Angst vor den Freunden - Oskar Lafontaine - E-Book

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Oskar Lafontaine

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Beschreibung

In diesem 1983 erstmals erschienenen Buch legt Oskar Lafontaine dar, daß die Europäer in Ost und West sich aus der atomaren Rivalität der beiden Weltmächte heraushalten müssen, wenn sie sich größeren politischen Handlungsspielraum und vor allem mehr Sicherheit verschaffen wollen. Das Prinzip "Leistung nur bei Gegenleistung" müsse fallengelassen, die Politik der Friedenssicherung durch Gewaltandrohung aufgegeben werden. Eine atomwaffenfreie und auf defensive Bewaffnung umgerüstete Bundesrepublik würde Ängste abbauen und Vertrauen bilden. Damit sei die Grundlage geschaffen, die Entspannungspolitik fortzusetzen und mit den Völkern in Ost und West in Frieden zusammenzuleben.

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Oskar Lafontaine

Angst vor den Freunden

Die Atomwaffen-Strategie der Supermächte zerstört die Bündnisse

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Über dieses Buch

In diesem 1983 erstmals erschienenen Buch legt Oskar Lafontaine dar, daß die Europäer in Ost und West sich aus der atomaren Rivalität der beiden Weltmächte heraushalten müssen, wenn sie sich größeren politischen Handlungsspielraum und vor allem mehr Sicherheit verschaffen wollen. Das Prinzip „Leistung nur bei Gegenleistung“ müsse fallengelassen, die Politik der Friedenssicherung durch Gewaltandrohung aufgegeben werden. Eine atomwaffenfreie und auf defensive Bewaffnung umgerüstete Bundesrepublik würde Ängste abbauen und Vertrauen bilden. Damit sei die Grundlage geschaffen, die Entspannungspolitik fortzusetzen und mit den Völkern in Ost und West in Frieden zusammenzuleben.

Über Oskar Lafontaine

Oskar Lafontaine wurde am 16. September 1943 in Saarlouis geboren. Im Verlauf seines politischen Lebens war er Oberbürgermeister in Saarbrücken, Ministerpräsident des Saarlandes, Vorsitzender der SPD und Bundesfinanzminister. Im März 1999 legte er alle seine bisherigen politischen Ämter in der SPD aus Kritik am rot-grünen Regierungskurs von Gerhard Schröder nieder.

Im Jahr 2005 wechselte Oskar Lafontaine von der SPD zur neu gegründeten Wahlalternative Arbeit & soziale Gerechtigkeit (WASG). Diese ging durch seine Initiative im Juni 2005 ein Wahlbündnis mit der PDS ein.

Von 2005 bis 2009 war Lafontaine mit Gregor Gysi Fraktionsvorsitzender der Linksfraktion im Deutschen Bundestag. Vom 16. Juni 2007 bis zum 15. Mai 2010 war er neben Lothar Bisky Parteivorsitzender der neugebildeten Partei DIE LINKE. Sein Rückzug von beiden politischen Ämtern erfolgte aufgrund einer Krebserkrankung. In den saarländischen Landtagswahlkämpfen 2009 und 2012 war er Spitzenkandidat der LINKEN. Seit September 2009 führt er die Fraktion der Linken im saarländischen Landtag. Von Juli 2010 bis Juli 2014 war er zudem Vorsitzender der Internationalen Kommission der Partei DIE LINKE.

Inhaltsübersicht

EinleitungI Die neuen Waffen schützen nicht mehr. Die atomare Rüstung1 Die Supermächte2 Automatisierung des Atomkriegs3 Wer ist der Angreifer?4 Die Kuba-Krise5 Streben nach Überlegenheit6 Strategie des führbaren und gewinnbaren Atomkriegs7 Rohstoffimperialismus und Strategie der horizontalen Eskalation8 Arbeitsteilung beim Rohstoffimperialismus9 Deutschland – atomares Schlachtfeld der SupermächteII Die Weltmächte sind weder berechenbar noch zuverlässig. Die gescheiterte Rüstungskontrollpolitik1 Der Test-Stopp-Vertrag2 Der Atomwaffen-Sperr-Vertrag3 Zivile Kernenergie4 Die Salt-Verträge5 Demokratischer Wechsel und Rüstungskontrolle6 Das große Geld und die Rüstungsindustrie7 Der Doppelbeschluß der Nato8 Der WaldspaziergangIII Das Schicksal in die eigene Hand nehmen. Neue Wege in der Sicherheitspolitik1 Die Bündnisfrage2 Miteinander rivalisierende atomare Weltmächte sind keine Partner für Verteidigungsbündnisse3 Die Bundesrepublik Deutschland muß aus der militärischen Integration der Nato ausscheiden4 Angst vor den Freunden5 Nationalismus von links?6 Gleichgewicht ist keine Lösung7 Für ein atomwaffenfreies Deutschland8 Umrüstung auf Defensivwaffen9 SPD und die atomare Rüstung10 Umrisse für eine neue verteidigungspolitische Konzeption der SPDIV Abrüstung beginnt bei jedem einzelnen von uns. Umkehr zum Leben1 Die Bombe und wir2 Unsere eigene Verantwortung3 Solidarität4 Arbeit5 Generalstreik – eine Form des gewaltlosen Widerstandes6 AusblickDokumentation1 Nordatlantikvertrag vom 4. April 19492 Göttinger Appell der 18 deutschen Atomforscher vom 12. April 19573 Test-Stopp-Vertrag vom 5. August 19634 Atomwaffen-Sperr-Vertrag vom 1. Juli 19685 Salt-I-Vertrag vom 26. Mai 19726 Salt-II-Vertrag vom 18. Juni 19797 Nato-Doppelbeschluß vom 12. Dezember 19798 Das geheime Pentagon-Dokument über die amerikanische Atomkriegsstrategie 19829 Bericht der SPD-Arbeitsgruppe «Neue Strategien» von 1983

Einleitung

In der ganzen Welt wenden sich die Menschen gegen die atomare Bedrohung. Der bisherige Weg, den Frieden zu sichern, wird nicht mehr akzeptiert. Die Sicherheitspolitik, die auf atomarer Abschreckung beruht, hat zwei nicht haltbare Voraussetzungen. Die erste Voraussetzung ist, daß Menschen keine Fehler machen. Die zweite Voraussetzung ist, daß technische Systeme nicht versagen können. Obwohl offenkundig ist, daß diese beiden Voraussetzungen nicht gegeben sind, basiert die Sicherheitspolitik der Industriestaaten in Ost und West auf diesem Fundament, das jeder historischen Erfahrung widerspricht.

Seit über 30 Jahren sprechen die Weltmächte von Abrüstung. Am 5. August 1963 hatten die Nuklearmächte USA, Großbritannien und UdSSR es im Test-Stopp-Vertrag als ihr Hauptziel bezeichnet, so schnell wie möglich ein Abkommen über eine allgemeine und vollständige Abrüstung zu erreichen. Dem Wettrüsten sollte ein Ende gesetzt werden. Der Anreiz zur Produktion und zur Erprobung aller Arten von Waffen einschließlich von Kernwaffen sollte beseitigt werden. 20 Jahre sind vergangen. Ein Abkommen über eine allgemeine und vollständige Abrüstung ist in weiter Ferne. Am 1. Juli 1968 schlossen dieselben Staaten den Atomwaffen-Sperr-Vertrag. Auch in diesem Vertrag verpflichteten sie sich abzurüsten.

Beide Verträge sind von den Nuklearmächten gebrochen worden. Mit den Salt-Verträgen versuchten die Vereinigten Staaten und die Sowjetunion die atomare Abschreckung, die auf einer gesicherten Zweitschlagsfähigkeit beruht, zu stabilisieren. Sie wollten vermeiden, daß Waffensysteme hergestellt werden, die nicht mehr kontrollierbar und verifizierbar sind. Die Entwicklung von Waffen, die wie funktionierende Antiraketenwaffen einer Seite schlagartig einen entscheidenden Vorteil bringen würden, sollte ausgeschlossen werden.

Das Ziel, das sich die beiden Weltmächte mit den Salt-Verträgen gesetzt hatten, ist nicht erreicht worden. Die Waffentechnologie führte zu immer kürzeren Vorwarnzeiten, zu immer größerer Zielgenauigkeit und zu einer Automatisierung der atomaren Streitkräfte. Der Zeitpunkt rückt näher, an dem ein Computerfehler den nuklearen Weltbrand auslöst. Diese Entwicklung legt den Schluß nahe, daß der bisherige Weg, Sicherheit zu finden, falsch ist. Nirgendwo fällt es so schwer, neue Wege zu suchen, wie in den Bereichen, die mit den stärksten Tabus behaftet sind.

Die Sicherheitspolitik ist ein solcher Bereich. Da die gegenwärtige Sicherheitspolitik nur eine Sicherheit mit sich bringt, nämlich die, daß der Atomkrieg kommt, muß sie aufgegeben werden. Niemand weiß, wie lange noch Zeit bleibt, umzukehren. Gleichwohl müssen wir einen anderen Weg gehen, wobei jeder einzelne aufgerufen ist, seinen Beitrag zu leisten.

In diesem Buch wird analysiert, daß die Rivalität der beiden Supermächte und ihre globale imperiale Politik Grundlage des weltweiten Hochrüstungsprozesses sind. Es wird darauf hingewiesen, daß die Bundesrepublik durch die Strategie der geographischen Eskalation, durch den Aufbau einer schnellen Eingreiftruppe, durch die Nato-Infrastruktur und durch den Wartime Host Nation Support, der die Unterstützung amerikanischer Truppen durch die Bundesrepublik in Krisen- und Kriegszeiten vertraglich regelt, in die globale Politik der westlichen Führungsmacht eingebunden ist.

Unter geänderten Vorzeichen gilt das auch für die Einbindung der osteuropäischen Staaten in die globale Politik der Sowjetunion. Wenn auch die Politik der beiden Weltmächte gravierende Unterschiede aufweist, so können die in diesem Buch für die Bundesrepublik gemachten Vorschläge in abgewandelter Form den Weg aufzeigen, wie sich die osteuropäischen Staaten der globalen Politik der Sowjetunion entziehen können. Jugoslawien und mit Einschränkung auch Rumänien sind Beispiele dafür, daß der Prozeß der Verselbständigung in Osteuropa möglich ist.

Für die Bundesrepublik wird als erster Schritt das Ausscheiden aus der militärischen Integration der Nato empfohlen, um sich der atomaren Rivalität der beiden Supermächte zu entziehen. Diese Empfehlung stellt ab auf den technischen Apparat, der in der Bundesrepublik und Europa aufgebaut ist. Es hat ein qualitativer Umschlag stattgefunden. Die bei uns aufgestellten Waffen schützen uns nicht mehr, sondern gefährden uns in höchstem Maße. Allein auf diesen Apparat, der seine eigenen Gesetze hat, kommt es an. Die Vereinbarungen zwischen den Bündnispartnern und zwischen den beiden Blöcken können noch so gut gemeint sein, an der Computerabhängigkeit und an der nicht mehr kontrollierbaren Reaktionszeit ändern sie nichts. Das Ziel heißt aber nicht Rückfall in den Nationalstaat, der womöglich noch über nationale Atomwaffen verfügt. Das Ziel ist es, eine Sicherheitspolitik zu konzipieren, die sich nicht auf gegeneinander gerichtete Bündnisse stützt.

Eine solche Sicherheitspolitik birgt Risiken in sich, vermeidet aber den atomaren Selbstmord. Da Atomwaffen Waffen sind, die keine Sicherheit garantieren können, und da sie mit zwingender Notwendigkeit die Atomwaffen der anderen Seite auf sich ziehen, wird die Entnuklearisierung der Bundesrepublik gefordert. Die Gleichgewichtsformel ist heute noch Grundlage der Genfer Verhandlungen der beiden Weltmächte. In einer Welt, in der es einige hundert Atombomben gab, hatte diese Gleichgewichtsformel vielleicht noch einen Sinn. Da heute über 50000 Atombomben in den Waffenarsenalen der Nuklearmächte lagern, ist die Gleichgewichtsformel sinnlos geworden. Sie kann daher nicht Grundlage einer rationalen Politik sein.

Die bisherigen Armeen waren so gerüstet, daß ihre Rüstung sowohl zur Verteidigung als auch zum Angriff eingesetzt werden konnte. Es wird in diesem Buch dafür plädiert, die Bundeswehr auf defensive Waffensysteme umzurüsten, um Ängste zu nehmen und Vertrauen zu schaffen. Da die Menschen ihre eigene Verantwortung gern an Parlamente und Regierungen delegieren, wird an jeden einzelnen appelliert, sich für die Erhaltung seines Lebens einzusetzen. Da die Atombombe von Menschen geschaffen worden ist, ist sie auch Ausdruck der Abgründe der menschlichen Natur. Sie ist ein Ergebnis der Angriffs- und Zerstörungstriebe des Menschen. Abrüstung wird daher zu einer Aufgabe, die jedem einzelnen von uns gestellt ist. Es geht darum, Feindbilder abzubauen und die eigenen Aggressionstriebe unter Kontrolle zu bringen. Was verlangt wird, ist eine Revolution der Gesinnungsart, eine grundlegende Änderung unserer Einstellung zum Leben. Gewaltfreiheit, Hingabe und Vertrauen sind unsere Möglichkeiten, durch Zuwendung zum Mitmenschen die Angst vor ihm zu überwinden.

I Die neuen Waffen schützen nicht mehr

Die atomare Rüstung

1 Die Supermächte

Der Zweite Weltkrieg hatte zur Folge, daß der Einfluß der europäischen Staaten auf die Weltpolitik entscheidend verringert wurde. Es blieben zwei Weltmächte übrig, die USA und die UdSSR, die gemeinsam gegen den Hitler-Faschismus gekämpft hatten. Schon bald wurden aus den Verbündeten des Zweiten Weltkriegs zwei miteinander rivalisierende Großmächte. Im Zuge der Explosion der Technologie, die es mit sich gebracht hat, daß man innerhalb von Bruchteilen von Sekunden Informationen in Wort und Bild zu den entferntesten Punkten der Erde übermitteln kann und die dazu geführt hat, daß man innerhalb von Minuten mit atomwaffentragenden Raketen den millionenfachen Tod an jeden Punkt der Erde bringen kann, definierten die beiden Weltmächte ihre Interessen global.

Die Sowjetunion hatte ihre Wirtschaft mehr oder weniger autark organisiert. Erst im Zuge der Entspannungspolitik ließ sie sich auf eine verstärkte wirtschaftliche Zusammenarbeit mit dem Westen ein. Die Amerikaner wurden mehr und mehr abhängig von den Rohstoffmärkten der Welt. Um die Transportwege zu sichern, übersäten sie den ganzen Erdball mit militärischen Stützpunkten. Ab einem bestimmten Zeitpunkt versuchte die Sowjetunion ebenfalls, auf allen Weltmeeren präsent zu sein. Der starke Ausbau der sowjetischen Seestreitmacht ist das Ergebnis dieser sowjetischen Politik.

Die beiden Weltmächte wollen diese imperiale Komponente ihrer Politik nicht sehen. Dabei wäre es doch nicht allzu schwer, einmal die Frage zu stellen, welche Gründe für eine Pax Americana oder Pax Sowjetica ins Feld geführt werden können. Außer Größenwahn sehe ich nichts. Da unter Freiheit das Recht eines jeden Menschen und natürlich auch eines jeden Volkes verstanden wird, sein Leben selber zu bestimmen, ist diese imperiale Komponente der Politik der beiden Weltmächte gegen die Freiheit gerichtet. Interessanterweise sind beide davon überzeugt, daß sie mit ihrer imperialen Politik der Freiheit dienen. Sieht man aber näher hin, so sind fast alle Schritte, die die beiden Weltmächte unternehmen, dazu bestimmt, ihre jeweilige Macht- und Interessensphäre auszuweiten.

Es gehört zum guten Ton in der Weltpolitik, die eigenen Machtgelüste zu leugnen und sie in den Dienst vorgeschobener hoher Ideale zu stellen. Die Sowjetunion unterdrückt nach diesem Muster die Freiheitsbewegungen in Osteuropa oder rechtfertigt den Einmarsch in Afghanistan, weil es ja immer gilt, den Kapitalismus zu bekämpfen. Die USA verbünden sich mit den brutalsten Diktaturen in Süd- und Mittelamerika oder arbeiten in Europa mit der Militärjunta in der Türkei problemlos zusammen, da es ja gilt, den Kommunismus zu bekämpfen. In früheren Jahren zählten sich auch die Diktaturen in Spanien, Portugal und Griechenland zu der Gemeinschaft der freien Völker. So dient die Globalpolitik der beiden Weltmächte allem anderen, nur nicht dem Lebens- und Existenzrecht der von ihr betroffenen Völker.

Das Handeln der beiden Weltmächte wurde in erster Linie von militärischen Erwägungen bestimmt. Es gab immer wieder Unterbrechungen, aber die Militarisierung der Außenpolitik, teilweise auch ein Ergebnis der Weiterentwicklung der Waffentechnologie, nimmt zu. Jeden Tag berichten die Medien etwas über die neuen Rüstungsprogramme der Nuklearmächte. Gleichzeitig berichten sie über die Abrüstungsverhandlungen. So war es immer nach dem Zweiten Weltkrieg. Während die Weltmächte miteinander redeten, rüsteten sie gegeneinander auf.

Es gibt heute Probleme, die nur noch gelöst werden können, wenn es zu einer weltweiten Verständigung über die Maßnahmen kommt, die ergriffen werden müssen. An erster Stelle steht die Bekämpfung des millionenfachen Hungertodes. Seit Jahren verdichten sich die Anzeichen, daß die Welt einer ökologischen Katastrophe zutreibt. Die souveränen Nationalstaaten, auf sich gestellt, stehen dieser Entwicklung mehr oder weniger machtlos gegenüber. Oft dienen sie einander als Alibi, um genau die Politik unverändert fortzusetzen, die die Ursache für den Hungertod und die Zerstörung unserer Lebensgrundlagen ist. Die gegeneinander gerichteten, waffenstarrenden Blöcke sind geradezu eine Garantie dafür, daß Hunger, Elend und Umweltzerstörung weiter zunehmen. Zur Aufrechterhaltung ihrer gigantischen Zerstörungsmaschinerie entziehen Nato und Warschauer Pakt der Welt so viele materielle und finanzielle Ressourcen, so viel menschliche Arbeitskraft und Ideenreichtum, daß beim Fortdauern dieser Blockkonfrontation ein Überleben der Menschheit nicht möglich ist.

2 Automatisierung des Atomkriegs

Anfangs verfügten nur die Vereinigten Staaten über Atomwaffen. Gleichgewicht gab es nicht. Dennoch nutzten die Vereinigten Staaten ihre Monopolstellung nicht dazu aus, die Sowjetunion anzugreifen. Daß es in Amerika immer wieder Pläne gab, den Kommunismus mit Atomwaffen endgültig zu beseitigen, ist bekannt. Kurz nach dem Krieg beauftragte der amerikanische Präsident Harry S. Truman die Vereinigten Stabschefs der US-Streitkräfte, einen Plan auszuarbeiten, um das Atomwaffenmonopol gegen die Sowjetunion einzusetzen. Dieser Plan erhielt den Decknamen Dropshot. Mit dem Abwurf von 300 Atombomben auf das Gebiet der Sowjetunion und ihrer Verbündeten sollte gegen die Staaten des Ostens der entscheidende Schlag geführt werden, um den Kommunismus zu beseitigen. Nach amerikanischen Quellen hatte Präsident Truman diesen Plan unter anderem damit begründet, daß das amerikanische System nur dann überlebensfähig sei, wenn es zum Weltsystem werde.

Auch in den Folgejahren wurde von der jeweiligen amerikanischen Regierung immer wieder der Einsatz von Atomwaffen nicht ausgeschlossen. Am 30. November 1950 deutete Präsident Truman auf einer Pressekonferenz an, daß die Vereinigten Staaten bereit seien, im Korea-Krieg Atombomben einzusetzen. Im Jahre 1959 soll sich der amerikanische Präsident Dwight D. Eisenhower mit dem Gedanken getragen haben, während der Berlin-Krise Atomwaffen einzusetzen. Damals soll es in erster Linie der englische Premierminister Harold Macmillan gewesen sein, der diesen Plänen Eisenhowers energischen Widerstand entgegensetzte. Auch Mitte der sechziger Jahre wurde bekanntermaßen von einer Reihe amerikanischer Militärs und Politiker der Einsatz von Atombomben zur Beendigung des Vietnam-Kriegs erwogen.

Die Explosion der ersten Nuklearwaffe der Sowjetunion 1949 beendete das amerikanische Atomwaffenmonopol. Während der Suez-Krise 1956 drohte Chruschtschow England und Frankreich mit dem Einsatz atomarer Mittelstreckenwaffen. In der letzten Zeit hat die Sowjetunion stets den Verzicht auf den Ersteinsatz nuklearer Waffen erklärt. Da aber auch die Sowjetunion das Versagen ihrer Frühwarnsysteme nicht ausschließen kann, ist der Wert dieser Erklärung fragwürdig. Die Kernwaffenträger waren in den Anfangsjahren der Nuklearrüstung Flugzeuge. Natürlich war die Versuchung groß, durch die Stationierung von Kernwaffen in anderen Ländern durch vorgeschobene Flugbasen die Zeit zu verkürzen, die ein kernwaffentragendes Flugzeug brauchte, um das Territorium der gegnerischen Großmacht zu erreichen. Die USA stationierten kernwaffentragende Flugzeuge in vielen Ländern entlang der Grenze der Sowjetunion. So verkürzten sie die Zeit, um die Atombomben auf das Territorium der gegnerischen Supermacht zu transportieren. 1948 hatte die USA ihre Interkontinental-Bomber einsatzbereit. Die Sowjetunion zog 1955 gleich.

Als es gelang, Raketen zu Kernwaffenträgern zu machen, änderte sich die Situation grundsätzlich. Ballistische Raketen waren in der Lage, innerhalb von Minuten das Territorium der anderen Weltmacht zu erreichen. Wiederum stationierten die Vereinigten Staaten die ersten Mittelstreckenraketen in der Nähe der sowjetischen Grenze. Sie waren damit in der Lage, in kürzester Zeit Ziele in der Sowjetunion mit Atomwaffen anzugreifen. Die Sowjetunion konnte lange Zeit dieser Bedrohung keine gleichwertige entgegensetzen.

Als es ihr im Jahre 1957 gelang, den Satelliten Sputnik in die Erdumlaufbahn zu bringen, trat für die USA eine dramatische Wende ein. Nunmehr war Amerika klar, daß auch die UdSSR das Territorium der USA mit landgestützten Interkontinentalraketen bedrohen konnte. Die Flugzeit einer Interkontinentalrakete beträgt rund eine halbe Stunde. Die Vorwarnzeit betrug jetzt auch für die USA nicht mehr einige Stunden, sondern 20 Minuten. Die Entwicklung seegestützter Raketen – von U-Booten transportiert und in der Nähe des Territoriums der gegnerischen Weltmacht abgefeuert – verringerte die Vorwarnzeit ebenfalls. Beide Weltmächte konnten jetzt die großen Städte der jeweils anderen Weltmacht dem Erdboden gleichmachen. Eine Abwehrmöglichkeit gab es nicht. Die Treffgenauigkeit der damaligen Raketengeneration war so gering, daß es möglich war, durch Raketen-Silos und verbunkerte Stellungen die eigene atomare Streitmacht und die Kommandozentralen vor einem atomaren Vernichtungsschlag zu schützen.

In den Folgejahren veränderte sich der wichtige technische Parameter Treffgenauigkeit entscheidend. Die Treffgenauigkeit bestimmt die Zerstörungsfähigkeit einer Atomwaffe. Insbesondere die Steigerung der Treffgenauigkeit vom Kilometer-Bereich in den Zehn-Meter-Bereich begründete die Fähigkeit, auch Raketensilos und Kommandozentralen der anderen Weltmacht zu zerstören. Die Grafik auf Seite 18 gibt einen Überblick über die tatsächliche und zukünftig mögliche Entwicklung der Zielgenauigkeit von Raketen.

Diese Entwicklung nennen die Wissenschaftler die Destabilisierung der atomaren Technologie. Solange jeder noch das Gefühl hatte, auf einen atomaren Schlag der anderen Seite mit einem Vergeltungsschlag erwidern zu können, war nach Auffassung der Militärstrategen die Situation stabil. In dem Moment, in dem eine Weltmacht in der Lage ist, einen großen Teil der Atomwaffenträger und die Kommandostruktur der anderen Weltmacht zu zerschlagen, ist diese stabile Situation zerbrochen.

Mit dem Aufkommen der Computer-Technologie verstand es sich von selbst, diese Maschine für die atomare Streitmacht nutzbar zu machen. Die Verkürzung der Flugzeiten zwang zu einer computergesteuerten Reaktion. Nach Einschätzung der Strategen bleibt im Falle eines Angriffs keine Zeit mehr übrig, darüber zu diskutieren, wo, wann und mit welcher Dichte ein atomarer Gegenschlag zu erfolgen hat. Der atomare Gegenschlag der Weltmächte ist bis ins Detail auf Computer programmiert. Es geht jetzt nur noch um die Zeit, die man braucht, dem Computer den Einsatzbefehl zu geben. Schon in seinen Osloer Rundfunkvorträgen gegen die Atomrüstung aus dem Jahre 1958 warnte der Friedensnobelpreisträger Albert Schweitzer:

«… In der nächsten Zeit wird die Gefahr eines durch Irrtum verursachten Atomkrieges noch größer sein. Die mit Überschallgeschwindigkeit heransausenden Raketen werden ihrer Kleinheit wegen erst spät auf dem Radarschirm sichtbar. Dadurch sind die Abwehrmöglichkeiten sehr beschränkt. Es bleiben nur Sekunden, um zu entscheiden, ob das, was sichtbar wird, wirklich Raketen sind, und das Erforderliche in Gang zu setzen. Dieses besteht in der Entsendung von Abwehrraketen, durch die die feindlichen Raketen zur Explosion gebracht werden sollen, ehe sie das Ziel erreichen, und in der Entsendung von Bombengeschwadern, um die feindlichen Abschußbasen zu vernichten. Einem Menschenhirn kann das nicht überlassen bleiben. Es arbeitet zu langsam. Man muß es einem mit dem Radargerät in Verbindung stehenden Elektronenhirn anvertrauen. Hat dieses ermittelt, daß es sich tatsächlich um Raketen handelt, so berechnet es nach vom Radargerät empfangenen Angaben in Bruchteilen von Sekunden deren Flugbahn und Entfernung und setzt den Start der Abwehrraketen in Gang. Dies alles erfolgt automatisch.

So weit haben wir es gebracht: Unser Schicksal wird von einem Elektronenhirn und den Versehen, die ihm passieren können, abhängen. Es kann nur automatisch entscheiden. Das Vermögen des Menschenhirns, in jeder Richtung und in jeder Hinsicht überlegend vorzugehen, ist ihm nicht verliehen. Seine Entscheidung ist rasch. Sie besitzt aber nicht die Gründlichkeit und Zuverlässigkeit der menschlichen. Überdies ist das Elektronenhirn noch ganz davon abhängig, daß in seinem so komplizierten Funktionieren alles bis ins kleinste in bester Ordnung ist.

An Möglichkeiten, daß wir einmal durch irgendeinen Zufall auf die blödeste Art in einen Atomkrieg hineinstolpern, fehlt es also nicht …»

Es ist interessant zu beobachten, daß bedeutende, hochangesehene Frauen und Männer über viele Jahre hinweg die Welt vor dem Fortsetzen des nuklearen Rüstungswettlaufs gewarnt haben. Bewirkt haben diese Appelle bis zum heutigen Tage nichts. Es müssen Kräfte am Werk sein, die der rationalen Argumentation nicht zugänglich sind.

3 Wer ist der Angreifer?

Im Zeitalter der Verkürzung der Flugzeiten, der Steigerung der Treffgenauigkeit, der Computersteuerung der atomaren Einsätze und der drohenden Umstellung auf «launch-on-warning» (automatischer Abschuß der eigenen Raketen auf das Alarmsignal der Frühwarnsysteme) ist eine fundamentale Veränderung eingetreten. Wenn es zum atomaren Krieg kommt, kann nicht mehr festgestellt werden, wer der Angreifer und wer der Sich-Verteidigende war. Wenn technisches und menschliches Versagen – wie die Wissenschaftler in aller Welt warnen – den Atomkrieg auslösen können; wenn die Vorwarnzeiten im Minutenbereich liegen und wenn Computer die Antwort geben müssen, dann hat die Technik die traditionellen Denkkategorien von Verteidigung und Angriff gegenstandslos gemacht. Der technische Apparat, der in den jeweiligen Bündnissystemen aufgebaut ist, ist so, daß niemand mehr garantieren kann, daß nicht das eigene Verteidigungsbündnis den Atomkrieg durch technisches und menschliches Versagen auslöst.

Es ist eine alte verteidigungspolitische Konzeption, sich zu Staatengemeinschaften zusammenzuschließen, um das eigene Territorium und das der Partner gegen Angriffe zu schützen. Das setzt aber voraus, daß man Zeit hat zu überprüfen, ob einer der Bündnispartner angegriffen wurde oder ob er selber zum Aggressor geworden war. Nur dann kann man entscheiden, ob man dem Angegriffenen entsprechend der Bündnisverpflichtungen beisteht.

Diese Zeit steht nicht mehr zur Verfügung. Der technische Apparat ist so aufgebaut, erst recht, wenn die Pershing 2 installiert ist, daß man nicht mehr feststellen kann, wer angegriffen hat und wer sich verteidigen wollte. Dies gilt im übrigen auch, wenn eine Seite sich entschließt, den ersten Schlag zu führen. Die Frage, was denn passieren würde, wenn einer der am Verteidigungsbündnis beteiligten Staaten zum militärischen Aggressor würde, war – in Feindbildern befangen – ohnehin nicht diskutiert worden. Da die Welt in Gut und Böse unterschieden wurde, kam niemand auf die Idee, daß einer aus dem Lager der «Guten» einmal ausbrechen könnte und zum Aggressor würde.

Diese Frage hatte man sich insbesondere nicht im Hinblick auf die im jeweiligen Bündnis dominierende Weltmacht gestellt. Der Republikaner Mark O. Hatfield, einer der Senatoren, die die Freeze-Resolution im Senat eingebracht haben, hat in einem Brief an seine Wähler das Szenario des Weltuntergangs durch einen Fehler des Frühwarnsystems dargestellt. Er schreibt:

Wir befinden uns am Ende der achtziger Jahre. Wegen der anhaltenden Scharmützel feindseliger Staaten um den Persischen Golf herum sind die Spannungen groß; seit Wochen werden Schmähungen ausgetauscht. Eine militärische Auseinandersetzung ist so gut wie sicher. Schließlich führt die Verlegung amerikanischer und sowjetischer konventioneller Streitkräfte in die Nähe des Spannungsgebietes beide Nationen dazu, die erste Alarmstufe für Kernwaffeneinsatz auszurufen.

Plötzlich, eines Nachts, zeigt das sowjetische Frühwarnsystem einen Großangriff von aus den Ozeanen aufsteigenden Trident-Raketen an. Fast im gleichen Augenblick verzeichnen sowjetische Satelliten die Hitzestrahlung der Simultanstarts von Hunderten von MX- und Minuteman-3-Raketen auf den Prärien in den USA. Der Angriff erscheint ebenso umfassend wie unerwartet. Mehr als 5000 ungewöhnlich genaue Gefechtsköpfe, so glaubt man, bewegen sich mit phantastischer Geschwindigkeit auf sowjetische militärische Einrichtungen zu, auf Steuer- und Leitzentralen, Raketenbunker, U-Boote und Bomber.

Die sowjetischen Computer benötigen kostbare Augenblicke, um das Ausmaß und die Richtung des Angriffes zu ermitteln. Weitere Zeit verstreicht, bis die kleine Gruppe sowjetischer Führungspersönlichkeiten aus den Betten geholt ist, die die Befugnis haben, Kernwaffen freizugeben. Die Sowjetführung wird über die verhängnisvollen Schlußfolgerungen ihrer Fachleute informiert.

Sie hören, daß die Trident-Sprengsätze, die vor knapp zehn Minuten gestartet wurden, innerhalb fünf Minuten den Großteil der sowjetischen Raketenstreitmacht in Schutt und Asche legen werden. Die gesamte Bomberwaffe werde zusammen mit den Flugstützpunkten durch Wasserstoffbomben auf und über den Basen zerstört werden. Nur Augenblicke später würde die zweite Welle von MX- und Minuteman-Köpfen die verbleibenden Siloanlagen sowie die übrigen U-Boote in ihren Liegeplätzen auslöschen. Die wenigen sowjetischen U-Boote auf hoher See befänden sich, so die Berichte, seit ihrem Auslaufen unter Beobachtung amerkanischer U-Boot-Bekämpfungseinheiten. Einige würden auf der Stelle zerstört. Sollten die anderen auftauchen, um Anweisungen für Vergeltungsschläge entgegenzunehmen, würden viele kaum überleben. Welcher Bruchteil von Raketen auch immer das alles überstehen würde – sie würden während ihres Fluges von amerikanischen Systemen im Weltraum oder in den USA ausgeschaltet werden.

Frenetische Bemühungen, Einzelheiten des Angriffes bestätigt zu bekommen, führten zu widersprüchlichen Hinweisen. Obwohl ein neuer Lagebericht in wenigen Minuten verfügbar sein würde, muß eine Entscheidung fallen, bevor die amerikanische Salve im Ziel niederkommt. Jedes weitere Zögern könnte die vollständige Vernichtung des strategischen Potentials der Sowjetunion bedeuten. Das würde für hundert Jahre zu einer Vorherrschaft des Westens führen. Die sowjetische Führung entschließt sich, einen vollen Gegenangriff zu unternehmen und ihre Raketen gegen militärische Ziele in den USA aufsteigen zu lassen.

Nur Augenblicke später erhält die Sowjetführung die korrekte Information über den Angriff – aufgrund enormer Überlastung haben die sowjetischen Computer fehlagiert, der Angriff hatte wirklich gar nicht stattgefunden. In der Folge wurde jedoch ein realer Holocaust ausgelöst. Die Raketen konnten nicht zurückgerufen werden. Unvermeidbar erfolgen als Antwort die Schläge der USA auf die Sowjetunion, schnell und mit ungeheurer Zerstörungskraft.

Wenn man weiß, daß in 20 Monaten die amerikanischen Einsatzcomputer 147mal aufgrund technischer Pannen einen Angriff gemeldet haben, dann ist dieses Szenario keine Zukunftsvision. Jeden Tag kann eine Weltmacht den Atomkrieg auslösen, weil das Frühwarnsystem versagt. Die sowjetischen Computer sind nicht zuverlässiger als die amerikanischen. Über die Fehler der sowjetischen Frühwarnsysteme ist uns nichts bekannt. Am 9. November 1979 führte ein Programmierfehler von US-Computern zu der Meldung, daß die Sowjetunion mit ihren auf U-Booten stationierten Raketen das amerikanische Festland angreifen würde. Nach amerikanischen Angaben brauchte man sechs Minuten, um herauszufinden, daß es sich um einen Schaltfehler im Computer handelte; erst dann konnte die Maschinerie des atomaren Gegenschlags, die bereits angelaufen war, gestoppt werden.

In vielen Diskussionen und Veranstaltungen habe ich die Frage gestellt, was die sowjetischen Techniker bei einem solchen Fehlalarm tun sollen. Sie wissen, daß in sechs Minuten die ersten Pershing-Raketen ihr Ziel erreichen. Eine Antwort auf diese Frage gibt es nicht. Der Sowjetunion bleibt nur die Möglichkeit, ihre Systeme auf «launch-on-warning» umzustellen. Ein oft gebrauchtes Gegenargument ist, daß auch die SS-20 in enorm kurzer Zeit ihre europäischen Ziele erreicht. Das ist richtig. Aber die Kurzstreckenraketen des Warschauer Pakts erreichen schon lange in noch kürzerer Zeit diese Ziele.

Der Unterschied ist der, daß man im amerikanischen Einsatzzentrum abwarten kann, ob die Meldung, daß SS-20 auf Europa anfliegen, ein Fehlalarm ist. Die Sowjetunion dagegen kann nicht warten, ob die Meldung, daß eine Pershing 2 auf Moskau im Anflug ist, richtig ist.

Schon die Begrenzung der Genfer Verhandlungen auf eurostrategische Systeme ist ein methodischer Unfug. Wenn zwei Weltmächte miteinander konkurrieren und miteinander rivalisieren, können sinnvolle Vereinbarungen nur global getroffen werden. Global müßte vereinbart werden, daß keine Weltmacht gegenüber dem Territorium der anderen Weltmacht nukleare Trägerwaffen in Stellung bringt, die keine Zeit zur Fehlerkorrektur einräumen.

Die beiden Weltmächte haben die Gefahr des Ausbrechens eines Atomkriegs durch das Versagen eines technischen Apparates gesehen. Sie haben eine Reihe von Abkommen geschlossen, die das Risiko eines ungewollten Atomkriegs verhindern sollten. 1963 richteten sie eine direkte Fernmeldeverbindung zwischen Washington und Moskau in Form einer Fernschreibleitung ein. 1971 wurde die bestehende Landverbindung durch eine Verbindung über Fernmeldesatellit ergänzt. Ein Abkommen über die Verhütung eines ungewollten Atomkriegs, das 1971 unterzeichnet wurde, verpflichtet beide Seiten, die ungewollte oder nicht befohlene Anwendung von Kernwaffen zu verhindern. Sie versicherten, die andere Seite vor einem geplanten Raketenstart zu informieren, wenn die Rakete über das abfeuernde Land hinaus in Richtung auf das andere Land fliegt, und einander sofort zu informieren, falls ein nicht vorhersehbarer Unfall eingetreten wäre, der einen Atomkrieg auslösen könnte. Darüber hinaus enthielt Artikel XVI des Salt-II