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In der aktuellen Zeit erleben viele Gemeinden, dass die grundlegenden Fundamente des Glaubens in Frage gestellt - dekonstruiert - werden, und das auch noch öffentlich! Mit einher geht die Angst, den Glauben zu verlieren, wenn wir uns mit gewissen Vorbehalten von Christen auseinandersetzen. Doch dieses Buch macht deutlich, dass Jesus selbst ein Dekonstruierender war. Er hat die starren Bilder von Gott, der Bibel und dem Miteinander hinterfragt und hat es ermöglicht, dass die Menschen Gott näherkommen konnten. Wollen wir uns von dem, der die Wahrheit ist, einladen lassen, in Bewegung zu bleiben und den Weg zur Quelle immer wieder neu zu finden?
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Veröffentlichungsjahr: 2024
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PRESTON ULMER studierte Religion und Theologie und ist der Gründer und Leiter des »Doubters’ Club«, einer Organisation, die Christen und Atheisten lehrt, Freundschaft zu leben und gemeinsam nach der Wahrheit zu suchen. Er ist Pastor der »North Point Church« in Springfield in den USA.
Fragen ist nicht gleich zweifeln
In der aktuellen Zeit erleben viele Gemeinden, dass die grundlegenden Fundamente des Glaubens infrage gestellt – dekonstruiert – werden, und das auch noch öffentlich! Mit einher geht die Angst, den Glauben zu verlieren, wenn wir uns mit gewissen Vorbehalten von Christen auseinandersetzen. Doch dieses Buch macht deutlich, dass Jesus selbst ein Dekonstruierender war. Er hat die starren Bilder von Gott, der Bibel und dem religiösen Miteinander immer wieder hinterfragt und es ermöglicht, dass die Menschen Gott näherkommen konnten. Wollen wir uns von dem, der die Wahrheit ist, einladen lassen, in Bewegung zu bleiben, und den Weg zur Quelle immer wieder neu zu finden?
»Wenn der Glaube eines Menschen zu Bruch geht, gibt es da einen, der immer bleiben wird.«
PRESTON ULMER
»Dieses Buch hat zwei enorme Vorteile: Es bietet eine sehr hilfreiche Vier-Schritte-Methode, um die notwendige Dekonstruktion von nicht hilfreichen Lehren, Doktrinen und Versionen des Christentums in Angriff zu nehmen; und es lädt die Leser ein, Jesus näherzukommen.«
DR. DAVID GUSHEE, Professor für christliche Ethik
»In diesem Buch führt Preston Ulmer den Leser methodisch durch einen Prozess des Denkens, Ringens und Entdeckens. Mit Aufrichtigkeit und Geschick ermöglicht er einen Dialog, den jeder führen sollte – unabhängig davon, wo man in der Nachfolge grade steht.«
GREG FORD, Pastor der »One Church«
»Dekonstruktion bedeutet für mich die Suche nach dem Echten. Ulmer bringt das spannend, authentisch und feinfühlig rüber: Gott geht es um unsere Herzen, nicht um unsere Glaubenssätze.«
JONA FRIEDE, Coach und Begleiter für Menschen in Glaubenskrisen und Dekonstruktionsprozessen
SCM R.Brockhaus ist ein Imprint der SCM Verlagsgruppe, die zur Stiftung Christliche Medien gehört, einer gemeinnützigen Stiftung, die sich für die Förderung und Verbreitung christlicher Bücher, Zeitschriften, Filme und Musik einsetzt.
ISBN 978-3-417-27104-1 (E-Book)
ISBN 978-3-417-01012-1 (lieferbare Buchausgabe)
Datenkonvertierung E-Book: CPI books GmbH, Leck
© 2024 SCM R. Brockhaus in der SCM Verlagsgruppe GmbH
Max-Eyth-Straße 41 ·71088 Holzgerlingen
Internet: www.scm-brockhaus.de; E-Mail: [email protected]
Originally published in English in the U.S.A. under the title:
Deconstruct Faith, Discover Jesus
Copyright © 2023 by Preston Ulmer
German edition with permission of NavPress, represented by Tyndale House Publishers. All rights reserved.
Soweit nicht anders angegeben, sind die Bibelverse folgender Ausgabe entnommen:
Neues Leben. Die Bibel, © der deutschen Ausgabe 2002 und 2006 SCM R.Brockhaus in der SCM Verlagsgruppe GmbH, Holzgerlingen.
Weiter wurde verwendet: The Message: The Bible in Contemporary Language von Eugene H. Peterson © 1993, 2002, 2018 by NavPress. (12 Verse – Eigenübersetzung der Übersetzerin) (MSG)
Zitate zu Kapitelbeginn sind, wenn nicht anders angegeben, Eigenübersetzungen.
Übersetzung: Renate Hübsch
Lektorat: Esther Schuster
Umschlaggestaltung & Grafiken: Andreas Sonnhueter; grafikbuero-sonnhueter.de
Satz: typoscript GmbH, Walddorfhäslach
Für Piper und Brennan.Dieses Buch soll euch daran erinnern,dass ihr mir immer mehr bedeuten werdetals Tradition oder Religion.
Über den Autor
Über das Buch
Stimmen zum Buch
Vorwort
Einleitung: Ein Plädoyer für Dekonstruktion
Teil 1: Warum dekonstruieren?
1. Dekonstruktion ist Teil unseres geistlichen Erbes
2. Mehr Fragen als Antworten
3. Dekonstruktion und Dekonversion
4. Dekonstruktion und Autorität
5. WWJD? (Was würde Jesus dekonstruieren?)
Teil 2: Wie dekonstruieren? Die Vier-Schritte-Methode
6. Schritt 1: Benenne die Einzelheiten
7. Schritt 2: Finde die Quelle
8. Schritt 3: Rede über die Auswirkungen
9. Schritt 4: Lass dich auf das ein, was bleibt
Fazit: Ein Christentum für unsere Kinder
Danksagungen
Anmerkungen
Liebe Leserin, lieber Leser,
dieses Buch schreibe ich als Fürsprecher – stellvertretend für alle, die eine Dekonstruktion des Glaubens fordern, weil sie sehen, welchen Schaden bestimmte christliche Traditionen und Sichtweisen angerichtet haben. Auch ich habe einiges an Unrecht, das auf diesen Seiten erwähnt wird, selbst beobachtet, gespürt und erlitten, aber nicht annähernd in dem Ausmaß wie andere. Meine Interviews und Recherchen haben rasch gezeigt, dass ich mit meinen Erfahrungen nicht zu denen gehöre, die am stärksten von dem geistlichen Missbrauch betroffen sind, der in Glaubensgemeinschaften geschehen kann. In der Tat werden meine Worte und Gedanken – Worte und Gedanken eines weißen, heterosexuellen Mannes aus der amerikanischen Mittelschicht – nie ganz die persönlichen Geschichten und die Verletzungen erfassen, die viele in sich tragen (vielleicht ja auch du). Abgesehen davon hat meine Arbeit als Pastor mein Denken wahrscheinlich auf eine Weise geprägt, die es mir niemals ganz erlauben wird, bestimmte Illusionen zu durchschauen.
Ich hoffe, dass ich das, was ich vielleicht an Einfluss und Bekanntheit habe, nutzen kann, um Menschen zu helfen, schädliche Praktiken hinter sich zu lassen, die anscheinend mit dem modernen Evangelikalismus verknüpft sind. Damit befinde ich mich in einer seltsamen Position, aber ich bin dort aus Überzeugung, weil mir euer Wohl am Herzen liegt! In vielen Ausdrucksformen des Glaubens gibt es ganze Welten von Schmerz, Angst und Manipulation, die unbedingt ein Ende finden müssen. Und so wünsche ich mir, dass die Worte in diesem Buch Stürme besänftigen, die besänftigt werden müssen, und Stürme entfesseln, die bestanden werden müssen.
Und schließlich ist es mein Herzenswunsch an euch, meine Leserinnen und Leser, dass die Menschen »am Rande«, die »Kirchenfernen«, wieder gestärkt werden. Nicht nur erreicht. Gestärkt. Dass sie Möglichkeiten zur Einflussnahme bekommen. Die Geschichten in diesem Buch repräsentieren eine wachsende Bevölkerungsgruppe, die sich (in vielen Fällen) für die richtigen Dinge einsetzt. Ich hoffe und bete, dass wir gemeinsam einen Glauben finden, der nach Jesus schmeckt, und uns mit nichts weniger zufriedengeben.
Preston
Nichts ist so weltlich, dass es nicht heilig sein könnte, und das ist eine der tiefsten Botschaften der Menschwerdung Christi.MADELEINE L’ENGLE, WALKING ON WATER
Hoffe nicht. Beobachte. Denn wenn du das tust, wirst du sehen, wie viele Wunder es auf dieser Welt tatsächlich gibt, und du wirst kein Zyniker mehr sein.FLORA IM FILM FLORA & ULYSSES
Mit dem Schreiben dieses Buches habe ich mich auf ein gefährliches Terrain begeben. Respektloses Terrain, auf dem nicht viel heilig ist.
Es hat mich überrascht, Christus dort zu finden.
Die zahllosen Stunden von Interviews und manchmal gefühlt nicht enden wollenden Gesprächen mit Christen und mit Menschen, die sich vom Glauben abgewandt haben, bargen immer ein Risiko. Von Glaubensgeschwistern hörte ich oft Bemerkungen wie diese:
»Wie willst du denn in deinem eigenen Glauben stark bleiben?«
»Pass auf, dass du nicht zum Skeptiker wirst.«
»Was ist, wenn ihre Fragen dich dazu bringen, dass du Atheist wirst?«
Durch meine Arbeit im Doubters’ Club bin ich solche Bemerkungen gewohnt. Sichere Räume zu schaffen, in denen Christen und Nichtchristen miteinander ins Gespräch kommen können, und dieses Gespräch zu moderieren, ist nicht unbedingt ein Weg, »auf Nummer sicher zu gehen«. Aber die Warnungen fühlten sich nach mehr an als nach einem bloßen Echo dieser Erfahrungen.
Anrufe, Mails und Textnachrichten mit diesem Inhalt drücken allesamt berechtigte Sorgen meiner evangelikalen Freunde aus. Sie wollten nicht miterleben, wie ich »von der Seite des Gekreuzigten auf die Seite derer wechselte, die ihn kreuzigen«, wie der Neutestamentler C. F. D. Moule formulierte.1 Aber auch von den Glaubensskeptikern bekam ich eine Reihe verschiedener Meinungen zu hören.
»Ihr Christen müsst erst einmal selbst die harte Realität eures Hasses erfahren!«
»Und wann hast du beschlossen, kein Christ mehr zu sein?«
»Wie um alles in der Welt kannst du in der kirchlichen Welt arbeiten und so denken, wie du es tust?«
Versteh mich nicht falsch. Ich habe mich nicht zwischen diesen beiden Lagern bewegt, damit eine gute Geschichte für dieses Buch dabei herausspringt. Vor einigen Jahren, als ich selbst in einem Prozess der Dekonstruktion steckte, habe ich verzweifelt nach einem Glaubenssystem gesucht, das in den Stürmen des Lebens nicht in Mitleidenschaft gezogen werden würde. Das theologische Gebäude, das ich geerbt hatte, war nicht mein eigenes, und ich wusste, dass es ein Problem mit dem Fundament gab. Es dauerte seine Zeit, aber schließlich hat mich die Geschichte von Jesus und seinem Leben überzeugt und mir Frieden geschenkt. Das Leben von Jesus – das ist jetzt der Eckpfeiler meiner Ansichten über Gott, die Bibel, die Hölle, Politik, Sexualität und jedes andere Tabuthema (und bei keinem davon sind die Evangelikalen die Marktführer). Dieses Projekt hat mich sehr weit zurückgeführt, bis zu meinem Fundament – dem Teil eines Hauses, den niemand bemerkt, solange er nicht bröckelt. Ich habe den christlichen Glauben keineswegs verworfen. Im Gegenteil, ich bin überzeugt, dass Jesus ein besseres Christentum verdient als das, was wir vielfach in der westlichen Welt sehen und das diese herzzerreißenden Geschichten hervorgebracht hat.
Wenn du genau hinsiehst, wirst du feststellen, dass Christen wie Nichtchristen oft schlicht übersehen, auf welche Weise Jesus seinen Glauben gelebt hat – nämlich indem er die Teile der Religion abgebaut hat, die die Menschen falsch verstanden hatten oder falsch lebten, um dafür die Liebe zu Gott und den Nächsten authentischer zum Ausdruck zu bringen. In mancher Hinsicht sind die Nicht-mehr-Christen weit hinter die Warnschilder für verbotenes Gelände hinausgegangen in das Gebiet des Glaubensabfalls. Diese Orte werden beim weiteren Lesen erkennbar werden. Aber nicht jeder, der das Etikett »Christ« vermeidet, hat einen jesuszentrierten Glauben hinter sich gelassen. Manche haben einen ziemlich verwirrenden (aber historisch betrachtet der christlichen Lehre entsprechenden) Ansatz, über ihren zu Glauben sprechen. Er ist losgelöst von allen dogmatischen und missbräuchlichen Ausprägungen des Fundamentalismus. Sie vermeiden das Etikett »christlich«, weil das Christentum zu sehr mit dem dogmatischen Fundamentalismus verwoben ist. Sie werden nie wieder evangelikal sein, aber sie beschäftigen sich ständig mit Jesus und seinen Aussagen und Taten. Ein Pastor, den ich kenne, der zu dieser Gruppe gehört, bezeichnete sich selbst als einen, der »durch« ist. »Ich bin durch mit dem Christentum, aber ich liebe Jesus«, sagte er mir. Und nachdem ich seine Geschichte des Missbrauchs durch seinen Vater, der Diakon in ihrer Gemeinde war, gehört habe, würde ich mich an seiner Stelle wohl auch nicht als Christ bezeichnen. Ich habe festgestellt, dass diese Gruppe von Leuten, die »durch« sind, zunehmend Mitgefühl für die Armen und Ausgegrenzten zeigt. Sie blühen auf angesichts von fehlenden Gewissheiten, von Geheimnisvollem und darin, Menschen Liebe zu zeigen. In vielen Fällen wurden bei diesen Menschen von Männern und Frauen in Machtpositionen Grenzen überschritten und es wurden ihnen Verletzungen zugefügt. Ihnen wurde gesagt, sie seien keine Christen, und zwar bevor sie sich entschieden, den Glauben hinter sich zu lassen.
Vor dem Ausstieg ins Exil geschickt.
Ausrangiert, weil sie mit Fragen und Positionen rangen.
Als »Problemfall« bezeichnet, weil sie Spannungen erkannten.
Und dann nicht beachtet, weil sie nicht mehr da waren.
Ich habe einmal gehört, wie der Pastor einer Megakirche zu Gemeindegründern sagte: »Macht euch keine Sorgen um die, die nicht gekommen sind. Liebt die, die gekommen sind.« Doch hier lautet die unbequeme Wahrheit für alle, die sich Christen nennen: Gott wird immer denen Beachtung schenken, die nicht kommen – deshalb hat er Jesus geschickt. Gott wird immer den Nicht-Überzeugten den Vorrang geben. Er wird immer Raum schaffen für die Ausgegrenzten, und er wird sich auf die Seite der Skeptiker stellen, wenn er kann. Die Bibel offenbart einen ganz anderen Gott als den, von dem sich so viele Menschen abgewandt haben. Der Gott, der uns in Jesaja 1,18 aufruft, darum zu streiten, wer im Recht ist, weiß, dass das Herz Gründe hat, die der Verstand nicht kennt. Das Herz braucht die Menschwerdung Gottes in Jesus, um davon überzeugt zu werden, dass es wirklich erkannt und wirklich geliebt ist. Das ist der eigentümliche Gott, den wir in Jesus Christus finden. Ein Weltenschöpfer, der Mensch wird!
Wer auch immer uns gesagt hat, dass Gott so heilig ist, dass er nicht in der Gegenwart der Sünde sein kann, hat sich geirrt. Eben weil Gott heilig ist, muss er wie ein Sünder werden, um die Sünder zu gewinnen. Der Theologe Dietrich Bonhoeffer hat darüber oft nachgedacht. »Gott schämt sich der Niedrigkeit des Menschen nicht, er geht mitten hinein, er wählt einen Menschen zu seinem Werkzeug und tut seine Wunder dort, wo man sie am wenigsten erwartet. Gott ist nahe der Niedrigkeit, er liebt das Verlorene, das Unbeachtete, Unansehnliche, das Ausgestoßene, das Schwache und Zerbrochene.«2
Wenn Gottes Plan, die zu erreichen, die scheinbar außerhalb seiner Reichweite liegen, die Menschwerdung war, sollten dann nicht alle unsere Versuche, die Verlorenen zu erreichen, dasselbe voraussetzen? Auf Armeslänge Abstand, aus der Sicherheit der Kirche3 heraus, kann nicht viel erreicht werden. Wir können auch nicht erwarten, dass Pastoren und Lehrer über das Maß dessen hinausgehen, das wir selbst nicht zu erkunden bereit sind.
Gott wusste, dass seine größte Chance, den Himmel zu bevölkern, darin bestand, einer von uns zu werden und alle Dimensionen des Menschseins zu durchleben. Und so gilt: »Dieser Hohe Priester versteht unsere Schwächen, weil ihm dieselben Versuchungen begegnet sind wie uns, doch er wurde nicht schuldig« (Hebräer 4,15). Wir brauchen keine direkte Begegnung mit Jesus von Angesicht zu Angesicht, um uns davon zu überzeugen, wie sehr wir geliebt sind. Aber Christus, der ohne Sünde war und als Mensch in die Welt kam, zeigt uns, dass Gott uns so liebt, wie wir sind, nicht, wie wir sein sollten.
Die Menschwerdung sagt uns, dass Gott uns liebt, keine Angst vor uns hat und möchte, dass wir keine Angst vor ihm haben. Wie also erklären wir diese Wahrheiten den Meistern des Misstrauens unserer Zeit? Den dekonstruierenden, desorientierten, unbeteiligten Skeptikern?
Wir werden wie sie, nur ohne die Skepsis.
Wenn wir lernen, mit den Augen unserer verlorenen Brüder und Schwestern zu sehen, werden wir immer überzeugendere Menschen. Und sobald wir den Gedanken ernst nehmen, dass Gott es für am vielversprechendsten hielt, einer von uns zu werden, um uns für sich zu gewinnen, werden wir den Gedanken ernst nehmen, dass wir vielleicht dasselbe tun müssen.
Für jede Gruppe, die wir für verloren, falsch informiert oder sogar unerreichbar halten, gilt: Gott lädt uns ein, in ihren Schuhen zu laufen. Ihre Sprache zu lernen. Ihr Essen zu essen. Wir müssen nicht nur ihre Namen kennen, sondern auch ihr Etikett teilen. Wenn es um die wachsende Zahl von Nicht- oder Nicht-mehr-Christen geht, die sich vom Glauben abwenden, müssen wir mit ihrer Realität in Berührung kommen. Wir müssen ihre Schwächen und Versuchungen kennen, aber alldem begegnen, ohne uns selbst vom Glauben abzuwenden. Dazu müssen wir wie ein Dekonstruierender denken und dem Leben wie ein Dekonstruierender begegnen. Die Bibel sagt uns, dass Jesus »nicht schuldig« geworden ist. Das bedeutet, dass Jesus das, was sich so weltlich anfühlt, aufgenommen und heilig gemacht hat. Wie schuldbeladen und weltlich uns eine Dekonversion, eine Abwendung vom Glauben, auch vorkommen mag – die rettende Gnade dafür besteht darin, selbst ein Dekonstruierender zu werden.
Dieses Buch ist eine Einladung an Christen, die verzweifelt versuchen, eine Beziehung zu ihren Freunden und Familienmitgliedern aufzubauen, die dem Christentum skeptisch gegenüberstehen. Wenn das auf dich zutrifft, dann lade ich dich zu einem Menschwerdungsprozess ein – um der Menschen willen, die noch nicht erfahren haben, wie Christus einen kritischen Geist einer Taufe unterziehen kann. Und so wie Gott in der Menschwerdung noch einmal verkündete, dass Männer und Frauen heilig sind, so müssen wir die Welt daran erinnern, dass das Dekonstruieren ebenfalls heilig ist. Wie unwissend sind wir doch, wenn wir Jesus in Bezug auf seine Worte folgen, aber nicht in seiner Menschwerdung.
Eines der wichtigsten Bücher, die ich je gelesen habe, war für mich der Titel Verkörperter Schrecken von Bessel van der Kolk. Aus diesem Buch habe ich mehr über die Ganzheitlichkeit meiner Existenz (Körper, Seele und Geist) gelernt als aus meinen über dreißig Seminaren. Der Autor stellt ein kühnes neues Leitbild für Heilung vor. Eine kurze Geschichte in diesem Buch erinnert uns alle daran, wie wirkungsvoll es sein kann, wenn sich jemand entscheidet, in den Schuhen eines anderen zu gehen:
In dieser Geschichte erzählt ein Mann, wie er sich mit einer Gruppe ehemaliger Marinesoldaten zu einem Erstgespräch trifft. Erst möchten sie nicht über den Krieg reden und so schweigen sie eine Weile. Dann fängt einer der Veteranen an, von seinem Hubschrauberabsturz zu sprechen, und auch die anderen steigen ein und erzählen emotional über ihre traumatischen Erfahrungen. Die Veteranen kommen auch die nächsten Wochen wieder, weil sie in der Gruppe Resonanz und Sinn finden in dem, was vorher für sie nur Gefühle des Schreckens und der Leere gewesen waren. Ihnen wurde der Gesprächsinitiator so wichtig, dass sie darauf bestanden, dass er Teil ihrer neu gegründeten Einheit werden sollte, und ihm eine Capitainsuniform der Marine schenkten.4
Van der Kolk greift diese Idee in einem Bericht über eine andere Erfahrung in der Arbeit mit Kriegsveteranen wieder auf. Sein Bericht endet mit den Worten: »Zu Weihnachten schenkten sie mir eine Armbanduhr aus den 1940er-Jahren, die von GIs stammte. Wie bei meiner Gruppe von Marines konnte ich nicht ihr Arzt sein, es sei denn, sie machten mich zu einem von ihnen.«5
Wir müssen denen ähnlich werden, denen wir helfen wollen. In diesem Fall könnte die Erneuerung des Denkens beinhalten, dass man alles, was man zu wissen glaubte, noch einmal überdenkt, um der Skeptiker willen (Römer 12,2). Wie Shane Parrish gesagt haben soll: »Das beste Denken ist das Überdenken.«
Dieses Buch vertritt die These, dass Dekonstruktion nicht nur eine Einladung ist, sondern auch ein heiliger Prozess, an dem du zusammen mit deinen nicht christlichen Freunden und Verwandten teilnehmen kannst. Ich vermute, falls du Christ bist, liest du diese Zeilen mit einer hochgezogenen Augenbraue, einem zur Seite geneigten Kopf und einer Liste von Einwänden. »Ich könnte mich auch gleich outen …«
Dekonstruktion ist ein Spezialgebiet Jesu, und die Anhänger Jesu täten gut daran, es sich zurückzuerobern. Das ist die zentrale, kontroverse These dieses Buches.
Zwar ist ein großer Teil dieses Buches der Frage gewidmet, was genau Dekonstruktion ist und inwiefern sie hilfreich ist, aber es gibt eine ziemlich klare Definition, die das Wesen des Begriffs erfasst. Dekonstruktion bedeutet, »eine Idee, eine Praxis, eine Tradition, einen Glauben oder ein System in kleinere Bestandteile zu zerlegen, um ihre Grundlage, ihren Wahrheitsgehalt, ihren Nutzen und ihre Auswirkungen zu untersuchen«.6
Dieses Buch will dich in die Denkweise eines Dekonstruierenden einladen. In eine Weltsicht, die dir ein großes Fassungsvermögen für Paradoxien verleiht. In einen geistigen Freiraum, der schwerer wiegt als unser Eigeninteresse, recht zu haben. Dazu, den christlichen Glauben als untrennbar von der christlichen Ethik zu betrachten. Denn was wir über Menschen denken, bestimmt tatsächlich, wie wir sie behandeln.
Ursprünglich wollte ich ein Buch schreiben, das die Dekonstruktion des Christentums der Rekonstruktion einer großzügig ausgelegten Glaubenslehre ausgewogen gegenüberstellt, sodass es für den zweifelnden Ex-Evangelikalen ansprechend ist. Ein Buch, in dem die Worte und Taten Jesu im Mittelpunkt stehen sollten. Und dazu kommen wir auch noch. Aber das wird nicht das Ziel unserer Reise sein. Ich bin zwar der festen Überzeugung, dass es das Ziel jeder Dekonstruktion sein sollte, zu einer jesuszentrierten Grundlage zu gelangen, aber ich glaube nicht, dass es darum geht, beide Aspekte in Einklang zu bringen. Nachdem ich mehr als sechzig Interviews für dieses Buch geführt habe, habe ich gelernt, dass Dekonstruktion eine Geistesdisziplin ist. Eine Methode für den nachdenkenden Jesus-Nachfolger. Offen gesagt, ist sie ein Weg, Christ zu bleiben.
Dekonstruktion ist so, als jäte man Unkraut in einem Blumenbeet. Es gibt Werkzeuge dafür und Arten und Weisen, um es erfolgreich zu tun. Und es muss ständig getan werden. Ansonsten wird die Schönheit Gottes durch die wilde Natur erstickt.
Mein Ziel ist es nicht, dir aufzuzeigen, was du dekonstruieren musst, sondern wie du es tun kannst. Es geht mir auch nicht darum, jemandem zu sagen, dass er ein stolzer, elitärer Denker werden müsse. Ganz im Gegenteil! Wenn wir anfangen, uns als etwas anderes zu identifizieren als ein Kind Gottes, hören wir auf, die zu sein, als die Gott uns geschaffen hat. Das gilt auch, wenn wir uns als »Dekonstruierenden« betiteln. Es ist höchst problematisch, wenn es zu unserem bestimmenden Identitätsmerkmal geworden ist. Ich hoffe, dass das Vermächtnis eines scharfen Verstandes von denen zurückerobert wird, die wissen, dass das Christentum mehr zu bieten hat als das, was wir derzeit erleben.
Für manche ist die Dekonstruktion des christlichen Glaubens nichts weiter als eine respektlose persönliche Irrfahrt. Für andere ist es die einzige Möglichkeit, überhaupt Christ zu sein. Wenn du selbst zu keinem dieser beiden Lager gehörst, dann kennst du sicher jemanden, auf den das zutrifft. Zum jetzigen Zeitpunkt ist das eine unvermeidliche Realität. Alle reden von Dekonstruktion, und so rasch wird sich das nicht ändern.
Vielleicht denkst du, das Hinterfragen des Christentums sei nichts weiter als eine »Lebensphase«. Eine Zeit, irgendwann in der Pubertät, in der Menschen Fragen nach Gott stellen.
Tun wir das nicht alle?
Und vielleicht bist du es gewohnt, dass die Kirche an diesem Punkt Zweiflern mit Apologetik begegnet. Ein paar Lektionen in Kleingruppen, vielleicht sogar eine Konferenz zum Thema »Wie man seinen Glauben verteidigt«, und zack!! Krise abgewendet. Als ich das letzte Mal nachgesehen habe, ist die Kirchenmitgliedschaft landesweit zum ersten Mal seit 1940 unter 50 Prozent gefallen. Über den Rückgang der Kirchenmitgliedschaft hinaus gibt es eine ständig wachsende Zahl von Amerikanern, die kein Interesse an Religion bekunden.7 Das zeigt: Es geht hier um mehr als um eine »Phase«.
Vielleicht ist Dekonstruktion für dich ein Modewort. Etwas, das ständig im Internet auftaucht. Es weckt ähnliche Empfindungen wie das Wort Kryptowährung. Du weißt, dass es sie gibt und dass wir uns alle damit befassen sollten, aber die Sache scheint zu kompliziert zu sein. Überlassen wir sie den Profis. Das einzige Problem dabei ist, dass die Profis diejenigen sind, die Dekonstruktion betreiben, und sie nehmen die Massen mit. Wenn man Schlagworte oft genug benutzt, werden sie normal.
Ich glaube, diesen Punkt haben wir erreicht.
Für viele Christen ist Dekonstruktion keine Phase und kein Modewort, sondern eine Gewohnheit. Es ist der Betriebsmodus ihres Gebetslebens und ihrer Bibellektüre. Es ist die unvermeidliche Spannung zwischen dem, was jemand zu glauben behauptet, und dem, was er tatsächlich glaubt, was Jesus vielleicht sagt. Möglicherweise beschreibt das dich. Dekonstruktion ist keine Kategorie – sie ist Teil deiner Denkweise. Du bist ein Dekonstruierender. Dein Verstand wägt alles ab. Und in letzter Zeit hat dich alles, was das evangelikale Christentum betrifft, runtergezogen. Die gute Nachricht ist: Du bist in guter Gesellschaft! Und die noch bessere Nachricht?
Du bist in der Gesellschaft von Jesus.
Jesus ist unser Reiseführer auf dieser Glaubensreise. Und ich hoffe, dass du immer wieder einen Seufzer der Erleichterung ausstößt, wenn du diese Seiten liest. Jesus zu folgen ist immer noch der beste Weg, und Hinterfragen ist erlaubt. Und wenn du erst einmal selbst von unserem dekonstruierenden Erlöser getröstet worden bist, kannst du die Methode, die ich auf den folgenden Seiten vorstelle, auch anderen als Trost anbieten.
In diesem Buch kommen viele Menschen zur Sprache, die mitten in dem Prozess stecken, ihre Geschichte zu verarbeiten. Und wo immer sie schließlich landen – zu dem, was sie werden, gehören Dekonstruktion und Rekonstruktion, der Abbau von Glaubensvorstellungen und der Wiederaufbau ihres Glaubens, als wesentliche Bestandteile hinzu.
Ich sollte dich auch noch etwas wissen lassen, was du vielleicht schon ahnst: Auch für mich selbst sind die Seiten dieses Buches ein Weg der Verarbeitung.
Weil ich mich an Christus gebunden habe, muss ich all die Geschichten und Statistiken ernst nehmen. Außerdem versuche ich herauszufinden, wie ich den Glauben an meine eigenen Kinder weitergeben kann. Ich habe ein persönliches Interesse an diesem Thema, weil ich möchte, dass meine Kinder die Wahrheit besser kennenlernen, als ich es getan habe. Mein Buch enthält einige erschütternde Geschichten, und ich möchte, dass meine Familie so etwas um jeden Preis vermeiden kann. Wenn sich dieses Buch also eher persönlich als wissenschaftlich anfühlt, liegt das daran, dass es das auch ist. Ich werde oft die Experten zitieren, aber ich schreibe nicht für sie. Dieses Buch ist für jeden Christen und jede Christin, die sich eine Glaubenslehre mit mehr Weite wünschen. Eine, die Zweifel bei sich und anderen zulässt und damit rechnet.
In seinem Buch The Anatomy of Deconversion stellt der Autor John Marriot fest:
Christen aller Couleur müssen darüber nachdenken, welche Art von Glauben sie an die Menschen weitergeben, denen sie dienen. Handelt es sich um ein zerbrechliches und aufgeblähtes Kartenhaus aus Kernaussagen des Glaubens und unseren eigenen, zur allein wahren Lehre erhobenen Mikrotraditionen, an die man glauben muss, um gerettet zu werden? … Die Ironie besteht darin, dass gerade die Mittel, die manche Kirchen eingesetzt haben, um ihre Gläubigen bei der Stange zu halten, erheblich zu deren Abkehr beigetragen haben.8
Wichtiger als die Stabilität der christlichen Lehre scheint die Fähigkeit zu sein, wie ein echter Christ zu lieben. Und das ist die Grundlage jeder Lehre, die wir anderen überhaupt vermitteln wollen! Nimm dieses Buch also als einen Versuch, den Dekonstruierenden in eine neue Zeit der Rekonstruktion hineinzulieben und Jesus genug zu lieben, um ihm selbst in eine solche neue Zeit zu folgen, sollte er uns in seiner unendlichen Weisheit auf diesen Weg einladen.
Ich habe den Eindruck, dass der Geist uns alle in eine Richtung führt, in der es darum geht, einen Glauben zu hinterfragen, der nicht funktioniert.
Ich muss mir immer wieder vor Augen führen, dass manche Vögel nicht dazu bestimmt sind, im Käfig zu leben.Ihr Gefieder ist einfach zu bunt. Und der Teil von dir, der weiß, dass es eine Sünde war, sie einzusperren, freut sich, wenn sie wegfliegen.RED (MORGAN FREEMAN), DIE VERURTEILTEN
Wer seine Leiche im Keller nicht loswird, bringt ihr am besten das Tanzen bei.GEORGE BERNARD SHAW, UNREIF
Jedes Mal, wenn ich gebeten werde, über das Thema Dekonstruktion zu sprechen, versuche ich im Vorfeld so viel wie möglich zu recherchieren, um herauszufinden, wer im Publikum sein wird. Wenn ich weiß, aus welcher Prägung die Christen kommen, die mir zuhören werden, hilft mir das, mögliche Einwände vorherzusehen. Die Dürftigkeit unserer Lehren wird in der Regel deutlich, wenn wir über Themen wie eine Reform des Christentums, verletzende Gemeindekulturen, geistlichen Missbrauch und darüber sprechen, warum wir auf Kritiker hören sollten. Zum einen mag das daran liegen, dass wir nicht glauben wollen, dass solche Scheußlichkeiten im Namen Gottes geschehen sein könnten. Zum anderen daran, dass wir, sollten wir diese Dinge als wahr anerkennen, zugeben würden, dass wir zu dem Problem beigetragen haben könnten. Wie auch immer, die einzelnen Bereiche der Dekonstruktion scheinen oft ein Tabuthema zu sein.
Für eine Veranstaltung wurde ich gebeten, einen einstündigen Vortrag unter der Überschrift »Heilige Dekonstruktion« zu halten. Die Veranstaltung fand in Nordkalifornien statt, wo man vernünftigerweise davon ausgehen kann, dass die Menschen über den Horizont ihrer eigenen Sichtweise hinausblicken – zumindest dachte ich das. Manchmal stelle auch ich Vermutungen darüber an, wie konservativ oder progressiv jemand ist, je nachdem, wo er wohnt. Ich hatte jedoch einen Saal voller Pastoren vor mir, und wie Upton Sinclair es ausdrückt: »Es ist schwierig, jemanden dazu zu bringen, etwas zu verstehen, wenn sein Gehalt davon abhängt, dass er es nicht versteht!«9
Da ich aus dem klimatisch extremeren Inland im Mittleren Westen kam, war ich überrascht, so viele Pastoren in Shorts oder Badehosen im Saal anzutreffen. Der Moderator las die kurze Zusammenfassung des Themas vor, die ich ihm einige Wochen zuvor geschickt hatte, was mir genug Zeit gab, mein Handy auszuschalten und einen Kaffeefleck auf meiner Hose zu bemerken, als ich nach vorn ging. Ich sprach vierzig Minuten lang darüber, inwiefern eine dekonstruierende Denkweise (in ihrer reinsten Form) mit der Denkweise von Jesus verwandt sein kann. Sobald mein Vortrag zu Ende war und die Fragerunde begann, schoss eine Hand aus der ersten Reihe in die Höhe wie eine Kugel aus dem Lauf. Leuten, die in der ersten Reihe sitzen und mutig genug sind, Fragen zu stellen, gehört immer meine Hochachtung.
»Danke, dass Sie hier sind«, begann der Fragesteller herzlich. Die Ruhe vor dem Sturm. »Dieses ganze Thema der Dekonstruktion erinnert mich an die Frage der Schlange an Eva: ›Hat Gott das wirklich gesagt?‹ Im Grunde empfehlen Sie den Menschen, Gottes Wort infrage zu stellen. Das ist die älteste Sünde überhaupt! Sie sagen uns, dass es gut ist, unseren Glauben zu dekonstruieren? Ich habe Jugendleiter, die das gerade tun, und es bringt sie dazu, die Bibel infrage zu stellen. Wie soll ich ihnen beim Dekonstruieren helfen, wenn es dazu führt, dass sie das infrage stellen, was die Bibel meiner Überzeugung nach sagt?«
Ich wollte gerade antworten, als ich merkte, dass das Verhör noch nicht zu Ende war. Der Mann fuhr fort: »Glauben Sie nicht, dass diese Dekonstruktionsmethode gefährlich ist, wenn sie dazu führt, dass die Jugendleiter die Bibel anders sehen? Wie können sie in unserer Gemeinde mitarbeiten, wenn wir nicht dasselbe glauben?«
Und zum Schluss stellte er eine Frage, die ich nie vergessen werde: »Was, wenn wir den Menschen beibringen, die Bibel durch die Brille Jesu zu lesen, und das dazu führt, dass wir alle unsere Meinung über die Aussagen der Bibel ändern?«
Ich muss sagen, ich habe selten eine so ehrliche, ungefilterte Frage gehört. Ich habe damals nicht vollständig erklärt, welche Auswirkungen diese Frage wirklich hat, aber ich habe mein Gegenüber wissen lassen, dass er den Sinn des Vortrags eindeutig verstanden hatte. Nichtssagende Antworten zu geben und ein paar einschlägige Bibelstellen zu zitieren, ist nicht die Antwort. Wir müssen bereit sein, den Menschen zu helfen, herauszufinden, was Jesus zu den Themen gesagt hat, mit denen sie ringen. Das bedeutet, dass wir bereit sein müssen, in diesem Prozess unsere eigene Interpretation der Bibel loszulassen.
Vielleicht fängst du dieses Buch mit dem gleichen Misstrauen und der gleichen Besorgnis wie mein Zuhörer aus der ersten Reihe an. Darf ich dir in diesem Fall eine neue Herangehensweise vorschlagen? Was, wenn die ultimative Tragödie nicht darin besteht, dass ein verlorener Mensch in die Hölle kommt, sondern darin, dass ein Christ dazu beigetragen hat, dass er dorthin kommt, indem er seine Neugier, seinen Geist des Wissen-Wollens, unterbunden hat?
Vielleicht glaubst du nicht, dass Jesus den Prozess einer heiligen Dekonstruktion gutheißen würde. Dann könnte es helfen, sich anzuschauen, inwiefern die Version des christlichen Glaubens, die dir so viel bedeutet, das Ergebnis von Dekonstruierenden ist, die dir vorangegangen sind. Die »Wolke der Zeugen« bezeugte etwas ganz anderes als die Erscheinungsformen der Religion ihrer Zeit.
Was, wenn die Dekonstruktion von Religion zu unserem geistlichen Erbe gehört? Wenn sie sozusagen zu unserer geistlichen DNA gehört?
Wenn wir unsere Religion oder unseren Glauben dekonstruieren, dann hinterfragen wir nicht, was Gott gesagt hat. Wir hinterfragen das, von dem andere sagen, dass Gott es gesagt habe.
Wir leben in einer historischen Zeit! Ich meine damit nicht, dass sich künftige Generationen an sie in besonderer Weise erinnern werden (vielleicht auch das). Ich meine, wir sind an einem Punkt, an dem wir schon einmal waren.
Wenn du dich jemals mit den Faktoren beschäftigt hast, die zu früheren Reformationen und Reformbewegungen in der Kirche führten, wirst du festgestellt haben, dass vieles davon sich ähnlich anhört wie das, was wir über die Dekonstruktionsbewegung unserer Tage hören. Vielleicht klingt eine der folgenden Beschreibungen vertraut:
Kirchenvertreter befürchten, wenn Menschen selbst die Bibel auslegen dürfen, könnten sie auf Abwege geraten.Die Infragestellung der Lehre geht von Leuten aus, die ihr Leben der Religion verschrieben haben.Es sind neue Ressourcen und Plattformen entstanden, um die Verbreitung solcher Nachrichten zu beschleunigen.Die Vertreter der etablierten Kirchen diskreditieren die Stimmen, die nach einer radikalen Reformation verlangen – einer Veränderung, die uns einen Gott wiedergibt, der Jesus ähnlich ist.
Wenn du das liest und Protestant bist, beschreiben diese Sätze die Geschichte deiner Vorfahren, nicht die deiner Gegner.
Es sind uralte Echos aus einer Zeit Jahrhunderte vor uns.
Es ist der Klang deines geistlichen Exodus.
Wenn man nur fünfhundert Jahre zurückblickt, stößt man auf eine Gestalt, die die Landschaft des Christentums radikal verändert hat. Bis ins 16. Jahrhundert hüteten die Vertreter der Kirche ihr alleiniges Recht, die Bibel auszulegen, um ihre Finanzen, Traditionen und Machtstrukturen zu stärken … bis ein unbekannter Mönch beschloss, das alles infrage zu stellen. Du nennst ihn vielleicht einen Reformator. Ich bezeichne Martin Luther gerne als einen Dekonstruierenden.