Andachten zum Psalter - Carl Gerok - E-Book

Andachten zum Psalter E-Book

Carl Gerok

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Beschreibung

Das Buch der Psalmen, auch bekannt als der Psalter, ist eine Anthologie hebräischer religiöser Texte und für viele Christen eines der wichtigsten Bücher der Bibel. In der jüdischen und westlich-christlichen Tradition gibt es 150 Psalmen, in den östlichen christlichen Kirchen noch einige mehr. Es gibt verschiedene Arten von Psalmen, darunter Hymnen oder Loblieder, gemeinschaftliche und individuelle Klagen, königliche Psalmen, Verwünschungen und individuelle Danksagungen. Das Buch enthält auch Psalmen der gemeinschaftlichen Danksagung, der Weisheit, der Pilgerfahrt und andere Kategorien. Viele der Psalmen enthalten Namensnennungen von König David und anderen biblischen Figuren, darunter Asaph, die Söhne Korahs, Moses und Salomo. In diesem Werk mit über 500 Seiten beleuchtet der deutsche Theologe Carl Gerok sehr ausführlich die ersten 75 Psalmen.

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Seitenzahl: 971

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Andachten zum Psalter

 

 

 

Psalmen 1 – 75

 

 

 

CARL GEROK

 

 

 

 

 

 

 

Andachten zum Psalter, C. Gerok

Jazzybee Verlag Jürgen Beck

86450 Altenmünster, Loschberg 9

Deutschland

 

ISBN: 9783988682383

 

Textquelle: www.glaubensstimme.de

 

www.jazzybee-verlag.de

[email protected]

 

 

INHALT:

Zur Einführung in die Psalmen. 1

Psalm 1. 4

Psalm 2. 10

Psalm 3. 16

Psalm 4. 22

Psalm 5. 29

Psalm 6. 36

Psalm 7. 42

Psalm 8. 49

Psalm 9. 56

Psalm 10. 63

Psalm 11. 69

Psalm 12. 75

Psalm 13. 81

Psalm 14. 88

Psalm 15. 94

Psalm 16. 99

Psalm 17. 106

Psalm 18. 113

Psalm 19. 120

Psalm 20. 126

Psalm 21. 131

Psalm 22. 137

Psalm 23. 144

Psalm 24. 151

Psalm 25. 158

Psalm 26. 165

Psalm 27. 172

Psalm 28. 179

Psalm 29. 186

Psalm 30. 192

Psalm 31. 199

Psalm 32. 206

Psalm 33. 213

Psalm 34. 220

Psalm 35. 227

Psalm 36. 234

Psalm 37. 240

Psalm 38. 248

Psalm 39. 255

Psalm 40. 262

Psalm 41. 269

Psalm 42. 276

Psalm 43. 283

Psalm 44. 290

Psalm 45. 297

Psalm 46. 305

Psalm 47. 312

Psalm 48. 319

Psalm 49. 327

Psalm 50. 334

Psalm 51. 341

Psalm 52. 348

Psalm 53 (vgl. Ps. 14)354

Psalm 54. 360

Psalm 55. 366

Psalm 56. 373

Psalm 57. 380

Psalm 58. 386

Psalm 59. 392

Psalm 60. 399

Psalm 61. 406

Psalm 62. 412

Psalm 63. 419

Psalm 64. 426

Psalm 65. 432

Psalm 66. 439

Psalm 67. 445

Psalm 68. 451

Psalm 69. 460

Psalm 70. 468

Psalm 71. 474

Psalm 72. 482

Psalm 73. 489

Psalm 74. 497

Psalm 75. 505

Zur Einführung in die Psalmen

Mit Freuden, meine lieben Freunde, bin ich auf den Vorschlag meiner lieben Amtsbrüder eingegangen, zunächst für dieses Jahr wöchentliche Betstunden an dieser unserer Kirche zu übernehmen. Denn ich hoffe in diesen lieblichen einfachen Gottesdiensten für euch und mich selbst Segen und Gewinn.

Fürs erste eine geistliche Erfrischung mitten ins Tagewerk der Woche hinein. Dass man auch zwischen zwei Sonntagen eine geistliche Zwischenstation, einen Ruheplatz unter Friedensbäumen, einen Labetrunk aus Gottes Wort wohl brauchen kann, das habt ihr gefühlt und erfahren, deswegen seid ihr hier.

Fürs zweite eine Befestigung unserer geistlichen Gemeinschaft. Ist's auch ein kleines Gemeindlein nur, das in diesen Stunden sich versammeln kann, so hoffe ich doch, wir werden auch hier der Verheißung des Herrn uns getrösten dürfen: Wo zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen, da bin ich mitten unter ihnen. Ja ich hoffe, wir können einander hier noch näher kommen, als von der Kanzel aus; manches Herzensbedürfnis, manches Lebensverhältnis, das in versammelter Gemeinde, in der feierlichen Predigt nicht so kann berücksichtigt werden, kann hier im kleineren Kreis, im vertrauten Gespräch zur Sprache kommen, wie ja auch unser Herr im vertrauten Kreise seiner Zwölfe manches Wort, manches Gleichnis, das er in öffentlicher Predigt gesprochen, deutlicher auszulegen und weiter zu entwickeln liebte.

Und so denke ich, kommen wir unter dem Segen des Herrn in diesen Stunden nicht nur einander näher, sondern ein dritter Segen ist auch, dass wir miteinander tiefer hineinkommen in Gottes Wort und in die christliche Wahrheit. In der Sonntagspredigt ist es immer nur ein kleiner Abschnitt der heiligen Schrift, sind es ein paar Verse vielleicht, die betrachtet und ausgelegt werden, hier aber können wir ein ganzes biblisches Buch im Zusammenhang betrachten und uns so recht in dasselbe hineinlesen und hineinleben. Während wir in der Predigt gleichsam nur wie durch ein Fenster einen Blick hinaustun in die grünen Auen und lieblichen Heilspfade der heiligen Schrift, wandeln wir hier in diesen Auen selbst umher und verfolgen diese Pfade von Anfang bis zu Ende; während uns in den Sonntagsevangelien und Episteln nur ein paar Äpfel, goldene Äpfel freilich in silbernen Schalen vorgesetzt werden, dürfen wir hier die Äpfel selber am Baume des göttlichen Wortes suchen und brechen. Und so wolle denn der Herr auch zu diesen Betrachtungen seinen Segen geben und es von Stunde zu Stunde mich wie euch erfahren lassen: Alle Schrift von Gott eingegeben ist nütze zur Lehre, zur Strafe, zur Besserung, zur Züchtigung in der Gerechtigkeit.

Indem ich mich nun fragte: Welches biblische Buch wollen wir zu Grunde legen? tat mir freilich die Wahl wehe, denn vom ersten bis zum letzten Buch, von dem „Im Anfang schuf Gott“ im ersten Buch Mose bis zu dem Sehnsuchtsseufzer: „Ja komm Herr Jesu“ in der Offenbarung wieviel Kostbares! lauter Goldgruben, in die man sich hineinarbeiten und die man ausbeuten möchte! Und doch habe ich mich bald entschlossen: Wir wollen in Gottes Namen den Psalter Davids nehmen.

Fürs erste, weil das von alter Zeit her in unserem Land Württemberg der Text ist für die Betstunden, schon so manches Jahr und Jahrhundert hindurch gebraucht in bösen und guten Tagen.

Fürs zweite, weil mir's passend schien, dass wir neben dem Neuen Testament, das am Sonntag gepredigt wird, das freilich immer das Kleinod und die Perle bleibt, doch auch im Alten nicht sollten fremd werden, das so eine schöne Vorhalle des Neuen ist, die Perlmutter gleichsam, in deren lieblichen Schalen die Perle des Neuen Testaments gewachsen ist.

Fürs dritte, weil ich im Alten Testament kein schöneres, lieblicheres, köstlicheres Buch weiß, als eben den Psalter Davids, diese Perlenschnur frommer Gesänge, dieses ehrwürdige Gesangbuch, diesen reichen Liederschatz des alten Volks Gottes.

Fürs vierte, weil ich gerade für unsere Betstunden kein passenderes Buch weiß. Betstunden sollen es doch sein, nicht bloß Bibelstunden, nicht bloß Betrachtungen, sondern zugleich Erhebungen des Herzens zu Gott im Gebet; was könnten wir dazu für eine schönere Anleitung erhalten, als diese uralten Gebete frommer Beter. Da nimmt uns der große Beter David wie ein Königsadler auf seine mächtigen Flügel und hebt uns mit mächtigem Flug himmelan; da begleitet dieser edle Harfenschläger Gottes unsere schwachen Gebete mit den mächtigen Akkorden seiner Harfe. Zugleich sind's Wochengottesdienste, die wir hier halten, mitten aus den Sorgen und Geschäften der Woche, aus den Freuden und Leiden des täglichen Lebens kommen wir hierher und gehen wieder in die Sorgen und Freuden des Lebens hinaus; auch dazu passt das Psalmbuch ganz besonders, denn das sind auch Stimmen mitten aus der Unruhe des Tages, aus den Sorgen und Freuden des Menschenlebens heraus; für jedes Lebensverhältnis, für jede Lebenslage und Lebensstunde gibt es da einen passenden Psalm, ein treffendes Wort; man könnte den Psalter das rechte Not- und Hilfsbüchlein für alle Lebensverhältnisse nennen, ein Losungsbüchlein für alle Tage des Jahres, wie Luther so schön sagt: Wo findet man feinere Worte von Freuden, denn die Lobpsalmen und Dankpsalmen haben? Da siehst du allen Heiligen ins Herze, wie in schöne lustige Gärten, ja in den Himmel, wie feine, herzige, lustige Blumen darin aufgehen von allerlei schönen, fröhlichen Gedanken gegen Gott und seine Wohltat. Wiederum wo findest du tiefere, kläglichere, jämmerlichere Worte von Traurigkeit, denn die Klagpsalmen haben? Da siehst du abermals allen Heiligen ins Herz, wie in den Tod, ja in die Hölle. Wie finster und dunkel ist's da von allerlei betrübtem Anblick des Zornes Gottes! Also auch wo sie von Furcht und Hoffnung reden, brauchen sie solcher Worte, dass dir kein Maler also könnte die Furcht und Hoffnung abmalen und kein Cicero oder Redekundiger also fürbilden.

Nun also in Gottes Namen das Psalmbuch aufgeschlagen, und der heilige Geist, der diese köstlichen Lieder den Frommen vor zwei und dreitausend Jahren eingegeben, wolle sie uns auslegen und wieder frisch und neu machen, als wären sie heute zum erstenmal gesungen.

 

Psalm 1

(1) Wohl dem, der nicht wandelt im Rat der Gottlosen, noch tritt auf den Weg der Sünder, noch sitzt, da die Spötter sitzen: (2) Sondern hat Lust zum Gesetz des Herrn, und redet von seinem Gesetz Tag und Nacht. (3) Der ist wie ein Baum, gepflanzt an den Wasserbächen, der seine Frucht bringt zu seiner Zeit, und seine Blätter verwelken nicht, und was er macht, das gerät wohl. (4) Aber so sind die Gottlosen nicht, sondern wie Spreu, die der Wind verstreut. (5) Darum bleiben die Gottlosen nicht im Gericht, noch die Sünder in der Gemeine der Gerechten. (6) Denn der Herr kennt den Weg der Gerechten, aber der Gottlosen Weg vergeht.

Luther sagt in seiner Vorrede zum Psalter: „Dass er wohl möchte eine kleine Biblia heißen, darin alles aufs schönste und kürzeste, so in der ganzen Biblia steht, gefasst ist und zu einem kleinen Handbuch gemacht und bereitet: dass mich dünkt, der Heilige Geist habe selbst wollen die Mühe auf sich nehmen und eine kurze Bibel und Exempelbuch von der ganzen Christenheit oder allen Heiligen zusammenbringen, auf dass wer die ganze Biblia nicht lesen könnte, hätte hierin doch fast die ganze Bibel verfasst in ein kleines Büchlein.“

Was hier vom ganzen Psalmbuch gesagt ist, das kann man auch von diesem ersten Psalm sagen: Er ist eine Bibel im Kleinen. Denn wenn die ganze Bibel nichts anderes sein will, als ein Führer zum ewigen Leben, ein Wegweiser, der mit dem einen Arm warnend abwärts weist und uns sagt: Das ist die Straße, die zur Verdammnis abführt, und der mit dem anderen Arm mahnend aufwärts deutet: Das ist der schmale Pfad, der zum ewigen Leben führt, nun so ist ja dieser erste Psalm nichts anderes, als eine Anweisung zur Seligkeit, ein solcher Wegweiser, welcher uns warnt vor dem Wege der Gottlosen, der ins Verderben führt, und uns hinweist auf den Pfad der Frömmigkeit, der heute noch wie zu Davids und Abrahams Tagen zum Heil führt in Zeit und Ewigkeit.

„Seligkeit der Frommen, Unseligkeit der Gottlosen,“ lautet die Überschrift dieses Psalms in unserer deutschen Bibel. Es ist das ABC der Gottseligkeit, es sind die Anfangsgründe der Pflichtenlehre, welche dieser liebliche Lehrpsalm uns vorhält, Lehren, die wir schon unsern Kindern einprägen, und an die wir doch immer wieder gemahnt werden dürfen unter den Versuchungen der Welt, in den innern und äußeren Kämpfen des Christenlebens. Möchten wir auch in dieser Andachtsstunde aufs Neue einen Eindruck bekommen von der Seligkeit der Frommen und der Unseligkeit der Gottlosen.

 

1.

Von der Seligkeit der Frommen handelt die erste Hälfte des Psalms Vers 1-3.

Vers 1. Wohl dem, der nicht wandelt im Rat der Gottlosen, noch tritt auf den Weg der Sünder, noch sitzt, da die Spötter sitzen. Hier ist der Fromme geschildert im Unterschied vom Gottlosen, von dem er sich ferne hält in Gedanken, Werken und Worten, wie die Taube sich fernhält von den Raben, wie die Mimose sich zusammenzieht vor der rauen Berührung. Er wandelt nicht im Rate der Gottlosen, d. h. schon vor bösen Gedanken, Absichten und Begierden hegt er eine kindliche Scheu, noch tritt er auf den Weg der Sünder, noch weniger als auf sündliche Gedanken lässt er sich auf böse Werke ein, lässt er sich auf Sündenpfaden und Lasterwegen betreten. Noch sitzt er, da die Spötter sitzen, er nimmt nicht teil an ihrer Unterhaltung, findet keinen Gefallen an ihren losen Reden, fühlt sich nicht wohl in ihrer Gesellschaft. Willst du den Weg des Lebens gehen, Kind Gottes, so halte dich ferne von den Gottlosen, mach dich weder ihrer Gedankensünden noch ihrer Tatsünden noch ihrer Wortsünden teilhaftig. Halte dein Herz rein vom Rate der Gottlosen, denn aus dem Herzen gehen hervor arge Gedanken; was von bösen Gedanken und unlauteren Gelüsten in deiner Brust sich regt, das bekämpfe durch Gebet, das besiege durch den Geist Gottes, wie es in einem Liede heißt:

Hilf, dass ich züchtig, klug und treu

In Worten, Sinn und Werken sei,

Und alles was zur Sünde rät,

In mir besiege durch Gebet.

Halte deinen Fuß ferne von dem Wege der Sünder, meide die Schleichwege der Ungerechtigkeit, die schlüpfrigen Pfade der Sündenlust, die breite Straße des Weltsinns, und vergiss es nie:

Des Lasters Pfad ist anfangs zwar

Ein grüner Weg durch Auen;

Doch bringt sein Fortgang dir Gefahr,

Sein Ende Nacht und Grauen.

und wo die Versuchung lockt zu böser Tat, da sprich mit Josef: Wie sollte ich ein so groß übel tun und wider Gott sündigen?

Halte deinen Mund rein vom Gifte der Spötter; wo man spottet über das Heilige, wo man lacht über Gottes Wort, wo man lästert oder schandbare Reden führt, da tue nicht mit, da stimme nicht bei, da lache nicht drüber, da höre nicht einmal zu; meide die Gesellschaften, wo das Heilige bewitzelt, die Tugend bespöttelt, über Sünde gescherzt wird, sei's am feinen Teetisch oder auf der schmutzigen Bierbank oder im lärmenden Eisenbahnwagen, und wo du einmal wider Willen in einer solchen Spötterrotte sitzen musst, da zeig's durch dein unwilliges Schweigen, da zeig's auch durch ein mutiges Zeugnis, du seiest nicht ihres Geistes Kind.

Vielleicht du stopfst durch ein kurzes ernstes Wort so einem großmäuligen Spötter den Mund, oder du wirfst dem Spötter einen Stachel ins Gewissen, der ihm nachher noch zu schaffen macht, oder du befestigst wenigstens einen andern, der noch schwankt, im Guten, oder du hast doch deine Schuldigkeit getan und dein Gewissen gewahrt. Wohl dem, der nicht wandelt im Rate der Gottlosen, noch tritt auf den Weg der Sünder, noch sitzt, da die Spötter sitzen.

Vers 2. Sondern hat Lust zum Gesetz des Herrn, und redet von seinem Gesetz Tag und Nacht. Siehe da den Frommen, wie er ist, mit dem Herzen, mit dem Munde, und dürfen wir hinzusehen, mit der Tat.

Er hat Lust am Gesetze des Herrn, er hat Freude an Gottes Wort, er geht in Gedanken gern um mit Gott und göttlichen Dingen. Daran kennt man ein Kind Gottes. Danach kannst du dein eigen Herz prüfen. Wo keine Lust ist an Gott und Gottes Wort, wo man Langeweile dabei fühlt, Widerwillen dagegen spürt, Angst davor hat, da ist kein Leben aus Gott. Wer aus Gott ist, der hat Lust an Gottes Gesetz. Seine Seele sehnt sich nach dem Umgang mit Gott. Sein Geist fühlt sich erhoben, sein Herz fühlt sich erquickt, sein innerer Mensch fühlt sich wohl in Gottes Haus, in Gottes Wort, in Gottes heiliger Nähe und über alle weltlichen Vergnügungen geht ihm das Vergnügen, von dem David sagt: Mein Leib und Seel freuen sich in dem lebendigen Gott. Diese Lust an Gott und seinem Gesetz, ich denke, meine Lieben, wir haben sie alle schon geschmeckt hier im Gotteshaus und daheim im Kämmerlein; ich denke, sie ist's, die uns auch heut am kalten Winterabend hier zusammengeführt hat im Gotteshaus. Denn es bleibt doch dabei: Das ist ein köstlich Ding, dir danken und lobsingen deinem Namen du Höchster, des Morgens deine Gnade und des Nachts deine Wahrheit verkündigen. Es bleibt dabei, was wir heut im Evangelium aus dem Munde des Herrn vernommen haben und was wir noch besser wissen als David: Wer des Wassers trinken wird, das Jesus den Seinen gibt am Lebensbrunnen seines Evangeliums, den wird ewiglich nicht mehr dürsten.

Wer aber Gott im Herzen liebt, der bekennt ihn auch mit dem Mund und redet von seinem Gesetz Tag und Nacht, redet gern von Gott und mit Gott. Wes das Herz voll ist, des geht der Mund über. Ich glaube, darum rede ich. Vor der Welt seinen Glauben bekennen, im Kreis der Freunde von Gottes Wort und des Christen Herzenserfahrungen reden; im Zwiegespräch des Gebets sein Herz vor Gott ausschütten, des Morgens zu ihm beten und des Abends sich ihm befehlen, sein Leid ihm klagen und in der Freude ihm danken, das ist eines Gotteskindes heilige Pflicht, herzliche Lust und köstliches Recht.

Dass dies Reden von Gottes Gesetz bei Tag und Nacht nicht so gemeint ist, als müsste ich Gott und sein Wort unaufhörlich im Munde führen, dass ein bloß frommes Geschwätz, bei dem man seine Arbeit versäumt und am Ende in leere Heuchelei sich hineinredet, nicht Sache einer lebendigen Frömmigkeit, eines gesunden Christentums ist, das wissen wir wohl als Jünger dessen, der da spricht: Es werden nicht alle, die zu mir Herr Herr sagen, ins Himmelreich kommen, sondern die den Willen tun meines Vaters im Himmel. Dass der wahrhaft Fromme Gottes Gesetz nicht nur im Herzen trägt und im Munde führt, sondern auch im Leben übt, das deutet auch unser Psalm im Folgenden an. Die beiden ersten Verse haben das Wesen der Frömmigkeit gezeichnet, was der Fromme nicht ist und was er ist, der folgende schildert den Segen der Frömmigkeit, den sie dem Frommen selber und den sie andern bringt.

Vers 3. Der ist wie ein Baum gepflanzt an den Wasserbächen, der seine Frucht bringt zu seiner Zeit und seine Blätter verwelken nicht und was er tut, das gerät wohl.

Ein liebliches Bild, zumal in dieser kalten Winterzeit, wo nur fahle Bäume ihre entlaubten Äste in die graue Luft hinausstrecken. Und ein noch lieblicheres Bild ist in einer Welt voll Ungerechtigkeit und geistlichen Todes ein lebendiger Christ. Ein Gottesmensch gleicht einem gesunden Baum, der fröhlich grünt und lustig wächst, weil er am Wasserbächlein steht, das mit seiner frischen Flut seine Wurzeln tränkt, so dass er beständig Saft und Kraft aus dem feuchten Boden zieht. Kennst du, o Christ, die Wasserbäche, daran du gepflanzt sein musst, damit deine Äste grünen, deine Früchte geraten? Sie fließen aus jenem Brunnen, von dem Jesus im heutigen Evangelium der Samariterin sagt. Das lebendige Wort Gottes, das seligmachende Evangelium Jesu Christi ist das silberhelle Wasserbächlein, in dem du deine Wurzeln netzen, aus dem du deine Lebenskraft ziehen musst. Wie die Säfte eines guten Bodens in die Wurzeln des Baumes und von den Wurzeln ins Mark und vom Mark in die Äste und Zweige, in die Blätter und Blüten und Früchte dringen, so werden die Lebenskräfte des Evangeliums, darin du mit deinem Glauben wurzelst, dein Fühlen und Denken, dein Wollen und Vollbringen, dein Tun und Lassen durchdringen und befruchten. Mag dann auch die Hitze der Anfechtung über den Baum kommen, seine Blätter welken nicht, denn er hat Wasser; mag der Sturm der Versuchung nahen, der Baum bricht nicht, denn er hat Wurzeln in gutem Boden. Das ist die innere Gesundheit, die unverwüstliche Lebenskraft eines Christen, der mit dem Apostel spricht: Ist Gott für uns, wer mag wider uns sein? und ich vermag alles, durch den, der mich mächtig macht, Christus.

Und wie er in sich selber gesund und glücklich ist, so ist er auch andern zum Segen. „Er bringt seine Frucht zu seiner Zeit.“ Ein rechter Christ ist ein Segen für seine Umgebung. Er gleicht dem gastlichen Baum, unter dessen schattenden Zweigen sichs lieblich ruht in der Sonnenhitze, unter dessen schirmendes Blätterdach der Wanderer sich flüchtet im Regensturm, an dessen lieblichen Früchten sich Alt und Jung labt von Jahr zu Jahr. Seine löblichen Eigenschaften und christlichen Tugenden, seine Werke des Glaubens und der Liebe in Gott getan, das sind die Früchte, die er bringt zu seiner Zeit, von Jahr zu Jahr, ihm zum Schmuck, Gott zur Ehre, den Menschen zum Segen.

Und was er macht, das gerät wohl: Gottes Gnade ist der Sonnenschein über seinem Haupt, Gottes Segen darf er spüren beim äußerlichen Tagewerk wie inwendig bei der Arbeit an seiner Seele und auch im Trübsalswetter darf er‘s immer wieder erfahren: Seid fröhlich ihr Gerechten, der Herr hilft seinen Knechten.

Ist das nicht ein liebliches Los? Wer möchte nicht auch sein ein solcher Baum, gepflanzt an Wasserbächen? Wer möchte nicht bitten:

Mach in mir deinem Geiste Raum,

Dass ich dir werd' ein guter Baum,

Den deine Kräfte treiben.

Verleihe, dass zu deinem Ruhm,

Ich deines Gartens schöne Blum

Und Pflanze möge bleiben.

 

2.

Wie traurig dagegen das Los des Gottlosen, das uns geschildert wird in des Psalmes zweiter Hälfte.

Vers 4. Aber so sind die Gottlosen nicht, sondern wie Spreu, die der Wind verstreut. Mögen sie auch eine Zeitlang lustig sein und in Ehren stehen: Wenn der Wind der Trübsal weht, wenn der Sturm der göttlichen Gerichte kommt, dann fliegen sie davon wie Spreu, denn sie sind innerlich hohl und leer und nichtig. Das Ende eines Pharao, eines Saul, eines Absalom, eines Ahab, eines Belsazar, eines Herodes, eines reichen Mannes im Evangelium, das sind solche Freskobilder der Heiligen Schrift, solche warnende Exempel göttlicher Strafgerechtigkeit, an denen ein Kind es lernen und ein Blinder es sehen kann: Der Gottlose ist wie Spreu, die der Wind verstreut.

Vers 5. Darum bleiben die Gottlosen nicht im Gericht, noch die Sünder in der Gemeine der Gerechten. Wenn auch hienieden die Gerichte Gottes oft verziehen, drüben wartet ein letztes Gericht, wo die Spreu vom Weizen wird geschieden werden; mag auch hienieden die Gemeinde noch gemischt sein, dass der Fromme schwer leidet unter seiner gottlosen Umgebung und der Frevler sich brüstet als gehörte er zu den Gesegneten des Herrn: dort bleibt der Sünder nicht in der Gemeine der Gerechten, wenn der Richterspruch ergeht an die Einen: Kommt her, ihr Gesegneten des Herrn, und an die andern: Weicht von mir, ihr Übeltäter, ich habe euch nie erkannt.

Vers 6. Denn der Herr kennt den Weg des Gerechten, aber der Gottlosen Weg vergeht. Ein Gott im Himmel, ein heiliger, dem gottlos Wesen nicht gefällt, ein allwissender, der die Seinen kennt, ein gerechter, der da recht richtet, er, meine Lieben, bleibt der Frommen Zuversicht in der Finsternis dieser Welt. Vor seinen Augen wollen auch wir wandeln, in seinen Geboten wollen auch wir bleiben. In seinem Hause sind wir hier ein Stündlein beisammen gewesen; in seinen Wegen wollen wir auch draußen gehen unser Leben lang, in seinem oberen Heiligtum wolle er uns einst versammeln in Ewigkeit.

O wie selig ist es, dir

Kindlich zu vertrauen!

Unerschüttert können wir

Auf dich Felsen bauen.

Herr! wir glauben in der Zeit,

Bis die selge Ewigkeit

Uns erhebt zum Schauen.

Amen.

 

Psalm 2

(1) Warum toben die Heiden, und die Leute reden so vergeblich? (2) Die Könige im Lande lehnen sich auf, und die Herren ratschlagen miteinander wider den Herrn und seinen Gesalbten: (3) Lasst uns zerreißen ihre Bande, und von uns werfen ihre Seile. (4) Aber der im Himmel wohnt, lacht ihrer, und der Herr spottet ihrer. (5) Er wird einst mit ihnen reden in seinem Zorn, und mit seinem Grimm wird er sie schrecken. (6) Aber ich habe meinen König eingesetzt, auf meinem heiligen Berg Zion. (7) Ich will von einer solchen Weise predigen, dass der Herr zu mir gesagt hat: Du bist mein Sohn, heute habe ich dich gezeugt; (8) Heische von mir, so will ich dir die Heiden zum Erbe geben, und der Welt Ende zum Eigentum. (9) Du sollst sie mit einem eisernen Zepter zerschlagen, wie Töpfe sollst du sie zerschmeißen. (10) So lasst euch nun weisen, ihr Könige, und lasst euch züchtigen, ihr Richter auf Erden. (11) Dient dem Herrn mit Furcht, und freut euch mit Zittern. (12) Küsst den Sohn, dass er nicht zürne, und ihr umkommt auf dem Wege; denn sein Zorn wird bald anbrennen. Aber wohl allen, die auf ihn trauen.

Aus einem andern höheren Ton als das vorige Mal klingt diesmal der Psalter. Ein nüchterner Lehrpsalm war der 1. Psalm, der uns kürzlich beschäftigte. Diesmal ists ein prophetischer Psalm, voll Majestät, in welchem der Sänger einen Blick tut ins zukünftige Messiasreich. Das Menschenleben wars, das uns neulich beleuchtet wurde durchs Wort Gottes, diesmal ists der Gang der großen Reichsgeschichte Gottes, der uns vor Augen tritt in kurzen gewaltigen Zügen. Der Fromme wars, der uns damals vorgestellt wurde, grünend wie ein Baum an Wasserbächen, diesmal ists der Herr der Frommen, der Herr der Ehren, den wir sitzen sehen zur Rechten der Majestät. Ja wir werden von der Erde in den Himmel versetzt und sehen den Allmächtigen in seiner Majestät, den ewigen Sohn Gottes in seiner Herrlichkeit hoch erhaben über alles Menschliche und Irdische. Sollten wir einen Spruch aus dem Neuen Testament als Überschrift über diesen Psalm sehen, so wäre es das Wort des Herrn vor seiner Himmelfahrt: Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden, oder der Ausspruch des Paulus über den erhöhten Heiland: Gott hat ihm gegeben einen Namen, der über alle Namen ist, dass in seinem Namen sich beugen sollen alle derer Knie, die im Himmel und auf Erden und unter der Erde sind.

Christus, in der Kraft Gottes - ein Sieger über alle seine Feinde; das ist kurz gesagt der Inhalt unseres Psalms. Und gar schön ist dieser Gedanke ausgeführt. In vier Abteilungen zerfällt unser Psalm wie eine schöne Symphonie; vier Partien oder Personen oder Chöre sind es, die nacheinander auftreten und sich hören lassen:

die tobenden Feinde,

der allmächtige Gott,

der herrliche Gottessohn,

der mahnende Psalmist selber.

 

1) Die tobenden Feinde

V. 1-3. Wie in die tobende Brandung des Meeres schauen wir hinein, sehen die Wogen gegen das Felsenufer sich anbäumen, hören das Rollen und Grollen der wütenden Gewässer, wenn es heißt: Warum toben die Heiden, und die Leute reden so vergeblich? Die Könige im Lande lehnen sich auf, und die Herren ratschlagen miteinander wider den Herrn und seinen Gesalbten: Lasst uns zerreißen ihre Bande und von uns werfen ihre Seile.

Wie oft ist diese Schilderung eingetroffen in der Geschichte des Reiches Gottes bis auf diesen Tag! Was Johannes im Eingang des Evangeliums sagt: die Finsternis hat das Licht nicht begriffen, das hat Christus und sein Reich erfahren tausendmal. Als er selber, das Licht der Welt, still und sanft wie ein Lamm mitten unter seinen tobenden Feinden stand, im Gerichtssaal des Hohepriesters Kaiphas, vor dem Throne des Königs Herodes, vor dem Richtstuhl des Heiden Pilatus, als sich alles gegen den heiligen König der Wahrheit verschwor, Juden und Heiden, Volk und Fürsten, Geistliche und Weltliche, da ward es erfüllt: Warum toben die Heiden?

Als seine Jünger um der Predigt des Evangeliums willen vor des Rates Antlitz standen, und Sadduzäer und Pharisäer, Volk und Obrigkeit einmütig gegen sie einstürmten, da ward es erfüllt: warum toben die Heiden? wie denn Petrus dort im 4. Kap. der Apostelgeschichte selber dieses Psalmwort auf sich und seine Mitapostel anwendet. Als in zwölf blutigen Christenverfolgungen durch drei Jahrhunderte hindurch die römischen Kaiser und das römische Volk gegen die Christen wüteten, oder als zur Zeit Luthers Kaiser und Papst gegen die reine Lehre des Evangeliums sich verschworen oder wenn heutzutage ein neues Heidentum mitten in der Christenheit sein Haupt erhebt, wenn eine gottesleugnerische Wissenschaft und ein vermessener, gottloser Zeitgeist, Gewissenlosigkeit von oben und Rohheit von unten zusammenwirken, um Bibel und Christentum auszurotten da heißts auch wieder: warum toben die Heiden?

Warum? den Grund verraten sie selber: Lasst uns zerreißen ihre Bande und von uns werfen ihre Seile. Der natürliche Mensch in seinem Stolz und Trotz will keine Bande der Zucht sich gefallen lassen, keine Seile des Gehorsams dulden.

Und was sind denn das für Bande und Seile, gegen die sich der natürliche Mensch empört? Sinds eiserne Ketten, die ihn zu Boden drücken? sinds verderbliche Seile, die ihn einschnüren? Ach nein: Mein Joch ist sanft, sagt der Herr, und meine Last ist leicht. Die ewigen Gebote Gottes, das Heilige Gesetz Christi es ist ein sanftes Joch und eine leichte Last! Nicht wahr, liebe Christen, das können wir bezeugen aus eigener Erfahrung: die Gebote Christi sind nicht schwer. Je treuer man sie befolgt, um so wohler ist einem dabei, und je länger man sich daran gewöhnt, um so mehr werden sie aus einer Last eine Lust, aus einer Bürde eine Würde, so dass man sie nicht mehr abwerfen möchte, wenn man auch dürfte. Was dagegen herauskommt, wo man die heiligen Bande der Gottesfurcht zerreißt und von sich wirst die sanften Zügel des göttlichen Gebots, das hat die Welt schon in manchen traurigen Revolutionsstürmen erfahren, unser Volk mit Schmerzen seit drei Jahren wieder erfahren, wo mit den Banden der Religion auch die Bande der Ordnung sich lösten, und doch ist die Welt noch so blind, und meint, nur dann könne sie glücklich, nur dann könne sie frei sein, wenn sie sich los mache von Christi sanftem Joch und der heiligen Zucht des göttlichen Gebotes. Aber es wird ihnen nicht gelingen. Die tobenden Feinde haben wir vernommen; wir hören

 

2) den allmächtigen Gott,

V. 4-6. Aber der im Himmel wohnt lacht ihrer. O majestätisches „aber“. Hier auf Erden wildes Toben aber droben selige Ruhe. Hier auf Erden ohnmächtige Wut - aber droben die stillfortwirkende Allmacht. Wie ein Fels im Meer steht - die Wogen mögen ihn anbrüllen und peitschen er bleibt unerschüttert; wie die Sonne am Himmel steht, die Wolken mögen sie verhüllen, die Nebel mögen sie verdüstern, die Stürme mögen darunter hinfahren sie strahlt ruhig fort auch über Wolken und Nebeln und Stürmen und gewinnt immer wieder die Oberhand; so thront der allmächtige Gott in heiliger Majestät, in seliger Ruhe über dem Toben der Sünde, über den Stürmen der Zeit; Er, bei dem Schaden, Spott und Schande lauter Lust und Himmel ist. Alles Ratschlagen menschlicher List, alles Toben menschlicher Gewalt es ist ihm nur ein Spott, seine ewigen Reichsgedanken gehen doch ihren Gang seit 1800 Jahren und werden ihn gehen bis in Ewigkeit.

Und wenns auch jetzt noch oft ist, als schweige er zu der Bosheit seiner Feinde, wenn er jetzt auch scheinbar ungestraft den Unglauben und die Sünde triumphieren lässt, so dass die Toren in ihren Herzen sprechen: Es ist kein Gott, ja dass oft selbst die Frommen seufzen: Herr, wie lang? es wird nicht immer so bleiben, er wird nicht immer bloß in seliger Ruhe in seinem Himmel thronen, er wird auch mit seinem starken Arm herabgreifen auf die Erde; er wird nicht immer bloß lachen über seine Feinde, er wird auch reden mit ihnen in seinem Zorn.

Seit den Tagen der Sündflut bis auf diese Zeit wechseln in Gottes Weltplan Zeiten der Langmut und Zeiten der rächenden Gerechtigkeit, Gnadenfristen und Gerichtstermine, Zeiten wo Gott schwieg, und wo er redete in seinem Zorn. Vor der Sündflut schwieg er zu der Sünde der Menschheit und Noah predigte Gerechtigkeit in seinem Namen, und eben mit der Sündflut redete er in seinem Zorn. Über der Sünde Israels schwieg er Jahrhunderte lang und umsonst warnten seine Propheten, und in der babylonischen Gefangenschaft redete er in seinem Zorn. Als man Jesum kreuzigte, schwieg er über seinem verstockten Volk, und in der Zerstörung Jerusalems redete er in seinem Zorn. Auch seit 1800 Jahren hat er zu seiner Christenheit manchmal geredet in seinem Zorn, wer weiß, ob nicht auch jetzt wieder, nachdem er lange geschwiegen, lange gewartet, lange gedroht, lange gelockt, ein ernstes Wort des Heiligen und Allmächtigen erschallen wird, zum Zeichen, dass er sein nicht spotten lässt? Eines wenigstens ist gewiss: seinen Sohn gibt er nicht Preis noch sein heiliges Reich.

Aber ich habe meinen König eingesetzt auf meinem heiligen Berg Zion. - Alle Völker der Erde, alle Könige der Welt mögen sich gegen ihn verschwören, aber Ich, sagt er, und dieser Ich ist Manns genug gegen alle Macht der Welt, denn dieser Ich ist der allmächtige Gott, von dem es im Liede heißt:

Und ob gleich alle Teufel

Sie wollten widerstehn,

So wird doch ohne Zweifel

Gott nicht zurücke gehn;

Was er ihm vorgenommen

Und was er haben will,

Das muss doch endlich kommen

Zu seinem Zweck und Ziel.

Ich habe meinen König eingesetzt. Der, zu dem er sprach: dieser ist mein lieber Sohn, den sollt ihr hören, der, den er gesalbt hat mit dem heiligen Geist ohne Maß, der, den er von den Toten auferweckt und gekrönt hat mit Herrlichkeit, der ist sein König, von ihm eingesetzt auf ewig auf seinem heiligen Berg Zion. David thronte auf dem Berg Zion in Jerusalem; da hatte er seine Königsburg sich erbaut, da stand sein königlicher Thron, von da schaute er in manch stiller Nacht hinab auf seine schlafende Stadt, hinauf zu den funkelnden Sternen und sang seine Psalmen zum Herrn. Aber noch höher steht der Berg Zion, auf den Gott seinen königlichen Sohn gesetzt hat: der steht hoch über allen Bergen und Tälern der Erde. Im Himmel ist sein Thron zur Rechten der Majestät in der Höhe, da hinan reicht keine Macht, keine List, keine Wut seiner Feinde; dort umgeben von den Lobgesängen der Himmel schaut er hinab auf sein Volk.

Jesus Christus herrscht als König,

Alles ist ihm untertänig,

Alles legt ihm Gott zu Fuß.

Jede Zunge soll bekennen,

Christus sei der Herr zu nennen,

Dem man Ehre geben muss.

Und nun vernehmet ihn selber,

 

3) den herrlichen Gottessohn

V. 7-9. Hier hört der Prophet den heiligen Gottessohn selber reden und zeugen von seiner göttlichen Abkunft und von seiner göttlichen Macht. Du bist mein Sohn, heute habe ich dich gezeugt, so, bezeugt der Sohn, hat der allmächtige Gott von Ewigkeit her zu ihm gesagt. Heute, wann war dieses heute? Nicht erst, als er gen Himmel fuhr und sich setzte zur Rechten des himmlischen Vaters, auch nicht erst, als er aus dem Grabe wieder auferstand in der Kraft Gottes, auch nicht erst, als bei der Verklärung auf Tabor, oder bei der Taufe im Jordan es hieß: dies ist mein lieber Sohn, an welchem ich Wohlgefallen habe, auch nicht erst, als er ein Kindlein in der Krippe lag, war dieses Heute, da Gott ihn gezeugt, nein, von Ewigkeit war er Gottes Sohn, so wie kein Mensch, kein Fürst, kein Frommer auf Erden, und kein Engel im Himmel es war oder ist oder sein wird: von Ewigkeit ist er Gottes Sohn und darum kann auch keine Zeit ihm seine Krone rauben. Und darum hat er auch von Ewigkeit her das Regentschaftsrecht und die Oberherrlichkeit über die ganze Erde.

Heische von mir, so will ich dir die Heiden zum Erbe geben und der Welt Ende zum Eigentum. So spricht der Vater zum Sohn.

Welche Verheißung! Der, welcher auf Erden nicht hatte, da er sein Haupt hinlege, der, welchen sein eigenes Volk ausstieß als einen Missetäter, der soll die Heiden zum Erbe bekommen und der Welt Enden zum Eigentum. Meine Lieben, wenn es jemand über dem Kindlein in der Krippe zu Bethlehem geweissagt hätte oder unter dem Kreuze des auf Golgatha Verblutenden: Vor diesem werden einst alle Knie sich beugen unter allen Völkern - wahrlich man hätte zu einem solchen Propheten gesagt: Du rasest!

Und wenn man weiter hinzugesetzt hätte: Er wird die Welt überwinden nicht mit dem Schwert, er wird die Erde beherrschen nicht mit dem Zepter, sondern allein mit der Gewalt seines Wortes wird er die Welt überwinden, man hätte zu einem solchen Propheten gesagt: Du bist von Sinnen!

Und nun am heutigen Tag, wo doch der Tag seiner herrlichen Offenbarung noch lang nicht gekommen, wo sein Reich immer noch ein Kreuzreich ist: wie viel, wie unglaublich viel ist doch von dieser Verheißung schon erfüllt! Wie weit ist sein Wort schon ausgegangen! Wie weit ist sein Reich schon verbreitet! In mehr als dreihundert Sprachen der Erde wird sein Name angebetet; die wildesten Heidenvölker haben ihm ihre Knie gebeugt; kein Meer ist fast auf dem Erdball, das seine Glaubensherolde noch nicht durchschifft, kein Weltteil ist auf Erden, wo seine Friedensboten noch nicht Fuß gefasst hätten; weit über das, was man damals, als dieser Psalm gedichtet ward, die Enden der Welt hieß, weit über die damals bekannten Grenzen der Erde hat sich das Reich Christi schon verbreitet. Glaubet ihr, einen solchen Siegeslauf werden die Feinde seines Kreuzes aufhalten können? Nein, eher wird sein sanfter Friedensstab an ihnen zum eisernen Zepter, eher wird das sanftmütige Lamm zum zornmütigen Löwen. Lange hat er Geduld, aber endlich an seinen verstockten Verächtern erfüllt sich's doch noch, wie siebzig Jahre nach seiner Geburt an seinem verstockten Jerusalem: Du sollst sie mit einem eisernen Zepter zerschlagen, wie Töpfe sollst du sie zerschmeißen! So hört denn

 

4) die mahnende Stimme des Psalmisten:

So lasst euch nun weisen, ihr Könige, und lasst euch züchtigen, ihr Richter auf Erden. Dient dem Herrn mit Furcht und freut euch mit Zittern. Küsst den Sohn, dass er nicht zürne und ihr umkommt auf dem Wege; denn sein Zorn wird bald anbrennen. Aber wohl allen, die auf ihn trauen, V. 10-12.

Noch ist's Zeit, ihm sich zu unterwerfen und Heil zu finden unter seinen Flügeln. So lasst euch nun weisen ach ja, dass sie sich weisen ließen die Könige und die Völker, die Großen und die Kleinen auf Erden; dass so viel Weckstimmen und Warnungsrufe, die zumal in dieser unserer Zeit an die Menschheit ergehen, doch nicht verloren wären!

Wir wenigstens, Geliebte, wir wollen dem Herrn, unserem König, dem wir uns schon längst zum Eigentum ergeben, dienen mit heiliger Furcht; wir wollen seines süßen Heilandnamens uns freuen, aber dabei schaffen, dass wir selig werden mit Furcht und Zittern; wir wollen den Sohn küssen, wie Magdalena seine Füße küsste, und ihm huldigen mit Tränen des Danks und der Liebe, damit wir nicht erzittern dürfen, wenn nun sein großer Tag erscheint.

Aber wohl allen, die auf ihn trauen! O liebliches Schlusswort! Wie ein Regenbogen nach dem Gewitter, wie ein Abendrot nach dem Sturm, wie ein Flötenton nach dem Kriegsgetümmel, so folgt dieses friedliche Schlusswort auf den stürmischen Psalm. Wohl allen, die auf ihn trauen! Nicht wahr, Geliebte, das haben wir erfahren, schon manchmal selig erfahren in den Stürmen der Zeit, in den Nöten des Lebens: Wer ihm vertraut, hat wohl gebaut! Das werden wir erfahren, so wir an ihn uns halten. So wollen wir als Trostwort und Denkspruch für die nächsten acht Tage dies heute mit hinausnehmen in die Mühen und Sorgen unseres Lebens: Wohl allen, die auf ihn trauen!

 

Psalm 3

(1) Ein Psalm Davids, da er floh vor seinem Sohne Absalom. (2) Ach Herr, wie sind meiner Feinde so viel, und sehen sich so viele wider mich! (3) Viele sagen von meiner Seele: Sie hat keine Hilfe bei Gott, Sela. (4) Aber du, Herr, bist der Schild für mich, und der mich zu Ehren setzt und mein Haupt aufrichtet. (5) Ich rufe an mit meiner Stimme den Herrn, so erhört er mich von seinem heiligen Berge, Sela. (6) Ich liege und schlafe und erwache; denn der Herr hält mich. (7) Ich fürchte mich nicht vor viel hunderttausenden, die sich umher wider mich legen. (8) Auf, Herr, und hilf mir, mein Gott; denn du schlägst alle meine Feinde auf den Backen und zerschmetterst der Gottlosen Zähne. (9) Bei dem Herrn findet man Hilfe, und deinen Segen über dein Volk, Sela.

Ein rührender Psalm, rührend schon durch seine Überschrift: „Ein Psalm Davids, da er floh vor seinem Sohne Absalom.“ Also nicht ein freundlicher Lehrer wie im ersten Psalm, nicht ein begeisterter Prophet wie im zweiten Psalm, ein tiefgebeugter Vater ist es diesmal, dessen Stimme wir vernehmen.

Dieser tiefgebeugte Vater, es ist der hochbegnadigte, der reichgesegnete König David. Auch in seinem Lebenslauf steht es geschrieben von Anfang bis zu Ende: Wen Gott lieb hat, den züchtigt er. Nicht genug, dass er das Joch tragen musste in seiner Jugend und die schönsten Jahre seines Lebens unstet und flüchtig zubringen in Wüsten und Wäldern; mit Sauls Leben war seine Trübsal noch nicht zu Ende; wie der Morgen so war auch der Abend seines Lebens stürmisch und trüb und das Bitterste im Leidenskelch kam zuletzt: der Abfall seines eigenen vielgeliebten Sohnes Absalom. Das war ein bitterer Bodensatz im Leidenskelch; Sauls Spieß war einst an Davids Haupt vorübergesaust, aber Absaloms Undank, der traf ihn mitten ins Herz. Das Joch der äußerlichen Trübsal, das ihm in seiner Jugend Gott auferlegt, das hatte er mit starken Schultern rüstig getragen; aber das Hauskreuz, das ihm am Abend seines Lebens durch seine Liebsten, sein eigen Fleisch und Blut bereitet wurde, das beugte den müden Streiter fast zu Boden.

Wir finden es ja seit alten Tagen gar oft, dass gerade diese Art des Kreuzes, das Hauskreuz, der Elternkummer, der Familienjammer den auserwähltesten Knechten Gottes auch nicht erspart wird. Seit Jakob, von bösen Buben unbarmherzig belogen, um seinen Sohn Josef jammerte, seit David, flüchtig vor einem leichtfertigen Sohn, sein graues Haupt noch einmal musste in der Verbannung schlafen legen, seit der Heiland selber im Blick auf Judas auf sich anwenden musste das bittere Wort: Der mein Brot isst, der tritt mich mit Füßen wie mancher Knecht Gottes, der weithin in Segen wirkte, vielen ein Licht war, hat im eigenen Haus mit Herzeleid zu kämpfen gehabt! Wie mancher treue Vater, wie manche fromme Mutter, die alles getan, ihre Kinder aufzuziehen in der Furcht des Herrn, haben doch an einem Kind, das sie mit Liebe überhäuft, mit Treue erzogen, nichts als Kummer und Schande erlebt.

Nun, meine Lieben, wem unter uns Gott auch etwas von solchem Leid auferlegt hätte, von dem zweifach bittern Leid, das der Menschen Hass uns bereitet, von dem dreifach bittern Leid, das die Sünde unserer Liebsten, unserer Blutsverwandten uns bereitet, der richte sich auf an dem Beispiel jener alten Kreuzträger, der bete in seinem Hauskreuz, wie unser David betet in unserem dritten Psalm.

Wir wollen uns zuvor hineinversetzen in die Lage des unglücklichen Vaters, um dann seinen Psalm erst recht zu verstehen.

Die Lage wird uns angedeutet in der Überschrift: Ein Psalm Davids, da er floh vor seinem Sohne Absalom. Mit dieser Flucht ging es kürzlich so zu. Absalom, der blühendschöne, aber innerlich verdorbene, der vielgeliebte und doch so undankbare, der schon einmal begnadigte und doch unverbesserliche Sohn hatte abermals im Land sich einen Anhang gemacht und in Hebron sich zum König ausrufen lassen. Und das Volk, das eitle Volk, dem die roten Wangen und goldenen Locken Absaloms besser gefielen als Davids graues Haar, das undankbare Volk, das den Segen der langjährigen Regierung Davids, der es zu Ruhm und Ehren geführt wie vor ihm und nach ihm kein König, so schnell vergaß, das wetterwendische Volk, das schon damals wie tausend Jahre nachher zur Zeit Jesu und wie heute noch „Hosianna“ rief und „Kreuzige, kreuzige ihn!“ in einem Atem, das Volk lief Absalom scharenweise zu.

Dem alten König ward angesagt: Das Herz jedermanns in Israel folgt Absalom nach. Und David sprach zu seinen Knechten: Auf, lasst uns fliehen, denn hier wird kein Entrinnen sein vor Absalom. Eine überraschende, eine möchte man sagen übereilte und doch eine wohlbegreifliche Flucht. Dreierlei war es, was David, der doch immer noch König war, der noch einen schönen Haufen Getreuer um sich hatte, zu dieser Flucht bewog: Der tiefe Schmerz über den ausgearteten Sohn, unter dem im ersten Augenblick seine ganze Kraft zusammenbrach; sodann vielleicht ein noch tieferer Schmerz, der Gedanke: dieses Familienkreuz ist ein Gericht Gottes über meine Familiensünde, über das was ich einst an Uria gefrevelt; endlich der edle Wunsch: um meinetwillen soll kein Blut fließen.

So floh denn David. Die rührende Erzählung dieser Flucht bitte ich euch nachzulesen 2. Sam. 15. 16. Da lest ihr, wie der edle König mit wenig Getreuen aus der Stadt zog barfuß mit verhülltem Haupt, begleitet von den Tränen eines großen Teils des Volks, über den Bach Kidron hin am Ölberg vorbei, wo einst der große Davidssohn auch seinen Marterpfad und Leidensweg einschlagen sollte. Da lest ihr, wie er der Wüste sich zuwandte, um dort zu harren, wie sich die Dinge in Jerusalem gestalten würden, wie ihm unterwegs der freche Simei fluchte und mit Steinen warf nach dem grauen Haupt des Gesalbten Gottes, und wie David seine zürnenden Begleiter, die dem Bösewicht den Kopf abreißen wollten, zur Ruhe wies mit den schönen Worten: Lasst ihn fluchen, der Herr hat's ihm erlaubt, ein echter Ahnherr dessen, der auch nicht wieder schalt, da er gescholten ward, noch dräute, da er litt, sondern stellte es dem anheim, der da gerecht richtet. Am Abend jenes Tags, des bittersten vielleicht in seinem Leben, legte David sein müdes Haupt in Bahurim, einem Ort nicht gar ferne von Jerusalem, zum Nachtlager nieder, und an diesem Abend dann hat er wohl unseren Psalm gedichtet als ein schönes Abendlied in so ernster dunkler Stunde, wie die Sage den lieben Paul Gerhard das schöne Lied des Gottvertrauens: „Befiehl du deine Wege“ auch auf der Flucht gedichtet haben lässt, da er amtlos, brotlos, heimatlos mit seiner Familie Rast hielt in einer Herberge an der Straße. Nun verstehen wir gewiss den Psalm selbst. Drei Teile können wir unterscheiden in diesem Trauerpsalm: 1. Davids Klage; 2. Davids Trost; 3. Davids Bitte.

 

1. Davids Klage.

(V. 1 und 2.) Er ist verlassen von Menschen. „Ach Herr, wie sind meiner Feinde so viel und sehen sich so viele wider mich.“ Allerdings viele. Von seinem ganzen Volk waren nicht viel über sechshundert bei ihm geblieben. Eine schwere Erfahrung für einen unter der Krone ergrauten König, der sein Volk furchtlos und treu regiert und geführt hatte ein Menschenalter lang. Aber unter diesen vielen war einer, der ihm weher getan, als alle hunderttausend andere, einer, dessen Namen er nicht nennt, sein Sohn, sein eigener lieber Sohn. Und doch, der betrübte Vater nennt diesen Sohn nicht, verklagt ihn nicht bei Gott, auch nicht mit einem Wort, nur über die vielen klagt er, nicht über den einen. Sehet da das Vaterherz, das es nicht über sich vermag, dem Sohn zu fluchen, den Sohn auch nur zu verklagen, das Vaterherz, das auch über dem verlorenen Kinde noch vor Erbarmen bricht. Es ist leicht, einem Vater zu sagen: Zieh deine Hand ab von dem ungeratenen Sohn; der Mutter zu raten: Denk nicht mehr an das verlorene Kind. Aber kann auch ein Weib ihres Kindes vergessen, dass sie sich nicht erbarmte über den Sohn ihres Leibes? Nein, die Liebe hört nimmer auf; wo sie nicht mehr helfen kann, da muss sie doch noch weinen über das verlorene Kind, da kann sie doch noch beten für das verirrte Schaf.

Aber nicht nur von Menschen ist David verlassen; auch von seinem Gott scheint er wenigstens verlassen: „Viele sagen von meiner Seele: sie hat keine Hilfe bei Gott.“ (V. 3.) Von dem, der so unzählige Mal von Jugend auf die helfende, segnende Hand Gottes erfahren, sagen sie in ihrem Übermut: Seine Seele hat keine Hilfe bei Gott. So hatte eben an diesem Tag Simei auf offener Straße ihm nachgeschrien: Nun hat der Herr das Reich gegeben in die Hand deines Sohnes Absalom, und siehe nun steckst du in deinem Unglück, denn du bist ein Bluthund. So schüttelten sie ja später auch über den sterbenden Davidssohn den Kopf: Er hat Gott vertrauet, der helfe ihm nun, lüstet's ihn.

Von Gott verlassen sein, das ist freilich noch bitterer für den Frommen als verlassen sein von allen Menschen; mit seinem Gottvertrauen zu Schanden werden vor der Welt, das ist die schwerste Demütigung für ein gläubiges Herz. Aber so weit kommt's in Wahrheit nicht bei einem gläubigen Herzen. So weit kommt's auch bei David nicht. Sie sagen's von seiner Seele: sie hat keine Hilfe; er sagt's nicht. Er sagt etwas anderes.

Davids Klage haben wir vernommen. Nun vernehmen wir

 

2. Davids Trost.

(V. 4-7.) „Aber du Herr bist der Schild für mich und der mich zu Ehren setzt und mein Haupt aufrichtet.“ O wie schön, wie fromm, wie echt königlich ist dieses Gottvertrauen! Noch war ihm ein Haufe Getreuer geblieben; auch der tapfere Joab mit seinem Bruder Abisai war an seiner Seite. Dennoch seht er auf keine Helden, auf keinen menschlichen Speer noch Schild sein Vertrauen. Er hatte es so eben und oft schon erfahren, was der Prophet sagt: Verflucht ist der Mann, der sich auf Menschen verlässt und hält Fleisch für seinen Arm. Gott nur ist sein Schild, Gott nur ist sein Trost. - „Gott ist mit uns und wir mit Gott, wir werden Sieg erlangen,“ so heißt's im Schlachtgesang des frommen Königs Gustav Adolf; Gott ist der rechte Schild, „du Herr bist der Schild für mich, und der mich zu Ehren setzt“; du hast mich einst zu Ehren gesetzt auf den Thron Israels als deinen Gesalbten, du hast mich jetzt in Schanden fallen lassen nach deinem unerforschlichen Rat, du nur kannst, du gewiss wirst mich auch wieder zu Ehren erheben „und mein Haupt aufrichten“, mein mit Schmach bedecktes, mein von Leid gebeugtes Haupt wieder fröhlich emporrichten. O seliger Trost für den vom Kummer gedrückten! Der Herr ist meine Hilfe! Lasst auch uns daran halten!

V. 5. „Ich rufe an mit meiner Stimme den Herrn, so erhört er mich von seinem heiligen Berge.“ Die treuen Priester hatten die heilige Bundeslade mitnehmen wollen; aber David hatte gesagt in stiller Ergebung: Bringt die Lade Gottes wieder in die Stadt; werde ich Gnade finden vor dem Herrn, so wird er mich wieder holen und wird mich sie sehen lassen und sein Haus. Spricht er aber also: ich habe nicht Lust zu dir, - siehe hier bin ich; er mache es mit mir, wie's ihm wohlgefällt. Jetzt kehrt er sich im Geist zum heiligen Zionsberg hin, wo das Heiligtum war und den er noch am abendlichen Himmel dämmern sah, und weiß, dass ob er auch leiblich fern davon ist, er doch nicht fern ist von der Erhörung. Ja zum himmlischen Zion, zur heiligen Tempelhöhe droben wollen auch wir unsere Blicke richten und unsere Gebete emporsenden in der Trübsal; dieses Berges Spitze schaut der Gläubige auch allenthalben daheim und in der Fremde, in der Wüste und auf dem wilden Meer; von dort her, von seinem heiligen Berge Zion wird auch uns ein treuer Gott erhören. Sela.

V. 6. „Ich liege und schlafe und erwache; denn der Herr hält mich.“ welch schönes Schlummerlied! Wie ein Kind in Mutterarmen legt er sich in seines Gottes Schoß. Wohl war er flüchtig, wohl war er mitten unter einem empörten Volk; aber der Herr war bei ihm. Getrost leg ich mich, in Frieden schlaf ich, freudig erwach ich, denn der Herr hält mich. Selig, selig, wer so im Gottvertrauen spricht:

Kein Urteil mich erschrecket,

Kein Unheil mich betrübt,

Weil mich mit Flügeln decket

Mein Heiland, der mich liebt.

Wohl sind noch Feinde ringsum, aber die können seinen Schlummer nicht stören.

V. 7. „Ich fürchte mich nicht vor viel hunderttausenden, die sich umher wider mich legen.“ Denn der eine Herr ist stärker als tausend mal tausend. Das hatte er erfahren, als er vor Goliath stand, das hatte er in mancher blutigen Schlacht erfahren, das ist jetzt sein Trost:

Fielen tausend mir zur Seiten

Und zur Rechten zehnmal mehr,

Ließest du mich doch begleiten

Durch der Engel starkes Heer,

Dass den Nöten, die mich drangen,

Ich jedennoch bin entgangen:

Tausend, tausendmal sei dir,

Großer König, Dank dafür!

Das ist Davids Trost; das sei auch unser Trost, und nun noch

 

3. Davids Bitte.

(V. 8 und 9.) Hört ihr Davids Kriegsdrommeten? Das ist Davids Gebet. Mit starker Macht ruft er seinen mächtigen Bundesgenossen, seinen Gott zur Hilfe an: „Auf, Herr, und hilf mir, mein Gott; denn du schlägst alle meine Feinde auf den Backen und zerschmetterst der Gottlosen Zähne.“ Ja wer auf Gott vertraut, wer vor Gott wandelt, der darf auch zu Gott rufen und sein Gebet wird kräftig wie Drommetenklang durch die Wolken dringen und himmlische Heerscharen zur Hilfe herbeiziehen. So wollen auch wir im Vertrauen auf Gottes Gnadenverheißungen beten, heftiger, kräftiger, kindlicher beten in der Not und unverzagt ihn zu Hilfe rufen gegen alle Feinde; noch lebt er, der heilige, der allmächtige, der treue, der gerechte Gott, noch lebt er auch uns zum Trost und seinen Feinden zum Trotz.

Ist etwas von Grimm und Zorn in den vorlegten Worten, so schließt Davids Gebet mild und sanft im letzten Vers. „Bei dem Herrn findet man Hilfe“, so spricht er, der Erhörung zum Voraus gewiss, „und deinen Segen über dein Volk“, so fleht er als ein echter König für sich nicht nur, sondern auch für die Seinen. Wer ist dieses Volk, für das dieser König bittet? Wohl zunächst das kleine Häuflein, das mit ihm war, und seine Getreuen, die auch in der Ferne noch um ihn weinten und für ihn beteten; aber gewiss auch seines ganzen Volkes, auch des verirrten, undankbaren Volkes gedenkt er hier in liebreicher Fürbitte, der Herr wolle es wieder auf den rechten Weg leiten, der Herr wolle es wieder segnen. Schöner, milder könnte dieser Klagepsalm ja nicht schließen als mit diesem edlen Wort des Gottvertrauens und der Bruderliebe; dessen wollen auch wir gedenken, wenn wir in Trübsal sind. Wie man aus einem Garten, in dem man gewandelt, sich noch ein Blümlein zum Andenken bricht, so wollen wir zum Andenken mitnehmen von diesem Psalm den letzten Vers. Wenn Menschen zumal uns wehe tun, dann wollen auch wir beten in frommem Gottvertrauen und in milder Bruderliebe: Bei dem Herrn findet man Hilfe, und deinen Segen über dein Volk. Sela! Amen.

 

 

Psalm 4

(1) Ein Psalm Davids, vorzusingen auf Saitenspielen. (2) Erhöre mich, wenn ich rufe, Gott meiner Gerechtigkeit, der du mich tröstest in Angst; sei mir gnädig und erhöre mein Gebet. (3) Liebe Herren, wie lange soll meine Ehre geschändet werden? Wie habt ihr das Eitle so lieb und die Lügen so gerne? Sela. (4) Erkennt doch, dass der Herr seine Heiligen wunderlich führet; der Herr hört, wenn ich ihn anrufe. (5) Zürnt ihr, so sündigt nicht; redet mit eurem Herzen auf eurem Lager und harrt, Sela. (6) Opfert Gerechtigkeit und hofft auf den Herrn. (7) Viele sagen: Wie sollte uns dieser weisen, was gut ist? Aber, Herr, erhebe über uns das Licht deines Antlitzes. (8) Du erfreust mein Herz, ob jene gleich viel Wein und Korn haben. (9) Ich liege und schlafe ganz mit Frieden; denn du allein, Herr, hilfst mir, dass ich sicher wohne.

„Wo kämen Davids Psalmen her,

Wenn er nicht auch versuchet wär?“

heißt's im Liede, und das Lied hat Recht. Aus der bittern Wurzel der Versuchung, der Anfechtung, der Trübsal sind fast alle diese holden Liedesblumen gewachsen, die uns nun mit ihrem Duft erfreuen. Kaum haben wir das erste Blatt im Psalmbuch umgewendet, erst am vierten Psalm sind wir heute, und schon haben wir unter diesen vieren heute den zweiten Not- und Klagepsalm vor uns. Aber gottlob dass die Anfechtungen und Versuchungen der alten Gottesmänner uns so süße Lieder, so holde Psalmen eingetragen haben zum Trost in unsern Nöten; jene Gotteshelden sind gleichsam die Taucher gewesen, die mit Lebensgefahr hinabgefahren sind ins Trübsalsmeer bis auf den Grund und haben uns heraufgebracht die köstlichen Perlen, die nun im Psalter aneinandergereiht sind wie an einer Schnur, uns zum Augentrost und Herzensschmuck. Auch heute wieder betrachten wir eine solche köstliche Perle, einen so trüben und doch hellleuchtenden Klage- und Trostpsalm.

Auf welchem Leidenspfad, in welcher Trübsalsstunde der fromme Sänger diesen Psalm gedichtet, wird uns nicht angegeben, wie im vorigen Psalm, wir haben im ersten Vers nur die Überschrift: „Ein Psalm Davids, vorzusingen auf Saitenspielen.“ Doch haben die Schriftausleger eine Begebenheit aus Davids tatenreichem und vielbewegtem Leben gefunden, auf welche dieser Psalm besonders gut passt; es ist die, welche erzählt wird 1. Sam. 30.

Als David, flüchtig vor Saul, eine Zeitlang bei den Reichsfeinden, den Philistern, Zuflucht suchen musste, ward ihm vom Philisterkönig die Stadt Ziklag geschenkt zur Wohnung für sich und die sechshundert Getreuen, die sich um ihn gesammelt hatten. Da er nun einst mit diesen sechshundert von einem Kriegszug in seine Stadt zurückkehrte, waren inzwischen die räuberischen Amalekiter eingefallen, hatten Ziklag verbrannt und Hab und Gut, Weiber und Kinder gefangen weggeführt. Darüber waren jene sechshundert Waffengenossen Davids so erbittert und empört, dass sie, wie es rohe, unverständige Leute machen, dieses Unglück ihren Anführer selbst entgelten ließen, der doch am härtesten davon betroffen war, und David in ihrem Grimm sogar steinigen wollten.

Eine drangvolle Lage für David, der so gleichsam zwischen zwei Feuern stand, zwischen der Trübsalsglut, welche Gott ihm angezündet hatte, und zwischen dem Zornfeuer törichter Menschen, undankbarer Freunde; wie es oft so geht, dass in einer Not, in einem Gedränge, wo sich der Hausvater, die Hausmutter ohnehin kaum zu helfen weiß, auch noch Kinder, Freunde, Hausgenossen mit ihrer Torheit, Ungeduld, Undank, Verzagtheit uns den Kopf wirr und das Herz schwer machen. Aber David war nicht der Mann, in einem solchen Gedräng Kopf und Herz zu verlieren. Er greift zu seinem gewohnten Freund und Tröster, der ihn schon durch so manchen harten Stand begleitet hat, zu seinem Saitenspiel und singt sich auch durch diese Trübsal durch.

Zuerst wendet er sich gegen seine törichten Freunde und weist sie kräftig zurecht, dann wendet er sich zu seinem Gott und befiehlt ihm kindlich seine Sache. Also zwei Teile enthält der Psalm:

Strafworte gegen die Feinde,

Glaubensbitten an Gott.

Ehe sich David mit strafenden Worten an seine Widersacher wendet, vernehmen wir zuerst, gleichsam zur Einleitung des Psalmes, ein Wort gläubigen Flehens an seinen Beschützer im Himmel.

V. 2. „Erhöre mich, wenn ich rufe, Gott meiner Gerechtigkeit, der du mich tröstest in Angst, sei mir gnädig und erhöre mein Gebet.“ Das ist gleichsam das Vorspiel des ganzen Psalms; ein kühner Griff in die Saiten, ein voller Akkord, als wollte der Psalmist seine Harfe probieren, ob sie noch recht gestimmt sei, ob sie noch voll klinge. Und horch sie klingt noch voll, sie hat noch die rechte Stimmung, die Stimmung einer frommen Seele. Vier Saiten klingen in diesem Eingangsakkord zusammen: „Erhöre mich, wenn ich rufe!“ Das ist der Glaube, der in diesen Worten klingt, der Glaube: im Himmel ist ein Ohr zu hören die Klagen der Menschenkinder; im Himmel ist ein Auge zu schauen allen Jammer, der auf Erden ist; im Himmel ist ein lebendiger, allwaltender Gott, ein Herr, der da nahe ist allen, die ihn anrufen, allen, die ihn mit Ernst anrufen.

„Erhöre mich, wenn ich rufe, Gott meiner Gerechtigkeit.“ Das ist die Saite eines guten Gewissens, die hier klingt in diesen Worten. Als den Gott seiner Gerechtigkeit ruft David den Herrn an, als den Herrn, der die Seinen kennt, der ihre Unschuld weiß, auch wenn die Menschen sie schmähen und verfolgen, der die Gerechtigkeit hervorbrechen lässt wie die Sonne, wenn sie auch eine Zeitlang verfinstert war durch die giftigen Nebel menschlicher Lüge und Verleumdung.

„Der du mich tröstest in Angst.“ Das ist die Saite der Erfahrung, die hier ertönt. Den Gott ruft David an, von dem er aus Erfahrung weiß, dass er tröstet in Angst, den Gott, der schon in mancher angstvollen Stunde ihn getröstet, aus mancher heißen Not ihn errettet hat.

„Sei mir gnädig und erhöre mein Gebet.“ Das ist die Saite der Demut, die hier erklingt. Nicht als ein Recht fordert er's, sondern als eine Gnade erfleht er sich, dass der Herr ihm helfe und sein Flehen erhöre. Obwohl David ungerecht leidet, dennoch nicht mürrisch klagend, nicht trotzig fordernd, sondern demütig bittend tritt er vor den Gnadenthron seines Gottes.

Liebe Seele, wenn du in einer dunklen Trübsalsstunde die Harfe des Gebetes zur Hand nimmst, dann tu auch einen solchen prüfenden Griff in die Saiten; wohl dir, wenn in deiner Seele, wenn in deinem Gebet auch diese vier Saiten. zusammenklingen: gläubiges Vertrauen, Frieden des Gewissens, selige Erfahrung und kindliche Demut. Diese vier zusammen, die geben einen guten Klang.

Und nun nach diesem kräftigen Eingangsakkord kommen erst die beiden Teile des Psalms, und zwar

 

1.

Zurechtweisung der törichten Menschen. (V. 3-6.) Da muss er sich denn zuerst um seine Ehre wehren, muss sich wehren gegen seine eigenen Freunde: „Liebe Herren“, oder eigentlich liebe Waffengenossen und Kameraden. Dass nicht bloß seine Feinde, dass auch seine Freunde sich hergeben, ihn zu lästern, seine Ehre herabzusetzen, als sei er nicht mehr Gottes Gesalbter, als hätte Gott selbst ihn verworfen, weil ihn einen Augenblick das Glück verlassen hat, das ist's was ihm weh tut, wozu er nicht schweigen kann, wogegen er sich wehrt mit der Zuversicht eines guten Gewissens. Gegen erklärte Feinde, gegen eigentliche Bösewichter sich seiner Ehre zu wehren, das ist meist unnütz und unmöglich. Da ist oft nichts besser als schweigen wie der Heiland schwieg gegen seine Lästerer; aber unter Freunden, unter Guten darf sich ja auch ein Christ für seinen guten Namen wehren, wenn es nur geschieht in der Sanftmut und Demut, die einem Kinde Gottes und einem Nachfolger Jesu Christi ziemt, und wohl dem, der die Lästerungen seiner Feinde und die Zweifel seiner Freunde zurückweisen kann mit der Majestät eines guten Gewissens, ohne viel Worte, mit einer Hindeutung auf sein Leben, wie der Heiland, da er auf die Anklagen seiner Feinde sich berief auf sein Leben, das er geführt habe frei und öffentlich, auf das Volk, das ihn gehört habe im Tempel und in den Schulen. Freilich Geliebte, dass wir uns für unsere Ehre wehren, das wäre noch nicht genug, wüssten wir nicht, dass ein Größerer, dass Gott selber die Ehre seiner Kinder wahrt und auch nach schweren Prüfungen ihre Unschuld wieder ans Licht zieht.

Auf den beruft sich auch David gegenüber seinen Lästerern, wenn er fortfährt:

V. 4. „Erkennt doch, dass der Herr seine Heiligen wunderlich führt; der Herr hört, wenn ich ihn anrufe.“ Jawohl führt Gott seine Heiligen wunderlich. Das steht geschrieben in den Lebensläufen aller Kinder Gottes. Denket an Abrahams Wanderleben, an Jakobs Glückswechsel, an Josefs Jugendschicksale, an Moses Lebensgang, an Davids Führungen, an Hiobs Prüfungen, an Paulus Seelenwege; lest in den Lebensbeschreibungen so mancher frommen Christen, denkt zurück an die Führungen eures eigenen Lebens; heißt's da nicht auch tausendmal: Gott führt seine Heiligen wunderlich? Er führt durch gute und böse Gerüchte, durch Demütigungen und Läuterungen, dass ihr oft fragen und klagen wolltet: warum Herr, warum? und zuletzt hat er doch immer alles fröhlich gewendet und selig geendet, und zuletzt mussten wir doch lobpreisend bekennen:

So führst du doch recht selig, Herr, die Deinen,

Ja selig und doch meist verwunderlich;

Wie könntest du es böse mit uns meinen,

Da deine Treu nicht kann verleugnen sich.

Die Wege sind oft krumm und doch gerad,

Darauf du lässt die Deinen zu dir gehn;

Da pflegt es wunderseltsam auszusehn:

Doch triumphiert zuletzt dein hoher Rat.

Darum nur Gottes Wege angeschaut mit demütigem Glauben und auf ihn gewartet mit Sanftmut und Geduld. V. 5. „Zürnt ihr, so sündigt nicht!“ Lasst euch durch euren Unmut, durch euren Grimm über ein augenblickliches Missgeschick nicht zur Sünde hinreißen gegen Gott und die Seinen. „Redet mit dem Herrn auf eurem Lager und harrt,“ ruft David seinen Genossen zu; sucht ihn in stiller Nacht, betet zu ihm in der Einsamkeit eures Kämmerleins wie ich. O in stiller Nacht sieht man manches anders an als im lauten Getümmel des Tages, beim Abendgebet im Kämmerlein, da kommt einem oft erst das rechte Licht über das, was man am Tage erfahren hat, da legen sich die Leidenschaften, da wird das Auge hell, das Herz still, da, Seele, wirf dich mit deinem Anliegen dem Herrn in die Arme und bete:

Gott der Tage, Gott der Nächte,

Unsre Seele harret dein,

Lehnet sich an deine Rechte,

Nie kannst du uns ferne sein.

Auch in stiller Nächte Stunden

Hat dich manches Herz gefunden

Und sich aus dem Lärm der Welt

Einsam bei dir eingestellt.

„Opfert Gerechtigkeit und hofft auf den Herrn,“ ruft David schließlich V. 6 seinen Genossen zu; ihr habt diese Züchtigung wohl verdient; bringt dem Herrn die Opfer eines reinen, frommen, rechtschaffenen Wandels und im übrigen hofft auf ihn; er wird euch vielleicht einen Augenblick prüfen und scheinbar verlassen, aber mit großer Barmherzigkeit wird er euch wieder sammeln. Naht euch zu Gott, so naht er sich zu euch. Bleibe fromm und halte dich recht, denn solchen wird's zuletzt wohl gehen. Zuletzt, wenn auch vorher manche bittere Stunde muss durchgemacht sein.

Wird's aber sich befinden,

Dass du ihm treu verbleibst,

So wird er dich entbinden,

Da du's am mindsten gläubst.

Er wird dein Herz entladen

Von der so schweren Last,

Die du zu keinem Schaden

Bisher getragen hast!

 

2.

Nachdem David so seine Genossen zurechtgewiesen, so wendet er sich nun im 2. Teil des Psalms zu seinem Gott und ruft ihn um Hilfe an. (V. 7-9.)

V. 7. „Viele sagen: Wie sollte uns dieser weisen, was gut ist? Aber, Herr, erhebe über uns das Licht deines Antlitzes.“ Mögen die Kleingläubigen zagen, mich um meines Glaubens willen verspotten, an mir und meinem Gott irre werden; ich halte mich an dich, mein treuer Gott; so tritt nun hervor in deiner Güte und Allmacht; lass dein Antlitz, das du hinter den Wolken der Trübsal verborgen hast, wieder hervorleuchten wie Sonnenschein. O das sind selige Stunden, liebe Freunde, wenn nach langer trüber Zeit, wo Trübsalswolken am Himmel hingen vom Morgen bis zum Abend, nach Tagen, Wochen, Monaten der Sorge, der Krankheit, der Unruhe, der Anfechtung endlich, endlich der Himmel wieder blau wurde, der Herr mit seiner Hilfe erschien, der erste Sonnenschein der Freude wieder hereinschien in unser Herz und in unser Kämmerlein, und wir erfahren dürfen, was der Herr beim Propheten spricht: Ich habe mein Angesicht im Augenblick des Zornes wohl ein wenig von dir gewendet, aber mit großer Barmherzigkeit will ich dich wieder sammeln; es sollen wohl Berge weichen und Hügel hinfallen, aber meine Gnade soll nicht von dir weichen und der Bund meines Friedens soll nicht hinfallen. Selig, das zu erfahren, selig, auch nur darauf zu hoffen!

Solche Hilfe seines Herrn macht den leidenden David schon zum Voraus fröhlich in Hoffnung, dass er vergnügt spricht: