Antonia Baum über Eminem - Antonia Baum - E-Book

Antonia Baum über Eminem E-Book

Antonia Baum

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Beschreibung

Wie kriegt man als Frau die Verrenkung hin, Rap zu lieben und sich dabei permanent beleidigen zu lassen? Antonia Baum ist Schriftstellerin und Eminem gehörte einst zu ihren literarischen Vorbildern. Aber die Welt ist inzwischen eine andere geworden, bestimmte Aspekte der eigenen popkulturellen Biografie lässt man lieber verschwinden. Was also macht Antonia Baum zwanzig Jahre nach dem Rapklassiker »Stan« mit dieser misogynen, homofeindlichen, weißen Eminem-Leiche in ihrem Keller? Ist das Konzept »Leiche im Keller« eine gute Idee? Und kann es sein, dass Eminem trotz allem ein genialer Rapper war?

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Seitenzahl: 89

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Antonia Baum

Eminem

Antonia Baum über Eminem

Kurzübersicht

Buch lesen

Titelseite

Inhaltsverzeichnis

Über Antonia Baum

Über dieses Buch

Impressum

Hinweise zur Darstellung dieses E-Books

Inhaltsverzeichnis

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

Noch mehr Lesespaß

Inhaltsverzeichnis

1.

Will man ein Buch über Eminem schreiben, hat man im Grunde fast alle Probleme, die man sich wünschen kann: Denn er ist nicht nur der Verfasser extrem misogyner, homofeindlicher Texte, er ist auch der in Verkaufszahlen erfolgreichste Rapper eines Genres, das von Schwarzen erfunden wurde. Am unkompliziertesten für alle Beteiligten wäre es deswegen, Eminem ganz schnell verschwinden zu lassen, runter zu den anderen Leichen, die man im Keller rumliegen hat (und dieser Keller ist naturgemäß bis oben hin voll mit Leichen, welche sich aus weiten Teilen der Literatur-, Kunst-, Musik-, Filmgeschichte zusammensetzen, und wahrscheinlich müsste man ihn, den Keller, tatsächlich mit Beton ausgießen, um behaupten zu können, dass hier oben alles okay ist, ja, wahrscheinlich müsste man sich sogar dazulegen).

Besser, schonender und angenehmer also, man – das heißt konkret ich – lege Eminem runter in den Keller, mit durchgeschnittener Kehle (seine Lieblingsart, Frauen in Texten umzubringen), und befasse mich nicht weiter damit, dass er für mich ein absolut großartiger Autor und so etwas wie mein Schriftstellerinnen-Vorbild war – oder ist, wir werden sehen.

Das Wort Vorbild passt eigentlich nicht, ich glaube, ich habe das eine Zeit lang nur gesagt, weil es sich verwegen anhörte, tatsächlich ist die Formulierung »er hat mich geprägt« oder »er war wichtig für mich« treffender. So oder so: Irgendetwas stimmte natürlich nicht an unserer Verbindung, und zwar in mehrfacher Hinsicht, aber egal, success is my only motherfucking option, failure is not[1], war der Sound, zu dem ich mein Abitur machte (von dem ich dachte, dass ich es nie schaffen würde, weil mir immer wieder gesagt wurde, dass ich dafür nicht geeignet sei), zu dem ich meinen Körper, diese Nervensäge, joggend reduzierte und zu dem ich mir etwas später, oft ebenfalls joggend, überlegte, wie ich mir eigentlich anmaßen konnte, zu glauben, ich könne jenen Roman schreiben, den ich gerade zu schreiben versuchte. Eminem aus Detroit, dieser kleine blondierte Typ mit dem schlechten Geschmack und dem katastrophal zerbrochenen Elternhaus, der in der Öffentlichkeit als die Verkörperung der weißen amerikanischen Unterschicht gedacht wurde, dieser Eminem sagte: Klar kannst du. Und ich (weiß, weiblich, Mittelschicht, katastrophal zerbrochenes, aber akademisches Elternhaus) dachte, wenn dieser Eminem, der aussieht wie ein Loser, und genau das, zumindest zeitweise, auf glänzende Weise mit Worten zu seinem USP machte, konnte ich das auch. Ich las nicht Thomas Bernhard und dachte, kann ich auch, natürlich nicht. Oder – um Gottes willen – Kafka. Oder Maxim Biller, Rainald Goetz (alles Männer, ich weiß, und dazu später). Ich hörte Eminem und dachte, okay, es könnte gehen.

Ich hörte, ich versuchte zu verstehen und hörte immer wieder. Auf dem Schulweg, beim Joggen, später auf dem Weg zur Uni, durch die Stadt. Immer alleine, denn Eminem machte keine Musik zum Tanzen oder Nebenher-laufen-Lassen, mit Eminem musste man alleine sein, und das war ich die meiste Zeit, insbesondere als ich anfing zu schreiben (Schule fertig, weg von zu Hause, neue Stadt). Wenn man schreibt, braucht man einen Ton, den eigenen, man braucht Haltung und Perspektive, und wenn ich an Eminem dachte, wusste ich, was das anging, zumindest besser Bescheid. Ich war beeindruckt von der Unverschämtheit, mit der er seine Biografie zu Kunst, zu einer fortlaufenden Erzählung machte; von seiner Bereitschaft zur Verletzbarkeit, der Unverfrorenheit, mit der er sich über die amerikanische Öffentlichkeit und sich selbst lustig machte. Ich liebte seine Wut und wie er mit Sprache umging, dass ich bei ihm immer den Eindruck hatte, er müsse tun, was er tut, er habe keine andere Möglichkeit, es gehe um alles, also um Leben und Tod. Und am meisten liebte ich, dass ich Mitglied einer Gang war (bestehend aus ihm und mir), die diese Sprache verstand und die krasser war als alle Gangs um uns herum, von denen ich glaubte, dass sie mich nicht würden aufnehmen wollen.

Wenn ich von dem Eminem spreche, der für mich wichtig war, dann meine ich den frühen Eminem, ich meine den Rapper, der »The Slim Shady LP« (1999) und »The Marshall Mathers LP« (2000) geschrieben hat. Denn das, was danach kam, deutete früh eine Katastrophe an, wurde mit einigen Ausnahmen[2], aber doch sehr konsequent immer katastrophaler und entwickelte sich schließlich zu einem totalen Fiasko. Zu einem wildsauhaften Pop-Rock-Sound-Fiasko mit dramatischen Rummel-Hooks, vorgetragen in großem, irgendwie sakral wirkendem Ernst, also bei völliger Abwesenheit der Bereitschaft, sich selbst nicht ernst zu nehmen – und das war früher seine Kernkompetenz gewesen. Stattdessen patriotisch-moralische Appelle und ein schunkelnd-speckiges Temperament, das an Bierdosen, Trucks und Cowboyhüte erinnerte und weiterhin erinnert, denn Eminem rappt jetzt eigentlich nur noch so. Das Geschunkel betrifft nicht bloß Inhaltliches, also etwa Eminems Art, über Frauen zu rappen (in seinem Spätwerk sind sie auf ganz normal gesellschaftlich weit verbreitetem Niveau einfach nur noch geil oder unerträglich, also Material zum Ficken, das sich für Beziehungen nicht eignet, während er früher wenigstens so offen und ehrlich war, sie umzubringen), dieses Geschunkel betrifft auch seinen Flow.

Ufftata-Ufftata-Ufftata.

Eminem rappt schunkelnd, und wenn er nicht schunkelt, dann schreit er, sehr laut, so als wollte er seine Angst davor vertreiben, dass er nicht mehr relevant sein könnte. Wenn er nicht schreit, dann geht es um panisches Sportrappen, also die ziemlich demonstrative Demonstration seiner zweifelsfrei brillanten technischen Fähigkeiten als Rapper (er hat tatsächlich mehrere Einträge im Guinness-Buch der Rekorde wegen seiner hohen Rap-Geschwindigkeit, auf die er wahrscheinlich sogar noch stolz ist). Enorme technische Fähigkeiten hatte er auch früher, aber früher (grauenhaft, dauernd von »früher« zu schreiben, wann ist das nur passiert?) trug und perfektionierte die Technik den Inhalt und war nicht nur Selbstzweck. Früher klang nicht alles nach Angst. Oder doch, Angst war immer da in Eminems Texten, aber es gelang ihm mitunter, sie zu etwas Großartigem zu machen. Was früher auch noch anders war: Ich hatte keine Angst vorm Schreiben, was sollte sein, ich schrieb, was ich wollte, im Schreiben war ich frei.

Als Eminem im Winter 2020 sein elftes Album »Music to Be Murdered By« veröffentlichte und ich wusste, dass ich dieses Buch schreiben würde, vereinten wir uns nach langer Trennung zu einer Art Angst-Katastrophe, nämlich zu einem Zusammenstoß seines Albums mit meiner Verfassung. Es war kalt und dunkel, ich hatte am Fuß eine kleine Fraktur, aber ich ging trotzdem raus, um zu laufen und das neue Eminem-Album anzuhören, so wie ich das früher immer gemacht hatte, joggen und Eminem hören, stark werden. Der Fuß tat noch weh, ich versuchte zu joggen, es ging nicht, das neue Eminem-Album produzierte mir durch die Kopfhörer einen grauenhaften Sound in den Kopf. Ich versuchte weiterzujoggen, ich humpelte, ich dachte an das Eminem-Buch und dass ich eigentlich ein ganz anderes Buch schreiben wollte, nämlich einen Roman. Ich wollte, ich wusste auch, was ich schreiben wollte, aber ich tat es nicht. Die Tage waren immer voll mit anderen Sachen (Artikel schreiben, Geld verdienen, Kind) und am Ende einfach weg. Der Romananfang lag auf meinem Desktop, ein fetter, unbeweglicher Käfer mit Krämpfen, genauso von Krämpfen geschüttelt wie der mir an jenem Wintertag verkrampft in den Kopf rappende Eminem. Ich dachte an den Käfer auf meinem Desktop, der zu stinken begann und mich anglotzte. Und ja, Zeit und Geld spielten bei seiner Verrottung eine Rolle, aber es ging um mehr, dachte ich und humpelte weiter, während Eminem mir in den Kopf rappte, dass er in einem Club noch nie eine Frau getroffen habe, die es wert gewesen sei, näher kennengelernt zu werden, und dann von dem Blowjob berichtete, den ihm eine solche unwerte Frau schließlich verschafft habe, dieser Trottel. Es ging um mehr, dachte ich den Käfer betreffend, es ging um die Frage, ob ich, die in ihren Romanen meistens »ich« schrieb, weiterhin »ich« schreiben wollte. Ich konnte dieses Ich nicht mehr sehen, ich hatte keine Lust mehr, es durch meine Texte zu schleifen, und es gefiel mir nicht, wie es angeguckt wurde, am wenigsten von mir selbst. Was war mit meiner Familie, die inzwischen etwas dagegen hatte, sich in Texten wiederzuerkennen. Gab es nicht ganz andere Geschichten von Menschen, die erzählt werden mussten, Menschen, die nicht die Geschichte erzählten, die die meisten (weiß, akademisches Milieu) erzählten, wobei sie (die meisten) ihre Geschichte (weder die eigene noch die der anderen) oft gar nicht kannten, weil alle um sie herum waren wie sie selbst. Was war es für eine Frechheit, was für eine Breitbeinigkeit, die Geschichte der meisten zu erzählen. Oder sollte ich es besser die Sorge um sich selbst nennen, denn hatte dieser Gedanke für den, der ihn dachte, nicht auch eine stabilisierende und vor allem legitimierende Funktion: Ich, die Fragenstellerin, bin voller Redlichkeit, ich erkenne meine Schuld, ich darf es also, nobilitiert durch meine Zweifel, wieder tun. Denn hätte ich gewusst, wie ich die Geschichte, die ich erzählen wollte, erzählen musste, hätte ich sie sofort erzählt, natürlich.

Dennoch irritierten mich diese Fragen, und das Eingeklemmtsein zwischen ihnen lief tatsächlich auf eine ganz andere, sehr alte Frage hinaus, die ich mir seit jeher stelle: Kann ich das überhaupt, konnte ich es noch?

Ich kann nicht anders, aber ich muss bei dem letzten Satz immer an einen Mann mit krummem Rücken denken, der über seinem Penis sitzt, ihn anguckt und sich fragt, ob er noch funktioniert, und das ist im Wesentlichen das, was der inzwischen 48 Jahre alte Eminem seit sagen wir großzügig acht Alben tut, so auch auf seinem letzten, das ich mir im letzten Winter anhörte, als ich weder joggen noch schreiben noch den alt gewordenen Eminem beziehungsweise mich ertragen konnte. Er war so unglaublich alt geworden. Nicht nur seine Musik, er sah auch so alt aus. Ein bisschen wie der späte Michael Jackson, über den er sich früher immer lustig gemacht hatte: genauso wächsern, dünn und entrückt, genauso fragile Gesichtszüge, die bei Berührungen sofort schmelzen oder wegrutschen würden.

Für Schriftsteller*innen ist es eigentlich okay zu altern, man beginnt sie dann ernst zu nehmen, sogar Frauen, bei denen sich nach dem Klimakterium niemand mehr dafür interessiert, wie und ob sie überhaupt aussehen (Siri Hustvedt sagte einmal, sie finde es fantastisch zu altern, weil die Leute nun endlich ihre Texte läsen). Werden