An Dich - Kôdô Sawaki - E-Book

An Dich E-Book

Kôdô Sawaki

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Beschreibung

"Ein Mensch für sich allein ist noch erträglich, doch wenn die Menschen Cliquen bilden, fangen sie an zu verblöden. Sie verfallen dem Gruppenwahn. Sie sind so sehr darauf aus, in Gruppen zu verblöden, dass sie dafür extra Vereine gründen und Mitgliedsbeiträge bezahlen. Zazen bedeutet, sich vom Gruppenwahn zu verabschieden." "Die Gleichberechtigung von Mann und Frau ist nur während des Ehekrachs ein Thema. Wenn sich Mann und Frau gut vertragen, ist keine Rede von Gleichberechtigung." "Es beginnt damit, dass du 'ich' sagst: Alles danach ist Illusion." "Alles redet von Liebeshochzeiten, aber ist das nicht Gefühlsduselei? Geht es nicht nur um Penis und Vagina? Warum sagt keiner, dass er sich in eine Vagina verliebt hat?" Kôdô Sawaki Rôshi (1880-1965) gilt als einer der wichtigsten Zen-Meister des 20. Jahrhunderts. Sein Tempel Antaiji wird heute vom deutschen Abt Muhô geleitet, der dieses Buch mit Kôdôs prägnanten und kernigen Weisheiten aus dem Japanischen übertrug. [Überarbeitete Neuauflage von 2017.]

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Weitere Titel aus der Linie von Kôdô Sawaki im Angkor Verlag:

Kôdô Sawaki: Zen ist die größte Lüge aller Zeiten.

Übersetzt von Muhô. 224 Seiten.

Kôdô Sawaki: Zen ist für nix gut.

Kommentare zum Shôdôka. Paperback. 368 Seiten.

Kôdô Sawaki: Tag für Tag ein guter Tag.

Einführung in die Meditation des Zen.

Übersetzt und zusammengestellt von Muhô. Paperback. 116 Seiten.

Kôdô Sawaki/ Kôshô Uchiyama: Die Zen-Lehre des Landstreichers Kôdô.

Übersetzt von Guido Keller. Paperback. 120 Seiten.

Kôshô Uchiyama: Zen für Küche und Leben.

Übersetzt von Francoise-Albert Viallet. Paperback. 104 Seiten.

Kôshô Uchiyama: Das Leben meistern durch Zazen.

Übersetzt von Stefan Pierre-Louis. Paperback. 112 Seiten.

Dôgen Zenji: Shôbôgenzô. Gesamtausgabe. Gebunden

Dôgen Zenji: Eihei Kôroku. Paperback. 336 Seiten.

***

Inhalt

Vorwort (Uchiyama Kôshô)

An dich, den die Augen der anderen nervös machen

An dich, der glaubt, ganz im Trend zu liegen

An dich, der völlig fertig ist vom Ehekrach

An dich, dem das Leben plötzlich sinnlos erscheint

An dich, dem es um Geld, Geld und Geld geht

An dich, der den Premierminister für etwas Besonderes hält

An dich, der die anderen in den Schatten stellen will

An dich, den man übers Ohr gehauen hat

An dich, der seinen Job hinschmeißen will

An dich, der du mit Zazen anfangen willst

An dich, der du dein Hara stärken willst

An dich, der sich fragt, was Zazen bringt

An dich, der spirituell etwas erreicht hat

An dich, der alles daran setzt, Satori zu bekommen

An dich, der du mit Satori hausieren gehst

An dich, der so stolz auf Wissenschaft und Kultur ist

An dich, der mit den anderen nicht auskommt

An dich, der du keine Zeit hast

An dich, der von der Karriereleiter gepurzelt ist

An dich, der gerne Gespenstergeschichten hört

An dich, dem Geld, Liebe und Status fehlen

An dich, der sich ein besseres Leben wünscht

An dich, der sagt, dass die Bonzen Konjunktur haben

An dich, der die Bonzen um ihr Gewerbe beneidet

An dich, der sich mit Buddhismus fortbilden will

An dich, der du gerne Erbauliches hörst

An dich, der du nach deinem Selbst fragst

An dich, der den Buddhismus für einen klugen Gedanken hält

An dich, der du nur glaubst, dass du glaubst

An dich, für den das

Shôbôgenzô

hartes Brot ist

An dich, der meint, der Buddhismus sei abgehoben

An dich, der du – so wie du bist – bereits Buddha bist

An dich, dessen Geist keine Ruhe finden will

An dich, dem es um ein Leben aus Zen geht

An dich, der unzufrieden mit seinem Zazen ist (Uchiyama Kôshô)

Vorwort von Uchiyama Kôshô

Am 8. Dezember 1941, dem Tag des Ausbruchs des Pazifischen Krieges, wurde ich von Sawaki Kôdô Rôshi zum Mönch ordiniert. Bis zu seinem Tod am 21. Dezember 1965, genau 24 Jahre lang, war ich ihm zu Diensten. Sawaki Rôshi befand sich stets auf Reisen, doch ungefähr eine Woche verbrachte er jeden Monat bei uns Schülern in Antaiji, um fünf oder später drei Tage lang ein Sesshin (intensive Zazen-Übungsperiode) mit uns zu praktizieren und den Dharma zu lehren. Während seiner Lehrreden machte ich mir als Anleitung für meine eigene Praxis Notizen von besonders prägnanten Ausdrücken des Dharma. Als der Daihôrinkaku-Verlag mehr als zwanzig Jahre nach dem Tod meines Meisters eine Veröffentlichung der Notizbücher vorschlug, ließ mich mein eigenes Alter zögern. Glücklicherweise erklärte sich mein Schüler Kushiya Shûsoku bereit, die Neuanordnung und Herausgabe des Berges von Fragmenten auf sich zu nehmen. Dem Leser dieses Buches wird auffallen, wie sich Shûsokus jugendlicher Elan bei der Anordnung der Sprüche ausdrückt.

Ich bin mit dieser Form der Anordnung höchst zufrieden. Und zwar deshalb, weil jeder einzelne der hier gesammelten Aussprüche Sawaki Rôshis über eine faszinierende Kraft verfügt, die verloren ginge, wenn die Aussprüche einfach nur aneinandergereiht würden. Unter diesen Sprüchen ist nicht einer, der es verdient hätte, schnell durchgelesen und dann vergessen zu werden, denn jeder einzelne betrifft uns selbst. Nur wenn wir diese Sprüche in Ruhe kauen und verdauen, offenbart sich ihr tiefer Sinn. Die gegenwärtige Form des Buches erlaubt es, sowohl die Gesamtheit des Werkes zu überblicken, als auch einfach nur das Kapitel aufzuschlagen, das dem Leser zum gegenwärtigen Zeitpunkt persönlich am meisten zu sagen hat. Auf diese Weise wird der Leser dann allmählich auch Interesse an anderen Kapiteln gewinnen, so dass sich sein Verständnis der Lehre Sawaki Rôshis Schritt für Schritt ausweiten und vertiefen wird. Ich hoffe, durch die Niederschrift dieser Worte Ihnen ein Gefühl für die Wärme des lebendigen Leibes meines Meisters geben zu können, und dass diese Worte schließlich zum Fleisch und Blut Ihres eigenen Körpers werden. Weil Shûsoku als Teil seiner eigenen Praxis diese Aussprüche so frisch und modern angeordnet hat, sind Sie hier mit drei Generationen von Lehrern und Schülern des Dharma vereint. Sawaki Rôshi hätte sich sicher am meisten über dieses Ergebnis gefreut.

1. An dich, den die Augen der anderen nervös machen

Du kannst nicht einmal einen Furz mit deinem Nächsten austauschen. Jeder einzelne von uns muss sein eigenes Leben leben. Dabei brauchen wir uns keine Gedanken darüber zu machen, wer von uns der Fähigste ist.

Die Augen sagen nicht: „Unsere Stellung ist zwar niedriger, doch wir leisten mehr.“ Die Augenbrauen erwidern nicht: „Wir leisten zwar nichts, dafür ist unsere Stellung aber höher als eure.“

Den Buddhadharma1 zu leben bedeutet, spontan zu handeln. Der Berg denkt nicht, dass er hoch ist. Das Meer denkt nicht, dass es weit und tief ist. Alles entfaltet seine volle Aktivität spontan.

„Der Vogel singt und die Blume lacht ganz spontan, unabhängig von dem Menschen, der unten am Felsen in Zazen sitzt.“

Der Vogel singt nicht, um den Menschen in Zazen2 mit seinem Lied zu beeindrucken. Die Blume blüht nicht, um vom Menschen für ihre Schönheit bewundert zu werden. Genauso sitzt auch ein Mensch nicht in Zazen, um „Satori“3 zu bekommen. Jeder Einzelne von uns verwirklicht sich einfach selbst, durch sich selbst, zu sich selbst.

Religion bedeutet, das eigene Selbst völlig frisch und neu zu leben, ohne sich von irgendjemandem an der Leine herumführen zu lassen.

Oi, was glotzt du in die Gegend!? Merkst du nicht: Es geht um dich!

Das Arschloch braucht sich nicht dafür zu schämen, das Arschloch zu sein. Die Füße haben keinen Grund, in den Streik zu treten, nur weil sie bloß Füße sind. Der Kopf ist nicht der Allerwichtigste. Auch der Nabel braucht sich nicht einzubilden, der Vater aller Dinge zu sein.

Es ist komisch, dass die Leute den Premierminister für etwas Besonderes halten. Die Nase kann die Augen so wenig ersetzen wie der Mund für die Ohren einstehen kann. Jeder hat seine eigene Identität, die unübertrefflich ist im ganzen Universum.

Alles Lebendige muss seine eigene, unübertreffliche Identität ausleben. Jeder kann nur das eigene Leben leben. Warum habt ihr das nur vergessen? In unserer Gesellschaft fehlt es an Vorbildern. Der gern bemühte „gesunde Menschenverstand“ und der als Gesellschaftsbewusstsein getarnte Klüngel und Filz – alles nur schlechte Beispiele.

Die Konfuzianisten sagten während der Tokugawa-Zeit (von 1600 bis 1868): „Der Shâkyamuni war ein eingebildeter Kerl! Er redete von seiner Identität, die unübertrefflich sei im gesamten Kosmos.“

Das ist ein Missverständnis: Nicht nur Shâkyamuni verfügte über eine Identität, die unübertrefflich im gesamten Kosmos ist. Jeder Einzelne von uns verfügt über seine eigene unübertreffliche Identität. Unbemerkt folgt sie dir auf Schritt und Tritt, doch du klagst lieber über dein Schicksal. Diese unübertreffliche Identität in dir selbst zum Vorschein zu bringen: Das bedeutet es, den Buddhaweg zu praktizieren.

Hör auf zu heulen! Kleinmütig klagst du, was für ein armes Schwein du seist, während es die anderen so viel besser hätten als du. Und kaum geht es dir selbst ein bisschen besser, schlägst du schon wieder über die Stränge.

Ein religiöses Leben zu führen bedeutet, genau über sich selbst zu reflektieren und sich auf Grund dieser Reflexion selbst zu zensieren.

Manche machen ein Gesicht, als ob das alles mit ihnen nicht das Geringste zu tun hätte.

Wer nicht von oben auf sich selbst herabsehen kann, ist zum Glauben und zur Reue unfähig.

Es heißt jedes Mal, wenn die Rowdys Probleme machen, dass das „Milieu“ daran schuld sei. Doch welches Milieu ist gut und welches ist schlecht? Ist es schlecht, in reichen Verhältnissen geboren zu werden? Ist es besser, arm geboren zu werden? Über das schlechteste Milieu verfügt einer, der allein als Mensch zur Welt kommt und trotzdem behauptet, er habe keine eigene Identität.

Du musst dich davor hüten, dich auf deine Eltern, deinen Familienstammbaum oder deine Herkunft zu berufen, so als ob dir das einen besonderen Wert verleihe. Du solltest auch nicht versuchen, dich mit deinem Geld, deiner Stellung oder deiner Kleidung zu schmücken. Lebe dich selbst, so wie du bist! Religion bedeutet, das eigene Leben nackt und unverstellt zu leben.

Alle Welt möchte sich mit Beziehungen und Besitztümern wichtig machen. Das ist so als versuchtest du, ein geschmackloses Gericht mit dem Teller zu würzen, während du die Speise dabei ganz vergisst. Auf gleiche Weise hat die Welt den Menschen selbst aus den Augen verloren.

In der Religion gibt es keine kollektive Verantwortung: Es kommt nur auf dich selbst an.

Dem Normalbürger4 vergeht die Lust auf alles, wenn ihm dabei keiner zuschaut. Wenn ihm dagegen jemand zuschaut, ist er sogar bereit, ins brennende Feuer zu springen.

In der Welt werden Ehrenurkunden verliehen, doch was steckt schon dahinter?

Urkunden führen zu Scheinheiligkeit, die behauptet: „Ich will mich ja nicht selbst rühmen, aber ...“

Die Menschen sollten Schluss machen mit dem Wetteifern um Sieg oder Niederlage.

Ich bin ich. Kein Vergleich möglich.

Es fängt bereits in der Schule an: Prüfungen halten, Punkte verteilen, den Menschen nach seiner Leistungen beurteilen und nummerieren – was für ein Blödsinn! Was bedeuteten Worte wie „wichtig“ und „unwichtig“ überhaupt? Ist es „wichtig“, ein gutes Gedächtnis zu haben? Ist einer, der ein schlechteres Gedächtnis hat, deswegen ein schlechterer Mensch? Gibt es denn nicht viele Idioten mit einem guten Gedächtnis?

Diejenigen, die die schlechtesten Noten bekommen, sagen: „Scheiß drauf!“ – und fühlen sich als Opfer. Sie bemerken nicht, dass sie sich damit noch einmal selbst bescheißen.

Freue dich nicht über die Punkte, die andere dir geben. Steh für dich selbst ein. Warum freust oder ärgerst du dich über die Meinung der anderen, wenn du dich in Wirklichkeit nicht einmal selbst verstehst?

Ich habe noch niemals jemanden gelobt. Denn alle kennen ihre Schokoladenseite selbst ganz genau. Sogar noch besser, als sie eigentlich ist.

Die Kinder haben eine Maus gefangen: Jetzt zappelt sie in der Falle. Sie haben ihren Spaß daran, wie die Maus sich die Nase blutig reibt und den Schwanz zerreißt. Am Ende werfen sie sie der Katze zum Fraß vor. Steckte ich an der Stelle der Maus in der Falle, würde ich sagen: „Ihr verdammten Menschen werdet keinen Spaß an mir haben!“ – und säße einfach in Zazen.

Buddha zu sein bedeutet, nicht in die Gegend zu gucken. Wenn du damit aufhörst, überall herumzugaffen, kannst du endlich auch deine Mahlzeiten in Ruhe essen.

Den Buddhaweg zu praktizieren bedeutet, nicht in die Gegend zu gucken. Es bedeutet, eins mit der gegenwärtigen Aktivität zu sein. Das heißt: Samâdhi5. Wir essen nicht, um zu scheißen. Wir scheißen nicht, um Dünger zu produzieren. Doch heutzutage scheinen alle zu glauben, dass man in die Schule geht, um sich auf die Uni vorzubereiten, und an die Uni geht, um einen Beruf zu bekommen.

Bodhi-Geist (wacher, erleuchteter Geist) zu erwecken bedeutet, damit aufzuhören, in die Gegend zu gucken.

„Soll ich als Mönch leben? Oder soll ich das Mönchsleben doch lieber aufgeben?“ – Bodhi-Geist erweckst du, wenn du mit diesem Herumgaffen endlich aufhörst und dich entschließt, „die schwere Last des Shôbôgenzô6 auf dich zu nehmen und an jedem Ort vollkommen Herr deiner selbst zu sein“ (Zitat aus Daichi Zenjis Hotsuganmon).

Diesen Leib dem Buddhaweg widmen, ohne nach links oder rechts zu gucken – auf diese Weise „enthüllt sich das erhabene, große, wertvolle Leben“ (Eihei Kôroku). Buddha ist einer, der nicht in die Gegend guckt.

Es gibt keinen Grund, nach links oder rechts zu schielen. Doch genau das haben die Menschen sich schon vor unendlich langer Zeit angewöhnt.

Ihr „großen Leute“ seid seltsam: Selbst um ein einziges Wort macht ihr großes Theater. Versucht doch einmal, einen Säugling zu beleidigen – es wird euch nicht gelingen. Denn nur ihr verfallt der Hypnose, dass ihr der Welt als selbständige Individuen gegenüber steht. So bringt ihr euch in Verlegenheit oder Zorn.

Geht schnurstracks weiter!

„Der eiserne Stier fürchtet das Brüllen des Löwen nicht.“

Das ist klar, denn ihm fehlt die Schwachstelle der Lebewesen.

„Der Mann aus Holz ist wie der Vogel und die Blume.“7

Genau, denn auch ihm fehlt jedes Bewusstsein von einem Ich.

Menschen schalten schnell: Sie sehen einen Schatten, und schon ergreift sie die Furcht. Sie sehen ein Gespenst und ergreifen die Flucht.

Du machst ein großes Gezeter um die „Realität“ – dabei ist es genau diese „Realität“, die dich an der Leine herumführt.

Es gibt Typen, die finden ihr ganzes Leben lang nicht zu ihrem eigenen Lebensweg.

Hör auf damit, dich im Dunklen voranzutasten. Gehe dort, wo du frei ausschreiten kannst. „Gehe nicht bei Nacht. Gehe in der Helligkeit“ (Keitoku Dentôroku, 15. Kapitel). Dieses Kôan drückt die Essenz von Religion aus.

Wohin du auch blickst, es gibt nur dich selbst. Es gibt nichts, das du nicht bist. „Hilf mir aus meiner Faulheit! Nimm mir die Schmerzen ab!“ – So funktioniert das nicht.

Samâdhi heißt, du selbst und nur du selbst zu sein. So verwirklichst du deine eigene Natur, die einen reinen und klaren Geist8 bedeutet. Nur in Zazen kannst du du selbst und nur du selbst sein. Denn außerhalb von Zazen versuchst du ständig, besser als die anderen zu sein oder mehr Spaß als die anderen zu haben.

Jeder Einzelne von uns wird mit der Welt geboren und stirbt mit der Welt. Denn jeder lebt in seiner eigenen Welt.

1 Das Wort „Dharma“ trägt im Sanskrit die Bedeutungen „Lehre“, „Gesetz“, „Pflicht“ aber auch „Ding“ oder „Phänomen“. Im Zen wird es oft in der Kombination „Buddhadharma“ gebraucht und bedeutet sowohl die absolute, transzendente Wahrheit als auch die konkrete Realität unseres täglichen Lebens.

2 Zazen bedeutet wörtlich „Zen im Sitzen“ oder „Sitz-Meditation“. In der Tradition Dôgens wird dies als „einfaches Sitzen“ verstanden.

3 „Satori“ ist ein Wort, auf das wir häufig in Büchern über Zen stoßen. Es wird als „Erleuchtung“ oder „Erwachen“ übersetzt, bei Dôgen jedoch auch als „Verwirklichung“ oder „Erweis“. Ein Punkt, um den es Sawaki immer wieder geht, ist, dass die Zazen-Praxis keine Erleuchtungserfahrung zum Ziel hat, sondern umgekehrt die Praxis selbst Manifestation von Satori ist. Wenn Sawaki abfällig von „Satori“ im Sinne einer (oft bloß vorgestellten) Erleuchtungserfahrung spricht, ist der Begriff meist in Anführungszeichen gesetzt.

4 „Normalbürger“ (jap. Bonpu) ist ein zentraler Begriff bei Sawaki, der auch als „gewöhnlicher Mensch“ oder „Mensch, der in der Illusion steckt“ übersetzt werden kann. Wenn Sawaki vom „Menschen“ spricht, dann meist nicht im humanistischen Sinn als dem „Maß aller Dinge“, sondern als einem Wesen, das „mit einem klugen Gesicht ratlos im Dunklen tappt“. Jeder von uns ist nur ein Normalbürger, aber wir dürfen keine Entschuldigung aus unserem Normalbürgertum machen.

5 Mit diesem Begriff aus dem Sanskrit bezeichnet Sawaki den Prozess des Eins-Werdens, das Aufgehen in der Handlung des Moments. In manchen Meditationsrichtungen wird darunter eine Art von subjektivem Trance-Zustand verstanden, doch Sawaki widerspricht dieser Ansicht vehement.

6 Wörtlich der „Augenspeicher des wahren Dharma“, auch Titel des Hauptwerks von Dôgen Zenji (1200-1253), auf das Sawaki immer wieder zurückkommen wird (siehe die Literaturhinweise auf Seite 2).

7 Beide Zitate stammen von dem chinesischen Laien Pang (740–808).

8 Sanskrit Prakrti-prabhasvara-citta, wird im Mahâyâna-Buddhismus gleichbedeutend mit Bodhicitta, dem erwachten Geist (oder Bodhi-Geist), verwendet.

2. An dich, der glaubt, ganz im Trend zu liegen

Ständig hängst du dich an die anderen an. Isst einer Pommes, willst du auch deine Pommes. Lutscht einer einen Lolli, willst du auch einen Lolli. Bläst einer auf einer Pimmelflöte, schreist du: „Mama, kauf mir auch eine Pimmelflöte!“ Und das gilt nicht nur für Kinder.

Wenn es Frühling wird, lässt du dir vom Frühling den Kopf verdrehen. Wenn es Herbst wird, lässt du dir vom Herbst den Kopf verdrehen. Alle warten nur darauf, dass man ihnen den Kopf verdreht. Und werben damit, wie vielen sie selbst schon den Kopf verdreht haben.

Die Menschen lieben den Gefühlstumult. Sieh dir nur die Filmplakate an: Ein einziger Gefühlstumult auf den Gesichtern. Buddhadharma bedeutet, sich nicht diesem Tumult preiszugeben. Die Welt veranstaltet ein riesiges Theater um nichts.

Es ist die Natur des Normalbürgers, dass er nichts außer dem Gruppenwahn wahrnehmen will.

Von Helden umgeben selbst einen Held zu spielen, ist nicht sehr heldenhaft. Der Dieb sagt zu seinem Sohn: „Mit deiner verdammten Ehrlichkeit wird aus dir nie ein anständiger Dieb. Du bist eine Schande für das Diebeswesen!“

In der Gesellschaft von Unehrlichen wird der Ehrliche zum Narren gehalten.

Dôgen Zenji9 sagt: „Wenn du einen Weisen siehst, versuche es ihm gleichzutun.“

Heutzutage blicken die Japaner zu den amerikanischen Schafsköpfen auf, versuchen es ihnen gleichzutun und laufen Hand in Hand auf der Straße.

Wenn sich Gruppen bilden, wird die Wahrnehmung betäubt, und man vergisst, was gut und was schlecht ist. Es geht mir keineswegs darum, mich von der Welt zurückziehen oder der Realität davonzulaufen. Ich weigere mich lediglich, mich narkotisieren zu lassen. Seit alters heißt es darum, du solltest nach deiner Berufung in Wäldern und Bergen suchen. Diese „Wälder und Berge“ stehen hier für die ungefärbte, transparente Welt.

Lass dich von der Aufregung um dich herum nicht selbst aufregen. Lass dich nicht von deiner Umgebung besoffen machen: Das ist Weisheit. Lass dich von keiner Philosophie und keiner Genossenschaft vereinnahmen. Gib dich nicht mit Deppen wie den Menschen ab!

Der Mensch macht ein kluges Gesicht und nennt sich Herr auf Erden. Dabei weiß er nicht einmal, was er mit dem eigenen Körper anfangen soll: Er schaut beim Sport nur zu und redet sich damit heraus, dass alle anderen das auch tun.

Du lebst im Gruppenwahn. Und verwechselst dabei den Wahn mit echter Erfahrung. Du musst dir selbst durchsichtig werden und aus deinem Wahn aufwachen. Zazen bedeutet, dich von der Gruppe zu verabschieden und auf eigenen Beinen zu stehen.

Ein Mensch für sich allein ist noch erträglich, doch wenn die Menschen Cliquen bilden, fangen sie an zu verblöden. Sie verfallen dem Gruppenwahn. Sie sind so sehr darauf aus, in Gruppen zu verblöden, dass sie dafür extra Vereine gründen und Mitgliedsbeiträge bezahlen. Zazen bedeutet, sich vom Gruppenwahn zu verabschieden.

Das Beste ist, einfach in Zazen zu sitzen. Was auch immer du sonst tust, meist wirst du nur vom Teufel dazu verführt.

Massenpsychologie ist eine seltsame Sache: Wenn du keine Ahnung hast, worum es geht, solltest du einfach ruhig sein. Stattdessen hängst du dich an die anderen, die genauso wenig Ahnung haben. Die Welt ist ein Treiben von Menschen, die sich selbst aus den Augen verloren haben.

Du tust alles, wofür die Leute dich loben. Du läufst denen nach, die gelobt werden. Nie bist du du selbst. Die Leute loben mich? Wie langweilig!

„Finsternis“ bedeutet, keine Ahnung von nichts zu haben. Wenn du wenigstens verstündest, dass du nichts verstehst – doch selbst das willst du nicht verstehen! Auch darin folgst du dem Gruppenwahn ... Wer könnte dir da noch helfen?

Alles redet vom gesunden Menschenverstand, doch was ist damit gemeint? Heißt das nicht bloß, so zu denken wie alle anderen auch? So zu denken, wie es der Gruppenwahn diktiert?

Alles, was Rang und Namen hat. Mit anderen Worten: Das, wofür sich die Normalbürger begeistern.

Die Leute gründen Vereine und zählen die Mitglieder. Jeder Verein wird vom Gruppenwahn beherrscht. Die Geldgier ist eine Form von Gruppenwahn, das Bedürfnis, sich wichtig zu tun, eine andere. Am deutlichsten erscheint der Gruppenwahn dort, wo sich Fraktionen bilden. Zazen bedeutet, aus dem Wahn auszubrechen und zu sich selbst und nur sich selbst zu werden.

Wahlen sind ein komisches Ding. Du brauchst dir nur die Gesichter anzugucken von denen, die da zur Wahl marschieren: Keiner davon versteht wirklich etwas von Politik oder den Politikern. Und trotzdem marschiert alles zur Wahl. Es ist schon seltsam ...

Ein „Mönch im Laiengewand“ bezeichnet einen Menschen der Welt, der mit dem Gruppenwahn Schluss gemacht hat.

Buddhismus ist eine Religion, die den Blutandrang zum Kopf senkt. Die Menschen der Welt sind aus dem Häuschen: Gleich, ob sie sich mit Leckereien den Ranzen voll schlagen oder einen leeren Bauch haben, ob sie eine Frau oder einen Mann sehen – sie sind außer sich, und das Blut schießt zu Kopf. Der Buddhismus senkt diesen Blutandrang. Buddhismus ist, wenn das Blut auf natürliche Weise zirkuliert.

9 Dôgen lebte von 1200 bis 1253. Bereits als 13-Jähriger zum Mönch ordiniert, reiste er im Jahr 1223 nach China in der Hoffnung, dass seine Zweifel an der buddhistischen Praxis dort aufgelöst würden. 1227 erhielt er von seinem chinesischen Meister Tendô Nyôjo die offizielle Bestätigung der Übertragung des Dharma und kehrte nach Japan zurück, wo er die Schule des Sôtô-Zen gründete.

3. An dich, der völlig fertig ist vom Ehekrach

Während des Ehekrachs merkst du nicht, dass sich der Streit um nichts dreht. Doch in Zazen erkennst du deine Illusion. Es ist wichtig, das Leben aus Zazen heraus zu betrachten.

Die Gleichberechtigung von Mann und Frau ist nur während des Ehekrachs ein Thema. Wenn sich Mann und Frau gut vertragen, ist keine Rede von Gleichberechtigung.

Was auch immer du denkst: Die Gedanken, die dir jetzt durch den Kopf gehen, werden da nicht jahrtausendelang bleiben.

Die Frage ist nicht, wer von euch Recht hat. Ihr seht die Dinge anders, das ist alles.

„Wer zimmert dein Folterrad so fleißig? Du setzt dich rein, du drehst es eifrig!“

Warum guckt nur keiner über den eigenen Tellerrand?

Das Handeln ein und desselben Menschen kann Menschenleben retten und gleichzeitig Zorn erregen. Es ist dieselbe Sonne, die am Silvesterabend unter und am Neujahrsmorgen aufgeht.

„Wenn du die Augen öffnest und den Dharmaleib erkennst, dann siehst du, dass kein Ding wirklich existiert“ (Shôdôka). Auch ein Nichtsnutz erkennt die All-Einheit, wenn er zu seiner wahren Natur erwacht.