Anfängerfehler - A.R. Klier - E-Book

Anfängerfehler E-Book

A.R. Klier

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Beschreibung

Frederik Hendriksson gerät als Assistenzarzt in den Sog eines gewaltigen Skandals, dessen Kreise sich durch das ganze Krankenhaus ziehen. Schon bald wird Frederik zum Gejagten und muss um sein Leben fürchten, denn seine korrupten Kollegen schrecken vor nichts zurück. Kann er überhaupt noch jemandem vertrauen?

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Seitenzahl: 272

Veröffentlichungsjahr: 2022

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Die Münchner Autorin A.R. Klier hat ihre ersten Gehversuche schon zu Schulzeiten gemacht: Insgesamt drei Mal nahm sie am KWA-Schülerliteraturwettbewerb teil und wurde 2012 für die Kurzgeschichte Einsame Familie mit dem ersten Preis ausgezeichnet.

Seither hat A.R. Klier sich den Medizinkrimis der Fehler-Reihe rund um die Assistenzärzte Frederik Hendriksson und Niklas Thorsen gewidmet, die bereits fünf Einzelbände umfasst. Weitere Fehler-Krimis sind in Arbeit.

Mit der Bühnenfieber-Reihe bleibt A.R. Klier ihrer Liebe zur Medizin weiterhin treu, sodass das Theater-Drama eine weitere, spannende Note bekommt. Mit Hauptfigur Christian Rückert ist bisher 1 Band veröffentlicht, weitere Teile sind in Vorbereitung.

Mehr über die Autorin unter:

www.ar-klier.com

www.facebook.com/AutorinAndreaKlier/

www.instagram.com/a_r_klier

Es handelt sich bei Anfängerfehler um einen Doppelfehler, in dem nur die Sichtweise von Frederik Hendriksson begleitet wird. Offene Fragen beantwortet Band 2 Folgefehler.

Alle in diesem Werk auftretende Personen, Orte und Ereignisse sind fiktiv, jegliche Ähnlichkeit mit realen Personen ist rein zufällig.

Alle im Buch enthaltenen Angaben wurden von der Autorin nach bestem Wissen und Gewissen erstellt und erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Die Abläufe im Krankenhaus sind der Handlung angepasst und erheben keinen Anspruch auf Richtigkeit.

Erklärungen zu medizinischen Fachbegriffen finden sich ab Seite →.

Inhaltsverzeichnis

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Kapitel 41

Kapitel 42

Kapitel 43

Kapitel 44

Kapitel 45

Epilog

Prolog

»Der Befund ist eindeutig, ohne ein Spenderorgan werden Sie den Jahreswechsel vermutlich nicht mehr erleben«, urteilte der Allgemeinchirurg und ließ den Befund des überweisenden Kollegen sinken.

»Nur wie komme ich an ein Spenderorgan?«, fragte sein Patient verzweifelt. »Mein Arzt hat mir gesagt, dass ich mit meiner Vorgeschichte nicht auf die Transplantationsliste aufgenommen werden kann.«

Der Allgemeinchirurg runzelte die Stirn. »Alkoholmissbrauch, bereits drei abgebrochene Therapien. Sind Sie denn gegenwärtig abstinent oder trinken Sie weiterhin Alkohol?«

Deprimiert schüttelte der Patient den Kopf. »Ich habe schon so oft versucht, aufzuhören«, klagte er sein Leid.

»Aber dann der Stress mit der Arbeit, dazu meine Frau und unsere Kinder … ich darf meine Familie nicht verlieren, hören Sie? Wir bekommen in drei Monaten ein Baby, das … das darf doch nicht ohne Vater …«

»Herr Ivanov«, unterbrach der Allgemeinchirurg ihn ungeduldig. »Ich habe lediglich ein Interesse an Ihrer Krankengeschichte, nicht an Ihrer Lebens- und Familiengeschichte. Die große Frage ist also: können Sie sich eine Spenderleber leisten, nachdem niemand aus Ihrem Umfeld für eine Direktspende infrage kommt?«

Patient Ivanov schluckte.

»Wir sprechen ausschließlich vom Preis für das Spenderorgan«, informierte ihn der Chirurg sachlich, fast schon distanziert. »Die Operation und der Krankenhausaufenthalt werden separat abgerechnet.«

»Wie … wie ist das möglich? Wie kann ich ein Organ bekommen, obwohl ich nicht auf die offizielle Spenderliste …?«, stammelte Herr Ivanov.

»Man hat Sie vor unserem Gespräch bestimmt auf gewisse Dinge hingewiesen.« Die Stirn des Chirurgen zierte eine steile Falte und ließ ihn noch bedrohlicher wirken als zuvor. »Dazu gehört auch, dass Sie keine Fragen stellen, die das gesamte Procedere betreffen. Sie bekommen eine neue Leber, wenn Sie das nötige Geld dafür beschaffen. So einfach ist die Rechnung, Herr Ivanov. Die Frage ist also: können Sie sich Ihr neues Organ leisten?«

Die Sprechstunde hatte sich nicht nur wegen Herrn Ivanovs finanzieller Situation deutlich länger hingezogen als geplant, doch letztlich hatte sich alles gefügt.

Die für die Lebertransplantation notwendigen finanziellen Sicherheiten waren hinterlegt, jetzt konnte die Suche nach einem geeigneten Spenderorgan beginnen.

»Und? Wie sieht es aus?«, fragte der Allgemeinchirurg bei Betreten des nächsten Besprechungszimmers und setzte sich seinen Kollegen aus Unfallchirurgie und Neurochirurgie gegenüber an den Tisch. »Haben wir Kandidaten für eine Organspende?«

»Die Motorradsaison hat gerade begonnen, die ersten Schwerstverletzten mit massiven Hirnschädigungen sind bereits im Haus«, berichtete der Neurochirurg.

»Nach einem Abgleich von Blutgruppe und anderen Faktoren können wir die Spender auswählen und alles in die Wege leiten.«

»Wunderbar«, freute sich der Allgemeinchirurg und dachte kurz nach. »Akut benötigen wir eine Spenderleber mit Blutgruppe A positiv, der Patient ist im Moment in der Stadt und kann sehr kurzfristig operiert werden. Dazu suche ich immer noch nach einer Niere für einen Patienten mit Blutgruppe B negativ und …«

»Einer der Motorradfahrer ist B negativ«, unterbrach ihn der Facharzt aus der Neurochirurgie. »Ich sehe mir den Fall gleich noch einmal an und leite alles Nötige in die Wege.«

Ungeduldig nickte der Allgemeinchirurg. »Suchen Sie parallel weiter nach der Leber, die ist einfach verdientes Geld.«

Kapitel 1

»Da haben wir ja den Übeltäter«, murmelte Professor Westphal und sah konzentriert durch das Mikroskop auf das freigelegte Aneurysma. »Clip.«

Er führte das Instrument vorsichtig in das Gehirn seines Patienten ein und kontrollierte die Position der Gefäßaussackung erneut durch das Mikroskop, ehe er den Titanclip mit ruhiger Hand befestigte.

Der Chefarzt hob den Blick und sah zu seinem Assistenzarzt. »Machen Sie zu, Doktor Hendriksson?«

Frederik nickte. Es war nicht sein erstes Mal, dass er nach einem erfolgreichen Eingriff den Kopf des Patienten verschloss. Stumm zog er seine Instrumente aus dem Gehirn zurück und ließ sich das Knochenfragment anreichen, das er zu Beginn des Eingriffes entfernt hatte. Zuletzt vernähte der angehende Neurochirurg die Hautschichten.

»Sehr gut.« Professor Westphal trat vom OP-Tisch zurück und zog Kittel und Handschuhe aus.

Frederik schälte sich ebenfalls aus seinem Kittel und stopfte diesen in den dafür vorgesehenen Müllsack.

Dann folgte er dem Chefarzt in den Waschraum.

»Wenn Sie so weitermachen, dürfen Sie ein einfaches Aneurysma selbst clippen, sobald wir einen passenden Fall auf dem Tisch haben«, meinte Professor Westphal und seifte sich Hände und Unterarme ein.

»Wirklich? Sie meinen, ich bin schon soweit? So oft assistiert habe ich bei diesen Eingriffen ja noch nicht.« Frederik spülte seine Arme mit kaltem Wasser ab.

»Das waren gut zehn Aneurysmen, bei denen sie dabei waren.« Der Professor hob eine Augenbraue. »Jeder muss mal einen Alleinflug wagen. Sie können doch nicht bis an Ihr Karriereende nur assistieren. Nicht mit Ihrem Namen. Sie gehören auf die andere Seite des OP-Tisches.«

Nach der erfolgreichen Operation kehrte Frederik auf die Station zurück und blätterte rasch durch die Krankenblätter der Neuzugänge, die er sich im Laufe seiner Schicht noch ansehen musste. Keine dringenden Fälle, da konnte er seine Pause auch gleich machen. Und falls wirklich noch etwas sein sollte war er ja über das Diensttelefon erreichbar.

»Hey, hey!« Frederik steuerte im Pausenraum sofort den Kühlschrank an und setzte sich mit der kalten Lasagne vom Vortag und einer Gabel an den großen Tisch zu den anderen Assistenzärzten.

»Na?« Alexandra Müller stocherte in ihrem Nudelsalat herum und sah gelangweilt auf. »Wie war die OP? War der Chef zufrieden mit seinem Musterschüler?«

Frederik zuckte mit den Schultern. An solche Bemerkungen hatte er sich in den letzten Jahren gewöhnt, mit seinem Familiennamen war er bei vielen Kollegen ein beliebtes Ziel für sarkastische Bemerkungen und Spitzen. »Es gab keine Komplikationen.«

»Super.« Alex sah wieder auf die farbigen Abbildungen in ihrem Buch. »Ich hoffe, der Prof ist bei mir nachher nicht allzu streng.«

»Was habt ihr denn vor?«, wollte er mürrisch wissen.

»Tumor im Frontallappen.« Alexandra verzog das Gesicht. »Ein Aneurysma wäre eher meins gewesen. Aber das musstest du mir ja unbedingt wegschnappen mit deiner blöden perfekten Visite.«

Frederik zuckte mit den Schultern. »Du hättest dich besser vorbereiten müssen, die Ansprüche vom Prof sind bekannt. Da hat mein Name keine Rolle gespielt.«

»Sagst du…« Sie hob vielsagend die Augenbrauen.

»Aber wer einen Chefarzt in der Familie hat … dein Vater wird mit unserem Prof sicher mehr als nur über Golf sprechen, so naiv kannst du doch gar nicht sein.«

»Mein Vater hat damit nichts zu tun«, wiederholte Frederik stoisch. »Warum sollte sich ein Neurochirurg von einem Allgemeinchirurgen etwas sagen lassen?«

»Woher soll ich das wissen?« Alexandra starrte ihn herausfordernd an.

»Mahlzeit!« Johannes warf die Tür hinter sich zu und zog seinen Kittel aus. »Ratet mal, wer eben im Schockraum geglänzt hat?« Er sah dabei vor allem Alexandra an. »Na?«

»Wer sonst.« Frederik kratzte die Reste in seiner Schüssel zusammen und stand auf. »Ich bin in der Notaufnahme, damit ich bei deinem Glanz nicht erblinde.« Johannes lachte. »Da solltest du tatsächlich aufpassen.« Er überlegte kurz. »Gehen wir morgen nach der Spätschicht noch auf den Kiez, ein bisschen feiern?« Alexandra gähnte demonstrativ und Frederik blieb unschlüssig in der Tür stehen. Er drückte sich gerne vor solchen Ausflügen, bei denen er sich immer wieder aufs Neue fragte, warum er überhaupt eingeladen wurde. Schließlich hackten die Kollegen da nur noch begeisterter auf ihm herum.

»Ich gebe dir Bescheid.« Damit schloss er die Tür zum Aufenthaltsraum hinter sich, um Alexandras nächste Papa-Bemerkung nicht hören zu müssen.

Die Notaufnahme war restlos überfüllt als Frederik aus dem Aufzug trat. Genervte Patienten im Wartebereich, dazu kamen genauso ungeduldige Patienten in den Notfallboxen.

»Ah gut, endlich ein Neurochirurg. Doktor Hendriksson? Übernehmen Sie den nächsten Rettungswagen?«, fragte der diensthabende Arzt gestresst. »Angekündigt ist eine Kopfverletzung nach Verkehrsunfall.«

Frederik nickte wortlos, schnappte sich Handschuhe und ging zur Einfahrt, wo bereits zwei Rettungswägen standen. In diesem Moment kam der nächste Wagen zum Stehen. Der Fahrer stieg aus, begrüßte den Assistenzarzt flüchtig und öffnete die hinteren Türen.

»Moin«, rief der Rettungsassistent und lud die Trage zusammen mit seinem Kollegen aus. »Ich weiß, ihr hab volles Haus, aber auf der Straße sieht es nicht besser aus.«

Frederik nickte und ging voran zur für Neuankömmlinge reservierten Notfallbox.

»Was haben wir?«, fragte er und ließ seinen Blick über die Patientin gleiten.

»Caroline Wagner, neunzehn, Frontalzusammenstoß Fahrrad gegen Auto, hat einen Helm getragen. Initial bewusstlos, war bei unserem Eintreffen ansprechbar, aber desorientiert. Dämmert seither immer wieder weg, reagiert auf Ansprache. Kann sich komplett bewegen, außer der Platzwunde haben wir keine Verletzungen feststellen können«, berichtete der Rettungsassistent und reichte Frederik das Protokoll.

»In Ordnung.« Er nickte, unterschrieb und wandte sich erst mal an seine Patientin. »Frau Wagner?«

Sie schlug die Augen auf und sah ihn verwirrt an. »Wo bin ich? Was ist passiert?«

»Sie hatten einen Fahrradunfall und sind jetzt im Universitätsklinikum«, erklärte der Rettungsassistent geduldig, bevor Frederik etwas sagen konnte.

»Sie dürfen einmal auf die Liege hier umsteigen«, meinte Frederik und klappte den seitlichen Schutz, damit Patienten nicht von der Trage herunterfallen konnten, nach unten.

Langsam rutschte die junge Frau mit den langen dunklen Haaren von der Trage auf die Krankenhausliege und verzog das Gesicht. »Habt ihr eine Kopfschmerztablette für mich?«, fragte sie gequält.

Frederik nickte. »Zuerst muss ich Sie untersuchen, dann bekommen Sie Schmerzmittel.« Er sah auf das Protokoll, während die beiden Rettungsassistenten mit der Trage den Raum verließen. »Können Sie sich an den Unfall erinnern?«

Caroline Wagner dachte kurz nach.

»Ich war auf dem Weg zur Schule«, murmelte sie. »Ich bin über die Kreuzung an der Pulverturmsbrücke gefahren und dann hat mich auf einmal das Auto erwischt.« Sie sah den Arzt nachdenklich an. »Und dann waren auch schon die Rettungskräfte da.«

»In Ordnung.« Er füllte einige Felder im Beobachtungsprotokoll aus. »Ich muss Sie untersuchen.«

Routiniert tastete Frederik den Schädel seiner Patientin ab, begutachtete die Platzwunde und suchte nach weiteren Verletzungen. Außer Abschürfungen an beiden Handflächen und einer Knieprellung fand er jedoch nichts.

»Die Platzwunde muss genäht werden, Ihre Handflächen werde ich auch gleich versorgen«, informierte Frederik seine Patientin.

»Das ist gut, oder?«, sagte Caroline unsicher. »Können Sie mir endlich etwas gegen die Schmerzen geben?« Frederik steckte den Kugelschreiber in die Tasche. »Ich halte Rücksprache mit dem Oberarzt, dann bekommen Sie ein Schmerzmedikament«, versprach er und ging zur Tür. »Ich bin gleich zurück.«

Im Flur wurde gerade der nächste Patient auf einer Trage vom Rettungsdienst hereingeschoben, ein Pfleger und ein Arzt nahmen ihn in Empfang.

Frederik machte einen Bogen um diese Gruppe und betrat das Arztzimmer in der Mitte des Flures.

»Was liegt an?«, fragte der zuständige Oberarzt Doktor Hanson.

»Fahrradunfall in der Zwei«, berichtete Frederik. »Patientin ist neunzehn Jahre alt und frontal mit einem Auto zusammengestoßen. Neurologisch unauffällig, Knieprellung, eine Platzwunde und mehrere Abschürfungen.«

»Okay.« Hanson sah flüchtig auf das Protokoll des Assistenzarztes und wandte sich dann wieder dem Computer zu.

»Sie klagt über Kopfschmerzen«, fuhr Frederik fort.

»Intravenöse Schmerztherapie?«

Der Oberarzt nickte. »Die übliche Dosierung, Überwachung am Monitor auf Station.«

Damit hatte Frederik die nötigen Informationen beisammen und kehrte zu seiner Patientin zurück.

»So, Frau Wagner.« Er holte sich Nähzeug und frische Handschuhe. »Ich versorge jetzt Ihre Wunden, dann geht es auf Station. Ein Schmerzmittel gibt es dort auch.«

Die Schülerin verzog das Gesicht, als Frederik die Platzwunde reinigte und mit wenigen Stichen nähte. Die Schürfwunden befreite er von kleinen Steinchen, spülte sie und versorgte beide Hände mit einem leichten Verband.

»So, das war es auch schon.« Frederik warf die Handschuhe und das gebrauchte Material in den Mülleimer und griff nach dem mobilen Telefon in seiner Tasche.

Er rief die Station an und kündigte seine Patientin an.

Damit war seine Aufgabe erfüllt. Ein Pfleger würde die junge Frau auf Station bringen.

Kapitel 2

Gähnend fuhr Frederik in einen steifen, sauberen Kittel und verstaute Stethoskop und andere Utensilien in seinen Taschen, dann schlurfte er müde zum Arztzimmer der neurochirurgischen Station. Vor der Visite brauchte er dringend einen starken Kaffee, denn die Woche aus täglich wechselnden Früh- und Spätschichten war ihm arg an die Substanz gegangen. Wenigstens war das die letzte Schicht vor den freien Tagen, das hob seine Stimmung merklich.

»Na? Spät geworden gestern?« Assistenzarztkollege Martin musterte Frederik mitfühlend.

»Es gab genug zu tun, du kennst das Problem selbst«, brummte Frederik unausgeschlafen. Er hasste Frühschicht, das hatte sich in all den Jahren nicht geändert.

»Du meinst chronisch unterbesetzt und viel zu viele Patienten?« Martin verzog das Gesicht als hätte er Zahnschmerzen.

»Guten Morgen zusammen«, rief Oberarzt Hanson und schnappte sich die Krankenakten. »Abmarsch zur Frühbesprechung, der Chef hat es eilig.«

Im Besprechungszimmer wurden sie von Professor Westphal bereits ungeduldig erwartet, sodass Doktor Hanson sofort mit dem ersten Patienten begann und dessen Krankengeschichte sowie den aktuellen Stand der Behandlung vortrug.

Auf diese Weise gingen die Ärzte alle Patienten der Station einmal durch und legten die nächsten Behandlungsschritte fest, bevor es gut eine halbe Stunde später weiter zur Visite ging. Doktor Hanson führte die Gruppe an, der Chefarzt folgte ihm vor dem Rest der ärztlichen Belegschaft und der Stationsschwester.

»Hier haben wir Caroline Wagner, Neuzugang von gestern«, berichtete Hanson und trat zur Seite.

»Wie geht es Ihnen, Frau Wagner?«, fragte der Chefarzt und reichte ihr die Hand.

Die Patientin sah die große Gruppe in weiß vor sich unsicher an. »Ich habe starke Kopfschmerzen und beim Aufstehen ist mir echt schwindlig.«

Die Stationsschwester fügte hinzu »Letzte Nacht ist sie einmal beim Gang ins Badezimmer kollabiert, seitdem nur Aufstehen in Begleitung.«

»In Ordnung.« Der Chefarzt wandte sich wieder der Patientin zu. »Haben Sie Probleme beim Sehen, Doppelbilder oder ähnliches?«

Caroline schüttelte andeutungsweise den Kopf.

»Sollte sich dahingehend etwas verändern, melden Sie sich bitte.« Professor Westphal wandte sich schon wieder zum Gehen. »Alles Gute, Frau Wagner.«

Zwei Operationen füllten Frederiks Vormittag, auf dem Weg zum Mittagessen wurde er dann von einem Notruf aufgehalten.

»Die Patientin mit dem Fahrradunfall von gestern ist wieder kollabiert und ihr Allgemeinzustand gefällt mir gar nicht«, informierte ihn die Stationsschwester.

»Wir sollten …«

»Ich bin gleich da«, unterbrach Frederik sie und eilte zur Station. Schwester Mareike erwartete ihn bereits bei Caroline Wagner, die blass und mit geschlossenen Augen vor ihm lag.

»Wir machen ein MRT, um eine Blutung auszuschließen«, entschied der angehende Neurochirurg und hatte schon wieder das Handy in der Hand. »Frau Wagner? Machen Sie doch bitte mal die Augen auf.«

Angesichts ihres unklaren Zustandes begleitete Frederik seine Patientin zur MRT-Untersuchung und wartete neben dem Radiologen ungeduldig auf die Schichtaufnahmen des Schädels.

»Sehen Sie?« Der erfahrene Radiologe deutete auf den Bildschirm.

Angespannt nickte Frederik. »Ich informiere Doktor Hanson, aber mit diesem Befund wird Frau Wagner auf die Intensivstation verlegt …« Er lauschte dem Freizeichen und setzte den Oberarzt über den veränderten Zustand ihrer Patientin ins Bild, währenddessen wurde Caroline Wagner zurück ins Bett gelegt. »In Ordnung, ich nehme sie gleich mit, wir sehen uns auf Station.« Frederik ließ das Handy zurück in die Kitteltasche gleiten und übernahm das Bett von der Pflegerin. Normalerweise brachte er Patienten nicht selbst auf Station, aber in dem Fall war das der schnellste Weg.

»Frau Wagner?«, sprach er die junge Frau laut und deutlich an und steuerte das Bett in Richtung der Aufzüge. »Machen Sie doch bitte mal die Augen auf.«

»Mhm …«, brummte sie undeutlich. »Aber … is … so hell …«, beschwerte sie sich nuschelnd.

»Das weiß ich und tut mir leid«, entschuldigte er sich.

»Aber ich muss wissen, dass Sie wach sind, Frau Wagner.«

»Will … aber … schlafen«, flüsterte die junge Frau und atmete langsam aus.

Mit Schwung beförderte Frederik das Bett in den Aufzug und musterte seine Patientin genauer. Sie war eingetrübt und schläfrig, dazu lichtempfindlich. Er hatte schon Hirnblutungen mit geringeren Symptomen operiert. Vermutlich würde Caroline Wagner noch heute auf dem OP-Tisch liegen …

»Ah, da sind Sie ja!« Kaum hatten sich die Aufzugtüren geöffnet erblickte Frederik auch schon Oberarzt Hanson. »Lassen Sie mal sehen.«

Auch er versuchte, Caroline zu wecken und verbal mit ihr zu kommunizieren. Seine Bemühungen waren von ähnlichem Erfolg gekrönt wie zuvor bei Frederik.

»OP oder Intensiv?«, fragte der Assistenzarzt gedämpft.

»Wir beobachten sie engmaschig, sobald sich ihr Zustand minimal weiter verschlechtert werden wir operieren«, entschied Hanson. »Sie führen stündliche Kontrollen durch und halten mich auf dem Laufenden.«

Hastig nickte Frederik und schob das Bett weiter zur Schleuse an der Intensivstation, sein Kollege war bereits wieder auf dem Weg in den OP.

»Frederik! Na? Wen bringst du mir Schönes?« Intensivmedizinerin Antje Hahn empfing den Assistenzarzt lächelnd.

Kapitel 3

Zahlreiche Patienten verschoben Frederiks Feierabend immer weiter nach hinten, sodass er schließlich mit über drei Stunden Verspätung ins wohlverdiente Wochenende startete. Drei Tage frei am Stück, das hatte es seit Wochen nicht mehr gegeben.

Zu Hause packte er lediglich Wechselwäsche in eine kleine Reisetasche und stieg gleich wieder ins Auto. Er musste unbedingt hinaus aus Hamburg und die Hektik der Stadt hinter sich lassen. Sein Ziel lag auf halber Strecke zwischen der Hansestadt und Itzehoe, gut eine Dreiviertelstunde Autofahrt entfernt.

Die Stille im Auto war ein angenehmer Kontrast zum stressigen Alltag in der Klinik, die ihn an diesem Wochenende nicht recht loslassen wollte. Seine Gedanken waren schon wieder bei der jungen Frau, die er auf die Intensivstation verlegt hatte.

Ob sie um eine Operation noch herumkam?

Oder war die OP nur eine Frage der Zeit?

Würde die Kopfverletzung Langzeitschäden nach sich ziehen?

Wobei sich einiges auch in ihrem Alter noch relativieren ließe …

Endlich erschien die beleuchtete Auffahrt zum Hendriksson-Gestüt in Frederiks Blickfeld und zauberte ihm ein kleines Lächeln in das müde Gesicht.

Hier fühlte er sich wesentlich mehr Zuhause als in der großen Familienvilla in der Stadt. Er konnte befreiter durchatmen und der väterliche Leistungsdruck schien etwas weiter weg zu sein. Vermutlich war das auch einer der Gründe, warum seine Brüder schon seit Jahren auf dem Gestüt lebten und eher selten in der Stadt zu Besuch waren.

»Moin!«, rief Frederik halblaut im Flur und zog seine Schuhe aus. Oliver und Julian waren den Stimmen nach in der Wohnküche, doch das war angesichts der Uhrzeit keine große Überraschung.

»Moin, Kleiner«, grüßte Oliver und tauchte einen Moment später mit seiner leeren Bierflasche in der Tür zum Flur auf. »Trinkst du mit?«

Frederik nickte und folgte ihm. »Na? Wie geht es euch? Wie war die Woche?« Er setzte sich auf das große, helle Sofa neben seinen nächstälteren Bruder.

»Wohl nicht so nervenaufreibend und schlaflos wie deine«, gab Julian zurück. »Schläfst du überhaupt noch oder lebst du komplett in der Klinik?«

Mit dem Anflug eines Lächelns auf den Lippen nahm Frederik eine kühle Bierflasche von Oliver entgegen.

»Im Moment lebe ich fast ausschließlich für die Klinik, zumindest unter der Woche.« Er betrachtete die Flasche nachdenklich. »Es kommen auch wieder andere Zeiten … Auf unser Wiedersehen, Prost!«

Die Brüder stießen miteinander an und hingen dann jeder seinen Gedanken nach.

»Irgendwas läuft bei euch in der Abteilung grundsätzlich schief bei der zeitlichen Planung«, bemerkte Oliver schließlich in die Stille hinein. »Ich meine, du siehst außer der Klinik und deinem Bett so gut wie gar nichts, dabei scheint es auch anders zu gehen. Niklas war diese Woche drei Mal am Hof und hat lange mit Malika trainiert …«

»Die Unfallchirurgen haben auch weniger launische Oberärzte und davon abgesehen hat Niklas einen deutlich unproblematischeren Nachnamen«, fiel Frederik seinem Bruder ungehalten ins Wort. Er hasste die Debatten über seine Arbeitszeiten, denn daran ändern konnte er gerade nichts. »Lass uns jetzt bitte nicht schon wieder von vorne anfangen. Es ist ja schön, dass Niklas so viel Zeit für sein Pferd hat, aber bei mir sieht es im Moment halt leider anders aus.« Er trank in großen Schlucken und atmete dann tief durch. »Was gibt es bei euch sonst so Neues?«

»Wirklich Neues gibt es kaum.« Oliver schmunzelte.

»Die üblichen Wechsel bei Reitern und neuen Pferden am Hof, aber große Neuigkeiten sind das nicht.«

»Manchmal sind keine News auch gute News.« Frederik gähnte. Mit dem Alkohol kroch nun auch die Erschöpfung zurück in seinen Körper. »Seid mir nicht böse, aber ich muss dringend etwas Schlaf nachholen und wir sehen und ja alle morgen.«

Kapitel 4

»Du bist schmerzlich vermisst worden«, bemerkte Assistenzärztin Alexandra anstelle einer ordentlichen Begrüßung und musterte Frederik undurchdringlich.

»Vermisst?« Irritiert hob Frederik eine Augenbraue.

»Deine Schülerin mit Hirnblutung, der Fahrradunfall«, half sie ihm provokativ auf die Sprünge. »Mir scheint, dieses Küken verzehrt sich geradezu nach ihrem Helden im weißen Kittel.«

»Du kannst mich mal«, wehrte er ab und verließ das Stationszimmer gleich wieder.

Held in weißem Kittel, da hatte wohl jemand zu viele Arztromane gelesen …

Bis zur Schichtübergabe war noch eine Stunde Zeit, da konnte er problemlos auf der Intensivstation vorbeischauen und sich einen Überblick über die aktuellen Patienten machen. Und so führte Frederiks erster Weg mehr oder weniger direkt zu Caroline Wagner, die immer noch intensivmedizinisch überwacht wurde.

»Doktor Hendriksson.« Caroline sah ihn müde an.

»Wie war Ihr freies Wochenende?«

In Frederiks Gesicht stahl sich ein kleines Lächeln, während sein Blick an den Überwachungsmonitoren hängen blieb. Soweit waren alle Vitalparameter im Normbereich, das war ein gutes Zeichen. »Mein Wochenende war sehr erholsam, danke der Nachfrage.« Er musterte seine Patientin neugierig. »Und wie geht es Ihnen?«

Caroline lächelte matt. »Ich musste operiert werden«, meinte sie und deutete auf ihren Kopfverband. »Sieht bestimmt heiß aus, oder?«

»Das auf jeden Fall. Wenn es jemand tragen kann, dann Sie.« Frederik lachte. »Die Hauptsache ist, dass es Ihnen bessergeht. Haben Sie noch Schmerzen?«

Sie deutete ein Kopfschütteln an. »Gott sei Dank nicht mehr. Nur wenn ich aufstehe pocht die Narbe, aber die Pflegerin hat gesagt, dass sich das in den nächsten Tagen auch deutlich bessern wird.«

»Freut mich.« Frederik vergrub die Hände in seinen Kitteltaschen und wandte sich zum Gehen. »Wir sehen uns später auf Station, Frau Wagner.«

»Das hoffe ich.« Ihr Lächeln wurde eine Spur breiter.

Caroline Wagners Lächeln hatte eine ansteckende Wirkung auf Frederik gehabt, die in der Schleuse jedoch sofort verpuffte, als er seinen Vater erblickte.

»Du machst dich rar«, bemerkte Professor Maximilian Hendriksson und sah seinen Sohn ungnädig an. »Versteckst du dich vor mir?«

Frederik straffte die Schultern und schlüpfte wieder in seinen weißen Kittel. »Seit wann muss ich Rechenschaft vor dir ablegen?«, fragte er nüchtern.

Der Chefarzt schüttelte den Kopf und nahm sich eine OP-Haube aus dem Spender. »Du bist mir überhaupt nichts schuldig. Ich will nur verstehen, warum du mir aus dem Weg gehst.«

»Manche Dinge wirst du nie verstehen, weil du sie überhaupt nicht verstehen willst. Und jetzt entschuldige mich, ich muss mich in der Notaufnahme melden.« Frederik verließ den Raum mit gestrafftem Rücken und unwillkürlich angehaltenem Atem.

Wann würde er endlich davon wegkommen, sich vor seinem Vater wie ein bedürftiges, kleines Kind zu fühlen?

Warum kümmerte es ihn, was sein Vater beruflich und privat über seine Lebensentscheidungen dachte?

Die Ansprüche seines Vaters waren im Grunde unerreichbar. Warum strampelte er sich überhaupt ab?

Mit Mühe verdrängte Frederik die finsteren Gedanken und Gefühle auf dem Weg zur Notaufnahme, wo um diese Zeit Hochbetrieb herrschte. Da war kein Platz für private Befindlichkeiten.

»Oh hey, du bist wieder da!« Niklas Thorsen kam gerade aus einer der Notfallboxen und lächelte freundlich. »Du hattest ein langes Wochenende?«

»Davor zehn Tage durchgehend, die freien Tage waren dringend nötig.« Frederik begrüßte seinen langjährigen Freund mit einem Handschlag und musterte ihn.

Obwohl sie annähernd gleich alt waren und beide mitten in ihrer Facharztausbildung steckten schien der angehende Unfallchirurg wesentlich besser mit der Gesamtsituation klarzukommen als er selbst. Lag das nur am Fachgebiet oder an der Familiengeschichte?

»Okay, das ist ein Argument.« Niklas lachte herzlich.

»Ich muss weiter in den Schockraum, sehen wir uns heute Abend? Ich habe auch Spätschicht, möglicherweise kommen wir ja zeitgleich in den Feierabend? Da können wir etwas entspannter reden, hat sich schon viel zu lange nicht mehr ergeben.«

Frederik nickte. »Du kannst dich nachher ja melden.

Ich bin mal wieder als Springer unterwegs, abgesehen von einer OP heute Nachmittag.«

»Mache ich«, versprach Niklas und eilte davon in Richtung Schockraum zum nächsten dringenden Notfall.

Operationen, Notfallpatienten und Neuzugänge auf der Station hielten Frederik in Atem, sodass er erst abends kurz im Arztzimmer der Station verschnaufen und einen Kaffee trinken konnte.

»Patientin Wagner ist von der Intensiv zurückverlegt worden«, berichtete Doktor Hanson und stapelte einige Patientenakten auf den Schreibtisch neben Frederik. »Sehen Sie sich die Patientin nochmal an? Und das sind die Entlassungen für morgen. Überprüfen Sie, dass alle Arztbriefe vorbereitet sind.«

Frederik nickte und trank einen großen Schluck aus seiner Tasse. »Im Aufwachraum haben wir keine Patienten mehr, oder?«, fragte er nachdenklich.

»Alle Patienten sind schon auf Station, in der Notaufnahme ist gerade auch nichts Neurochirurgisches auf dem Brett«, fasste Doktor Hanson zusammen und steckte sich das Handy in die Jackentasche. »Wenn etwas ist, rufen Sie mich an, ich habe Bereitschaft. Aber ich hoffe, dass ich diese Nacht etwas mehr Schlaf finde als in den letzten Bereitschaften Ihrer Kollegen.«

»Ich gebe mein Bestes.« Frederik zog den Stapel Patientenakten näher zu sich und schlug die erste Akte auf.

Caroline Wagner, Verlegung von der Intensiv war auf dem Klebezettel auf dem Deckblatt notiert. Regelmäßige Verlaufskontrollen, keine Auffälligkeiten.

»Keine Auffälligkeiten ist gut«, murmelte Frederik und stand auf. »Und am besten keine bösen Überraschungen, wenn ich allein auf Station bin …« Er trank seinen Kaffee aus und machte sich dann auf den Weg zu den Patientenzimmern.

»So, Frau Wagner«, meinte er und schloss die Tür hinter sich. »Wie geht es Ihnen?«

Caroline zuckte mit den Schultern. »Nicht viel anders als heute Vormittag. Außer, dass ich wieder meine eigenen Klamotten tragen darf und nicht mehr verkabelt bin.« Sie lachte leise und deutete auf den Rucksack, der auf dem Fensterbrett stand. »Geben Sie mir den Rucksack, bitte?«

Neugierig sah Frederik seiner Patientin beim Herumkramen zu. Endlich war sie fündig geworden und hielt ihm ein Ladekabel hin. Wortlos nickte er, bevor sie die Frage überhaupt stellen konnte, und steckte das Kabel ein.

»Was machen die Kopfschmerzen auf einer Skala von eins bis zehn?«, wollte er nachdenklich wissen und konnte den Blick kaum von ihrem Gesicht wenden.

Sie war so … jung und lebensfroh und …

»Fünf, wenn ich mich bewege. In Ruhe eine Drei.« Caroline unterbrach seine Gedanken, bevor er weitere Worte für sie finden konnte.

»In Ordnung.« Frederik straffte die Schultern und räusperte sich. »Falls Sie zur Nacht oder auch sonst ein Schmerzmittel benötigen, sagen Sie Bescheid.«

»Mache ich, aber im Moment geht es so.« Carolines Blick ging zur Uhrzeitanzeige auf ihrem Handy. »Und Sie? Haben Sie noch keinen Feierabend oder kein Zuhause, wo Sie gern hingehen?«

»Meine Schicht geht bis halb Elf, danach übernimmt der Kollege aus der Nachtschicht.« Frederik wandte sich abrupt um, denn Caroline Wagner brachte ihn ganz schön aus dem Konzept. »Bis morgen bei Visite.« Er verließ das Krankenzimmer mit langen Schritten, bevor er noch etwas Unüberlegtes tat oder sagte.

Die Übergabe mit Martin aus der Nachtschicht funktionierte reibungslos, sodass Frederik tatsächlich weitestgehend pünktlich auf Niklas Thorsen wartete. Der angehende Unfallchirurg und Orthopäde war ebenfalls annähernd pünktlich in den Feierabend gestartet und folgte ihm aus dem großen Klinikkomplex.

»Feierabendbier?«, fragte er und steuerte schon ihre Stammkneipe an, in der sie seit Jahren regelmäßig einkehrten.

»Freja arbeitet, ich werde also erst einmal nicht zu Hause vermisst«, schmunzelte Niklas und rutschte auf den hinteren Platz der Eckbank. Sie bestellten beide ein Alsterwasser, dann waren sie unter sich.

»Wie war es noch bei dir? Irgendwelche schwierigen Fälle oder eher entspanntes Abarbeiten von Altlasten des Tages?« Niklas musterte seinen besten Freund neugierig.

»Letzteres.« Frederik lächelte, denn Caroline Wagner war ihm wieder in den Sinn gekommen. Ihr Lächeln und ihre unbekümmerte Art …

»Hier, bitte.« Der Wirt stellte die Biergläser auf den Tisch und riss Frederik aus seiner Versunkenheit.

Niklas lächelte nur vergnügt. »Wer hat denn da so nachhaltigen Eindruck bei dir hinterlassen? Kenne ich sie?«

»Ich … Prost.« Mit roten Wagen stieß Frederik mit ihm an und trank erst einmal ein paar Schlucke Bier, ehe er sich zu einer Antwort entschloss. »Es gibt da möglicherweise jemanden«, begann er gedehnt und starrte angestrengt auf die Tischplatte. »Und nein, du kennst sie nicht, ich habe sie erst letzte Woche kennengelernt.«

»Okay.« Niklas musterte ihn neugierig. »Und wer ist die spannende Unbekannte? Wo habt ihr euch kennengelernt und …?«

»Sie …« Frederik holte tief Luft. »Sie ist eine Patientin auf Station«, gestand er. »Ich weiß selbst, dass wir das nicht dürfen, aber irgendwie hat sie mich erwischt.«

»Du hast dich also in eine Patientin verliebt«, wiederholte Niklas ungläubig. »Wie … äh, also …«

»Sie ist Neunzehn und hatte letzte Woche einen Fahrradunfall. Die Hirnblutung ist Freitagnacht noch operiert worden«, fuhr Frederik nervös fort. »Und ja, ich weiß, dass Neunzehn verdammt jung ist und dass es sich nicht gehört, als Arzt mit seiner Patientin etwas anzufangen … Nur, sie wird nicht mehr lange stationär behandelt, was ist dann?«

»Willst du denn, dass mehr aus euch wird?«, fragte Niklas ruhig und wischte mit dem Zeigefinger durch das Kondenswasser außen am Glas.

»Ich kenne sie zu wenig, um darauf eine vernünftige Antwort geben zu können. Ich will sie erst einmal kennenlernen und mit ihr ausgehen.« Frederik seufzte.

»Als ich vorhin bei ihr im Zimmer war zur Verlaufskontrolle hat sie ganz schön geflirtet, aber hat sie das auch ernst gemeint? Oder spielt sie nur mit mir? Das ist doch schon mal die Grundsatzfrage.«

»Find es heraus.« Niklas trank einen Schluck Bier und schmunzelte. »Nur … wie du schon richtig festgestellt hast: vielleicht wartest du bis nach ihrer Entlassung, das wirft auch bei den Kollegen weniger Fragen auf.«

»Guter Gedanke …« Frederik unterdrückte ein Gähnen, dann ging sein Blick zur Uhr. »Das wird mal wieder eine verflixt kurze Nacht, Visite ist um Sieben …«

»Ich starte morgen um Neun in die Vierundzwanzig-Stunden-Bereitschaft, das ist auch kein Spaß«, gab Niklas zurück. »Die zwei Stunden mehr Schlaf machen da keinen nennenswerten Unterschied.« Er trank aus.

»Soll ich dich mitnehmen oder bist du selbst mit dem Auto da?«

Kapitel 5

Obwohl er am Vorabend nicht mehr lange mit Niklas zusammengesessen hatte war Frederik nur schwer aus dem Bett gekommen und noch im Halbschlaf in die Klinik gefahren.

»Hendriksson!« Der Befehlston in Doktor Hansons Stimme hatte fünf Minuten vor Schichtbeginn einen ähnlichen Effekt wie eine Tasse starker Kaffee auf den Assistenzarzt. »Ab auf die Intensivstation, die Kollegen erwarten uns schon!«

»Worum geht es denn?«, gähnte Frederik und setzte sich folgsam in Bewegung. Nur den Oberarzt nicht aufregen, das war um diese Uhrzeit seine Hauptaufgabe.

Andernfalls konnte die Schicht noch ungemütlicher und länger erscheinen als sonst.

»Motorradfahrer mit Hirnblutung, die die Kollegen letzte Nacht operiert haben«, fasste Hanson knapp zusammen und lief voran zur Intensivstation, Frederik folgte ihm im Laufschritt.

»Wie sieht es mit Hirnaktivität aus?«, fragte Frederik als sie die Hygieneschleuse erreichen und desinfizierte sich die Hände.

Hanson schüttelte den Kopf. »Sie werden die zweite Untersuchung zur Beurteilung der Hirnaktivität durchführen, bevor wir die Diagnose in sechs Stunden offiziell bestätigen können. Das haben Sie doch schon einmal gemacht, nicht?«

Frederik nickte und unterdrückte ein Seufzen. Den Tag mit einem möglicherweise Hirntoten zu beginnen war nicht gerade erstrebenswert. Doch das konnte er sich in seinem Job eben nicht immer aussuchen.

»Hier ist Ihr Patient«, erklärte Doktor Hanson und blieb an einem Bett im Überwachungszimmer stehen.