Andere Leute - Dorota Masłowska - E-Book

Andere Leute E-Book

Dorota Maslowska

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Beschreibung

Eine von Smog und Verachtung vergiftete Stadt, teure Autos, billige Beziehungen, hohe Ansprüche und niederste Instinkte. Kamil träumt von einer Karriere als Rapper, wohnt aber noch bei der Mutter in einer Warschauer Plattenbauwohnung. Er dealt mit Rauschgift, jobbt als Klempner und lässt sich von seiner Kundin Iwona halb verführen, halb bezahlen. Sie lebt unglücklich mit ihrem Ehemann Maciej und dem kleinen Sohn Leon in einer von Mauern geschützten Immobilie. Ihr Mann begehrt sie nicht mehr, hat eine Geliebte. Iwona schüttet ihre Sorgen bei der ukrainischen Putzfrau aus, während Kamil wiederum, ohne es zu ahnen, Maciej Drogen verkauft – und so schließt sich der Kreis zwischen den Personen, entsteht ein Kaleidoskop aus Liebe und Betrug, Begierde und Eitelkeit. Dorota Masłowska erzählt in einer schillernden Sprache, mitreißend und provokant, einfühlsam und drastisch – und mit einem abgrundtief schwarzen Humor, der dem Leser noch bei der grausamsten Wahrheit das Lachen aus dem Halse kitzelt. Ihr Roman ist wie eine Versuchsanordnung, eine explosive Mischung, in der die Jedermänner und Jedefrauen ihr Innerstes nach außen kehren. Am Ende steht die Frage: Die anderen Leute – sind das womöglich wir selbst?

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Dorota Masłowska

Andere Leute

Roman

 

 

Aus dem Polnischen von Olaf Kühl

 

Über dieses Buch

Eine von Smog und Verachtung vergiftete Stadt, teure Autos, billige Beziehungen, hohe Ansprüche und niederste Instinkte. Kamil träumt von einer Karriere als Rapper, wohnt aber noch bei der Mutter in einer Warschauer Plattenbauwohnung. Er dealt mit Rauschgift, jobbt als Klempner und lässt sich von seiner Kundin Iwona halb verführen, halb bezahlen. Sie lebt unglücklich mit ihrem Ehemann Maciej und dem kleinen Sohn Leon in einer von Mauern geschützten Immobilie. Ihr Mann begehrt sie nicht mehr, hat eine Geliebte. Iwona schüttet ihre Sorgen bei der ukrainischen Putzfrau aus, während Kamil wiederum, ohne es zu ahnen, Maciej Drogen verkauft – und so schließt sich der Kreis zwischen den Personen, entsteht ein Kaleidoskop aus Liebe und Betrug, Begierde und Eitelkeit.

 

Dorota Masłowska erzählt in einer schillernden Sprache, mitreißend und provokant, einfühlsam und drastisch – und mit einem abgrundtief schwarzen Humor, der dem Leser noch bei der grausamsten Wahrheit das Lachen aus dem Halse kitzelt. Ihr Roman ist wie eine Versuchsanordnung, eine explosive Mischung, in der die Jedermänner und Jedefrauen ihr Innerstes nach außen kehren. Am Ende steht die Frage: Die anderen Leute – sind das womöglich wir selbst?

Vita

Dorota Masłowska wurde 1983 in Wejherowo, Polen, geboren. Ihr Debütroman «Schneeweiß und Russenrot» wurde begeistert aufgenommen und in mehr als zehn Sprachen übersetzt; 2005 erhielt sie dafür den Deutschen Jugendliteraturpreis. Es folgten die Romane «Die Reiherkönigin» und «Liebling, ich habe die Katzen getötet». Masłowska wurde mit den wichtigsten polnischen Literaturpreisen ausgezeichnet. Sie schreibt zudem Bühnenstücke, die auch in Deutschland aufgeführt werden. Masłowska lebt mit ihrer Tochter in Warschau.

 

Olaf Kühl, 1955 geboren, studierte Slawistik, Osteuropäische Geschichte und Zeitgeschichte und arbeitet seit 1996 als Osteuropareferent für den Regierenden Bürgermeister von Berlin. Er ist Autor und einer der wichtigsten Übersetzer aus dem Polnischen und Russischen, u.a. wurde er mit dem Karl-Dedecius-Preis, dem «Brücke Berlin»-Preis und dem Helmut-M.-Braem-Übersetzerpreis ausgezeichnet. Sein zweiter Roman, «Der wahre Sohn», war 2013 für den Deutschen Buchpreis nominiert; zuletzt erschien sein Roman «Letztes Spiel Berlin» (2019).

ANETTA: «Besitzen Sie die App unseres Clubs?»

IWONA: «Nein.»

ANETTA: «Möchten Sie sich die nicht zulegen?»

IWONA: «Nein.»

ANETTA: «Vielleicht sind Sie an den heutigen Sonderangeboten interessiert.»

IWONA: «Danke.»

ANETTA: «Tüte für zehn Groschen? Nur die Kondome?»

IWONA: «Ja.»

ANETTA: «Sieben Złoty siebzig.»

 

«Kontaktlos? Einen angenehmen Tag wünsche ich, beehren Sie uns bald wieder.»

1

Es ist MONTAG. Der Himmel da draußen wie Blei, auf dem Teppich die Nadeln vom Weihnachtsbaum, alles dreckig, und aus der Traum. Ihn weckt das Quietschen des Fahrstuhls und das Gefühl von offenem Fenster, auch wenn die Decke schweißnass ist und trocken das Maul, ein Nachgeschmack geistiger Getränke, du kannst dir denken, dass er sich gestern Stoff gegeben hat. Nicht ohne Grund. Es geht gegen zehn. Heißt aufstehen. Er zweifelt, ob er pünktlich kommt, badet schnell; sieht aus wie ausgekotzt, scheiß drauf, rasieren, Hose an, Jacke, die ihm ein Kumpel neulich rüberwachsen ließ, vielleicht weil geklaut, die Watte darin verklumpt, gute Marke, nur das Karma ein bisschen versaut, denn sie stank nach Pisse, von Hund oder Schaf, jetzt wittert er einen süßen Hauch vom Deodorant seiner kleinen Schwester, brutale Ermittlungen ergaben, dass sie damit auf den Balkon rauchen ging, das blöde Ding! Sorry, er muss sie zusammenstauchen, stürzt in ihr Zimmer, kippt den ganzen Becher auf dem Schreibtisch aus, sie beschimpft ihn als Hurensohn, weil ihr Heft vollgesaut ist, kann sein, schon; die Mutter mährt was von der Schlafcouch her, todunglücklich, weil wieder lebend erwacht. Aus Achtung vor seiner Alten verbeißt er sich die Bemerkung, auch sie sollte lieber die Klappe halten; überhaupt ist er ordentlich geladen, hat gestern tiefer ins Glas geschaut.

Sein Handy haben sie abgestellt, die Rechnung unbezahlt, der Tag von Anfang an verkackt, die Pläne durchkreuzt wie auf dem Warschauer Stadtplan die großen Alleen, wie die Nadeln vom Weihnachtsbaum auf dem Teppich. Wie die verdammten abgegangenen Weihnachtsbaumnadeln auf dem Teppich. Der Tag verkackt, denkt Kamil, kein Kick beim Blick auf das Himmelsblei durch die Gardinen; so viel gewartet, und alles gefickt, schon am Morgen.

 

SANDRA: «Wenn ich für das Referat ’ne schlechte Note kriege, bist du schuld!»

Verkackter Tag.

MUTTER: «Wieder treibst du dich rum in der Stadt. Hier ist kein Hotel, ich hab es satt, dass du nachts mal schnell nach Hause kommst, du arbeitest nicht, lernst nichts. Da, eine Mahnung von Play, anderthalbtausend.»

«Mama, gibt’s was zu futtern?»

«Ja.»

«Aber außer Marmelade?»

«Dann nichts.»

 

Auf der Treppe steckt er sich ein Röhrchen an. Als er aus dem Plattenbau kommt, sieht er graue Wolken. Dräuend zusammengezogen über dem Block wie Gottes Brauenbogen. Oder die Brauen von jemand anderem. Ein grauenhafter Hauch von Smog.

Um die Ecke das Einkaufszentrum, davor soll er sich mit dem Kumpel treffen. Sein Schritt ist unleidlich, überall diese Werbetafeln, Horden verfickter Plays, feixende Diebesfressen. Dieser Arsch, der in Die Zwei spielt und die aus In der Wspólna, blöde Kuh du, grins nicht, du Nutte hast ihm das Telefon gekappt. Die Fressen so breit, als sagten sie alle Marmelade, wie schade, wenn sie noch Beine hätten, könnten sie Sirtaki tanzen, sie sind schuld, diese Wanzen, dass er nicht telefonieren kann, scheiße Mann.

Er geht zum Kebab King, bestellt nicht so scharf auf dünn, steht da und passt auf, dass der Araber kein Ding dreht, ihm nichts krumm schneidet; draußen steht Warschau, doppelt und dreifach, da kommt Tobi, ja und

TOBI: «Alte Sau, was geht, gehst nicht ran?», sagt er und gibt ihm five. «Was ist? Neues Parfüm, Mann», fügt er hinzu und schnüffelt am Kragen. Der Scheißkerl.

«Sag lieber, was du hast, bin nicht in der Stimmung für laue Folklore», unterbricht Kamil trocken sein Dampfgeplauder.

(Tobi reicht ihm eine Damen-Kosmetiktasche)

«Das Schwuchtel-Necessaire? Wo hast du das her?»

«Weiß nicht, hat Gogu vielleicht seiner Alten geklaut.»

Er schnappt es sich und rennt zur Straßenbahn, im Maul noch den unzerkau… (Schluckgeräusch) …ten Kebab. Eigentlich hätte er lieber Falafel gehabt, ist ja eher vegan, vielleicht affig, das so unumwunden zu sagen, aber drauf geschissen: Er hat Angst, danach furzen zu müssen, und dort, wo er hinfährt, ist Methangas nicht gut gerochen. Der Tag gerade erst angebrochen und schon verkackt.

 

OBDACHLOSER IN DER STRASSENBAHN: «Schon morgens ohne Verbindung, ohne Netz, im Briefkasten eine Mahnung über anderthalbtausend von Play, no way.»

ZWEI MORRAS IN SCHWARZEN MÄNTELN: «Vielleicht stößt du dich gesund, wenn du diese Drops an den Mann bringst.»

Der Tag so krank, Schwesterleins Gestank an der Jacke. Kacke, was für ein GEFICKTER TAG.

FAHRGAST 1: «Außerdem bist du in der falschen Tram, Alter (die Sechs fährt nach Bielany!).»

Da kommst du viel zu spät an, eh, der Tag ist verkackt.

FAHRGAST 2: «Soll anrufen, er kommt zu spät.»

FAHRGAST 3: «Handy gesperrt.»

OPA: «Au, verflucht und zugenäht!»

 

Es geht auf elf. Sie ist genervt, läuft durch die Wohnung, räumt um, sammelt hektisch Fusseln vom Teppich; ihre Pläne durchkreuzt wie die Solidarność von Jan Paweł, sie könnte heulen, seit einer Stunde schon sollte ihr Mann auf Arbeit sein, NICHTS kann sie tun, nur warten, sich räuspern, beten weiß nicht zu wem, das Haar zurechtrücken, mit NICHTS unter diesem Fummel junger polnischer Modeschöpfer. Das Kind in der Schule, aber der bummelt weiter, lädt sein I-Phone, trimmt sich vor dem Spiegel die Nasenlöcher, wann haut er endlich ab? Sie simst noch und nöcher: «Zwischenfall, komm später» (sende an: KLOSPÜLUNG), «mach zu, du Scheißer, bestätige», flüstert sie, ruft aus dem Bad an, Empfänger vorübergehend nicht erreichbar, da plötzlich, ihr Mann will gerade gehen, die Klingel, ein Timing wie im Horrorfilm, oft genug gesehen:

«Wer ist das?»

«Der Klempner, glaub ich …»

«Schon wieder der Klempner?!»

«Ich hab ihn gerufen, da leckt was an der Wanne …»

MACIEJ(im Rausgehen): «Kommst du alleine damit klar?»

 

«Tach», sagt Kamil in der Tür zu ihm mit ungeschicktem Knicks und zieht die Nase hoch.

«Ich hab Sie wegen der Wanne angerufen», erklärt sie theatralisch und beißt sich auf die übertrieben vollen Lippen, als sie sieht, wie er mit klammen Fingern versucht, die schmutzigen Nikes aufzudröseln.

Wozu das, wozu das alles?, fragst du dich beim Blick in den Spiegel. Warum denkst du mit der Möse, du hast doch ein Gehirn; am Ende ist er der Böse, hat er dich dazu gebracht, was zittern dir jetzt so furchtbar die Hände, wie vor einem Abgrund, ja genau: WOZU DAS, WOZU DAS ALLES?, fragst du dich, hast schon die Hände am Kleid und weißt noch immer nicht, worum es dir geht. Du hörst den neuen Volvo deines Mannes auf der Straße, willst dich ausziehen, doch ist dir arschkalt.

«Gibt’s hier ’ne Toilette?» Er zieht die Jacke aus, hat beim Laufen unschön geschwitzt, für solche Situationen ist er nicht genug gewitzt.

Er wusste beim ersten Mal nicht, sollte er «Sie» sagen oder normal. Aber er sah, wenn sie sich bückte, dass da kein Höschen war. Megawohnung, irre Möbel, bekloppte Bilder. Picasso hätte sich krummgelacht, die hängen alle falsch herum, eine ganze Wand mit lauter Büchern. Was soll das hier sein, ’ne Bibillithek? In der Badewanne mehr Platz als im Zimmer seiner Schwester, der Wachmann glotzte ihn an, als wollte er hier den Müll durchwühlen. Echt die Überraschung jetzt, wenn er sehen würde, wie Kamil Janik (32), nicht vorbestraft, die Hose auszieht und nur in … autsch! (tritt auf einen Legostein auf dem Teppich) … auf sie zugeht.

Sie ist immer noch ein scharfes Veilchen, wenn auch ein bisschen zu alt für ihn. Zahn jünger als seine Mutter, schätzt er jetzt mal, ei, ei. Die Zähne gardinenweiß, polyesterglatte Titten, mit unsichtbar genähten Schnitten, spitz und rund wie das Sümmchen, das darin steckt, die zweiundzwanzigtausend.

«Steh nicht so da», sagt sie, wie aus dem Traum gerissen.

Er ist verspannt.

«Zieh die Socken aus», sagt sie, und er tut es, er zeigt Benimm und legt los, macht in Triebe. Ist das jetzt Liebe? Eine Art davon bestimmt.

Sie liegt da kalt und glatt wie Holz und sagt kein Wort.

Er ist ein bisschen benommen, Krankes kommt ihm in den Sinn, Frauen so nackt, dass die Leber durchscheint. Zwischen den Lidern sieht er, wie sie weint. Ins Make-up graben die Tränen Rinnen.

Um dennoch zu kommen, stellt er sich Frauen vor, so nackicht innen, dass man die Mitrochonzien sieht, echt, das DNA-Geflecht, die Häutchen ihrer Zellen, Atome, Elektronen, Sternstaub, Drohnen, Explosionen …

Na endlich, geschafft.

Gekommen war er das erste Mal vor einer Woche, Schwarzarbeit, als Helfer eines Bekannten. Scheißjob, der Typ wollte ihn mit ein paar Złoty abspeisen; nach einem Tag Arbeit hatte er gerade mal Geld für Wattebäuschchen; die ukrainischen Luschen sollen für solches Geld arbeiten, ein Pole nicht. Sei’s drum, wie man so sagt: Sie kamen im Auftrag. Reparierten was an der Spülung, er weiß selbst nicht mehr, denn die ganze Zeit hat er sie angeguckt, wie sie bei Zalando einkauft, und wusste, sie guckt zurück und weiß, er hat einen stehen. Sie sagte, er solle ihr seine Nummer geben, denn manchmal habe sie was zu reparieren und ihr Mann arbeite viel und sei tagelang überhaupt auf Arbeit.

Sie speichert ihn als «KLOSPÜLUNG»; das war, wenn nicht die Wahrheit, so doch ehrlich. Ein Blick genügt, und Untertitel sind entbehrlich.

Gestern eine SMS von ihr: «Um elf», er qualmte sich zu, bis er zu einem Kumpel ging, Wodka einer, zwei, weiter geht es mit Eimerrauchen, auf dem Rückweg im Treppenhaus noch ein Röhrchen, heute schweres Erwachen, es tat richtig weh, als er voll an sie dachte, ihre schönen Titten, die den engen Rock oder wie der Fummel heißt zu sprengen drohten.

 

(Kamil kommt spät in der Nacht nach Hause)

SANDRA(im Pyjama): «Wo kommst du Arsch so spät her, wenn ich um sieben Schule habe?»

KAMIL(öffnet den Kühlschrank): «Mama da?»

«Auf Nachtschicht.»

«Gibt’s was zu fressen?»

«Wärm dir die Klößchen auf.»

«Hast du Kippen?»

«Schon möglich.»

«Seit wann rauchst du?»

«Verpiss dich.»

 

Ob das Liebe war?

IWONA: «Maciej?»

MACIEJ(kommt spät nach Hause): «Schläfst du noch nicht?»

IWONA: «Ich kann nicht. Gab’s Schnee?»

«Nee.»

«Du hast Schaum in den Mundwinkeln.»

«Bisschen vielleicht. Viel Arbeit. Wir sitzen bis in die Nacht. Probleme. Schweres Projekt.»

«Sitzt sie da auch mit euch?»

«Wer?»

«Diese Bochoń.»

«Weiß nicht, wen du meinst.»

(«Sie likt alles, was du postest!!!» – «Du bist paranoid, das ist krank.» – «Alles!»)

Schnell schluckt sie eine Xanax, und die lichte Wolke des Nichts senkt sich rasch auf ihr Ich, wie immer, macht sie frei, hell und rein. Sie träumt nicht, liegt wunschlos bis zum Morgen in einem großen Haufen von Nichts, während Gorillas sie leichtfüßig umtanzen.

Geschlafen haben sie schon lange nicht mehr miteinander, warum, wissen sie nicht. Das Kind bringt sie im ungewaschenen Geländewagen zum Schwimmen und zum Deutsch, immer schneller, schminkt sich greller und steigert die Dosis, aber sachte. Täglich schwört sie sich, zu gehen und mit der Tür zu knallen, doch täglich bleibt sie und knallt mit nichts. Denn was die Bank verbindet, das löst der Mensch so leicht nicht auf.

Schließlich kamen eines Tages diese Typen wegen der Spülung, sie fummelte auf dem Tablet herum und spürte die ganze Zeit diesen jungen Blick. Im Augenwinkel sah sie den glattgeschorenen Schädel, den Tic der Muskeln unter der Haut, die ziemlich große Narbe im Gesicht und ein großes Tattoo, der Kleine Aufständische auf dem sehnigen Arm. Sie sah seine Kiefer rhythmisch den Gummi kneten, stellte sich vor, wie es wäre, wenn er sie … Am besten vor den Augen ihres Mannes. Beim Rausgehen streifte er scheinbar aus Versehen ihre Hüfte, sie musste die ganze Woche feucht herumgelaufen sein.

 

Gut, sagt sie jetzt, flieht seinen Blick und zieht das Kleid an. Geht ins Bad und schnäuzt sich vernehmlich.

Er hat noch ihren Saft an den Händen (den reibt er hastig in den Möbelbezug, sonst läuft er dem Kleinen Aufständischen noch in die Augen).

Sie wickelt das Kondom in ein Tuch, stopft es in ihre Handtasche. Sagt irgendwo zur Seite: «Was liegst du rum, zieh dich an.»

Seine Mutter hätte er ganz normal abgebügelt: «Geh mir nicht auf den Sack, Alte», jetzt streift er sich Jogginganzug und Socken über wie ein abgestrafter Schüler, obwohl ihm allgemein unwohl ist, und sie fragt:

«Soll ich dich mitnehmen irgendwohin?»

Äh … So eine Situation hat Kamil das erste Mal.

«Hab’s ein bisschen eilig», fährt sie fort, «Elternsprechstunde in der Schule», he he, ganz schön windig, die Alte, Ehemann, Kind, und vögelt mit dem erstbesten Macker, der auch noch ihr Sohn sein könnte.

 

Ihm kommt eine Kindheitserinnerung: Sandras Geburtstag, er ganz beschäftigt mit dem neuen Lego, bastelt wie irre, da hört er plötzlich leises Kichern und Gläsergeklirr, läuft zum Wohnzimmer, das Glas aus der Tür ist raus, seit der Vater mal dadurch reingekommen ist, öffnet diese Tür, das Lego Technic an sich gepresst, auf dem Tisch Ciociosan, das Glas halbvoll, oder eher halbleer; gleich darauf sieht er die Mutter: die sitzt mit dem Onkel, der nach Schweiß stinkt, auf der Couch. Will mit ihr kuscheln, doch sie dreht sich weg, KAMILEK, GEH SCHLAFEN, vielleicht weil, autsch, der Onkel sie ein bisschen fest am Busen packt.

Später hat er noch mehrere Onkels mit der Mama auf der Schlafcouch gesehen, wusste, dass sie sich immer leicht unterscheiden, aber schnarchen taten sie im Prinzip alle gleich, kratzten sich die Schwanzborsten chr-chr-chr und rotzten morgens im Bad, und die Federn der Schlafcouch quietschten genauso unter ihren Lenden, sie stöhnten alle gleich, wenn sie seine Mutter … wenn sie auf ihr … in sie …

Scheiße Mann, keinen Gedanken will er daran verschwenden, ekeln tut ihn der Anblick, wie sie auf dem Sofa sich räkeln und immer diese eine Klöte ihnen aus der Unterhose hängt. Daneben Wäsche. Berge von Wäsche, Hohe Tatra, Karpaten. Immer und überall Sachen, die aufs Bügeln warten.

KAMIL: «Komm, beweg deinen Arsch von meinem Hemd, du blöder Affe», daran kann er sich jetzt noch erinnern, und die Erinnerung kam so plötzlich wie die Mahnung von Play, aus heiterem Himmel, und jemand wird dafür blechen müssen.

 

Eigentlich schick, deine Wohnung, doch irgendwas ist faul hier, etwas stinkt – meine Jacke, nach Kebab? Bravo, aber beim Ficken ist die ja eh ab, also sag mir, bindest du mit diesen Händen auch den Schal deinem Kind, meine Liebe? Wunderbar, der Duft deines Körpers, nur etwas schal, meine Liebe, irgendwas hier mufft, und das ist nicht meine Jacke. Sag mal, hat dein Mann nichts dagegen, dass du die Hausaufgaben mit dem Kind machst, mit diesen Händen? Hat er vielleicht nicht gesagt, aber exakt so gedacht.

Ohne viel Emotion sieht er jetzt zu, wie sie hilflos zwischen ihrem Designerkrimskrams flattert, dann fasst er sich ein Herz und schlägt, nett zwar, doch keinen Widerspruch duldend vor, ob sie ihm anderthalbtausend … ähh … leihen könnte?

Und wenn schon. Trifft ja keinen Armen.

Spöttisch erstaunt hebt sie die Brauen, nimmt aus der Schublade die Kohle mit einer Geste, die sagt, dass dieser Betrag sie nicht in Existenznöte bringt. Er geht rasch, bevor sie sich’s anders überlegt, obwohl, ehrlich gesagt, ist ihm die ganze Aktion doch etwas peinlich.

Der Wachmann glotzt wie der Pole vom Acker, dem zeigt er am Haustor noch einen Fucker, boah eh, so ein Affe.

 

Er geht direkt auf die Post, überlegt nicht lange.

(füllt den Überweisungsschein am Schalter aus, kaut am Kugelschreiber)

KAMIL: «Eh, wie schreibt man eigentlich P?»

OMA 1: «Strich mit so einem Bäuchlein dran.»

KAMIL: «Danke, hab ich irgendwie vergessen gehabt, ehrlich. Lange nichts geschrieben. L?»

SÄUGLING AUS DEM KINDERWAGEN: «Senkrechter Strich und so einer unten.»

KAMIL: «Super, Kleiner!»

SÄUGLING: «Kannst du nicht schreiben?»

KAMIL: «Natürlich kann ich. Aber mit Handy. Und A? Wie schreibt man das?»

OMA 2: «So eine Art Haus und hier …» (Geste mit der Hand)

KAMIL: «Danke! Gebenedeit sei Jesus Christus! Und W? Wie geht W?»

KLEINER AUFSTÄNDISCHER: «So eine Art offene Schnalle.»

KAMIL: «Offene Schnalle, boaaah eh, dass der mal nicht die Binde unten rausrutscht!»

FRAU HINTER DEM SCHALTER: «Vielleicht Teerseife? Die Wunder Jan Pawełs?»

 

Er nimmt die Wunder mit für die Mutter, auch wenn sie verfluchte zwölf Złoty kosten sollen; fährt mit der Straßenbahn nach Hause und haut sich aufs Bett, so wie er ist, in Klamotten, mega unausgeschlafen, träumt irgendwelchen totalen Quatsch, irgendwelche Klassenarbeiten, von denen er weiß, er wird sie verhauen, bescheuert angezogen, nur mit dieser Schlafanzugjacke. Kacke, die ganze Klasse lacht, einschließlich Lehrerin, er in der letzten Bank, mit einem Mongo und einem Zigeuner, der nach alter Wäsche mufft, die Tochter der Lehrerin, die Tochter der Kantinenchefin – Eins, Eins mit Handkuss, und Janik Kamil? Fünf minus, Fünf mit dreckigen Ohren und alter Stulle, nichts drauf als Senf, steh auf und komm mit deiner Mutter her. Chancenungleichheit noch und nöcher,