Äquator - Antonin Varenne - E-Book
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Antonin Varenne

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Beschreibung

Dieb und Brandstifter in Nebraska, Deserteur im amerikanischen Bürgerkrieg, Mörder in Nevada: Pete Ferguson ist ein Mann auf der Flucht. Er ist auf der Suche nach dem Äquator, dem Ort, wo sich angeblich alles ins Gegenteil verkehrt, die Träume wahr werden und er von seinen Dämonen befreit wird. Wird er dieses verheißungsvolle Land finden? In Äquator schildert Antonin Varenne virtuos Pete Fergusons Weg von den großen Weiten des amerikanischen Westens über Guatemala bis in die dichten Urwälder Brasiliens. Mit dieser atemberaubenden und zutiefst ergreifenden Odyssee bestätigt der Autor seinen Ruf als Erneuerer des großen Abenteuerromans mit den erzählerischen Mitteln des 21. Jahrhunderts.

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Seitenzahl: 671

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Zum Buch

Nebraska 1871: Pete Ferguson ist ein Getriebener. Aus der Armee desertiert, wurde er zusammen mit seinem Bruder von Arthur Bowman auf dessen Ranch aufgenommen. Doch Gewalt und Jähzorn sind ihm eingeprägt wie ein Brandmal, und so muss er fliehen, nachdem er im Streit einen Mann getötet hat. Am Rio Grande schließt er sich Bisonjägern an und erledigt für sie die blutige Arbeit des Häutens. Am Lagerfeuer erzählen diese von einem sagenhaften Land namens Äquator. Die Welt soll sich dort andersherum drehen, das Wasser der Flüsse aufwärts fließen, die Vögel sollen zu Fuß gehen und die Menschen Steine in den Taschen tragen, um nicht davonzufliegen. Pete zieht weiter. Überall, wo er hinkommt, gerät er in Konflikte. Er stiehlt, lügt, betrügt. Doch er sehnt sich nach Läuterung und reist weiter: von Mexiko über Guatemala nach Guyana und Brasilien. Verfolgt von seinen Dämonen, aber in der Hoffnung, sein gelobtes Land, den Äquator, und dort seinen inneren Frieden zu finden. Er durchreist weite Prärien und dichte Dschungel, versucht Indianerkinder vor der Sklaverei zu retten und unterstützt Aufständische gegen blutrünstige Diktatoren. Bis er erkennt, dass er in der Liebe zu der Indianerin Maria seinen Äquator bereits gefunden hat …

Zum Autor

Antonin Varenne, geboren 1973, studierte Philosophie in Paris. Er war Hochhauskletterer und Zimmermann, arbeitete in Island, Mexiko und in den USA, wo er seinen ersten Roman schrieb. Seine Werke wurden mit den wichtigsten französischen Krimipreisen ausgezeichnet. Seine Romane Die sieben Leben des Arthur Bowman und Die Treibjagd wurden von der Presse hochgelobt und standen wochenlang auf der KrimiBestenliste.

ANTONIN VARENNE

Roman

Aus dem Französischen von Michaela Meßner

C. Bertelsmann

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.
Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.
Die Originalausgabe erschien 2017 unter dem Titel»Équateur« bei Éditions Albin Michel, Paris.
© 2018 beim C. Bertelsmann Verlag, München,in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,Neumarkter Str. 28, 81673 MünchenUmschlaggestaltung: www.buerosued.de, MünchenSatz: Uhl + Massopust, AalenISBN: 978-3-641-22371-7V002
www.cbertelsmann.de

Für Liam Maximilien Joe Smithund Jones Segundo Pascal,die Varenne-Brüder

Lincoln City, Nebraska, Juni 1871

Diesseits des Platte River hatte man, als die Stadt noch Lancaster hieß, den Süden unterstützt, bevor sie nach der Niederlage zu Ehren Lincolns umgetauft wurde. Der neue Name der Stadt war für die Bewohner eine Schmach, sobald sie ihn in den Mund nahmen, spuckten sie zwischen ihre Stiefel auf den Boden, selbst in ihren Häusern, schließlich befanden sie sich in Feindesland. Kam ein Reisender in den Saloon und hob das Glas auf den Befreier der Südstaaten, wurde er von Schweigen empfangen, trank aus und sah zu, dass er schleunigst wieder davonkam.

Lincoln wurde Hauptstadt des Bundesstaates. Es ließ sich ein Gouverneur aus dem Norden dort nieder, sodann ein Postdienst, ein Gericht, eine Schule und das Grundbuchamt, das jedem amerikanischen Bürger, der den Wunsch danach verspürte, eine sechzig Hektar große Parzelle zur Verfügung stellte. Kostenlos. Unter zwei Bedingungen: Man durfte nicht unter einundzwanzig Jahre alt sein und man durfte nie die Waffen gegen die Regierung erhoben haben – gegen die der Nordstaaten. Die ehemaligen Konföderierten hatten kein Anrecht auf staatliche Großzügigkeit. Washington wollte den Krieg aus dem Gedächtnis tilgen, indem es zur Eroberung des Westens aufbrach, zog aber in den Grundstückskatastern weiterhin Frontlinien. Berge, Routen und Flüsse und vor allem Rachegelüste bildeten unüberwindliche Barrieren.

Viele träumten davon, die Holzbaracke des Land Office einzureißen, Brett um Brett.

Für fünfzig Cent die Nacht hatte Pete Ferguson ein Zimmer gemietet, dessen Fenster auf das kleine, weiß verkleidete Haus mit den schwarzen Lettern über der Tür hinausging: US Land Office. Konzessionen. An- und Verkauf von Grundstücken.

Nachdem er wochenlang über die Trails gezogen war, ungeschützt den Blicken der anderen ausgesetzt, hatte er es für eine gute Idee befunden, sich in dieser Pension im Zimmer einzusperren, bis seine Angst ihn geradezu lähmte. Er hatte ganze Tage auf einem Stuhl verbracht, den Baumwollvorhang vor seinem Fenster gelüpft, eine Flasche nach der anderen geleert und den Männern und Frauen dabei zugesehen, wie sie den kleinen Regierungsladen betraten. Einzig das Schauspiel ihrer Verwandlung hatte ihn abzulenken vermocht.

Wie aus dem Ei gepellt, damit man ihnen nicht ansah, dass sie eigentlich Bettler waren, voller Sorge, man könnte sie erneut mit dem Versprechen auf Land bloß übers Ohr hauen wollen, betraten sie den Laden wie eine Kirche am Hochzeitstag, um ein neues Bündnis zu schließen, das ihr Armenschicksal besiegelte. Das kleine weiße Haus nahm sich neben den anderen Buden wie eine Kapelle aus, der Regierungsvertreter stand auf der Schwelle mit der Haltung eines Priesters, der die Alte Welt freispricht von den Sünden, die sie an den Enterbten begangen hatte, welche die Neue Welt jetzt großzügig empfing. In einem Akt, der zugleich Hochzeit und Taufe war. Ungläubig, die Schuhe weiß vom Staub, kamen aus allen Himmelsrichtungen Pioniere ins Land Office geeilt, um es mit einer Besitzurkunde in der Tasche wieder zu verlassen. Der Staatsdiener verabschiedete sie noch mit einem Händedruck, der auch sie zu Menschen machte, die etwas besaßen. Nachdem sie wieder ihre Planwagen bestiegen hatten, fuhren sie aufgewühlt zu ihren sechzig Hektar Land davon; die Ehefrauen sahen ihre Männer an, gemeinsam holten sie, mit Tränen in den Augen, einmal tief Luft. Dankbarkeit stand auf ihren Gesichtern zu lesen, und ein neuer Stolz. Dieses Geschenk machte sie zu ewig treuen Bürgern. Zu Patrioten. Die lange Irrfahrt war zu Ende, es war der Lohn für ihre Opfer und Anstrengungen, sie zweifelten nicht mehr an ihrem Verdienst, das Land stand ihnen zu.

Pete hatte an jenen Indianerhäuptling denken müssen, von dem Alexandra Desmond gesprochen hatte: einen Lakota-Indianer, der glaubte, er erteile den Weißen eine Lektion in Sachen Weisheit, indem er ihnen erklärte, die Erde gehöre nicht den Menschen, sondern die Menschen gehörten der Erde. Eine sinnlose Lektion, sagte Alexandra, denn die Weißen klammerten sich mit aller Macht an diese Erde. Sie war der einzige Grund, weshalb sie gekommen waren.

Die meisten waren so alt wie er, hatten Kinder, die sich an ihre Beine hängten oder an den Brüsten ihrer Mütter lagen. Die Männer hatten gewölbte Stirnen, die Frauen gesunde rote Bäckchen.

Als Pete sich erhob, standen seine Sachen schon bereit. Die Pistolenhalfter waren bestückt, die Decke um seine Winchester, seinen Proviantsack und sein an den Ecken bestoßenes Heft gewickelt, das letzte Geschenk von Arthur Bowman. Er wusste nicht mehr, wann er angekommen war oder warum er sich diese Stadt ausgesucht hatte, nur dass es höchste Zeit war, sie zu verlassen.

Die Witwe, die die Pension betrieb, zählte ihm in ihrem Wohnzimmer unter einer an die Wand genagelten Fahne der Konföderierten das Hartgeld auf den Tisch. Sie murmelte, es sei eine Schande, diese vielen Fremden in der Stadt, die immer zahlreicher würden. Mit den Fingerspitzen schob sie ein paar Cent übers lackierte Holz, alles, was ihm von seinen vier Dollar übrig blieb.

»Für Sie, Mr. Webb.«

Pete Ferguson ließ die Geldstücke auf dem Tisch liegen, warf sich die Pistolenhalfter über die Schulter und ging zum Stall. Reunion schnaubte, als er den Sattel auf den Rücken des Tieres legte. Pete ging mit dem Mustang am Zügel über die Straße und blieb vor dem Land Office stehen. Er las noch einmal die aufgemalten Lettern und reckte die Nase in die Luft, bevor er einen Fuß in den Steigbügel steckte.

»Ich wollte gerade schließen. Kann ich etwas für Sie tun?«

Pete betrachtete den Mann auf der Türschwelle, der so groß war wie sein Lächeln breit.

»Falls Sie reinkommen wollen, ich hab noch ein paar Minuten Zeit.«

Die Stimme eines Traumverkäufers, der in extremis, kurz vor Ladenschluss, noch schnell die Seele eines allerletzten Pioniers einzufangen versucht, den es zu konvertieren gilt. Pete stieg die Stufen hinauf und trat ein. Der Mann hängte seinen Hut wieder an den Haken, bot ihm mit einer ausholenden Armbewegung einen Stuhl vor dem Schreibtisch an, nahm hinter dem Tisch Aufstellung und reichte ihm die Hand.

»George Emery. Womit kann ich Ihnen behilflich sein, Mister …«

»Billy Webb.«

George Emery drückte Pete so energisch die Hand, dass es sich anfühlte, als befände sich in seinem Greiforgan nichts mehr an gewohnter Stelle.

»Suchen Sie Land, Mr. Webb? Eine Konzession? Sind Sie Farmer? Viehzüchter? Minenarbeiter? Haben Sie eine Familie oder wollen Sie eine gründen? Ein Mann in Ihrem Alter hat doch ein Recht darauf. Vielleicht waren Sie ja im Krieg, Mr. Webb, und haben weit mehr verdient als nur ein Stück Land. Waren Sie im Krieg, Mr. Webb? Ich meine … auf welcher Seite?«

»Auf der Seite der Gewinner.«

George Emery blinzelte.

»Verstanden! Woher kommen Sie, Mr. Webb?«

Petes Blick wanderte über die Regale hinter Emery, auf denen die zusammengerollten Karten und die Katasterregister lagen.

»Oregon.«

Der Angestellte des Land Office folgte seinem Blick, bevor er wieder seinen Kunden betrachtete.

»Ein unionstreuer Staat. Aber sagen Sie mir doch, was Sie wünschen, Mr. Webb, dann schauen wir uns gemeinsam an, was die Vereinigten Staaten für Sie tun können.«

Der Angestellte bezweifelte nicht, dass die Regierung die Wünsche eines jungen Mannes wie Billy Webb befriedigen würde.

»Geben Sie allen Leuten Land?«

»Allen Bürgern, die …«

»Egal wem?«

»Wie bitte?«

»Gehört Ihnen das ganze Land?«

Pete ging um den Schreibtisch herum zu den Karten. Er zog eine heraus, hielt sie sich nah ans Gesicht und roch an der Farbe, legte sie an ihren Platz zurück, öffnete ein Register. Der Mann von der Regierung räusperte sich.

»Ich muss noch dazusagen, dass es nur die ersten Hektar umsonst gibt. Und dass die Grundstücksparzellen, die im Bundesstaat noch verfügbar sind, schon recht weit vom Platte River entfernt sind. Es gibt noch schöne Grundstücke, aber es sind nicht die zugänglichsten. Die meisten können zumindest bewässert werden. Was genau suchen Sie denn, Mr. Webb?«

Pete legte das Register zurück auf den Schreibtisch und ging durchs Zimmer bis zum Fenster, sah hinaus auf seinen Mustang und die Hauptstraße von Lincoln zur Abendessenszeit.

»Fragen Sie die Leute, was sie in ihren Häusern so alles anstellen wollen?«

Emery reckte den Hals, um sich ein wenig vom Kragen seines Hemdes zu befreien.

»Ich verstehe Ihre Frage nicht.«

»Wie sie ihre Frauen und Kinder behandeln?«

»Wie meinen Sie das?«

»Fragen Sie sie, wer sie sind?«

»Wer sie sind? Wovon reden Sie?«

»Von ihrer moralischen Gesinnung. Das ist es doch, was Sie hier mit Ihren Eigentumsurkunden anbieten, das Recht, im eigenen Haus tun und lassen zu können, was immer man will, oder nicht?«

Emery richtete sich auf, seine dröhnende Stimme füllte den ganzen Raum innerhalb der vier Bretterwände.

»Junger Mann, Sie verbreiten hier einen Gestank, der mich annehmen lässt, dass Sie nicht mehr ganz nüchtern sind. Sie sollten sich hinlegen.«

»Haben Sie schon einmal unterm Dach eines Mannes gelebt, der alle Rechte hat, Mr. Emery?«

»Das reicht!«

»Geben Sie mir das Geld!«

Der Angestellte des Land Office runzelte die Stirn und betrachtete den stämmigen jungen Mann, seine vorgewölbten Schultern über der breiten Brust.

»Mein Junge, du solltest jetzt besser verschwinden, sonst bekommst du noch Probleme.«

»Als ich noch ein Kind war, da dachte ich, Gott wäre auf der Seite meines Vaters, denn er war stark, und wenn ich einmal groß wäre, würde der Herrgott auf meiner Seite stehen.«

George Emery öffnete eine Schublade seines Schreibtischs und holte eine Pistole heraus.

»Ich weiß nicht recht, was da bei dir nicht ganz stimmt im Oberstübchen, mein Sohn, aber du gehst jetzt besser raus hier.«

Pete Ferguson starrte die Waffe an.

»Das macht schon Eindruck, so ein bewaffneter Mann. Der Besitz einer Waffe ist eine große Verantwortung, das darf man nicht jedem x-Beliebigen überlassen. So wenig wie das Recht, bei sich zu Hause tun und lassen zu können, was man will.« Er griff langsam in seine Weste und zog einen .45er Colt.

»Schwer, für alle Konsequenzen geradezustehen.«

Er hielt die Waffe mit ausgestrecktem Arm neben seinem Bein.

»Mr. Emery, verstehen Sie die Bedrohung, die für uns von Ihnen ausgeht? Welchen Mut wir aufbringen müssen, um uns ihr entgegenzustellen?«

Der Angestellte des Land Office hob eine Hand zum Zeichen, er möge sich beruhigen, mit der anderen hielt er immer noch den Revolver auf ihn gerichtet, was aussah, als schwöre er auf die Bibel.

»Mach jetzt keine Dummheit, die du bereuen könntest, mein Junge. Wir werden schon eine Lösung finden.«

»Ich bin kein Freund von Verhandlungen. Wir müssten aufhören zu reden. Etwas tun.«

»Ich geb dir das Geld, und wir lassen es auf sich beruhen.«

George Emery zog ein Lederetui aus der Jacke, warf es auf den Schreibtisch und trat einen Schritt zurück.

»Würden Sie mich jetzt bitte allein lassen.«

»Was?«

»Gehen Sie durch die Hintertür hinaus und lassen Sie mich allein.«

»Das kann ich nicht. Du nimmst jetzt das Geld und haust ab.«

»Legen Sie Ihre Waffe nieder und gehen Sie, ehe wir uns eines anderen besinnen und uns beide wieder die Wut packt.«

George Emery fuhr sich mit trockener Zunge über die Lippen, legte seinen Revolver auf den Schreibtisch, zog einen Schlüsselbund aus der Tasche und schloss die Tür neben den Kartenregalen auf. Er drehte sich zu dem jungen Mann um und prägte sich alle Einzelheiten seiner Gesichtszüge und Kleidung ein.

»Wir finden dich, mein Sohn.«

Er verschwand, ohne die Tür hinter sich zu schließen. Pete wankte, zog einen Flachmann mit Whisky aus der Jacke und leerte ihn. Er steckte das Lederetui ein, ging zu den Karten, bückte sich, roch noch einmal daran, strich ein Zündholz an seinem Jackenärmel an, hielt die Flamme an eine der Papierrollen und sah zu, wie das Feuer von einer Karte zur nächsten sprang. Das Holz der Aktenschränke begann sich zu schwärzen, der Schreibtisch leuchtete in Gelb und Orange, und Rauch rollte zur Decke hinauf. Tränen liefen ihm über die Wangen, draußen bäumte sich sein Pferd auf.

Er sprang in den Sattel, bog in eine kleine Gasse und floh über eine Parallelstraße aus Lincoln, vorbei an einer endlosen, geschlossenen Reihe von Gärtchen und Hinterhofläden. Es wurde dunkel über dem Trail nach Osten, das Leder seiner vom Brand erhitzten Jacke war noch glühend heiß.

Reunions Muskeln lockerten sich, und sein Lauf wurde weicher; der Mustang nahm Tempo auf, sein Atem folgte dem Takt des Galopps. Sie verließen den Trail und ritten gen Süden, durch das hohe Gras der Ebene, eine grau wogende See unter ersten Sternen. Einige schwarze Reliefs, runde Hügel am Horizont, gaben ihrem Lauf die Richtung.

Im Morgengrauen machten sie halt, am Ende ihrer Kräfte. Pete leerte eine Feldflasche voll Wasser und rollte sich in einem zerfurchten Graben zusammen, während Reunion taufeuchte Pflanzen abweidete.

Er erwachte schweißnass unter einer hoch am Himmel stehenden Sonne, die scharf umrissen war wie ein Kupferdiskus, entkleidete sich, behielt nur die Hose an und stieg barfuß zum Gipfel des höchsten Hügels hinauf, eine Flasche Whisky und das Lederetui von George Emery in der Hand. Im Schneidersitz betrachtete er die endlose ebene Landschaft. Er beschwerte die Geldscheine mit einem Stein, um sie vor dem Wind zu schützen, und zählte seine Beute.

Sein Kopf fiel vornüber, die Schultern rundeten sich. Die Sonne brannte ihm auf den Rücken und wärmte den Whisky. Pete Ferguson, in Nebraska als Dieb und Brandstifter gesucht. Achtundsiebzig Dollar. In Nevada unter Mordverdacht stehend.

*

Mein Bruder.

Nach dem Alten war Billy Webb der Mensch, den du in Basin am meisten gehasst hast, und als er tot war, hast du ihn noch mehr verabscheut. Weil dieser kleine Scheißkerl nun ein Held war und weil niemand mehr sagen konnte, Billy Webb sei ein dreckiger reicher Schnösel, der uns ins Gesicht spuckt, uns, den Ferguson-Söhnen.

Am Tag, als er starb, wärst du gern an seiner Stelle gewesen, zusammen mit den anderen Familienvätern, die aufgebrochen waren, um ihre Rechnung mit den Rothäuten zu begleichen, die zum Jagen bis auf unser Land kamen.Aber dann durfte nur Billy mit seinem neuen Karabinergewehr und seinem Pferd ins Reservat von Warm Springs aufbrechen – denn du hattest ja keins.DerAlte war bei der Expedition mit von der Partie, er hatte die Tiere vor den Kippkarren gespannt und, besoffen wie die anderen, brüllte er, man bräuchte einen Leichenwagen, um die Kadaver der Paiute-Indianer nach Hause zu schaffen. Sie lachten und schossen im Hof der Ranch in die Luft. Mir machten sie Angst, und du warst wütend, dass du sie nicht begleiten konntest.

Aber dann haben sie den Sohn von Webb im Mistkarren der Fergusons nach Haus gebracht, all diese wackeren Kerle waren zu besoffen und zu dumm gewesen, um sich mit den Indianern zu schlagen. Sie fanden nicht mehr, dass das eine so gute Idee war, dieser stinkende Leichenwagen.

Als sie in jener Nacht zurückkamen von Basin, nachdem die Stadt den Sheriff und die Soldaten von Fort Dalles mobilisiert hatte, blieb der Alte auf der Türschwelle stehen und sah uns wankend nach. Ich werde seine Worte nie vergessen: »Hier müssen wir unser Land und unsere Familie verteidigen. In Basin werden sie sagen, dass die Ferguson-Söhne sich kein Bein ausgerissen haben, um unsere Ranches zu verteidigen, und dass Billy Webb ein Held ist.«

Du bist auf der Ranch geblieben, um dich um mich zu kümmern, Pete, weil ich zu klein war und Angst hatte.

Ich habe immer noch eine Narbe am Kopf von den Prügeln, die der Alte uns an jenem Abend, den ich auch nie vergessen werde, verpasst hatte. Während er mit mir beschäftigt war, hast du sein Gewehr genommen und ihm den Lauf in den Nacken gehalten, damit er aufhört, mich zu schlagen. Die Wut hat dir eine Stimme gegeben, die ich nicht von dir kannte: »Hör auf, ihn zu schlagen, sonst schieß ich dir den Kopf weg.«

Der Alte hat sich aufgerichtet, und du hast, als er dir sagte, du sollst das Gewehr loslassen, so lange durchgehalten, wie du konntest. Du wusstest, dass du es am Ende loslassen würdest und was dann geschehen würde. Aber er hatte aufgehört, auf mich einzuprügeln.

Drei Tage bist du im Bett gelegen, nachdem er dich zusammengeschlagen hatte, aber auf der Ranch ist es nie wieder so gewesen wie vorher. Wir wussten alle drei, dass sich etwas geändert hatte.

Jahre später, als wir in den Krieg zogen und Rudy Webb aufkaufte, was von der Ranch noch übrig war, rächte er sich dafür: In der Familie Ferguson gab es zwei lebende Brüder und keinen Vater mehr, während in seiner Familie nur noch ein Vater ohne Sohn übrig war.

Heute hast du ein gutes Pferd und ein gutes Karabinergewehr. Das ist alles, was dir bleibt.

Wo auch immer du bist, ich hoffe, dass du auf deiner Flucht nicht allein bist und dass du jemand anderen als Billy Webb findest, mit dem du reden kannst. Er hat dir schon lange vergeben, dass du ihm den Tod gewünscht hast an jenem Tag, an dem die Männer ins Reservat aufbrachen.

Dodge City, Kansas, September 1871

Nach Einfall der Nacht waren ein paar Soldaten von Fort Dodge in der Stadt geblieben, in Hoover’s Saloon, den George Hoover ein Jahr zuvor, als Dodge City noch nicht viel mehr war als eine Reihe in die Erde gerammter Pfähle, eigens für sie eröffnet hatte. Nicht dass der Gründer des Etablissements ein so großer Patriot gewesen wäre, dass er rein zum Vergnügen mitten im Nirgendwo Bier an Militärs verkaufen wollte, aber er wusste bereits damals, dass die Eisenbahn kommen würde.

Seither waren drei Gebäude in Dodge City errichtet worden. Ein General Store und dann noch ein Hotel, in das die ledige männliche Bevölkerung, eher klein an der Zahl, noch keine Prostituierten gelockt hatte, obwohl sie schon auf dem Weg waren, sowie ein paar Pionierfrauen, die gute Ehefrauen abgeben würden. Schließlich hatte sich noch ein Wäscher, Friseur und Barbier niedergelassen, der die Ankunft der Damen ebenso ersehnte, damit die Kerle endlich anfingen, sich zu waschen.

Es war keine Neuigkeit, dass es hier in Kansas, so weit das Auge reichte, grüne Ebenen gab, die nur auf die Planwagen warteten, um Ernten wie im Garten Eden hervorzubringen. Es waren bereits Pioniere hindurchgezogen, die aus Missouri und Texas gekommen waren. Aber die Eisenbahn, das war etwas anderes. Ein Strom aus Eisenschienen, Schwellen und Kieselsteinen, der direkt aus dem Osten geflossen kam, an dessen Ufern anstelle von Bäumen Farmen emporschossen. Die Santa Fe Railway verkaufte die Grundstücke entlang ihrer Gleise zu einem guten Preis. Aber für das zukünftige und große Dodge City waren nicht die Farmen das Wichtigste. Man wartete auf die texanischen Großgrundbesitzer, die ihr Vieh in Waggons verladen und in Windeseile in alle Richtungen verschicken wollten, das heißt, in jene beiden Richtungen, die Amerika kannte: den Osten und den Westen. Hunderte, Tausende, Millionen von Langhornrindern galt es zu verschicken. Also hatte Hoover, der den richtigen Riecher und Freunde bei der Santa Fe Railway hatte, fünf Meilen vor Dodge City sein erstes Whiskyzelt aufgeschlagen, genau dort, wo der Bahnhof gebaut werden sollte. Ein Jahr später war die Eisenbahn endlich vor seinem Saloon angekommen: Die Passagiere streckten den Kopf heraus, setzten einen Fuß auf die Verladerampe und stiegen dann aus dem Zug, um bei ihm einzukehren. Eine gänzlich unscheinbare Bahn: eine neue Lokomotive, ein Kohlenwagen, ein Fahrgastwaggon, ein Waggon für die Handelswaren, nicht mehr und nicht weniger.

Die fünf oder sechs Soldaten aus dem Fort und die dreißig Bewohner von Dodge City ließen sich volllaufen, und falls sie hundert Dollar in der Tasche hatten, suchten sie sich eine Zukunft: ein Hotel, einen Eisenwarenhandel, ein Restaurant, eine Möbelwerkstatt oder ein Bordell. George Hoover sollte schon bald, als immer mehr Dollars in der Kasse seiner Bar klimperten, einen Geldverleih aufziehen. Es hatte so was schon gegeben, dass Städte einfach aus dem Nichts entstanden, und es war bekannt, dass der Erste, der einen Saloon aufmachte, als Bürgermeister endete, der Erste, der einen Zaun baute, Senator wurde, und der Erste, der einen Hammer verkaufte, am Ende ganze Straßen sein Eigen nannte.

Außer den Bürgern von Dodge waren auch Männer aus dem Osten und dem Süden herbeigeströmt, Viehhändler und Abgesandte großer Zuchtfarmen. An jenem Abend drängten sich in Hoover’s Saloon in Dodge City, zählte man die Arbeiter der Eisenbahngesellschaft hinzu, etwa sechzig Personen. Der Tisch, an dem alle sitzen wollten, war der des Stellvertreters der Santa Fe Railway, der binnen weniger Stunden König des Westens wurde. Die Fleischverkäufer bildeten den ersten Kreis um ihn, die Diskussion artete in eine Auktion aus, in der es darum ging, wer die meisten Kilos an Ware anzubieten hatte, die er herschicken oder mit den nächsten Zügen liefern lassen würde. Die Preise stiegen schneller als ein Säuglingsfieber. Ein Händler der North Western Fur Company setzte seine Ellbogen ein, und so lieferten sie sich am Ende inmitten der Gläser einen Faustkampf.

»Sie wissen genau, dass es sich bei diesen Preisen für uns überhaupt nicht mehr lohnt, unsere Felle zu liefern! Da können wir sie ebenso gut mit den Planwagen ausfahren! Fünfhundert für ein Fell, da lassen wir sie am besten gleich hier verrotten!«

Der Abgesandte der Santa Fe Railway verschränkte die Hände vor dem Bauch.

»Wenn Sie das nicht zahlen können, ist das doch nicht die Schuld unserer Gesellschaft.«

Der Fellhändler entgegnete dem Viehzüchter: »Bei diesen Tarifen machen Sie nicht mehr lange Geschäfte, und das wissen Sie. Ihr steckt in dem Spiel mit der Santa Fe unter einer Decke, und wir, die Kleinen, müssen das ausbaden! Wenn wir nicht gemeinsam kämpfen, werden sie uns ausbluten lassen, und davon profitieren nur die anderen!«

Die Ranchverwalter aus Texas und Kansas, die sich eng an Henry Sitler angeschlossen hatten, den größten Viehzüchter zwischen Dodge und Junction City, scherten sich einen Dreck um das, was der Mann von der Fur Company erzählte. Das Vieh war mehr wert als die Felle, und seit die Dürre und der Krieg vorbei waren, schossen die Preise nur so in die Höhe. Denn zum Glück verschlang das Land Jahr um Jahr mehr Fleisch.

Der Mann von der North Western Fur schüttelte den Kopf, schimpfte sie Idioten und verließ den Saloon. Er ging den Bahnsteig entlang zum Lager der Jäger, wo die Felle, zu zwei Meter hohen Haufen zusammengeschnürt, auf den Karren ihrer Bestimmung harrten. Dort standen etwa zwanzig Männer um ein Feuer herum. Bob McRae, der älteste von ihnen, fragte einen Händler, wie es gelaufen sei.

»Ich habe keine andere Wahl. Wenn Sie Ihre Jagdbeute in diesen Zug laden wollen, kann ich Ihnen nicht mehr als zwei Dollar pro Fell bieten. Bei drei Dollar müssten Sie selbst nach Atchinson liefern.«

»Bei zwei Dollar kann ich mein Unternehmen auch gleich dichtmachen. Das ist unsere Sommersaison, ich muss Arbeiter bezahlen, muss Material für die Wintersaison einkaufen. Schon bei drei Dollar machen wir keinen Cent Gewinn.«

»Zwei Dollar, mehr kann ich nicht anbieten, wenn es mit der Eisenbahn gehen soll.«

Bob McRae dachte nach.

»Sind es die Viehzüchter, die die Preise so nach oben treiben?«

»Sie haben noch gar keine Fracht, aber sie heizen das Geschacher an, damit sie sicher sein können, dass niemand die nächsten Züge bezahlen kann. Der Repräsentant der Santa Fe sitzt da und säuft, während die Preise in die Höhe schießen.«

»Und der Waggon, der hier wartet, ist der immer noch leer?«

»Es ist nichts drin. Der Zug fährt morgen weiter.«

»Und jetzt hindert uns die Viehzüchterbande daran, ihn mit unseren Fellen zu beladen?«

Der Repräsentant der North Western Fur nickte.

»Die halbe Stadt hofft, mit den Leuten aus Texas und der Sitler-Ranch zusammenzuarbeiten, sie haben kein Interesse daran, mit ihnen über Kreuz zu kommen.«

»Wie viel können Sie für die Fracht bezahlen?«

»Zehn Cent pro Fell ist das Maximum, und ich nehme die Ladung für zwei Dollar achtzig das Stück.«

»Sie geben uns drei Dollar, und wir schenken Ihnen drei schöne Felle, davon ist jedes mindestens fünfundzwanzig wert.«

Der Handelsvertreter reichte ihm die Hand.

»Da schlag ich ein.«

Bob McRae betrachtete die Jäger ringsum. Er musste nicht immer reden, damit man ihn verstand. Als er sich wieder auf den Weg machte, folgten ihm die anderen, die Wirte, Kürschner, Köche und Maultiertreiber, direkt in den hell erleuchteten Saloon.

Auf dem Bahnsteig stand unter einer vom Wind geschaukelten Lampe ein Mann, die Hände in den Taschen, und betrachtete die Lokomotive. Ein junger, stämmiger Mann, der seine Fellkragenjacke unterm Arm und einen runden Hut auf dem Kopf trug.

McRae blieb auf seiner Höhe stehen.

»Mein Junge, falls du den Auftrag hast, diesen Zug zu bewachen, geb ich dir den guten Rat, mal eine Runde zu drehen.«

Der Kerl wandte sich zu McRae und den Jägern um.

»Ich arbeite nicht für die Eisenbahngesellschaft.«

»Ich würde trotzdem nicht da stehen bleiben, dürfte besser sein für dich.«

»Ich geh, wohin ich will.«

Der junge Kerl hielt eine Flasche in der Hand, drehte ihnen den Rücken zu, den Blick unverwandt auf die Lokomotive gerichtet. Die anderen Jäger trollten sich zum Saloon, aber McRae blieb stehen und lächelte.

»Suchst du Arbeit?«

»Kommt drauf an.«

»Was kannst du?«

»Ein bisschen nichts, ein bisschen alles.«

»Himmel, du verkaufst dich wirklich prächtig. Bist eingestellt.«

»Um was zu tun?«

»Mit mir zurück in diesen Saloon zu gehen.«

»Und dann?«

»Dann wollen wir mal schauen, ob du auf deinen Beinen wieder herauskommst.«

Der junge Mann hob seine Flasche.

»Der Whisky macht mir keine Angst.«

»Du wirst keine Zeit haben, was zu trinken, ich brauche deine Arme.«

»Was wollen Sie da drin machen?«

»Über den Preis für die Fracht in diesem Zug verhandeln, den du so bewunderst.«

Die Jäger bahnten sich einen Weg bis zum Tisch des Angestellten der Santa Fe Railway. Henry Sitler, der neben ihm saß, hatte eine Flasche von Hoovers bestem Whisky bestellt. Die Verhandlungen waren beendet, jetzt wurden sie begossen. Bob McRae sprach den Kerl von der Eisenbahngesellschaft an: »Die Jungs und ich, wir haben da eine Felllieferung, sie liegt draußen auf unseren Karren, und wir wüssten gerne, wie wir das jetzt anstellen sollen, dass wir sie in Ihren Zug bekommen, denn wir müssen weiterarbeiten.«

Henry Sitler ließ seinem Gegenüber keine Zeit für eine Antwort: »Ich glaube nicht, dass das ein Problem ist, Bob. Sie müssen nur bezahlen, und der Waggon gehört Ihnen.«

»Der Zug ist schneller als die Karren, und wir sind uns einig, die Differenz zu zahlen, aber das sind zehn Cent pro Fell, mehr nicht.«

»Das wäre nicht wirklich gerecht, Bob, schließlich müssen wir auch für unsere Ware bezahlen.«

»Bei allem Respekt, den ich Ihnen schulde, Mr. Sitler, Sie wissen, dass wir nicht die Mittel haben und dass Sie es sind, der die Preise festgelegt hat. Wer wird Ihre Prärien von den Bisons befreien, wenn Sie Ihre Waldläufer arbeitslos machen?«

»Machen Sie das mit denen aus, die Ihre Felle kaufen, das ist weder Ihre Angelegenheit noch die der Eisenbahngesellschaft.«

Bob McRae drehte sich wieder zu dem Angestellten der Santa Fe um: »Hören Sie, wir haben eine Fracht, die schon bereitsteht. Ihr Zug wird leer fahren. Mit zehn Cent das Fell machen Sie ein gutes Geschäft.«

»Die Gesellschaft hat die Preise festgelegt, Mister, ich kann nichts für Sie tun. Mr. Sitler hat recht, machen Sie das mit Ihren Handelspartnern aus.«

»Unseren Handelspartnern? Mister, wir geben Ihnen dreihundert Dollar und laden heute Abend selbst unsere Ware ein. Das heißt nicht, dass wir versuchen, Sie zu zwingen, das heißt nur, dass das ein gutes Angebot ist.«

Im Saal wurden Stimmen laut, einige Kerle sagten, McRae habe recht, das sei ein ehrliches Geschäft, andere sagten, für die Jäger eine Ausnahme zu machen, sei kein fairer Handel. Sitler hob die Stimme: »Meine Herren, Dodge City wird bald eine große Viehhandelsstadt sein, und der Markt bestimmt den Transportpreis. Gleiche Bedingungen für alle. Verkauft Mr. Hoover seinen Whisky zu unterschiedlichen Preisen an verschiedene Kunden?«

Im Gelächter wurden Stimmen laut.

»Glauben diese Bisonjäger etwa, sie hätten ein Recht auf was Besseres als wir?«

»Werft sie raus!«

»Macht den Whisky billiger!«

»McRae hat recht, keiner könnte denselben Preis zahlen wie die großen Ranches!«

»Die Eisenbahn gehört allen!«

»Sollen sie doch ihre Felle einladen!«

Im Saloon hatten sich zwei Lager gebildet, und eine Seite schrie die andere an. McRae beugte sich zu dem Angestellten der Railway-Gesellschaft hinunter.

»Dreihundert Dollar sind ein gutes Geschäft, und das wissen Sie.«

Einer von der Sitler-Ranch zog ihn am Ärmel.

»Wir haben dir ja gesagt, dass es sinnlos ist, McRae. Du bist an diesem Tisch nicht willkommen.«

McRae achtete nicht auf den Arbeiter.

»Wir können bis dreihundert Dollar gehen, unser letztes Angebot.«

»Lass es gut sein, McRae, du und deine Aasfresser, ihr haut besser hier ab.«

Der Angestellte der Santa Fe wusste nicht mehr ein noch aus, der Saloon hatte sich zum Rummelplatz gemausert, auf dem jeder herumbrüllte. Die Whiskytrinker, die noch vor der Tür standen, drängten herein und verursachten einiges Gerangel. Hoover brüllte hinterm Tresen hervor allen zu, sie sollten sich beruhigen. Die Arbeiter der Santa Fe und die Cowboys krempelten die Ärmel hoch. Sitlers Angestellter versuchte McRae vom Verhandlungstisch fortzureißen. Der stämmige junge Kerl, den Bob frisch angeheuert hatte, streckte ihn mit einem Fausthieb auf die Schläfe nieder, und es brach ein Kampf los, als habe man in einer gasgefüllten Mine ein Streichholz angestrichen.

Die Soldaten von Fort Dodge, die niemand anzurühren wagte, blieben mitten im Gedränge stehen, sahen einander an, leerten ihre Gläser und warfen sich ins Gewühl. Durch etliche Schreie bekam das Ganze eine grobe Richtung: die Gruppe, die die Jäger vor die Tür setzen wollte, auf der einen Seite, und auf der anderen diejenige, die durchsetzen wollte, dass sie ihre Felle einladen durften. Wahllos hagelte es Fausthiebe auf Verbündete wie Gegner. Die Arbeiter und die Cowboys waren die Einzigen, die ein klares Ziel vor Augen hatten: die Jäger, die in der Mitte des Saloons einen Block bildeten. Tische wurden über den Köpfen weitergereicht und landeten mitsamt den Stühlen auf der Straße, um Platz zu schaffen. Der Vertreter der Santa Fe Railway kroch auf allen vieren hinter den Tresen, den Hoover und sein Barmann mit Spatengriffhieben verteidigten. Die herausgerissenen Bretter der Verkleidung wurden zu Waffen umfunktioniert. Rancher und Jäger gingen schließlich aufeinander los, und das Kampfgetümmel wurde immer gewalttätiger. Augenbrauen und Schädel platzten, die Männer bissen sich gegenseitig in die Ohren, wieder andere, die zu Boden gegangen waren, rammten ihre Zähne in fremde Waden. Ein Soldat, dem es gelungen war, auf den Tresen zu klettern, rannte über diesen hinweg und sprang mit ausgebreiteten Armen in den Saal. Die Jäger bildeten eine Linie und stürmten, jeder beim Nebenmann eingehakt, brüllend vor, bis sie die Cowboys in eine Ecke gedrängt hatten. Hoch über den Köpfen wurden Stuhlbeine und Bretter geschwungen. Die Jäger hatten einige Mann verloren, waren aber schon bald die einzige noch sichtbare Gruppe. Sitler hatte sich davongeschlichen. Die Tür war aus den Angeln gehoben und die Verkleidung herausgerissen worden, ein Drittel der Fassade fehlte, und die frische Luft, die hereinströmte, brachte denen, die noch stehen konnten, ein wenig neue Energie. Die Fausthiebe trafen nichts mehr, Stöße mit dem Knie und dem Kopf brachten die Urheber aus dem Gleichgewicht; als die Hälfte der Kunden außer Gefecht gesetzt war, begann man, sich umzublicken, um Bilanz zu ziehen.

Bob McRae, dem es eine Wange und die Lippen gespalten hatte, die Nase schief und das eine Auge dick wie ein Ei, stieg über die Leiber und Trümmer hinweg. Er zog Geldscheine aus der Tasche und knallte sie auf den hölzernen Bartresen, beugte sich darüber und sah dahinter den Angestellten der Eisenbahngesellschaft kauern.

»Meine Jungs und ich, wir laden die Felle jetzt selber auf. Sie müssen sich nicht darum kümmern.«

Am nächsten Morgen fuhr der Zug der Santa Fe Railway gen Osten, den Waggon beladen mit dreitausend Bisonfellen, der ersten Frachtladung aus Dodge City. Der Jägerkonvoi verließ die Stadt Richtung Westen, und die Karren, verteilt auf Gruppen von zwei oder drei Mann, fuhren getrennte Wege. Jeder Jagdführer hatte seine eigene Route. Seit die Bisonherden kleiner wurden, so erklärte McRae, folge jeder der eigenen Eingebung, in welcher Ecke man noch welche finden könnte. Die Farbe des Grases, die Größe des Mondes, Hinweise aus erster Hand oder wundersame Einflüsterungen.

»Es ist so, früher konntest du in egal welche Richtung aufbrechen, nach Nebraska, Wyoming oder Colorado, du bist immer auf Herden mit zwei- oder dreihundert Tieren gestoßen. Jetzt bringt man mehr Zeit damit zu, nach ihnen zu suchen, als sie zu erlegen, und ist schon zufrieden, wenn man vierzig Tiere findet. Es dürfte etwa ein- oder zweitausend Bisonjäger geben, zwischen der Süd- und der Nordherde. Hast du schon mal Bisons getötet, mein Sohn?«

»Nein.«

»Wie heißt du?«

»Billy Webb. Es wäre mir lieber, wenn Sie mich nicht ›mein Sohn‹ nennen würden.«

»Billy, es passiert mir gelegentlich, dass ich Burschen, die zwanzig Jahre jünger sind als ich, für Kinder halte, auch wenn ich weiß, dass ihr längst keine Kinder mehr seid. Es ist ein Elend, seit diesem Krieg gibt es kein einziges Kind mehr in diesem Land. Bist du im Krieg gewesen, Billy?«

»Wie alle.«

Bob McRae deutete nach rechts auf eine Baumreihe am Arkansas River. In dieser Ebene machte einem die kleinste Knospe, die aus dem Gras ragte, Lust, eine Familie zu gründen. Zwei weitere Jagdtrupps hatten sich bereits unter den Zweigen niedergelassen. Sie schlugen ihre Zelte auf, und auf den Feuerstellen wurde das Kochgeschirr erhitzt. Die Nachricht von der Keilerei im Saloon hatte bereits die Runde gemacht, und es kündigte sich ein feuchtfröhlicher Abend an. Alle waren der Ansicht, es hätten sich noch nie so viele Menschen zur gleichen Zeit in Dodge City befunden, und die Waldläufer, welche die Städte mieden, sahen ihre Überzeugung bestätigt: Befanden sich zu viele Menschen an einem Ort, endete es immer in einer Schlägerei.

McRae beteiligte sich nicht mehr an dem Gespräch; er saß abseits und betrachtete den Himmel, an dem gerade die Sonne unterging, mit parallelen Farbstreifen, so lang wie die Ebene, in dieser Welt, in der alles horizontal und fern war. Pete setzte sich zu ihm.

»Woraus wird meine Arbeit eigentlich bestehen?«

»Deine Arbeit wird alles sein außer Bisons töten. Das Enthäuten und Zerlegen. Die stupideste Arbeit, die härteste und die widerwärtigste, die du je verrichtet hast. Vimy wird dich in diese Kunst einweisen, um es mal so zu nennen. Er ist der Beste in dieser Disziplin, selbst hier, wo jeder in irgendetwas der Beste ist, und sei es nur im Unsinn erzählen. Hast du schon mal einen Tornado erlebt, Billy?«

»Nein.«

»Von der Wüste im Süden weht es diesen heißen Wind heran. Vom Meer hinter Texas kommt die Feuchtigkeit, die mir die Schmerzen in jeden Knochen treibt. Von dort oben im Norden kommt die Kälte, der wir ausgesetzt sein werden. Es wird bald Herbst, und da mischen sich alle Temperaturen. Wir werden mit Sicherheit einen Tornado erleben.«

»Was ist das Gefährliche daran?«

»Mein Junge, wenn du einen Tornado und eine Ladung Bisons gesehen hast, dann hast du dasselbe gesehen.«

»Was für einen Lohn bekomme ich denn für diese stupide Arbeit?«

»Einen angemessenen. Die Arbeit ist nicht nur stupide, sie ist auch anstrengend. Einen Dollar pro Tag. Und du kriegst einen Zuschlag, wenn du bis zum Ende der Wintersaison durchhältst und das Geschäft gut lief. Gibt es irgendein Problem?«

Pete steckte die Hände tief in die Taschen. »Ich mag es in der Regel nicht, wenn man zu viel mit mir redet.«

McRae brach in Lachen aus.

»Mit Gesprächen wird man dich in den Plains nicht belästigen. Und mit Fragen auch nicht.«

*

Mein Bruder.

Wir hier auf der Fitzpatrick-Ranch glauben, was du gesagt hast, aber wir sind die Einzigen.

Niemand in Carson City würde sagen, dass Lylia gelogen hat und du den alten Meeks nicht getötet hast. Die Leute erzählen sich alle, du hättest ihn zu Tode geprügelt, und das hätte eines Tages so kommen müssen, nachdem du immer nur Probleme gemacht hast. Die Stadt bringt mittlerweile der Ranch die gleiche Missgunst entgegen, die Lylia dir gegenüber hegt. Was immer sie sagt, Carson City will es glauben.

Sie wissen sehr wohl, dass wir Deserteure sind, das ist kein Geheimnis mehr. Das Geld der Ranch und Arthur Bowman, das ist alles, wodurch unsere Lüge noch gedeckt wird. Einige glauben, wir wären die echten Neffen von Arthur, weil sie sagen, dass du ihm ähnlich siehst. Sie hatten Angst vor dir, so wie sie Angst vor ihm hatten. Die Wahrheit ist, dass wir desertiert sind und dass Meek’ Sohn im Krieg sein Leben ließ, während wir uns auf der Ranch versteckt hielten.

Ich weiß, es war nicht einfach für dich, vieles lief nicht gut. Ich sage mir, das ist meine Schuld, du bist zu lange geblieben, wegen deinem kleinen Bruder, du hättest schon vor langer Zeit gehen müssen. Weder Alexandra noch ich, keiner hatte den Mut, es dir zu sagen, und du hattest nicht den Mut, selbst diese Entscheidung zu treffen. Bis zum Tod von Vater Meeks ist alles so vor sich hin gedümpelt. In Carson hat die Zeit gegen dich gearbeitet. Jetzt, da du unterwegs bist, ist es anders, je mehr die Zeit vergeht, desto besser bist du vor der Rache der Stadt geschützt.

Diesen Winter hat es viel geschneit, aber durch die neue Scheune auf den Ostweiden waren die Pferde geschützt und die Futtervorräte ausreichend.

Aileen fragt nach ihrem Onkel Pete. Sie denkt oft an dich. Vergiss sie nicht, diese Kleine, die du so geliebt hast. Sie ist traurig, dass du im April nicht da sein wirst, um ihren neunten Geburtstag zu feiern. Sie ist jetzt groß genug, um zu verstehen, dass man ihr Geschichten erzählt, aber sie tut so, als würde sie uns glauben, weil sie sich wünscht, dass du nur auf Reisen gegangen bist und bald wieder zurückkommst.

Alexandra und Arthur machen sich Sorgen um dich.

Ich bin der Traurigste von allen.

Du hattest diese Pläne, mit uns nach Kalifornien aufzubrechen und dort ein Haus für uns zu bauen, daran denke ich noch, selbst hier auf der Ranch, wo ich mir nichts mehr auszumalen brauche, wo der Traum ohne dich Wirklichkeit wurde. Manchmal kehrt dieses Gefühl zurück, wie auf der Farm, dass ich im Haus eines Toten lebe, dessen Namen ich nicht auszusprechen wage. Wir sind noch nie getrennt gewesen. Die Gewissheit, dass einer von uns den anderen wird sterben sehen, dass wir immer zusammen sein werden, ist fort.

Man müsste jemanden mit Geld nach Basin schicken, damit man Mama auf den Friedhof umbetten kann. Nachdem Rudy Webb unsere Schulden bezahlt und das Land wieder zurückgekauft hat, hat sie das Haus wahrscheinlich dem Erdboden gleichgemacht. Ich denke ständig daran, was wohl aus den beiden Gräbern geworden sein mag.

Ich habe wieder diese Albträume. Ich träume wieder von der Farm.

Ich werde mit Lylia reden, damit sie ihre Zeugenaussage widerruft. Ich weiß, dass du dir das wünschen würdest.

Ich hoffe, Reunion geht es gut. Der Sohn von Walden und Trigger: Das ist, als habest du die Fitzpatrick-Ranch mitgenommen. Er ist nur ein Tier, ich weiß, aber ich sage mir, dass er auf dich aufpasst. Ich sehe dich in einer großen Ebene, es gibt ein Feuer, das dir Licht spendet, du liest ein Buch, und neben dir schläft Reunion. So stelle ich mir dich gerne vor. Pass gut auf dich auf, Pete. Ich hoffe, dass dir nicht kalt ist, dass du Wasser hast und etwas zu essen und dass du manchmal auf deiner Flucht an meiner statt jemanden findest, mit dem du reden kannst.

Vimy war ein indianisch-französischer Mestize aus Kanada. Er hatte dort bis Ende der 1860er-Jahre als Pelzhändler gearbeitet, bis es keinen einzigen Biber mehr gab, weil lauter Kastorhüte daraus gefertigt worden waren, und die Briten der Hudson Bay Company den Laufpass gaben. Damals war er in den Süden gegangen und hatte sich auf die Bisonjagd verlegt. Er hatte Bob McRae kennengelernt, und dann taten sie sich zusammen. Vimy war nicht der Mensch, der irgendjemandem sagte, was er tun sollte, also übernahm McRae die Führung. Pete Ferguson hatte ganze fünf Tage gebraucht, um das herauszufinden, während er den lieben langen Tag neben Vimy auf der Karrenbank saß. Und auch das hatte McRae ihm erzählt. In der Prärie, in der es doch angeblich immer so still ist, war sein Boss ein ausgemachtes Plappermaul.

Neben den beiden Geschäftspartnern gab es noch einen Bürgerkriegsveteranen, Ralph, der sich um die Verwaltung, die Küche, die Maulesel und das Lager kümmerte. Er war etwa fünfunddreißig Jahre alt und hinkte, seit er in Appomattox einen Granatsplitter abbekommen hatte, bei jenem Gefecht, das schließlich dazu geführt hatte, dass Lee und der Süden sich in einem kleinen Haus in Virginia an einen Tisch setzten. Ralph gehörte zum Regiment von Custer, der die Trosse von Lee verbrannt hatte, und nur dank Custer, das betonte Ralph immer wieder, hatte die Union den Krieg gewonnen.

»Und du, Billy, als was bist du ’64 losgezogen? Bist du vor Kriegsende angekommen oder nicht?«

Pete, der mit den anderen ums Feuer saß, hatte geantwortet, darüber wolle er nicht reden. Ralph hatte einen Augenblick insistiert, bis McRae ihm sagte, er solle die Klappe halten und Pete solle sich mit seiner Decke ein Stück weiter verziehen.

Der große Karren wurde von zehn Mauleseln gezogen, und er würde leer bleiben, wenn sie ihn nicht mit Bisonhäuten füllten. Der kleine Karren, der von Ralph gelenkt wurde, gehörte zur Kantine und dem Lager, ihm waren sechs Tiere vorgespannt. McRae blieb die ganze Zeit auf dem Pferd sitzen und brach vor dem Morgengrauen zu einem Aufklärungsritt auf, um zu sehen, ob er auf ein paar versprengte Tiere stoßen würde. Im September grasten die Herden weiter im Norden, aber egal, sagte McRae, man hat nur dann eine Chance, wenn man sein Glück versucht, ansonsten hat man längst verloren.

Fünf Tage nachdem sie Dodge City verlassen hatten, erreichten sie Fort Lyon, auf der Route nach Santa Fe, der der Zug bald folgen würde. Hinter Fort Lyon sah man im Westen die Umrisse der Sangre de Cristo Mountains, die ersten Gipfel vor den Rocky Mountains. In dem viereckigen Hof des Forts befanden sich bereits ein Dutzend Mannschaften.

Vimy machte Pete ein Zeichen, und sie gingen gemeinsam zu einer Baracke, vor der schon andere Waldläufer Schlange standen. Wenn sie wieder herauskamen, trugen sie Kisten auf den Schultern.

»Was ist das?«

»Munition.«

»Die Armee verkauft Munition an die Jäger?«

»Die heißen Waldläufer, nicht Jäger. Und die Armee verkauft keine Munition, sie schenkt sie uns.«

Wieder kamen welche aus der Hütte, mit sechshundert Kartuschen, ohne einen Dollar aus der Tasche gezogen oder Danke gesagt zu haben. Die Soldaten verteilten die Kisten schweigend.

Alte Mexikanerinnen aus Las Animas, einer wenige Meilen entfernt gelegenen Stadt, waren gekommen, um den Waldläufern ihre Waren zu verkaufen, und beim Eingang zum Fort hatte sich ein kleiner Markt gebildet. Pete lungerte zwischen den Decken herum, auf denen sie die Waren ausgebreitet hatten, Gemüse, Mehl, Maiswhisky, etwas Trockenfleisch von Ziege oder Schwein, ein paar Trockenfrüchte. Auch kunsthandwerkliche Produkte, bunte Ponchos, geflochtene Ledergurte, Küchenutensilien aus Holz und Terrakotta. Ralph, ein paar Dollar in der Hand, verhandelte mit den alten Frauen hart über den Kauf von ein paar Lebensmitteln.

Der Offizier, der das Camp leitete, hatte den Waldläufern gestattet, sich für die Nacht im Hof niederzulassen. Die Soldaten gesellten sich dazu, um mit ihnen zu trinken. Der Kommandant drehte seine Runde im Lager und grüßte Bob, der ihn einlud, mit seinem Trupp anzustoßen. Ralph stand stramm, Vimy schüttelte dem Offizier die Hand, Pete ebenso.

McRae reichte dem Militär ein Glas.

»Wie stehen die Dinge zurzeit?«

»Es gibt Zusammenstöße zwischen den Ute und den Cheyenne. Seit das Reservat verkleinert wurde, kommt es häufiger zu Auseinandersetzungen zwischen den Stämmen. Aber unsere Vereinbarungen mit den Ute gelten immer noch.«

McRae hob sein Glas.

»Auf die neue Saison. Darauf, dass wir Bisons zu sehen bekommen, keine Indianer!«

»Stoßen wir darauf an.«

»Dann brauchen Sie also keine Soldaten mehr nach Sand Creek zu schicken, die Ute machen schon die Arbeit für Sie.«

Der Trupp von McRae, andere Waldläufer und der Kommandant drehten sich zu Pete Ferguson um, der sein Glas hob.

»Lasst uns darauf anstoßen.«

Der Kommandant sah Pete fest in die Augen.

»Niemand hat diese Ereignisse vergessen, junger Mann.«

»Die Cheyenne auch nicht, nehme ich mal an.«

»Darf ich Sie daran erinnern, dass Oberst Chivington verurteilt wurde und die Armee verlassen hat?«

»Bevor man ihm eine Amnestie erteilte.«

McRae blieb vor Wut die Luft weg.

»Billy, entschuldige dich beim Kommandanten, sonst bist du auf der Stelle gefeuert.«

Der Offizier unterbrach ihn: »Lassen Sie nur, Mr. McRae. Wir wissen alle, dass dieses Fort einen traurigen Ruf hat. Oberst Chivington wurde Amnestie erteilt, wie sie nach dem Krieg unterschiedslos allen Offizieren aus dem Norden und dem Süden erteilt wurde. Amnestien sind nötig, damit man das Land wiederaufbauen und die Kriegswunden behandeln kann. Aber das Massaker an den Familien der Cheyenne am Sand Creek wurde ihm nicht vergeben.«

Pete wollte darauf antworten, aber der Kommandant drehte sich zu den Waldläufern um, die um die Feuerstellen saßen, und hob sein Glas.

»Meine Herren? Auf eine gute Jagd!«

Das ganze Lager brachte einen Toast auf den Offizier aus. McRae suchte die Augen von Pete, aber der war verschwunden.

Am nächsten Morgen folgten die Waldläufertrupps, sobald sie sich mit Munition und Lebensmitteln eingedeckt hatten, verschiedenen Hinweisen, die McRae alle lachend in den Wind schlug, und zerstreuten sich in unterschiedliche Richtungen über die Plains. Vimy und Ralph, die am Vorabend dem Whisky und Mescal ordentlich zugesprochen hatten, trödelten beim Einspannen der Maultiere. Sie waren die Letzten in Fort Lyon. Pete half ihnen und fragte den Mestizen, ob die anderen Waldläufer ihnen nicht zuvorkommen würden. Vimy lächelte, und Ralph lachte kurz auf, womit er sagen wollte, dass Pete ein blutiger Anfänger war, der nichts begriff und besser daran täte, die Brotlade zu halten. McRae band ein Fass Mehl an die Bordwand des kleinen Karrens.

»Die Hälfte dieser Dummköpfe ist losgezogen, um sich zu verstecken, um zu sehen, in welche Richtung wir gehen. Wir lassen sie ein bisschen schmoren.«

Als sie sich auf den Weg machten und den Hof des Forts überquerten, sah der Kommandant ihnen mit einem Kaffee in der Hand beim Vorbeireiten zu. Er nickte Pete zu, der seinen Gruß nicht erwiderte. McRae maulte: »So ein hundsverfluchter Maulesel, dieser Kerl.«

*

Schwarze Wolken rollten auf sie zu. Je mehr sich der Himmel verdunkelte, desto grüner wurde das Gras, das der Luft wilde Peitschenhiebe versetzte. McRae suchte den Horizont mit dem Zielfernrohr seines Gewehrs ab, das ihm als Ersatz für einen Feldstecher diente. Er hielt nach einer Erhebung Ausschau, hinter der sie sich verstecken konnten.

»Pest und Krätze! Da vorne ist ein Graben oder so was, mindestens zwei Karren sind schon drin. Treibt eure Maultiere zum Galopp an, wir haben nicht mehr viel Zeit, diese fünf oder sechs Meilen hinter uns zu bringen!«

Vimy und Ralph ließen ihre Peitschen knallen. McRae wandte sich um und suchte die Prärie hinter ihnen mit den Augen ab. Ein Trupp folgte ihnen seit Fort Lyon dicht auf den Fersen. Ohne zu wissen, ob die Kerle ihn gesehen hatten, fuchtelte Bob mit den Armen, um ihnen zu bedeuten, dass sie ihm folgen sollten. Er gab seinem Pferd die Sporen und galoppierte los, vorbei an den Karren.

»Ich werde nachsehen, wie die Lage ist! Reitet die Tiere zuschanden, wenn nötig!«

Vimy stieß höchst merkwürdige Laute aus, und die Maultiere galoppierten in voller Geschwindigkeit los. Der alte Mestize drehte sich zu Pete um, während der Karren die seltsamsten Geräusche von sich gab und die Lederaufhängung der Radachsen sie auf und nieder hüpfen ließ.

»Hast du eine Ahnung, warum die Militärs uns Munition schenken?«

»Damit ihr auf die Indianer schießen könnt?«

Vimy hatte das Gespann einen kleinen Abhang hinunter gesteuert, und die beiden Männer lehnten sich nach hinten, die Füße fest ins Holz gerammt, um nicht vornüberzukippen. Vimy griff wieder in die Zügel, er brüllte, um sich verständlich zu machen.

»Nicht ganz! Wenn wir alle Bisons getötet haben, werden die Indianer aus den Plains in die Reservate ziehen und dort die Hand ausstrecken, damit man ihnen etwas zu essen gibt. Mit der Gratismunition hilft Washington uns, unsere Arbeit zu machen!«

McRae ritt vor ihnen her und wies ihnen mit weit ausholenden Armbewegungen die Richtung. Über ihm wirbelten die Wolken im Kreis wie Wasser in einem Siphon. Sie umfuhren den Graben, bis sie zu dem ausgetrockneten Flussbett kamen, in dem die anderen Wagen standen. Die Waldläufer des Trupps, der sich schon in Sicherheit befand, hatten alle Zeit gehabt, die Wagen zu entladen und ihr Material in die Zeltplanen zu packen. Sie halfen den Neuankömmlingen, es ihnen gleichzutun. Ohne Planen überragten die Gestänge den Graben noch um einen Meter, denn sie waren nicht tief genug, um umfassenden Schutz zu bieten. Man band die Maultiere los.

Vimy deutete mit dem Finger zum Himmel und rief Pete zu: »Das ist keine Kleinigkeit!«

Die Spirale schien den ganzen Himmel in sich einzusaugen, die Wolken formten Kreise und liefen zu einem schwarzen Auge zusammen. McRae kletterte geschwind aus dem Graben, suchte mit dem Zielfernrohr den Süden ab und rannte wieder zurück.

»Das sind Ruskys Männer hinter uns! Sie haben haltgemacht, denn ihnen ist klar geworden, dass ihnen keine Zeit mehr bleibt!«

Pete drehte sich nach der Stelle um, auf die McRae deutete. Der Sand wurde aus dem Graben hinauf zu dem schwarzen Loch geweht, das zum Zentrum der Prärie geworden war. Die Wolken sahen jetzt aus wie der dicke Fuß eines knotigen, nach unten wachsenden Weinstocks. Der Boden kam ihm entgegen, eine Wolke aus Erde und Gras, die sich in die gleiche Richtung drehte wie der sich bildende Tornado. McRae stieß Pete unter den großen Karren.

»Verkriech dich unter eine Decke! Streck den Kopf erst wieder raus, wenn es vorbei ist! Er kommt!«

Maultiere galoppierten vorbei und verschwanden im Gang des Grabens. Knallende Zeltplanen, pfeifende Seile. Petes Decke blähte sich auf, wurde ihm aus der Hand gerissen und war fort, als habe ein Strom sie mit sich gerissen. Er legte schützend die Arme über den Kopf und presste sich auf den Boden. Der Sand drang ihm in Nase und Ohren, über sich hörte er das Holz des Karrens krachen. Die Räder wurden wiederholt angehoben und fielen wieder herunter, bis sie mit einem Mal vom Boden gerissen und der Karren auf die Seite geworfen wurde. Die Zeltplane, die das Material bedeckte, wollte davonfliegen, McRae und Vimy warfen sich darauf. Pete kroch zu ihnen hinüber. Der Wind beruhigte sich ein paar Sekunden, dann stürmte er mit gleicher Kraft weiter, blies die Luft zugleich von sich und saugte sie an. Sie hörten nur noch das Brüllen des Tornados, ein Raubvogelschrei, begleitet von Donnergrollen.

Dann flaute binnen einer Minute der Wind ab. Staub und ausgerissene Sträucher folgten weiter der grauen, gen Süden wandernden Säule, hinter der wie durch ein Wunder der Himmel wieder frei geworden war und zwischen den Wolken sein Blau durchscheinen ließ. Sie kletterten aus dem Graben und sahen den Tornado direkt auf den Trupp von Rusky zusteuern. In ein oder zwei Meilen Entfernung nahm er wieder ab, und so schnell, wie sich die Wolke aus Staub und Trümmern gebildet hatte, fiel sie in Gestalt einer Weinranke zu Boden, löste sich auf, stieg zurück in den Himmel und verschwand. Man sah Ruskys Planwagen nicht mehr auf der Prärie, nur noch einen krummen Streifen nackter Erde, eine zehn Meter breite, vom Tornado gezogene Schneise, die mitten im Gras abrupt endete.

McRae drehte sich um.

»Wo ist Ralph?«

Das Rad des Planwagens hatte ihm, als der Wagen wieder zu Boden fiel, den Schädel zertrümmert. Ralph war auf der Stelle tot gewesen.

Den restlichen Tag brachten sie mit der Suche nach den Mauleseln zu. Am Abend zelteten die drei Mannschaften gemeinsam und zogen Schadensbilanz.

Erdrichs Mannschaft, die als erste im Graben Schutz fand, hatte am wenigsten zu klagen. Der materielle Schaden war gering, nichts von Belang. Einziger bedeutender Verlust: Erdrichs Reitpferd war unauffindbar. Rusky, den anderen Jagdführer, hatte es schlimmer getroffen. Der Planwagen mit seiner Feldküche war umgefallen, und es hatte ihn mehrfach um die eigene Achse gedreht, die Räder und Radachsen waren gebrochen, ganz zu schweigen vom Material und den Lebensmitteln, die der Wind in alle Himmelsrichtungen zerstreut hatte. Der größte Schaden war, dass sich Rusky, der Anführer und Schütze seiner Mannschaft, den Arm gebrochen hatte, als seine Feldküche ihn überrollte. Vimy ließ ihn in einen Gürtel beißen und zog an seiner Hand, um die Fraktur des Unterarms, der zehn Zentimeter vor dem Ellbogen im rechten Winkel abstand, wieder zu richten.

McRae dagegen hatte ein Mitglied seiner Mannschaft verloren.

Es wurde ein Loch gegraben, und einer von Ruskys Tierausweidern zimmerte aus den Brettern des zerstörten Planwagens einen Sarg für Ralph zusammen. Man legte seine Sachen zu ihm in die Kiste. McRae musste in seinem Rechnungsbuch nachschauen, wie der Familienname lautete; man schrieb es eilig auf ein Brett, das in den Boden gerammt wurde. Er nahm wie die anderen den Hut ab und sprach ein paar Worte: »Wenn wir eines Tages deiner Familie begegnen, werden wir ihnen erzählen, was geschehen ist. Amen.«

Nach der Beerdigung versammelten sich die Jagdführer im Schatten einer Plane. Sie hatten alle Verluste erlitten, sie waren schon seit zehn Tagen den Bisons auf der Spur, und noch keiner hatte ein Fell erjagt. Sie beschlossen, dass sie diese Wintersaison zusammenarbeiten würden. Sieben Tierausweider, zwei Köche, ein dreizehnjähriger Junge, Erdrichs Neffe, der sich um die Maulesel kümmerte, fünf Planwagen und drei Schützen, die alle besser als die anderen wussten, wo die Büffel waren. Es brauchte eine Weile, bis sie zu einer Entscheidung kamen, welche Richtung sie nehmen sollten. Bob McRae trug den Sieg davon, indem er zuerst verkündete, Rusky verfolge ihn nun schon seit drei Tagen, folglich zähle dessen Meinung nicht. Anschließend sagte er zu Erdrich, einem Texaner mit ausgeprägt deutschem Akzent, die Herde im Süden sei immer noch auf der Suche nach Frischluft, und zwar so weit von Texas entfernt wie nur möglich, dieser Wüste, in der niemand in den Mund eines durstigen Mannes spucken würde. Zweitens würden nördlich des Platte River die Nächte jetzt kühler werden, und die Herden dürften allmählich gen Süden ziehen. Woraus folgte, dass die Büffel nur an einem Ort sein konnten: zwischen dem Platte in Arkansas und dem Brazos in Texas. Und die Mitte läge zwischen dem Smoky Hill River und dem Republican River. Zwei Tagesritte von hier befände sich noch dazu der Rose Creek River, der etwas weiter in den Smoky River münde, und in diesem Stück Paradies sei das Gras für die Bisons so fett, dass McRae selbst davon essen würde. Rusky erklärte, McRae sei ja verrückt, Erdrich sagte, McRae sei ja verrückt, doch dann stellten sie anerkennend fest, er habe wahrscheinlich recht.

Sie ließen das Grab von Ralph hinter sich, und während der zweitägigen Reise nach Rose Creek besprachen die drei Jagdführer, wie sie die Erlöse aufteilen würden. Rusky, der die Männer fürs Ausweiden lieferte, aber keine Schützen, machte geltend, er könne jederzeit auf sein Pferd steigen und den Spuren der Büffel folgen, er wäre gewissermaßen ihr Späher, und dadurch würden sie eine verdammte Menge Zeit sparen. Als Schützen wurden Erdrich, McRae und Vimy eingesetzt.

Pete lenkte jetzt anstelle von Ralph das Gespann vor dem Wagen mit der Feldküche.

An dem von McRae angekündigten Tag kamen sie am Rose Creek an. Der Fluss war nicht breiter als vier oder fünf Meter, wurde aber in seinem Lauf gen Norden immer weiter.

Nachdem nun der Tornado vorbei war und sie schon zwei Reisetage hinter sich hatten, wurde die Stimmung am Lagerfeuer wieder entspannter, nur Erdrichs Neffe starb fast vor Angst bei der Vorstellung, die Indianer könnten sie überfallen. Man redete ihm gut zu. Seit dem Massaker von Sand Creek im Jahre ’64 und dem darauffolgenden Krieg gegen die Cheyenne hatte die Lage sich wieder beruhigt. Es gab nur noch ein paar versprengte Gruppen, die niemals ohne guten Grund einen Trupp aus zehn bewaffneten Männern angreifen würden.

Pete saß rauchend abseits und hörte sich die Erzählungen der Begegnungen mit Apachen und Komantschen im Süden und den Sioux, den Arapaho und den Blackfeet im Norden an. Ihren Stimmen konnte man unschwer anhören, wer sich seine Geschichten ausgedacht und wer wirklich Angst gehabt hatte. Vimy setzte sich neben ihn, Pete zeigte mit einer Kopfbewegung auf die Waldläufer, die sich brüsteten, Rothäute erlegt zu haben.

»Stört dich das nicht, mit Kerlen wie denen zusammenzuarbeiten?« Vimy stopfte mit den Fingerspitzen den Tabak in seine Pfeife.

»Wo kommst du her, Billy?«

»Oregon.«

»Woher hast du deine Bildung?«

»Welche Bildung?«

Vimy lächelte.

»Du kannst lesen, abends schreibst du Sachen in dein Heft, du denkst nach, du kannst gut reden, wenn’s drauf ankommt.«

»Das war auf einer Ranch.«

»Nicht auf einer Schule?«

Pete schüttelte den Kopf.

»Auf einer Ranch, auf der ich ein paar Jahre verbracht habe.«

»Warum bist du fortgegangen von dort?«

»Du stellst zu viele Fragen, Vimy.«

Der Mestize erhob sich.

»Bob und ich, wir mögen dich, aber wir haben auch ein Auge auf dich, und diese Kerle da, die du nicht leiden kannst, auf die können wir zählen, das wissen wir.«

Pete versuchte, sich den Ärger nicht anhören zu lassen: »Ich bin nicht hier, um Probleme zu machen.«

»Ich habe den Eindruck, wohin auch immer du gehst, sie folgen dir, Billy.«

Petes Mustang war die Lösung für das Problem von Erdrichs verschwundenem Pferd. Ein Tier, auf das sie alle schon seit einiger Zeit ein Auge geworfen hatten. Den Waldläufern waren amerikanische Pferde eigentlich lieber, aber dieser Mustang war etwas Besonderes, und sie brauchten ihn für Rusky, der die Plains nach Bisons absuchen sollte. Als McRae ihn darauf ansprach, war Pete gerade damit beschäftigt, sein Pferd mit Stroh abzureiben.

»Keiner außer mir reitet auf Reunion.«

»Wir brauchen ein gutes Pferd für den Fährtenleser, du verstehst, was das heißt?«

»Dass ich den Platz von Rusky einnehmen werde.«

»Was?«

»Ohne mich geht der Mustang nirgendwohin.«

»Mein Gott, Billy, du kannst Rusky nicht ersetzen, das ist seine Arbeit. Und was verstehst du schon vom Abfährten?«

»Mitten im Gras eine Bisonherde zu erkennen ist keine schwierige Sache.«

»Wenn es dir ums Geld geht, da finden wir eine Lösung. Wir zahlen dir den Mustang.«

»Hier geht’s um alles oder nichts.«

»Verdammt, wenn du in vier Tagen immer noch keinen Büffel gefunden hast, dann überlässt du Rusky deinen Gaul oder du packst deine Sachen.«