Arbeiterleben - Alex Gfeller - E-Book

Arbeiterleben E-Book

Alex Gfeller

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Beschreibung

Eine Suite ist ein Divertimento, eine vergnügliche Partie.

Das E-Book Arbeiterleben wird angeboten von BoD - Books on Demand und wurde mit folgenden Begriffen kategorisiert:
suite,Suite in neun Akten,Modernes Management,Gurkensalat,kostenbewusste Neutralität

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Seitenzahl: 91

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Inhaltsverzeichnis

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Die 9 Akte der Suite:

S ie möchten nicht noch einmal jung sein und von vorne beginnen müssen, denn sie empfinden ihr bereits gelebtes und endlich hinter sich gebrachtes Berufs- und Arbeitsleben im Rückblick als eine einzige, lange, nie enden wollende Qual voller unausweichlicher Mißverständnisse, Irrtümer, langwieriger Meinungsverschiedenheiten, unverzeihlicher Fehler, unabsehbarer Unverständlichkeiten, krasser Fehlschlüsse, ewiger Mißhelligkeiten und Mißbildungen, allerdings nie untereinander und die sie gar nicht verdient hätten und die sie deshalb nicht noch einmal erleben möchten, insbesondere nicht die Auseinandersetzungen mit den lokalen Banken, die sie damals in den Ruin getrieben haben, und nur deshalb sind sie heute mit dem erreichten Zustand, also mit dem abgehobenen Rentnerbefinden, mit der angewandten Beschaffenheit ihres Zustandes und mit der erlauchten Bewandtnis ihrer Lage höchst zufrieden.

Sie möchten es wirklich nicht mehr anders haben, denn nicht einmal die körperlichen Gebrechen des Alters empfinden sie vergleichsweise als störend oder hinderlich, denn sie haben eingesehen, dass die körperlichen Beschwernisse im Alter einfach dazu gehören. Mehr noch als das: Sie sind ihnen die ausreichende Bekräftigung und die zutreffende Bestätigung dessen, dass es endlich abwärts geht mit ihnen, dass es „dem Boden zu“ geht, wie hier in Kehrsatz die Landleute sagen, und sie beobachten gespannt den Fortgang, ohne sich jedoch mit medizinischen Problemen herumschlagen zu wollen oder abgeben zu müssen.

Somit haben sie sich längst auf einen angenehmen modus vivendi eingependelt, der ihnen durchaus gelegen kommt; sie lassen sich durch nichts mehr beirren, noch lassen sie sich einschränken und auch nicht mehr irritieren: Sie sind der unmaßgeblichen Ansicht, dass für sie jegliche Beliebigkeit, dazu auch alle Belanglosigkeit der Welt und die ganze Gleichgültigkeit mindestens ebenso welthaltig sind, wie z.B. eine berufliche Verwirrung, eine tödliche Pandemie, eine außergewöhnliche Meteorologie oder ein forscher, illegaler Eroberungskrieg gegen deutlich schwächere Gegner, ja, sie gehen hierin sogar noch weiter: Für sie sind Oberflächlichkeiten oder sog. Indifferenzen, wie auch Inhaltslosigkeiten oder Bedeutungslosigkeiten, mindestens ebenso aussagekräftig wie alle anderen Thematiken dieser Welt auch, also wie Themen, Einsichten, Schlüsse, Einstellungen und Haltungen, von denen man sagt, sie seien ganz besonders wichtig und, vor allem andern, heute von geradezu außerordentlicher Bedeutung, was immer das heißen mag.

Vergessen Sie das, denn das kann man sich gleich abschminken; darin gibt es für sie keine Abstufungen mehr, so dass sie fürbaß erklären können, dass alle erdenklichen Obskuritäten, Phänomene, Strukturen und Kompositionen allesamt eigentlich gleichgewichtig, gleichgewichtet, gleichwertig und gleichbedeutend seien oder aber gleichermaßen bedeutungslos sein können und dass sie für sie somit auch gleich und gleichartig unbedeutend gewichtet sind oder gewichtet werden können. Deshalb scheuen sie auch nicht mehr vor Banalitäten und Platitüden zurück, ganz im Gegenteil: Sie sind ihnen ebenso willkommen oder unwillkommen wie alles andere auch, wenn Sie so wollen, denn sie sind für sie eindeutig genauso aussagekräftig wie jeder so genannte tiefe Einblick ins Weltgeschehen oder in was auch immer und wie jede noch so tiefe Einsicht ins Unabänderliche.

„Scheiß drauf, Alter!“ ermutigen sie sich jeweils gegenseitig aufgeräumt lachend und strahlend, die beiden Rentner Toni und Koni aus Kehrsatz bei Bern, und ergänzen oft ironisch: „Eine reine Lachnummer, Alter!“

Alle so genannten Bedeutungsträger werden somit auf einen Schlag gleichwertig und gleichartig unbedeutend und bedeutungslos und gleichzeitig zu reinen Witzphänomena der Region, was sie en réalité auch sind, Lachnummern der Lokalgeschichte bestenfalls und aufgeblasene Wichte des drögen Tagesgeschehens und der billigen Tagespropaganda dazu, die man gleich wieder vergisst, lauter Banalitäten und Platitüden, also reine Trivialitäten von rein kosmologischer Komik, aber auch kentaurische Spinnereien, kantabrische Fluktuationen, kanarische Philanthropien, kanadische Preziosen, römische Katakomben, keltische Kataloge und traumatische Assoziationen aller Art, sowie bestenfalls merkwürdige Apparenzen und beiläufige Appetenzen am Ende eines weiteren langweiligen Fernsehabends. Vergessen Sie das nicht! Die Fernsehabende prägen mehr als alles andere! Sie bestimmen den Gehalt an Empathie!

Sie gehören für sie deshalb ebenso zu einer durchaus bemerkenswerten Wirklichkeit, wie alle anderen Phänomenologien auch. Somit ist und bleibt jeder Begriff eine Welt für sich, jeder Ausdruck oder eine Erscheinung an sich und jedes Versprechen eine göttliche Beigabe oder willentliche Synthese von angeblichen Unvereinbarkeiten. Was haben sie sich nicht alles überlegt, allein zum Schreiben, zum Beispiel! Was schreiben sie nicht immer wieder mutwillig drauflos, ohne Plan, ohne Struktur, ohne Sinn, ohne Zweck und ohne auch nur eine Sekunde lang zu überlegen! Wie immer versuchen sie mutig, stets nur den Rändern entlang zu schreiben, ohne dabei ins Innere der Reflexionen vordringen zu wollen oder vordringen zu müssen, aus lauter Furcht, unvermittelt völlig daneben zu liegen, ohne sich dabei überhaupt etwas überlegen zu können, ohne auch nur davon ausgehen zu wollen, dass Strukturen und Pläne, aber auch Absichten und Einsichten durchaus dienlich wären.

Dazu kommt ihnen die Lektüre von Robert Walser entgegen, dessen Räuber ihnen ein außerordnentlich deutliches Beispiel für ihre eigene Ausgangslage ist: Seinen letzten Romantext hat Walser nur auf Papierschnipsel in seiner Miniaturhandschrift geschrieben, ohne diesen Text jemals zu erwähnen und ohne ihn jemandem zu zeigen: Er ist erst viele Jahre nach seinem Tod entziffert und publiziert worden. Nur für sich hat er ihn also geschrieben, für niemanden sonst, und das Bemerkenswerte daran ist die künstlerische Freiheit, die er sich dabei genommen hat. Endlich hat er so schreiben können, wie er schon immer schreiben wollte, ohne Rücksicht auf allfällige Leser nehmen zu müssen wie zuvor, und siehe da: Der Roman ist unerwartet einzigartig geworden, unerwartet zeitgemäß und unerwartet aufgeschlossen wie nie zuvor. Dass er sich als Räuber gesehen hat, ist eine andere Abteilung dieser Geschichte, und man darf sich fragen, warum sich Walser als Räuber gesehen hat: Ein Räuber raubt; doch was soll Walser schon geraubt haben? Eindrücke? Bilder? Phänomene? Koloraturen?

Forget it! Der geneigte Foxterrier entledigt sich endlich und endgültig aller überflüssiger Strukturen, Raster oder Gitternetze, d.h. aller sinnlosen Zielvorstellungen, aller zwecklosen Richtungsanweisungen, aller fadenscheinigen Gründe und aller entbehrlichen Grundsätze, denn die Strukturlosigkeit, die Ziellosigkeit, die Richtungslosigkeit und die Grundlosigkeit, zusammen mit der ganzen Grundsatzlosigkeit, sind ihr einziges literarisches Ziel und ihr einziges künsterlisches Konzept, und jeglicher Zweck heiligt deshalb die Mittel, sagen sich die beiden befreundeten, grünen Wellensittiche aus Australien in ihrem goldenen Käfig.

Sie wissen auch, dass sie noch nie so unkonzentriert, doch so unkompliziert gearbeitet haben, und gerade dies sei ihnen durchaus erlaubt. Sie verschreiben sich mit Haut und Haar der Ziellosigkeit, der Sinnlosigkeit und der Zwecklosigkeit, denn die Mittellosigkeit haben sie ja bereits erreicht und errungen und geheilt überstanden, seitdem sie regelmäßig ihre Rente kriegen, die allerletzte Rettung aller Künstler. Doch niemand würde ihnen für ihr gesamtes Schreiben und Malen von 50, 60 oder 70 Jahren auch nur zwanzig Rappen geben, denn sie kennen die abschätzigen Blicke und die geringschätzigen Haltungen gut und genau, die dahinter stecken, ebenso wie das würdelose Anschleimen der Schleimer, das provinzielle Besserwissen der Besserwisser und mäzenatenhafte Getöse der unausweichlichen Aufschneider. Sie erleben sie jeden Tag, sie wissen also, wie hinter ihren Rücken über sie getuschelt und geredet wird; sie wissen um den ätzenden Spott und den höhnischen Hohn, die über sie ein ganzes Leben lang ausgeschüttet worden sind und immer noch ausgeschüttet werden, wenn sie nicht dabei sind, und sie kennen die liederlichen Pappenheimer, die angeblich alles über sie wissen, und zwar alles besser als sie selber, versteht sich, ohne auch nur jemals eine einzige Zeile von ihnen gelesen zu haben oder auch nur ein einziges Bild von ihnen gesehen zu haben.

Sie kennen all diese Vorurteile und Vorverurteilungen bestens; sie kennen mittlerweile längst alle Arten von Aburteilungen, Distanzierungen, Ausreden und Ausgrenzungen von Randständigen, und sie wissen genau, wie viele Hasser und Neider und Arschgeigen ihnen nur noch den baldigen Tod wünschen. Sie können sich also auf niemanden verlassen, denn man hat alles daran gesetzt, sie, Koni Dick und Toni Dünn, als die beiden dorfweit bekannten Dorfschwuchteln der Vergangenheit und der Vergessenheit anheim fallen zu lassen, und zwar nicht ausschließlich aus pipilotischen Gründen; man will sie einfach nicht mehr im Dorfe haben; man will sie nirgendwo mehr haben, in keiner noch so entfernten Ecke des dürren kulturellen Geschehens in Kehrsatz und Umgebung: Man schämt sich ihrer, wie gesagt, man verzichtet also auf sie, denn man entsagt ihnen gerne. Man braucht ihre Anwesenheit nicht; man braucht nicht einmal ihre Abwesenheit. Man ignoriert sie, und man will nicht, dass sie eine Bedeutung haben im Dorf; sie gehören einfach nicht dazu, obschon beide hier geboren sind und hier geblieben sind; sie sind nicht Teil des Dorfgeschehens oder gar des offiziellen und öffentlichen Kultur- und Literaturbetriebes geworden, den es aber in Wirklichkeit längst nicht mehr gibt. Sie sind nie berühmt geworden, so dass man daraus wenigstens einen Vorteil für das Dorf basteln könnte.

Sie haben übrigens noch gar nie dazugehört, zum staatlich tolerierten Kunst- und Kulturgeschehen; man weiß zwar, wie sie heißen und wo sie wohnen und dass es sie gibt, aber man hat sie überall sorgfältig ausgelassen, weggebeamt und wegretouchiert; man hat sie immer wieder gerne übersprungen, man ist von den ausgemusterten Titanen der Literatur und den Abgefackelten der Kunst direkt zu den jungen Hobbykünstlern und vor allem zu den zahlreichen Sonntagsmalerinnen übergegangen, denn die sind völlig harmlos, die tun nicht weh, die tun einem nichts, die wollen nur spielen und, vor allem andern: Die machen bestimmt keinen Ärger, denn die haben noch nie Ärger gemacht, denn die wüßten gar nicht, was das ist.

Man will auch mit der Literatur keinen Ärger haben wie zu Zeiten von völlig unbekannten Schriftstellern, deren Name man in Kehrsatz noch gar nie gehört hat. Alle wollen ihre Friedhofsruhe haben, denn man will sich nicht mit Ansichten von Leuten herumschlagen müssen, die nur stören, die nur provozieren, die das gepflegte, literarische Publikum, das bestenfalls bei Goethe und Thomas Mann Maß genommen hat und dort stehen geblieben ist, nur verärgern, die nichts als Ungemach durch querstehende Anliegen und schief gelagerte Ansichten verbreiten und sich aufspielen, als hätten sie etwas zu sagen oder als hätte sie jemand dazu auserwählt. Man will an der mittlerweile eiskalt gewordenen Kulturfront seine eiskalte Ruhe haben und bewahren, will, dass der Grabenkrieg zum ewigen Stellungskrieg und der Stellungskrieg zum ewigen Vernichtungskrieg wird, in der Hoffnung, dass der ständige Vernichtungskrieg gegen Andersdenkende auch den lästigen Krieg mit der Kunst und mit der Kultur selber vernichten wird.

Kurzum: Die Kultur, oder zumindest ihre Restposten, sollen endlich endgültig vernichtet werden und wieder nur noch das sein, was sie längst geworden sind: gefälliges Beiwerk, flotter Zierat, schöne Dekoration und schmeichelhafte Lobhudelei für alle gewählten und ungewählten Arschlöcher und Schleimscheißer dieser Region und Welt, die zudem nichts kosten soll und nichts kosten darf, denn kritische Geister braucht keiner wirklich, auch nicht Widerspruch oder Einspruch, oh nein, danke! Nur das nicht!

Man bricht definitiv und mit Gewalt mit der Kultur, also willentlich und wissentlich, bricht auch mit dem Wesen der Kultur, bricht auch mit dem Besen der Kultur, selbst mit dem Bestand an spärlicher Kultur bricht man, denn eigentlich, so sagt man sich, braucht niemand Kultur in diesem reichlich zufälligen, opportunistischen Land, das als Prinzip ein