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Der zweite Fall für den BKA-Ermittler Ion Kaiser. Neue Orte, neuer Fall und alte Gewohnheiten, dazu ein etwas müde gewordener Ehemann. In Bulgarien laufen die Uhren noch etwas anders. Ein Sumpf aus Korruption, osteuropäische Gewohnheiten und seine korrekte Ehefrau verlangen von Ion Kaiser, sich auf seine Spürnase zu verlassen. Diese sollte sich aber lieber auf den Fall konzentrieren, nicht auf die neue junge Kollegin.
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Seitenzahl: 210
Veröffentlichungsjahr: 2021
Matthias Liebkopf
Ropotamo
© 2021 Matthias Liebkopf
Umschlag, Illustration: Matthias Liebkopf
Lektorat, Korrektorat: Michaela Szemendera
Verlag & Druck: tredition GmbH,
Halenreie 40-44, 22359 Hamburg
ISBN
Paperback
978-3-347-26092-4
Hardcover
978-3-347-26093-1
e-Book
978-3-347-26094-8
Auf meinem Computerbildschirm öffnete sich ein kleines Kästchen und eine neue Mail, mit dem Hinweis auf Dringlichkeit, verlangte gelesen zu werden.
Solche Mails kenne ich schon zur Genüge, dringlich sind sie meistens. Ich nahm die Computermaus und drückte die Nachricht mit einem Klick auf das kleine Kreuz in der oberen Ecke einfach weg. Heute Abend lesen, reicht auch noch.
Es gibt ja heutzutage Menschen, die verzweifeln glatt, wenn man ihnen nicht sofort antwortet.
So ein Absender schien der Mail-Schreiber auch zu sein. Schon nach einer Minute kam eine erneute Benachrichtigung, eine neue Mail ist eingetroffen.
Auf so etwas stehe ich ja. Die Computermaus hatte schon das Kreuz im Kästchen erwischt und die Benachrichtigung verschwand, als eine erneute Mail auftauchte.
Ich hatte noch nicht meinen Bericht für die Zentrale von Interpol fertig und so ein Typ nervt mich mit Mail-Bombardements! Da hat er sich ja den Richtigen ausgesucht! Wenn einer etwas von mir schnellstmöglich will, soll er doch anrufen.
Mit den neuen Kommunikationsarten stehe ich etwas auf dem Kriegsfuß, bin noch von der alten Schule. Brief und Telefon reichen mir vollkommen, um dem elektronischen Kommunikationsmist aus dem Wege zu gehen.
Mein Bildschirm wurde zum Spielplatz eines Irren, es öffneten sich mehrere kleine Kästchen und versprachen mir, wenn ich auf die Kästchen raufdrücke, könne ich eine wichtige Mail lesen.
Pustekuchen mein Freund! Der Computer wurde von mir eigenhändig in den Feierabend geschickt und heruntergefahren. So läuft das. Ich bin immer noch Herr der Technik und nicht umgekehrt.
Ach ja, ich vergaß mich kurz vorzustellen:
Ion Kaiser mein Name. Ich hatte Ihnen ja schon von meinem Fall in Rumänien erzählt. Die Andreasnacht! Man, war das ein Fall, damals war ich noch für das Bundeskriminalamt tätig, heutzutage bin ich bei Interpol.
Meine Frau Hannah hat mich erfolgreich abgeworben. Ich habe es auch nicht bereut. Die Fälle, mit denen ich jetzt hier zu tun habe, sind nicht mehr ganz so körperlich aufwendig und anstrengend. Auch kann ich meine Frau so oft sehen, bei einigen Fällen haben wir sogar schon zusammengearbeitet. Das schafft doch etwas mehr Nähe zum Partner, längerfristig kann es natürlich auch zur Belastung werden. Dies war aber noch nicht der Fall bei Hannah und mir, die Liebe war nicht mehr feurig frisch, aber tief und ehrlich.
Momentan hat sie aber mal wieder in Israel zu tun und ich hocke im Büro von Interpol in Berlin und bearbeite Akten und mache die restlichen Berichte fertig. Der Bericht über Schmuggler von antiken Fundstücken ist eher einschläfernd, muss aber bis morgen fertig sein. Das Geschäft mit gestohlenen, antiken Dingen floriert weltweit, da kann man schon mal auf die Idee kommen, eine neue Nebentätigkeit anzunehmen.
Damals beim Bundeskriminalamt war ich noch irgendwie fitter, ein paar Kilos sind seitdem an meinen Hüften dazu gekommen, aber ich fühle mich in meinem Alter damit trotzdem wohl.
Die Zeiten, wo ich Waffenhändlern und deren Banditen hinterherhechten musste, sind glücklicherweise Geschichte.
Das Fitnessstudio sieht mich zwar in unregelmäßigen Abständen, aber der Trainer schüttelt meist nur den Kopf, wenn er mich sieht. Ein wenig Wohlstandsspeck muss wohl erlaubt sein. Unser Lieblingsitaliener um die Ecke hat schließlich lange am Ergebnis meines Körperzustandes mitgearbeitet.
Mit einem Blick auf meine Armbanduhr wusste ich, der Feierabend hat mich voll erwischt. Auf dem Nachhauseweg werde ich beim ungarischen Restaurant anhalten und mir etwas Leckeres mitnehmen. Abends dann noch mit Hannah telefonieren und die Couch mit meinem Körper beehren. Zum Sport gehen, lass ich mal großzügig ausfallen.
Als ich schon fast die Bürotür abgeschlossen hatte, klingelte das Telefon auf meinem Schreibtisch. Wenn ich jetzt abnehme, ist mein Feierabend dahin, das Essen vom Ungarn bestimmt auch. Also schaute ich kurz auf das Display vom Telefon und sah eine mir unbekannte Vorwahl vor der Telefonnummer.
Morgen ist auch noch ein Tag, soll er doch zu Bürozeiten anrufen und ich entschied mich, mein Büro von außen abzuschließen und das Telefon sich selbst zu überlassen.
In der Dienststelle war schon fast niemand mehr da, Kunststück bei dem Wetter. Ende Mai und es war fast schon wie vorgezogener Sommer. Die Temperatur draußen kratzte an der 30-Grad-Marke und machte Lust auf Urlaub. Meiner war noch nicht so richtig in Sicht, erst Ende Juli wollte ich mit Hannah wieder nach Rumänien in unser kleines Holzhaus. Da muss bestimmt wieder eine Menge getan werden.
Aber ich hatte vorsichtshalber einen jungen Mann aus dem Dorf engagiert, der sich während unserer Abwesenheit um Haus und Hof kümmern sollte. Er verdiente etwas Geld und freute sich und ich freute mich über etwas weniger Arbeit in meinem Urlaub. Den ganzen Urlaub über wild gewordenes Grünzeug töten und mit dem Farbpinsel die Holzwürmer aus dem Haus verjagen, macht auch keinen Spaß.
Lieber unsere neue Terrasse und den Grillplatz testen. Da habe ich genug mit zu tun. Der Gedanke an den Urlaub in Rumänien machte mir Freude, war ich doch an den Herzensplatz meiner Kindheit zurückgekehrt.
Als ich nach dem Einsammeln des leckeren Essens vom Ungarn zu Hause ankam, leuchtete mir unser Anrufbeantworter missmutig entgegen. Eine Zahl von fünfzehn verpassten Anrufen ist rekordverdächtig. Hannah kann es noch nicht sein, unsere Telefonzeit ist immer nach zwanzig Uhr.
Aber nicht vor dem Essen abhören! Eine Regel, die ich niemals mehr breche, es rächt sich. Entweder man kommt wegen irgendetwas nicht mehr zum Essen oder der Anrufer hat etwas Negatives zu verkünden. Positives bestimmt nicht, da ich kein Lotto mehr spiele.
Am Couchtisch machte ich es mir mit einer Flasche Rosewein gemütlich. Hannah hasste so etwas. Gegessen wird nicht am Fernseher! Da ich alleine war, kam auch keine Schelte aus der Küche und ich ließ es mir schmecken.
Das allerdings nur bis mein Festnetzanschluss vom Telefon klingelte, glücklicherweise hatte der Anrufbeantworter noch nicht Feierabend und sagte seinen Spruch auf: „Guten Tag, falls Sie eine gute Nachricht für uns haben, dann sprechen Sie diese bitte nach dem Ton, falls nicht, behalten Sie diese für sich.“
Die Stimme einer Frau mit Akzent war zu hören. „Verdammt Herr Kaiser, ich kann Sie nirgendwo erreichen. Bitte rufen Sie umgehend zurück.“
Was heißt nicht erreichen? Wer etwas von mir will, hat meine Handynummer und kann mich dort sprechen.
Ich griff in meine Hosentasche und zog mein Handy heraus. Tot wie ein Stein. Mist hatte ich gestern doch vergessen, mein Handy zu laden?
Das Teil wiederzubeleben, war nicht schwierig, mein Display mit den ganzen verpassten Anrufen zu durchstöbern, aber schon.
Selbst Hannah hatte mehrfach versucht, mich zu erreichen.
Ich wusste es, mein Essen ist vorbei, der Appetit mir gründlich vergangen und das Essen schon kalt.
Also entschloss ich mich, zuerst einmal Hannah zurückzurufen.
„Ion, wo warst du denn? Ich habe versucht, dich überall zu erreichen, im Büro, auf deinem Handy und zu Hause!“ Das klang vorwurfsvoll, Frauen können so etwas. Einem ein schlechtes Gewissen einreden, obwohl gar nichts passiert ist. Aber Hannah war blöderweise auch meine Vorgesetzte, im Job jedenfalls.
Zu Hause versuche ich mich durchzusetzen. Ja ich weiß, bitte den Spruch einfach ohne Kommentar werten. Wir Männer wissen schon, was gemeint ist.
Eine Rechtfertigung meiner Abwesenheit ist wahrscheinlich nutzlos, also überging ich sie und fragte, was denn los ist.
Hannah erzählte mir, dass mich die Staatskanzlei der bulgarischen Regierung versucht zu erreichen.
Sie wisse auch nur, es handele sich um einen toten, deutschen Staatsbürger in Bulgarien.
Damit hat Interpol eigentlich nichts zu tun, also was wollen die von uns?
Ich werde da mal zurückrufen, versprach ich meiner Frau, morgen früh als Erstes. Meine Frau meinte – sofort! Sie kennen das? Ja, Anweisung verstanden und Ausführung läuft.
Vorher stopfte ich mir noch ein halbkaltes Stück totes Schwein, was vorzüglich zubereitet war, in den Mund und spülte es mit Rosewein nach, als mein Festnetztelefon mir schon wieder mitteilte, es möchte jemand mit mir kommunizieren.
Um den Anrufbeantworter diesmal zu schonen, nahm ich ab.
„Kaiser, guten Abend.“
Am anderen Ende war wieder diese frauliche Stimme mit Akzent zu hören, „Guten Abend, Herr Kaiser, Sie sind ja schwer aufzufinden, ich versuche schon seit Stunden, Sie zu erreichen.“
Auch bei ihr klang ein Vorwurf in der Stimme, hatte es doch bestimmt damit zu tun, dass Hannah und sie Geschlechtsgenossinnen sind, da bin ich mir ganz sicher.
Ich war ganz Ohr für ihr Anliegen, hatte sie mich doch nun gefunden und ich richtete mich auf der Couch mit dem Glas Rosewein schon mal gemütlich ein. „Herr Kaiser, mein Name ist Sonja Rutowa und ich arbeite für die bulgarische Regierung. Ich erzähle Ihnen mal alles ganz von vorn.“
Wegen mir, mein Weinglas war gut gefüllt und ich hatte Zeit.
„Am Schwarzen Meer ist eine Leiche eines Deutschen gefunden worden. Sie wurde am Strand von Arkutino angespült.“
Nur gut, dass es noch kein Telefon mit Videoübertragung gibt, sonst hätte sie gesehen, wie ich meine Augen verdrehe, oder gibt es so etwas schon? Dann wenigstens nicht bei mir zu Hause!
Ich unterbrach sie etwas forsch: „Gute Frau, ich arbeite für Interpol, wir sind zwar eine Polizei, die ganz International zuständig ist, aber für angeschwemmte Touristenleichen, die zu weit rausgeschwommen sind, rufen Sie doch bitte einen Bestatter an.“
Kurz war Ruhe am anderen Ende der Leitung und ich fühlte mich schon als Sieger im Match, Eins zu Null für die Männer.
„Herr Kaiser, lassen Sie mich bitte ausreden. Für wie dumm halten Sie mich?
Der tote Deutsche hatte in seiner Jackentasche seine Papiere dabei. Die Leiche lag nicht lange im Wasser, laut Obduktionsbericht höchstens eine Stunde.
Der Tote wurde von Ihnen schon einmal in Uganda gejagt und konnte damals von Ihnen nicht festgenommen werden. Es handelt sich dabei um einen Herbert van der Spuij, Deutscher mit holländischen Wurzeln.
Gehe ich recht in der Annahme, Sie kennen den Namen?“
Natürlich kannte ich den Namen, hatten wir doch den Mann zusammen mit Kollegen in der Stadt Kampala in Uganda ausfindig gemacht und zu spät mitbekommen, dass er sämtliche Polizei- und Regierungsbehörden auf seiner Gehaltsliste hatte.
Unsere Mission, ihn nach Deutschland zu bringen, wo er sich wegen internationaler Waffenschiebereien verantworten sollte, scheiterte schon kurz nachdem wir in Uganda eingetroffen waren. Die Polizei jagte uns aus dem Land und wir hatten Mühe, uns auf dem Landweg nach Tansania durchzuschlagen.
Wenn der Typ tot war, ist es kein Verlust für unsere schöne Mutter Erde. Der hat Alles und Jeden mit Waffen beliefert, Hauptsache seine Kasse stimmte.
Meine Ausflugslust ins schöne Schwarzafrika mit Vollpension war seitdem völlig zum Erliegen gekommen.
Dass er mit Bulgarien zu tun hatte, war uns damals schon bekannt, hatte er doch optische, elektronische Zieleinrichtungen für manuelle Waffen im Angebot, die in Bulgarien hergestellt werden und dann zufällig einige davon auf dem Schwarzmarkt auftauchten.
Ich erzählte ihr das, aber sie schien es schon zu wissen und meinte nur: „Ja, ist uns bekannt.“
Vielleicht war der Waffenhändler bei einem Deal von einem Boot gestoßen worden, sein Kunde war wohl etwas ungehalten über die Preise der Ware.
Frau Sonja Rutowa hatte aber noch mehr zu erzählen.
„Der Tote wurde von einem Strandspaziergänger entdeckt. Er hatte ihn aus dem Wasser gezogen und die Polizei informiert. Nach etwa einer Stunde kamen die Polizei und ein Arzt erst dort an.
Der Spaziergänger wartete am Strand auf sie und es ging es ihm da schon sehr schlecht. Der Arzt erkannte sofort, was los war und löste den Katastrophenfall für die Gegend dort aus. Der Spaziergänger hatte Strahlungsschäden an der Hand, mit der er den Toten aus dem Meer gefischt hatte.
Das Gebiet ist weiträumig abgesperrt worden, sämtliche Beteiligten sind ins Krankenhaus gebracht worden, zwei Polizisten, der Arzt und der Spaziergänger.
Die Leiche des Waffenhändlers ist an einen sicheren Ort gebracht worden. Aber jetzt kommt es. Die Dosis der Strahlung ist so hoch, als wenn sie sich im Kernkraftwerk Tschernobyl direkt an der Explosionsstelle befunden haben. Egal, was der Waffenhändler angefasst hat, es hat ihn in kurzer Zeit getötet. Bloß, wo ist der Strahlungsort oder was war der Gegenstand, der so stark strahlte?
Da kommen Sie ins Spiel. Sie hatten mit dem Fall des Toten schon zu tun und kennen seine Geschichte.
Wir brauchen Ihre Hilfe, Herr Kaiser. Ich habe extra Sie über Interpol angefordert.“
Es war schon eine Weile her, als ich in Uganda mit dem Fall zu tun hatte. Kein Fall, der einem angenehm war und eine merkwürdige Empfindung kam in mir hoch. Hatten wir doch da mit viel üblen Gestalten zu tun: Waffenschiebern, Dealern, Kindersoldaten und zugereisten Europäern, die kräftig mitverdienen wollten.
„Herr Kaiser, ich habe mir erlaubt, Ihnen einen Flug nach Burgas zu buchen. Sie fliegen um 6: 00 Uhr morgen früh ab Berlin-Schönefeld, alle Unterlagen sind dort für Sie hinterlegt. Ich hole Sie dann in Burgas ab.“
Na super, ich habe noch nicht einmal gepackt. Die Zeit, wo immer ein gepackter Koffer in der Wohnung stand, ist vorbei, dachte ich jedenfalls.
Innerlich etwas mürrisch sagte ich zu und telefonierte danach mit Hannah. Sie sah es gelassener. Mach dir ein paar schöne Tage am Meer, meinte sie nur. Sie hatte immer noch mit diesem Fall in Tel Aviv zu tun. Leider mit ihrem Ex-Mann Avi, es war mir alles andere als recht. Diesen Avi sah ich weiterhin als Konkurrent für mich, wer weiß was zwischen Hannah und ihm noch alles lief?
Auch in Israel hatte man intern von diesem Zwischenfall gehört. Wenn heutzutage irgendwo strahlendes Material gefunden wird, werden die Regierungen hellhörig, zu leicht kann ein Terrorist eine schmutzige Bombe damit bauen und ganze Gebiete auf Jahre hinaus verseuchen.
Mein Wein schmeckte mir nicht mehr, mein Essen war kalt, also war das gemütliche Abendessen vorbei. Ich packte meinen Koffer, nahm Dienstwaffe, genügend Munition und den Dienstausweis mit und steckte mir vorsichtshalber eine Badehose ein. Das Schwarze Meer ist traumhaft zum Schwimmen.
Ein Taxi brachte mich zum Flughafen in Berlin-Schönefeld und ich suchte mir den Schalter zum Abflug. Bei Bulgarien Air Charter wurde ich fündig. Nicht gerade Lufthansa, aber es wird schon gehen. Am Counter übergab mir ein muffliger Typ meine Unterlagen und ich ging zur Sicherheitskontrolle. Mit Dienstausweis und Waffe fliegen nicht viele ins Ausland, aber ich freue mich immer, wenn ich so etwas darf.
Die Maschine war so alt wie ihre Besatzung. Neues Material war bestimmt zu teuer für so eine kleine Fluglinie, aber sie brachte mich planmäßig aber holprig nach Burgas. Das Essen an Bord will ich mal als Fugendicht aus dem Baumarkt definieren.
Selbst hier in Bulgarien am Zoll sind die Mitarbeiter schlecht gelaunt und mufflig, scheint an der Spezies zu liegen.
Nachdem ich mir meinen Koffer geschnappt hatte und durch die Tür des zollfreien Bereiches trat, steuerte eine junge Frau in kurzen knappen Hosen und mit schrillem, buntem Oberteil mir entgegen. Die Sonnenbrille locker auf den Kopf geschoben und den Autoschlüssel an einem langen Band um den Hals tragend.
„Hallo Herr Kaiser, ich hab Sie erkannt von einem Foto von Interpol. Ich bin Sonja Rutowa, kommen Sie, kommen Sie“, und wollte mir meinen Koffer abnehmen. Sie war höchstens Mitte Zwanzig und so etwas von gut gebaut, lange, dunkle Haare, die ihr fast bis an den Po reichten und die Beine so lang!
Am Telefon klang sie eher wie eine Natascha mit streng nach hinten gebundenen Haaren und mit der Figur einer Hammerwerferin.
Da war ich mal sehr positiv überrascht. Sie lief vorneweg und ich betrachtete die Heckansicht der Frau Rutowa eingehend, nett! Zum Parkplatz war es ein Stück zu laufen, mit dem schweren Koffer an der Seite wurden mir schon die Arme lang, aber ich ließ mir nichts anmerken, holte am Auto aber tief Luft und atmete den Schmerz weg.
„Na Herr Kaiser, doch ziemlich weit zum Laufen, mit Koffer gar nicht so einfach in Ihrem Alter, oder?“ Und sie grinste mich dabei auch noch an.
Ich versuchte dabei wirklich krampfhaft einen körperlichen Makel bei ihr zu finden, nichts zu machen.
Sie fuhr einen Mercedes G-Modell in schwarz. Scheinbar hatte die bulgarische Regierung zu viel Geld. Falls alle Regierungsangestellten so aussehen wie Frau Rutowa, sollte ich mich mal hier bewerben.
Natürlich nicht, war ich doch glücklich verheiratet mit Hannah. War ich doch, oder? Manchmal stellte ich mir die Frage schon, zu oft waren wir bei Einsätzen getrennt. Auch unsere Dienstzeiten harmonierten nicht miteinander, da sieht man sich seltener, manchmal über Wochen nicht.
Frau Rutowa bot mir das DU an, war mir auch lieber so und sie fragte mir Löcher in den Bauch. Warum ich einen rumänischen Vornamen habe, wie alt ich bin, ob ich eine Frau habe und was ich für Musik gut finde.
Mein Gott, fühle ich mich alt an ihrer Seite. Die Frau ist ein Energiebündel und schnattert die ganze Zeit wie aufgezogen. Ich hatte nur herausbekommen, dass sie eine deutsche Mutter hatte, deswegen mit der deutschen Sprache groß geworden sei. Aufgewachsen war sie in der Hauptstadt Sofia, hatte dort alles Mögliche gelernt und studiert und war dann bei einer Regierungsbehörde gelandet.
Mit einem Fahrstil, der mich in die Nähe eines Herzinfarktes brachte, donnerte sie durch die Landschaft. Dass hier auch zu Dritt auf einer zweispurigen Fahrbahn nebeneinander gefahren wird, hatte ich noch nicht gehört. Sie steuerte den Benz aber gekonnt durch alle Situationen. Manchmal mit einem lauten Fluchen oder Dauerhupen ging es durch die schöne Gegend Richtung Süden.
Kurz nach dem Ort Sozopol, an der Küste und im Süden von Bulgarien, hielten wir an einem Hotel in Arkutino. Sonja stieg vorsichtig aus, ihre nackten Schenkel klebten an den Ledersitzen des Mercedes etwas an und ich nahm einen schnellen Blick auf ihre verschwitzten Schenkel.
Gut, schauen wir mal wo anders hin, so ein Blick ist gefährlich.
Aus dem Kofferraum nahm ich mein Gepäck und sie klärte das mit dem Hotel.
Ein niedliches Hotel, angelegt wie ein kleines Dorf, in der Mitte ein Pool und eine Bar. Mein Zimmer war außen auf der ruhigen Seite. Sie brachte mich hoch und sagte mir noch schnell: „In zwanzig Minuten unten am Eingang, dann zeige ich Ihnen mal etwas“, sprach es und verschwand schnell im Zimmer gegenüber.
Ich musste erstmal verschnaufen, Ende Mai war es hier schon hochsommerlich warm und schwül, die Minibar war gut gefüllt und ein kühles Bier fand seinen Abnehmer.
Ich blieb so wie ich war und machte es mir gerade auf einem Sessel bequem, als Sonja aus ihrem Zimmer kam und bei mir klopfte. „Ion. Kommen Sie mal rüber zu mir ins Zimmer“, und zog mich hinter sich her in ihr Zimmer. Neben dem Bett lagen mehrere schwarze Koffer und jede Menge Computerzeugs auf dem Tisch.
Sie öffnete einen Koffer und gab mir daraus ein Gerät.
„Ein Geigerzähler für dich und eine Uhr auch mit Geigerzähler. Wenn die Strahlung zu hoch wird, schlägt die Uhr selbsttätig Alarm.“
Gut, so etwas war mir mal wieder neu, aber man lernt ja nie aus.
Sonja hatte sich umgezogen, fiel mir auf, sie trug jetzt eine noch engere Hose und scheinbar ein Oberteil ohne BH, dazu Badelatschen.
„Willst du so bleiben, Ion?“ Und zeigte auf meine Garderobe. „Wir müssen runter an den Strand, da reichen kurze Sachen.“
Aha, woher nehmen und nicht stehlen. Außer langen Jeans hatte ich nichts mit. Stimmt nicht, eine Badehose, aber das schien mir nicht so angebracht.
Die Sachlage erklärte ich ihr und erntete mal wieder ein Grinsen. „Bin gleich wieder da. Warte hier!“ Sie schaute mich prüfend an, verschwand aus der Tür und ließ mich in ihrem Zimmer alleine. Ich sah mich um, auf der Anrichte lagen kleine durchsichtige Slips in vielen Farben und ein Damenrasierer. Mein Gehirn bekam es mit Kopfkino zu tun. An der gegenüberliegenden Seite des Zimmers war ihr persönlicher Koffer offen, drum herum lagen ihre Klamotten bunt verstreut in der Gegend. Scheinbar etwas schlampig die Kleine, aber nicht unsympathisch!
Nach einiger Zeit kam sie mit kurzen Sommersachen zurück. „Los anziehen, die Boutique hatte nichts anderes, aber es passt bestimmt und für den Strand reicht es allemal.“
Sie zeigte auf die Badtür und ich tat, wie mir aufgetragen. Kurze Hose in neongrün, ein Shirt mit einem Surfer darauf und gelbe Badelatschen. Hoffentlich kennt mich hier niemand. Fehlen bloß noch weiße Socken und Jesus-Latschen. Aus einem Koffer zog Sonja noch eine Sonnenbrille Marke Froschgesicht.
Ich kam mir vor, wie damals Tom Selleck in der Fernsehserie Magnum. Bunt und schrill, aber so schön zurecht gemacht, schnappte ich mir den Geigerzähler und fragte, ob es den auch in rot gibt, dann wäre mein Outfit wohl komplett. Sie lachte und machte mit ihrem Handy ein Foto von mir.
Ich hasse übrigens Badelatschen, die Geräusche beim Laufen sind nichts für mich. Es ging über die Straße Richtung Strand, weiter über einen Holzsteg, der durch die Dünen führte. Schon von Weitem war das Meer zu sehen, was silbern glänzend vor uns lag und an die Südsee erinnerte. Auf der linken Seite, auf einem Hügel in der Nähe von unserem Hotel, war eine riesige Bauruine zu sehen.
„Was ist das denn für ein hässlicher Komplex?“
Sonja erzählte mir von einem Projekt einer Schule. Noch vor der Wende sollte hier die kommunistische Elite aus aller Welt geschult und ausgebildet werden. Dazu kam es nicht mehr, die Planung kam noch aus den siebziger Jahren. Die Ausführung scheiterte am Tod einer der Hauptbeteiligten, nämlich der Tochter des Machthabers Todor Schiwkow, in den achtziger Jahren und dem Zerfall des Ostblocks danach.
Solche Bausünden sollte man abreißen, passt gar nicht in die schöne Landschaft hier am Schwarzen Meer.
Als der Holzsteg zu Ende war, standen wir an einem wunderschönen Sandstrand, linker Hand Jubel, Trubel, Heiterkeit. Weiter hinten eine Polizeiabsperrung vom Wasser bis hoch zu den Dünen. Dahinter hunderte Meter leerer goldgelber Sandstrand und türkisblaues Wasser.
Badelatschen sind doch was Feines, man wird sie schnell los und kann barfuß seinen Weg mit Sand zwischen den Zehen fortsetzen. Ohne Schuhe laufen ist was Tolles. Wenn ich im Sommer auf dem Grundstück von meiner Oma in Rumänien bin, dann verzichte ich freiwillig auf Schuhwerk. Meine Großstadtfüße sind dankbar für diese Erfahrung vom direkten Kontakt mit Sand und Gras, auch mal mit Hundekacke auf dem Weg. Aber nach dem Sommer sind meine Füße dann irgendwie geheilt vom Alltagsstress des Winters.
Der Weg über den feinsandigen Strand zur Polizeiabsperrung war anstrengender als erwartet. Ich ließ mir nichts anmerken, aber die Sonne war schon im Modus Rothaut und somit unerträglich heiß.
Ein Polizist kam auf uns zu, schien uns als Touristen zu identifizieren und wollte uns schon mit einer Handbewegung verjagen, als er Sonja erkannte und das Absperrband hochhob und uns durch ließ.
Sonja schaltete ihren Geigerzähler an und ich tat mich etwas schwer mit dem meinigen.
Er piepste unaufhörlich und blinkte wie wild. Mir wurde geholfen und die Technik erklärt, ist doch schön, wenn die Jugend den älteren Menschen behilflich ist.
Gerade bei der Elektronik habe ich das Gefühl, den jungen Menschen ist der Umgang damit schon mit in die Wiege gelegt worden. Selbst wenn mir mein Mobilfunkanbieter ein neues Handy zuschickt, wandert es ungesehen in den Schrank, sonst sitze ich tagelang beim Übertragen von Daten und Bildern. Nichts für mich. Junge Menschen, drücken mal da und mal dort und schon ist alles fertig. Ein Rätsel für mich, wie so etwas funktioniert!
Den Geigerzähler immer vor uns hertragend, kamen wir nach etwa sechshundert Metern an eine Stelle, wo das Gerät heftiger ausschlug, laut Sonja bestand aber keine Gefahr. Der angezeigte Wert war nur minimal erhöht.
Die Wellen hatten den Sand, auf der die verstrahlte Leiche lag. schon in der Bucht großflächig verteilt, so dass kaum noch erhöhte Werte gemessen werden konnten. Eine Gesundheitsgefährdung bestand laut meiner Begleiterin nicht mehr, aber ich bin skeptisch.
Alles, was ich nicht sehen kann, ist mir suspekt, der Fall in Rumänien war ein gutes Beispiel dafür.
Der Geigerzähler schlug nur auf cirka zwei Quadratmeter aus. Links und rechts war alles auf Normwert. Die Wellen schlugen an den Strand, als ob hier nichts gewesen war.
Nach dem Fund der Leiche hatten Marinetaucher die komplette Bucht nach Hinweisen abgesucht. Keine weiteren Hinweise auf radioaktive Strahlung, weder unter Wasser, noch an Land. Folglich muss der getötete Waffenhändler von einem Boot gekommen sein, dort muss aber dann auch Strahlung feststellbar sein.
Die bulgarische Regierung hatte vom Fundtag der Leiche Satellitenbilder auswerten lassen.
Wenn der Körper nur kurze Zeit im Wasser lag, kamen nur acht Schiffe in Frage. Diese Schiffe wurden durch die bulgarische Marine zum Anhalten gezwungen und durchsucht. Auch bei diesen acht Schiffen war keine erhöhte Strahlung festgestellt worden.
Da kam ich wohl ins Spiel und sollte den Fall lösen, nur weil ich mal hinter diesem Typen her war?
Mir erschloss es sich zwar nicht, warum ich angefordert wurde, klar ist Interpol für schwierige Fälle international zuständig, aber da gibt es ganz andere, die man da hätte einsetzen können.
Sonja wusste es auch nicht, meinte nur, wir würden später noch Einzelheiten erfahren, denn in der Stadt Burgas erwartet man uns am Abend noch.
Am Strand entlang ging es noch ein Stück bis zu einem steinigen Felsen im Wasser. Die Bucht war hier zu Ende und wir krabbelten auf den glitschigen Klippen umher, um das Gebiet noch ein wenig abzusuchen.
Hier ist der Anfang des Naturschutzreservates Ropotamo, eines fast urwaldähnlichen Gebietes mit Wasserläufen, seltenen Pflanzen und Tieren.
Vom Felsen hatten wir darauf einen schönen Blick landeinwärts und die Küste entlang.
Laut Sonja war es zu kommunistischen Zeiten das Jagdgebiet des damaligen Machthabers Todor Schiwkow und war somit nicht frei zugänglich. Der Natur tat es gut.
Heutzutage kümmern sich Ranger um den Erhalt des Kleinods.