Annis Welt - Burkhard Budde - E-Book

Annis Welt E-Book

Burkhard Budde

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Beschreibung

Annis Welt ist keine Höhle, in der man sich verstecken kann. Keine Burg, auf der man seine Ruhe hat. Kein Haus, in dem ein heilloses Durcheinander herrscht. Auch kein Schloss, das eine heile Welt vorgaukelt. Annis Welt ist voller Geheimnisse und Rätsel, aber auch voller Realitäten mit Verschleierungen und Entschleierungen. Ihre Welt ist spannend und sogar heilbar, weil sie mit ihrem Großvater neugierig bleibt, die geistigen Grenzen ihrer eigenen Welt zu überschreiten. Und so der schöpferischen Liebe Gottes im Horizont des Lebens auf die Spur kommt. Der Autor lädt den Leser ein, in Annis Welt einzutreten - ohne moralischen Zeigefinger, ohne missionarischen Eifer und ohne dogmatische Belehrungen. Aber mit Fingerspitzengefühl und Vernunftgründen sowie mit Hilfe von theologischen und philosophischen Impulsen und Perspektiven. Um sich in Annis Rolle oder in die des Großvaters hineinversetzen zu können und sie mit neuem, auch eigenem Leben zu füllen.

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Seitenzahl: 120

Veröffentlichungsjahr: 2019

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„Er hat seinen Engeln befohlen,

dass sie dich behüten

auf allen deinen Wegen“.

(Psalm 91,11)

Auf dem Weg

Ich bin nicht allein unterwegs.

Es gibt Wegbegleiter und Wegbereiter,

die mitgehen:

Mit gutem Beispiel vorangehen.

Mit Geduld auf mich zugehen.

Mit Überzeugung Steine aus dem Weg räumen.

Mit mir meinen Weg suchen.

Auf dem Weg in die mündige Freiheit

und freie Mündigkeit sind Weggefährten

wie unsichtbare Engel Gottes.

Und Gott selbst ist der Weg

in die Tiefe der Wahrheit und

die Weite der Liebe.

Burkhard Budde

Inhalt

Vorwort

Advent

Kern als Keim neuen Lebens

Ärzte

Halbgötter in Weiß?

Bibel

Buch fürs Leben?

Buch

Wie ein Schloss?

Dankbarkeit

Der Dankbare denkt

Demokratie

Stabiles Haus?

Ehe

Im gemeinsamen Boot

Erfahrung

Jung- und Altbrunnen

Etiketten

Wasser statt Wein?

Gebet

Orientierung in der Stille

Geburt

Abenteuer Liebe

Gedanken

Freiheit ohne Verbote?

Geheimnis

Das Geheimnis der Liebe

Gier

Gier macht unfrei

Glück

„Bist du glücklich?“

Goldene Regel

(

Mt 7,12

) Auf der Suche nach Perlen

Gott

Im Garten des Lebens

Karneval

Teufel verscheuchen

Kinderevangelium

(

Mk 10,13-16

) Überglückliche Eltern

Kirche

Cooles oder uncooles Gefäß?

Kommunikation

Gerede oder Rede?

Kompass

Persönliche Verantwortung

Kopftuch

Ein Kopftuch tragen?

Licht

Lichtblick einer Kerze

Macht

Ein Mächtiger macht dicht

Mode

Kniefreiheit

Muttertag

Mütter ehren?

Ostern

Im Auge des Betrachters

Psalm 23

Gott(ver)trauen?

Religionsfreiheit

Der Mehrwert einer Religion

Reli-Unterricht

Wozu Reli?

Seligpreisungen

(

Mt 5,3-12

) Glückseligkeitssymbol?

Solidarität

Päckchen tragen

Sprache

Die Sprache eines Häuptlings

Taufe

Nicht allein unterwegs

Totensonntag

„Wir haben dich so lieb“

Tratsch

Tratschen und klatschen

Trauer

Warum?

Trost

Trost für Trostlose?

Verteilungskampf

Kampf um den Kuchen

Vorsatz

Vorsätze als Hauptsätze

Vom Samariter

(

Lk 10,25-37

) Mutig, nicht trottelig

Vom Sämann

(

Mk 4,1-8

) Die Saat der Liebe

Vom Schalksknecht

(

Mt 18,21-35

) Vergeben?

Vom Verlorenen Sohn

(

Lk 15,11-32

) Einladung an alle

Von Maria und Marta

(

Lk 10,38-42

) Im Hamsterrad

Walpurgisnacht

Hexenmeister im Alltag

Wahrnehmung

Blicke statt Scheuklappen

Weihnachten

„Stille Nacht“

Wissen

Naseweis fällt auf die Nase

Zehn Gebote

(

Ex 20,1-17

) Freiheit in Bindung

Zeit

Als Samenkorn leben

Vorwort

Liebe Leserin, lieber Leser,

Anni lebt in keiner heilen Welt. Aber in ihrer Welt wird sie von Grundvertrauen getragen. Sie lebt auch nicht in einer heillosen Welt. Aber die Hoffnung auf Erneuerung beflügelt sie.

Anni lebt in einer heilbaren Welt mit vielen Schattierungen und Grauzonen, Widersprüchen und Rätseln. Weil sie neugierig auf die Quelle der Liebe bleibt, die Kraft zur Annahme des Lebens sowie gleichzeitig zur Veränderung schenkt, wird sie befähigt, ihre Welt ein Stück schöner und besser zu gestalten. Gemeinsam mit ihrem Großvater entdeckt sie immer wieder neue Horizonte des Denkens, des Fühlens und des Verhaltens, manchmal auch die schöpferische Urquelle, den lebendigen, freien und liebenden Gott, die Grundvoraussetzung allen Lebens.

Alle Leser sind eingeladen, sich beim Lesen der Texte aus dem Leben für das Leben auf den Weg zu machen, sich in Annis Rolle oder die des Großvaters hineinzuversetzen und sie mit neuem, auch eigenem Leben zu füllen.

Allen Lesern wünsche ich spannende, sinnstiftende sowie froh- und neumachende Entdeckungen für ihre eigenen Welten - in „Annis Welt“.

Burkhard Budde

Advent

Kern als Keim neuen Lebens

Anni und ihr Großvater lesen gemeinsam den Artikel:

Die Schale einer Nuss scheint eine besondere Bedeutung zu haben. Vielleicht schützt sie etwas Wichtiges vor Hektik und Stress, zum Beispiel im Advent. Oder vor gedankenlosem Konsum und oberflächlichem Kommerz, vor falschen Erwartungen und neuen Konflikten. Vielleicht verbirgt sie auch ein Geheimnis, das neugierig machen und sich offenbaren will.

Ein äußerer Schein kann täuschen und enttäuschen, aber auch ein sinnstiftendes und lebensdienliches Sein widerspiegeln. Können nicht glänzende Oberflächen der Adventsgewohnheiten und Adventstraditionen auch zu einem Tiefenverständnis der Adventszeit einladen?

Doch stets bleiben Spannung und Risiko. Denn es gibt keine Garantie, dass die Nuss nicht taub ist oder nicht taub bleibt, keinen Inhalt hat. Denn es ist auch möglich, dass sich unter der Schale nur gähnende Leere und langweilige Lehre befinden. Und kein erfüllender Sinn, keine treibende Sehnsucht, keine unvorhersehbare Überraschung, kein Kern, der Freude im Leben und auf das Leben trotz der vielen zersplitterten Schalen macht.

Doch stets ist eine Anstrengung notwendig.

Denn die harte Schale muss geknackt, die engen und festen Grenzen müssen überwunden werden. Und ein möglicher Inhalt darf möglichst nicht verletzt, gequetscht oder gar zerstört werden.

Dann doch lieber die Decke über den Kopf ziehen und die Nuss ignorieren?! Die eigene Bequemlichkeit mit dem Hinweis entschuldigen, dass das Leben von Boten der Adventsbotschaft so laut spricht, dass man die Botschaft nicht mehr hören kann?

Der Advent kann jedoch die Sehnsucht nach seinem Kern wecken. Wenn Gott zur Sprache kommt, weil der Vertrauende nach dem Eigentlichen der Adventszeit fragt. Vielleicht beim Gespräch in einer Gemeinschaft. Vielleicht beim Lesen eines Textes. Vielleicht bei dem Besuch eines Konzertes. Vielleicht bei einer Feier.

Wenn vor allem die Vernunft vernünftig bleibt, das Äußere nicht ignoriert, verdächtigt, instrumentalisiert oder maßlos, gefühlslos und ziellos zerstört wird. Wenn durch das Äußere, das das Innere zum Ausdruck bringt, ein Weg zum Inneren, zum fruchtigen Kern gesucht und gefunden wird.

Dennoch: Keiner hat den Kern, die frohmachende Gewissheit der bedingungslosen sowie schöpferischen Liebe Gottes durch den Glauben an Jesus Christus, gemacht. Er bleibt stets ein Geschenk.

Wenn jedoch dieser Kern entdeckt und persönlich angenommen worden ist, dann kommen das glühende Herz und der kühle Kopf auf den Geschmack, sich der letzten Geborgenheit in Gott immer wieder neu zu vergewissern. Und im Geiste Jesu Christi barmherziger und gerechter, aber auch mit verantwortungsvollerem Genuss zu leben.

Als Keim neuen Lebens.

Ärzte

Halbgötter in Weiß?

Sind Ärzte Zugpferde von Patienten, die so schnell wie möglich wieder gesund werden wollen? Oder Sündenböcke von Patienten, die wegen ihrer unergründlichen Krankheit eine seelische Entlastung brauchen? Oder „nur“ Opfer eines Gesundheitssystems, das Effizienz verordnet anstatt Zuwendung und Menschlichkeit zu ermöglichen?

Und der Patient? Ist der ein braver Befehlsempfänger eines Arztes, der weiß, was gut für ihn ist? Ein hilfsbedürftiges Objekt eines Arztes, der nur drei Minuten Zeit für einen Fall hat? Oder auch „nur“ Opfer eines Systems, das teure von lukrativen Fällen unterscheidet?

Anni, die sich eine eigene und unabhängige Meinung bilden will, kann sich über Allgemeinurteile aufregen. „Ärzte sind doch nicht alle „Halbgötter in Weiß“?!“ empört sie sich bei ihrem Großvater.

Der kennt „schwierige Ärzte“, die jede kritische Frage eines Patienten als Majestätsbeleidigung empfinden und aus Zeitmangel zum dienstbaren Fließbandarbeiter geworden sind. Auch hat er „Herr und Frau Doktor“ erlebt, die von ihrem Publikum angehimmelt und angebetet werden. Sich dann wie unnahbare und eitle Gesundheitspriester in einem hierarchischen und bürokratischen Dom verhalten, wo ein Klima des Ausgeliefertseins herrscht. Und der kritische Geist sowohl des Arztes als auch des Patienten bedingungslos auf dem Altar eines Gesundheitskultes geopfert wird.

Aber auch „schwierige Patienten“ sind Großvater in seinem Leben begegnet, die den Arzt anflunkern oder anlügen, ständig nörgeln oder sogar aggressiv reagieren. Dass ein Arzt dann genervt und verärgert ist, wenn ein Patient beratungsresistent ist und dadurch den Erfolg einer Behandlung gefährdet, erscheint ihm verständlich. Und überhaupt kann ein engagierter Arzt zu einer tragischen Figur werden, wenn sein Einsatz mit jedem Erfolg größer wird und am Ende doch der Tod durch die Unheilbarkeit der Krankheit wartet.

„Den Arzt und den Patienten gibt es nicht“, sagt Großvater. „Wir sind alle nur Menschen - und eigenverantwortlich. Aber der Arzt trägt eine besondere Verantwortung“. „Wie meist du das?“ fragt Anni neugierig. „Wenn eine Verkäuferin unhöflich ist oder ein Pastor eine langweilige Predigt hält, hat das andere Folgen, als wenn ein Arzt einen Patienten durch einen Fehler schadet oder einen Schaden nicht verhindert.“ Und ein Patient sei auch in der Regel kein Kunde, der einen Arzt auswähle oder abwähle, die Qualität des

Produktes schnell prüfen könne, sondern auf einen Arzt als Experten angewiesen sei.

Allerdings sei für ihn ein „guter Arzt“ mehr als ein tüchtiger Macher, der sich nur auf das Technische, Organisatorische, Fachliche oder Ökonomische konzentriere, seine Gefühle jedoch verdränge oder an eine Schwester delegiere.

Vielleicht könne man einen „guten Arzt“ mit einem fachlich kompetenten Wegbegleiter vergleichen, der den Patienten beim Weg durch das Tal einer Krankheit nach bestem Wissen und Gewissen sowie wertschätzend begleite.

Der auch zuhören, aufklären, erklären und beraten könne. Der freundlich, höflich und verschwiegen sei. Der Steine der Angst aus dem Weg zu räumen versuche. Und der ein ermutigendes Wort des Trostes mit auf den weiteren Weg gebe.

Und ein „guter Patient“? Der wisse, dass der Weg durch ein Tal nur gemeinsam gelingen könne, wenn er sich auf eine vertrauensvolle und gleichwertige Patienten-Arzt-Beziehung einlasse. Wohl wissend, dass weder er noch der Arzt selbst der Weg, das Heil, sei und beide nicht für das Wetter, für Unvorhersehbares, verantwortlich seien.

Ein wachsendes Grundvertrauen sei sowohl für den Patienten als auch für den Arzt wichtig. Es könne helfen, auf letzten Sinn in einem Tal zu hoffen. Gesundheit müsse kein Religionsersatz sein, wohl aber die Rückkehr zu einem sinnstiftenden Gleichgewicht, zur Einheit mit sich selbst sowie mit dem lebendigen Grund - dem wahren Gott allen Lebens.

Bibel

Buch fürs Leben?

Ist sie ein Nachschlagewerk, das bei aktuellen Themen hilft? Ein Gutachten, aus dem sich alle das herauspicken, was in ihren Kram passt? Ein Märchenbuch, das die Phantasie anregt? Eine wissenschaftliche Studie, die neue Erkenntnisse vermittelt? Oder ist die Bibel eher mit einem Museumsstück zu vergleichen, das manche gerne mal sehen, aber nicht als wirklich wichtig ansehen?

Anni will es genauer wissen. Sie gehört nicht zu den Menschen, die grundsätzlich kein Interesse an religiösen Fragen haben oder keine Chance bekommen, die Bibel näher kennenzulernen. Oder sich bewusst von ihrem Kindheitsglauben abgrenzen und dadurch ihre „schlechten Erfahrungen“ noch verstärken.

Anni fragt ihren Großvater: „Opa, muss ich glauben, dass Gott die Erde in sieben Tagen geschaffen hat? Dass Jesus auf dem Wasser gegangen ist?“ Großvater überlegt. Dann sagt er etwas, was für Anni zunächst wie ein peinliches Ablenkungsmanöver erscheint. „Als du noch ein Baby warst, hat deine Großmutter häufiger zu dir gesagt „Was für ein kleiner Spatz!“ Warum wohl?“ Jetzt überlegt Anni und ihr fällt auch eine Antwort ein: „Weil ich so niedlich und quirlig war?!“

„Und das bist du auch heute noch. Natürlich bist du kein wirklicher Spatz gewesen. Aber Oma hat so ihre Freude über dich zum Ausdruck bringen wollen.“

Großvater und Anni denken gemeinsam nach, was wohl die Menschen dazu gebracht haben könnte, über Gott und Jesus so zu reden wie es in der Bibel überliefert ist. Ob die Menschen damals die Schöpfung als Gottes Werk mit ihrer damaligen Sprache und dem damaligen Wissen preisen wollten? Der biblische Schöpfungsbericht also nicht als naturwissenschaftliche Analyse zu verstehen ist, sondern als ein besonderes Glaubensbekenntnis?

Der Bericht, dass Jesus auf dem Wasser gegangen sei, nicht die Naturgesetze in Frage stellen will, sondern die Erfahrung vermitteln möchte, mit Gottvertrauen ohne Angst oder Panik über Abgründe gehen zu können?

„Wir haben doch auch über die Aussage des 23. Psalms „Der Herr ist mein Hirte“ gesprochen, „fügt Großvater noch hinzu, „Gott ist kein wirklicher Hirte. Aber alles, was ein guter Hirte für seine Herde und auch für ein einzelnes Schaf tut, das können Hinweise auf das Wirken des lebendigen Gottes in unserem Leben sein.“

Anni und Großvater begreifen: Wer sich in einen Menschen hineinzuversetzen versucht, versteht ihn besser. Wer sich für die religiösen Erfahrungen eines Menschen von damals oder heute interessiert und sich ihnen öffnet, bei dem kann auch der eigene Glaube an Gott, die frohmachende Gewissheit letzten Sinns und letzter Geborgenheit, aufblühen.

Der Gottsuchende muss wohl nicht beim Wortsinn stehenbleiben; die biblische Aussage wie eine Tulpenzwiebel in Einzelteile zerlegen, um anschließend zu merken, dass sie nicht mehr zusammengesetzt werden kann.

Der Gottsuchende muss auch nicht nur nach dem geistigen Schriftsinn fragen, nach den Blüten ohne ihre Schalen, Wurzeln und Keimprozessen.

Der Gottsuchende kann vielmehr über den wörtlichen Sinn hinaus nach dem geistigen Schriftsinn biblischer Aussagen forschen, um den Glauben des ganzen Menschen zum Blühen zu bringen, mit Gottes Wirken in der Gegenwart zu rechnen.

Die Bibel, verstanden im geschichtlichen Zusammenhang und von der Mitte der Schrift, vom Geist Christi her, ist dann so etwas wie ein Liebensbrief Gottes an alle Menschen – ein Buch aus dem Leben des Glaubens für ein Leben mit und vor Gott, nicht nur für Anni und ihren Großvater.

Buch

Wie ein Schloss?

Anni und ihr Großvater lesen gemeinsam den Artikel:

Lust auf Unbekanntes? Neugierig auf Neues? Kann das Lesen eines Buches eine neue und faszinierende Welt in der alten Welt erschließen?

Manche versuchen, in ein Buch hineinzukriechen wie in eine Höhle. Dort hocken sie ganz allein, sind aber nicht einsam.

Wie gebannt, aber nicht gefesselt; verzaubert, aber nicht verführt, verfolgen sie das Geschehen. Der Zufluchtsort dient ihnen, nicht sie dienen diesem Ort. Weil er ihnen Raum für ihre eigene Phantasie bietet, die unzerstörbar erscheint und keine Grenzen kennt.

Andere winken ab. Für sie ist das Buch nur wie eine alte Hütte auf einem unzugänglichen Felsen, die nicht mehr bewirtschaftet wird und langsam zerfällt.

Videospielen, YouTube-Videos oder Fernsehserien geben sie generell den Vorzug. Die Hütte sei langweilig, nervig, zu weit weg von ihrem Leben, eigentlich überflüssig.

Aber woher kommt dieses Urteil - oder könnte es ein Vorurteil sein? Muss man nicht erst die Welt eines Buches kennenlernen, um zu entdecken, dass alles vom Leser – von einem selbst – abhängt, ob ein Haifisch im Aquarium leben, ein verfaulter Apfel schön, dass Unvollkommenheit attraktiv sein kann, das Unmögliche möglich erscheint?

Ein Buch kann wie ein Schloss mit vielen Zimmern sein. Es bleibt verschlossen, wenn man es flüchtig und rastlos, oberflächlich und selbstgefällig links liegen lässt.

Es öffnet sich, wenn man sich Zeit und Ruhe für eine Begegnung nimmt. Weil man frei und unabhängig von fremden Urteilen, der Aufdringlichkeit des Unmittelbaren sowie den Bevormundungsversuchen anderer sein will.

In manchen Räumen des Schlosses mag billiges Parfüm in der Luft hängen. Und man fragt sich, für wen und wozu der Autor diesen Text geschrieben hat.

In anderen Räumen mag man sich über die stickige Luft spießiger Moral ärgern. Oder über den knarrenden Fußboden unbelehrbarer Charaktere.

Aber ein Schloss kann auch Zimmer mit frischem Wind der Freiheit zum vertieften und kreativen Nachdenken beherbergen.