Andreasnacht - Matthias Liebkopf - E-Book

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Matthias Liebkopf

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Beschreibung

Ein Kriminalfall wie er für den BKA-Ermittler Ion Kaiser ungewöhnlicher nicht sein kann. Eine neue Kollegin wird ihm unfreiwillig zugeteilt, zusammen müssen sie in Osteuropa nach zwei verschwundenen Touristen und ihrem Wohnmobil suchen. Die Ermittlungen führen sie in ungeahnte Gefahren und in alte, gelebte Bräuche auf dem nördlichen Balkan sowie in Ions alte Heimat aus der Kindheit. Geschichten und Mythen umgeben das ganze Gebiet von Ungarn bis nach Rumänien bis tief nach Transsilvanien hinein. Die Ermittler stecken tief darin fest und erkennen, dass man mit rationalem Denken teilweise nicht weiter kommt. Der erste Roman der Ion-Kaiser-Reihe basiert auf tatsächlichen Erzählungen eines BKA-Zielfahnders.

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Matthias Liebkopf

Andreasnacht

© 2020 Matthias Liebkopf

Umschlag, Illustration: Matthias Liebkopf

Lektorat, Korrektorat: M. Szemendera

Verlag & Druck: tredition GmbH,

Halenreie 40-44, 22359 Hamburg

ISBN

 

Paperback

978-3-7497-8124-9

e-Book

978-3-7497-8125-6

Mir passieren immer mal wieder sehr merkwürdige Sachen, schon von Kindheit an. Mag es daran liegen, dass mein Sternzeichen Zwilling ist, oder dass meine Familiengeschichte doch ein wenig aus der Art fällt. Ich tippe aber eher auf mein Sternzeichen Zwilling, das wird schuld sein, denn Zwillinge sind immer etwas zwiegespalten und unfallgefährdet.

Von meiner Großmutter hat sich die Gabe des Sehens von Dingen auf mich in der Familie übertragen. Oma konnte alles Mögliche heilen, Gürtelrosen besprechen und auch mal Tinkturen herstellen, um einen Abszess oder Furunkel zu heilen. Sie kam aus Ostpreußen mit meinem Vater, als er noch ganz klein war, auf der Flucht vor der Roten Armee. Großvater war schon Anfang des Krieges gefallen, so musste sie versuchen, allein klar zu kommen. In den Wäldern versteckten sie sich zusammen mit einigen Familienangehörigen, die sie bis zu ihrem Tod kaum mehr erwähnt hatte. Laut ihrer Erzählung nahmen sie nicht den Weg nach Westen, Richtung Berlin oder weiter. Oma war in der Kriegszeit noch jung gewesen, hatte aber die Anderen davon überzeugen können, sich zusammen Richtung Süden zu begeben, vorbei am damaligen Schlesien, durch die Tschechei und bis ins heutige Ungarn.

Dort waren sie nicht willkommen, Deutsche waren kurz nach dem Krieg nirgendwo gerne gesehen, aber in der Nähe des Fagaras Gebirges in Rumänien endete ihre Flucht, aufgenommen von Siebenbürgersachsen, eine ganze Gegend voller deutschstämmiger Auswanderer schon vor hunderten Jahren.

Meine Oma heiratete dort wieder, einen Mann aus dem Gebirge, der nur ein Jahr nach der Hochzeit spurlos verschwand. Er war Hirte im Gebirge, hatte eine große Herde Schafe zu hüten. Bei schlechtem Wetter ist er damals wahrscheinlich abgestürzt und ums Leben gekommen, gefunden hatte man die Leiche nie.

Von seiner Schafherde waren nur noch ein paar Tiere aufgetaucht, weit verstreut in einem abgelegenen Tal. Den Rest hatten sich die Wölfe geholt.

Der Verschwundene tauchte angeblich immer wieder in diesem kleinen Dorf in dunklen, kalten Nächten vor Häusern auf, viele Einheimische wollen ihn dort gesehen haben. Ein Strigoi, ein Widergänger von der anderen Seite, aus dem Reich der Toten.

Konnte nicht zur Ruhe kommen durch seinen einsamen Tod in den Bergen, so erzählten es die Alten im Dorf.

In Rumänien ist dieser Glaube bis in die heutige Zeit real und es werden trotz Verbote und Gesetze immer wieder frisch Verstorbene auf Friedhöfen ausgegraben und gepfählt. Davon kann man halten, was man will. Der moderne Mensch wendet sich angewidert ab, der Einheimische sagt, es ist die einzige Möglichkeit, sich einen Widergänger vom Leib zu halten.

Geschichten und Geschichte sind in Rumänien sehr eng verknüpft, das Reich des Vlad Tepes, den wir umgangssprachlich als Dracula kennen, lag genau hier, Jahrhunderte vor unserer Zeit.

Also meine Großmutter schaffte es, den Ort von ihrem angeblich herumirrenden toten Gatten zu befreien. Einige Rituale waren dazu damals wohl vollzogen worden. Ältere Dorfbewohner hatten mir viel später davon erzählt.

Aber mir war die Gegend fremd geworden, hatten wir doch Oma immer nur in den Ferien besucht. Mein Vater ging als junger Mann aus Rumänien nach Deutschland zurück, heiratete dort und ich kam Anfang der siebziger Jahre auf die Welt.

Bis Ende der achtziger Jahre kann ich mich an wunderschöne Urlaube in Rumänien erinnern. Dann starb meine Oma, am Tag des heiligen Andreas, dem letzten Tag im November. Auch den Tag der Wölfe in Siebenbürgen genannt.

Zur Beisetzung durfte ich die Schule schwänzen, denn der Weg war weit und wir wohnten ja in Ostberlin. Bis Siebenbürgen mit dem Auto war es eine Zwei-Tagesfahrt.

Drei Tage nach ihrem Tod sollte ihre Beisetzung stattfinden und normalerweise wird die Abschiednahme dort am offenen Sarg vollzogen. Dieser war aber schon verschlossen, vom Priester schon mit den Sakramenten versehen und bereit, ihn zum Friedhof zu bringen.

Kein Mensch aus dem Dorf hat den Sarg meiner Großmutter begleitet. Meine Eltern und ich, der Priester und zwei Totengräber waren die Trauergesellschaft.

Hinter den Fenstern sah man beim Vorbeilaufen Bewegung an den Gardinen in den Häusern. Die Menschen waren doch da, kannten doch meine Oma und gingen zu ihr hin, wenn der Arzt mal nicht helfen konnte. Wo waren die Alle?

Der Weg zum Friedhof war verschneit, das Grab nur mit Mühe ausgehoben worden und man sah, dass der Boden bis fast einen Meter Tiefe gefroren war. Kalt wird es hier im Winter manchmal, lange legt er sich auf die Landschaft und das Gemüt der Menschen. Teilweise erst Ende Mai sind die Passstraßen oben im Fagaras Gebirge erst wieder offen, so lange liegt dort Eis und Schnee und die Straßen sind unpassierbar.

Der Sarg wurde schnell abgesenkt, nur wenige Worte vom Priester damals gesprochen und das Ganze schnell von den beiden Totengräbern zugeschaufelt. Die Blicke der Männer haben mich bis in meine Träume verfolgt, stechend und sehr eindringlich.

Oma war in ihrem kleinen Holzhaus verstorben, das etwas abseits der Asphaltstraße lag. Ein typisch altes Holzhaus, windschief, braun angestrichen und mit einem großen Garten, einer Scheune und einem Ziehbrunnen auf dem Hof.

Ein Platz zum Wohlfühlen in meiner Kindheit. Was gab es hier nicht alles zu entdecken und zu erleben. Es sind meist diese Erlebnisse aus der Kindheit, die einen nicht mehr loslassen und sein ganzes Leben lang begleiten, glückliche Kindheitstage halt.

Papa hatte dann immer zu tun, das alte Haus wieder auf Vordermann zu bringen. Mama half Oma, um alles einmal aus dem Haus raus und nach dem Saubermachen wieder rein zu bringen. Zu Tun gab es immer etwas, die Holzfenster waren immer undicht und das kleine Zimmer unter dem Dach, was mein Refugium war, hatte mit losen Dachziegeln und im Zimmer nistenden Vögeln zu tun.

Ich traf mich auch schon mal mit Mädchen und Jungen aus dem Dorf, denn ein Besucher aus dem so weit entfernten deutschen Gebiet war selten. Touristen verirrten sich nur sehr selten hierher, höchstens mal, wenn sie den Abzweig in die Stadt Sibiu verpasst hatten.

Nach der Beisetzung gingen wir noch einmal in das leerstehende Haus. Diese alten Häuser haben immer so einen merkwürdigen Geruch innen, manchmal auch, wenn da alte Menschen drin gewohnt haben. Sie wissen, was ich meine!

Schon beim Eintreten über die Schwelle nahm ich damals diesen Geruch wahr, als wenn meine Oma noch auf ihrem Sofa am alten Kachelofen saß.

Meine Eltern wollten erst am nächsten Tag wieder in Richtung Heimat fahren und wir blieben für die Nacht dort.

Es war schon beklemmend, in dem Haus zu sein, wo bis vor ein paar Tagen noch meine Oma lebte. Es war, als wenn sie noch seelisch anwesend war.

Mich umfing diese Nacht aber keine emotionale Kälte, eher ein Gefühl des Geborgenseins und der Nähe zu einem geliebten Menschen. Woher es damals kam, war mir nicht bewusst, doch schwöre ich bis heute, als ich nachts kurz aus dem Schlaf erwachte, sah ich die Hand meiner Großmutter an meinem Bettpfosten. Diese Hände kannte ich zu gut, voller Falten und Altersflecken. Sie waren mir doch so vertraut gewesen, hatte Oma doch so viel mit mir gebastelt und mir so viele glückliche Tage bereitet. Dieses Erlebnis, mit der Hand am Bett, wollten mir meine Eltern damals nicht glauben, taten es als Kinderphantasie ab.

Nach dieser Nacht nahmen wir viele persönliche Dinge mit und ließen das Haus zurück. Mein Vater hatte es dann wohl verkauft, was sollten wir damit, zu lang war der Fahrweg von uns dorthin. Oma als Bezugspunkt war auch nicht mehr da. Also nahm ich damals Abschied von diesem Ort. Lange ist es her, die Erinnerungen schon fast verblasst, aber nach der Wende wollte ich noch einmal in die Gegend, mir anschauen, ob das Grab noch da ist und wie sich die Dinge da entwickelt haben. Meine Ausbildung als Polizist kam mir aber in die Quere.

Ich habe mich noch gar nicht vorgestellt. Ion Kaiser, Mittvierziger, wohne in Berlin fast am Müggelsee, bin leidenschaftlicher Sportler, Single aus der Not heraus und arbeite für das Bundeskriminalamt als Zielfahnder.

Einige Auslandseinsätze hatte ich in letzter Zeit schon hinter mir, meine Batterien waren fast leer, der eingereichte Urlaubswunsch wurde aber schon wohlwollend besiegelt.

Noch vierzehn Tage, dann geht’s zum Roten Meer, sonnen, tauchen, essen und einfach mal ausspannen. Vielleicht bietet sich da mal wieder ein keiner Urlaubsflirt an. Voriges Jahr war es der Hammer, eine rassige Russin. Man, hatte die Feuer, danach war ich noch geschaffter als vor dem Urlaub.

Diesmal muss ich mehr auf meinen Körper aufpassen. Die Sache vom vergangenen Monat in Uganda, wo wir einen verdächtigen deutschen Waffenhändler aufspürten und mitnehmen wollten, war gründlich schief gegangen. Der Typ hatte alles, was lokale Behörden anging, auf seiner Gehaltsliste. Uns blieb nur die Flucht, wie geprügelte Hunde, über Tansania zurück nach Hause.

Bis heute habe ich meinen normalen Rhythmus bei der Verdauung noch nicht wiedergefunden. Laut Tropeninstitut, zu viel von verseuchtem Wasser und Dreck genascht. Wir Europäer sind halt auch zu weich für so etwas.

Da saß ich nun am Schreibtisch meiner Dienstsstelle, dachte an die alten Zeiten und surfte ein wenig im Internet. Bilder vom Roten Meer, Sonne, Sand und Ruhe, als die Tür aufging und Babsi, unsere Neue im Team, mir zurief: „Sollst mal zum Chef rüberkommen.“

Na super, meist hat der Alte, wie wir ihn nennen, Ideen, die andere für ihn ausprobieren sollen. Aber seine Erfahrung und sein Führungsstil ist super, Butterbrot und Peitsche, anders geht’s auch nicht bei uns.

Also dann ab in die Höhle des Löwen.

„Kommen Sie rein Ion und schließen Sie die Tür. Ich habe da was auf dem Herzen.“

Klang nicht gut! Mal wieder so eine seiner Ideen, wie damals, wo ich in Griechenland mit einem Kollegen in eine Schlepperbande infiltriert werden sollte. Klar ging das schief, meine Frontzähne sind seitdem von Papa Staat bezahlt worden und schmerzen nicht mehr bei heißem Kaffee.

„Ion, Sie sind doch rumänischer Abstammung, oder?“

Was sollte das denn nun wieder? Fehlte im Büro irgendwo ein Kugelschreiber, hieß es, zwar als Spaß gemeint, aber mich trotzdem treffend, schau doch mal bei Ion. Rumänen haben zu deutschem Eigentum ja wohl ein gespaltenes Verhältnis. Dieses Klischee musste einfach bedient werden, macht ja sonst auch keinen Spaß, dafür traf ich meine Kollegen mit anderen Dingen.

„Klar Chef, mein Vater war Rumäne, ich bin ein Mischwerk aus allem, Ostpreuße, Deutscher, Rumäne und wahrscheinlich sogar Eskimo, denn mir ist nie kalt.“

Er schaute streng zu mir herüber. „Folgendes Ion: Ich habe gerade vom Außenministerium eine Anfrage für die Entsendung eines Zielfahnders bekommen. Da kommen Sie ins Spiel. Ich gehe mal von einer Woche maximal aus, Sie wollen ja pünktlich Urlaub machen, wann war das noch gleich?“

Meine Laune war im Keller, solche Sachen passieren immer wieder bei so einem Beruf, Urlaub geplant und dann kommt so ein blöder Fall in die Quere. „Kann das nicht Oliver machen? Der ist frisch ausgeruht wieder aus seinem Urlaub zurück.“

Mein Chef schüttelte den Kopf. „Ich brauche Sie, es geht um eine Sache in Rumänien. Vor einer Woche verschwand dort ein Wohnmobil mit zwei Deutschen drin, spurlos! Auf einem Überwachungsvideo einer Tankstelle tauchten sie das letzte Mal auf, seitdem kein Lebenszeichen mehr.“

Mist, Rumänien und dann auch noch Ende Oktober, Wetter ist da mies und es war keins meiner Wunschreiseziele.

„Ist das nicht eher ein Fall für die lokalen Polizeibehörden vor Ort, vielleicht ist das Wohnmobil in eine Schlucht oder so etwas gefallen, es gibt viele davon. Kenne ich noch von früher.“

Der Chef war schlagfertig genug. „Genau deshalb sollen Sie den Fall übernehmen, Sie kennen sich dort aus, sprechen die Sprache und haben so mehr Möglichkeiten vor Ort.

Die rumänischen Behörden haben zugesagt, uns in vollem Umfang zu unterstützen. Da gibt es noch etwas. Babsi macht Ihnen gerade die Akte fertig. Äh, es geht darum, die Verschwundenen möglichst lebend und zeitnah zu finden. Der Fahrer ist ein Marcel Höffler, die Beifahrerin eine Frau Weiß, ja Weiß wie der Name ihres Vaters, Johannes Weiß, Mitglied im Deutschen Bundestag und Oppositionsführer. Sie verstehen die Dringlichkeit? Herr Weiß will sich mit Ihnen sowieso noch unterhalten, bevor Sie abfliegen. Versauen Sie es nicht und bringen Sie bloß gute Nachrichten mit. Viel Glück!“

Jetzt war meine Stimmung so richtig auf dem Tiefpunkt. Auch noch ohne Kollegen dort zu arbeiten, machte es nicht einfacher. Lieber Jemanden an der Seite haben, auf den man sich verlassen kann und der im Notfall da ist und einem auch helfen kann.

Babsi gab mir die Akte mit und buchte mir einen Flug nach Bukarest. Ein Mietwagen stand wie immer abholbereit am Flughafen.

Babsi macht das immer für die ganze Abteilung, buchen, mieten, besorgen, sie ist ein Ass im Organisieren.

Die Akte las sich nicht sonderlich spannend. Zwei Menschen vermisst, mit dem Wohnmobil von Deutschland nach Rumänien gefahren, Ziel die Stadt Schäßburg in Siebenbürgen. Wohnmobil gemietet, Adressen der Vermissten und Arbeitgeber.

Rein vom Ablauf her ruft man erst einmal den Vermieter des Wohnmobils an und da der auf meiner Route nach Hause lag, fuhr ich kurz bei ihm vorbei.

Voller Hof zu dieser Zeit. Naja, war nicht mehr das Reisewetter für Wohnmobile, nur die ganz Harten stehen auf Camping im Winter. Ich hasse das schon im Sommer.

Mein Weg führte mich ins Büro der Vermietung. Alles da für die Freunde des wilden Lebens, Gasflaschen, Tausch auch möglich.

Meine Gasflaschen zum Tauchen warten in Kürze am Roten Meer auf mich. Ein toller Gedanke, stattdessen renne ich im kalten Berlin herum.

Ein kleiner, grauhaariger Mann kam auf mich zu und begrüßte mich. „Schauen Sie sich ruhig um, wir haben für Jeden was da.“

Mein Dienstausweis brachte ihn von der Verkaufstour ab, mein Anliegen war ihm schnell klar und er nahm mich mit ins gut geheizte Büro.

„Sauwetter draußen, wie kann ich helfen?“ Standardfragen wie immer, wann gemietet, wie lange, von wem.

Er war über das Verschwinden seines Wohnmobils zwar überrascht, schien aber gut versichert zu sein. Seine Qual, den Wagen zu verlieren, hielt sich in Grenzen.

Den Mietvertrag allerdings musste ich beschlagnahmen. Mieter des Wohnmobils war weder Fahrer noch Beifahrer, sondern eine noch unbekannte Person hatte das Fahrzeug schon Ende August gemietet, bar bezahlt und Kaution hinterlegt. Mietende war Anfang Dezember.

Dem Vermieter versprach ich, mich zu melden, wenn sein teures Teil wieder auftauchen sollte.

Babsi hatte ich per Telefon noch im Büro erreicht. „Schau mal bitte in den Computer, Name Mitrica Schäubener, geboren am zwölften März siebzig, Adresse Berlin, Märkische Allee zweihundertsieben in Berlin-Marzahn.“

Es dauerte eine Weile, am anderen Ende war die Tastatur des Computers zu hören. „Negativ, keine Einträge, weder mit dem Namen, noch Adresse. Ich weite mal auf Europa aus. Mal sehen, was er dann sagt.“

Na super, fing schon gut an, doch vielleicht nur ein Diebstahl. Wohnmobile bringen Geld und das Teil war fast neu gewesen, dazu mit Komplettausstattung. „Hab hier was. Mitrica Schäubener ist schon vor sieben Jahren gestorben und war über achtzig Jahre alt. Da stimmt doch was nicht.“

War wohl anzunehmen. „Danke Babsi.“ Doch viel Zeit blieb nicht. Mein Handy klingelte, eine unbekannte Telefonnummer. Ich hasse so etwas, meist hat der Anrufer etwas zu verbergen. Eine tiefe Stimme begrüßte mich. „Guten Tag Herr Kaiser, mein Name ist Johannes Weiß, Sie kennen mich bestimmt.“

Klar, wer kannte ihn nicht, der Gegenspieler der Regierung, immer etwas zu laut und zu polternd, doch seine markigen Sprüche kamen bei den Menschen gut an. Angeblich war er einer von ihnen, Pustekuchen. Millionär vom Starnberger See, aber vielleicht wird es ja bei den nächsten Wahlen was mit ihm.

Er erzählte mir von seiner Tochter, dem wenigen Kontakt zu ihr und dem Freund der Tochter. Sie war eher etwas alternativ im Gegensatz zu ihrem konservativen Vater, das hatte sie wohl schon vor Jahren entzweit. Doch erst vor Kurzem suchte die Tochter den Kontakt zum Vater, wollte sich aussprechen. Das gelang wohl auch und zu Weihnachten sollte sogar wieder in Familie gefeiert werden, doch brach sie unvermittelt zu einer Fahrt nach Rumänien auf. Nur mit einer kleinen Nachricht verabschiedete sie sich. „Bin in Rumänien, dauert etwas, melde mich.“

Die Tochter eines Politikers hat es bestimmt nicht nötig, teure Wohnmobile ins Ausland zu fahren, um da einen Deal mit ausländischen Autohändlern abzuschließen.

„Herr Kaiser, ich möchte Ihnen jemand an die Seite stellen, ein Mitarbeiter der Staatskanzlei wird Sie begleiten. Ich dulde auch keinen Widerspruch, mit Ihrem Chef habe ich das abgesprochen. Sie treffen sich morgen früh auf dem Flughafen. Wenn Sie Erfolg in Rumänien haben, würde ich Sie bitten, sich unter dieser Telefonnummer zuerst bei mir zu melden. Vielen Dank.“

„Welche Telefonnummer?“, war doch glatt meine Frage. „Ach ja, der Mitarbeiter am Flughafen hat meine Durchwahl.“

Passt ja wieder perfekt, die Chefs handeln ein Deal aus und ich arme Sau darf es ausbaden.

Ein gepackter Koffer liegt für schnelle Abreisen immer in meiner Wohnung bereit, man lernt aus Fehlern. Ein Bote aus der Dienststelle brachte mir noch die notwendigen Unterlagen vorbei, ein Flugticket und die Bescheinigung für das Mitführen einer Waffe im Flugzeug. Also war mein Abend bestimmt davon, noch einmal zu duschen, es sich auf dem heimischen Sofa gemütlich zu machen und die Akte zu studieren.

Es konnte nur ein Fall sein, der mit Autohändlern zu tun hatte.

Der Fahrer des Wohnmobils hatte eine saubere Weste, nicht mal falsch geparkt, nie aufgefallen, Student in Berlin, aus gutem Hause, wohnhaft noch bei den Eltern. Seit einiger Zeit mit der Tochter des Politikers leiert.

Wer von Beiden sollte da einen Mann kennen, der mit falschem Ausweis ein Wohnmobil mietet und dann noch für lange Zeit bezahlt. Dann doch lieber kurz mieten, über die Grenze und fertig.

War mir noch zu unklar, was das sollte, vielleicht eine lange geplante Entführung eines Politikerkindes, was sag ich Kindes, das war eine junge Frau, vierundzwanzig Jahre alt und ein hübsches Ding.

Vor dem Einschlafen gingen mir viele Sachen durch den Kopf, Siebenbürgen, Oma und die lange Zeit, wo ich ihr Grab nicht besucht hatte und der Fall jetzt.

Diese Nacht schlief ich schlecht, sah im Traum wie damals die Hand meiner Oma an meinem Bett, diesmal aber war die Hand heller und älter. Kein Wunder, dass meine Bettwäsche am frühen Morgen voll geschwitzt und nass war.

Erst die kalte Dusche und mein morgendliches Müsli-Frühstück brachten mir wieder die notwendige Energie zurück. Gleich ist das Taxi da und der Flug nach Bukarest ging bald los.

Damals, vor über zehn Jahren, als mich das BKA zu sich holte, fragte man mich, ob ich Reisebereitschaft besitze. Damals kein Problem. Nach all den Jahren wird man müde, Flughäfen stressen, die ganze Fliegerei ist nicht mehr so wie früher, der Charme ging mit den Billigangeboten verloren, wie so vieles.

Damals sollte ja auch eine Frau und Kinder in mein Leben passen. Bei dem Job? Keine Chance, fast jeder aus der Dienststelle ist geschieden oder lebt alleine. Babsi sagt immer: „Was soll ich mit einem Mann, was mir Batterien in einem schönen Gerät nicht geben können.“ Kopfkino Babsi!

Das Taxi ließ mich pünktlich am Flughafen Berlin-Schönefeld raus und ich war mal gespannt, wo und wann sich mein neuer, aufgedrängelter Partner zu erkennen gibt.

Flug mit Easy Jet vom Terminal wo? Alles rempelt einen hier an! Bleib ruhig, Ion!

Voll wie immer, stand man mit allem, was eine Großstadt zu bieten hat, in der Warteschlange. „Herr Kaiser?“

Eine Frau Ende dreißig sprach mich an. „Jup, was gibt es denn?“ Sie war ne hübsche Maus, ziemlich groß, blond und hielt mir einen Ausweis entgegen. „Hannah David, guten Tag, ich bin ihr Kontaktmann, also -frau!“

Bin nicht sehr oft überrascht im Leben, diesmal schon. „Okay, damit habe ich nicht gerechnet. Ion Kaiser, guten Tag, aber keine Angst im wilden Osteuropa, ich pass schon auf Sie auf.“

Ihr mitleidiges Lächeln ärgerte mich schon. „Herr Kaiser, ich bin alt und groß genug, um auf mich selbst aufzupassen. Ich glaube vom Dienstrang her bin ich ab jetzt Ihre Vorgesetzte. Ich arbeite für Europol, die europäische, übergeordnete Behörde.“

Peng, das knallte richtig. Mein Chef hatte mal wieder ganze Arbeit geleistet. „Ich will Sie nicht ärgern Herr Kaiser, die Idee kam aus der Staatskanzlei. Sie sollen der Beste sein, kennen sich in Osteuropa aus und sprechen Ungarisch und Rumänisch. Bin gerne bereit, da was von Ihnen zu lernen.“

Aha, klang schon anders. Der netten Motte kann ich auf jeden Fall was beibringen, hoffe da mal auf ein Doppelzimmer im Hotel.

„Na dann auf gute Zusammenarbeit.“ Mehr brachte ich nicht heraus.

Am Schalter gab ich mein Ticket und den Koffer ab, das Ticket zog mir meine neue Kollegin aus der Hand und gab dem verdutzten Schaltermenschen ein Neues. „Was soll das denn, wir müssen nach Bukarest!“

Scheinbar nicht. Auf dem neuen Ticket stand Budapest, auch mit Easy Jet, aber eine halbe Stunde später.

Wir gaben uns als Polizeibeamte mit Waffen zu erkennen und durften dann durch die Sicherheitsschleuse ohne Probleme hindurch. Die Kollegin David zog mich am Ärmel meiner Jacke durch den Flughafen an einen leeren Tisch, „Bin gleich wieder da“, und erschien kurz danach mit Brötchen in der Plastiktüte und Cola. „Ich gebe einen aus.“

Wahnsinn, so eine Köstlichkeit? Na besser als ein Gummibrötchen im Flieger.

Sie erklärte mir den Umstand der Umbuchung. Laut ihren Erkenntnissen hatte das Wohnmobil in Budapest einen längeren Halt in einem Stadtteil in der City gemacht. Videoaufnahmen bestätigten es. Wir sollten uns, bevor wir nach Rumänien fahren, in Budapest einen Überblick über eventuelle Kontakte zu Einheimischen oder dem Grund des längeren Verbleibens in der Stadt erkundigen.

Der, ach nein, die Vorgesetzte sagt an und ich habe zu folgen!

Budapest war nur eine Flugstunde entfernt, ein Mietwagen schnell gefunden und die Fahrt in die Stadt kein Problem.

„Meine Dienststelle hat uns ein Hotel gebucht Herr Kaiser, direkt in der Innenstadt. Fahren Sie bitte zum Intercontinental Hotel.“ Nobel, nobel, meine Dienststelle hätte eine Jugendherberge gefunden mit Viermannzimmer.

Scheinbar waren die finanziellen Möglichkeiten von Frau David größer als ich annahm. Da kroch schon etwas der Neid in mir hoch.

„Können Sie die Schilder hier lesen, Herr Kaiser? Ungarisch soll sehr schwierig sein.“ Hatte ich gehört und begrüßte den Concierge vor dem Hotel Interconti, der unseren Wagen abnahm, auf Ungarisch. Auch die Zimmer waren schnell gefunden, von ihrer Seite kam das Wörtchen „Respekt!“

Rumänisch sprachen wir zu Hause durch meinen Vater, Ungarisch durch einige Verwandte. Sie lebten zwar in Rumänien, gehörten dort aber einer Minderheit an. War früher alles kein Problem.

Mit meiner Kollegin verabredeten wir ein gemeinsames Abendessen, schön in der Stadt. Passte gut, denn unser Ziel lag im Jüdischen Viertel von Budapest, hinter der großen Synagoge. Ein Szeneviertel wie bei uns in Berlin Friedrichshain oder Kreuzberg.

Frau David hatte eine Adresse parat mit einer dunklen Einfahrt, die auf einen Hinterhof führte. Schwer zu finden, denn es wird Ende Oktober früh dunkel. Nein, wir hatten ja schon den ersten Tag des Novembers. Wie die Zeit vergeht!

An einem Metalltor klingelten wir, ein Mann trat heraus und ich begrüßte ihn auf Ungarisch. Ein knapper Gruß kam zurück, ich fing an Fragen zu stellen, über das Wohnmobil, die Insassen und die Zeit, wo es hier stand. Es gab ja Zeugenaussagen und Videobeweise. Der Typ schien mir aber nicht zuhören zu wollen.

Frau David übernahm ab da, schnappte sich den Hals des Mannes und stieß ihn ins Haus zurück. Darauf war ich so gar nicht vorbereitet und sie redete mit ihm aber nicht auf Ungarisch, meiner Meinung nach auf Hebräisch.

In der Wohnung lief noch mehr undurchsichtiges Volk herum, ließ uns aber gewähren. Der Mann plauderte auf einmal wie ein Wasserfall, dabei lief sein Gesicht schon rot an. Die Hände meiner Kollegin hatten wohl einen festen Griff.

Mir blieb nur das Warten und mich Umsehen. Ein jüdischer Haushalt, Davidsterne überall, aber auch christliche Symbole, auf der Anrichte im Flur eine Kette aus Knoblauchzehen. Na dann guten Appetit, das hält bestimmt sämtliche Nachbarn fern.

Mit einem Wink von Frau David verließen wir die Wohnung, gingen durch die noch gut gefüllten, vollen Straßen bis zu einem Restaurant. Eigentlich zu früh, um zu essen, aber meine Neugier war geweckt. An einem Tisch mit einem Glas Wein, lässt es sich doch entspannter als auf der Straße plaudern.

„Sie sprechen Hebräisch? Respekt.“ Sie grinste, „Ja, ich bin Jüdin, sieht man wahrscheinlich nicht, die blonden Haare, sind aber echt.“

Da gibt es eine Möglichkeit, das zu überprüfen, aber lassen wir das. Man soll seine Vorgesetzte nicht begehren.

Sie erzählte mir die Geschichte, die ihr der Mann preisgegeben hatte.

Das Wohnmobil war wirklich dort, hatte im Innenhof des Hauses gestanden, fast vier Tage lang. Zu sehen war nur manchmal ein Pärchen, sie gingen immer in das Haus hoch. Er weiß nicht wohin, er will auch keinen Ärger haben, kennt hier niemanden richtig.

Im Haus wohnen merkwürdige Leute, er sei erst vor drei Jahren hergezogen, aber alle Anderen im Haus wohnen schon immer dort, teilweise noch aus der Zeit, als sich das jüdische Ghetto hier befand.

Morgen früh werden wir der ungarischen Polizei mal einen Besuch abstatten und uns mal über das Haus und seine Bewohner in Kenntnis setzen lassen.

Der Abend war gerettet, guter Wein, gutes Essen und doch eine ganz nette, neue Kollegin. Ich hasse den Winter übrigens, Frauen sind bis zum Hals in Klamotten eingepackt, ein kleiner Blick wie im Sommer auf die schönen Dinge des Lebens, sind da nicht möglich. Alles reine Spekulation, leider.

Der Winter ist in Osteuropa noch ein richtiger Winter, mit Kälte, Schnee und Eis. Und das schon Anfang November, so auch hier. Die Donau war fast zugefroren, Dampfer lagen vertäut am Steg und die Zahl der Touristen hielt sich in Grenzen. So machte ein Spaziergang zum Polizeirevier keinen Spaß.