Andrew Taylor Still 1828-1917 - Carol Trowbridge - E-Book

Andrew Taylor Still 1828-1917 E-Book

Carol Trowbridge

4,9

Beschreibung

Andrew Taylor Still (1828-1917) hat vor über 100 Jahren die Osteopathie begründet. Im gegenwärtigen Boom der Osteopathie in Deutschland, Österreich und der Schweiz ist es daher umso wichtiger jedem an der Osteopathie interessierten Menschen Leben, Zeit und Werk dieses außergewöhnlichen Mannes zugänglich zu machen. Als Mitarbeiterin des National Still Osteopathic Museum hatte Carol Trowbridge Zugang zu den persönlichsten Unterlagen von Still. Akribisch hat sie sämtliche Details der Zeit und des Lebens rund um einen der exzentrischsten und brillantesten Mediziner des 19.Jhdt. zusammen getragen. Es entstand ein Buch allerhöchster medizinhistorischer Bedeutung, das einen ebenso fesselnd wie kompetent in das Amerika des 19.Jhdt entführt. Fern ab der großen Städte des Ostens lernen wir einen Mann der Wildnis kennen. Einen Mann, der sich auf Grund von Naturbeobachtungen und durch den Tod drei seiner Kinder aufmacht, um den Horizont der medizinischen Philosophien und Praktiken seiner Zeit zu durchbrechen. Sohn eines umherreitenden Methodistenpredigers, Major im Bürgerkrieg, Erfinder, Sägemühlenbesitzer, etc. Selbst wer sich nicht für Osteopathie interessiert findet in dieser Biographie historische Unterhaltung von bester Qualität. Dieses Buch ist Schlüssel zur "Seele" von Andrew Taylor Still. Falls Sie im Anschluss daran Stills Kompendium gelesen haben gehören Sie zu den wenigen Menschen, die über ein tieferes Verständnis der Osteopathie verfügen. Die Frage "Was ist Osteopathie wirklich?" stellt sich für Sie dann nicht mehr. Das große Still-Kompendium (2. Auflage) 3936679649

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Andrew Taylor Still

1828 – 1917

Carol Trowbridge

Andrew Taylor Still

1828 – 1917

Aus dem Amerikanischen von

Dr. Martin Pöttner

Bearbeitet von

Christian Hartmann

Titel der Originalausgabe:

Andrew Taylor Still 1828 – 1917

von Carol Trowbridge

© 1991, Truman State University Press

ISBN: 094354906X

IMPRESSUM

Andrew Taylor Still 1828–1917

Copyright © 2006 bei JOLANDOS

JOLANDOS, Am Gasteig 6, 82396 D-Pähl

ISBN 978-3-936679-30-4 (Print)

ISBN 978-3-941523-14-2 (Ebook / MOBI)

ISBN 978-3-941523-36-4 (Ebook / EPUB)

www.jolandos.de, [email protected]

BESTELLUNG: [email protected]

TITEL DER ORIGINALAUSGABE

Andrew Taylor Still 1828–1917

von Carol Trowbridge

© 1991, Truman State University Press

ISBN: 094354906X

ÜBERSETZUNG

Christine Lindner

BEARBEITUNG

Dr. Martin Pöttner

Christian Hartmann

UMSCHLAGGESTALTUNG & SATZ

Christian Hartmann, JOLANDOS

DRUCK / PRINTVERSION

Buchproduktion Thomas Ebertin

www.buchproduktion-ebertin.de

EBOOK-GESTALTUNG

Corinna Rindlisbacher

www.ebokks.de

Bildmaterial mit freundlicher Genehmigung von Museum of Osteopathic Medicine [ehem.: Still National Osteopathic Museum] der A. T. Still University, Kirksville, MO, USA.

Jede Verwertung von Auszügen der deutschen Ausgabe ist ohne Zustimmung des JOLANDOS -Verlags unzulässig und strafbar. Dies gilt für Vervielfältigungen und Verbreitung in welcher Form auch immer.

ABB. 1: ANDREW TAYLOR STILL, CA. 1885

INHALTSVERZEICHNIS

BILDVERZEICHNIS

ABKÜRZUNGEN

LEGENDE

VORWORT DES HERAUSGEBERS

DANKSAGUNG DER AUTORIN

VORWORT DER AUTORIN

Teil I: Die Reise einer Familie

1. SÖHNE DES DONNERS

Die Gefangenen vom Abb-Tal

Sklaverei und Methodismus

Die ‚viel diskutierte Frage‘

Heroische Medizin

Amerikanisches Vertrauen in natürliche Methoden

Das Seminar der Holstoner Konferenz

Die Bedingungen in der Holstoner Konferenz

2. EINE HEULENDE WILDNIS

Predigen in Missouri

Das Leben als Siedler

Althergebrachte Religion

Die Spaltung der Methodistischen Kirche

Methodistische Indianermissionen

Die Indianische Handwerkliche Schule der Shawnees

Der Fish´sche Stamm

3. EIN MELODRAM IN KANSAS

Die Wakarusamission

Vorspiel zur Gewalt

Die Unterstützungsgesellschaft für Emigranten in Massachusetts

Lawrence in Kansas

Die Wahl von Kansas

Die Wakarusamission ist geschlossen

Die Männer des Freistaates rüsten sich für den Krieg

Der Wakarusa-Krieg

Blutendes Kansas

Die Zerstörung von Lawrence

Leben in Angst

Palmyra

Die Schlacht von Osawatomie

Atchinsons große Armee

Die Freistaatliche Legislative von 1857

Die Baker University

Baldwin City

Teil II: Die Reise von Andrew Taylor Still

4. EIN NEUBEGINN

Die Medizin des Bürgerkriegs

Das Studium des Menschen

Spiritualismus

5. EINE NEUE WISSENSCHAFT

Die Suche

Kirksville

Eine Rente der Regierung

Die Wissenschaft erhält einen Namen

Die erste Schule

Die erste Klasse

Wettbewerber tauchen auf

6. DER ALTE DOKTOR

Eine amerikanische Schule, eine amerikanische Wissenschaft

Osteopathie und Evolution

Ursache, Bewegung und Kraft

Der osteopathische Ansatz

Die Littlejohns

Ein Evolutionär

Nationale Anerkennung

Die letzten Jahre

ANDREW TAYLOR STILLS FAMILIENALBUM

LITERATURVERZEICHNIS

ENDNOTEN

BILDVERZEICHNIS

ABB. 1: ANDREW TAYLOR STILL, CA. 1885* ID 1501

ABB. 2: ABRAM STILL, CA. 1845

ABB. 3: FAMILIENHAUS STILL IN LEE COUNTY, VIRGINIA

ABB. 4: DIE WAKARUSAMISSION

ABB. 5: ANDREW TAYLOR STILL, CA. 1890

ABB. 6: MARIA ELVIRA TURNER STILL, CA. 1863

ABB. 7: AUSZEICHNUNG FÜR STILLS BUTTERRÜHRER, 1871

ABB. 8: A. T. STILL, CA. 1875

ABB. 9: A. T. STILL UND DR. WILLIAM SMITH, CA. 1893

ABB. 10: DIE ERSTE KLASSE DER OSTEOPATHIE, 1892 – 1893

ABB. 11: A. T. STILLS KRANKENHAUS, 1897

ABB. 12: AMERICAN SCHOOL OF OSTEOPATHY, 1892

ABB. 13: A. T. STILL AUF DER FARM MORRIS, MO.* ID 1514

ABB. 14: A. T. STILL AN SEINEM 85. GEBURTSTAG, 1913

ABB. 15: FAMILIE STILL, CA. 1905

ABB. 16: ANDREW TAYLOR STILL, CA. 1885

ABB. 17: MARIA (MA)RY MARGERET VAUGHN, CA. 1856

ABB. 18: MARIA ELVIRA TURNER STILL, CA. 1863

ABB. 19: MARUSHA HALE STILL, CA. 1855

ABB. 20: CHARLES EDWARD STILL, CA. 1885

ABB. 21: HARRY MIX STILL, 1894

ABB. 22: HERMAN TAYLOR STILL, 1894

ABB. 23: FRED STILL, CA. 1893

ABB. 24: MARTHA HELEN BLANCHE STILL, CA. 1905

BILDANHANG A: MITTLERER WESTEN (CA. 1850)

Bilder 1-24 mit freundlicher Genehmigung des Museum of Osteopathic Medicine [ehem.: Still National Osteopathic Museum]

* Als Praxisposter beim JOLANDOS-Verlag erhältlich (ID .= Artikelnummer)

VORWORTDES HERAUSGEBERS

Um Osteopathie wirklich verstehen zu können, bedarf es der intensiven Beschäftigung mit ihrem Begründer, Andrew Taylor Still. Ähnlich wie in der Homöopathie sind auch hier Entdecker und Entdeckung auf fast schicksalhafte Weise miteinander verbunden. Osteopathie, weit mehr als nur eine Behandlungsmethode, ist zugleich Philosophie und Lebenseinstellung. Sie wurde geprägt durch einen ebenso neugierigen wie selbstkritischen Geist und von Stills Urvertrauen in die Schöpfung namens Mensch. Von zutiefst spirituellen Einblicken in die Wunder der Natur geleitet, beseelte Still, eine der schillerndsten Erscheinungen und brillantesten Köpfe der Medizin im Amerika des 19. Jahrhunderts, die damals brachliegende Medizin auf geradezu wundersame Weise.

Carol Trowbridges in acht Jahren mühevoller Kleinarbeit zusammengetragenes Werk ist ein Schatz ganz besonderer Art. Es ist neben Jane Starks Stills Faszienkonzepte das einzige Werk innerhalb der Osteopathie, welches uneingeschränkt den höchsten medizinhistorischen Anforderungen gerecht wird. Die Autorin verstand, dass Stills Philosophie der Osteopathie nur im Kontext mit seiner Lebensgeschichte und diese wiederum nur eingebettet in seine Zeit zu verstehen ist. Tatsächlich liegen die Wurzeln der Osteopathie im Amerika des 19. Jahrhunderts. Jeder Osteopath muss Ms. Trowbridge für ihr erfolgreiches Bemühen, diese Wurzelspitzen mit allergrößter Sorgfalt freizulegen, und ihren Versuch die Osteopathie, so wie sie von Still verstanden wurde, am Leben zu erhalten, allerhöchsten Dank aussprechen.

Genießen Sie dieses Buch, begeben sie sich auf eine Reise zu den Ursprüngen der Osteopathie und lassen Sie sich von dem Gefühl eines tieferen Verstehens durchdringen. Ich bin mir sicher, nach der Lektüre werden Ihnen Stills Werke in einem völlig neuen und wesentlich helleren Licht erscheinen.

Christian Hartmann Pähl, September 2006

DANKSAGUNGDER AUTORIN

Hiermit möchte ich allen meinen Kollegen des Still National Osteopathic Museum meinen uneingeschränkten Dank aussprechen. Mit ihrer Hilfe haben sie einem wichtigen Stück der Medizin eine Heimatstätte gegeben. Für die spontane Aufmerksamkeit allen meinen Anfragen gegenüber danke ich aufrichtig den Angestellten der A. T. Still Memorial Library im College of Osteopathic Medicine, die Teil der Kansas State Historical Society ist. Vertreter der Baker University waren gleichermaßen hilfsbereit wie herzlich und ermöglichten mir damit ein effektives Arbeiten. Luana Quick und Marcie Murphy ermutigten mich mit ihren konstruktiven Beiträgen und wohlwollenden Kommentaren zu den früheren Versionen des Manuskripts; die Begeisterung meines leitenden Schreibers, Dixie Baxley, ließen mich hoffen, dass auch andere das Buch interessant finden würden.

Zwei Mitglieder der Familie Still, Mary Jane Denslow und Elisabeth Laughlin, stellten auf Anfrage sämtliche Informationen zur Verfügung. Was aber weitaus wichtiger war, sie vermittelten etwas von der – möglicherweise heute in Vergessenheit geratenen – Atmosphäre, von der unser Berufsstand bei seinem Kampf um Anerkennung und um die Bewahrung der Philosophie des Begründers durchdrungen war. Die Enkelin von A. T. Still, Mary Jane, war nicht nur die treibende Kraft bei der Gründung des Still National Osteopathic Museum, sondern auch eine herausragende Donatorin für seine Archive. Ihr letzter Ehemann, J. Stedman Denslow, DO betrieb intensive osteopathische Forschung. Seine Arbeit und seine Verbindungen zu führenden Köpfen der Grundlagenforschung waren ausschlaggebend zur Sicherung der ersten staatlichen Unterstützung osteopathischer Colleges. Elisabeth Laughlin, deren letzter Ehemann, George Andrew, ein Enkel des Gründers und hochgeschätzter osteopathisch tätiger Arzt war, teilte mit ihm den Besitz der Manuskripte von Still. Ohne die enge Zusammenarbeit mit Mary Jane und Elisabeth hätte dieses Buch nicht geschrieben werden können. Elisabeths ausführliche genealogische Bibliothek, ihre ganz persönlichen Unterlagen über die Familie Still und die niedergeschriebenen Erinnerungen von Stills Schwestern gaben mir die nötige Inspiration für eine verständnisvollere Annäherung an die intellektuelle Welt des 19. Jahrhunderts und halfen mir so, die Gedankenwelt von Still besser herauszuarbeiten.

Niemand hat bisher eine detaillierte Biographie von Andrew Taylor Still geschrieben. Seine Autobiographie enthält zwar grobe Umrisse seines Lebens, während die persönlichen Erinnerungen anderer vornehmlich sein Auftreten und seinen Charakter beschreiben; es verbleiben dennoch enorme Lücken. Und tatsächlich schien Still – obwohl scheinbar äußerst exzentrisch und egoistisch – mehr am aktuellen Stand seiner Lehre als an deren Ursprüngen und seinen eigenen Geburtswehen interessiert.

Da dieses Buch so viele Bereiche der Geschichte berührt, möchte ich den unzähligen Historikern danken, die ihre Arbeiten veröffentlicht haben. Vielen Fachleuten schulde ich für ihre Kritik aufrichtigen Dank: Dr. David March, der das Manuskript in verschiedenen Stadien seiner Entstehung begutachtet und mich auf sehr angenehme Art und Weise an historisch exaktes Arbeiten herangeführt hat; Dr. Comie Hilt Jones für ihre Vorschläge bei der Veröffentlichung, und selbstverständlich sämtlichen Lesern, die ihre Kommentare zu früheren Manuskriptversionen beisteuerten. Am allermeisten danke ich Robert Schnucker, der meine früheren Entwürfe vielversprechend bewertete und mich mit seinen eindringlichen Fragen begleitete. Schließlich danke ich meiner Familie, Bob, Carey, Rob, Diane und Scott für ihre Geduld während der acht Jahre vom Entwurf bis zur Fertigstellung dieses Buches. Besonders meinem Ehemann werde ich für seine uneingeschränkte Unterstützung in guten und in schlechten Momenten auf ewig zu besonderem Dank verpflichtet sein.

Carol Trowbridge Visalia, California, September 1990

VORWORTDER AUTORIN

Als unsere Familie 1976 nach Kirksville, Missouri, dem Geburtsort der osteopathischen Medizin, umzog, wusste ich weder etwas von Andrew Taylor Still und seiner Philosophie noch vom osteopathischen Berufsbild. Ich kannte mehrere DOs von früher und war beeindruckt von ihrem Wunsch einen Beruf zu ergreifen, dessen Glaubwürdigkeit in medizinischen Kreisen bis heute in Frage gestellt wird. Während meiner Beschäftigung mit der osteopathischen Medizin, meinen Bekanntschaften mit ausgewählten und praktizierenden DOs und meiner Arbeit am Still National Osteopathic Museum wunderte ich mich dann mehr und mehr über den zweifelhaften Ruf der Osteopathie, die mir doch so vernünftig erschien. Durch den Versuch, Osteopathie zu verstehen, wurde ich zunehmend in den Bann der Lebensgeschichte ihres Gründers und seiner Familie gezogen, mitsamt der osteopathischen Philosophie, deren Ursprüngen sowie ganz allgemein dem Amerika des 19. Jahrhunderts.

Am 22. Juni 1874 um 10 Uhr vormittags erfuhr ein amerikanischer Arzt, Andrew Taylor Still, eine das Leben verändernde Offenbarung, von welcher er glaubte, sie könne die Medizin des 19. Jahrhundert revolutionieren. Still hatte 10 Jahre zuvor drei seiner Kinder an zerebrospinaler Meningitis und damit zugleich sämtliches Vertrauen und alle Hoffnung in die medizinischen Therapien seiner Zeit verloren. Mit vom Kummer aufgewühlten Gefühlen und einem Verstand, der die traditionelle Medizin verachtete, wurde Still besessen von der Idee, die Ursachen von Krankheiten und Möglichkeiten zu ihrer Heilung zu finden. Mit dieser Hoffnung stand er nicht alleine da.

Zur damaligen Zeit herrschte in der Medizin große Verunsicherung. Seit den 1850ern bis in die 1880er bröckelten die Fundamente der sogenannten ‚heroischen Medizin‘. Medikamente und Techniken, welche die Ärzte seit den 1770ern verwendet hatten, wurden in Frage gestellt: exzessiver Aderlass, durch Unmengen von Emetika und Reinigungsmittel ausgelöstes Erbrechen oder der Gebrauch von Quecksilber- und Kupferchlorid als Bedarfsmedikation. Viele Ärzte änderten die Therapie und verabreichten Opium, Kokain und Alkohol, anstatt Aderlässe durchzuführen oder Erbrechen auszulösen. Als das weitaus sicherste Mittel erschien in jenen Tagen, überhaupt nichts zu unternehmen. In dem Maße, in dem sich der medizinische Berufsstand in Richtung therapeutischen Nihilismus entwickelte, wuchs die Anzahl der Ärzte, die sich wieder auf konservative, auf die Kräfte der Natur vertrauende Therapien verließen. Viele waren auf der Suche nach einem stabilen Theoriegebäude, um Ordnung in das medizinische Chaos zu bringen und die Medizin endgültig als wissenschaftliches Fach zu etablieren. Stills Entwurf, der unmittelbar auf der großen wissenschaftlichen Theorie seiner Zeit – der Evolutionstheorie – gründete, entstand in der erwähnten blitzartigen Eingebung des Juni 1874.

Es folgten Jahre des Nachdenkens, Studiums und Experimentierens, bevor Still im Herbst 1897 die American School of Osteopathy eröffnete, in Kirksville, Missouri, einem kleinen unbedeutenden Ort fernab sämtlicher medizinischer Zentren. Aber genau dies – Distanz zu traditioneller Medizin – war es was Still wollte. Die Absolventen seiner Schule, die sich zunächst Diplom-Osteopathen und später Doktoren der Osteopathie nannten, wurden zur Vorhut der medikamentenfreien Revolution im Bereich der medizinischen Philosophie und Therapie. Als Vorkämpfer dieses Aufstands hatten sie, wie andere Pioniere in der Medizin, denen erbitterter Widerstand geleistet wurde, nahezu ein Jahrhundert lang einen Kampf gegen schier unglaubliche Hindernisse zu führen.

Stills osteopathische Lehre, die auf biologischen Prinzipien basierte und eng mit den Strukturen des menschlichen Organismus verknüpft war, gestaltete sich holistisch und naturalistisch, wobei die Gesundheit stets mehr betont wurde als die Krankheit. Er glaubte an die Vollkommenheit des Körpers. Aus diesem Glauben heraus entstanden vier umfassende und wechselseitige Prinzipien:

1. Der menschliche Körper arbeitet als vollkommene biologische Einheit;

2. der Körper besitzt Selbstheilungs- und Selbstregulierungskräfte;

3. Struktur und Funktion sind verknüpft;

4. anormaler Druck in einem Teil des Körpers erzeugt anormalen Druck und Anspannungen in anderen Teilen des Körpers.

Still lehnte Medikamente ab und benutzte manipulative Therapien, um die Heilungskräfte der Natur freizusetzen. Diese arzneifreie Revolution wurde an der politischen Front erfolgreich verschwiegen und der Beitrag der Osteopathie zur amerikanischen Medizin wurde praktisch ignoriert, sodass weder Andrew Taylor Still noch die Osteopathie ihren verdienten Platz in den Annalen der amerikanischen Medizin gefunden haben. Heutzutage gedeiht der osteopathische Berufsstand in 15 medizinischen und staatlich geförderten Schulen. Etwa 30.000 amerikanische Osteopathen genießen in sämtlichen Staaten das uneingeschränkte Recht, als Mediziner und Chirurgen zu praktizieren, und sie nehmen an denselben Abschlussprüfungen teil wie die MDs. Dieser Status wurde jedoch erst vor relativ kurzer Zeit erreicht. Im Kampf um Anerkennung bei gleichzeitiger Bewahrung seiner Einzigartigkeit entwickelt sich der weitere Weg dramatisch. Während das 20. Jahrhundert zu Ende geht, glauben einige Beobachter (v. a. jene, welche die Eigenständigkeit der Osteopathie in Zweifel ziehen) eine ernsthafte Identitätskrise auszumachen. Aus rein pragmatischen Gründen wurden sie MDs.

Manipulative Therapie, einst ein unverzichtbarer Bestandteil der osteopathischen Praxis, wurde weitestgehend verbannt. Unter überwältigendem politischen und sozioökonomischen Anpassungsdruck und durch immer neue Entdeckungen von sogenannten ‚Wundermitteln‘ bedrängt, verloren die DOs ihre Einzigartigkeit schon vor langer Zeit. Mein ursprüngliches Bemühen, die Geschichte über Andrew Taylor Still mit der des osteopathischen Berufsstandes zu vermengen, erwies sich als Versuch Öl mit Wasser zu mischen, denn um praktische Anerkennung zu bekommen, verwenden sie genau das, was der Gründer verabscheute: Medikamente und Konformität mit medizinischen Curricula. Von Beginn an beherrscht die Schlacht um Anerkennung als ‚wahre‘ Ärzte den Berufsstand und überschattet seinen Gründer und die Wurzeln seiner Philosophie. Die meisten Referenzen innerhalb des Berufsstandes beleuchten seine Exzentrik und zeigen ihn als jemanden auf dem Pfad zu einigen Edelsteinen der Wahrheit, zumindest als einen Radikalen. Jenseits der Profession ist sein Image weitaus schlechter. Ein Medizinhistoriker charakterisierte seine Ideen kürzlich als ‚verrückt‘. Freundlichere Sichtweisen sehen in ihm einen exzentrischen Quacksalber fernab medizinischer Gedanken. Größtenteils wird Still ignoriert.

Zwischen 1874 und 1892, ausgeschlossen von seiner Familie und anderen Menschen, wanderte Still durch den Nordosten Missouris und lehrte jedem, der bereit war zuzuhören, seine neue Wissenschaft. Ganz in Schwarz gekleidet, die Hosenbeine sorgfältig in seine kniehohe Stiefel gesteckt und einen Rucksack geschultert, der einen kompletten Satz menschlicher Knochen enthielt, gab Still tatsächlich das Bild eines Exzentrikers ab. Seine halsstarrige Weigerung die traditionelle Medizin in den Lehrplan zu integrieren, passt exakt zu diesem Image. Aber nur ein Mangel an historischer Kenntnis lässt Still absonderlich erscheinen. Das ist ungerecht einem zur Innenschau fähigen Mann gegenüber, dessen Ideen als ein Produkt seiner Zeit in seinen Anwendungen dieser weit voraus waren. Tatsächlich stand Still am Ende des 19. Jahrhundert an der Spitze des Gedankenguts und der Philosophie in der Wissenschaft. Der arzneifreie Ansatz war radikal (und wird es wohl auch bleiben), aber der ‚verrückte‘ Still erscheint im Kontext der Medizin des 19. Jahrhunderts eher als einer der grundvernünftigen Ärzte. Selbst heute, wo Millionen von Dollar der Arzneimittelforschung zufließen, liegt die Zukunft der Medizin möglicherweise genau auf jenem Gebiet, welches Still immer und immer wieder hervorhob: dem Abwehrsystem des Körpers.

Eine Stellungnahme von Ronald G. Walters in The Anti-Slavery-Appeal ermunterte zukünftige Historiker dazu, mehr das herauszufinden, was die Reformer amerikanisch und nicht, was sie exzentrisch gemacht hat. Genau diese Vorstellung leitete meine Nachforschungen und führte mich weit über das hinaus, was ich ursprünglich zu schaffen gedachte. Schließlich brachte sie mich zu einem umfassenderen Verständnis von Still und der Osteopathie. Die Geschichte dieses Mannes und seiner medizinischen Bewegung ist den meisten Amerikanern praktisch unbekannt – und das, obwohl beide ausgesprochen amerikanisch sind. Still erlebte den großen Zug nach Westen, die zweite Industrielle Revolution und das Erwachen der Wissenschaft. Er nahm Teil am Grenzkrieg des ‚blutenden Kansas‘ und diente anschließend im Bürgerkrieg. Noch wichtiger für die Geschichte der Osteopathie: er war der Sohn von Abram Still, einem umher reitenden Methodistenprediger, sodass die methodistische Doktrin der Vollkommenheit seine Philosophie ebenso durchdrang, wie auf die ein oder andere Art viele Gedanken und Handlungen im Amerika des 19. Jahrhundert davon durchdrungen waren.

Vollkommenheit, durch den englischen Begründer des Methodismus, John Wesley, populär gemacht, bezeichnete einen heiligen Staat, in welchem der Einzelne sein Herz und sein Leben Gott widmete. Wesley glaubte daran, dass die ultimative Vollkommenheit erst nach dem Tode zu erreichen sei, aber er lehrte, dass das Heil eines Menschen nicht vorherbestimmt sei und daher mit dem Prozess der Vervollkommnung bereits im Leben begonnen werden könne. Durch das Verkünden des Glaubens und Übernahme von Verantwortung für sein eigenes Tun könne man der Vollkommenheit Schritt für Schritt näher kommen. Dieses methodistische Leitmotiv der individuellen Verbesserung sickerte allmählich in die nicht-kirchlichen amerikanischen Einrichtungen des 19. Jahrhunderts ein. Einige Philosophen erweiterten das Konzept der Vollkommenheit um den nächsten logischen Schritt und fragten: Wenn Gott vollkommen ist, wie kann dann irgendetwas von ihm erschaffenes, die Menschheit eingeschlossen, nicht vollkommen sein? Dies war Stills Position, eine Haltung, die allerdings in einem wesentlichen Punkt von Wesleys Doktrin der Vollkommenheit abweicht: dem theologischen Konzept der Erbsünde. Aufgrund dieser Abkehr vom Methodismus seiner Kindheit erlitt Still, wie viele andere seiner Generation, welche die Evolutionstheorie akzeptierten, ein schweres emotionales Trauma.

Stills Welt war nicht mehr dieselbe, nachdem er sich der Gedankenwelt der Transzendentalisten, Universalisten, Spiritualisten, Mesmeristen und Phrenologen – jede einzelne Vorreiterbewegungen, die auf einer menschenzentrierten Welt, gesteuert durch Gesetze der Natur, basierten – angenähert hatte. Jene Vorstellungen ließen Amerikas Gedankenwelt des 19. Jahrhunderts erzittern und ebneten so der Evolutionstheorie den Weg zur Anerkennung. Obwohl die Osteopathie an den fernen Grenzlinien des Landes entstand, zog Still seine Schlüsse aus den rasch fließenden intellektuellen Gedankenströmen des 19. Jahrhunderts und gestaltete seine eigene aus den Konzepten der Phrenologie, des Mesmerismus oder der Magnetheilung, des Knochenrichtens, des Spiritualismus, des Perfektionismus und der Evolutionstheorie. Da Stills Geschichte am besten im Zusammenhang mit seiner Zeit zu verstehen ist, beschäftigt sich der erste Teil des Buches mit dem Umfeld, in dem sich die Familie Still bewegte. Der zweite Teil beschreibt Stills persönliche Geschichte und zeigt so genau wie möglich, welche Möglichkeiten ihm in diesen Zeiten zur Verfügung standen.

Carol Trowbridge

TEIL I

DIE REISE EINER FAMILIE

ABB. 2: ABRAM STILL, CA. 1845

Die frühen Methodisten wurden wegen ihrer feurigen Predigten, ihrer erschreckenden Beschreibung der Hölle und ihrer anschaulichen Schilderungen des Jüngsten Tages als ‚Söhne des Donners‘ bezeichnet. Durch Abraham war Andrew Taylor Stills Gefühlswelt geladen mit dem Wort Gottes, das in ihm vielleicht mehr als in anderen die Visionen und die Verantwortung zur Reform weckte.

1. SÖHNEDES DONNERS

„Ich beschloss, mich des Themas anzunehmen und Nachforschungen darüber anzustellen […] ob bewiesen werden könnte, was von den ergrauten Weisen von der Kanzel herab dargelegt wurde: dass die Werke Gottes seine Vollkommenheit beweisen.“1

A. T. Still

Als Abram und Martha Still starben, starb ein Teil der amerikanischen Geschichte mit ihnen. Abram und Martha waren die Eltern von Andrew Taylor Still. Abram wirkte als einer der ‚Weisen von der Kanzel‘, er war ein Methodistenprediger alten Stils. Martha war die Frau eines Pioniers, die ihrem Ehemann trotz Gefahr, der Abgelegenheit der Unterkünfte und ihrer eigenen Abneigung dagegen in jeden noch so entlegenen Winkel folgte. Obwohl sich Andrew später von einer organisierten Religion abwandte, erbte er von den Methodisten seine Abscheu gegen Alkohol und Sklaverei, ein Interesse an der Bildung und eine Wesleysche Einstellung zur Medizin, die Gesundheit und nicht Krankheit in den Mittelpunkt rückte. Andrew lebte in einem Milieu, das emotional mit dem Wort Gottes angereichert war, und er schien – vielleicht mehr als andere – mit einer Vision und der Verantwortung zur Reform beseelt gewesen zu sein.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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