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Frederik und Niklas führen beide einen Kampf gegen Leben und Tod. Während sich Frederik nur langsam von seinen schweren Verletzungen erholt und sich die Situation bei Niklas durch seinen Dickkopf weiter zuspitzt müssen die Freunde enger als zuvor zusammenstehen, um gegen ihren Gegner bestehen zu können, der seinen Rachefeldzug unberechenbar und skrupellos führt.
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Seitenzahl: 264
Veröffentlichungsjahr: 2022
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Die Münchner Autorin A.R. Klier hat ihre ersten Gehversuche schon zu Schulzeiten gemacht: Insgesamt drei Mal nahm sie am KWA-Schülerliteraturwettbewerb teil und wurde 2012 für die Kurzgeschichte Einsame Familie mit dem ersten Preis ausgezeichnet.
Seither hat A.R. Klier sich den Medizinkrimis der Fehler-Reihe rund um die Assistenzärzte Frederik Hendriksson und Niklas Thorsen gewidmet, die bereits fünf Einzelbände umfasst. Weitere Fehler-Krimis sind in Arbeit.
Mit der Bühnenfieber-Reihe bleibt A.R. Klier ihrer Liebe zur Medizin weiterhin treu, sodass das Theater-Drama eine weitere, spannende Note bekommt. Mit Hauptfigur Christian Rückert ist bisher 1 Band veröffentlicht, weitere Teile sind in Vorbereitung.
Mehr über die Autorin unter:www.ar-klier.comwww.facebook.com/AutorinAndreaKlier/www.instagram.com/a_r_klier
Es handelt sich bei Rachefehler um einen Doppelfehler. Offene Fragen beantwortet Band 4 Systemfehler.
Alle in diesem Werk auftretende Personen, Orte und Ereignisse sind fiktiv, jegliche Ähnlichkeit mit realen Personen ist rein zufällig.
Alle im Buch enthaltenen Angaben wurden von der Autorin nach bestem Wissen und Gewissen erstellt und erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Die Abläufe im Krankenhaus und der Polizei sind der Handlung angepasst und erheben keinen Anspruch auf Richtigkeit.
Erklärungen zu medizinischen Ausdrücken finden sich ab Seite →
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Kapitel 36
Kapitel 37
Die dunklen Wolken brachten neuen Regen in die Hansestadt Hamburg, sodass die beiden Kriminalpolizisten Peter Hauser und Eike Fischer im Laufschritt zu ihrem Dienstwagen eilten, den sie vor der Asklepios Klinik Sankt Georg geparkt hatten.
»Frau Wagner haben wir alle unterschätzt«, stellte Eike Fischer fest und stieg auf der Fahrerseite ein.
»Wer hätte ahnen können, dass sie ein solches Gewaltpotential zeigt? Von einer angehenden Polizistin ist das nicht unbedingt zu erwarten.« Hauptkommissar Hauser setzte sich auf den Beifahrersitz und sah auf die großen Regentropfen, die auf die Windschutzscheibe prasselten. Das Wetter passte gut zu seiner Stimmung.
»Auch wieder wahr.« Kopfschüttelnd parkte Fischer aus und ließ den Wagen die Ausfahrt entlang rollen. »Woher kennst du diesen Doktor Thorsen eigentlich?« »Du erinnerst dich an den Transplantationsskandal im UKE vor anderthalb Jahren? Doktor Hendriksson und Doktor Thorsen haben damals die Ungereimtheiten bei Organtransplantationen aufgedeckt und für sich dokumentiert. Die Ermittlungen sind erst ins Rollen gekommen, als Doktor Hendriksson entführt und wenige Stunden später auf Doktor Thorsen geschossen wurde.« Peter Hauser seufzte bei der Erinnerung an den nervenaufreibenden Fall. Es hatte einige Ermittlungspannen gegeben, die ihm auch heute noch Kopfzerbrechen bescherten. Zu ihrem Glück waren die Pannen ohne dramatische Folgen geblieben, eine Warnung für künftige Ermittlungen waren sie dennoch.
»Ich erinnere mich, der Fall hat viel Aufmerksamkeit auf sich gezogen.« Kriminalpolizist Fischer steuerte den Wagen zur Hauptstraße und hielt an einer roten Ampel. »War es nicht Hendrikssons eigener Vater, der hinter alldem steckte?«
Hauser nickte. »Nachdem wir ihm auf die Spur gekommen waren, hat Hendriksson Senior erst auf seinen Bruder und dann auf seinen Sohn schießen lassen. Frederik blieb damals körperlich unverletzt, Frederiks Onkel hat den Schuss in die Brust nur knapp überlebt. Die Familie hat schon einiges wegstecken müssen.«
»Das gibt sowohl für Hendrikssons als auch für Thorsens. Wie ist es denn Doktor Thorsen nach den Schüssen auf ihn ergangen?«, wollte Eike Fischer nachdenklich wissen und fuhr wieder an.
»Er wurde in das Zeugenschutzprogramm aufgenommen und war als letzte Station in Göteborg, denn dort wurde er von seinen Verfolgern doch noch eingeholt. Auch hier gab es eine blutige Schießerei, eine Kollegin ist dabei gestorben.« Hauser schüttelte den Kopf. »Es fühlt sich an, als wäre es gestern gewesen, wenn ich den Fall so Revue passieren lasse.«
»Beide Familien sind unwiderruflich mit diesem Skandal verbunden, da gibt es bestimmt einige Feinde«, vermutete Eike Fischer.
»Frau Wagner war schon während des Skandals mit Frederik Hendriksson liiert. Im Moment sieht es ganz nach einer Beziehungstat aus, dafür sprechen auch die gestrigen Anzeigen, die Doktor Hendriksson gestellt hat«, bemerkte Peter Hauser.
»Der Fall sieht tatsächlich sehr eindeutig aus«, bestätigte Fischer und hielt seufzend an der nächsten roten Ampel. »Wir sollten nur alle Möglichkeiten in Betracht ziehen, gerade wenn das Opfer eine solche Vorgeschichte hat.«
»Da hast du natürlich recht.« Hauptkommissar Hauser lehnte sich mit verschränkten Armen im Sitz zurück und dachte zurück an die Befragungen der letzten Stunden, die sie im Krankenhaus durchgeführt hatten.
»Ich sage Doktor Dobner sofort Bescheid, dass Sie da sind«, versprach die Pflegerin und ließ die beiden Ermittler im Flur vor der Intensivstation stehen.
»Was für ein Fall«, bemerkte Kriminalhauptkommissar Fischer kopfschüttelnd.
»Du meinst den Amoklauf einer angehenden Kollegin? Oder beziehst du dich mehr auf die Tatsache, dass sie es gleich zwei Mal kurz hintereinander versucht hat?« Peter Hauser schüttelte den Kopf. »Das wäre mein erstes freies Wochenende seit fast zwei Monaten gewesen. Warum bin ich am Freitag überhaupt an das Telefon gegangen? Ich hätte es einfach ausschalten und zur Ferienwohnung von Freunden fahren sollen.«
Die breiten Flügeltüren zur Intensivstation öffneten sich elektrisch, dann kamen zwei Männer auf die Kriminalpolizisten zu. Der Arzt in blauer Funktionskleidung war Peter Hauser unbekannt, doch sein Kollege im blauen Umhang weckte Erinnerungen an einen anderen Fall.
»Doktor Thorsen. Ich hatte sehr gehofft, dass wir uns dienstlich nicht wiedersehen.« Hauptkommissar Hauser reichte ihm zur Begrüßung die Hand. »Wo können wir uns denn ungestört unterhalten und Ihre Aussagen zu dem Übergriff vorhin aufnehmen?«
»Dort den Flur entlang ist ein kleines Besprechungszimmer.« Doktor Thorsens Kollege ging voran.
»Haben Sie den Arbeitgeber gewechselt?«, fragte Hauser neugierig weiter und passte sich an Niklas Thorsens Geschwindigkeit an. Er schien eine Verletzung am rechten Bein zu haben, denn er humpelte und verzog das Gesicht vor Schmerzen.
»Ich arbeite immer noch im UKE.« Doktor Thorsen ließ sich aufatmend auf einen der Stühle im Besprechungszimmer sinken. »Eigentlich wollte ich nur Frederik besuchen, aber Sie wissen ja selbst, wie das ausgegangen ist.«
Eike Fischer begann mit der Befragung von Doktor Thorsens Kollegen, damit er zu seinen Patienten zurückkehren konnte. Viel hatte Doktor Dobner nicht mitbekommen, denn er hatte den Raum verlassen, um Hilfe zu holen.
»Bei Fragen melden Sie sich.« Das klingelnde Diensttelefon von Doktor Dobner beendete das Gespräch schließlich abrupt. Leise schloss der Arzt die Tür zum Flur wieder hinter sich.
»So, Doktor Thorsen.« Peter Hauser übernahm die Befragung des zweiten Zeugen, der tief in Gedanken versunken gewesen war. »Sie haben sich vorhin in große Gefahr gebracht, um Ihrem Freund das Leben zu retten. Es war absolut leichtinnig, auch wenn ich Sie verstehen kann.«
Niklas Thorsen straffte die Schultern. »Was wollen Sie von mir hören?«, fragte er erschöpft und strich sich über den rechten Oberschenkel.
»Wie ist es zu Caroline Wagners Angriff gekommen? Hat sie Sie angegriffen? Hat sie versucht, auf Frederik Hendriksson einzustechen?«, half Hauptkommissar seinem Zeugen auf die Sprünge, der sichtbar unter dem Eindruck der Geschehnisse stand.
»Es ist uns schon komisch vorgekommen, dass kein Polizist vor Frederiks Zimmer stand«, berichtete Doktor Thorsen mit leiser Stimme. Es schien, als hätte er keine Kraft mehr für lautere Worte. »Na ja, wir haben dann das Überwachungszimmer betreten und Caroline neben Frederiks Bett stehen sehen. Sie … sie hat irgendetwas davon gesagt, dass sie das alleine tun will, aber nichts gegen Publikum einzuwenden hat. Als sie dann das Messer aus der Tasche gezogen hat bin ich dazwischen gegangen.«
»Sie sind dazwischen gegangen«, wiederholte Hauser und runzelte die Stirn. »Wie?«
»Ich habe Caroline vom Bett weggestoßen und habe sie dann zu Boden geworfen.« Ein winziges Lächeln huschte über Niklas Thorsens Gesicht. »Ich habe als Kind und Jugendlicher Judo trainiert, da sind noch ein paar Techniken abrufbar.«
»Ich verstehe. Was geschah dann?«, fragte der Kriminalpolizist weiter.
»Wir haben miteinander gerungen und ich habe mein Möglichstes getan, Caroline daran zu hindern, in Frederiks Nähe zu kommen. Der Sicherheitsdienst der Klinik ist irgendwann hinzugekommen und hat Caroline überwältigt.« Erschöpft schloss Niklas Thorsen die Augen und atmete tief durch. »Mir ist klar, wie leichtsinnig meine Aktion war. Aber im ersten Moment habe ich nur daran denken können, sie aufzuhalten und nicht, was sie mir antun könnte. Wenigstens ist es glimpflich ausgegangen.«
»Haben Sie sich im Kampf mit Frau Wagner verletzt?«, fragte Eike Fischer dazwischen und überflog seine Notizen.
»Sie ist eine erfahrene Kampfsportlerin, natürlich habe ich auch einstecken müssen.« Wieder glitt Niklas Thorsens Hand über seinen rechten Oberschenkel. »Aber das sind Prellungen, die werden nach ein paar Tagen immer weniger wehtun.«
»Lassen Sie Ihre Verletzungen bitte dringend von einem Arzt dokumentieren. Das ist für die weiteren Ermittlungen und eine mögliche spätere Anklage sehr wichtig«, bat Hauptkommissar Hauser und reichte Doktor Thorsen seine Visitenkarte. »Sie müssen Ihre Aussage natürlich noch unterschreiben. Können Sie es einrichten, am Montag in unser Büro im Polizeipräsidium zu kommen?«
»Klar«, versicherte der Arzt und stand ächzend auf. »Dann bis Montag.« Humpelnd verließ er das Besprechungszimmer.
»Ich glaube, ihm wird langsam erst so richtig klar, wie gefährlich sein Einschreiten war«, bemerkte Kriminalpolizist Fischer und klappte sein Notizbuch wieder zu. »Fahren wir zurück ins Büro und sehen zu, ob wir Frau Wagner schon befragen können?«
»Kollege Markl hat sich an ihr bereits gestern die Zähne ausgebissen. Aber du liebst ja Vernehmungen, bei denen du erst einmal die harte Schale des Tatverdächtigen knacken musst.« Hauser schmunzelte und stand auf. »Vielleicht gibt es ja auch schon erste Ergebnisse der Wohnungsdurchsuchungen. Irgendwie muss sie ja diese Wahnsinnstat geplant haben, denn nach aktuellem Kenntnisstand schließe ich eine spontane Tat eigentlich aus.«
»Wie schätzt du Frederiks Chancen ein?«, fragte Freja Thorsen nachdenklich und streichelte mit gleichmäßigen Bewegungen über Niklas‘ Brustkorb.
»Am kritischsten sind die ersten Stunden nach so einer Verletzung beziehungsweise der Operation«, erklärte Niklas mit belegter Stimme und räusperte sich vorsichtig, um seine ohnehin schmerzenden Rippen nicht zu sehr zu beanspruchen. Dennoch schoss ihm erneut der Schmerz durch den Oberkörper und ließ ihn das Gesicht verziehen. »Caroline hat ihm mehrfach in den Bauch gestochen, das führt nicht selten zum Tod des Patienten. Frederiks großes Glück in meinen Augen war, dass das direkt neben der Klinik passiert ist und er sofort versorgt wurde.«
»Ich verstehe. Dann können wir also nur abwarten und das Beste hoffen.« Frejas Hand blieb mittig auf Niklas‘ Brust liegen. »Und was ist mit dir? Dass du Schmerzen hast, ist offensichtlich, aber liegt das an deinen Kampfspuren oder an deinen verschleppten Problemen?«
Gequält schloss Niklas die Augen und schüttelte den Kopf. Er konnte seiner Frau nicht länger etwas vormachen und das war auch gut so. Doch ihn schmerzte die Erkenntnis, dass es ihm längst nicht so gut ging, wie er das gerne hätte und er sich das in den vergangenen Wochen selbst eingeredet hatte. Erst der Kampf am Vormittag mit Frederiks Ex-Freundin hatte ihm die Augen geöffnet. Er trug Verantwortung für seine Familie und er trug Verantwortung für seine Patienten. Er musste selbst richtig fit sein, um allen gerecht zu werden. Und er musste endlich seinem behandelnden Arzt, Doktor Wrede, vertrauen.
»Es wird wohl eine Mischung aus beidem sein«, murmelte Niklas schließlich. »Könntest du bitte den kalten Umschlag wieder in das Eisfach legen?«
»Brauchst du sonst noch etwas? Einen Tee vielleicht?« Freja nahm den kalten Umschlag von Niklas‘ rechtem Oberschenkel und musterte ihren Mann besorgt.
»Mit Honig wäre gut.« Er lächelte dankbar und ließ die Augen weiterhin geschlossen. Er war einfach nur unendlich müde und erschöpft.
Niklas hatte den Kampf gegen die Müdigkeit innerhalb von Minuten verloren und war tief und fest eingeschlafen.
»Mach keinen Mist, ja?« Freja küsste ihn auf die Stirn, deckte ihn zu und verließ dann das Wohnzimmer leise, um nach ihrer Tochter zu sehen. Im Gegensatz zu ihrem Vater war Elina hellwach und strahlte über das ganze Gesicht, als Freja sie aus dem Bettchen hob.
»Was machen denn dein Patenonkel und dein Papa für einen Unsinn?«, fragte Freja und setzte sich mit der Kleinen auf den Boden. »Wenigstens lässt sich dein Patenonkel von den Ärzten helfen, dein Papa war da bisher viel zu stur. Dabei brauchen wir ihn doch so sehr, wie kann er da nur so leichtsinnig sein?«
»Ba.« Elina streckte ihre Hand aus und streckte sich, um ihr Lieblingskuscheltier greifen zu können. »Ba!«
Schmunzelnd lockerte Freja ihren Griff, sodass Elina etwas mehr Bewegungsspielraum hatte. »Für dich ist alles noch recht einfach, Mäuschen. Du bist gesund und hast die Krankheit von deinem Papa nicht geerbt. Das ist sehr wichtig, weißt du? Sonst müsste ich mir ja um euch beide permanent große Sorgen machen.«
»Ba ba ba«, wiederholte Elina und lag bäuchlings auf dem weichen Teppich. Mit angestrengter Miene versuchte sie, sich fortzubewegen.
»Wenn du die Arme mitnimmst, klappt es.« Freja lächelte und streichelte ihrer Tochter über den Rücken. Elina schob sich jedoch nur mit den Beinen vorwärts und verzog unwillig das Gesicht.
»Ich hoffe sehr, dass das neue Baby diese Krankheit auch nicht geerbt hat«, fuhr Freja fort und streichelte sich mit der linken Hand über den Unterbauch, der Außenstehenden noch nicht verriet, dass in ihm ein weiteres Leben heranwuchs.
Mit Elina auf dem Arm sah Freja am späten Nachmittag in das Wohnzimmer, doch Niklas schien noch immer tief und fest zu schlafen. Sein rasselnder Atem war überdeutlich zu hören und trieb Freja tiefe Sorgenfalten auf die Stirn.
Wie lange hatte er seinen wahren Zustand vor sich selbst und vor ihr verleugnet?
Wie viel Kraft musste ihn dieses Versteckspiel gekostet haben?
Warum war ihm seine Lungenembolie vor anderthalb Jahren nicht Warnung genug gewesen?
Warum hatte er nicht auf Doktor Wrede oder einen anderen Facharzt gehört und sich behandeln lassen?
Welche Konsequenzen warteten nun auf ihn?
Waren Folgeschäden zu erwarten?
Oder würde Niklas wie nach seiner ersten Embolie relativ schnell wieder ohne Einschränkungen leben können?
Niklas hatte ihr versprochen, am Montagmorgen Doktor Wrede anzurufen und sich so schnell wie möglich behandeln zu lassen. Wäre es angesichts seiner Verfassung nicht besser, sofort zu einem Bereitschaftsarzt zu fahren und nicht noch anderthalb Tage abzuwarten?
»Bu bu.« Elina sah Freja aus großen Augen an.
»Lass uns mal suchen, wo wir heute oder morgen einen Bereitschaftsarzt für den Papa finden«, schlug Freja vor und ging in die Küche. Sie setzte Elina in ihren Sitz am Esstisch, gab ihr den Trinkbecher mit Tee und entsperrte dann ihr Handy.
»Bereitschaftsdienst Lunge Hamburg«, tippte Freja in die Suchmaschine ein und überflog die angezeigten Ergebnisse.
Ärztlicher Bereitschaftsdienst.
Notfallpraxis im UKE, eine Art Bereitschaftspraxis. Arztruf Hamburg.
Niedergelassene Lungenfachärzte ohne Wochenendsprechstunden.
Lungenzentren, spezialisierte Kliniken.
»Dann bleibt uns wohl nur ein Anruf beim ärztlichen Bereitschaftsdienst, falls es deinem Papa weiterhin so schlecht geht. Oder wir müssen in die Klinik fahren.«
Freja streichelte ihrer Tochter über die Wange. »Was hältst du denn davon, wenn du morgen zu Oma und Opa gehst? Dann kann ich mich um den Papa kümmern und du musst dich nicht langweilen?«
Begleitet von Elinas fröhlichen Lauten rief Freja bei ihren Schwiegereltern an. Sie wusste sich angesichts von Niklas‘ Zustand und seinem Geständnis nicht anders zu helfen.
»Natürlich können wir morgen auf Elina aufpassen, das ist kein Problem«, versicherte Niklas‘ Mutter. »Wir freuen uns immer, wenn ihr uns besucht oder wir die Kleine für ein paar Stunden übernehmen dürfen.«
»Danke, das hilft mir wirklich sehr.« Erleichtert atmete Freja auf. »Dann bringe ich auch Elina nach dem Frühstück? Sagen wir, so gegen Neun?«
»Das ist früh, haben du und Niklas etwas Größeres vor? Habt ihr eine längere Fahrt geplant?«, fragte Maria Thorsen überrascht und entlockte Freja mit ihren Fragen nur ein schweres Seufzen.
»Es ist eine lange Geschichte, die wir euch bei Gelegenheit mal persönlich erzählen müssen«, wich Freja aus. »Dann bis morgen um Neun?«
Niklas reagierte mit unwilligem Brummen auf Frejas Versuche, ihn zu wecken, sodass sie ihn weiterschlafen ließ und nur in Elinas Gesellschaft zu Abend aß. Anschließend machte sie die Kleine bettfertig.
»Hoffen wir mal, dass der Schlaf dem Papa guttut«,
meinte Freja mit sorgenvoller Miene und zog Elina den Schlafanzug an.
»Da!« Elina streckte ihre Hände nach Freja aus und lächelte müde.
»Ich bin immer da für dich, Mäuschen, hörst du?«, versprach Freja. »Immer. Egal, was da noch auf uns zukommt. Ich bin schließlich deine Mama. Und deinem Papa helfen wir wieder auf die Füße, versprochen.«
Mit dem Babyfon in der Hand kehrte Freja schließlich in das Wohnzimmer zurück, in der anderen Hand hielt sie den kühlen Umschlag, den sie wieder aus dem Eisfach geholt hatte.
»Niklas?«, fragte sie, stellte das Babyfon auf den Tisch und schlug die Decke so weit zur Seite, dass sie den Umschlag wieder auf Niklas‘ geschwollenen, rechten Oberschenkel legen konnte.
»Mhm?« Er zuckte angesichts der Kälte auf seinem Bein stark zusammen und blinzelte benommen. »Was ist denn los?«, murmelte er kaum verständlich.
»Ich habe Elina gerade ins Bett gebracht.« Freja ging neben dem Sofa in die Hocke und streichelte Niklas mit der Hand über die Brust. »Wie fühlst du dich denn inzwischen?«
»Wie überfahren«, gab Niklas mit rauer Stimme zu. »Als hätte man ein Schleusentor geöffnet, wodurch mein Körper von einer Flutwelle mitgerissen wird.«
»Du hast deine Probleme ja auch lange genug unterdrückt«, meinte Freja nachdenklich. »Irgendwann geht das nicht mehr. Und dann bricht eine Krankheit erst so richtig auf. So wie meine Mandelentzündung, die ich durch die Abschlussprüfungen hindurch geschleppt habe und die mich hinterher ganz schön niedergestreckt hat.«
»Mhm …« Hustend richtete sich Niklas etwas auf. »Da ist natürlich etwas dran. Was auch immer mit mir los ist, Doktor Wrede wird das am Montag schon herausfinden.«
»Willst du wirklich bis Montag warten?« Freja nahm seine Hände in ihre. »Ich will ehrlich sein, Niklas, dein Zustand gefällt mir ganz und gar nicht.«
»Hol bitte meine Tasche aus dem Arbeitszimmer«, bat Niklas seine Frau, ohne auf ihre Frage einzugehen.
»Was hast du vor?«, wollte Freja verwundert wissen und kam seiner Bitte nach.
»Ich bin kein Idiot, auch wenn ich mich zuletzt oft wie einer verhalten habe«, erklärte Niklas unter weiterem Husten, öffnete die Reißverschlusse der kleinen Notfalltasche und nahm das Pulsoxymeter heraus. Schon befestigte er den Clip des Geräts an seinem Zeigefinger und schaltete es ein. »Du weißt, dass ich nach Möglichkeit gern bis Montag abwarten möchte, weil ich mich dann direkt von Doktor Wrede untersuchen lassen kann. Aber das mache ich nur, wenn mein Zustand das auch zulässt.« Er sah auf die Anzeige des Pulsoxymeters. »Ich habe eine Sauerstoffsättigung von siebenundneunzig Prozent und einen Puls von fünfundsiebzig. Das sind völlig normale Werte.«
»Welche Werte bestimmt ihr normalerweise noch, um den Zustand des Patienten einschätzen zu können?«, fragte sie kritisch nach.
»Blutdruck und Temperatur.« Niklas beugte sich vor und zog eine Blutdruckmanschette aus der Tasche. »Dafür brauche ich aber deine Hilfe.«
Mit gerunzelter Stirn legte Freja ihm die Manschette um den Oberarm, positionierte das Stethoskop und pumpte die Blutdruckmanschette schließlich auf.
»Hundertdreißig zu fünfundachtzig, das ist auch in Ordnung«, erklärte Niklas, nachdem er die Messung beendet hatte.
»Okay…« Freja nahm das Thermometer aus der Aufbewahrungsschale und maß damit in Niklas‘ Ohr.
»Deine Temperatur liegt bei achtunddreißig eins.«
»Leicht erhöhte Temperatur.« Niklas lehnte sich wieder in die Kissen zurück. »Das spricht für einen Infekt oder eine Entzündung, die Doktor Wrede bei den letzten Untersuchungen bereits vermutet hat.« Er nahm Frejas Hand. »Ich messe morgen Früh noch einmal. Wenn die Temperatur steigt, lasse ich mich sofort in einer Bereitschaftspraxis untersuchen«, versprach er.
Freja musterte ihn besorgt. Die steile Falte auf ihrer Stirn verriet Niklas ohne Worte, dass sie anderer Meinung war.
»Ich gehe dann auch gleich ins Bett, bevor ich wieder auf dem Sofa einschlafe.« Er streichelte Freja zärtlich über die Wange. »Gib mir bitte bis morgen Früh, vielleicht wird es über Nacht schon besser. Ansonsten fahren wir in eine Bereitschaftspraxis.«
Mit einem seligen Lächeln auf den Lippen kuschelte sich Victoria Andersen enger in die Umarmung des Mannes und atmete entspannt aus.
»Es tut so gut, wieder bei dir zu sein.« Sie drehte den Kopf und gab ihm einen zärtlichen Kuss.
»Wann immer es möglich ist, ma chérie«, versicherte der Mann. »Und ich freue mich auf die nächsten vier Wochen, in denen wir jeden Tag zusammen verbringen können.« Seine Finger streichelten über Victorias Wange und zeichneten den Schwung ihrer Lippen nach. »Wissen deine Söhne eigentlich inzwischen von uns?«
Victoria Andersens Miene verfinsterte sich minimal, das Strahlen in ihren Augen verschwand. »Erst im Dezember haben sich die Ereignisse gejährt, was ihnen ihr eigener Vater angetan hat. Wie könnte ich in diese aufgeladene Stimmung hinein einen neuen Mann an meiner Seite präsentieren? Pierre, so einfach ist das nicht, wie du dir das gerade vorstellst.«
»Schließ mich nicht aus, ma chérie«, bat Pierre die zierliche Konzertpianistin in seinen Armen. »Wie ist die Lage in Hamburg tatsächlich? Was versteckst du vor mir?«
Betrübt schüttelte Victoria den Kopf und nahm seine rechte Hand. »Frederik ist immer noch schwertraumatisiert und hat es bisher nicht geschafft, sich einem Therapeuten anzuvertrauen. Er versucht immer noch, diese gewaltigen Schicksalsschläge mit sich selbst auszumachen, doch das ist einfach nicht möglich. Nicht einmal für ihn.«
»Letztlich ist es seine Entscheidung. Du kannst deine Söhne nur so viel unterstützen, wie sie es auch zulassen«, wandte Pierre ernst ein.
»Hätte ich mehr Mut gehabt wäre ihnen und mir so viel Leid erspart geblieben«, hielt Victoria betrübt dagegen. »Ich hätte mich schon vor vielen Jahren von Max scheiden lassen sollen. Ich hätte mir gute Anwälte suchen müssen, aber ich hätte nie schon im Vorfeld aufgeben dürfen. Hätte ich Max die Stirn geboten wäre es vielleicht nie so weit gekommen, dass er unserer Familie so Unglaubliches antut.«
»Du hast damals eine Entscheidung getroffen, Victoria. Das kannst du nicht mehr ändern, weil ihr diese Wegstrecke bereits gegangen seid. Aber den Weg vor euch, den könnt ihr noch selbst gestalten. Ohne Schatten der Vergangenheit, ohne Wut oder Verbitterung. Ein sauberer Schlussstrich, so wie du das mit deiner Namensänderung ja bereits begonnen hast.« Lächelnd strich Pierre ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht.
»Und weißt du, was mir diese Namensänderung gebracht hat? Nichts als Ärger mit meinen Söhnen.« Seufzend kuschelte sich Victoria rücklings an Pierres Brust und schloss wieder die Augen. »Ich hatte ja keine Vorstellung, wie sehr sie unter diesem Namen gelitten haben und immer noch leiden. Ich hätte sie von Anfang an mit einbeziehen müssen, aber ich wollte unbedingt eine schnelle Lösung und nicht in der Familie darüber diskutieren.«
»Du musst dich nicht vor mir rechtfertigen, Victoria«, erinnerte Pierre seine Freundin und gab ihr einen Kuss auf den Scheitel. »Ich will d…«
Weiter kam er nicht, denn Victorias Handy auf dem Nachtkästchen klingelte. Ächzend löste sie sich aus Pierres Umarmung, nahm das Mobiltelefon und runzelte die Stirn.
»Das ist Oliver«, stellte Victoria irritiert fest und nahm das Gespräch an. »Oliver? Waren wir nicht für morgen Nachmittag verabredet?«
»Das kann leider nicht bis morgen warten, Mama. Frederik wurde gestern Abend auf dem Klinikparkplatz niedergestochen. Einen zweiten Angriff auf der Intensivstation konnte Niklas heute gerade noch verhindern«, berichtete Oliver mit belegter Stimme. »Frederik ist schwer verletzt, aber nach der Notoperation gestern stabil. Mehr können uns die Ärzte bisher nicht sagen.«
Entsetzen spiegelte sich in Victoria Andersens Gesichtszügen wider. Sie wurde schlagartig blass.
»Was?«, fragte sie fassungslos und umklammerte das Handy mit schweißnassen Fingern. »Wer tut denn so etwas? Frederik … er hat doch niemandem etwas getan. Ich begreife das nicht.«
»Es war Caroline, Mama. Sie hat Frederik das angetan, weil er die Beziehung beendet hat.« Oliver räusperte sich energisch, doch die Emotionen hatten ihn fest im Griff. »Sie wurde dank Niklas verhaftet, ohne dass sie Frederik noch mehr Leid zufügen konnte. Mehr wissen wir selbst noch nicht. Aber wir dachten, dass du unter diesen Umständen zurück nach Hamburg kommen möchtest.«
»Ich … ja, … ich werde zurückfliegen, sobald es möglich ist«, versprach Victoria fahrig und schlug die Bettdecke zurück. »Ich schreibe dir eine Nachricht, sobald ich mehr weiß.« Sie schloss die Augen und atmete tief durch. »Danke, dass du mich angerufen hast, Oliver.« »Bis später«, verabschiedete er sich matt und beendete dann das Gespräch.
Pierre schwieg betreten und musterte Victoria aufmerksam. Er hatte das ganze Telefonat mitangehört und war selbst über die Nachricht mehr als geschockt. Hatte diese Familie inzwischen nicht genug einstecken müssen?
Wann durfte diese Familie endlich zur Ruhe kommen?
»Ich muss meinen Rückflug organisieren«, erklärte Victoria mit dünner Stimme und zog sich den Hotelbademantel über. »Und ich muss mit meinem Management telefonieren, dass ich die Tour abbrechen kann. Ich werde nächste Woche kaum wieder hier auf der Bühne stehen, während mein Sohn um sein Leben kämpft.«
»Lass mich dir helfen, Victoria. Du bist nicht allein.« Pierre rutschte an die Bettkante und nahm Victorias Hände. »Was kann ich tun? Was brauchst du?«
»Wenn du mir helfen möchtest, such mir bitte einen Flug nach Hamburg.« Victoria Andersen entzog ihm ihre Hände und wischte sich die Tränen aus den Augenwinkeln.
»Komm her, ma chérie.« Sofort stand Pierre auf und schloss seine zierliche Freundin in die Arme. Beruhigend streichelte er ihr über den Rücken. »Ich bin für dich da. Und ich lasse dich nicht allein. Wir werden beide nach Hamburg fliegen.«
»Das haben wir doch vorhin schon besprochen«, wehrte sich Victoria und verlor den Kampf gegen die Tränen. »Ich kann dich jetzt nicht meinen Söhnen vorstellen, Pierre. Das ist alles zu viel.«
»Ich habe dich schon verstanden, Victoria«, versicherte Pierre und hielt sie einfach nur in den Armen. »Ich möchte für dich da sein, wann immer du mich brauchst. Und das geht nicht, wenn dutzende Flugstunden zwischen uns liegen. Ich werde also mit dir nach Hamburg reisen und mir dort ein Hotelzimmer nehmen. So bin ich in deiner Nähe und du kannst jederzeit zu mir kommen, wenn du das möchtest. Und deine Söhne werde mich nicht zu Gesicht bekommen, das verspreche ich dir. Es geht mir gerade nur um dich, ma chérie.«
Geräuschvoll zog Victoria die Nase hoch und schüttelte dann den Kopf. »Ich weiß dein Angebot zu schätzen, aber ich werde allein zurück nach Hamburg fliegen«, stellte sie mit tränenerstickter Stimme klar. »Ich rufe dich an, wenn ich mehr weiß, aber jetzt muss ich für meine Söhne da sein.« Sie löste sich aus seiner Umarmung und schlurfte dann mit hängenden Schultern ins Badezimmer.
»Caroline Wagner, Sie sind vorläufig festgenommen wegen dringenden Tatverdachts des versuchten Mordes an Niklas Thorsen und Frederik Hendriksson«, erklärte der uniformierte Polizist, während seine Kollegin die körperliche Durchsuchung von Caroline beendete. »Sie haben das Recht, zu schweigen oder einen Anwalt hinzuziehen.«
»Ihnen macht das richtig Spaß, was?« Caroline schüttelte den Kopf.
Der Streifenpolizist schüttelte den Kopf. »Sie sind eine von uns, wie können Sie so etwas nur tun?«, fragte er fassungslos und rastete die Handfessel an Carolines linkem Handgelenk ein. Geübt fixierte er ihre Hände hinter dem Rücken und hielt sie anschließend fest am Oberarm gepackt.
»Sie verstehen überhaupt nichts«, stieß Caroline wütend hervor und stemmte sich gegen die Fixierung. »Sie sind genauso unnütz wie alle anderen!«
»Abmarsch. Wir bringen Sie zum Polizeipräsidium, dort werden Sie zu den Tatvorwürfen befragt«, erklärte der Streifenpolizist und zog Caroline mühelos mit sich, obwohl sie sich alles andere als kooperativ verhielt. Unsanft bugsierte er sie auf den Rücksitz des Streifenwagens und setzte sich links neben sie, seine Kollegin stieg auf der Fahrerseite ein.
Nach außen hin gleichgültig sah Caroline aus dem Seitenfenster. Regentropfen liefen mit zunehmender Geschwindigkeit des Fahrzeugs waagerecht darüber und schlossen sich zu immer größeren Tropfen zusammen. Typisches Hamburger Wetter für diese Jahreszeit und gleichzeitig passend zu Carolines Stimmung. Gestern Abend auf dem Parkplatz, da hatte sie noch alles unter Kontrolle gehabt. Wären diese blöden Passanten nur ein paar Minuten später gekommen, dann wäre der heutige Tag ganz anders verlaufen. Sie wäre schon über alle Berge gewesen. Aber nein, das Glück hatte mal wieder auf der Seite der Hendrikssons stehen müssen!
Im Polizeipräsidium wurde Caroline von den beiden Streifenpolizisten in die Mitte genommen und zu einem Vernehmungszimmer geführt. Zwei andere Polizisten blieben nun bei Caroline, die Streifenbeamten machten sich auf den Rückweg.
»Was glotzen Sie denn so blöd?«, fauchte Caroline den kleineren der Männer an, sprang auf und warf sich mit aller Kraft auf dessen Kollegen. Sie würde sich mit Sicherheit nicht kampflos geschlagen geben.
»So nicht!« Beide Polizisten hatten reflexartig reagiert und waren ihrem Angriff ausgewichen, sodass Caroline mit der Schulter gegen die Wand prallte und dann zu Boden fiel. Keuchend wich die Luft aus ihren Lungen.
»Hoch mit Ihnen, Frau Wagner.« Grob wurde Caroline an den Oberarmen gepackt. Die Polizisten ignorierten ihren theatralischen Schmerzensschrei und zerrten sie wieder auf die Füße.
Zwei Tritte gegen die Beine der Männer konnte Caroline landen, dann wurde sie zu Boden geworfen und nun auch an ihren Füßen gefesselt.
»So, Frau Wagner.« Ein Kripo-Ermittler betrat schließlich das Vernehmungszimmer und war von der Situation nicht im Ansatz überrascht. Vermutlich hatte er alles durch den Einwegspiegel hindurch beobachtet. »Können wir uns dann wie zivilisierte Erwachsene verhalten und mit der Befragung beginnen?«
»Ich weiß nicht, was diese beiden Neandertaler mit Zivilisation zu tun haben, aber streiten wir nicht über Worte.« Angriffslustig reckte Caroline das Kinn vor.
»Machen Sie mich los«, forderte sie in scharfem Ton.
Der Ermittler schüttelte den Kopf und setzte sich an den Tisch. Die anderen Polizisten zerrten Caroline gewaltsam auf den zweiten Stuhl und hielten sie weiterhin fest.
»Das nennen Sie also zivilisiert?«, fragte Caroline und stemmte sich gegen die Fesseln.
»Bleiben Sie ruhig sitzen?«, fragte der Kriminalpolizist. »Ich springe Ihnen schon nicht in das Gesicht.« Caroline gab ihre Gegenwehr vorerst auf. »Erzählen Sie mir jetzt endlich, was hier los ist und warum Sie mich hier so gewaltsam festhalten lassen?«
Abwartend ruhten die Blicke der Männer auf ihr, dann nickte der Ermittler und die Griffe der beiden Polizisten lockerten sich.
»So, Frau Wagner. Wie Ihnen bei Ihrer Festnahme bereits erklärt wurde stehen Sie unter dringendem Tatverdacht des versuchten Mordes an Niklas Thorsen und Frederik Hendriksson. Es steht Ihnen frei, sich dazu zu äußern. Sie müssen sich nicht selbst belasten und dürfen sich jederzeit einen Rechtsbeistand hinzuziehen. Haben Sie das verstanden?«
»Ich bin ja nicht blöd.« Caroline verzog das Gesicht zu einem spöttischen Lächeln. »Was habe ich denn mit Doktor Thorsen zu schaffen, dass Sie zu diesem absurden Tatverdacht kommen?«
»Sie sind heute im Krankenhaus mit einem Messer bewaffnet auf Doktor Thorsen losgegangen«, las der Kriminalpolizist aus seinen Notizen ab. »Angesichts des Vorgehens und Ihrer verbalen Äußerungen während des Kampfes kom…«
»Papperlapapp«, unterbrach Caroline ihn unwirsch. »Ich bin auf niemanden losgegangen, Doktor Thorsen hat mich aus dem Nichts angegriffen und zu Boden geworfen. Ich habe mich nur gewehrt.«
»Warum hatten Sie ein Messer dabei? Sie sind keine Angehörige von Doktor Hendriksson, was hatten Sie überhaupt auf der Intensivstation zu suchen?«, fragte der Ermittler sofort nach.
Caroline schüttelte den Kopf. »Frederik ist mein Ex, ja. Aber das heißt nicht, dass es mir gleichgültig ist, wenn er niedergestochen wird. Ich wollte nach ihm sehen.« »Und nachdem Sie Doktor Hendrikssons Krankenzimmer nicht betreten durften, haben Sie erst einmal den Polizisten im Flur niedergeschlagen und verletzt?«
»Sie haben eine blühende Phantasie«, beschied Caroline ihrem Kollegen von der Kriminalpolizei belustigt. »Der Mann ist einfach unglücklich gestürzt, dafür können Sie mich kaum verantwortlich machen. Vermutlich hatte er einfach nur Kreislaufprobleme.« Sie legte den Kopf schief. »Haben Sie überhaupt Ansatzpunkte oder Beweise für Ihre Anschuldigungen? Bisher stochern Sie ganz schön im Nebel und verschwenden meine Zeit.«
Der Kriminalpolizist runzelte die Stirn, kurz blitzte Verärgerung in seinen Augen auf. Dann hatte er sich sofort wieder im Griff. »Wo waren Sie gestern Abend gegen siebzehn Uhr?«
»Spazieren«, antwortete Caroline, ohne zu zögern. »Allein und ich fürchte, ich kann Ihnen keine Zeugen benennen.«
»Spazieren«, wiederholte der Ermittler. »Zum Beispiel mit einem Messer in der Hand über den Ärzteparkplatz der Asklepios Klinik Sankt Georg? Und dann sind Sie zufällig mit Doktor Hendriksson zusammengestoßen?«