Anders handeln können - Oliver Hallich - E-Book

Anders handeln können E-Book

Oliver Hallich

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Beschreibung

Anders-handeln-Können ist eine zentrale Kategorie in der Willensfreiheitsdebatte. Im Allgemeinen gehen wir davon aus, dass Freiheit ein Anders-handeln-Können und Verantwortlichkeit Freiheit, also ebenfalls die Möglichkeit, anders handeln zu können, voraussetzt. In diesem Buch wird gezeigt, dass und wie eine genaue Untersuchung der Verwendungsweisen von Ausdrücken wie »Sie hätte Anders handeln können« zur Lösung der unter der Rubrik »Willensfreiheitsproblematik« diskutierten Probleme beitragen kann. Aus einer Analyse der in der Literatur meist übersehenen Differenz zwischen indikativischen (»Sie konnte anders handeln«) und konjunktivischen (»Sie hätte Anders handeln können«) Redeweisen über das Anders-handeln-Können werden verschiedene Weisen des Anders-handeln-Könnens abgeleitet und es wird gezeigt, wie sich Fragen wie »Konnte sie anders handeln?« beantworten lassen. Es zeigt sich, dass wir bei der Diskussion des Problems von Willensfreiheit und Verantwortlichkeit besser damit beraten sind, statt über Freiheit über Anders-handeln-Können, Fähigkeiten und die Zumutbarkeit von Willensbildungen zu sprechen. Der Text richtet sich an alle an der Willensfreiheitsdebatte interessierten ExpertInnen und Laien, insbesondere an die an einer sprachanalytischen Diskussion dieses Problems Interessierten.

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Oliver Hallich

Anders handeln können

Ein sprachphilosophischer Essay

Meiner

Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der

Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische

Daten sind im Internet über ‹http://portal.dnb.de› abrufbar.

eISBN (PDF) 978-3-7873-4247-1

eISBN (ePub) 978-3-7873-4293-8

© Felix Meiner Verlag Hamburg 2022. Alle Rechte vorbehalten. Dies gilt auch für Vervielfältigungen, Übertragungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen, soweit es nicht §§ 53, 54 UrhG ausdrücklich gestatten. Konvertierung: Bookwire GmbH

INHALT

Einleitung

I. Anders-Handeln-Können im Kontext der Freiheitsdebatte

1. Anders-Handeln-Können, Freiheit, Verantwortlichkeit – Ausgangsintuitionen

2. Kompatibilismus und die Falls-Gebundenheit von »können«

3. Anders-Handeln-Können und Verantwortlichkeit – das Frankfurt-Szenario

II. »Sie hätte anders handeln können«, »Sie konnte anders handeln«, »She could have acted otherwise« – Einige sprachliche Klärungen

1. »Sie konnte anders handeln« vs. »Sie hätte anders handeln können«

2. Einige Konsequenzen der Unterscheidung

3. Anders-Handeln-Können und Möglichkeiten

4. Die Mehrdeutigkeit von »Sie hätte anders handeln können«

5. »Sie hätte anders handeln können« versus »She could have acted otherwise«

6. Externe und interne irrealisierende Bedingungen

7. Irrealisierungen und Pseudo-Irrealisierungen

III. Vier Weisen des Anders-Handeln-Könnens

1. Von »Sie hätte anders handeln können« zu »Sie konnte (nicht) anders handeln«

2. Anders-Handeln-Können (1): Externe Könnensirrealisierungen

3. Anders-Handeln-Können (2): Interne Könnensirrealisierungen

4. Anders-Handeln-Können (3): Externe Handlungsirrealisierungen

5. Anders-Handeln-Können (4): Interne Handlungsirrealisierungen

IV. Anders-Wollen-Können

1. Das Regressproblem

2. Die Lösung des Regressproblems

3. Zumutbarkeit statt Wollen-Können

4. Fehlende Zumutbarkeit (1): Fehlende Fähigkeiten

5. Fehlende Zumutbarkeit (2): Unzumutbarkeit der Ausübung einer Fähigkeit

V. Anders-Handeln-Können und Verantwortlichkeit

1. Anders-Handeln-Können, Vorwürfe und Verteidigungen

2. Zwei Weisen des Nicht-anders-Handeln-Könnens

3. Nochmals: Das Frankfurt-Szenario

4. Zwei Kompatibilismen und Inkompatibilismen

Schlussbemerkungen

Anmerkungen

Literatur

EINLEITUNG

It appears to me that in Ethics, as in all other philosophical studies, the difficulties and disagreements, of which its history is full, are mainly due to a very simple cause: namely to the attempt to answer questions, without first discovering precisely what question it is which you desire to answer. I do not know how far this source of error would be done away, if philosophers would try to discover what question they were asking, before they set about to answer it […]. But I am inclined to think that in many cases a resolute attempt would be sufficient to ensure success; so that, if only this attempt were made, many of the most glaring difficulties and disagreements in philosophy would disappear.1

George Edward Moores vor fast 120 Jahren im Vorwort zu den Principia Ethica ausgesprochene Mahnung, man möge sich, bevor man eine Frage zu beantworten sich anschickt, auf die Bedeutung der in dieser Frage verwendeten Ausdrücke besinnen, hat nichts von ihrer Aktualität verloren. Wer eine Frage beantworten will, tut, wenn er Konfusionen vermeiden will, gut daran, sich Gedanken darüber zu machen, wonach er eigentlich fragt, und das erfordert eine gründliche Reflexion auf das sprachliche Material und die Ausdrücke, die er verwendet, wenn er diese Frage stellt. Dies gilt auch für die anhaltend lebhafte Debatte um Willensfreiheit, Anders-Handeln-Können und Verantwortlichkeit. Die vorliegende Abhandlung stellt den Versuch dar, die Fragen, die bei der Erörterung dieser miteinander verbundenen Themen gestellt werden, zu präzisieren, indem einige Verwendungsweisen von Ausdrücken, mit denen über Anders-Handeln-Können gesprochen wird, geklärt und voneinander abgegrenzt werden.

Ihr Ausgangspunkt ist die Verwunderung darüber, dass in der deutschsprachigen Diskussion über Willensfreiheit und Anders-Handeln-Können beim globalen Sprechen über »Anders-Handeln-Können« eine Unterscheidung, die ebenso augenfällig wie folgenreich ist, allenfalls en passant registriert, aber weder präzise bestimmt noch in ihren Konsequenzen verfolgt wird, nämlich die Unterscheidung zwischen indikativischen Aussagen (»Sie kann anders handeln«, »Sie konnte anders handeln«) und konjunktivischen Aussagen (»Sie könnte anders handeln«, »Sie hätte anders handeln können«). Im Zentrum der Abhandlung steht der Versuch, diese Unterscheidung zu erläutern und zu zeigen, welche Konsequenzen sich aus ihrer Beachtung für unser Verständnis von Freiheit, Anders-Handeln-Können und Verantwortlichkeit ergeben. Kapitel I hat eine anmoderierende Funktion und verzichtet noch auf die im Bereich dieser Redeweisen nötigen Differenzierungen. Hier soll gezeigt werden, welche Relevanz Ausdrücken wie »Sie hätte anders handeln können« und »Sie konnte anders handeln« im Rahmen der Diskussion um Freiheit und Willensfreiheit zukommt und in welchen Diskussionszusammenhängen sie eine Rolle spielen. In Kapitel II wird die genannte Differenz zwischen indikativischen und konjunktivischen Aussagen erläutert. Es wird gezeigt, wie diese Verwendungsweisen von »anders handeln können« voneinander zu unterscheiden sind und welche Konsequenzen sich daraus für das Verständnis des Anders-Handeln-Könnens ergeben. Daraus werden vier Weisen des Anders-Handeln-Könnens abgeleitet, die in Kapitel III genauer dargestellt werden. Kapitel IV erörtert das mit dem Problem des Anders-Handeln-Könnens zusammenhängende, aber davon auch zu unterscheidende Problem des Anders-Wollen-Könnens. Hier wird dafür plädiert, dass wir die Frage, ob jemand anders wollen kann, als er will, als Frage danach auffassen sollten, ob einer Person ein anderes Wollen zumutbar ist. Dies bedeutet, dass die Beantwortung dieser Frage an eine soziale Praxis von normativen Erwartungen und Zumutbarkeitskriterien gebunden wird. In Kapitel V schließlich wird nach dem Zusammenhang von Anders-Handeln-Können und Verantwortlichkeit gefragt. Bezugnehmend auf das viel diskutierte »Frankfurt-Szenario« wird gezeigt, in welchem Sinne Verantwortlichkeit Anders-Handeln-Können voraussetzt, und es wird gefragt, ob wir von einer Person sagen können, dass sie nicht anders handeln konnte und gleichwohl für das, was sie tat, verantwortlich ist. In den Schlussbemerkungen wird die Argumentation zusammengefasst, und es wird die These verteidigt, dass wir, um die traditionell unter der Rubrik »Willensfreiheitsproblematik« erörterten Probleme zu diskutieren, auf die Verwendung der Ausdrücke »Freiheit« und »Willensfreiheit« verzichten können und sollten.

Für hilfreiche Gespräche und wertvolle kritische Rückmeldungen zu früheren Fassungen dieses Textes danke ich Dieter Birnbacher, Carl Friedrich Gethmann, Susanne Hiekel, Geert Keil, Felicitas Krämer, Alina Omerbasic-Schiliro, Jacob Rosenthal, Neil Roughley, Julius Schälike und insbesondere Peter Stemmer. Für eine sehr angenehme Zusammenarbeit und seine Bereitschaft, diesen Text in die Blaue Reihe aufzunehmen, gilt mein Dank Marcel Simon-Gadhof vom Meiner-Verlag.

I. ANDERS-HANDELN-KÖNNEN IM KONTEXT DER FREIHEITSDEBATTE

1. Anders-Handeln-Können, Freiheit, Verantwortlichkeit – Ausgangsintuitionen

Es besteht kein Zweifel, dass das Verständnis des Satzes »Sie hätte anders handeln können« im Kontext der Willensfreiheitsproblematik von zentraler Wichtigkeit ist. Die Frage, ob jemand anders hätte handeln können, als er gehandelt hat, wird im Allgemeinen in Verbindung mit zwei anderen zentralen Fragen erörtert, nämlich zum einen derjenigen, ob der Mensch frei oder, spezifischer, willensfrei ist, und zum anderen derjenigen, ob er für sein Tun verantwortlich ist und (staatliche oder informelle) Sanktionen als Reaktionen auf Fehlverhalten und Normverstöße gerechtfertigt sind.

In Bezug auf den Zusammenhang von Freiheit und Anders-Handeln-Können2 wird meist von folgender Intuition ausgegangen: Anders-Handeln-Können ist eine Voraussetzung für Freiheit. Wer nicht anders handeln kann, als er handelt, ist nicht frei. Wer nicht anders wollen kann, als er will, ist nicht willensfrei. Wer eine ausführliche Abhandlung über Freiheit schreiben wollte, müsste natürlich an dieser Stelle zwischen verschiedenen Freiheitsbegriffen differenzieren und sich vor allem um eine Systematisierung dessen, was unter der Überschrift »Freiheitsproblem« erörtert wird, bemühen. Willensfreiheit ist nicht dasselbe wie (z. B.) politische Freiheit, und natürlich ist das Freiheitsproblem nicht mit dem Problem der Willensfreiheit zu identifizieren. Da aber in der folgenden Abhandlung die Kategorie des Anders-Handeln-Könnens untersucht werden soll, können wir es an dieser Stelle bei der Feststellung belassen, dass, wie auch immer genau man das Freiheitsproblem und das Willensfreiheitsproblem voneinander abgrenzt, in beiden Kontexten die Kategorie des Anders-Handeln-Könnens zentral ist. Was auch immer wir unter Freiheit verstehen, wir setzen dabei Anders-Handeln-Können voraus. Am Ende dieser Abhandlung wird, ausgehend von dieser Einsicht, die These stehen, dass wir weder über das Freiheitsproblem noch über das Willensfreiheitsproblem diskutieren, sondern uns auf die Untersuchung des Anders-Handeln-Könnens beschränken sollten. Eine Differenzierung zwischen verschiedenen Freiheitsbegriffen ist daher an dieser Stelle verzichtbar.

Der Zusammenhang von Freiheit und Anders-Handeln-Können wird häufig auch so formuliert: Freiheit hat nur, wer auch andere Möglichkeiten hat, und nur wer anders handeln kann, hat auch andere Möglichkeiten. Wer hingegen z. B. unter Zwang handelt, hat keine anderen Möglichkeiten. Er kann nicht anders handeln, als er es tut. Er ist daher unfrei. Die Bankkassiererin, die, konfrontiert mit der Drohung »Geld oder Leben!«, dem Bankräuber das Geld gibt, hat, so sagen wir häufig, »keine andere Wahl«, als ihm das Geld zu geben, und ist insofern unfrei. Wer also Freiheit generell bestreiten will, wird zu bestreiten versuchen, dass Menschen anders handeln können, als sie handeln, oder – wenn er Willensfreiheit bestreiten will – dass Menschen anders wollen können, als sie es tun. In diesem Sinne haben z. B. in jüngerer Zeit einige Hirnforscher einen Angriff auf die Annahme menschlicher Freiheit – womit im Allgemeinen Willensfreiheit gemeint ist – in Form des Nachweises versucht, dass wir nicht anders handeln können, als wir es tun, weil »neuronale Verschaltungen« unsere Entscheidungen »determinieren« und unser Handeln genauso unausweichlich und notwendig machen würden wie Naturereignisse. Da wir nicht anders handeln können, als wir handeln, sind wir, so der Tenor ihrer Argumentation, – unserer gegenläufigen Selbstwahrnehmung und einer prima facie plausiblen Ausgangsintuition zum Trotz – unfrei.3

Auf ähnliche Weise wie mit der Freiheitsfrage wird Anders-Handeln-Können im Allgemeinen mit der Frage nach Verantwortlichkeit verknüpft. Mit »Verantwortlichkeit« ist dabei nicht kausale Verantwortlichkeit, sondern moralische Verantwortlichkeit gemeint, also eine Verantwortlichkeit, die unterstellt, dass Menschen frei und absichtlich – oder, wenn nicht absichtlich, dann auf andere Weise vorsätzlich oder fahrlässig – handelnde Akteure sind, die deswegen für ihr Tun zur Rechenschaft gezogen und gegebenenfalls negativen Reaktionen wie Tadel oder anderen (sozialen oder staatlichen) Sanktionen ausgesetzt werden können. Moralische Verantwortlichkeit, so heißt es oft, setzt Anders-Handeln-Können voraus.4 Genauer: Moralische Verantwortlichkeit wird im Allgemeinen mit Freiheit und diese wiederum mit Anders-Handeln-Können verknüpft; d. h. es wird gesagt, dass moralische Verantwortlichkeit Freiheit voraussetzt und Freiheit wiederum Anders-Handeln-Können, so dass auch moralische Verantwortlichkeit Anders-Handeln-Können voraussetzt. Nur wer frei gehandelt hat, ist moralisch verantwortlich. Und nur wer anders handeln konnte, hat frei gehandelt. Also gilt auch: Nur wer anders handeln konnte, als er gehandelt hat, ist moralisch verantwortlich. Konnte jemand nicht anders handeln, als er gehandelt hat, kann man ihn auch nicht berechtigterweise negativen Reaktionen aussetzen. Wer aufgrund seiner schwächlichen Konstitution einen schweren Koffer nicht auf die Gepäckablage heben kann, dem wird man es nicht als Unhöflichkeit vorwerfen, wenn er der Bitte, dies zu tun, nicht nachkommt. Wer sich nicht gegen Corona impfen lassen kann, weil gar kein Impfstoff zur Verfügung steht, dem ist auch keine Impfverweigerung vorzuwerfen. Wer dem verunglückten Autofahrer nicht hilft, weil dieser im Unfallauto eingeklemmt ist und er keinen Zugang zu ihm hat, dem ist keine unterlassene Hilfeleistung vorzuwerfen. In diesen Fällen, so scheint es, gilt: Jemand konnte nicht anders, als das zu tun, was er tat, und daher wäre es unangebracht, ihn als jemanden anzusehen, der die Handlung frei vollzogen hat und für sie zur Verantwortung gezogen werden kann.

Im Allgemeinen gehen wir also von den Annahmen aus, dass jemand anders handeln können muss, um frei zu handeln, und dass jemand auch nur dann moralisch verantwortlich ist, wenn er frei handelt, also anders handeln kann. Dies ist ein verbreitetes intuitives Vorverständnis des Zusammenhangs von Anders-Handeln-Können, Freiheit und Verantwortlichkeit.

2. Kompatibilismus und die Falls-Gebundenheit von »können«

Wie präzisierungsbedürftig die genannte, intuitiv einleuchtende Verhältnisbestimmung von Freiheit und Anders-Handeln-Können ist, wird allerdings unmittelbar deutlich, wenn man die Annahme zu hinterfragen beginnt, dass Freiheit Anders-Handeln-Können voraussetzt. Ist das wirklich der Fall? Oder ist es nicht vielmehr möglich, dass jemand nicht anders handeln konnte, aber gleichwohl über Freiheit oder zumindest eine bestimmte Form von Freiheit verfügte?

Dass Nicht-anders-Handeln-Können zumindest eine bestimmte Form von Freiheit nicht ausschließt, ist eine Position, die üblicherweise als »kompatibilistisch« gekennzeichnet wird. Sie wird häufig durch die Formel wiedergegeben, dass »Freiheit und Notwendigkeit miteinander vereinbar« seien, wobei vorausgesetzt wird, dass Nicht-anders-Handeln-Können mit Notwendigkeit gleichzusetzen sei und dass wir zwischen »Er konnte nicht anders handeln, als er gehandelt hat« und »Er hat notwendig so gehandelt, wie er gehandelt hat« nicht weiter differenzieren müssten. Dem Kompatibilismus wird dann der Inkompatibilismus gegenübergestellt, der, so heißt es, die Unvereinbarkeit von Freiheit und Notwendigkeit behaupte. Die Debatte zwischen Kompatibilismus und Inkompatibilismus betrifft also die Frage der Vereinbarkeit von Freiheit und Notwendigkeit, wobei Kompatibilisten und Inkompatibilisten sich hinsichtlich der Frage, ob wir frei sind oder nicht – also der Frage, die zwischen Deterministen und Libertaristen strittig ist –, grundsätzlich auch agnostisch verhalten können. Man kann behaupten, dass wir frei sind, auch wenn wir nicht anders handeln können, als wir es tun, ohne zu behaupten, dass wir nicht anders handeln können, als wir es tun. Man ist dann Kompatibilist, legt sich aber nicht hinsichtlich der Frage fest, ob ein Determinismus zutrifft, ob also menschliche Handlungen in dem Sinne »determiniert« sind, dass niemand anders handeln kann, als er es tut. Und man kann behaupten, dass, wenn wir frei sind, diese Freiheit erfordert, dass wir anders handeln können (also ausschließt, dass wir nicht anders handeln können, als wir handeln), ohne zu behaupten, dass wir frei sind. Man ist dann Inkompatibilist, legt sich aber ebenfalls nicht hinsichtlich der Frage fest, ob wir frei sind oder ob der Determinismus zutrifft.5

Es gibt zahlreiche Varianten kompatibilistischer Positionen, und es gibt zahlreiche mögliche Strategien, einen Kompatibilismus zu begründen.6Eine dieser Strategien besteht darin, verschiedene Bedeutungen von »können« voneinander zu unterscheiden und zu sagen, dass jemand in einer bestimmten Bedeutung von »können« nicht anders handeln konnte, als er gehandelt hat, dass er hingegen in einer anderen Bedeutung von »können« sehr wohl anders handeln konnte, als er gehandelt hat. So unterscheidet Peter Stemmer zwischen einem »Können1«, das er – sehr unglücklich – »Können der Macht« nennt7 und das ich im Folgenden »Können der Umstände« nennen werde, und einem »Können2«, das er als »Können tout court« bezeichnet. Der Unterschied zwischen Können1 und Können2 ist folgender. Mit dem Können1 blicken wir nur auf die Umstände einer Situation, auf das, was sie zulassen oder nicht zulassen. Wir blicken aber nicht auf das Wollen eines Akteurs. Wir fragen, ob die Umstände etwas möglich oder unmöglich machen, wobei die Umstände nur als Teil der gesamten Situation aufgefasst werden. Wir können1 etwas tun, wenn die Umstände es erlauben. Das Können2 bezieht hingegen alle kausalen Faktoren mit ein. Es bezieht sich also auch auf das Wollen eines Akteurs. Fragen wir, ob jemand im Sinne des Könnens2 etwas tun kann oder nicht, wird auch die Frage relevant, was ein Akteur will, und es spielt dann auch eine Rolle, ob sein Wollen determiniert ist. Von diesen Fragen sehen wir hingegen gerade ab, wenn wir fragen, ob jemand im Sinne des Könnens1 etwas tun kann. Ist ein Determinismus zutreffend, kann er im Sinne des Könnens2 nichts anderes tun als das, was er tut. Dies schließt nicht aus, dass er im Sinne des Könnens1 durchaus etwas anderes tun kann als das, was er tut. Die Pointe der Unterscheidung zwischen Können1 und Können2 ist also, dass es kein Widerspruch ist, in einem Sinne von »können« von jemandem zu sagen, dass er nicht anders handeln kann, und in einem anderen Sinne von »können« von ihm zu sagen, dass er anders handeln kann. Das Können der Umstände (das Können1) kann bestehen bleiben, auch wenn das Können tout court aufgehoben ist.8 Wenn ich determiniert bin, heute zur Arbeit zu gehen statt zu Hause zu bleiben, kann ich (im Sinne des Könnens tout court) nicht anders, als zur Arbeit zu gehen, trotzdem kann ich im Sinne des Könnens der Umstände zur Arbeit gehen, und ich kann es bleiben lassen.

Die Vorstellung, dass sich ein solches Können der Umstände – Stemmers Können1 – ausgrenzen und als resistent gegenüber einem Nicht-Können im Sinne des Könnens tout court erweisen lässt, scheint zunächst unproblematisch zu sein. Vor mir steht ein Glas Rotwein und ein Glas Weißwein, und die Umstände sind normal. Man würde sagen: Ich kann jetzt Rotwein trinken, und ich kann Weißwein trinken. Die Umstände gestatten es. Es gibt nichts, was mich daran hindert, Rotwein zu trinken. Also kann ich es tun. Es gibt auch nichts, was mich daran hindert, Weißwein zu trinken. Also kann ich auch dies tun. Und man würde dies vermutlich auch dann sagen, wenn angenommen wird, dass ich im Sinne des Könnens tout court nicht anders kann, als das eine von beiden zu tun. Setzen wir die Wahrheit des Determinismus voraus, gilt, dass, wenn ich mich für Rotwein entscheide, ich nicht anders kann, als mich für Rotwein zu entscheiden; ich muss es tun. Aber das scheint nichts daran zu ändern, dass ich angesichts der Umstände sowohl Rotwein als auch Weißwein trinken kann. Die Umstände lassen das eine wie das andere zu. Das Können der Umstände »überlebt« gleichsam die Verneinung des Könnens tout court.

Bei näherem Hinsehen entpuppt sich diese Vorstellung eines »Könnens der Umstände« allerdings als sehr problematisch. Was genau meint jemand, der in der geschilderten Situation sagt: »Ich kann Rotwein trinken«? Setzen wir voraus, dass das »Können« hier im Sinne des »Könnens der Umstände«, nicht im Sinne des Könnens tout court aufzufassen ist, liegt es nahe, diesen Satz durch einen Wenn-Satz zu erläutern, wobei grundsätzlich zwei Möglichkeiten in Betracht kommen:

(i)

Wenn ich Rotwein trinken will, kann ich Rotwein trinken.

(ii)

Wenn ich Rotwein trinken will, werde ich Rotwein trinken.

In (i) ist im Consequens von einem Können, in (ii) von einem Tun die Rede.9 Es ist offensichtlich, dass mit (i) für die Erläuterung von »Ich kann Rotwein trinken« nichts gewonnen ist, denn hier taucht »können« auch im Definiens auf, und es wird ein Können durch ein anderes Können erläutert. In keiner der möglichen Bedeutungen von »wenn« ist (i) eine überzeugende Wiedergabe der Bedeutung von »Ich kann Rotwein trinken«. Fassen wir »wenn« in (i) konditional auf, gilt: Wer sagt, dass er Rotwein trinken kann, will gerade nicht sagen, dass sein Können durch sein Wollen bedingt ist; er sagt vielmehr, dass er, ganz unabhängig davon, ob er es will oder nicht, Rotwein trinken kann. Fassen wir »wenn« in (i) temporal (wie in »Immer wenn es schneit, geht es mir gut«) auf, gilt: Wer sagt, dass er Rotwein trinken kann, will auch nicht sagen, dass er immer dann, wenn er Rotwein trinken will, es auch tun kann (wenngleich er das auch nicht abstreiten würde). Er will nicht sagen, wann er Rotwein trinken kann. Er will einfach sagen, dass er es tun kann. Die Frage, was »können« in »Ich kann Rotwein trinken« bedeutet, bleibt unbeantwortet, wenn man den Satz durch (i) erläutert.

Ist die Bedeutung von »Ich kann Rotwein trinken« also durch (ii) zu erläutern? Auch dieser Vorschlag überzeugt nicht. Gegen ihn lässt sich in leicht modifizierter Form das Moore’sche Argument der offenen Frage ins Feld führen.10 Wenn es stimmt, dass ich, wenn ich Rotwein trinken will, Rotwein trinken werde – wenn also (ii) zutrifft –, ist es immer noch eine offene, d. h. nichttriviale und ohne Sprachwidrigkeit stellbare Frage, ob ich Rotwein trinken kann. Daher kann die Bedeutung von »Ich kann Rotwein trinken« nicht durch (ii) wiedergegeben werden. Etwas allgemeiner: Wer sagt: »Wenn ich X will, werde ich Y tun«, macht eine Prognose über sein eigenes zukünftiges Verhalten. Er sagt etwas darüber, was er tun wird, wenn etwas anderes der Fall sein wird. Aber wir können diese Prognose akzeptieren, ohne dass die Frage, ob die Person das, wovon sie sagt, dass sie es unter bestimmten Bedingungen tun wird, auch tun kann, dadurch zu einer geschlossenen Frage wird. Wenn ich mein Leben ändern will, werde ich es tun. Ob ich aber mein Leben ändern kann, so könnte etwa eine Deterministin (und nicht nur sie) argumentieren, ist damit noch nicht beantwortet; es hängt vielmehr davon ab, ob ich es auch wollen kann. Entweder wird also »Ich kann Rotwein trinken« so definiert, dass im Definiens selbst »können« auftaucht, womit für die Erläuterung des »Könnens der Umstände« nichts gewonnen ist, oder dieses Problem wird vermieden; dann aber wird »Ich kann Rotwein trinken« durch ein hypothetisches Konditional erläutert, das man akzeptieren kann, ohne den zu erläuternden Satz »Ich kann Rotwein trinken« für wahr zu halten. In beiden Fällen gelingt es nicht, die Bedeutung des »Könnens der Umstände« – des »Könnens1« bei Stemmer – wiederzugeben.

Eine Möglichkeit, dieses »Können1« zu retten, bleibt bestehen. Man kann hier schlicht eine Bedeutung von »können« postulieren, die es ermöglicht, auch dann, wenn wir etwas im Sinne des Könnens tout court nicht tun können, zu sagen, dass wir es in dieser anderen Bedeutung von »können« sehr wohl tun können. Man kann stipulieren, dass es dieses »Können der Umstände« gibt, und eine solche Stipulation findet auch eine Grundlage in der Alltagssprache, denn tatsächlich sagen wir häufig etwas wie: »Die Umstände gestatten es mir nicht, also kann ich es nicht tun« oder: »Die Umstände erlauben es ihr, also kann sie es tun«. Und wir könnten zweifellos etwas sagen wie: »Die Umstände erlauben mir, Rotwein zu trinken, also kann ich es tun, auch wenn ich es im Sinne des Könnens tout court nicht tun kann, weil (z. B.) meine Entscheidung, Weißwein zu trinken, determiniert ist«. Allerdings: Wenn wir von »den Umständen« sagen, dass sie uns etwas »erlauben« oder »verbieten« oder »gestatten«, also etwa sagen: »Die Umstände erlauben es mir, Rotwein zu trinken« oder »Die Umstände verbieten es mir, einen Spaziergang zu machen«, dann sind dies metaphorische Redeweisen. Wir sprechen von den Umständen so, als würden sie uns etwas gebieten, verbieten, erlauben oder gestatten. Die Umstände sind aber keine Gesetzgeber. Sie gestatten, erlauben und verbieten nichts. Sie sind einfach so, wie sie sind. Es ist daher plausibel anzunehmen, dass die Attraktivität der Vorstellung eines ausgrenzbaren »Könnens der Umstände« auf einer sprachlichen Irreführung beruht, nämlich darauf, dass wir dazu neigen, personifizierend von »den Umständen« als von Gesetzgebern zu sprechen, und die daraus resultierenden metaphorischen Redeweisen nicht als solche durchschauen. Es ist nicht der Umstand, dass der vom Orkan entwurzelte Baum auf dem Weg liegt, der mir »verbietet«, den Weg zu betreten, und es ist nicht der Umstand, dass der Baum dort nicht liegt, der es mir »gestattet«, den Weg zu betreten. Es ist einfach so: Wenn der Baum dort liegt, kann ich den Weg nicht betreten; wenn er nicht dort liegt, kann ich ihn (bei ansonsten gleichen Umständen) betreten. Dass der Baum dort liegt, ist die Ursache dafür, dass ich den Weg nicht betreten kann. Dass er dort nicht liegt, gehört zu den Ursachen dafür, dass ich den Weg betreten kann. Um das zu sagen, muss nur ein Können in Anspruch genommen werden, das Können tout court, kein davon abzugrenzendes und isolierbares Können der Umstände. Die Umstände generieren kein Können eigener Art, das vom Können tout court unterscheidbar wäre.

Entsprechend gilt: Den Rotwein kann ich trinken, oder ich kann ihn nicht trinken, aber beide Male im Sinne des Könnens tout court, und das ist das einzige Können, das wir in Anspruch nehmen müssen. Natürlich können bei der Verneinung eines Könnens ganz unterschiedliche Ursachen eine Rolle spielen, und die Umstände können zu den Ursachen des Nicht-Könnens gehören. Wenn ich den Rotwein nicht trinken kann, kann das sehr viele verschiedene Ursachen haben. Möglicherweise bin ich zu der Entscheidung, Weißwein und nicht Rotwein zu trinken, determiniert. Möglicherweise kann ich es nicht, weil, wie wir metaphorisch sagen würden, »die Umstände es nicht gestatten«, z. B. weil jemand das Glas wegnimmt oder es zerbricht oder ich einen epileptischen Anfall bekomme. In all diesen Fällen kann ich den Rotwein nicht trinken. Die Vielfalt der möglichen Ursachen dafür, dass ich etwas nicht tun kann, ist aber kein Argument dafür, eine zweite Bedeutung von »können« zu postulieren. Wenn ich etwas, aus welchen Gründen auch immer, nicht tun kann, bleibt kein Können eigener Art mehr übrig, in dem ich es tun kann. Es gibt hier kein isolierbares »Können der Umstände« im Sinne von Stemmers »Können1«.

Eine weitere, in der Diskussion der Willensfreiheitsproblematik in der analytischen Philosophie äußerst einflussreiche Strategie zur Begründung eines Kompatibilismus besteht darin, auf eine konditionale Verwendungsweise von »können« zu verweisen, d. h. auf eine solche, in der »können« an Konditionalsätze gebunden ist. Die Idee ist hier folgende: Wenn der Determinismus zutrifft, dann war es, wenn ich soeben einen Spaziergang gemacht habe, so, dass ich gar nicht anders konnte, als einen Spaziergang zu machen – alle Alternativen waren mir verschlossen. Meine Entscheidung, den Spaziergang zu machen, und die Umsetzung dieser Entscheidung waren durch die sie bedingenden kausalen Faktoren festgelegt. Aber, so das kompatibilistische Argument, auch unter diesen Bedingungen hätte ich den Spaziergang unterlassen können, wenn es z. B. der Fall gewesen wäre, dass ich mich dazu entschlossen hätte, ihn zu unterlassen. Die Wahrheit des Determinismus bedeutet, dass meine Entscheidung, einen Spaziergang zu machen, und folglich der Spaziergang selbst als Teil einer kausal geschlossenen Welt determiniert waren und ich insofern nicht anders handeln konnte, als ich gehandelt habe, aber dies ist vereinbar damit, dass ich anders gehandelt hätte, wenn die Umstände andere gewesen wären, insbesondere wenn ich mich anders entschieden hätte, als ich mich entschieden habe. Die »konditionale Analyse« von »können« scheint also sicherzustellen, dass Notwendigkeit und Freiheit vereinbar sind und der Determinismus der Freiheit nichts anhaben kann. Beziehen wir uns auf diese konditionale Verwendungsweise, können wir, den Determinismus anerkennend, immer noch sagen, dass Menschen in dem Sinne frei sind, dass sie, wenn sie sich (z. B.) anders entschieden hätten, auch anders hätten handeln können. (Ob dieser Sinn von »Freiheit« ein substantieller ist, steht natürlich auf einem anderen Blatt, erst recht, ob sich mit Bezugnahme auf diese Art von Freiheit Verantwortlichkeit begründen lässt.)

Eine entscheidende Frage für die Bestimmung des Verhältnisses von Freiheit und Notwendigkeit scheint dann also zu sein: Ist »können« auf diese Weise »falls-gebunden«, also implizit an Konditionalsätze gekoppelt, oder nicht? Die Debatte darüber, wie diese Frage zu beantworten ist, wird im Allgemeinen im Anschluss an eine Auseinandersetzung zwischen George Edward Moore und John Austin geführt. Moore, der als einer der wichtigsten Vertreter des Kompatibilismus gilt, verweist in dem der Frage der Willensfreiheit gewidmeten Kapitel von Ethics auf die Falls-Gebundenheit einer der Verwendungsweisen von »He could have acted otherwise«, um zu begründen, dass man sich nicht auf die Auseinandersetzung zwischen Determinismus und Libertarismus (den Moore nicht so nennt) einlassen muss, um an der Annahme festzuhalten, dass Menschen anders handeln könnten, als sie es tun, und in diesem Sinne frei sind. Sie sind es nach Moore selbst dann, wenn der Determinismus zutrifft.11 Moore behauptet dabei nicht, dass alle, sondern dass einige Verwendungsweisen von »He could have acted otherwise« falls-gebunden sind. Er argumentiert: Man kann von einer Person sowohl wahrheitsgemäß sagen: »She could have walked a mile in twenty minutes« als auch: »She could not have run two miles in five minutes«. Man kann beides von einer Person sagen, auch wenn sie de facto keines der beiden Dinge, von denen hier die Rede ist, getan hat. Obwohl die Person keines von beidem getan hat, hätte sie sicherlich eines von beidem tun können. Dass die Tatsache, dass jemand etwas nicht getan hat, uns nicht daran hindert zu sagen, dass er es hätte tun können, zeigt, so Moore, dass »could have acted otherwise« in zumindest einer Verwendungsweise falls-gebunden ist: Die Person hätte eine Meile in zwanzig Minuten gehen können, wenn sie sich dazu entschieden hätte, es zu tun. Das aber bedeutet, dass wir, wenn wir in einer anderen und nicht falls-gebundenen Verwendungsweise von einer Person sagen, dass sie etwas nicht hätte tun können, wir von ihr in der falls-gebundenen Verwendungsweise auch sagen können, dass sie es hätte tun können.12 Wenn also der Determinismus mit der Behauptung recht hat, dass wir niemals anders hätten handeln können, als wir gehandelt haben, dann bezieht sich diese Behauptung nur auf eine, nämlich die nicht falls-gebundene Verwendungsweise von »können« und schließt keinesfalls aus, dass wir in der anderen, also der falls-gebundenen Verwendungsweise von der Person sagen können, dass sie das, was sie nach Ansicht des Deterministen nicht hätte tun können, durchaus hätte tun können. Sagen wir von einer Person, dass sie etwas anderes hätte tun können, wenn sie sich dazu entschieden hätte oder wenn sie es gewollt hätte, widerstreitet dies nicht der Ansicht des Deterministen, dass sie sich nicht anders entscheiden und somit auch nicht anders handeln konnte. Einige der Dinge, die in einem Sinne von »können« nicht anders hätten geschehen können, hätten in einem anderen, nämlich dem falls-gebundenen Sinne von »können« sehr wohl anders geschehen können. In diesem Sinne ist Notwendigkeit mit (konditionaler) Freiheit vereinbar, und man charakterisiert dementsprechend die »Moore’sche Handlungsfreiheit« manchmal durch den Satz: »Jemand ist im Sinne der Moore’schen Handlungsfreiheit genau dann frei, X zu tun, wenn gilt: Er tut X, wenn er X tun will bzw. sich für X entscheidet«.13

Austin setzt sich in »Ifs and Cans« kritisch mit Moores »konditionaler Analyse« von »können« auseinander.14 Er verweist zum einen darauf, dass das »if« in »I could have if I had chosen« nicht notwendig ein konditionales »if« sein muss; es könnte sich um ein »if« handeln wie in »There are biscuits on the sideboard if you want them«. Hier handelt es sich nicht um ein echtes Konditional, da wir sicherlich nicht unter Anwendung der Kontrapositionsregel aus »There are no biscuits on the sideboard« auf »You don’t want biscuits« schließen können.15 Zum anderen macht Austin darauf aufmerksam, dass »He could have acted otherwise« zwar als konditional aufzufassen sein kann und häufig auch so aufzufassen ist und in diesem Fall einer Ergänzung durch einen Konditionalsatz bedarf, dies aber keineswegs immer der Fall ist. »He could have acted otherwise« könne auch Indikativ Präteritum sein; dann aber bedürfe der Satz keiner Ergänzung durch einen Konditionalsatz. »I could have acted otherwise« entspreche in dieser Verwendungsweise von »could« dem lateinischen »potui«, nicht »potuissem«. Mit »I could have ruined you this morning (although I didn’t)« z. B. werde, so Austin, keine, auch keine implizit konditionale Aussage gemacht; der Sprecher sage damit einfach etwas wie dass er in der Lage war, die Fähigkeit oder Macht hatte, jemandem zu schaden, diese Fähigkeit oder Macht aber nicht ausgeübt hat.16 Austin verweist also gegen Moore auf eine kategorische, nicht falls-gebundene Verwendungsweise von »could have«. Da Moore ja seine Analyse von vornherein auf einige Verwendungsweisen von »could have« oder »can« beschränkt hatte, ist nicht klar, ob Austin sich mit dem Hinweis darauf, dass es auch kategorische, also nicht-konditionale Verwendungsweisen von »could have« gibt, tatsächlich in einen Gegensatz zu Moore begibt. Insofern die Kontroverse zwischen Austin und Moore die Bedeutung verschiedener Verwendungsweisen von »could have« betrifft, besteht zwischen ihnen kein Dissens.

Allerdings kann Austins These Moores Kompatibilismus durchaus in Frage stellen. Zwar sagt Austin nichts über Freiheit und bezieht auch keine Position im Streit zwischen Kompatibilisten und Inkompatibilisten. Aber: Die konditionale Verwendungsweise von »could have«, die Moore im Blick hat und von der er behauptet, dass wir in dieser Verwendungsweise von »could have« auch bei Wahrheit des Determinismus von jemandem sagen können »He could have acted otherwise«, erfasst möglicherweise nicht den Sinn von »He could have acted otherwise«, in dem die Wahrheit der Aussage, dass jemand anders hätte handeln können, die Freiheit dieser Person verbürgt. Vielleicht ist die konditionale Verwendungsweise von »He could have acted otherwise« nicht freiheitsrelevant. Vielleicht ist die Verwendungsweise, die der Inkompatibilist im Blick hat, wenn er Anders-Handeln-Können als Voraussetzung für Freiheit ansieht, vielmehr die von Austin identifizierte kategorische Verwendungsweise. Wenn das so ist, kann die Vereinbarkeit von Determinismus und Freiheit nicht in der von Moore beabsichtigten Weise nachgewiesen werden. In Bezug auf die freiheitsrelevante Verwendungsweise von »He could have acted otherwise«, die Austin im Blick hat, gilt dann: Die Verneinung von »He could have acted otherwise« ist die Verneinung einer kategorischen Aussage. Streitet man also in diesem Sinne ab, dass jemand anders handeln konnte, ist dies nicht mit der Aussage vereinbar, dass jemand in eben diesem Sinne von »could have acted otherwise« anders hätte handeln können. Dass es auch einen anderen, konditionalen Sinn von »could have acted otherwise« gibt, in dem »He could have acted otherwise« mit der Wahrheit des Determinismus vereinbar ist, bleibt dabei unbenommen, ist aber irrelevant. Ist die kategorische Verwendungsweise von »could have acted otherwise« die für Freiheit relevante, geht Moores Hinweis auf die konditionale Verwendungsweise als Argument für einen Kompatibilismus, also für die Vereinbarkeit von Determinismus und Freiheit, ins Leere.

Ausgehend von der Moore-Austin-Kontroverse hat sich eine intensive Debatte um die »konditionale Analyse von ›können‹« – die manchmal auch lax als »konditionale Analyse von Freiheit« bezeichnet wird – entwickelt.17 Den Stand dieser Debatte fasst Schälike 2010 durch die Aussage zusammen, es habe sich »die Ansicht durchgesetzt, dass die Konditionalanalyse von Freiheit untauglich ist«18