuordnen.
Sie alle hatten Millionenbeträge für seine Amtseinführung gespendet. Trump liebt solche Gesten. Doch gleichzeitig dokumentierte er durch die prominente Platzierung auch ihre Macht, ihren Einfluss: Sie müssen schon wichtig sein, wenn der Präsident ihnen eine solche sichtbare Nähe zur Macht zugesteht. Die Fotos der Amtseinführung dokumentieren damit nicht nur eine Unterwerfung, sondern gleichzeitig eine Symbiose.
Das hängt auch mit der Persönlichkeit Trumps zusammen. Dem Präsidenten, selbst Milliardär, wenngleich nicht annähernd so vermögend wie Musk, Bezos oder Zuckerberg, scheint der Zuspruch der Ultrareichen wichtig zu sein. In seiner zweiten Amtszeit berief er mindestens 15 Milliardäre auf einflussreiche Regierungsposten.[30] »Donald hört auf mich, weil ich reicher bin als er«, hatte sein Unterstützer Stephen Schwarzman, CEO des Vermögensverwalters Blackstone, einmal gesagt.[31] Dabei scheint es geblieben zu sein.
Und niemand ist reicher als Elon Musk. Vielleicht erklärt sich so der besondere Einfluss, den sich der Milliardär gesichert hat. In den ersten Monaten der zweiten Trump-Administration wird er unter den Angestellten der Bundesregierung Angst und Schrecken verbreiten, Tausende auf die Straße setzen und ganze Behörden und Abteilungen »in den Häcksler« befördern, wie er es formuliert.[32]DOGE kündigt Forschungsverträge, verschafft sich Zugang zu sensiblen Daten und höhlt ganze Behörden aus – darunter auch solche, die die Einhaltung von Arbeitsschutzmaßnahmen kontrollieren, die den Kurs von Tropenstürmen verfolgen und die die Sicherheit von Arznei- und Lebensmitteln überprüfen.
Musks Vorgehen wird seine Zustimmungswerte in der Bevölkerung pulverisieren[33] und das Ansehen seiner wichtigsten Unternehmen – Tesla, SpaceX und X – abstürzen lassen.[34] »Das Bild des reichsten Mannes der Welt, der die ärmsten Kinder der Welt tötet, ist kein schönes«, ätzt etwa Microsoft-Gründer Bill Gates mit Blick auf Musks Entscheidung, die amerikanische Entwicklungshilfe fast vollständig einzustellen und die zuständige Behörde zu zerschlagen.[35]
Doch es ist nicht nur die Grausamkeit, mit der Musk und seine Mitarbeiter vorgehen, die seinem Image als vermeintliches Genie gehörigen Schaden zufügen wird. Es ist auch die offensichtliche Unfähigkeit der Musk-Truppe. Immer wieder muss DOGE Mitarbeiter erneut einstellen, die es zuvor mit großem Aplomb gefeuert hatte. Mal weil ein Gericht die Abrisstruppe zurückpfeift, mal weil ihnen auffällt, dass sie zu wichtiges Personal entlassen hatten.
Im Februar etwa informiert die Gruppe Hunderte Mitarbeiter des Energieministeriums, dass sie ihre Schreibtische räumen sollten. Erst danach stellt sie fest, dass diese Mitarbeiter Amerikas Atomwaffen kontrollieren. Hastig versuchte die Behörde, den Schritt zurückzunehmen, hatte jedoch zunächst Schwierigkeiten, die Betroffenen zu erreichen. DOGE hatte ihren E-Mail-Zugang deaktiviert.[36]
Als sich Musk im Mai schließlich weitestgehend von dem Projekt verabschiedet, verkündet die Website der Gruppe stolz, immerhin 170 Milliarden Dollar an Einsparungen vorgenommen zu haben.[37] Viel Geld, keine Frage. Aber weit entfernt von den zwei Billionen, die Musk versprochen hatte. Und selbst an dieser Zahl gibt es erhebliche Zweifel. Tatsächlich dürften es lediglich 80 Milliarden sein, schätzen Experten.[38]
Hinzu kommt, dass DOGE die Kosten nicht berücksichtigt, die allein durch die Entlassungen entstanden sind. Diese könnten sich auf bis zu 135 Milliarden Dollar belaufen.[39] Unterm Strich könnte Musks Ausflug in den öffentlichen Sektor die USA also mehr gekostet haben, als er »mit der Kettensäge« einsparen konnte. Und die langfristigen Auswirkungen, die durch einen scheinbar wahllos dezimierten öffentlichen Dienst folgen könnten, sind dabei noch gar nicht eingepreist. Ein Desaster.
Warum also hatte Musk nach Trumps Wahlsieg ausgerechnet diese Aufgabe an sich gerissen? Schließlich wies nichts in seiner Biografie darauf hin, dass er für eine Reform des Staatsapparats qualifiziert sein könnte. Musk wurde 1971 in Pretoria, Südafrika, geboren. Im Alter von 17 Jahren – bevor er zum Militärdienst des damaligen Apartheidregimes eingezogen werden konnte – wanderte er nach Kanada aus und schrieb sich schließlich an der Queen’s University of Kingston ein, wechselte jedoch bald an die University of Pennsylvania, wo er Abschlüsse in Physik und Wirtschaft erwarb.
1995 trat er ein Doktorandenprogramm an der Stanford University an, brach es jedoch bereits nach zwei Tagen ab, um gemeinsam mit seinem Bruder Kimbal sein erstes Unternehmen Zip2 zu gründen – in etwa eine Online-Version der Gelben Seiten. 1999 kaufte Compaq die Firma, Musk verdiente bei dem Verkauf rund 20 Millionen Dollar. Einen Teil davon nutzte er, um sein nächstes Start-up zu gründen, eine Online-Zahlungsplattform namens X.com. Ein Jahr später verschmolz er es mit der konkurrierenden Firma Confinity, die unter anderem Peter Thiel gegründet hatte und deren Dienst PayPal deutlich beliebter war als X.com. 2002 übernahm eBay das Unternehmen, Musk verdiente dabei rund 180 Millionen Dollar.
Das Geld nutzte er zunächst, um sein Raumfahrtunternehmen SpaceX zu gründen. 2004 investierte er zudem in den E-Autohersteller Tesla und wurde 2008 dessen CEO. Es sind vor allem diese beiden Unternehmen, die für Musks immensen Reichtum verantwortlich sind. Im Dezember 2024 wurde SpaceX mit rund 350 Milliarden Dollar bewertet.[40] Im Mai 2025 betrug der Börsenwert von Tesla wieder einmal mehr als eine Billion Dollar. Musk hält rund 13 Prozent der Aktien des Unternehmens.[41]
2016 wird er zudem das Start-up Neuralink gründen, das daran arbeitet, das menschliche Gehirn mit künstlicher Intelligenz zu verschmelzen, und ein Jahr später die Boring Company, die Amerikas Großstädte mit unterirdischen Schnellzügen verbinden will. 2022 übernahm Musk noch den Kurznachrichtendienst Twitter, gab ihm den Namen X und verschmolz ihn 2025 mit xAI, seinem 2023 gegründeten Unternehmen zur Entwicklung künstlicher Intelligenz.
Nicht alle dieser Firmen sind erfolgreich. Und mit den Feinheiten eines komplexen Verwaltungsstaats hat keine von ihnen viel gemeinsam. Genau das sahen Musk-Anhänger jedoch als Vorteil, als sich abzeichnete, dass der Milliardär mit DOGE versuchen würde, den Verwaltungsstaat umzubauen.
Er habe genug Menschen mit Regierungserfahrung kommen und gehen sehen, die Washington effizienter machen wollten, sagt Chris Sununu, nach vier Amtszeiten frisch aus dem Amt geschiedener Gouverneur von New Hampshire, wenige Tage vor Trumps Amtseinführung. »Und sie sind alle gescheitert! Sie haben sich als nutzlos erwiesen!« Was man brauche, sei »ein Außenseiter, der sich nur mit Effizienz und Design befasst, ohne sich Gedanken darüber zu machen, ob er wiedergewählt wird«. Musk, findet der Republikaner, sei eine Chance, die verkrusteten Strukturen aufzubrechen. »Er hat die Starpower«, so der Ex-Gouverneur. »Er kann es schaffen.«
Und noch etwas überzeugte Sununu im Januar davon, dass Musk der richtige Mann für den Job sei: sein sagenhafter Reichtum. Sein Vermögen, so der Republikaner, mache ihn unabhängig, ja unbestechlich. »Das Letzte, was dieser Typ braucht, ist Geld«, sagte er. Deshalb könne er sich ganz der guten Sache widmen – ohne die Gefahr der Korrumpierbarkeit.
Sununu war mit dieser Einschätzung nach Trumps Wahlsieg nicht allein. Kein Wunder: Schließlich hatte Musk in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten das Image des detailfokussierten Genies kultiviert, besessen nur vom bestmöglichen Ergebnis. Nach seiner Twitter-Übernahme zwang er Mitarbeiter, teils ihre Nächte im Büro zu verbringen, um die vermeintlichen Defizite des Dienstes zu beheben. Ob der seitdem besser läuft, darüber lässt sich streiten.
Auch an der Spitze von DOGE berichtete er, dass er zeitweise in den Büroräumen der Gruppe übernachtet habe – ein Rückgriff auf die »Produktionshölle«, die er bei Tesla ausgerufen hatte, um Probleme bei der Montage des Model X und des Model 3 zu beheben. »Musk verbrachte Tage auf der Fertigungsanlage in Fremont und schlief auf einer Couch oder Luftmatratze in einem nahe gelegenen Konferenzraum«, schreibt der Journalist Edward Niedermeyer.
Ob das dabei half, die Produktionsabläufe wirklich zu verbessern, ist gleichwohl umstritten. »Obwohl sein Engagement bei den Fans populär war, die sich vorstellten, dass er persönlich die Probleme des Unternehmens in den Griff bekommen würde, sind sich die Mitarbeiter fast einig, dass seine Anwesenheit mehr Stress verursachte, als sie Probleme löste«, so Niedermeyer.
Auch Musk selbst schien seine Zeit in der Fabrik nicht zu genießen: »Ich könnte jetzt in Bora Bora sein und eine Schauspielerin ficken, aber stattdessen bin ich hier und babysitte euch am Fließband«, soll er zu einem Mitarbeiter gesagt haben.[42]
Trotzdem: Das Bild des Unternehmers als Superheld – eines echten Tony Stark – hatte sich festgesetzt, auch wenn es über die Jahre immer mehr Kratzer bekam. Musk, der Raketenunternehmer, der E-Autos cool gemacht hatte, den Mars besiedeln wollte und nebenbei Gehirnchips entwickeln ließ, wurde mehr als alle anderen amerikanischen Oligarchen eine öffentliche Figur, insbesondere über seinen Twitter- oder dann X-Kanal. Doch dieses Image verstellte den Blick auf die knallharten wirtschaftlichen Interessen, die hinter seiner Fassade standen. Und welche Rolle der Staat spielen konnte, um sie zu beeinflussen.
Immer wieder geriet Musk mit Regulierungsbehörden aneinander. Mehrfach ging die Börsenaufsicht SEC gegen ihn vor, einmal etwa, nachdem er getwittert hatte, Tesla zu einem Preis von 420 Dollar pro Aktie vom Markt nehmen zu wollen. Die Behörde verklagte ihn daraufhin wegen Betrugs. Man einigte sich außergerichtlich, Musk und Tesla mussten jeweils 20 Millionen Dollar Strafe zahlen und der CEO den Posten des Vorsitzenden des Verwaltungsrats aufgeben. Alles andere als eine Erfolgsgeschichte: »Musk hatte sein Unternehmen um Zigmillionen Dollar und sich selbst um einen seiner wichtigsten Jobs gebracht«, fasst der Journalist Faiz Siddiqui zusammen.[43] Es sollte nicht der einzige Konflikt mit staatlichen Aufsehern bleiben.
Als Musk im Januar 2025 DOGE übernahm, liefen etwa in der National Highway Safety Administration (NHTSA) mindestens sechs Untersuchungen zu Unfällen, die mutmaßlich mit der Tesla-Software zusammenhingen. Auch andere Sicherheitsbehörden hatten in der Vergangenheit immer wieder Ermittlungen zur Zuverlässigkeit der Selbstfahrfunktion der E-Autos eingeleitet.
Und das war nicht alles. SpaceX etwa hatte mit der Regierung in Washington über die Jahre Verträge im Umfang von mehr als 20 Milliarden Dollar abgeschlossen. Auch liefen mehrere Verfahren vor dem National Labor Relations Board (NLRB), das die Rechte von Arbeitern, sich gewerkschaftlich zu organisieren, bewahren soll, gegen Musks Unternehmen.
Kurz: Die Behauptung, dass der Milliardär den Umbau des Verwaltungsstaats als Außenstehender ohne eigene Interessen angehen würde, ließ sich kaum aufrechterhalten. Die NGO Public Citizen kam dann auch zu dem Schluss, dass 70 Prozent der Behörden, die DOGE umbauen oder entkernen wollte, direkt mit Musks Unternehmen zu tun hatten. »Der reichste Mann der Welt arbeitet daran, genau die gleichen Bundesbehörden und -einrichtungen zu demontieren, die für die Überwachung und Kontrolle seiner Unternehmen zuständig sind«, heißt es in dem Bericht. Dies beinhalte »eklatantes Korruptionspotenzial«.[44]
Musk hat solche Vorwürfe stets zurückgewiesen. Doch dass sich sein Ausflug in die Trump-Administration für seine Unternehmen ausgezahlt haben dürfte, ist offensichtlich. Der Washington Post zufolge drängten beispielsweise US-Diplomaten ihre Gastländer in mehreren Fällen dazu, den Satelliten-Dienst Starlink zu genehmigen, mit dem SpaceX Internet anbietet.[45] Auch der Tesla-Aktienkurs erholte sich nach einem kurzzeitigen Einbruch wieder – wohl auch, da Investoren sich berechtigte Hoffnungen auf sanftere Regulierung durch jene Regierungsbehörden machten, die durch den DOGE-Häcksler geschickt worden waren.
Der reichste Mann der Welt ist heute reicher, als er es zu Beginn der Trump-Administration war. Die Wette auf den Republikaner ist für ihn aufgegangen. Daran änderte auch das spätere Zerwürfnis der beiden nichts.
Aber reicht das wirklich als Motivation? Schließlich ging Musk mit seiner lautstarken Unterstützung für Trump auch ein immenses finanzielles Risiko ein. Die nächste demokratische Administration dürfte sich kaum dazu berufen fühlen, Musks Unternehmen im Ausland anzupreisen oder mit besonderem Wohlwollen zu betrachten. Deshalb lohnt es sich, Musks langen Weg vom Clinton-Spender zum Trump-Unterstützer noch einmal genauer nachzuvollziehen.
»Ich betrachte diese Wahl als einen Wendepunkt, als eine Weggabelung des Schicksals, die unglaublich wichtig ist«, hatte Musk dem Podcaster Joe Rogan gesagt, kurz bevor die Wahllokale am 5. November 2024 öffneten. »Ich habe mich bei dieser Wahl politisch engagiert, weil ich glaube, dass wir die Demokratie in diesem Land verlieren werden, wenn wir Trump nicht wählen.«[46]
Auch vermischte er das vermeintliche Schicksal des Landes mit seinem eigenen. Im Oktober witzelte er bei Tucker Carlson: »Wenn er (Trump) verliert, bin ich am Arsch. Was glaubst du, wie lang meine Gefängnisstrafe sein wird? Werde ich meine Kinder sehen? Ich weiß es nicht.«[47] Ein Witz – aber einer, der tief blicken lässt.
Musk fiel lange nicht als überzeugter Rechtspopulist auf. Sein erster Biograf, Ashlee Vance, beschrieb ihn 2015 als »wohlmeinenden Träumer«, der gleichwohl »ein überzeugtes Mitglied des techno-utopischen Clubs im Silicon Valley« sei. Diese Gruppe, so der Autor, »besteht in der Regel aus einer Mischung von Anhängern Ayn Rands und absolutistischen Ingenieuren, die ihre hyperlogische Weltsicht als die Antwort für alle ansehen; wenn wir ihnen nur aus dem Weg gehen würden, dann würden sie alle unsere Probleme lösen.«[48] Doch genau dieser Tech-Utopismus hatte schon immer auch eine Verbindung zum Autoritären.
Diese lässt sich bis ins frühe 20. Jahrhundert zurückverfolgen. 1908 verfasste der italienische Dichter Filippo Tommaso Marinetti das »Manifest des Futurismus«[49], einen Aufruf zur radikalen Erneuerung von Kunst und Gesellschaft, der Moderne und Fortschritt glorifizierte, gleichzeitig aber auch Krieg (»diese einzige Hygiene der Welt«) und Militarismus verherrlichte und die Vergangenheit radikal ablehnte.
Bis heute hat Marinetti im Silicon Valley prominente Anhänger. Als Marc Andreessen, ehemals Mitgründer des Netscape-Internetbrowsers und heute ein äußerst einflussreicher Risikokapitalgeber, im Herbst 2023 sein »Techno-Optimistisches Manifest« veröffentlichte, das Technologie zur treibenden Kraft hinter Fortschritt und Wohlstand erklärte, nannte er Marinetti einen »Schutzheiligen« seiner Idee.[50] Dass der Italiener elf Jahre nach seinem ersten Manifest ein zweites veröffentlicht hatte, erwähnte Andreessen lieber nicht. 1919 verfasste MarinettiIl manifesto dei fasci italiani di combattimento – auch bekannt als das »Manifest der Faschisten«.
Rund ein Jahrzehnt später ersannen einige Aktivisten auch in den USA und Kanada angesichts der Verheerungen durch die Große Depression Ideen für ein neues Regierungsmodell. Unter dem Namen »Technokratie« argumentierten sie für einen Staat, in dem die Entscheidungen nicht von gewählten Volksvertretern gefällt werden sollten, sondern ausschließlich von Experten und Ingenieuren, die – so zumindest die Theorie – nur auf Grundlage ihrer Fähigkeiten und Qualifikationen in Positionen der Macht kommen sollten.
Das Ziel: eine effiziente und rationale Regierungsführung, basierend auf Wissenschaft und Technologie. Für Demokratie war in ihren Vorstellungen kein Platz. Einer der einflussreichsten Anhänger der Technokratie-Bewegung: Joshua Haldeman, der Großvater von Elon Musk.
Haldeman war eine faszinierende Figur. Seine Familie zog von Minnesota nach Kanada, als er noch ein Kleinkind war. Er studierte an sechs Hochschulen, ohne einen Abschluss zu machen, ließ sich schließlich zum Chiropraktiker ausbilden, schaffte es jedoch nicht, eine erfolgreiche Praxis aufzubauen. 1929 zog er nach Iowa, kaufte eine Farm und verlor sie keine zwei Jahre später, als die Bank, über die er sie finanziert hatte, in die Pleite rutschte. Kurz danach schloss er sich der Technokratie-Bewegung an.
Während der Weltwirtschaftskrise hatte sie durchaus Erfolg, zog rund 250 000 Anhänger an. Doch schon bald darauf brach sie in sich zusammen. 1940 verbot Kanada die Organisation, die Haldeman mitgegründet hatte. Zehn Jahre später, kurz nachdem dort das Apartheid-System eingeführt worden war, zog er nach Südafrika.[51]
Der Zeitpunkt war kein Zufall. »Haldeman war ein Apartheid-Befürworter und antisemitischer Verschwörungstheoretiker, der vieles von dem, was ihn an der Welt störte, jüdischen Finanziers zuschrieb«, so die Historikerin Jill Lepore, die Traktate auswerten konnte, die Musks Großvater verfasst hatte.[52] Auch seine Vorliebe für eine Technokratie schien ihn nie zu verlassen.
Musk ist nicht verantwortlich für die Überzeugungen von Haldeman, der starb, als Elon gerade einmal drei Jahre alt war. Trotzdem scheinen die Ideen seines Großvaters zumindest in Teilen zu ihm durchgesickert zu sein. »Die Entwicklung des Starships wird beschleunigt, um die Technokratie auf dem Mars aufzubauen«, twitterte Musk im Juni 2019[53] – und gab damit einen Hinweis darauf, wie er sich eine künftige Zivilisation auf dem Roten Planten vorstellt.
Nicht das einzige Beispiel: So weist Lepore darauf hin, dass die Technokratie-Pläne in den 1930ern vorsahen, dass Menschen keine Namen mehr führen würden, sondern durch Nummern identifiziert würden. »Ein Technokrat trug den Namen 1x1809x56«, schreibt die Historikerin. »Musk hat einen Sohn namens X Æ A-12.«[54]
Durch die Technokratie-Linse betrachtet, ergibt das Vorgehen des Milliardärs mit dem sogenannten Department of Government Efficiency deutlich mehr Sinn. Die radikalen Kürzungen, angeblich im Dienst der Effizienz, und der Rückbau demokratisch legitimierter Strukturen durch Ingenieure, die oftmals zuvor für Musk gearbeitet hatten, passen gut zu Vorstellungen, die Joshua Haldeman und seine Mitstreiter in den 1930ern entwickelt hatten.
Hinzu kommt die tief verankerte Staatsskepsis, die im Silicon Valley seit jeher verbreitet ist. »Es gibt dort schon seit sehr langer Zeit eine techno-libertäre Strömung – und das parteiübergreifend«, sagt die Historikerin Margaret O’Mara. »Sie passt nicht so richtig ins amerikanische Rechts-Links-Schema, da sie lange Zeit sowohl für die Freiheit der Märkte und der Wirtschaft als auch für die Freiheit des Individuums eingetreten ist.« Deshalb habe sie in Musk auch nie den klassisch liberalen Demokraten gesehen, den manche in ihm ausgemacht haben wollten, sagt sie.
Das Verhältnis zwischen Tech-Branche und Regierung beziehungsweise Staat war schon immer komplex. Im Norden von Kalifornien trafen visionärer Unternehmergeist und gut finanzierte staatliche Programme aufeinander und lösten so »eine Explosion wissenschaftlicher und technologischer Entdeckungen aus, die die Grundlagen für Generationen von Start-ups liefern sollte«, heißt es in O’Maras Buch The Code.[55] Allerdings: »Zu behaupten, das Silicon Valley verdanke seine Existenz der Regierung, ist genauso falsch wie zu sagen, es sei die reinste Ausprägung des freien Marktes.«
Trotzdem ist der Glaube an die schöpferische Kraft des Individuums hier groß. Es ist kein Zufall, dass die Romane der Autorin Ayn Rand unter Gründern immer noch mit großer Aufmerksamkeit gelesen werden. Rands Philosophie, der sogenannte Objektivismus, erklärt rationales Eigeninteresse, Vernunft und freien Kapitalismus zu den höchsten moralischen Werten der Menschheit. In ihren Büchern beschreibt sie oft brillante Individuen, die von der mittelmäßigen Masse gebremst werden.
Das gefällt nicht nur im Silicon Valley. Lange Zeit war Rand auch in republikanischen Zirkeln eine höchst beliebte Autorin. Donald Trump lobte ihren Roman The Fountainhead in höchsten Tönen. »Es handelt von Business, Schönheit, Leben und inneren Gefühlen. Dieses Buch hat mit … allem zu tun«, so der damals noch zukünftige Präsident.[56] (In dem Roman sprengt ein genialer Architekt ein soziales Wohnungsbauprojekt in die Luft, weil beim Bau von seinen Plänen abgewichen wurde. Zudem beinhaltet das Buch eine höchst umstrittene Vergewaltigungsszene.) Auch Musk hat Rand gelesen. Ihr Roman Atlas Shrugged sei »sehr reizvoll«, schrieb er auf Twitter. »Er ist ein Kontrapunkt zum Kommunismus und als solcher nützlich.«[57]
Im Widerspruch zu Rands reiner Lehre war Musk jedoch auch bereit, staatliche Unterstützung in Anspruch zu nehmen. 2010 zum Beispiel erhielt Tesla vom US-Energieministerium einen Kredit in Höhe von 465 Millionen Dollar, um seine Produktion für das Model S aufzubauen.[58] Das Geld, so Analysten, habe es dem Autohersteller überhaupt erst ermöglicht, »den nächsten Schritt zu machen«.[59] Musk wusste das Darlehen erfolgreich einzusetzen.
Tesla zahlte den Kredit inklusive aller Zinsen neun Jahre vor Ablauf der Frist zurück.[60] Trotzdem zog die damals regierende Obama-Administration wegen der Unterstützung Kritik auf sich. Als sich der Präsident 2012 zur Wiederwahl stellte, griff sein Herausforderer Mitt Romney ihn während einer TV-Debatte frontal an. Obama habe staatliche Mittel genutzt, um in gescheiterte Unternehmen zu investieren. Als Beispiele nannte er den mittlerweile bankrotten Solarzellenhersteller Solyndra, den in die Pleite gerutschten E-Autohersteller Fisker – und Tesla.[61]
Kein Wunder also, dass sich Musk zu dieser Zeit als Demokrat präsentierte. Auch in den folgenden Jahren sollte er Abstand zu den Republikanern halten, bis Trump 2016 die Wahl gewann. Als der designierte Präsident eine Gruppe Tech-Unternehmer zu einer Besprechung in den Trump Tower nach New York einlud, kam auch Musk – und dass, obwohl ihm Trumps Wahlkampf zuwider gewesen war. Ich kann ihn überzeugen, sagte er der Journalistin Kara Swisher. Ich kann ihn beeinflussen.[62]
Doch das gelang ihm damals noch nicht. Auch als die beiden nach dem Treffen in der großen Runde noch im kleinen Kreis zusammenkamen, überzeugte der Republikaner den Unternehmer nicht. »Ein Freund habe ihm einen Tesla geschenkt, erzählte Trump, doch er sei noch nie damit gefahren. Musk war irritiert, sagte aber nichts dazu. Als Nächstes erklärte Trump, er wolle ›dringend die NASA wieder flottmachen‹, was Musk noch mehr irritierte«, beschreibt Walter Isaacson die Szene. Das designierte Staatsoberhaupt, so Musk nach dem Treffen, wirke ein bisschen irre. Aber wer weiß: »Vielleicht macht er sich ja.«[63]
Zunächst fanden die beiden Männer nicht zusammen. Wenige Monate nach Trumps Amtsantritt zog sich Musk aus einem wirtschaftlichen Beratungsgremium zurück, dem er zunächst beigetreten war. Der Präsident hatte zuvor die Zustimmung der USA für das Pariser Klimaschutzabkommen zurückgezogen – ein Schritt, den der E-Autounternehmer Musk nicht mittragen konnte.
2020 stimmte er bei der Präsidentschaftswahl für Joe Biden. Doch da befand er sich bereits mitten in einer parteipolitischen Transformation. »Die Linke verliert die Mitte«, hatte er im Sommer des Pandemiejahres getwittert – frustriert von den harschen Covid-Maßnahmen in Kalifornien, die unter anderem das Tesla-Werk in Fremont zeitweise stillgelegt hatten.[64]
Und die nächsten Schritte der Biden-Administration halfen ebenfalls nicht, den Unternehmer in ihrem Lager zu halten. Als das Weiße Haus im August 2021 zu einem E-Auto-Gipfel einlud, stand Tesla, der mit großem Abstand erfolgreichste Hersteller, nicht auf der Gästeliste.[65] Die Administration hatte aus Rücksicht auf die Autobauer-Gewerkschaft UAW darauf verzichtet, Musks Firma neben Ford, General Motors und Stellantis zu präsentieren – obwohl die Verkaufszahlen der sogenannten Big Three neben denen von Tesla verblassten.
»Die Biden-Administration, die ihren gewerkschaftsfreundlichen Ruf unterstreichen und sich von einem Mann distanzieren wollte, der zunehmend zum politischen Blitzableiter wurde, tat wenig, um den Eindruck zu zerstreuen, dass sie Musk gegenüber feindlich eingestellt sei«, schreibt der Journalist Siddiqui.[66] Der Milliardär reagierte empört, twitterte immer wieder negativ über Präsident Biden – und näherte sich gleichzeitig zunehmend den Republikanern an.
Im nächsten Jahr folgte dann eine persönliche Kränkung. Im April 2022 sagte sich seine 18-jährige Tochter Vivian Jenna Wilson, eine Transfrau, von ihm los und nahm den Mädchennamen ihrer Mutter an. Als Begründung gab sie an: »Geschlechtsidentität und die Tatsache, dass ich nicht mehr mit meinem biologischen Vater zusammenlebe oder in irgendeiner Form mit ihm verwandt sein möchte.«[67]
Musk hatte in den vorangegangenen Jahren immer wieder Stimmung gegen Transrechte gemacht. Wilsons Schritt traf ihn hart. Gegen den vermeintlichen »Woke Mind Virus« hatte er schon vorher gewettert. Nun machte er ihn obendrein noch für den »Verlust« seines »Sohnes« verantwortlich. »Also habe ich mir geschworen, den Woke Mind Virus zu zerstören«, sagte er später dem Kommentator Jordan Peterson.[68]
Aufgenommen hatte er diesen Kampf zunächst vor allem auf Twitter. »Er tauschte sich regelmäßig mit rechten Meinungsmachern aus, kritisierte demokratische Politiker wegen Initiativen zur Besteuerung von Wohlhabenden und prangerte die Forderung von Transgendern an, mit dem von ihnen gewählten Pronomen angesprochen zu werden – eine Forderung, die er als Verstoß gegen die Meinungsfreiheit ansah. Er war hemmungslos und nutzte die Plattform kontinuierlich für seine Ausfälle«, schreiben die Journalisten Kate Conger und Ryan Mac.[69]
Ende 2021 begann er, heimlich Anteile an Twitter zu kaufen. Im Sommer 2022, nach monatelangen Rechtsstreitigkeiten, übernahm er es vollständig – und baute es nach seinen Vorstellungen um. Unter seiner Führung ging die Plattform beispielsweise deutlich weniger gegen Hassrede oder Falschinformationen vor. Und Musk reaktivierte Accounts, die in der Vergangenheit wegen Verstößen gegen Twitters Nutzerbedingungen gesperrt worden waren – etwa den des durch antisemitische Äußerungen aufgefallenen Rappers Kanye West, den des Manosphere-Influencers Andrew Tate – und den von Donald Trump, der im Zuge des Sturms auf das Kapitol durch seine Anhänger am 6. Januar 2021 gesperrt worden war.
Zu diesem Zeitpunkt hatte Musk seine parteipolitische Transformation vollständig abgeschlossen. Vor den Zwischenwahlen 2022 hatte er sich öffentlich von den Demokraten losgesagt. Diese seien »die Partei der Spaltung und des Hasses« geworden.[70] Mit Blick auf die Präsidentschaftswahlen 2024 unterstützte er zunächst die Kandidatur von Floridas republikanischem Gouverneur Ron DeSantis. Doch nachdem dieser früh im Vorwahlprozess gescheitert war, wandte er sich Trump zu.
Am 3. März 2024 kamen der Milliardär und der Kandidat im Haus des Investors Nelson Peltz in Palm Beach erstmals wieder zusammen. Trump brauchte Geld, Musk suchte einen Kandidaten, der ihn vor vier weiteren Jahren mit Biden im Weißen Haus bewahren würde. Es war der Neustart einer Beziehung, die beide ins Zentrum der Macht bringen sollte.
Musk schien in Trump also mehr zu sehen als nur eine Gelegenheit, seinen Reichtum zu mehren. Die Präsidentschaft des Republikaners ermöglichte es dem Unternehmer, das mächtigste Land der Welt in seinem Sinne umzubauen – oder es zumindest zu versuchen.
Musks Gesellschaftsvision – eine Mischung aus anti-wokem Libertarismus und Technokratie – hätte sich in dieser Form wohl kaum unter einem anderen Staatsoberhaupt ausprobieren lassen. Auch deshalb achtete Musk darauf, Trump nach dessen Wahlsieg weiter zu stärken.
Als im Dezember 2024 Zweifel an der Qualifikation von Pete Hegseth aufkamen, dem Kandidaten des gewählten Präsidenten für das Amt des Verteidigungsministers, ließ Musk über eine von ihm finanzierte Organisation Werbespots schalten, die zweifelnden republikanischen Senatoren unmissverständlich signalisierten, dass sie sich auf einen gut finanzierten Gegenkandidaten einstellen könnten, wenn sie es wagen sollten, sich Trumps Wünschen zu widersetzen.[71]
So brachte Musk die Zweifler zum Schweigen – und Hegseth ins Pentagon. Amerikas mächtigster Oligarch hatte der MAGA-Bewegung innerhalb kürzester Zeit einen zweiten Sieg erkauft. Wie es scheint, aus Überzeugung.
Doch was ist mit den anderen Milliardären, die Trumps Amtseinführung aus nächster Nähe verfolgt hatten? Schließlich war Musk in der Rotunde des Kapitols nicht allein. Auch die Männer auf den Rängen zwei und drei der globalen Reichenliste – Jeff Bezos und Mark Zuckerberg – hatten hervorragende Plätze zugewiesen bekommen. Dabei hatten sie im Wahlkampf keinerlei Geld zur Unterstützung eines Präsidentschaftskandidaten, weder für Trump noch für Harris, ausgegeben.
Und auch die Spendenvehikel ihrer Unternehmen hatten sich aus dem Rennen um das Weiße Haus herausgehalten, überwiesen lediglich kleinere Beträge an Abgeordnete und Senatoren beider großer Parteien. Erst nach Trumps Wahlsieg gaben Amazon und Meta jeweils eine Million Dollar für die Amtseinführung – deutlich mehr als vier oder acht Jahre zuvor.[72]
Signalisieren diese Zuwendungen eine größere Verschiebung? Eine Annäherung der parteipolitisch gesehen ehemals stabil demokratischen Tech-Branche an Trumps Spielart des Rechtspopulismus? Es ist ja schließlich nicht nur Musk, der sich zuletzt klar hinter den Republikaner gestellt hatte.
Auch der Investor Marc Andreessen und sein Partner Ben Horowitz gaben im Wahlkampf verstärkt an die Republikaner und pumpten viel Geld in die Kandidaturen von Politikern, die sich für eine laxere Regulierung des Kryptosektors einsetzten. Hinzu kommt David Sacks, ebenfalls Tech-Investor und seit PayPal-Tagen eng mit Musk verbandelt. Auch Sacks spendete nicht direkt, unterstützte Trumps Kampagne aber lautstark. Heute ist er im Weißen Haus unter anderem für Künstliche Intelligenz und Krypto zuständig.
Das ist neu. Während Trumps erster Amtszeit bekannte sich nur ein einziger prominenter Tech-Investor zu dem Republikaner: Peter Thiel, zu ihm später mehr. Auch er ist Teil der sogenannten PayPal-Mafia – einer Gruppe Unternehmer, die durch den Verkauf des Bezahldienstes an eBay im Jahr 2002 sehr reich geworden sind. »Sie waren unglaublich seltsame, sozial unbeholfene Menschen, von denen einige Überzeugungen vertraten, die dem damaligen Wertesystem des Silicon Valley zuwiderliefen«, so Roger McNamee, selbst Tech-Investor und ehemals ein Mentor von Mark Zuckerberg.
Doch nach dem Platzen der Internet-Bubble im Jahr 2000 konnten sie ihre neuen Vermögen nutzen, um früh in die aufkommenden sozialen Netzwerke zu investieren und sie so zu prägen. »Die PayPal-Mafia hat rücksichtslose Technologie, soziopathische Gründer und CEOs und die Ablehnung jeglicher sozialen Verantwortung populär gemacht«, sagt er. Dass Trump nun im Silicon Valley neue Anhänger findet, sieht der Investor als eine Folge dieser Entwicklung.
Ein Stück weit lässt sich dieser kulturelle Wandel auch in Wählerstimmen nachvollziehen. Zwar ist das Silicon Valley nach wie vor eine stabil demokratische Hochburg, in der etwa Kamala Harris zwischen 70 und 80 Prozent der Stimmen holte, doch der Anteil der Trump-Wähler ist seit dessen erster Kandidatur 2016 ein gutes Stück gestiegen.[73] Es wäre falsch zu behaupten, das Valley sei jetzt für MAGA. Aber es lässt sich nicht abstreiten, dass der Republikaner selbst in der liberalen Hochburg zwischen San Francisco und San José an Zustimmung gewonnen hat.
