Aralina Trilogie: Aralina und die Schwellenwesen - Franziska Richards - E-Book

Aralina Trilogie: Aralina und die Schwellenwesen E-Book

Franziska Richards

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Beschreibung

Die 15-jährige Aralina Bertram ist eigentlich ein ganz normaler Teenager. Nur manchmal hört sie seltsame Stimmen und spürt, wenn es jemand nicht gut mit ihr meint. Doch daran hat sie sich schon fast gewöhnt. Als ihr jedoch eines Tages ein geheimnisvoller Fremder namens Arton erklärt, dass in ihr das Blut eines Schwellenwesens fließe, beginnt ihre Welt zu wanken. Und als sei das noch nicht verrückt genug, behauptet er auch noch, dass sie über besondere Fähigkeiten verfüge und bittet sie, ihm in eine tief im Felsmassiv verborgene Stadt zu folgen.
Dort allerdings gerät Aralinas Leben komplett aus den Fugen. Die Suche nach ihrer neuen Identität bringt sie und ihre beiden neuen Freunde Mila und Rhodan in große Gefahr. Noch ahnt Aralina nicht, dass das Wohl der Schwellenwesen und der Menschen ganz wesentlich von ihr abhängt und sie am Ende eine Entscheidung treffen muss, die ihr weiteres Leben bestimmen wird.

Franziska Richards lebt mit ihrer Familie in der Nähe von Hannover. Nach ihrem Studium der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften war sie bis 2018 in unterschiedlichen Unternehmen als Personalleiterin und -entwicklerin beschäftigt. Darüber hinaus hat sie als psychologische Beraterin/Coach vorzugsweise mit Jugendlichen gearbeitet. 
In ihrer Freizeit hat sie sich schon immer gern dem Schreiben gewidmet, obwohl ihr Familie und Beruf zunächst nur wenig Zeit dafür ließen. Dann aber war es so weit und der erste Band der Aralina-Reihe fertiggestellt, in dem die spannenden Abenteuer einer einzigartigen Protagonistin ans Licht kamen.

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Franziska Richards

 

 

Aralina Trilogie: Aralina und die Schwellenwesen

 

 

 

Covergestaltung: Constanze Kramer, www.coverboutique.de Bildnachweise:

©Stocksnapper – stock.adobe.com

©sdecoret, ©Onix_Art, ©Early Spring, ©Kamenetskiy Konstantin,

©VALUA VITALY - shutterstock.com

©mirabellart - depositphotos.de unsplash.com

 

© 2022 Europa Buch | Berlin www.europabuch.com | [email protected]

ISBN       9791220123259

Erstausgabe: Mai 2022

Gedruckt für Italien von Rotomail Italia

Finito di stampare presso Rotomail Italia S.p.A. - Vignate (MI)

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Aralina Trilogie:

Aralina und die Schwellenwesen

      

Ich danke meiner Familie und meinen Freunden für die fortwährende Unterstützung. Ihre Ermutigungen und ihr Zuspruch waren mir eine große Hilfe. Ein besonderer

Dank gilt meiner Tochter Lea, die mir stets mit Rat und

Tat zur Seite gestanden hat.      

Der Abschied

„Wie hast du dich entschieden?“

Der hochgewachsene Mann schlug die Kapuze des weiten Umhangs zurück und richtete seinen besorgten Blick auf die zierliche Frau, die ihm den Rücken zugewandt hatte. Insgeheim hoffte er, dass sie ihren Entschluss überdacht hatte und seinen Vorschlag annehmen würde. Der fensterlose Raum, in dem sie sich aufhielten, war nur schwach beleuchtet. Die Wände schienen in den nackten Fels gehauen zu sein, besaßen aber eine fast ebenmäßige Struktur und warfen ein grünliches Licht in das Zimmer. An der Decke befanden sich mehrere Lichtquellen, die aussahen wie freischwebende gelbe Leuchtkugeln. Als spärliches Mobiliar dienten ein großer alter Schreibtisch mit allerlei Utensilien und ein kleiner Tisch mit zwei Stühlen. Ihm gegenüber stand ein prall gefülltes, riesiges Bücherregal, das unter seiner Last fast zusammenzubrechen drohte. Eine dicke Staubschicht zeugte davon, dass diese Bücher offensichtlich nur selten genutzt wurden. „Ich weiß, dass du dir eine andere Antwort gewünscht hast, aber es gibt keinen anderen Weg als den meinen“, antwortete die junge Frau mit fester Stimme und drehte sich langsam zu ihm um.

„Sie werden keine Ruhe geben und irgendwann finden sie mich, ganz gleich, wohin ich gehen werde. Wir wissen beide, was dann geschehen wird. Sie werden mich zwingen, den Aufenthaltsort meiner Tochter preiszugeben, und dann werden sie sie holen und für ihre Zwecke missbrauchen. Den Gedanken daran ertrage ich nicht. Wenn ich hierbleibe, bringe ich euch alle in Gefahr.“ Sie wandte sich wieder von ihm ab, sodass er ihr Gesicht nicht sehen konnte, aber er wusste auch so, dass sie weinte.

„Du willst also auch mir nicht sagen, wo sie ist? Sie wäre hier bei mir sicherer.“

Die schmale Frau mit den langen schwarzen Haaren und den großen grünen Augen schüttelte so energisch den Kopf, dass die Kapuze ihres scharlachroten Umhangs nach hinten fiel.

„Du weißt, wie viele Leben vielleicht von deiner Entscheidung abhängen? Es geht nicht nur um unser Volk, Cantalia. Für die Menschen, zu denen du sie gebracht hast, stellt Mentran ebenso eine Bedrohung dar. Sie wird dort nur kurze Zeit sicher sein. Wenn er sie aufspürt, wird er keine Rücksicht nehmen. Es wird ihn nicht im Mindesten interessieren, wer sie ist, sondern nur, wie sie ihm dienlich sein kann.“

Cantalia nickte unter Tränen.

„Glaubst du, die Entscheidung fällt mir leicht? Mich tröstet allein die Hoffnung, dass ihr noch genügend Zeit bleibt, um in Sicherheit aufzuwachsen, wenn ich fort bin. Sie ist bei guten Leuten. Wenn die Zeit gekommen ist, soll sie selbst wählen, welches Leben sie später einmal führen möchte.“

Der große Mann schüttelte nachdenklich den Kopf. „Wie soll sie ohne Hilfe erkennen, welche Möglichkeiten es für sie gibt? Die Sicherheit, in der du sie wähnst, ist trügerisch, denn es gibt noch eine andere Gefahr. Wenn Aralina über die Kräfte verfügt, die ich bei ihr vermute, und sie nicht lernt, diese zu beherrschen, werden sie sich irgendwann gegen sie richten und sie schließlich vernichten. Wer weiß, wie viele Menschen sie mit ins Verderben reißen wird. Vielleicht spielt das alles aber ohnehin keine Rolle mehr, denn wenn Mentran sie vor mir findet, wird sie keine Wahl mehr haben.“

Es schien ihm Mühe zu bereiten fortzufahren, und Cantalia hasste es einmal mehr, sich gegen ihn aufzulehnen und ihm ihre Entscheidung aufzuzwingen. Weit mehr jedoch belastete sie der Umstand, dass sie ihrem Volk schlimmstenfalls die Zukunft nahm. Ihr war bewusst, wie dringend ihr Vater einen Nachfolger für sich suchte und welche Hoffnung er in ihre Tochter Aralina setzte, seit er das erste Mal ihre Kraft gespürt hatte – lange, bevor sie geboren wurde. Wenn sie jedoch seinem Wunsch, das Kind bei ihm in der Felsenstadt aufwachsen zu lassen, folgen würde, nahm sie ihrer Tochter die Freiheit der eigenen Entscheidung. Nach Artons Auffassung durfte sie ihr diese Wahl gar nicht erst zugestehen, weil das Wohl des Volkes bei ihm immer an erster Stelle stand. Cantalia handelte aber noch aus einem anderen Grund gegen den Willen des Ersten Ältesten. Ihr Kind sollte die Menschen kennen- und verstehen lernen, bevor es später möglicherweise über deren Schicksal bestimmte.

„Bist du dir eigentlich darüber im Klaren, was du von mir verlangst?“, fragte er leise.

„Ja“, flüsterte sie. „Wen soll ich denn sonst darum bitten?“

Artons Blick war wieder auf die hübsche junge Frau gerichtet, aber er schien durch sie hindurchzusehen, als sei sie aus Glas. Seine Gedanken wanderten zurück zu jenem Tag, an dem er am eigenen Leib erfahren hatte, worüber alle anderen nur spekulierten. Es kam ihm so vor, als sei dies erst gestern gewesen, und die Erinnerung daran ließ ihn heute wie damals erschaudern.

Er war blutjung, fast noch ein Kind, und er durfte bis zu diesem Zeitpunkt nie etwas anderes als die Felsenstadt kennenlernen. Seine außergewöhnlichen Fähigkeiten ließen bald jenen auf ihn aufmerksam werden, der fortwährend auf der Suche nach seinesgleichen war, nach einem Schwellenwesen, das über eine herausragende Begabung verfügte, und Arton besaß sie wie kein anderer. Also nahm ihn der Erste Älteste Malaton unter seine Fittiche und bildete ihn aus. Er vermittelte ihm all sein Wissen, das er für seine spätere Aufgabe brauchen würde. Alles, bis auf diese eine Erfahrung, auf die er nicht vorbereitet gewesen war und auf die er sich niemals hätte vorbereiten können. Arton war ein wissbegieriger, ehrgeiziger und disziplinierter Schüler, der das Wissen aufsog, wie andere die Luft zum Atmen. In ihm wohnte eine starke Energie, so stark, dass er Malaton schon bald zu überflügeln drohte. Sobald Arton merkte, dass sein Lehrer ihm unterlegen war, strebte er nach neuen Herausforderungen. Nichts schien ihm unerreichbar. Getrieben von seinem Glauben an die eigene Unfehlbarkeit und fasziniert von dem Wenigen, das Malaton über die Zwischenwelt zu berichten hatte, schlug er alle Warnungen in den Wind und machte sich daran, das ausfindig zu machen, was seit Urzeiten im Dunkeln verborgen lag und nur noch als Legende durch die Klassenräume geisterte. Selbst Malatons Drohung, von Artons Wahl als sein Nachfolger Abstand zu nehmen, sollte er nicht aufhören, sich mit der Angelegenheit zu beschäftigen, hatte diesen nicht davon abgehalten, weiter zu suchen. Er zog sich immer mehr zurück und konzentrierte sich einzig und allein darauf, den Zugang in die Zwischenwelt zu finden und in sie vorzudringen, um das verlorene Wissen zurückzuholen. Als er sein Ziel endlich erreicht und erkannt hatte, worauf er sich einließ, war es fast zu spät.

Diese Welt, in die er eintauchte, war anders als alles, was ihm bisher begegnet war. Sie kannte weder Raum noch Zeit und nahm ihm damit jede Möglichkeit der Orientierung. Seine Kräfte zeigten an diesem Ort kaum Wirkung und er fragte sich, wie er so den Weg zurück in seine eigene Welt finden sollte. Um ihn herum war nichts als pure Energie, eine Energie, die ihm völlig unbekannt war und gegen die er sich nicht zur Wehr setzen konnte. Arton hatte das Gefühl, dass sie in ihn eindrang, um ihn zu einem Teil von sich zu machen. Sie zerrte an seinem Geist und brach seinen Willen, bis er letztlich begann, sich in der unendlichen Vielfalt der Energielinien zu verlieren. Sie schillerten in unterschiedlichen Blautönen und schlängelten sich wild in scheinbar ungeordneten Bahnen durch den unendlichen Raum. Dabei bildeten die einzelnen Linien immer wieder unterschiedliche bunte Muster, von denen ihm das eine oder andere bekannt vorkam, ohne dass er es jedoch einer bestimmten Person oder einem Zweck zuordnen konnte. Kurz bevor sich die Formen auflösten, leuchteten sie noch einmal hell auf, um dann sogleich wieder zu den bläulich schimmernden Fäden zu zerfließen. Wenn er nicht bald ein bekanntes Muster fand, an dem er sich orientieren konnte, würde er aufhören zu existieren. Seine Kräfte zögerten diesen Prozess zwar hinaus, verhindern konnten sie ihn jedoch nicht. Er spürte bereits, wie sein Bewusstsein sich langsam von seinem Körper löste, ohne dass er auch nur das Geringste dagegen tun konnte. Blanke Angst packte ihn, als er sah, dass seine Konturen mit der Umgebung zu verschmelzen begannen.

Dieses Mal war er zu weit gegangen. Bald würde er selbst nur noch einer der vielen Fäden sein, die sich in der Unendlichkeit stets neu verwoben, ohne jemals ein beständiges Muster zu ergeben, das es ihm erlaubte, sein Gefängnis zu verlassen. Was ihm jedoch weitaus größere Qualen bereitete, war die Tatsache, dass er leichtsinnig und verantwortungslos gehandelt hatte, unwürdig, sein Volk anzuführen. Was ihn letztlich rettete, hatte er weder Malatons Lehre noch seiner eigenen Kraft zu verdanken. Es war vielmehr die Tat jenes Wesens, das bereit gewesen war, Leib und Leben zu riskieren, um ihn in letzter Sekunde zurückzuholen. Er wusste bis heute nicht, wem er das zu verdanken hatte, aber das Muster seines unbekannten Retters würde er niemals vergessen. Dafür war es viel zu fremd und ungewöhnlich. Nach diesem Erlebnis hatte er sich geschworen, den Zugang zur Zwischenwelt zu versiegeln, damit sie niemanden mehr in Versuchung führen konnte, sie zu erkunden.

Jetzt sollte ihn seine Vergangenheit einholen. Die Person, an der ihm am meisten lag, verlangte von ihm, sie genau dorthin zu schicken, wo er versagt hatte, an den einzigen Ort, an dem er seine Tochter nicht mehr erreichen würde und von dem er wusste, dass er ihr nur Leid und schließlich das Ende bringen würde. Arton hatte sich von Cantalia abgewandt und versuchte, diese dunklen Gedanken abzuschütteln, denn ihm war bewusst, dass er sie niemals von ihrem Vorhaben abbringen konnte. Sie würde ihren Weg zu Ende gehen, Aralina bei den Menschen aufwachsen lassen und sich auf ewig in die Zwischenwelt verbannen. Dennoch wagte er einen letzten Versuch.

„Unsere Kenntnisse über die Zwischenwelt sind im Laufe der Jahrhunderte verlorengegangen“, sagte er lauter, als er beabsichtigt hatte. „Es gibt nur noch sehr wenig, was wir darüber wissen. Das meiste sind Geschichten und Vermutungen. Vielleicht ist das alles lediglich unserem Wunsch nach Unsterblichkeit entsprungen und...“

„Warum tust du das?“, unterbrach sie ihn. „Es kostet uns nur Zeit und verlängert meine Ungewissheit. Glaubst du nicht, dass ich schon genug gelitten habe?“

Arton drehte sich jetzt wieder zu ihr um. Er wich ihrem Blick nicht aus, obwohl er nur zu genau wusste, worauf sie anspielte, und dass er es war, der ihr dieses Leid zugefügt hatte. Zu seiner Überraschung entnahm er ihren Worten jedoch keinen Vorwurf, sondern lediglich den Wunsch, es endlich hinter sich zu bringen.

„Versteh doch! Ich muss es tun. Und wenn es bedeutet, dass ich in der Zwischenwelt sterben werde, dann soll es so sein. Dich trifft daran keine Schuld!“

Arton umfasste ihre Schultern und erwiderte mit erhobener Stimme, die mit einem Mal einen bedrohlich metallischen Klang annahm: „So leicht lässt sich meine Verantwortung für all das nicht abgeben, wie du wohl sehr gut verstehen kannst!“

Cantalia wich erschrocken vor ihm zurück, doch er schaute sie nur nachdenklich an und schüttelte dann traurig den Kopf.

„Nein, Cantalia“, seufzte er, „ich allein bin verantwortlich für das, was nun geschehen wird. Und was auch immer ich tun werde, es wird niemals das Richtige sein.“ Während er sprach, war sie wieder so nah an ihn herangetreten, dass er ihren Atem spürte.

„Bitte …“

Arton sah sie mit ernster Miene an, aber sein Zorn war längst der Gewissheit gewichen, dass das, was nun kommen würde, unausweichlich war. Im Stillen bewunderte er ihren Entschluss und den Mut, den sie dafür aufbringen musste. Er fühlte ihre Furcht, als wäre es seine eigene, und ihm wurde schmerzlich bewusst, dass er sie bald für immer verlieren würde. Dieser Gedanke war nur schwer zu ertragen. Es gab so vieles, was er ihr noch hatte sagen wollen. Dinge, die er ihr schon zu lange vorenthalten hatte und die sie erfahren musste, bevor sie eine solch schwerwiegende Entscheidung traf. Doch dafür war es jetzt zu spät.

„Also gut. Dann soll es so sein. Folge mir…“

Als sie gegangen waren, huschte eine Gestalt, kaum mehr als ein Schatten, durch den Raum, um kurz darauf mit der Felswand zu verschmelzen.

„Wo hast du dich wieder herumgetrieben?“, herrschte Mentran das Wesen an, das zusammengekauert in einer Ecke des Raumes hockte.

„Für Euch spionieren, Herr. Immer zu Euren Diensten,

Herr, immer zu Euren Diensten.“

Er machte eine unterwürfige Handbewegung und verbeugte sich tief, was merkwürdig aussah, da seine ohnehin etwas nach vorn gebeugte Gestalt auch ohne diese Geste schon den Eindruck erweckte, als würde er jeden Moment das Gleichgewicht verlieren. Sein Gegenüber richtete sich auf, was ihn um einiges größer erscheinen ließ, als er ohnehin schon war, und sah ihn scharf an. „Ich hoffe, du hast etwas Nützliches erfahren!“ „Oh ja, Herr. Natürlich, Herr. Suiman hat Neuigkeiten, die Euch gefallen werden. Gute Neuigkeiten, wichtige Neuigkeiten. Ihr werdet stolz sein auf Suiman.“

Er sah seinen Herrn erwartungsvoll an, ungefähr so, wie ein Hund sein Herrchen ansieht, das ein Leckerli in der Hand hält.

Als dieser ihn nur düster anstarrte und weiter schwieg, fuhr er fort: „Der Oberste schickt die junge Frau weg. Weit weg, wo niemand sie finden kann.“

„Was redest du da für ein wirres Zeug? Welche Frau? Sprich deutlich, du verschwendest meine Zeit!“

Suiman kicherte kaum hörbar in sich hinein. Es schien ihm Spaß zu bereiten, seinen Herrn auf die Folter zu spannen.

„Die Frau, mit der Ihr noch einmal sprechen wollt, Herr, diese Frau. Die hübsche Frau mit den langen, dunklen

Haaren.“

Mentran horchte auf.

„Cantalia? Was meinst du damit, er wird sie wegschicken? Wohin will er sie schicken?“, fragte er ungeduldig. Suiman ließ sich mit seiner Antwort deutlich mehr Zeit, als Mentran lieb war. Erst als dieser sich ihm drohend näherte, gurrte er voller Vorfreude auf die Wirkung, die seine Worte zweifellos auslösen würden: „In die Welt des Lichts, Herr, in die Welt des Lichts.“

Mentran ergriff die Kreatur blitzschnell am Kragen und hob sie scheinbar mühelos in die Höhe.

„Wenn du mich belügst, werde ich dein erbärmliches Leben auslöschen. Hast du das verstanden?“, zischte er. Suiman wusste, wozu der Mann in der Lage war, und er zweifelte keine Sekunde daran, dass er nicht zögern würde, seine Drohung wahrzumachen. In der augenblicklichen Situation hielt er es daher für klüger, seine Haltung nicht allzu deutlich zum Ausdruck zu bringen. „Ob du mich verstanden hast?“, wiederholte der große Mann.

„Suiman würde den Herrn niemals belügen. Der Herr ist sehr mächtig. Suiman weiß das sehr genau. Oh ja, Suiman weiß das.“

„Ich rate dir, das niemals zu vergessen“, knurrte Mentran und ließ ihn dann unsanft zu Boden fallen.

„Geh jetzt und halte weiter deine Augen und Ohren offen. Aber lass dich nicht erwischen!“

Suiman verneigte sich so tief, dass Mentran sein belustigtes Lächeln nicht sehen konnte, und verschwand dann genauso lautlos, wie er erschienen war. Vorher warf er schnell noch einen verstohlenen Blick auf das Objekt seiner Begierde. Die transparente Kugel hatte einen Umfang von ungefähr dreißig Zentimetern und ruhte auf einem kleinen silbrig schimmernden Metallgestell, dessen Höhe Suiman ebenfalls auf etwa dreißig Zentimeter schätzte. Es war reich verziert mit schlangenähnlichen Figuren, deren Köpfe den Ring hielten, in den das runde Gebilde perfekt hineinzupassen schien. Der kleine Spicks wurde magisch angezogen von den blauen Blitzen, die zwischen Gestell und Kugel hin und her zuckten. Um in den Besitz der Shaitana zu gelangen, würde er fast alles wagen. Mentran sah noch einmal nachdenklich zu der Stelle im Felsen, an der Suiman den Raum verlassen hatte, um sich zu vergewissern, dass er auch tatsächlich allein war. Er traute ihm nicht über den Weg, aber mit seiner Fähigkeit, sich wie ein Geist durch massives Gestein zu bewegen, war er ein praktischer Handlanger. Natürlich war er ihm nur deshalb zu Diensten, weil er es auf sein Artefakt abgesehen hatte, und er würde höllisch darauf aufpassen müssen. Mentran setzte sich an seinen Schreibtisch und wandte sich der Kugel zu, deren flackerndes blaues Licht ein unheimliches Leuchten auf sein verbissen dreinschauendes Gesicht warf.

„Du bist also bereit, deine eigene Tochter in die Zwischenwelt zu schicken, damit sie mir ihr Geheimnis nicht offenbaren kann. Aber du hast sie unterschätzt, nicht wahr? Sie hat es auch dir nicht verraten. Sie wird es niemandem sagen. Aber das ist ohne Bedeutung, denn ich werde das Kind auch ohne sie finden, und zwar vor dir. Entweder werden ihre Kräfte sie verraten oder du selbst wirst es tun. Und im Gegensatz zu dir kann ich warten.“ Sein böses Lachen hallte durch den Raum, ein Lachen, das schon vor langer Zeit jede Freundlichkeit und Wärme verloren hatte. Es war der Spiegel seiner Seele, in der eisige Kälte alles andere verdrängt hatte und in der nichts mehr Platz fand, außer dem unbändigen Wunsch nach Rache, so unbarmherzig und unnachsichtig, dass alles andere unwichtig geworden war. Sein Denken und Handeln war einzig und allein darauf ausgerichtet, den verhassten Rivalen zu vernichten. Es würde seine Hand sein, die dieses Werk vollendete, langsam und qualvoll, so wie er gelitten hatte.

 

Fünfzehn Jahre später…

Seltsame Stimmen

Aralina wusste nicht mehr, wann genau es begonnen hatte. Anfangs war es nur ein undeutliches Stimmengewirr gewesen. Dann wurde es deutlicher, sodass sie die Stimmen voneinander unterscheiden konnte. Sie stammten von Frauen und Männern, und sie redeten in einer fremden Sprache, die Aralina nicht zuordnen konnte. Sie schien aus auffällig vielen K’s zu bestehen und hatte einen fast melodischen Klang. Manchmal, wenn sie ihre Mutter zum Wochenmarkt begleitete, hörte sie an dem afrikanischen Stand mit den bunten Mützen und Taschen ganz ähnliche Laute. Sie fragte sich, ob es vielleicht diese Sprache war. Aber warum sollte sie afrikanische Stimmen hören? Das war schlichtweg lächerlich. Außer ihren beiden Freunden Lisa und Tommi hatte sie deshalb keiner Menschenseele davon erzählt, auch nicht ihren Eltern. Nur peinlich, man würde sie für durchgeknallt halten. Und höchstwahrscheinlich stimmte das auch. Welcher normale Mensch hörte schon Stimmen, die er nicht einmal verstand? Damit aber hätte sie sich durchaus arrangieren können, wenn es denn dabei geblieben wäre! Ärgerlich kickte sie mit dem Fuß einen kleinen Stein auf die andere Straßenseite, der zu ihrer Überraschung im Wasser landete. Sie hatte eines der niedrigen Wasserbecken getroffen, die den Eingang des kleinen Parks säumten, zu dem sie unterwegs war. Tief in Gedanken versunken hatte sie gar nicht bemerkt, dass sie ihn bereits erreicht hatte. Er lag am Rande der Stadt und war eigentlich nichts Besonderes. Jetzt am späten Nachmittag war er nur spärlich besucht. Die meisten Mütter hatten sich mit ihren kleinen Kindern schon wieder auf den Heimweg begeben und für die jungen Liebespärchen, die sich abends gern in die lauschigen Ecken verdrückten, war es noch zu früh. Aralina wandte sich nach links und folgte dem weißen Kiesweg bis zum anderen Ende der Grünanlage, wo es einen kleinen Trampelpfad gab. Er lag versteckt hinter stacheligen Hagebuttenbüschen. Wenn man den Durchgang nicht kannte, erschienen sie undurchdringlich. Der Weg führte zu einer kleinen Brücke, die sich über einen schmalen, aber tiefen Bach spannte und auf der anderen Seite in einen Feldweg mündete. Außer dem Landwirt, der ab und zu seine angrenzenden Felder bewirtschaftete, verirrte sich kaum jemand hierher. Die Brücke, oder besser gesagt der kleine Steg, wurde daher nicht gepflegt und hatte seine besten Tage längst hinter sich gelassen. Er war ziemlich morsch und wurde lediglich von den dünnen Holzbohlen zusammengehalten, die Aralina und ihre beiden Freunde früher einmal zur Verstärkung angebracht hatten. Trotzdem war es Aralinas absolutes Lieblingsplätzchen, besonders an einem so schönen Sommertag wie heute. Sie kam oft hierher, wenn sie allein sein und über etwas nachdenken wollte, was in letzter Zeit häufig vorkam.

Wie erwartet, lag ihr Lieblingsplatz verlassen da und wartete nur darauf, von ihr eingenommen zu werden. Sie nahm ihren Rucksack von den Schultern, holte die kleine Decke heraus und breitete sie als weiche Unterlage auf dem Steg aus. Sie liebte es, sich dort auf dem Rücken liegend auszustrecken, am Himmel die Wolken zu beobachten und unter sich das Wasser plätschern zu hören. Aralina betrachtete fasziniert eine große Wolke, die sich langsam von einem Engel mit ausgebreiteten Flügeln in ein Segelschiff verwandelte, um sich dann in immer kleinere Fetzen aufzulösen, bis zum Schluss nichts mehr von ihr übrig war. Die Entspannung wollte sich heute jedoch nicht richtig einstellen und so zog sie ihre blauen Sandaletten aus, krempelte die Jeans hoch und ließ ihre Beine von der Brücke baumeln. Sie reichten nur knapp bis über die Wasseroberfläche, sodass sie sich strecken musste, um sie zu berühren. Das Wasser glitzerte in der Sonne und sie beobachtete die Wolken, die sich darin spiegelten.

„Aralina!“, hörte sie auf einmal eine fremde Frauenstimme flüstern.

Erschrocken zuckte sie zusammen. Dann drehte sie den Kopf, um nachzusehen, wer sie angesprochen hatte. Sie konnte jedoch niemanden entdecken und kam zu dem Schluss, dass sie wohl kurz eingenickt sein musste und geträumt hatte. Ihre Armbanduhr zeigte Viertel nach fünf. Also hatte sie noch ausreichend Zeit zum Chillen. Allerdings döste sie wohl besser wieder im Liegen, sonst plumpste sie womöglich ins Wasser. Aralina machte es sich auf ihrer Decke gemütlich und schloss die Augen. Doch so sehr sie sich auch bemühte, ihre innere Rastlosigkeit ließ sie nicht zur Ruhe kommen. Was war heute bloß los mit ihr? Erst schlief sie im Sitzen ein und jetzt konnte sie nicht mal im Liegen abschalten. Sie rollte sich zum Stegrand und sah wieder auf den Bach hinunter. Die Wolken spiegelten sich nun nicht mehr darin, stattdessen war er in einen feinen Nebel gehüllt. Irritiert schaute sie nach oben. Die Sonne strahlte unverändert von einem hellblauen Himmel. Wo also kam dieser Nebel her? Das Ganze kam ihr höchst seltsam vor, aber was war in letzter Zeit schon normal?

„Aralina!“

Da war die Stimme wieder! Sie schien jetzt weiter entfernt zu sein, sodass sie kaum zu verstehen war. „Du musst gehen. Jetzt gleich.“

Dann war sie fort und mit ihr der Nebel. Aralina fühlte sich etwas benommen und starrte auf das Wasser, das langsam und ruhig unter ihr dahinfloss. Nahm das denn überhaupt kein Ende? Sie war anscheinend endgültig reif für die Klapse. Erst das Geschnatter in ihrem Kopf und jetzt wurde sie schon von unsichtbaren Wesen angesprochen. Mein Gott, wo sollte das noch hinführen? „Hi, Aralina!“, riss eine wohlbekannte Stimme sie aus ihren Gedanken.

„Tommi, hast du mich jetzt erschreckt!“

Er sah sie fragend an, während er sich zu ihr auf die Decke setzte. Tommi war einer ihrer besten Freunde und hieß eigentlich Georg. Das war seiner Meinung nach jedoch kein Name, den ein Junge akzeptieren sollte, und Tommi wäre nicht Tommi, wenn er ihn hingenommen hätte. Ihr Freund konnte äußerst stur sein und so hatte er eines Tages einfach für sich entschieden, dass er von nun an Tommi hieß. Mit der Zeit hatten sich alle daran gewöhnt, sodass sogar seine Eltern Tommis richtigen Namen längst vergessen zu haben schienen.

„Ich habe mir schon gedacht, dass ich dich hier finden würde. Deine Mutter sagte, dass du deinen Rucksack mitgenommen hättest. Ist das Wasser kalt?“

„Versuch’s doch mal!“, forderte Aralina ihn auf.

Tommi zog die knallroten Turnschuhe aus. Da er etwas größer war als sie, erreichten seine Füße problemlos das Wasser. Er zog sie aber umgehend wieder heraus.

„Oh Mann, da holt man sich ja Frostbeulen!“

„Und du willst am Samstag mit ins Schwimmbad kommen?“, fragte Aralina lachend.

Für Tommi entbehrte diese Frage allerdings jeder Logik. „Das ist doch etwas ganz anderes! Das Schwimmbecken ist beheizt und das Wasser hier hat höchstens fünfzehn Grad. Und außerdem ist heute erst Mittwoch. Es soll doch die ganze Woche schön bleiben. Das Wasser wird sich also noch ein bisschen aufwärmen, bevor wir reinspringen.“

Dem war nichts mehr hinzuzufügen. Tommi hatte für alles eine Erklärung und gern das letzte Wort. Im Gegensatz zu Lisa störte Aralina das nicht im Geringsten. Er war ihr recht, so wie er war.

„Was hältst du davon, wenn wir kurz bei Lisa vorbeischauen und sie fragen, ob sie Lust hat, am Samstag mitzukommen?“, wechselte Aralina das Thema. „Na klar! Können wir machen, allerdings bin ich mir nicht sicher, ob sie nicht doch lieber lernen will“, fügte er mit ironischem Unterton hinzu.

Aralina knuffte ihren Freund in die Seite und rollte mit den Augen. Sie schätzte seinen trockenen Humor genauso wie seine Fähigkeit, die Dinge nüchtern und analytisch zu betrachten. Aber das war eben auch genau der Grund, warum sie mit ihm kaum über das Erlebte reden konnte. Er versuchte immer, für alles eine praktische Erklärung zu finden, und Aralina ahnte, dass ihm das dieses Mal nicht gelingen würde. Das wiederum führte gewöhnlich zu langen Diskussionen, auf die sie gerade überhaupt keine Lust hatte.

Nachdem sie ihre Schuhe wieder angezogen hatten, begaben sie sich zusammen auf den Weg zu ihrer Freundin.

 

Ein gefährlicher Ort

Der einsame Wanderer hoch oben auf dem Felsplateau war spät dran. Er musste sich beeilen, damit er es vor Einbruch der Dunkelheit schaffte, sein Lager einzurichten. Nachts herrschten hier selbst im Sommer Temperaturen bis tief unter den Gefrierpunkt. Und so war es für ihn eine Frage des Überlebens, rechtzeitig damit fertig zu werden. Er war ein erfahrener Bergsteiger und keinesfalls leichtsinnig. Trotzdem nahm er sich die Zeit, dieses einzigartige Panorama zumindest einen Moment lang zu genießen. Die Sonne hatte ihre wärmende Kraft längst verloren und schickte sich an, die Welt der sich ankündigenden Dunkelheit zu überlassen. Dann flammte sie noch einmal kurz zwischen zwei Felsgraten auf, bevor sie sich endgültig zurückzog. Fast kam es ihm vor, als wollte sie ihm eine letzte Warnung senden, sich endlich ans Werk zu machen. Der Mann liebte die Einsamkeit hier oben. Außer einem Greifvogel, der hin und wieder seine Runden am Himmel über ihm drehte, herrschte in dieser Bergwelt absolute Stille. In solchen Momenten fühlte er sich eins mit der Natur. Er brauchte die Menschen nicht, nicht mehr. Zuhause wartete niemand auf ihn und den Job hatte er schon vor zwei Jahren an den Nagel gehängt. Ihm genügte wenig zum Leben. Seine einzige Leidenschaft galt den Bergen.

Er lächelte in sich hinein und musterte das Gelände, um einen geeigneten Lagerplatz ausfindig zu machen. Es würde kalt werden heute Nacht und ein bisschen zusätzlicher Schutz konnte nicht schaden. Ein kleiner Felsvorsprung schien ihm für diesen Zweck gut geeignet zu sein. Er holte gerade seine Ausrüstung heraus, als er auf ein leises scharrendes Geräusch aufmerksam wurde, das sich anhörte wie eine Fahrradkette, die im Leerlauf rasselte. Erstaunt wandte er sich um. Zunächst glaubte er, die einsetzende Dämmerung würde ihm einen Streich spielen. Dann aber erkannte er die seltsamen Umrisse einer Gestalt, die von Kopf bis Fuß in einen hellen Umhang gehüllt war. Die Kapuze hatte sie tief ins Gesicht gezogen, sodass es ihm unmöglich war, ihre Gesichtszüge zu erkennen. Die Erscheinung war zwar von eher schmächtiger Figur, maß dafür aber fast zwei Köpfe mehr als er selbst. Bei genauerer Betrachtung schien die Person, oder was immer dieses Ding war, über dem Boden zu schweben. Etwas Vergleichbares war ihm nie zuvor begegnet. „Steh auf und tritt näher!“, forderte ihn die Gestalt mit tiefer männlicher und etwas blechern klingender Stimme auf.

Der verblüffte Wanderer dachte nicht im Traum daran, der Aufforderung Folge zu leisten. Je mehr er sich aber dem Drang zu gehorchen widersetzte, desto größer wurden die Schmerzen in seinem Kopf. Er geriet in Panik, als ihm klar wurde, dass er sich dem Willen der Gestalt irgendwann nicht mehr würde entziehen können, und versuchte, sich verzweifelt dagegen zu wehren. Als der Schmerz unerträglich wurde, wusste er, dass er der Kreatur nichts mehr entgegenzusetzen hatte. Seine Beine bewegten sich wie von allein, bis er nur noch etwa einen Meter von dem Wesen entfernt war. Noch immer vermochte er die Schwärze unter der Kapuze nicht zu durchdringen.

„Es wird leichter für dich sein, wenn du aufhörst, dagegen anzukämpfen. Es gibt nichts, was du tun kannst, Mensch.“

Warum nannte es ihn Mensch? Eine unheilvolle Ahnung ergriff ihn, und Todesangst breitete sich in ihm aus. Jeder

Fluchtversuch war zum Scheitern verurteilt und so tat er das Einzige, was ihm noch möglich war. Er wartete darauf, dass sein Leben wie ein Film an ihm vorüberzog, denn so sollte es doch sein, wenn das Ende nahte. Stattdessen aber sah und fühlte er überhaupt nichts mehr, denn die Gestalt hatte bereits mit ihrem grausamen Werk begonnen. Begierig sog sie das Leben ein, das sich ihr so unerwartet angeboten hatte, und ließ erst wieder von ihm ab, als auch der letzte kleine Rest verbraucht war.

Keratons Bewegungsradius war noch vergleichsweise gering. Er konnte sich nicht allzu lange hier oben aufhalten. So geschah es nicht häufig, dass er auf einen Menschen traf, an dem er sich stärken konnte. Mitleid kannte er nicht. Schon früher, als er noch unter den Lebenden weilte, war ihm jedes Mittel recht gewesen, um sein Ziel zu erreichen. Menschen interessierten ihn ohnehin nicht sonderlich. Bestenfalls waren sie Mittel zum Zweck, um dieser kümmerlichen Existenz, zu der er verdammt war, zu entfliehen.

Zufrieden zog er sich in seine dunkle Welt im Bergesinneren zurück, wo es nichts anderes gab als gequälte Seelen, die in der Gewissheit dahinvegetierten, ihrem Schicksal niemals entrinnen zu können. Er hingegen hatte einen Weg gefunden und wurde zunehmend stärker. Irgendwann würde er kräftig genug sein, um diese hoffnungslose Leere hinter sich zu lassen. Also wartete er auf den nächsten ahnungslosen Wanderer, der sich in seine Nähe wagte.

Als die Sonne am nächsten Morgen aufging, fiel ihr Licht auf einen einsamen Bergsteiger, der mit dem Rücken an einer Felswand lehnte und auf dem Hochplateau zu rasten schien. Sein Gesicht wirkte müde und eingefallen, während sein starrer Blick in die Ferne gerichtet war. Der Eindruck aber täuschte. Der Mann war tot und niemand würde je erfahren, was mit ihm geschehen war.

Onkel Jonas

Aralina saß auf ihrem Bett. Seit gestern Abend hatte sie Hausarrest und langweilte sich zu Tode. Sie schaute auf ihren lustigen Wecker mit den großen Micky-MausOhren, der neben ihr auf dem Nachtschrank stand und demonstrativ laut tickte. Es war erst fünf Uhr nachmittags. Sie überlegte, ob sie es wagen konnte, ihre Mutter zu bitten, das Ende des Hausarrestes vielleicht etwas vorzuziehen, damit sie kurz bei Lisa vorbeischauen konnte. Die war um diese Zeit mit Sicherheit zu Hause, denn heute war Donnerstag, Lisas freier Nachmittag, wie sie es nannte. Und den nutzte sie in der Regel, um gar nichts zu tun. Ihre Freundin verhielt sich wie ein Uhrwerk und verbrachte ihre Tage fast immer auf die gleiche Weise. Unvorhergesehene Situationen oder chaotische Zustände, mit denen Aralina wiederum prima zurechtkam, mochte sie überhaupt nicht.

Wenn Aralina das Zimmer ihrer Freundin betrat, staunte sie jedes Mal aufs Neue. Wie konnte man sich in so einer sterilen Umgebung bloß wohl fühlen? Alles war an seinem Platz und Lisa achtete sorgfältig darauf, dass das so blieb. Das galt vor allem, wenn ihre Freundin zu Besuch war, denn Aralina war in diesem Punkt ebenfalls das genaue Gegenteil. Für sie behinderte Ordnung die Kreativität. Sie fragte sich gerade wieder einmal, wie sie überhaupt hatten Freundinnen werden können. Aber das waren sie nun mal, beste Freundinnen sogar, und in ihrem Fall stimmte das. Mit Lisa konnte man so ziemlich alles besprechen. Sie hörte immer genau zu und brachte die Dinge dann in eine gewisse Systematik, ihre eigene Systematik wohlgemerkt. Aber das war für Aralina nicht wichtig. Hauptsache, sie wurde ernst genommen. Und das konnte Lisa wirklich hervorragend.

Aralina streckte sich. Ihre Gedanken wanderten zurück zu ihrer Mutter. Nicht, dass sie sich ungerecht behandelt fühlte. Nein, ganz im Gegenteil, sie verdiente die Strafe durchaus. Schließlich hatte sie sich unmöglich benommen und das ausgerechnet ihrem Onkel Jonas gegenüber. Er war der einzige Bruder ihrer Mutter und lebte seit Jahren in Australien, sodass die Geschwister sich nur selten sahen. Sie wusste, wie sehr ihre Mutter sich auf das Wiedersehen gefreut hatte und konnte verstehen, dass sie dieses Mal besonders sauer war und ihre Tochter nicht einfach so davonkommen lassen wollte.

Aralina schreckte hoch. Jemand hatte leise an ihre Tür geklopft. Als sie nicht sofort antwortete, öffnete ihre Mutter sie vorsichtig.

„Darf ich reinkommen?“, fragte sie.

Aralina nickte und rückte ein Stück zur Seite, um ihr Platz zu machen.

„Dein Vater und ich würden gerne verstehen, warum du so reagiert hast.“

Aralina sah betreten zu Boden.

„Keine Ahnung, das wüsste ich auch gern.“

Das war nicht die ganze Wahrheit, aber Aralina konnte es ihr unmöglich erklären, denn sie verstand ihr Verhalten selbst kaum.

Ihre Mutter sah sie ernst an und nahm sie dann in den Arm.

„Onkel Jonas kommt heute Abend noch einmal vorbei, um mit dir zu reden. Bitte gib dir Mühe und entschuldige dich, ja?“

„Ist er mir noch böse?“

Ihre Mutter schob sie sanft von sich weg, damit sie ihr in die Augen sehen konnte.

„Das war er nie, Aralina. Er ist nur ein wenig traurig, weil er glaubt, es würde an ihm liegen. Er bedauert sehr, dass ihr so wenig Gelegenheiten habt, euch besser kennenzulernen.“

Aralina war es leid, sich ständig für ihr Verhalten entschuldigen zu müssen, aber wenn sie wollte, dass der Hausarrest heute noch beendet wurde, musste sie versöhnliche Worte finden. Und im Prinzip war ihr Onkel ja sehr nett.

„Geht in Ordnung“, sagte sie. „Ich rede heute Abend mit ihm und sage ihm, dass es mir leidtut und dass es nicht an ihm liegt, okay?“

Ihre Mutter nickte. Aralina wollte die Gunst der Stunde nutzen und gerade nach dem Hausarrest fragen, als etwas im Blick ihrer Mutter sie davon abhielt. Es schien ihr fast so, als hätte sie einen Ausdruck der Genugtuung darin erkannt, aber sie musste sich täuschen, denn das passte überhaupt nicht zu ihr. Dann schloss sich auch schon die Zimmertür und die Gelegenheit war verpasst. Mist! Das war’s dann für heute. Aralina stand auf und ging zum Fenster hinüber. Sie blickte auf den Holunderweg hinab, der seinem Namen alle Ehre machte, denn die Straße wurde von zahlreichen Holunderbäumen gesäumt. Früher mussten es wesentlich mehr gewesen sein. Die betagte Frau von gegenüber hatte ihr gestern bestimmt zum tausendsten Mal erzählt, dass die Anwohner damals einen kleinen Wettstreit aus der Holunderbeerenernte gemacht hätten. Jeder hatte der Erste sein wollen, um Saft und Marmelade daraus herzustellen, bevor andere Nachbarn oder Vögel sich daran gütlich taten. Das musste nach Aralinas Einschätzung schon eine ganze Zeit her sein, denn soweit sie zurückdenken konnte, hatte sich niemand mehr die Mühe gemacht, die Beeren zu pflücken.

Vor dem Haus spielten ein paar Kinder und malten mit bunter Kreide Figuren auf die Straße. Sie waren alle um die zehn Jahre alt und Aralina kannte jeden einzelnen mit Namen. Der kleine Dicke hieß Maximilian, aber alle nannten ihn nur Max. Die anderen Kinder mochten ihn nicht besonders, weil er ständig im Mittelpunkt stehen wollte und eine entsprechende Durchsetzungsfähigkeit entwickelt hatte. Er war ein lautes Kind und schreckte vor kleineren Gewalttätigkeiten nicht zurück, weshalb sie ihn wohl oder übel in ihrer Mitte duldeten. Denis war das genaue Gegenteil. Er war sogar ein bisschen älter als Max, aber gut einen halben Kopf kleiner und von schmächtigem Wuchs. Er hatte eine eher zurückhaltende Art, war dafür aber manchmal etwas linkisch und schlug sich meistens auf die Seite des Stärkeren.

Sina hingegen kümmerte es recht wenig, was andere taten oder dachten. Für ihr Alter zeigte sie eine beträchtliche Reife und war das, was man gemeinhin als autark bezeichnete. Das Erstaunliche war, dass sich andere Kinder dafür umso mehr Mühe gaben, mit ihr befreundet zu sein. Aralina war schon häufiger aufgefallen, dass sie sich lieber an ältere Mädchen hielt und es schwierig war, sie wieder loszuwerden. Sie wusste, wovon sie sprach, denn sie selbst hatte es auch schon getroffen.

Aralina kannte auch die dazugehörigen Eltern dieser Kinder. Alle Leute, die hier wohnten, kannten sich. Ein Fremder würde sofort auffallen. Sie erinnerte sich nicht daran, wann das letzte Mal neue Bewohner hergezogen waren. Die Menschen in dieser Straße wurden in der Regel auch hier geboren. Sie wuchsen im Holunderweg auf und wenn es irgend ging, blieben sie später zumindest im Viertel. Ihre Eltern gehörten damals zu den wenigen, die zugezogen waren. Entsprechend argwöhnisch wurden sie in der ersten Zeit beäugt. Ihr Vater hatte ihr einmal erzählt, dass es eine ganze Weile gedauert hatte, bis sie von den anderen akzeptiert worden waren.

Aralinas Mutter hatte sich sofort in das kleine Siedlungshaus verliebt. Er selbst hätte es vorgezogen, näher ins Stadtzentrum und in eine moderne Neubauwohnung zu ziehen. Selbst Jahre später ließ er kaum eine Gelegenheit aus, darauf hinzuweisen, wie lange es gedauert hatte, ihn von dem Haus zu überzeugen, und dass sie ein halbes Vermögen investieren mussten, um es so herzurichten, wie es heute war. Aralina glaubte aber, dass er sich mittlerweile an sein Zuhause gewöhnt hatte und dass es ihm jetzt sogar gefiel, seine Nachbarn zu kennen und mit ihnen ein Pläuschchen zu halten, wenn er das Haus verließ.

Auch Aralina war hier aufgewachsen und kannte nichts anderes. Aber im Gegensatz zu ihren Eltern, denen die Nähe zu anderen Menschen offensichtlich Sicherheit gab, hielt sie sich selbst immer lieber erst einmal auf Abstand. Sie war ohnehin nicht das, was man als gesellig bezeichnete. Sie zog wenige echte Freunde einem großen Bekanntenkreis vor. Das war schon immer so und in letzter Zeit hatte sich das weiter verstärkt. Sie wusste, dass ihrer Mutter dies Sorge bereitete. Ihr Vater schob es auf die Pubertät, wie fast alles, was ihm an ihr Rätsel aufgab. Aralina kam damit zurecht, denn so musste sie sich nicht ständig für ihr Verhalten rechtfertigen. Pubertät eben! Sie machte es sich auf ihrem Bett bequem, während ihre Gedanken zurück zum Flughafen wanderten, wo sie auf ihren Onkel gewartet hatten. Aralina hatte ihn erst zweimal gesehen und beide Male war sie noch so klein gewesen, dass sie sich kaum an ihn erinnerte. Seitdem hatte sie nur ab und zu mit ihm telefoniert, fand ihn dabei aber immer sympathisch. Außerdem vergaß er nie ihren Geburtstag, oder ihr ein Weihnachtsgeschenk zu schicken, was sie ihm hoch anrechnete. Sie war aufgeregt und freute sich darauf, ihn endlich richtig kennenzulernen. Als er dann aber vor ihr stand, war plötzlich alles anders gekommen.

Da kroch sie wieder in ihr hoch, diese Kälte, nur ungleich stärker und intensiver, als sie es je zuvor erlebt hatte. Es raubte ihr den Atem und sie zitterte vor Angst. Aralina kannte dieses Gefühl schon ihr Leben lang. Bereits als kleines Kind wurde sie immer wieder davon heimgesucht. Damals hatte sie sich dann an ihre Mutter geklammert und angefangen zu weinen. Manchmal hörte sie damit gar nicht mehr auf und steigerte sich immer mehr in ihre Panik hinein. Sogar ihre Mutter konnte sie kaum beruhigen. Auf diese Weise hatte sie im zarten Alter von drei Jahren einmal eine Nachbarin vergrault, bei der ihre Mutter zum Kaffee eingeladen war. Nachdem die Frau Aralina hochgehoben hatte, um ihr auf den Stuhl zu helfen, schrie sie so anhaltend und in einer ohrenbetäubenden Lautstärke, dass ihre Mutter sich schon nach kurzer Zeit völlig entnervt mit ihr wieder auf den Heimweg machte. Aralina konnte sich natürlich nicht mehr an den Vorfall erinnern, aber sie mochte jene Nachbarin bis heute nicht besonders. Da Frau Medan sich ihr gegenüber ebenfalls reserviert verhielt, gingen sie sich möglichst aus dem Weg.

Ihre mal mehr mal weniger dramatischen Auftritte wiederholten sich in der darauffolgenden Zeit in unregelmäßigen Abständen. Als Aralina dann mit sechs Jahren scheinbar grundlos ein ganzes Kaufhaus zusammenbrüllte, nachdem ein freundlicher älterer Herr sie angesprochen hatte, beschloss ihre Mutter, dass es jetzt reichte. Sie schleppte Aralina zum Arzt, der zunächst ebenfalls ratlos war und ihr dann kurzerhand den Besuch bei einer Psychologin verordnete.

„So ein Quatsch!“, hatte ihr Vater damals geschimpft.

„Die redet ihr noch ein, dass sie nicht ganz normal ist!“

„Und, verhält sich das Kind etwa normal?“, hatte ihre Mutter gekontert. „Ich glaube nicht. Also, was sollen wir deiner Meinung nach stattdessen tun?“

„Sie ist eben erst sechs und noch dazu ein sehr empfindsamer Mensch. Sie kann die vielen Eindrücke, die täglich auf sie einprasseln, einfach noch nicht verarbeiten. Das regelt sich schon, wenn sie älter wird.“

„Dann beantworte mir bitte zwei Fragen: Erstens, was bitte schön bringt ein sechsjähriges Kind dazu, plötzlich und unerwartet völlig auszurasten, wenn es ganz normalen Menschen begegnet? Und zweitens, wie lange sollen wir noch warten, bis sich das von allein gibt? Aralina kommt im Sommer in die Schule. Ich möchte jedenfalls nicht, dass sie wegen ihres Verhaltens ständig gehänselt und ausgegrenzt wird, das arme Mädchen.“

Die Diskussion endete wie immer. Ihr Vater war einem Streitgespräch mit seiner Frau selten gewachsen und tat letztlich das, was er in solchen Fällen immer zu tun pflegte. Er grummelte irgendetwas Unverständliches vor sich hin und zog sich zurück, in der Hoffnung, dass das Gewitter vorüberzog.

Selbstverständlich hatte ihre Mutter sich damals durchgesetzt und war mit ihr zu einer Psychologin gegangen. Die stellte Aralina endlos viele Fragen, die sie längst wieder vergessen hatte. Am Ende hielt sie jedenfalls in einem Gutachten fest, dass Aralina „über ein hohes Maß an Empathie verfügt und noch Schwierigkeiten hat, ihr eigenes Verhalten entsprechend zu steuern und anzupassen. Besondere Maßnahmen werden derzeit nicht für erforderlich erachtet. Die Entwicklung ist weiter zu beobachten und die Patientin gegebenenfalls erneut vorzustellen.“ „Fachkauderwelsch, aber eigentlich genau das, was ich gesagt habe!“, hatte ihr Vater das Ergebnis mit einer gewissen Genugtuung zusammengefasst.

Damit war die Angelegenheit erst einmal erledigt.

Aralina hatte später selbst herausgefunden, dass dieses Gefühl immer dann aufkam, wenn sie in eine unangenehme Situation zu geraten drohte oder an einen Menschen, der es nicht gut mit ihr meinte. Mit der Zeit gelangte sie zu der Überzeugung, dass ihr persönliches Frühwarnsystem gar nicht so schlecht war. Sie lernte, auf ihre innere Stimme zu hören und sich von den Menschen fernzuhalten, die dieses Gefühl in ihr hervorriefen. Mit zehn Jahren hatte sie sich soweit im Griff, dass ihr in diesen Situationen nichts mehr anzumerken war. Bei Onkel Jonas aber lagen die Dinge völlig anders. Das Gefühl war zwar das gleiche, aber ansonsten war nichts wie immer. Sie hatte bösartige Fratzen gesehen, die sich abwechselnd über sein Gesicht legten, und es in fürchterliche Grimassen verwandelten. Aralina hatte Mühe, ihre Gedanken zu ordnen. Sie stand auf und ging noch einmal zum Fenster. Von den Kindern war nichts mehr zu sehen. Nur ihre farbenfrohen Kunstwerke strahlten in der Abendsonne. Ein großer schwarzer Hund, den Aralina hier bislang noch nie gesehen hatte, schnüffelte an einer der Straßenlaternen. Sie hielt gerade nach seinem Besitzer Ausschau, als das Tier sich in ihre Richtung drehte und zu ihr hochsah.

Merkwürdige Promenadenmischung, dachte Aralina und sah genauer hin.

Doch je angestrengter sie hinsah, umso mehr schienen die Umrisse des Hundes zu verschwimmen. Sie rieb sich die Augen und betrachtete ihn dann erneut. Diesmal war wieder alles in Ordnung. Ein Hund eben, ein seltsam anmutendes Exemplar, aber nur ein Hund. Überall sah sie Gespenster! Aralina ließ die Gardine wieder vor das Fenster gleiten. Der Hund hatte nun seinerseits das Interesse verloren und trottete auf die andere Straßenseite, bevor er um die Ecke verschwand.

Aralina fühlte sich müde. Trotzdem setzte sie sich an ihren Schreibtisch, um ihre Matheaufgaben zu machen. Fast hätte sie es vergessen! Am nächsten Tag war zwar schulfrei, aber sie hasste es, sich am Wochenende mit der Schule zu befassen.

Pünktlich um sieben Uhr erschien Onkel Jonas, um den Abend mit der Familie zu verbringen. Vor allem aber beabsichtigte er, mit Aralina zu sprechen. Als diese nicht zum Abendessen herunterkam, sah ihre Mutter seufzend zur großen Uhr über dem Esstisch.

„Das ist wieder mal typisch. Sie verträumt einfach die Zeit! Ich weiß auch nicht, was in letzter Zeit mit ihr los ist.“

Jonas sah seine Schwester an und lächelte milde.

„Du solltest nicht zu streng mit ihr sein, Eva. Sie ist ein Teenager und heutzutage ist es nicht so einfach, erwachsen zu werden.“

Er gab seiner Schwester einen Kuss auf die Wange.

„Ich gehe mal nach oben und sehe nach ihr, okay?“

„Tu das. Mal schauen, was uns jetzt wieder erwartet.“

Aralina hatte ihre Hausaufgaben inzwischen erledigt und es sich auf ihrem Bett gemütlich gemacht. Ihr Onkel war noch nicht da. Bis zum Abendessen konnte sie also entweder ein bisschen dösen oder ihrer Mutter in der Küche helfen. Es kostete sie wenig Überwindung, sich fürs Dösen zu entscheiden. Als das Läuten der Türglocke ertönte, schlief sie bereits. Sie bemerkte nicht, dass ihr Onkel das Zimmer betrat, nachdem er auf sein Klopfen keine Antwort erhalten hatte. Er trat an ihr Bett und betrachtete sie lange mit einem undefinierbaren Ausdruck in seinen Augen, in denen sich gleichzeitig Freude und Feindseligkeit widerspiegelten. Als er die Hand ausstreckte, um Aralinas Gesicht zu berühren, hätte diese ihr statt einer zärtlichen Geste ebenso gut den Tod bringen können. Er sah sich kurz in ihrem Zimmer um und ging dann wieder die Treppe hinunter. Er konnte zu diesem Zeitpunkt nicht ahnen, wie wenig Zeit ihm noch blieb. Andernfalls hätte er den Raum nicht ohne Aralina verlassen.

Der Mann auf der Parkbank

Arton saß an seinem großen, aus massivem Eichenholz bestehenden Schreibtisch, der prachtvoll verziert und mit Füßen in Form von Löwenköpfen ausgestattet war. Er schaute gedankenverloren auf die nicht enden wollenden Reihen von Schülern, die an den Holztischen in der Schülerbibliothek saßen. Sie studierten die vor ihnen ausgebreiteten Bücher, von denen viele mit opulenten gold- und silberfarbenen Einbänden versehen waren. Diese wirkten teilweise arg abgegriffen, sodass die Schrift auf dem Buchdeckel kaum zu entziffern war. Offensichtlich wiesen sie schon ein beträchtliches Alter auf und befanden sich häufig in Gebrauch. Ab und zu erschien ein kleines Licht über den Köpfen der Schüler, das langsam von einem zum anderen schwebte und manchmal unverhofft die Richtung wechselte. Wenn es einen von ihnen bei einem groben Unfug ertappte, leuchtete es hell auf und verweilte so lange über ihm, bis eine Aufsicht erschien, die den Übeltäter dann vor versammelter Mannschaft zurechtwies. Da dies ein überaus peinliches Erlebnis war, auf das niemand besonders scharf war, blieb es alles in allem recht ruhig.

Keiner der Anwesenden nahm Notiz von dem Mann, der sie da so eindringlich in Augenschein nahm. Das war auch nicht weiter verwunderlich, denn selbst, wenn sie ihm direkt ins Gesicht blickten, sähen sie doch nichts anderes als eine weitere wuchtige Bücherwand. Arton befand sich in einem geheimen Raum hinter der Bibliothek, zu dem nur er als Erster Ältester Zutritt hatte. Dieser war zweigeteilt, was auf den ersten Blick jedoch nicht zu erkennen war. Der Büroraum selbst war mit einem prächtigen Schreibtisch und kleineren, reich verzierten Holzschränken ausgestattet. Er war wohnlich eingerichtet und mit einem gemusterten Holzfußboden sowie hübschen, farbenprächtigen Wandteppichen geschmückt. Hinter einem der Wandteppiche, der mit einem fremdartigen Motiv, bestehend aus Schwertern, Schlangen und einem bogenartigen Gebilde versehen war, verbarg sich eine sehr viel größere Kammer. Deren Einrichtung fiel zwar wesentlich karger aus, bot dafür aber einen mindestens ebenso interessanten Anblick. Obwohl sie vollgepfropft war mit fremdartig anmutenden Gegenständen, entbehrte dieses scheinbare Chaos doch nicht einer gewissen Systematik. Diese erschloss sich allerdings nur demjenigen, der wusste, womit er es zu tun hatte. Der Erste Älteste kannte ihre Bedeutung wie niemand sonst. Das Refugium war vor langer Zeit von den Fähigsten seiner Art geschaffen worden und diente dazu, Aufzeichnungen und Instrumente von unschätzbarem Wert sicher zu verwahren. Darunter waren einige Artefakte, deren Bedeutung und Funktion nur er kannte. Irgendwann würde er sie vielleicht brauchen, um das Schlimmste zu verhindern. Arton lächelte bitter. Dieser Moment kam nun vielleicht früher, als er vermutet hatte. Er beschäftigte sich in der letzten Zeit immer häufiger mit der Frage, was geschehen würde, wenn seine Kräfte aufgrund seines Alters schwächer würden und er seinen Aufgaben nicht mehr wie gewohnt gerecht werden könnte. Sein Widersacher saß bereits in den Startlöchern und würde sich diese Gelegenheit sicherlich nicht entgehen lassen. Bisher konnte er niemanden ausfindig machen, der genug Alte Energie in sich trug, um ihm einmal nachzufolgen.

Die Ausbildung dauerte viele Jahre und verlangte nicht nur von dem Kandidaten ein hohes Maß an Kraft und

Ausdauer, zwei Voraussetzungen, die auch ihm selbst nicht ewig zur Verfügung standen. Jahrzehnte hatte er vergebens in die Suche nach dem geeigneten Nachfolger investiert. Die Natur brachte nur etwa alle zweihundertfünfzig Jahre einen Nachkommen hervor, der in der Lage war, die Alte Energie zu bändigen und zu formen. Er selbst hatte diese Zeitspanne bereits um mehr als fünfzig Jahre überschritten. Statistisch gesehen musste es also wieder ein solches Schwellenwesen geben. Da er in der Felsenstadt nicht fündig geworden war, hatte er seine Anstrengungen in den letzten Jahren verstärkt und in der Menschenwelt Ausschau gehalten. Auch wenn seine Suche dort bisher nicht von Erfolg gekrönt war, war es dennoch keine Zeitvergeudung gewesen. Immerhin konnte er zahlreiche Wesen, durch deren Adern zumindest zur Hälfte das Blut seiner Art floss, aufspüren und in die Felsenstadt bringen, wo sie im Erkennen und Entwickeln ihrer Fähigkeiten unterrichtet wurden. Für die Verteidigung der Felsenstadt war das sehr wichtig, denn je zahlreicher sie wurden, umso mehr würden sie den Angreifern entgegenzusetzen haben.

Die Wahrscheinlichkeit, dieses eine Wesen unter denjenigen zu finden, die bei den Menschen lebten, war ohnehin äußerst gering, zumal diese häufig nur zur Hälfte Schwellenwesen waren. Und je länger sie unter menschlichem Einfluss standen, desto schwieriger wurde es für ihn, sie herauszufiltern. Das galt erst recht, wenn die Fähigkeiten schwach ausgeprägt waren oder unterdrückt wurden. Die Verantwortung lastete schwer auf ihm. Wenn er nicht rechtzeitig einen Nachfolger fand, könnte dies das Ende der Freiheit für die ihm anvertrauten Leben und die Menschen bedeuten, wenn nicht sogar Schlimmeres. Er mochte überhaupt nicht darüber nachdenken, was geschehen würde, wenn sich die Alte Energie bei einem von Mentrans Anhängern offenbarte.

Der Erste Älteste vollführte eine kurze Handbewegung. Wo eben noch der Lesesaal zu sehen war, erschien jetzt eine Wand aus großen ebenmäßigen Granitquadern, die ein grünes Licht ausstrahlten.

Nichts unterschied Arton äußerlich von einem Menschen, wenn man von seiner ungewöhnlichen Größe einmal absah. Mit seinen prägnanten Gesichtszügen, der leicht gebogenen Nase und dem mit ersten grauen Strähnen durchzogenen schwarzen Haar, das ihm bis auf die Schultern fiel, war er eine auffällige Erscheinung. Seine aufrechte Haltung strahlte Würde und Entschlossenheit aus.

Artons Hände ballten sich zu Fäusten, als er daran dachte, dass seine Nachfolgerin ihm vor fünfzehn Jahren bereits zum Greifen nah gewesen war. Wann immer ihn seine Suche in die Menschenwelt führte, hielt er stets auch nach Aralina Ausschau. Bisher waren seine Bemühungen jedoch nicht von Erfolg gekrönt. Bisher… Der Erste Älteste erhob sich und trat an den Globus heran, der auf einem hohen Tischchen neben seinem Schreibtisch stand. Er hob die Hände und die schlichte Halterung, an der gerade noch die Achse mit der Weltkugel befestigt war, verwandelte sich in ein etwa zwanzig Zentimeter hohes, kunstvoll gefertigtes Gestell. Es wurde von vier sich mit ihren Flügeln berührenden Drachen gebildet, deren Mäuler Feuer spien. Die Planetenkugel, deren Kontinente in einer seltsamen Anordnung zueinanderstanden, lag nicht auf, sondern schwebte in einer geringen Distanz über ihm. Dazwischen waren grüne Blitze zu sehen, die in unregelmäßigen Abständen und in wechselnder Intensität hin und her zuckten. Dann begannen ihre Umrisse zu verblassen und die gesamte Kugel nahm das gleiche grüne Leuchten an wie die Granitwand. Arton führte seine

Hände näher an sie heran. Nach und nach zog sich die grüne Färbung an ihren Rand zurück. Stattdessen erschien nun das Antlitz eines Mädchens, das Arton schon so oft betrachtet hatte. Es war im Teenageralter, hatte ein schmales Gesicht und wirkte auch sonst eher grazil, obwohl es für sein Alter ungewöhnlich groß gewachsen war. Die dunklen, halblangen und leicht gewellten Haare waren zu einem Zopf gebunden. Sie war gerade damit beschäftigt, eilig ein paar Dinge in ihrem Rucksack zu verstauen.

Er hatte lange gebraucht, um sie aufzuspüren, obwohl ihre Signatur bereits ungewöhnlich deutlich ausgeprägt war. Allerdings schirmte sie ein scheinbar angeborener Schutzmechanismus ab, den Arton zu seiner eigenen Überraschung nicht zu deuten wusste, sodass Aralina selbst für ihn nur schwach wahrnehmbar war. Dieses Mädchen bot in jedem Fall eine interessante und vielversprechende Perspektive. Ob sie jedoch seine lang gehegte Hoffnung erfüllen konnte, blieb abzuwarten. Sein Blick folgte der zierlichen Gestalt, und er lächelte.

Der nächste Tag war ein Samstag, was für Aralina vor allem eines bedeutete, nämlich schulfrei. Außerdem war der Hausarrest beendet, und sie hatte sich mit Tommi und Lisa verabredet, um mit ihnen ins Schwimmbad zu gehen. Gleich nach dem Frühstück lief sie nach oben, um ihren Rucksack zu packen. Wo war bloß wieder die Picknickdecke mit der weichen Polsterung? Sie schaffte es einfach nicht, die Dinge immer am selben Ort aufzubewahren. Unter dem Bett! Beim Aufräumen musste es das letzte Mal schnell gehen und was lag näher, als erst einmal den Stauraum unter dem Bett zu nutzen, zumal wenn man seine Mutter schon die Treppe raufkommen hörte. Sie schob die Tagesdecke beiseite und strahlte. Na also, da war ja das gute Stück. Nachdem sie sie in den Rucksack gestopft hatte, eilte sie die Treppe hinunter. Da fiel ihr ein, dass sie noch ihre Kette mit dem Medaillon trug. Ihre Eltern hatten sie ihr zum fünfzehnten Geburtstag geschenkt und ihr eingebläut, dass sie ja gut darauf aufpassen sollte, da sie ziemlich wertvoll wäre. Sie hatte sich damals ein wenig über das Geschenk gewundert, weil der Anhänger sonderbar und auch nicht wirklich teuer aussah. Sie hatte ihn abends lange angeschaut und versucht, die seltsamen Zeichen darauf zu deuten, wurde jedoch aus den Schwertern, Spiralen und Kreisen nicht wirklich schlau. Irgendwann gab sie es auf und trug ihn eben ihren Eltern zuliebe. Sie rannte noch einmal zurück in ihr Zimmer und legte die Kette in ihre Schreibtischschublade. Sicher war sicher. So würde sie im Schwimmbad jedenfalls nicht verschwinden.

„Bin rechtzeitig wieder da!“, rief sie ihrer Mutter im Vorbeigehen zu und ließ dann wie üblich mit Schwung die Haustür ins Schloss fallen.

Ihre Mutter schüttelte lächelnd den Kopf und wandte sich dann wieder ihrer Hausarbeit zu. Warum hatte sie eigentlich einen Halbtagsjob? Aralina war sowieso kaum noch zu Hause. Sie würde das Thema bei nächster Gelegenheit aufgreifen und ihrem Mann vorschlagen, wieder ganze Tage zu arbeiten. Ihre Tochter brauchte sie nicht mehr ständig, und das Geld konnten sie wunderbar gebrauchen. Dann wäre wieder mal ein größerer Urlaub drin oder sie könnten ihren Bruder in Australien besuchen. Am besten, sie würden beides miteinander verbinden, eine hervorragende Idee!

Aralina begab sich zu dem Spielplatz, dessen Drahtzaun sie von ihrem Zimmer aus sehen konnte, und wo sie sich mit ihren beiden Freunden verabredet hatte. Es versprach, ein heißer Tag zu werden. Wer bereits am Vormittag ins Schwimmbad kam, hatte die besten Aussichten auf einen der bevorzugten Liegeplätze. Die beiden warteten bereits auf sie und Lisa bemerkte sofort, dass mit Aralina etwas anders war als sonst.

„Was ist los, Aralina?“

Sie überlegte einen Moment, ob sie die Geschichte mit ihrem Onkel erzählen sollte. Lisa und Tommi waren die einzigen, mit denen sie überhaupt darüber hätte reden wollen. Sie war sich zwar sicher, dass Lisa wie immer interessiert zuhören würde und eine Gänsehaut bekäme, bevor sie ihre eigene Theorie entwickelte. Tommi aber würde die Zwischenfälle, wie er ihre seltsamen Erlebnisse normalerweise nannte, eher ihrer ausgeprägten Fantasie zuschreiben. Also zog sie es vor, die Sache lieber erst mal für sich zu behalten.

„Alles okay, Leute. Sehen wir lieber zu, dass wir uns einen guten Platz sichern!“

Um diese Zeit war der Spielplatz weitgehend leer. Vereinzelt spielten ein paar kleinere Kinder im Sandkasten, denen es offensichtlich gelungen war, ihre Mütter auf dem Weg zum Einkaufen zu einem Zwischenstopp zu überreden. Auf einer der wenigen Bänke, die intakt und sauber waren, saß ein älterer Herr und schaute den Kindern beim Spielen zu. In der letzten Zeit hatte Aralina ihn schon des Öfteren dort gesehen. Sie fand ihn etwas merkwürdig, obwohl sie gar nicht genau sagen konnte, warum. Lisa schien den gleichen Gedanken zu haben.

Nachdem sie an ihm vorübergegangen waren, fragte sie mit gesenkter Stimme: „Habt ihr auch so ein Gefühl, dass mit dem Mann da irgendwas nicht stimmt?“

„Was soll mit ihm nicht stimmen? Er sitzt da und guckt den Kindern zu. Wahrscheinlich ist ihm langweilig“, antwortete Tommi.

„Ja, schon möglich“, gab Lisa zu, „aber er sitzt da fast jeden Tag und seht euch die komischen Klamotten an.“ Aralina drehte sich zu dem älteren Mann um, der scheinbar in Gedanken versunken weiter die spielenden Kinder betrachtete.

„Oh Mann“, stöhnte Tommi, „wieso müsst ihr Mädels euch immer um alles und jeden kümmern? Er hat halt seinen eigenen Style und auf dem Spielplatz abzuhängen, ist ja wohl auch nicht verboten.“

Für Lisa war die Angelegenheit damit jedoch noch nicht erledigt und sie suchte Unterstützung bei ihrer Freundin. „Nun sag doch auch mal was dazu, Aralina!“

Als diese keine Anstalten machte, sich zu äußern, stupste Lisa sie sanft mit dem Ellenbogen an.

„Hallo, noch an Bord?“

„Äh, was hast du gerade gesagt?“, fragte Aralina. „Ach, ist schon gut. War sowieso nicht so wichtig!“, winkte Lisa resigniert ab.

„Sag ich doch“, fügte Tommi hinzu.

„Warum musst du eigentlich immer das letzte Wort haben?“, fragte Lisa gereizt, aber es war mehr eine Feststellung als eine Frage.

„Na, das scheint ja ein lustiger Tag zu werden!“, bemerkte Tommi.

„Da! Du hast es schon wieder getan!“

Tommi setzte zu einer Antwort an, besann sich dann aber eines Besseren. Schließlich wollte er sich den Tag nicht versauen.

Aralina hatte die ganze Zeit darüber nachgedacht, was ihr an dem Mann so eigenartig vorkam. Sie hatte das Gefühl, dass er sie beobachtete. Aber immer, wenn sie zu ihm hinsah, war sein Gesicht abgewandt. Genau genommen hatte sie noch nie Blickkontakt mit ihm. Warum auch, sie kannten sich nicht. Der Lärm vor der Kasse des Schwimmbads riss sie schließlich aus ihren Gedanken. „Kann mir jemand etwas Geld leihen?“, fragte Tommi kleinlaut. „Ich habe mein Portemonnaie vergessen.“ „Das ist ja mal was ganz Neues“, erwiderte Lisa ironisch und kaufte zwei Eintrittskarten.

Dann suchten sie sich ein freies Plätzchen auf der Liegewiese und verbrachten den Nachmittag damit, abwechselnd faul in der Sonne zu liegen und sich im gut gefüllten Schwimmbecken abzukühlen. Als Lisa auf die Uhr sah, war es später Nachmittag.

„Ach du dickes Ei! Schon halb fünf. Ich muss noch für die Deutscharbeit am Montag lernen.“

„Du hast doch noch den ganzen Sonntag!“, wandte

Aralina ein.

„Eben nicht. Wir fahren morgen ganz früh zu meinen Großeltern und ich habe meiner Mutter versprochen, um fünf zu Hause zu sein. Musst du dich nicht auch noch von deinem Onkel verabschieden? Er fährt doch heute wieder nach Hause.“

„Shit, du hast recht. Tommi, mach hinne!“

„Wieso ich jetzt wieder?“

Hastig packte sie ihre Sachen zusammen.

„Du hast es doch gar nicht nötig zu lernen“, maulte Tommi, aber die beiden Mädchen waren fast fertig, und Lisa drängte ihn ebenfalls, sich zu beeilen.

„Schon gut, schon gut. Ich komm ja.“

Vor dem Spielplatz trennten sich die drei Freunde. Bis auf Tommi hatten es alle eilig, nach Hause zu kommen. Als Aralina in Sichtweite der Parkbänke kam, blieb sie so abrupt stehen, dass die alte Dame, die hinter ihr ging, fast in sie hineingelaufen wäre.

„Pass doch ein bisschen auf!“, zeterte diese.

Aralina murmelte eine kurze Entschuldigung und trat beiseite, um sie vorbeizulassen.

Dann wanderte ihr Blick erneut zur Parkbank. Dort saß der alte Mann schon wieder oder etwa immer noch? Hatte er etwa den ganzen Nachmittag hier zugebracht? Sie überlegte kurz, ob sie umkehren und um den Park herumgehen sollte, verwarf den Gedanken dann aber sofort wieder. Das war lächerlich! Sie marschierte langsam weiter, behielt ihn dabei aber fest im Blick. Als sie sich genau auf seiner Höhe befand, lächelte er und sprach sie mit tiefer und kräftiger Stimme an.

„Guten Tag, Aralina, ich könnte ein bisschen Gesellschaft gebrauchen. Hast du Lust, dich ein wenig mit mir zu unterhalten?“