Anna und ihre Männer - Alaine Hood - E-Book

Anna und ihre Männer E-Book

Alaine Hood

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Beschreibung

Anna promoviert über das Sexualverhalten von Großkatzen. Sie geht beruflich wie privat davon aus, dass Sex und Fortpflanzung am besten funktionieren, wenn man mit der größtmöglichsten Auswahl an Sexualpartnern schläft. Und das gilt für Weibchen gleichermaßen wie für Männchen. Als Anna mit dem Fahrrad verunglückt, lässt sie sich von dem Business-Talent Cade und dem kreativen Noah in deren Gamedesign-Firma verarzten. Die gegensätzlichen Geschäftspartner sind, jeder für sich allein betrachtet, nette Jungs. Doch als Team entwickeln sie eine besondere Dynamik. Und was Anna nicht sofort durchschaut: Cade und Noah jagen gemeinsam. Mit der attraktiven Anna in ihrem Revier erwacht der Jagdinstinkt der beiden Männer. Schon bald locken sie ihr Opfer in eine einsame Hütte im Wald, inmitten eines idyllischen Wildgeheges. Jetzt müssen sie nur noch ein paar Störenfriede aus dem Weg schaffen. Den raubeinigen Tierhüter Rick zum Beispiel, der sich nicht nur um Vierbeiner fürsorglich kümmert, und Belinda, Cades dominante Verlobte, die gar nicht so monogam ist, wie es auf den ersten Blick scheint.

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Seitenzahl: 350

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Alaine Hood

Anna und ihre Männer

Erotischer Roman

Übersetzt von Nadine Bunske

INHALT

Kapitel 1

Ein Bad im Genpool

Donnerstags kam man immer leicht ins Amazon. Hotpants, eine wilde blonde Mähne und ein guter Schuss Zickenpower waren alles, was man brauchte. Anna hatte vor, alle drei Gaben einzusetzen, um an dem Türsteher vorbeizukommen, der für die Alters- und – was wichtiger war – Gesichtskontrolle zuständig war. Die sexuelle Selektion sorgte am Clubeingang dafür, dass die Modeopfer und hoffnungslos Uncoolen aussortiert wurden.

»Ich betreibe hier Feldforschung. Der Besitzer lässt mich immer umsonst rein«, sagte sie, als der Türsteher zehn Dollar Eintritt verlangte. Er musterte sie skeptisch. Sie war nicht berühmt und hatte ausschließlich Secondhandklamotten an, außerdem war sie nicht mehr ganz so jung, auch wenn sie in die Kategorie »heiße Braut« fiel. »Bitte«, bettelte sie. »Für die Wissenschaft. Während wir hier reden, tobt da drin die sexuelle Evolution.«

Der Türsteher war noch mit Denken beschäftigt, da quetschte sie sich schon an ihm vorbei und marschierte schnurstracks in den Club. Auch ohne ihr Studium der Evolutionsbiologie wusste sie, worum es der Spezies Mensch im AmazonRoom ging – und wer hier nicht heiß aussah, der hatte keine Chance auf Reproduktion. Der Club war eine alte Martini-Bar – einer dieser Läden, die in den Fünfzigern blutige Porterhouse-Steaks und ätzende Cocktails serviert hatten. Jetzt war es ein Club, in dem man noch immer halbblutige Fleischbrocken und starke Drinks bekam, nur dass die Steaks jetzt penibelst zugeschnitten waren und man für drei Cocktails ein Wochengehalt los war.

Und los geht’s, dachte Anna. Kopfüber in den Genpool.

Die Hüften zum lauten Kuba-Jazz wiegend, stakste Anna auf ihren Achtzentimeter-Stöckelschuhen an die Bar. Der Bass wummerte im Rhythmus mit ihrem Puls. Aufgekratzt und euphorisch spürte sie, wie ihr Adrenalinpegel stieg, denn hier gab es immer etwas Neues, ein sexuelles Kleinod, von dem sie noch nie gehört, gelesen oder geträumt hatte.

Noch bevor Anna ihren ersten Drink bestellen konnte, hatten sich ihr in den Weg geworfen: ein dünner Glatzkopf mit schwarzem Rollkragenpullover, der sich als Regisseur ausgab (laut der Visitenkarte, die er ihr gegeben hatte, machte er Einweisungsfilme für die Industrie), ein Hetero-Pärchen, das sie zu einem Rumba-Dreier einlud, sowie ein Typ, der so jung war, dass sie hätte schwören können, sie sei mal sein Babysitter gewesen. Sie roch das Gel in seiner Frisur; er trug jede Menge Goldkettchen um den Hals, ein übergroßes rotes T-Shirt und doppelt so viel Parfüm wie Anna.

Aus diesem Grund fand sie den Amazon Room so großartig: Die Männer legten sich mehr ins Zeug als die Frauen. Und so funktionierte es auch in freier Wildbahn.

»Hasse Lus’?« fragte er, so betrunken, dass er fast – aber nur fast – schon wieder süß war.

Anna musste nicht fragen, worauf er »Lus’ hadde«.

»Vergiss es, Süßer. Ich bin nur Beobachterin«, sagte sie. Sie ging an die Bar und bestellte den Drink des Abends: ein paar Tropfen Schnaps in einem Cognacschwenker. Der Barkeeper nannte ihn Côte d’Azur, vom Aroma erinnerte er aber eher an einen Schuss Fensterputzmittel, dekoriert mit einer Hibiskusblüte aus Plastik.

»Acht fünfzig«, sagte der Barmann.

»Acht fünfzig? Ist das dein Ernst? Bei dem Preis ist das mein einziger Drink heute Abend.« Anna lebte von einem Graduiertenstipendium, einem winzigen Unterrichtshonorar und einem Teilzeitjob als Fahrradkurier. Ihr Retro-Chic war konsequent aus zweiter Hand. Sie borgte sich ihre Kleider von einer Freundin, deren Mutter sich das Geld für die Einkäufe mittels nachmittäglicher Akrobatik in der männlichen Nachbarschaft verdiente.

Der Barmann zuckte mit den Schultern. Sein arroganter Blick streifte Annas Brüste, die Gefahr liefen, jeden Moment aus ihrem paillettenbesetzten Top zu hüpfen. »Ich kann nichts dafür. Der Chef will die Drinks so teuer. Schreckt den Pöbel ab.«

Er war ein attraktives kleines Miststück, schlank und durchtrainiert. Es war klar, dass er sich von ihr nicht beeindrucken ließ.

»He, der Pöbel hält die Spezies am Leben!« Anna öffnete ihre Plastikhandtasche, zog einen Zehn-Dollar-Schein heraus und legte ihn auf die Theke. »Behalt den Rest«, sagte sie barsch.

Eine Männerhand mit klobigem Siegelring am kleinen Finger schnappte sich den Geldschein und gab ihn Anna wieder.

»Unsere Preise gelten nicht für Klassefrauen«, sagte der Ringträger. »Das weißt du auch, Chaz.«

Der verzog schmollend den Mund. »Ich dachte, Frauen kriegen nur bei der Ladies’ Night die Drinks spendiert.«

»Für Anna ist jede Nacht Ladies’ Night. Wenn du sie noch mal abkassierst, kannst du dir einen neuen Job suchen.«

»Danke, Marco.«

Anna drehte sich zu ihrem Freund und umarmte ihn. Mit ihren hohen Absätzen musste sie sich nach vorn beugen, um die Arme um den untersetzten Körper des Clubbesitzers zu legen, aber eine Portion Marco war die Mühe wert. Was ihm an Aussehen fehlte, machte er mit Hirn und Muskelmasse wieder wett, und je mehr man über seine verdrehten Sexfantasien erfuhr, desto überzeugter war man, dass er im Bett zehn Filmstars aufwiegen konnte. Auch wenn Anna nie einen Filmstar (geschweige denn Marco) gehabt hatte, wusste sie, wen sie lieber auf eine einsame Insel mitnehmen würde.

»Was hältst du von meinem neuen Outfit?«, fragte Marco und trat einen Schritt zurück, um zu posieren.

Wenn ihm seine Getränkepreise eine derart erstklassige Garderobe finanzierten, zahlte Anna sie mit Vergnügen. Marcos Anzug hatte einen herrlichen Crème-brulée-Farbton, der Marcos dunklen Teint und seine pomadierten Locken perfekt zur Geltung brachte. Der Zweireiher schmiegte sich an seinen Körper, als hätte der Schneider bei jedem Stich das Bild des nackten Marco vor Augen gehabt.

»Du siehst zum Anbeißen aus«, sagte Anna mit anzüglichem Grinsen.

»Um dich zu zitieren: für die Wissenschaft. Apropos, ich habe ein neues Exemplar, das du dir ansehen musst. Es wird dir die Hotpants wegblasen.«

Annas Puls schoss schlagartig in die Höhe. Sie schnappte sich ihren Drink und folgte Marco durch den Club, vorbei an Sitzgruppen, in denen Mädchen mit tiefen Ausschnitten und Gardenien im Haar neben heftig gepiercten Rappern mit Baseballcaps saßen – Mitglieder einer Band. Es ging heiß her im Amazon Room, aber nur wenige Besucher, auch nicht die Glamour-Trash-Superstars, schafften es je in die Privaträume des Clubs.

Anna hielt Marco seit Jahren die Treue, vom ersten Club, in dem er Barmann war, in sein erstes Restaurant, bis hin zu seinem jüngsten Projekt, dem Amazon Room. Daher war sie auch immer die Erste, die einen Neuzugang seiner Privatkollektion sehen durfte.

»So was hast du noch nicht gesehen.« Marcos Augen leuchteten.

»Dieses Baby wird das Kronjuwel meiner Sammlung.«

»Das hast du beim letzten Mal auch gesagt«, erinnerte ihn Anna, doch als er die Tür zu seinen Privaträumen öffnete, schlug ihr Herz schneller. Sie betrat den ersten Raum und seufzte lustvoll auf, als perfekt befeuchtete, warme Luft sie umfing. Sobald er die Tür geschlossen hatte, wurde die Kakophonie des Clubs von schalldichten Wänden verschluckt. Das Einzige, was Anna noch hörte, war das Gurgeln des Wasserfilters im Aquarium.

Dieser Raum war Marcos privater Streichelzoo, ein Paradies, das er sich an jedem neuen Ort einrichtete. Wassertropfen funkelten wie Edelsteine auf den herzförmigen Blättern seiner exotischen Pflanzen, deren Grün so dunkel war, dass es an Schwarz grenzte. In den Glaskästen entlang der Wände lebten Reptilien, deren DNA sich direkt zu den Dinosauriern zurückverfolgen ließ: eine Echse mit Halskrause, ein blauer Leguan mit schillernder Lederhaut und ein sahnegelber Python, Annas Liebling. Im Vergleich zu diesen urzeitlichen Schönheiten war die menschliche Spezies gerade erst geboren worden.

»Okay, was willst du mir zeigen, Marco?«

»Ganz ruhig. Genieß deinen Drink. Du hast ständig die Uhr im Blick und hetzt nur noch durch die Gegend«, schimpfte Marco. »Setz dich.«

Anna gehorchte und hockte sich auf einen Berg marokkanischer Kissen, die an den Wänden aufgetürmt waren. Marco hatte schon immer ein Faible für Kitsch gehabt. Die Einrichtung dieses Raums stammte beispielsweise vom Set eines B-Movies aus den 1940ern.

»Nur weil ich als wildes Mädchen in meinen Zwanzigern so viel Zeit verschwendet habe. Ich hab mich viel zu oft aus dem College gefeiert.« Anna nippte an ihrem Cocktail. Wie jeder von Marcos Spezialdrinks sah er harmlos aus, knallte aber hochprozentig rein.

»Nur zwei Mal«, sagte Marco. »Das ist doch jetzt sowieso egal. Du hast es geschafft. Jetzt wirst du meine wunderschöne Forscherin, und nach deiner Promotion muss ich dich wohl in meine Sammlung aufnehmen.«

»Marco, so sehr ich dich auch liebe, ich werde nie im Leben eins deiner Schätzchen. Ich bin kein Mädchen für eine Trophäensammlung.«

»Behauptest du. Aber erzähl mir nicht, dass es dir nicht gefallen würde, wenn man dich verhätscheln und verwöhnen und behandeln würde wie eine kostbare Orchidee.«

»Bis du mich satt hättest und zur nächsten Blume schwirren würdest.«

»An einer Schönheit wie dir könnte ich mich nie sattsehen.«

»Mach mal halblang. Ich bin keine Schönheit, nicht im Vergleich mit den Hammerfrauen, hinter denen du sonst her bist.«

Da hatte sie recht, sie war nicht mal annähernd Marcos Typ. Die Frauen, die er jagte, waren so rar und außergewöhnlich, dass man sie nur auf dem Schwarzmarkt fand. Auch wenn Anna heiß war, war sie doch eine heimische Blume und keine Dschungelpflanze. Ihre stärkste Waffe waren ihre großen braunen Augen. Mit ihrem sanften goldenen Schimmer waren sie ein absoluter Hingucker. Dicht gefolgt rangierten ihre Beine, die momentan allerdings von den Stürzen mit dem Fahrrad stark lädiert waren. Ihre Nase war stupsig, und wenn sie die Sommersprossen verstecken wollte, musste sie sie mit Abdeckcreme zuspachteln. Sie blondierte ihr Haar mit einem Ton namens Sunset Boulevard, aber von Natur aus war es eher mausbraun.

Anna war immer ein Wildfang gewesen, der beste Kumpel jedes Jungen; diejenige, die mit ins Baumhaus durfte oder zum Nacktbaden in den Steinbruch eingeladen wurde, auch wenn sonst keine Mädchen erwünscht waren. Sie war gut im Sport und heulte nie, wenn sie mit dem Skateboard auf die Fresse knallte. Aber das Beste war, dass niemand so viel über Käfer, Vögel und Frösche (und deren Fortpflanzung) wusste wie sie.

»Vielleicht bist du keine Orchidee«, räumte Marco ein, »sondern eher eine Tigerlilie.«

»Tja, meine Stiele sind ziemlich ramponiert. Guck dir das an. Ich hab mich hingelegt, voll auf eine kaputte Flasche.«

Sie zeigte ihm die neue Narbe aus ihrem Kampf um den Lebensunterhalt per Rad: eine hübsch vernähte, zehn Zentimeter lange Schnittwunde direkt unterhalb der Kniescheibe.

Marco verzog das Gesicht. »Du solltest mit diesem Job aufhören. Das ist was für Straßenpunks, nichts für reife Frauen.«

»Also bitte. Was für ein chauvinistischer Mist. Ich zeige jedem Kerl, wo der Hammer hängt, und im Gegensatz zu denen hab ich kein Problem, den Verkehr aufzuhalten, wenn’s sein muss. Außerdem, was meinst du denn mit ›reif‹? Ich bin noch keine 35.«

»Reife ist nichts Schlechtes. Die Schönheit einer Frau gewinnt mit dem Alter, wie ein Diamant aus dem Familienschmuck.«

Er setzte sich neben Anna und fixierte sie mit seinem flammendsten Schlafzimmerblick. Marco hatte die Augen eines Schauspielers. Sie konnten auf Kommando »glühen wie Kohlen« oder »Tränen der Leidenschaft« vergießen, während er nichts anderes im Sinn hatte als ein kühles Bier.

»Das ist jetzt selbst für deine Verhältnisse zu schmalzig«, sagte Anna. »Ich bin dir nur aus einem Grund in deine Höhle gefolgt, und zwar weil ich deine neue Trophäe sehen will, also los jetzt.«

Marco sprang mit der Anmut eines Tänzers auf. Das musste sie ihrem Freund lassen: Er konnte die härteste Anmache auf Erden abziehen, aber er hatte Klasse und wusste, wann es reichte.

»Gut. Wenn du keins meiner Schätzchen sein willst, musst du eben nur zusehen, wie ich mich mit ihnen amüsiere.«

Marco verschwand hinter der Miniaturausgabe eines Palmenhains. Anna lehnte sich zurück, nippte wieder an ihrem Drink und bewunderte die Reptilien. So schön sie auch waren, ihr Herz gehörte doch der Familie der Felidae. Katzen waren Annas große Leidenschaft. Sie vergötterte sie alle, ob groß oder klein, aber am liebsten mochte sie die großen Exoten: Tiger, Leoparden, Panther. Annas Doktorvater wollte sie ständig überreden, sich ein anderes Thema als Katzen und ihr Paarungsverhalten zu suchen – und legte ihr sogar nahe, die Zoologie ganz aufzugeben und sich mit Molekularbiologie zu beschäftigen. Mit Genetik oder Immunologie hätte sie die Chance auf ein Folgestipendium. Säugetiere – zumindest die pelzigen Vierbeiner – standen bei Forschungsförderungsprogrammen nicht gerade hoch im Kurs.

Aber Anna konnte nicht anders. Sie liebte Katzen, und sie wollte sich dem Studium ihrer Evolution widmen. Sie wollte nicht wie ihr Vater werden, der seinen Traum, Pilot zu werden, für einen Schreibtischjob als Luftfahrtingenieur aufgegeben hatte. Und sie wollte nicht wie ihre Mutter sein, die 27 Jahre lang die Affären ihres Mannes ignoriert hatte, während sie die eigenen zu vertuschen suchte. Anna hatte zwei wichtige Dinge von ihren frustrierten und enttäuschten Eltern gelernt. Erstens: Sie durfte bei ihren Träumen keine Kompromisse machen. Zweitens: In einer monogamen Beziehung würde sie niemals glücklich werden.

»Anna, darf ich dir meine neueste Entdeckung vorstellen?« Marco war wieder da. Anna setzte sich erwartungsvoll auf. Er war von der Taille aufwärts nackt. Beinahe hätte sich Anna an ihrem Cocktail verschluckt. Er hatte sich eine winzige, unglaublich schöne Brünette wie eine Nerzstola um die Schultern geschlungen, die abgesehen von zwei goldenen Ringen in den kleinen braunen Brustwarzen nichts trug, was sie nicht schon bei der Geburt anhatte. Das Mädchen war keinen Tag älter als 19, was selbst für Marcos Verhältnisse jung war. Sie trug ihr Haar kurz, wodurch ihre riesigen Augen noch größer wirkten. Der wissende Ausdruck darin ließ Anna allerdings an ihrem Alter zweifeln. Ihre braunen Augen sahen aus, als hätten sie schon deutlich mehr gesehen als nur Zeichentrickfilme.

»Anna, das ist Ilena«, sagte Marco. Der stolze Besitzer kniete sich nieder – was mit einer nackten Frau auf seinen Schultern kein leichtes Unterfangen war – und ließ seine Beute frei. »Vor zwei Wochen segelte sie noch als Trapezkünstlerin durch die Luft. Ich habe ihr zur Flucht aus dem Zirkus verholfen. Nun, um genau zu sein, man hat sie mir verkauft.«

»Sie hat sicher eine Menge Tricks auf Lager«, sagte Anna.

»Ilena ist für die Bühne geboren. Sie kann es gar nicht erwarten, dir ihre Nummer vorzuführen. Stimmt’s, mein Schätzchen?«

Ilena grinste dümmlich. Anna erwartete nicht, dass sie etwas sagte. Wer so fantastisch aussah, hatte das nicht nötig. Sie glaubte Marco die Geschichte mit dem Zirkus. Womit auch immer dieses Mädchen den Großteil seines kurzen Lebens verbracht hatte, es musste mit intensivem körperlichen Training zu tun gehabt haben und ihre perfekte Haltung und die klar definierten Muskeln zeugten davon. Obwohl Ilena ganz locker dastand, spürte man eine unterschwellige Spannung in ihren Schenkeln, als könnte sie jeden Moment aufspringen und einen Rückwärtssalto machen. Anna war nur noch eine weitere Gattung bekannt, in der so viel Bewegungsenergie geballt war, und die hatte Fell und Krallen.

Die Brüste des Mädchens waren fest, und trotz der Dschungeltemperaturen im Raum standen ihre dunklen Brustwarzen hervor, als hätte jemand sie mit einem Eiswürfel getriezt. Die goldenen Ringe glitzerten auf ihrer Olivenhaut, und von ihrem Bauchnabel abwärts war eine kunstvolle Arabeske tätowiert.

»Was meinst du?«, sagte Marco.

»Äh –«

Bevor Anna sich artikulieren konnte, wirbelte Marco den geschmeidigen Körper des Mädchens herum und beugte sie rückwärts über seinen Arm. Sie bog sich so fließend in die Brücke, dass Anna sicher war, sie müsse einen genetischen Defekt haben. Sie war offenbar mit Gummi anstelle von Knorpel in den Gelenken auf die Welt gekommen.

Marco stützte Ilena mit einem Arm und fing an, sein Schätzchen zu streicheln. Von ihrem Hals aus wanderte seine Hand langsam zwischen den Brüsten hinab über ihren Bauch, streifte ihre Schenkel und ruhte schließlich auf ihren Knöcheln. Dann, als Anna gerade wieder einfiel, dass sie weiteratmen musste, trat seine Hand den Rückweg an. Dieses Mal verweilte er auf ihrer Muschi, zog an ihren Schamlippen und malte mit seiner Hand Kreise auf ihren muskulösen Bauch. Dann strich er ihr sanft über die Brüste und wurde dabei immer schneller, bis die Arm- und Beinmuskeln des Mädchens zitterten. Anna hätte schwören können, dass ein Schnurren aus Ilenas Kehle kam.

Perfekte Bauchmuskeln, perfekte Titten. Extrem empfindliche Nippel. Inzwischen wusste Anna nicht mehr, ob sie erregt oder neidisch war. Marco zog sie gern auf mit seinen Frauen, weil er wusste, dass sie scharf wurde, wenn sie ihn mit ihnen spielen sah, da konnte sie noch so viel wissenschaftliches Interesse an seiner Partnerwahl vorschützen.

Das hier ist nur Feldforschung, sagte sich Anna immer wieder.

Ja, schon klar. Sie war feucht, wahrscheinlich so feucht wie das Mädchen vom Trapez da drüben, und vor lauter Erregung hatte sie sich ihren ganzen Zuckerapfel-Lipgloss von den Lippen gelutscht. Marco erhaschte ihren Blick und lächelte.

Siehst du, was dir entgeht?, fragten seine Augen spöttisch. Er half seinem keuchenden Schätzchen auf die Beine und klatschte ihm dann, als hätte er Anna noch nicht genug gefoltert, mehrmals auf den prallen Hintern, bis es wimmerte. Anna spürte, wie ihre Haut mit einem Prickeln reagierte.

Die Schläge waren Ilenas Zeichen für die nächste Akrobatiknummer. Sie streckte die Hände aus und drückte sich mühelos in den Handstand. Ihre Arme zitterten fast gar nicht, als sie sich kopfüber in Stellung hielt. Anna bewunderte sie andächtig. Ihre Arme hätten schon längst nachgegeben, aber bei einer Frau mit 34 war das ganz normal, sofern sie oft in Nachtclubs und zu selten ins Fitnessstudio ging.

»Volle Spreizung«, kommandierte Marco.

Ganz gemächlich machte die Trapezkünstlerin – Füße gewölbt, die Zehen gestreckt – die Beine breit, immer weiter, unmöglich weit, bis ihr Körper ein »T« bildete. Marco kniete sich wieder hin und umschloss ihren Körper mit seinen Schenkeln. Sein Bauch und seine Arme waren die Manifestation unzähliger Stunden auf der Drückbank, und unter dem Stoff seiner Hose erkannte Anna die Umrisse seines Quadrizeps. Er packte mit jeder Hand einen von Ilenas Schenkeln und grinste Anna über den glänzenden Spalt hinweg an.

»Du weißt, was jetzt kommt.«

Anna nickte. Zu Worten war sie nicht mehr fähig. Als sie sah, wie Marco seinen Kopf zwischen die Schenkel des Mädchens neigte, konnte sie sich nur noch mit Mühe davon abhalten, sich selbst anzufassen. Seine Zunge glitt hin und her und machte schmatzende Geräusche. Das Gurgeln des Luftbefeuchters stimmte in die sexy Symphonie der Laute ein. Marco und seine Geliebte formten ein hybrides Wesen: das Mädchen, das die Beine spreizte wie Flügel, und Marco, der ihr die Arme um die Schenkel schlang. Kurz ließ das erregende Lecken Ilenas Arme erzittern, und sie konnte sich nicht mehr auf den Händen halten.

»Lass mich runter«, flehte sie mit einem erstickten Wimmern.

Das Mädchen konnte also doch sprechen. Marco drückte ihre Beine zusammen, und sie rollte sich wacklig auf den Boden ab, legte sich dann auf den Rücken und nahm heiser und flehentlich stöhnend die Beine auseinander. Schon wölbte sich ihr Rücken, die Nippel himmelwärts gerichtet. Marco brachte sich zwischen ihren Schenkeln in Stellung, griff nach ihren Nippelringen und zog gerade genug daran, um ihr ein Japsen zu entlocken.

»Ein bisschen Schmerz gefällt meinem Schätzchen, stimmt’s?«, murmelte Marco.

Dass dem Mädchen gefiel, was er mit ihr tat, musste man Anna nicht extra sagen. Ilena hatte die großen braunen Augen geschlossen, und ihr Kopf pendelte vor und zurück, als hätte man sie hypnotisiert. Das Schnurren in ihrer Kehle hörte gar nicht mehr auf, und mit den Hüften wippte sie auf und ab.

Anna bemerkte, dass sich ihre Hüften im gleichen Rhythmus bewegten, und ihre Vaginalmuskeln spannten immer mehr. Ihre rechte Hand machte sich selbstständig und streichelte ihre Muschi; sie war so erregt, dass ihr alles egal war. Marco hatte ihr schon einige gute Darbietungen geliefert, aber so scharf hatte er sie noch nie gemacht. Er senkte den Arm, um seiner Geliebten die Finger reinzuschieben, aber sie wollte nicht nur Finger in sich. Anna wusste, dass er ihr nicht mehr geben würde, zumindest nicht vor Publikum.

Marco drehte sich herum und fixierte Anna. Eine Strähne schwarzer Locken fiel ihm in die Stirn, auf der die Schweißperlen glänzten. In seinen Augen lag echtes Feuer, nicht die Pseudoleidenschaft, die er nach Belieben an- und abstellen konnte. Er lehnte sich zurück, um seinen Ledergürtel zu öffnen. Unter der Anzughose sah Anna die Beule seines Ständers.

Oh Junge, jetzt geht’s los, dachte sie. In den langen Jahren ihrer Freundschaft hatte ihr Marco nie die volle Pracht seines Schwanzes gezeigt, aber wenn er nur halb so dick und stark war wie der Rest …

Er war mehr als das. Anna hatte zwar schon Gerüchte über Marcos Penis gehört, vor allem von Barkeepern wie dem fiesen Blödmann von vorhin, aber die hatte sie immer als übertrieben abgetan. Ein Kellner hatte mal gesagt, der Clubbesitzer sei »bestückt wie King Kong«, und Anna hatte nur gelacht. Jetzt musste sie sich eingestehen, dass er nicht so weit danebengelegen hatte. Marcos Schwanz war unglaublich hart und nicht beschnitten. Er fing an, sich zu massieren, während er Annas Reaktion dabei genau verfolgte.

»Siehst du, was dir entgeht?«, fragte er nun direkt, während er ein Kondom aus der Tasche holte und es überzog. »Das könnte alles dir gehören.«

Doch Ilena hatte nicht vor, ihn Anna zu überlassen. In einer blitzschnellen Bewegung schlang sie Marco ihre stählernen Schenkel um den Oberkörper und zog ihn hinab – auf sich und in sich. Marco beabsichtigte nicht, ihr ihren Willen zu lassen und bestand darauf, sie mit zermürbender Langsamkeit zu ficken, wobei er sich mit seinen starken Armen über ihr hielt und sein Becken wiegte.

Anna hörte ihn zischen, als er um Beherrschung rang – und gewann. Marco und Ilena waren derart voneinander in Anspruch genommen, dass sie nicht mitbekamen, wie Anna die Beine spreizte und sich im Takt zu Marcos Stößen fingerte.

Ilena schlug um sich, stöhnte, bettelte. Anna konnte mit ihr fühlen. Es musste die Hölle sein, einen derart großen Schwanz in sich zu haben, der nur langsam hin und her glitt, während man doch in die vierte Dimension gevögelt werden wollte. Anna sehnte sich nach einer Kostprobe, begnügte sich aber mit ihren Fingern. Sie war unglaublich nass, und ihre Klit pulsierte in ihrem ganz eigenen Rhythmus. Sie dachte schon, Marco wollte seinem Schätzchen die Erlösung die ganze Nacht hindurch vorenthalten, da packte er plötzlich Ilenas Handgelenke, senkte den Körper auf sie herab und nahm sie heftig. Auf und ab bewegte das Paar die Hüften, bis Ilena einen Schrei ausstieß. Marco küsste ihren offenen Mund, warf dann stöhnend den Kopf in den Nacken und kam ebenfalls.

Anna kam still zum Höhepunkt und drückte den Rücken in die marokkanischen Kissen. Intensiv – unglaublich intensiv. Marco konnte ihr die wunderbarsten Orgasmen entlocken, und dabei hatte er sie noch nie intim berührt. Während die Schauer in ihr schwächer wurden, entspannten sich Marco und sein Schätzchen in einem verschwitzten Knäuel von Armen und Beinen. Ilena lächelte Anna an, die Lider schwer von postkoitaler Seligkeit.

»Von dieser Schönheit werde ich mich nie mehr trennen«, sagte Marco und streichelte den geschmeidigen Schenkel seines Schätzchens mit dem Gestus des Besitzers. »Sie ist die einzige Frau, mit der ich für den Rest meines Lebens Sex haben werde.«

»Wie du meinst, Marco.«

Anna mochte ihren Freund zu sehr, um ihn daran zu erinnern, dass er das jedes Mal sagte. Nicht, dass sie etwas anderes erwarten würde. In emotionaler Hinsicht war Marco ein Romantiker, der sich in jede seiner Frauen bis über beide Ohren verliebte. In sexueller Hinsicht war er allerdings ein Streuner, ein Sämann, das perfekte Beispiel für den Drang, die eigenen Gene über den Genpool zu verstreuen. Was Sex anbelangte, war Marco ein Musterbeispiel der Populationsgenetik.

Nachdem Marco Ilena auf ihr Zimmer gebracht hatte, lud er Anna noch zu einem Steak ein. Fast wäre sie schwach geworden. Marco ließ nur die besten Köche der Stadt für sich arbeiten, und der aktuelle war ein Rindfleischgenie. Aber morgen ließ sie ihre Erstsemester die Abschlussarbeit in Biologie schreiben, weshalb sie an diesem letzten Tag des Semesters auf jeden Fall anwesend sein musste. Zum Glück brauchte sie nichts weiter zu tun, als sich am Schreibtisch festzuhalten und ihre Studenten zu beaufsichtigen, trotzdem musste sie morgen aus dem Bett kommen, wenn früh um sieben der Wecker klingelte.

Anna gab Marco einen Gutenachtkuss, wünschte ihm Glück mit seiner neuen Liebe und hielt vor dem Amazon Room ein Taxi an. Gerade als der Wagen vor der Maisonettewohnung hielt, die sie sich mit zwei anderen Doktoranden teilte, piepste ihr Pager. Sie warf einen Blick auf das Display und sah die unverkennbare Nummer der Fahrradkurierfirma.

»Oh nein!«, rief sie. »Das gibt’s doch nicht!«

»Ignorieren Sie’s«, schlug der Taxifahrer vor. »Schmeißen Sie ihn aus dem Fenster.«

»Würde ich ja gern.«

Auch wenn die Bezahlung nur mittelmäßig war (vor allem, wenn man das Risiko bedachte, von einem Lieferwagen oder SUV in Asphaltpizza verwandelt zu werden), konnte Anna es sich nicht leisten, den Kurierjob aufzugeben. Die halbe Stelle an der Universität warf so gut wie gar nichts ab, erst recht nicht für ein junges Mitglied der Fakultät ohne Festanstellung, und ihr Stipendium reichte gerade mal aus, um ihren Bedarf an so luxuriösen Dingen wie Kaffee und Tampons zu decken. Der Kurierjob bot zudem flexible Arbeitszeiten und hielt sie in Form, und das Trinkgeld ging komplett in ihre Tasche. Außerdem genoss es Anna, mit den Jungs in dem schmutzigen Rattenloch von Pausenraum abzuhängen, Kriegsblessuren zu vergleichen und Poker zu spielen. Fakt war, dass sie gern mit einem Haufen verschwitzter Männer in einem kleinen geschlossenen Raum steckte. Das hielt die Hormone auf Trab.

Aber heute Nacht brauchte sie ihren Schlaf, und ein Anruf bei der Kurierzentrale war das Allerletzte, worauf sie Lust hatte. Wahrscheinlich war einer der Fahrer krank, oder betrunken bei der Arbeit aufgekreuzt, oder er wurde gerade in die Notaufnahme gefahren.

»Wo ist das beschissene Telefon?«, knurrte sie, während sie durch das Meer aus leeren Bier- und Weinflaschen stolperte, die den Boden der Wohnung übersäten. Ihre Mitbewohner hatten schon angefangen, das Semesterende zu feiern. Der eine, Jack, war mitten im Zimmer umgekippt und schlummerte friedlich auf einem seiner Bakteriologiebücher, das ihm als Kissen diente. Anna stieg über ihn, entdeckte das schnurlose Telefon unter einem stinkenden T-Shirt und wählte die Nummer der Kurierfirma.

»Okay Ernie«, sagte sie, als der Einsatzleiter ranging. Sie hatte bereits ihre Stöckelschuhe weggeschleudert und wand sich aus ihren Hotpants. »Schnell und schmutzig: Wo soll ich hin?«

*

Cade ging vor dem deckenhohen Fenster seines Büros auf und ab und blieb alle paar Sekunden stehen, um die Hände ans Glas zu pressen und die Straße hinabzuschauen. Um diese Zeit der Nacht – oder war das etwa schon das Grauen des Deadline-Morgens, das da in den Himmel sickerte? – gab es bis auf die regennasse Straße und ein paar Lieferwagen nichts zu sehen. Wer nicht verrückt war oder kriminell oder die Deadline eines Projekts einhalten musste, lag kuschelig zu Hause im Bett. Er setzte sich in seinen ergonomischen Ledersessel und drehte sich zwölfmal um die eigene Achse. Dann stand er auf und sah aus dem Fenster. Noch immer kein Kurier.

»So viel zum Thema Lowtech-Transport«, murmelte Cade. Er arbeitete schon lange mit der Kurierfirma zusammen – seit er mit Noah Shiva Systems gegründet hatte – und auch wenn die Fahrer effizient arbeiteten, waren sie doch anfällig für Unfälle und Verspätungen. Cade wären Profis zwar lieber gewesen, aber Noah hatte eine Schwäche für den umweltfreundlichen Kurierdienst, der ausschließlich mit Studenten arbeitete.

Typisch für Noah, dass ihm ein trendiger, politisch korrekter Familienbetrieb lieber war als ein effizientes, landesweit operierendes Unternehmen. Wie gut, dass Cade sich um die geschäftlichen Belange kümmerte und Noah der Art Director war. Wenn Noahs Herz noch ein bisschen weicher wäre, würde er tot umfallen, weil sein Kreislauf kollabierte.

Doch gerade als er aufgeben und ein Nickerchen auf dem Futon im Büro machen wollte, entdeckte Cade eine einsame Gestalt auf einem Fahrrad, die sich den Berg hochkämpfte. Sie war vornübergebeugt, hatte den Kopf gesenkt und trat schwer in die Pedale, doch als sie durchs Licht einer Straßenlaterne fuhr (als Experte hatte Cade gleich erkannt, dass es die Gestalt einer Frau war), erhaschte Cade einen Blick auf lange, muskulöse Schenkel, die sich die Steigung hocharbeiteten. Trotz aller Müdigkeit und allem Ärger spürte er ein Fünkchen Sex. Er hatte noch nie mit einer Frau mit so durchtrainierten Schenkeln geschlafen, und bevor er sich’s versah, driftete er in eine sexuelle Fantasie mit ihr ab.

Cade unterdrückte ein Stöhnen. Seit Belinda an ihrer Hochzeitsanzeige herumbastelte, haftete seinen Sexfantasien eine fatalistische Note an, und jede einzelne war mit den Worten niemals befleckt. Jetzt, da er Belinda heiraten würde, würde Cade niemals Sex haben mit einer echten Rothaarigen, einer Ballerina, einer Schlangenfrau, einer Stripperin mit Brustimplantaten, einer Gehirnchirurgin … die Liste des Unmöglichen nahm kein Ende. Cade hielt nicht viel von Traditionen. Er hätte nur zu gern eine offene Ehe geführt und seiner Frau jede Menge Abenteuer zugestanden, aber Belinda war eine in der Wolle gefärbte Monogamistin und nahm die Formulierung mit dem »Treue halten« aus dem Hochzeitsgelöbnis todernst.

Cade würde die Kleine also nicht ficken. Unten ging die Eingangstür des Lofts auf, und Sekunden später hörte er den Lastenaufzug rattern. Er ging hinaus auf den Flur und machte sich bereit, sie in Empfang zu nehmen, wozu er seinen finsteren Blick aufsetzte. Es war hart, wenn man streng zu diesen Collegemädchen sein musste. Bei der leisesten Kritik lösten sie sich in Tränen auf. Aber das Päckchen mit Noahs Illustrationen kam über eine Stunde zu spät, was die Programmierer empfindlich aufhielt, und um acht Uhr lief die Deadline ab.

»Wissen Sie eigentlich, wie –«, setzte er an, als der Helm der Fahrerin hinter dem Gitter des Fahrstuhls auftauchte, doch die Frau übertönte ihn mit ihrer Tirade.

»Scheiß auf diese Stadt und die Yuppies mit ihren verfickten Geländewagen!«, fluchte sie, als sie ihr Rad durch die Fahrstuhltür schob.

Sie trat mit dem linken Bein nur vorsichtig auf, und jetzt sah Cade, dass ihr Knie aufgeschürft war.

Ihr Gesicht – soweit er es unter der Maske aus Dreckspritzern ausmachen konnte – war wutverzerrt. Zwei braune Augen funkelten ihn durch den Schmutz hindurch an. Sie war von Kopf bis Fuß mit Schlamm verschmiert.

Cade würde niemals ein Mädchen mit so wunderschönen braunen Augen ficken. Er seufzte verzweifelt bei dem Gedanken. Ein Bild haute ihn mit der Wucht eines Felsblocks um: das Funkeln dieser Augen, wenn er sich anschickte, sie von hinten zu nehmen, wenn er ihre festen Hüften packte und diesen strammen Arsch bestieg. Erst würde er sich zurückhalten, ihr nur die Schwanzspitze geben und ihre Lippen stupsen und reizen. Dann würde sie mit gebleckten Zähnen den Kopf wenden und ihm in die Augen sehen, und er würde ihr geben, was sie wollte  …

»Sie sind verletzt«, sagte er schließlich und kam sich selber dämlich vor.

»Was Sie nicht sagen, Sherlock. Mich hat ein Besoffener gerammt, der dachte, er könnte mal schnell die Tür seines Ford Ranger aufmachen und ein bisschen Zielkotzen auf der Straße üben, bevor er nach Hause fährt. Ich bin vom Rad geflogen und den halben Berg runtergerollt, bevor ich in einem Graben liegen blieb. Als hätte er nicht schon genug Schaden angerichtet, kam der Trottel angewankt, um nachzusehen, ob er mich auch erledigt hat. Als er mich auf der Straße liegen sah, würgte er dann den Rest seiner Martinis hoch. Ich hab mich zur Seite gerollt, bevor er mich erwischen konnte, was nicht so einfach ist, wenn man sich vor Schmerzen krümmt. Es tut mir also schrecklich leid wegen der Verspätung, aber Sie haben sicher Verständnis dafür, dass ich mich erst mal beruhigen musste, bevor ich den Berg hier hochfahren konnte. So wie mein Knie sich anfühlt, war das der Mount Rainier. Also, ich hoffe, Sie wissen das zu schätzen.«

Die Frau griff in die Kuriertasche, die hinten an ihrem Fahrrad festgeschnallt war, und holte einen dicken Umschlag heraus, in dem sich die CDs mit den Illustrationen befanden, auf die Noah wartete.

»Warum haben Sie das Zeug nicht einfach elektronisch verschickt?«, fragte das Mädchen. »Das hätte uns allen viel Ärger erspart.«

»Haben wir versucht. Aber da sind zu viele hochauflösende Grafiken drauf, die sind riesig. Das hat unser Server nicht gepackt«, erklärte Cade.

Er wollte diesen wütenden Augen ausweichen und starrte auf ihr Knie. Die Schürfung war blutig und verklebt, die aufgerissene Haut gespickt mit Kies und Asphaltkrümeln. Cade wurde übel bei dem Anblick.

»Könnte ich mal Ihr Bad benutzen? Ich will diese Sauerei saubermachen, bevor ich nach Hause fahre. Mein Knie fängt an zu pochen.« Sie nahm jetzt Tempo raus, ihre Wut wich der Erschöpfung.

»Ich hole meinen Partner. Der kann Ihnen helfen«, murmelte Cade.

Noah würde wissen, was zu tun war. Er rettete mit Vorliebe verletzte Tiere. Cade wurde bei Wunden immer schlecht. Er zeigte auf die Tür zum Badezimmer und eilte dann in Noahs Büro, während sich die junge Frau in Bewegung setzte.

Der Art Director saß versunken vor seinem 24-Zoll-Monitor und hatte nichts von dem Tumult vor der Tür mitbekommen. Er starrte auf eine elektronische Version eines üppigen Dschungels, in dem es vor prächtigen Vögeln und wilden Tieren nur so wimmelte. Eine Vision, die auch von Henri Rousseau hätte stammen können – wenn er einen Hightech-Computer gehabt hätte. Inmitten der flirrenden Fauna und Flora stand eine strahlende, übermenschlich proportionierte Frau, Yulana, die jungfräuliche Kriegerin.

Während Cade ihm zusah, wechselte Noah in eine Designansicht und vergrößerte Yulanas Brüste mit ein paar Mausklicks von Größe D auf Doppel-D.

»Perversling«, sagte Cade. »Es ist irgendwie bizarr, wenn man auf die Frau heiß ist, die man selber entworfen hat. Das zählt sicher als Inzest.«

»Vielleicht hast du’s noch nicht bemerkt, aber unser Kundenstamm besteht aus sexgeilen männlichen Teenagern«, erinnerte ihn Noah. »Bei der letzten Fokusgruppe sagten die Jungs, dass Yulana größere Titten braucht. Ich zitiere nur.«

»Du willst nur nicht zugeben, dass du in eine Pixelblondine verknallt bist. Das hier wird dich ein bisschen ablenken – deine Grafiken sind endlich da.«

Noah streckte die Hand nach dem Päckchen aus, ohne vom Bildschirm aufzublicken.

»Aber zuerst wartet im Badezimmer ein Rettungseinsatz auf dich«, fuhr Cade fort. »Genau dein Ding. Eine Kurierin, die auf dem Weg hierher von einem Auto umgefahren wurde. Sie macht sich im Bad sauber. Falls du den Blick von ihren knackigen Schenkeln losreißen kannst, wird dir die große, klaffende Wunde an ihrem Knie auffallen.«

»Im Ernst? Jemand ist verletzt?«

»Sie ist verletzt und völlig eingesaut. Haben wir hier im Büro irgendwas zum Anziehen für sie? Sie hat sich auf der Straße hingelegt, und sie ist schmutzig.«

Zum ersten Mal in dieser Nacht wandte Noah sich von seinem Bildschirm ab und sah seinen Freund an, die dunklen Augen waren sorgenvoll verhangen. Bevor Cade noch zu weiteren Erklärungen kam, war Noah von seinem Stuhl aufgesprungen und eilte ins Badezimmer. Nachdem der Retter unterwegs war, rieb Cade sich die Augen und machte sich auf, um frische Bohnen für die nächste Koffeininfusion zu mahlen. Auf dem Weg durchs Foyer sah er einen der jungen Programmierer, der sich unter seinem Schreibtisch zusammengerollt hatte. Er war eingeschlafen, während er auf die Grafiken gewartet hatte. Cade lächelte. Diese Jungs, die sie da eingestellt hatte, waren Vollblutzocker und voll und ganz dem Spiel verschrieben.

Das Spiel. Die Wörter riefen Erinnerungen wach, ungeheuerliche Bilder, die Cade lange Zeit begraben hatte. Er fragte sich, ob Noah manchmal noch an das Spiel dachte, das sie zusammen gespielt hatten, bevor Cade Belinda und Noah seine Verlobte kennenlernte und die beiden Männer ihren Sport aufgegeben hatten, der darin bestand, Frauen zu verführen und gemeinsam zu genießen.

Cade hatte die Aufgabe, die Beute auszumachen und sie anschließend mit einer geballten Ladung Charme zu treffen – eine Betäubungspistole war nichts dagegen. Wenn die Frau in der Falle saß, trat Noah als Konkurrent auf und machte sie mit seiner sensiblen, sinnlichen Art gefügig. Dann war das Spiel in vollem Gang. Das Ziel bestand darin, die Frau davon zu überzeugen, dass es ihr größter Wunsch war, Sex mit zwei Männern gleichzeitig zu haben (die selbstverständlich Cade und Noah waren). Die harmonierten beim Sex genauso gut wie im Beruf. Auch wenn das Spiel von Frau zu Frau variierte, wollten Noah und Cade ihrer Beute immer das Gefühl geben, dass sie das Beste bekam.

Es gab nicht viele Regeln in ihrem Spiel, die Männer gingen größtenteils intuitiv vor. Nur eine Regel war Gesetz: Während sie eine Frau umgarnten, war jede Art der Verführung erlaubt, aber solange sie sie noch nicht sicher hatten, durfte sie keiner von beiden alleine ficken.

Für Cade gab es nichts Aufregenderes, als mit seinem besten Freund und einer schönen Frau ins Bett zu gehen. Manchmal verwirrte ihn seine Sexualität. Er war ein analytischer Typ und mochte es, wenn er Menschen in Kategorien stecken konnte, aber er war sich nicht sicher, ob er sich als bisexuell betrachten wollte. Im Allgemeinen fühlte er sich nicht zu Männern hingezogen, und unter normalen Umständen auch nicht zu Noah, aber sein bester Freund hatte etwas, das Cade in den Wahnsinn trieb, wenn sie nackt mit einer Frau zusammen waren. Daran musste er denken, als er in der Tür zum Badezimmer stand und Noah dabei zusah, wie er mit einer Pinzette Kieselsteinchen aus dem Knie der Frau fischte. Noah trug seine Brille, das Profil voller Sorgenfalten. Mit einer Hand entfernte er die kleinen Steinchen, mit der anderen umschloss er die wohlgeformte Wade der Frau.

Ihre Beine waren kunstvoll geformt, fest und gebräunt und, in Anbetracht ihrer Größe, länger als eigentlich nötig. Sie saß auf dem Toilettendeckel und klammerte sich, mit den Schmerzen ringend, an dessen Rand. Sie hatte ihren Helm abgenommen, und ihr blondes Haar stand ihr in verschwitzten Strähnen vom Kopf ab. Cade würde es seiner Verlobten gegenüber zwar nie eingestehen, deren blonde Locken eine makellose, elegante Haube formten, aber er liebte es, wenn eine Frau das Haar verstrubbelt hatte, als hätte sie gerade eben noch wild im Bett gekämpft.

Als Noah seine Pinzette zu tief in die Wunde steckte, biss das Mädchen die Zähne aufeinander und gab ein tiefes Stöhnen von sich. In Verbindung mit ihrem Gesichtsausdruck und den Fantasien, die ihm durch den Kopf schossen, jagte Cade dieses Geräusch heiße Schauer in den Schritt. Er verschränkte die Arme vor der Brust und trat von einem Bein aufs andere, damit sie die Wölbung in seinen Khakis nicht bemerkte. Auch wenn sich ihr Interesse am Zustand seines Penis in Anbetracht ihrer brennenden Schürfwunde in Grenzen halten mochte.

»Wie heißen Sie?«, fragte Cade. Die Frage rutschte ihm einfach so raus. Er hasste das Gefühl, keine Kontrolle zu haben.

Die Frau starrte ihn wütend an. »Warum wollen Sie das wissen?«

Cade zuckte mit den Schultern. »Ein Kurier ist mitten in der Nacht in meinem Auftrag unterwegs und wird auf dem Weg verletzt, ich fühle mich ein Stück weit verantwortlich. Ich würde gern wissen, wer Sie sind.«

»Klar. Damit Sie dafür sorgen können, dass ich es Ihnen nicht anhänge. Ihr Firmenfuzzis seid doch alle gleich.«

Ihre Augen musterten ihn und zogen eine Spur der Verachtung von seinem akkuraten Haarschnitt über die Khakis bis hinab zu den italienischen Slippern. »Keine Sorge, ich hab weder die Zeit noch das Geld, um Sie zu verklagen.«

Getroffen trat Cade von der Tür zurück. Sie hielt ihn für einen Firmenfuzzi? So hatte er sich nie gesehen. Im Vergleich zu seinen Kumpels von der Privatschule, die alle als Notare oder Zahnärzte arbeiteten, war er ein Rebell. Er hatte die ausgetretenen Pfade verlassen, eine Softwarefirma gegründet und für sein Marketingtalent und Noahs geniales Gamedesign sein gesamtes Vermögen aufs Spiel gesetzt. Er konnte nichts dafür, dass er mit den Insignien der Privilegierten auf die Welt gekommen war. Seine Herkunft konnte man nicht verändern.

»Sie heißt Anna.« Noahs Stimme klang ruhig und besänftigend und nahm die Spannung aus der Luft. »Und das ist Cade, unser Geschäftsführer«, sagte er zu Anna. »Er ist kein Firmenfuzzi, er sieht nur so aus. Halten Sie sich am Sitz fest, das wird jetzt brennen.«

Anna knirschte mit den Zähnen, als Noah das Antiseptikum auftrug. Als die Flüssigkeit ihre Haut berührte, sah Cade, dass ihre Brustwarzen unter dem Baumwoll-T-Shirt hart wurden. Was würde sie wohl tun, wenn er sie unter sich hätte, nackt zwischen seinen Beinen eingeklemmt, und diese Brustwarzen mit einem Wattebausch voll scharfer, brennender Flüssigkeit bestrich? Sie würde sich wehren, mit Händen und Füßen, aber er würde ihre Hände über dem Kopf festhalten und sie niederdrücken, während Noah sie streichelte und besänftigte, bis sie sich ergab. Unter Noahs gewandten Fingern würde sie warm und gefügig. Als Liebhaber würden sie ihr das Beste aus zwei unterschiedlichen Welten bieten – eine roh, eine sanft, eine kraftvoll, eine sinnlich. Konnte ein Mann allein all das vereinen, was Cade und Noah gemeinsam boten?

Cade schob die Hände in die Taschen und machte sich auf den Weg durch die Lobby, um seine Programmierer zu wecken. Träumereien halfen ihm nicht weiter. Das Einzige, was Noah und er in der nächsten Zeit gemeinsam erleben würden, war eine Doppelhochzeit. Die Feier war jetzt schon seit über einem Jahr in Planung, und wenn es nach Belinda und Val ging, wurde es das Gesellschaftsereignis des Jahrhunderts. Zwei erfolgreiche Männer, zwei kluge, umwerfende Frauen, die sich im glückseligen Stand der Ehe verbanden. Sobald Cade und Noah die Ringe angesteckt wären, würden sie ihr Leben lang an Belinda und Val gebunden sein.

Das wäre ein guter Moment. Nein, es wäre ein fantastischer, bombastischer Moment.

Aber konnten sie das Spiel nicht noch einmal spielen, während sie auf diesen Moment warteten?

*

Anna war froh, als Cade sie mit Noah allein ließ. So konnte sie sich zurücklehnen und genießen, wie seine Finger über ihr Bein spielten. Er war ein absoluter Computernerd. Viele Zustellungen, die sie mitten in der Nacht erledigte, gingen an kleine Softwarefirmen wie diese hier, sie kannte sich also aus mit diesen Typen. Aber dieser Nerd konnte mehr, als nur mit Tastatur und Maus umgehen. Während er ihre Wunde reinigte, drückten seine Fingerspitzen auf die weiche Stelle in ihrer Kniekehle und berührten sie nicht bloß, sondern tasteten, als fragten sie, ob sie dort empfindlich sei.

Es zeigte sich, dass Anna dort sehr empfindlich war. Sie musste sich auf die Unterlippe beißen, um keine entlarvenden Sexgeräusche rauszulassen. Noah arbeitete mit sorgenvoller Miene und sah nicht aus, als würde er sie begrabschen, doch als er die Flasche mit dem Antiseptikum abstellte und ihren Schenkel in beide Hände nahm, spürte Anna, dass er mehr wollte als nur Doktor spielen.

Nach der Szene im Amazon Room und dem Adrenalinschub ihres Unfalls befanden sich Annas Nerven in höchster Bereitschaft. Die Nässe zwischen den Schenkeln machte ihr bewusst, dass sie nicht nur ein bisschen erregt war. Zum Glück war ihre Radlerhose gepolstert, so dass dieser aufmerksame Nerd nicht mitbekam, dass sie feucht wurde. Als er das Antiseptikum auf die Wunde getupft hatte, hatte sie gedacht, sie müsste aus der Haut fahren.