Anyway 24 - Krischan Moritz Schroth - E-Book

Anyway 24 E-Book

Krischan Moritz Schroth

4,6

Beschreibung

Korfu, Irland, Madeira, Sardinien, Sizilien, Korsika. Ein Reisetagebuch quer durch Europa. Geschrieben in doppelter Optik. Krischan Moritz Schroth ist Reisender im Easyjetset, schnoddrig die Welt als touristisches Angebot konsumierend, Landschaften, Strände, Hotelterrassen, sonderbare Zeitgenossen. Und im nächsten Augenblick auch Autor im Stil der klassischen Bildungsreisenden, ein Wiedergänger Humboldts oder des Weltflaneurs Ernst Jünger. Hinter der Gegenwart einer Landschaft erkennt er ihre Vergangenheiten, die mythischen Schichten, die Träume, die sie hervorbringt. Er beschreibt Flora und Fauna aus profunder Kenntnis, betreibt Völkerpsychologie mit leichter Hand. Ein Reisebuch voll pointierter Beobachtungen. Elegant, elegisch, bildend und unterhaltend. Tom Peuckert, Dramatiker

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Seitenzahl: 160

Veröffentlichungsjahr: 2015

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Korfu, Irland, Madeira, Sardinien, Sizilien, Korsika. Ein Reisetagebuch quer durch Europa. Geschrieben in doppelter Optik. Krischan Moritz Schroth ist Reisender im Easyjetset, schnoddrig die Welt als touristisches Angebot konsumierend, Landschaften, Strände, Hotelterrassen, sonderbare Zeitgenossen. Und im nächsten Augenblick auch Autor im Stil der klassischen Bildungsreisenden, ein Wiedergänger Humboldts oder des Weltflaneurs Ernst Jünger. Hinter der Gegenwart einer Landschaft erkennt er ihre Vergangenheiten, die mythischen Schichten, die Träume, die sie hervorbringt. Er beschreibt Flora und Fauna aus profunder Kenntnis, betreibt Völkerpsychologie mit leichter Hand.

Ein Reisebuch voll pointierter Beobachtungen. Elegant, elegisch, bildend und unterhaltend.

Tom Peuckert, Dramatiker

Krischan Moritz Schroth, 1971 in Halle geboren, wuchs in Berlin auf und arbeitete im Bereich Theater und Journalismus. Er lebt in Paris.

www.krischanschroth.wordpress.com

[email protected]

pour Abeille

Hallo zusammen, es geht los und zwar schon morgen, für ein halbes Jahr …

Wer wissen möchte, was wir da so erleben, der geht hier auf den Blog – wer es nicht wissen möchte, der geht einfach nicht rauf und bleibt einsam und verbohrt ;-)

Travel-Blog-Linktip

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 24

Kapitel 23

Kapitel 22

Kapitel 21

Funchal

Das Tal der Ribeira da Serra de Agua

Seixal

Kapitel 20

Kapitel 19

Kapitel 18

Kapitel 17

Kapitel 16

Kapitel 15

Kapitel 14

Kapitel 13

Kapitel 12

Kapitel 11

Kapitel 10

Kapitel 9

Kapitel 8

Kapitel 7

Kapitel 6

Kapitel 5

Kapitel 4

Kapitel 3

Kapitel 2

Kapitel 1

24

Irgendwie – eines der Modeworte unserer Tage. Dauernd eingeflochten wird die Vokabel, wenn der Gegenstand kompliziert und wenig überprüfbar ist, etwa universellen Informationsquellen entstammt. Der Sprecher liefert dem Zuhörer gleich das Mißtrauen über das selbst Gesagte mit, signalisierend, sich seiner Sache nicht sicher sein zu können. Da das Wort auch dort auftaucht, wo der Bericht durch eigene Erfahrung abgestützt ist, deutet sein inflationärer Gebrauch auf eine allgemeine Müdigkeit hin, dem Gegenüber eine Sache präzise auseinanderzusetzen. Daß dabei eine genaue Unterscheidung von richtig und falsch unter den Tisch fällt, wird schläfrig in Kauf genommen.

23

Der Kerl hatte den gleichen Gesichtsausdruck wie Josh Duhamel: er kuckte immer erstaunt. Wahrscheinlich zog die Masche. Sie hatten ihn damit ausgestattet, wie mit seinem Kinnbart; und so kroch er behende den Turm rauf, sprang zum Fenster rein, wurde unerwartet in einen Sessel geschleudert und blickte, von blonden Haaren daran gefesselt, das Disney-Rapunzel an – total verblüfft.

Ich versuchte mir vorzustellen, wie die Real-Humans von Rapunzel, ihrem Freund Flynn Rider und den anderen aussahen … hatten sie braune Haare oder rote, Sommersprossen, waren Afros dabei … Ein unerquickliches Geschäft, man wühlt nur in der eigenen Vorstellung und strengt sich umsonst an. Irgendwelche Trottel werden sie schon gefilmt, digitalisiert und dann bearbeitet haben. Ich seh’s direkt vor mir.

Kuck ich von Rapunzel weg, dreh ich mich auch gleich wieder hin, es läuft über jeder dritten Reihe. Grad schwingen sich die beiden, zwanzigfach, aus dem Turm und sind von da ab, irgendwie noch verstärkt durch unseren eigenen Düsen-Vortrieb, was wie 7.8.8. Km/h, am Rumsausen …

A, ha, ha, ha, ha, a, ha, ha, ha, hu, hi, ho, ho, ho, oh … so weich, i, hi, hi, hi, hi … es kitzelt …!!!!!!!!!!!!! Rapunzel läuft zum erstenmal über Gras … uh, ha, hu, u, hu, huauujahuu. Auch ich lach in mich rein. Obwohl ich keine Kopfhörer aufhab?!? Wie das patscht. Eine Pfütze mit frischem Regenwasser. Sie läßt sich ins Gras fallen und wälzt sich drin … huuuuaaarggg … Steht aber im nächsten Augenblick schon wieder und tollt ausgelassen, hüpfend und springend durch den Wald, und versprüht eine Lebensfreude, daß ihr Gefährte ganz erstaunt kuckt und sich fragt, ob sie nicht etwas übergeschnappt ist. Auch wenn das Kleid einigermaßen hochgezogen ist, sieht man doch, daß Rapunzel noch keine richtigen Brüste hat, eher so Apriköschen; naja und das paßt ja auch irgendwie zu ihrem Alter, man kann sie maxi auf dreizehn schätzen – aber Flynn ist mindestens zwanzig, das macht acht Jahre Unterschied. Aber vor allem ist sie nicht nur minderjährig, sondern auch unterhalb des Alters, wo „einverständlicher Sex“ ok ist. Da die Konstellation aber nun mal aus einem Zwanzigjährigen und einem Frühado besteht, versucht man sich natürlich auch das Rapunzel mal nackt vorzustellen, mit seinen kleinen Aprikosentitten. Obwohl sonst nicht grad ein Fan von Kinder- und Jugendporn. Die Welt ist so wundervoll, und es gibt so viel in ihr zu entdecken: Ein Schwarm Vögel jagt über Rapunzel hinweg, sie folgt ihm mit einer raschen Kopf(Kamera)bewegung zum Himmel … was war …? Ehe sie es sich versehen, sind sie aus dem Wald heraus und entdecken im Grünen ein Haus vor sich.

Kaum durch die Tür bereuen sie ihre Neugier. Denn sie sind in einer Räuberhöhle gelandet. Und es sieht gar nicht gut aus für die beiden, vor allem für den Gefährten, weil in dem Unterschlupf ein „Wanted“-Zettel mit dem Konterfei des Begleiters hängt – die gierigen Räuber könnten sich hier ein hübsches Sümmchen verdienen. Von den Klamotten her total aus der Mode, und nicht mal mehr für einen Retro gut; es wird viel rumgestanden, in irgendwelchen Zimmern. Meist im Mantel. Der Typ im schwarzen Sport-Dress-Look in der Sitzreihe drüben, balanciert lässig seinen Schwarzweiß-Film von früher im weißen Laptop auf seinen Knien. Nur so pro forma überleg ich, ob ich ihn kennen könnte. Und wirklich, ehe sie es sich versehen, kommen schon Gendarmen zur Tür herein. Doch die Räuber haben ein gutes Herz und verraten nichts, als sich Rapunzel und ihr Begleiter unter den Tisch gleiten lassen und unbemerkt davonkriechen, blendet hinter’m Bullauge was Weißes, Sonne, Wolken …? … und führen den Gefährten ab, mit dem es nun ein klägliches Ende im Kerker nehmen wird. Doch auf einmal reißt er sich los, versetzt den Gendarmen was und entwischt. Ein vertrauensvoller Blick wird getauscht. Dann stöckelt die Stewardess („Escortgirl“) vorbei … Sind im Ticket inbegriffen und immer top.

Die schönsten Erlebnisse hab ich mir meist selbst bezahlt, wie den Urlaub … Dagegen das Gedöns, das man bei freien Verabredungen aushalten muß, unendliche Aneinanderreihung von Wortgruppen, ohne daß man endlich mal was … Jetzt hat er die Bratpfanne (Running Gag) in der Hand, mit der Rapunzel ihm am Anfang eins überbriet, und hinter ihm steht das Pferd, das ihn schon die ganze Zeit verfolgt, und er weiß wirklich nicht, wie er auf die andere Seite kommen soll, ohne in den Abgrund zu stürzen. Von irgendwoher kommt ein Gedanke, den ich gleich wieder von mir geb: Soll ich Dir die Uhr vorstellen? Chérie kuckt von der Sondernummer des Express über die Heirat von Katie und William hoch und überläßt mir ihr Zeiteisen (Taucherlook), während sie in die Stadt kommen, die sich für ein großes Fest schmückt. Es gibt Musik (die lustigen Räuber). Abends lassen die Leute Himmelslaternen zu Tausenden aufsteigen, ein See aus Licht. Und hier findet auch Rapunzel mit ihren Eltern, König und Königin – und vor allem mit dem Gefährten zusammen. Rapunzel, die kleine Fotze, öffnet ihre Lippen, „bietet“ sie dem Typen „dar“ und drückt ihm gleichzeitig diesen perfekten (semi-echten) Kuß auf, bis eine unverständliche Abspannsprache drüberschnurrt, die ein Robo-Surren unterbricht, als sich die Screens in die Decke zurückziehen und die Maschine in den Landeanflug übergeht.

Athen, Mai. Wir zeigen unsere Tickets vor, checken in die Dutyfree-Zone ein, für die wir nicht wirklich Zeit haben, und sitzen schon wieder im nächsten Jet.

Es wird Abend. Die blonde Stewardess mit den wasserblauen Wolfs-Augen. Mein Schoko-Croissant in der aufgeblähten Silberverpackung, ein zweites von Chérie im Tausch für meine Erdnüsse. Schon geht’s wieder runter. Die Türen öffnen sich zur Gangway, wir treten raus.

Frische kühle Luft, Grasgeruch – Korfu. Schon mal cool.

Leben und schreiben. Bisweilen Tendenz, nach der Reise zu schnell zum Stifte greifen zu wollen, doch ist zunächst nur wenig abzuringen; den aufgesammelten und zugeströmten Bildern ist noch die Überfülle des Vitalen eigen – hier sind, will man das Wildbret aus dem Verkehre ziehen, Jägereigenschaften gefragt.

Korfu-Town

Wir stehn früh auf, es könnte Geldprobleme geben, nicht jedes Kaff hat heute schon seinen Automaten – auch wenn es das sollte. Wir ballern uns mit Bargeld zu. Jetzt sind wir von dieser Seite cool. Und weiter geht’s zum Busbahnhof – um 14h30 fährt einer ab, Richtung Kassiopi oder so was. Chronostand: 11h30, OK, jetzt sind wir noch cooler. Massig Zeit für das Archäologische Museum, unser persönliches Vorab-Highlight.

Davor. Oh Gott – – Enttäuschung: „Aus Baugründen geschlossen“.

Das Tor ist aber bißchen offen, wir durch und ins – leere – Museum. Kommen zufällig, in Privatklamotten, drei Arbeiter eine Treppe runter. Wir legen los: „Wir sind Touristen und kommen nie wieder nach Korfu-Town – is it possible to see only the Medusa … please …?“

Greek-Palaver.

„Please!“

„Nä.“ (heißt aber: ja.)

Die beiden Älteren schicken uns den jungen Typen in schwarz-goldener Trainingsjacke, der uns zum Saal mitnimmt und vor den berühmten Gorgo-Giebel führt: 0:00

0:03 „Schön.“ (ich)

0:11 „Ja, sehr schön.“ (sie) Wir betrachten.

0:25 „Schöne Schlangen an der Seite, was!“ (ich)

0:29 „Und die Figuren!“ (sie)

0:32 „Hm …“ (fast alle ergänzt, aber naja) (ich) Wir betrachten.

0:42 „She’s from the sixth century.“ (Typ)

0:43 (Ach ja?!) (ich)

0:45 „Oh yeah, its realy old.“ (wir) … … … … …

0:52 „We have to go.“ (Typ)

0:53 (wir) „Yeah sure, thank you, it was wunderful! Thank you so much.“ 0:56.

Geld haben wir und Zeit sogar mehr als genug, so können wir noch das venezianische Altstadt-Viertel besuchen. Vor dem venezianischen Rathaus hebt eine Taube ab und schleudert mir irgendeinen Dreck ans Auge. Na super! Das gesamte venezianische Altstadt-Viertel ist mit Souvenierläden voll, Tür an Tür. Extrem auffällig: Jede Menge Che Guevara-Badetücher. Unter den verzierten Objekten (Wecker, Aschenbecher, Thermometer) viele in Brauntönen, die Oberflächenriffelung … also … kackartig und äh, die Wunsch-Phantasien …

Im Busse, die Ostküste hinauf, nach Norden. Nach einer knappen Stunde in Kalami; die geschweifte Bucht ähnlich wie die anderen vom Bus gesehenen: stillklares Wasser am Ufer eines von Olivenbäumen bewachsenen Höhenrückens. Wohin der Blick sich wendet, malerische Tiefen und Perspektiven, der überall hervorragenden Zypressen wegen. Die von uns bezogene Pension liegt zwei Häuser über dem einstigen des Dichters Lawrence Durrell. Die Position des Gebäudes, wie des „White House“ Durrells, hat eine kleine Merkwürdigkeit; es steht so im seitlichen Teil des Bogens, daß die Wellen wie von einem Schiffe betrachtet, das nie im angesteuerten Hafen ankommt, dem langen Kieselstrande zurollen.

Wir hatten bald unseren Lieblingsort gefunden, die kleine Gialiskari-Bucht hinter der großen von Kalami. Dem Deutschen fehlt hier übrigens ein Begriff, es unterscheidet nicht zwischen schmalen und weiten Buchten und bedarf des Zusatzes; das Französische hält dafür etwa das Wort anse, Henkel, vor.

Lagunenartig die Bucht, den türkisblauen Spiegel schließen niedrige Felsenzungen, die Kaps, halb ein. Darüber, fast bis zum Wasser, Macchia und allenthalben die Säulenzypressen. Der Landschaftsschnitt ist toskanisch. Korfu gehört zu den Kontakt- und Übergangszonen – mit ihrem eigenen Zauber. Felswände bestehen aus Plattenkalk. Die spannenhohen Schichten gaben unter dem Druck nach und wellten sich, wie uralte Bücher, man staunt über die Flexibilität des Steines. Wir ließen hier mehrere angenehme Tage an dem Hangtale verrinnen … Dabei ein, beinah’ fühlbares, Auseinandertreten der Zeit. So glich die Bucht einem Gemälde, wo nichts mehr zu vervollkommnen war – und wir dem Betrachter, der bald weiterzieht.

Auf dem schmalen Weg zur Bucht durch ein Wäldchen auf einem knochenbleichen Baumstumpf die erste Schlange, eine Schlanknatter mit hübschem Halskollier. Die Vorhersage, Korfu sei eine Schlangeninsel, war somit bestätigt. Nun galt es der Dialektik Herr zu werden, die Schlangen möglichst lautlos aufzuspüren und zu „verscheuchen“, damit Chérie nicht geängstigt wird. Aufmerksamkeit, in beide Richtungen, war hier der Königsweg.

Unternehme einen Abendspaziergang, der erste seit Ankunft vor zwei Tagen, mit einsetzender Dämmerung kamen immer Gewitter und Regen auf, Luft kühlte sich gleich merklich ab. Man sieht hier derlei Wetter wandern, mal kommen sie von der nahen albanischen Küste herüber, dann von der Westseite der Insel. Eine Verkäuferin des Supermarktes sagte uns, im Winter könne man beobachten, wie der Schnee auf die albanischen Berge fällt, während es auf Korfu in dieser Zeit nur regnet. Die schmale Straße führte mich langsam in die Höhe und um die Gialiskari-Bucht herum. Dem raschen Eindrucke nach reich bewaldet, wachsen indes stattliche Villen über mehrere Terrassen (stets mit Swimmingpool) aus den Pflanzungen. Neben einer solchen eine abgesteckte Olivenplantage; die Kronen der Bäume heruntergehauen, brandgeschwärzte Stümpfe, an einen das Schild genagelt: Land for sale. Der Anblick stimmte nachdenklich. Warum noch hierher fahren? – um es noch einmal zu sehen, bevor es verschwunden ist … Einwand der Eiferer, das eigene Hiersein trägt zum Verluste bei, sticht nicht, gegen die Zeit stemmt sich kein Einzelner, obwohl sie gerade das glauben. Der Augenschein bezeugt ein anderes.

Vor der verwüsteten Plantage, am Wegrande, eine Pyramidenorchis in frischem Gras. Auf einem langen lauchartigen Stengel die rosanen Blüten in einem dichten, wie der Name sagt, Konus; davor schwangen im Winde die geflochtenen Ähren eines schönen Zittergrases. Auch das ein dürersches „Grasbild“ … Sonst auf den Wiesen wilde Gladiolen, Zungenstendel.

Wenn hier von Villen die Rede war, so ist auch an die römischen gedacht. Sie scheinen in Südeuropa eine Art Wiedergängerdasein zu führen, Säulen, Marmorböden, farbige Innenwände, Stuckdecken. Eines der Rätsel unserer Zeit, wo nicht der Zweck die Mittel heiligt (oder Eskapismus), kommt es nicht über die Imitatio hinaus; wie hat eine Eingangstür auszusehen, der Schwung eines Daches, ein Fenster, man schaut zurück und ahmt es, modernisierend, nach. Das sind Pasticcios. Ähnliches bei den Künsten, so sind etwa Autoren heute nicht mehr in der Lage, einem ursächlichen Gefühl oder Gedanken eine Entsprechung zur Seite zu stellen; sie wissen nicht, wie sie sich einem Gegenstand (und sei es ein Grashalm) nähern sollen und bekommen ihn folglich nicht zu fassen. Auch das stimmt nachdenklich.

Steh auf unserem Balkon und kuck in die Kalami-Bai; verteilt Häuser im Hang, gerade rüber zehn Buildings, wovon eins, sind alle rosa, das Pink-Palace sein soll. Kuck grübelmäßig. Irgendwer meinte, in dem Dorf halten vier Familien die Stellung im Winter, auf dreißig, vierzig Häuser. Das Ding ist ein Phantom-Ort. Plötzlich Geisterfeeling, wie hier alles zu ist und alles steht rum, der Supermarkt geschlossen. Mit der süßen Kassiererin (Mitte dreißig, sanft und melancholisch (brünett), aber voller Herz und Hoffnung), haben wir hier hübsche Drehbuchtexte gesprochen, die Ökonomie ist down, aber wir sind alle gleich, haucht sie, und um ihr das Leben etwas leichter zu machen, sagen wir (reportagemäßig), daß auch in Paris alles sehr, sehr teuer ist. „Paris“, sagt sie, „it’s my dream, it’s my dream“, und lacht.

Engländer. Wo die Natur etwas Parkartiges oder Kultiviertes hat, da ist auch der Engländer nicht weit, und Korfu scheint zu seinen favorites zu zählen. Kalami (es zieht vorzugsweise ältere Engländer an) ist gleichsam englisch, so daß man sie gut studieren kann. Der Engländer ist immer noch ein Sportsman im weitgefaßten Sinne, er geht gern ins Wasser, die alten drehen dabei endlos lange Runden, die jungen stürzen sich vom Felsen. Im Restaurant White House, zur Hälfte englisch betrieben, sitzt man zu achtundneunzig Prozent mit Engländern zusammen, die sich steif zuprosten, während ein ergrauter, doch agiler Landsmann vor der Uferterrasse seine Schleifen auf dem Wasserski fährt (lady on bord). Von der englischen Höflichkeit ist ausgiebig gesprochen worden, deshalb sei das Thema hier nur gestreift; aber zwei Beispiele waren gar zu typisch. Über eine Orchidee gebeugt, fragte mich ein Engländer in Begleitung zweier Damen, was ich täte, ich wies ihm das Gewächs, worauf er mir versicherte: „Thank you for having shown us.“ – was einem Deutschen wohl nie über die Lippen gekommen wäre, dafür aber sicher das scheußliche Super. Ein andermal einen äußerst schmalen, steilen und verkrauteten Pfad entlangspazierend, kreuzten wir drei Engländer (wieder ein älterer Herr mit zwei sehr betagten und gebeugten Damen); der letzten und langsamsten Platz machend, gab sie ein derart genäseltes und knarrendes „thank you“ von sich, daß sich das Verhältnis gleichsam umkehrte und ich einen Anflug von Dankbarkeit empfand, daß sie mich ihres Dankes würdigte. Hier wird der Unterschied zum Deutschen recht deutlich, der entweder ohne Manieren lebt oder dessen Höflichkeiten bisweilen als verlogen aufgefaßt werden. Der Umstand schreibt sich daher, daß sich der Deutsche (von ein paar Grundregeln abgesehen) auf sein eigenes Geschick und seinen Charakter verlassen muß (mit denen er eben nicht immer Erfolg hat), während Engländern (wie Franzosen) ein Arsenal standartisierter Verhaltensweisen zur Verfügung steht, die sie nur im passenden Moment in Anschlag bringen müssen, was ihrem Auftreten in den allermeisten Fällen Sicherheit und Gewandtheit verleiht, wenn auch nicht immer große Herzlichkeit, auf die sich der Deutsche so viel zu Gute hält.

Ein Irrtum in Detailfragen, auch das Notieren fehlerhafter Erinnerungen gehört zum getreuen Aufzeichnen – sofern man es nicht besser weiß.

Dabei Gedanke, alles was sich vollzieht, geschieht in Wahrheit.

Die Tage vergingen furchtbar schnell – und deshalb genossen wir sie besonders intensiv. Noch war alles da, die Agni-Bay hinter der Gialiskari-Bucht, über einen Saumpfad am Ufer erreichbar, wo wir uns vom Nichtstun in einer Taverne kräftigten, unter deren Decke Schwalben nisteten, „they build a house“, sagte der gutmütige Wirt, oder wir wählten den Weg links von Kalami und machten nach einem Ausflug zu einer völlig vereinsamten Bucht Station in Kouloura mit seinem friedvollen Segelhafen, und aßen köstliche Tiropitakia. Bei der griechischen Küche müßte man eine Extra-Abhandlung über das Brot schreiben, es verkörpert die Seele Griechenlands. Alle seine Teile, der Duft und seine feuchte Frische erzeugen ein Wohlbehagen, in dem sich, man weiß nicht wie, ein Wort bis in unsere Tage gerettet hat – Einstmalen … Doch wo wir auch waren, überall begleiteten uns die unsagbar schönen Wolken. Sie glichen nicht jenen von den Kykladen, die, kaum daß sie in der ägeischen Hitze aufkommen, sich sogleich über den blendendweißen Kirchen wie Dampf aus einem Kessel auflösen und Platz für den emailblauen Himmel machen; die Wolken Korfus waren kontinental und wirkten deshalb auf der kleinen Insel um so eindrucksvoller, sie schoben sich breit und grau heran, oder türmten sich zu hohen Bergen auf, weiß und schön wie Schlagsahne.

Superherzlicher Abschied von der ungarischen Pensionsangestellten und los geht’s mit dem Taxi rauf nach Norden; Orte, Landschaften, Resorts, Resorts, Landschaften, Fenster bißchen auf, bißchen wieder zu, Coca nach vorne reichen wegen Übelkeit, Straße steigt steil an, halten irgendwo in was dorfmäßigem, dort steht schon ein dynamischer Opa, packt unsere Koffer auf einen Pickup, wir hinterher und sind nach fünf Minuten an der nigelnagelneuen Pension von Afionas. Treppen rauf, Einweisung, Schlüsselübergabe, Tür zu, aber Balkontür auf, Blick durch ein paar kleine Bäume auf eine Mini-Aussichtsplattform, wo Wanderer rumstehen und Fotos machen von der immens großen eisblauen Bucht, hundert Meter unten.

Mit dem hyperaktiven Alten im Pickup runter zum Supermarkt. Wird ’ne Quasseltour, where you from, die Weltwirtschaft und der Skandal. Was für’n Skandal? In der Pension, mach ich den Fernseher an und zap zu einem Nachrichtenkanal und seh – DSK. Später gibt’s noch (schon) eine Computer-Animation, DSK stürmt, bis zum Gürtel nackt (Rest weggeblendet), auf was Schwarzes zu und schlenkert die Arme wie ein Affe. Die Animation ist mieser als ein Handy-Spiel und hat nichts Realistisches wie das Rapunzel.

Am nächsten Abend im Panorama-Restaurant der Pension, die Scheiben der Riesenfront sind weggeschoben, man ißt vor dem lebenden Bucht-Bild; wir sind allein und ich sag zu Chérie:

„Weißt Du, warum ich dich liebe?“

„Non, oui …“