Arbeiterleben - Alex Gfeller - E-Book

Arbeiterleben E-Book

Alex Gfeller

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Beschreibung

Eine Suite ist ein Divertimento, eine vergnügliche Partie.

Das E-Book Arbeiterleben wird angeboten von BoD - Books on Demand und wurde mit folgenden Begriffen kategorisiert:
Gitternetze,Grosswildjagd,Kranwagen,Gurkensalat,Crèmeschnitten

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 86

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Sie möchten nicht noch einmal jung sein und von vorne beginnen müssen, denn sie empfinden ihr bereits gelebtes und endlich hinter sich gebrachtes Berufs- und Arbeitsleben im Rückblick als eine einzige, lange, nie enden wollende Qual voller unausweichlicher Mißverständnisse, Irrtümer, langwieriger Meinungsverschiedenheiten, unverzeihlicher Fehler, unabsehbarer Unverständlichkeiten, krasser Fehlschlüsse, ewiger Mißhelligkeiten und Mißbildungen, allerdings nie untereinander und die sie gar nicht verdient hätten und die sie deshalb nicht noch einmal erleben möchten, insbesondere nicht die Auseinandersetzungen mit den lokalen Banken, die sie damals in den Ruin getrieben haben, und nur deshalb sind sie heute mit dem erreichten Zustand, also mit dem abgehobenen Rentnerbefinden, mit der angewandten Beschaffenheit ihres Zustandes und mit der erlauchten Bewandtnis ihrer Lage höchst zufrieden.

Sie möchten es wirklich nicht mehr anders haben, denn nicht einmal die körperlichen Gebrechen des Alters empfinden sie als störend oder hinderlich, denn sie haben eingesehen, dass die körperlichen Beschwernisse im Alter einfach dazugehören. Mehr noch als das: Sie sind ihnen die ausreichende Bekräftigung und die zutreffende Bestätigung dessen, dass es endlich abwärts geht mit ihnen, dass es „dem Boden zu“ geht, wie hier in Kehrsatz die Landleute sagen, und sie beobachten gespannt den Fortgang, ohne sich jedoch mit medizinischen Problemen herumschlagen zu wollen oder abgeben zu müssen.

Somit haben sie sich längst auf einen angenehmen modus vivendi eingependelt, der ihnen durchaus gelegen kommt; sie lassen sich durch nichts mehr beirren, noch lassen sie sich einschränken, und auch nicht mehr irritieren: Sie sind der unmaßgeblichen Ansicht, dass für sie jegliche Beliebigkeit, dazu auch alle Belanglosigkeit der Welt und die ganze Gleichgültigkeit mindestens ebenso welthaltig sind, wie z.B. eine berufliche Verwirrung, eine tödliche Pandemie, eine außergewöhnliche Meteorologie oder ein forscher, illegaler Eroberungskrieg gegen deutlich schwächere Gegner, ja, sie gehen hierin sogar noch weiter: Für sie sind Oberflächlichkeiten oder sog. Indifferenzen, wie auch Inhaltslosigkeiten oder Bedeutungslosigkeiten mindestens ebenso aussagekräftig wie alle anderen Thematiken dieser Welt auch, also wie Themen, Einsichten, Schlüsse, Einstellungen und Haltungen, von denen man sagt, sie seien ganz besonders wichtig und, vor allem andern, heute von geradezu außerordentlicher Bedeutung.

Vergessen Sie das, denn das kann man sich gleich abschminken; darin gibt es für sie keine Abstufungen mehr, so dass sie fürbaß erklären können, dass alle erdenklichen Obskuritäten, Phänomene, Strukturen und Kompositionen allesamt eigentlich gleichgewichtig, gleichgewichtet, gleichwertig und gleichbedeutend seien oder aber gleichermaßen bedeutungslos sein können und dass sie für sie somit auch gleich und gleichartig unbedeutend gewichtet sind oder werden können. Deshalb scheuen sie auch nicht mehr vor Banalitäten und Platitüden zurück, ganz im Gegenteil: Sie sind ihnen ebenso willkommen oder unwillkommen wie alles andere auch, denn sie sind für sie eindeutig genauso aussagekräftig wie jeder so genannte tiefe Einblick ins Weltgeschehen und jede noch so tiefe Einsicht ins Unabänderliche.

„Scheiß drauf, Alter!“ ermutigen sie sich jeweils gegenseitig aufgeräumt lachend und strahlend, die beiden Rentner Toni und Koni aus Kehrsatz bei Bern, und ergänzen oft: „Eine reine Lachnummer, Alter!“

Alle so genannten Bedeutungsträger werden somit auf einen Schlag gleichwertig und gleichartig unbedeutend und bedeutungslos und gleichzeitig zu reinen Witzphänomena der Region, was sie en réalité auch sind, Lachnummern der Weltgeschichte bestenfalls und aufgeblasene Wichte des drögen Tagesgeschehens und der billigen Tagespropaganda, die man gleich wieder vergisst, lauter Banalitäten und Platitüden, also reine Trivialitäten von kosmologischer Komik, aber auch kentaurische Spinnereien, kantabrische Fluktuationen, kanarische Philanthropien, kanadische Preziosen, römische Katakomben, keltische Kataloge und traumatische Assoziationen aller Art, sowie bestenfalls merkwürdige Apparenzen und beiläufige Appetenzen am Ende eines weiteren langweiligen Fernsehabends. Vergessen Sie das nicht!

Sie gehören für sie ebenso zu einer durchaus bemerkenswerten Wirklichkeit, wie alle anderen Phänomenologien auch. Somit ist und bleibt jeder Begriff eine Welt für sich, jeder Ausdruck eine Erscheinung an sich und jedes Versprechen eine göttliche Beigabe oder willentliche Synthese von angeblichen Unvereinbarkeiten. Was haben sie sich nicht alles überlegt, allein zum Schreiben, zum Beispiel! Was schreiben sie nicht immer wieder mutwillig drauflos, ohne Plan, ohne Struktur, ohne Sinn, ohne Zweck und ohne auch nur eine Sekunde lang zu überlegen! Wie immer versuchen sie mutig, stets den Rändern entlang zu schreiben, ohne dabei ins Innere der Reflexionen vordringen zu wollen oder vordringen zu müssen, aus lauter Furcht, unvermittelt völlig daneben zu liegen und ohne sich dabei überhaupt noch etwas überlegen zu können, ohne auch nur davon ausgehen zu können, dass Strukturen und Pläne, aber auch Absichten und Einsichten durchaus dienlich wären.

Forget it! Der geneigte Foxterrier entledigt sich endlich aller überflüssiger Strukturen, Raster oder Gitternetze, d.h. aller sinnlosen Zielvorstellungen, aller zwecklosen Richtungsweisungen, aller fadenscheinigen Gründe und aller entbehrlichen Grundsätze, denn die Strukturlosigkeit, die Ziellosigkeit, die Richtungslosigkeit und die Grundlosigkeit, zusammen mit der ganzen Grundsatzlosigkeit, sind ihr einziges literarisches Ziel und ihr einziges künsterlisches Konzept, und jeglicher Zweck heiligt die Mittel, sagen sich die beiden befreundeten, grünen Wellensittiche aus Australien in ihrem goldenen Käfig.

Sie wissen auch, dass sie noch nie so unkonzentriert, doch so unkompliziert gearbeitet haben, und gerade dies sei ihnen durchaus erlaubt. Sie verschreiben sich mit Haut und Haar der Ziellosigkeit, der Sinnlosigkeit und der Zwecklosigkeit, denn die Mittellosigkeit haben sie ja bereits erreicht und errungen und geheilt überstanden, seitdem sie regelmäßig ihre Rente kriegen, die letzte Rettung aller Künstler. Doch niemand würde ihnen für ihr gesamtes Schreiben und Malen von 50, 60 oder 70 Jahren auch nur zwanzig Rappen geben, denn sie kennen die abschätzigen Blicke und die geringschätzigen Haltungen gut und genau, die dahinter stecken. Sie erleben sie jeden Tag, sie wissen also, wie hinter ihren Rücken über sie getuschelt und geredet wird; sie wissen um den ätzenden Spott und den höhnischen Hohn, die über sie ein ganzes Leben lang ausgeschüttet worden sind und immer noch ausgeschüttet werden, wenn sie nicht dabei sind, und sie kennen die liederlichen Pappenheimer, die angeblich alles über sie wissen, und zwar alles besser als sie selber, versteht sich, ohne auch nur jemals eine einzige Zeile von ihnen gelesen zu haben oder auch nur ein einziges Bild von ihnen gesehen zu haben.

Sie kennen all diese Vorurteile und Vorverurteilungen bestens; sie kennen mittlerweile alle Arten von Aburteilungen, Distanzierungen, Ausreden und Ausgrenzungen von Randständigen, und sie wissen genau, wie viele Hasser und Neider und Arschgeigen ihnen nur noch den baldigen Tod wünschen. Sie können sich also auf niemanden mehr verlassen, denn man hat alles daran gesetzt, sie, Koni Dick und Toni Dünn als die beiden dorfweit bekannten Dorfschwuchteln, der Vergangenheit und der Vergessenheit anheim fallen zu lassen, und zwar nicht ausschließlich aus pipilotischen Gründen; man will sie einfach nicht mehr im Dorfe haben; man will sie nirgendwo mehr haben, in keiner noch so entfernten Ecke des dürren kulturellen Geschehens.

Man verzichtet also auf sie, denn man entsagt ihnen gerne. Man braucht ihre Anwesenheit nicht; man braucht nicht einmal mehr ihre Abwesenheit. Man ignoriert sie, und man will auch nicht, dass sie eine Bedeutung haben; sie gehören einfach nicht dazu, sind nicht Teil des Dorfgeschehens oder gar des offiziellen und öffentlichen Kultur- und Literaturbetriebes geworden, den es aber in Wirklichkeit längst nicht mehr gibt. Sie haben übrigens noch gar nie dazugehört, zum staatlich tolerierten Kunst- und Kulturgeschehen; man weiß zwar, wie sie heißen und wo sie wohnen und dass es sie gibt, aber man hat sie überall sorgfältig ausgelassen, wegebeamt und wegretouchiert; man hat sie immer wieder gerne übersprungen, man ist von den ausgemusterten Titanen der Literatur und der abgefakkelten der Kunst direkt zu den jungen Hobbykünstlern und vor allem zu den zahlreichen Sonntagsmalerinnen übergegangen, denn die sind völlig harmlos, die tun nicht weh, die tun einem nichts, die wollen nur spielen und, vor allem andern: Die machen bestimmt keinen Ärger, denn die haben noch nie Ärger gemacht, denn die wüßten gar nicht, was das ist.

Man will auch mit der Literatur keinen Ärger mehr haben wie zu Zeiten von völlig unbekannten Schriftstellern, deren Name man in Kehrsatz noch gar nie gehört hat. Alle wollen ihre Friedhofsruhe haben, denn man will sich nicht mehr mit Leuten herumschlagen müssen, die nur stören, die nur provozieren, die das gepflegte, literarische Publikum, das bestenfalls bei Goethe und Thomas Mann Maß genommen hat und dort stehen geblieben ist, nur verärgern, die nichts als Ungemach verbreiten und sich aufspielen, als hätten sie etwas zu sagen oder als hätte sie jemand dazu auserwählt. Man will an der mittlerweile eiskalt gewordenen Kulturfront eiskalte Ruhe haben und bewahren, will, dass der Grabenkrieg zum ewigen Stellungskrieg und der Stellungskrieg zum ewigen Vernichtungskrieg wird, in der Hoffnung, dass der ständige Vernichtungskrieg auch den lästigen Krieg mit der Kunst und mit der Kultur selber vernichten wird.

Kurzum: Die Kultur, oder zumindest ihre Restposten, sollen endlich endgültig vernichtet werden und wieder nur noch das sein, was sie längst geworden sind: gefälliges Beiwerk, flotter Zierat, schöne Dekoration und schmeichelhafte Lobhudelei für alle gewählten und ungewählten Arschlöcher und Schleimscheißer dieser Welt, die zudem nichts kosten soll und nichts kosten darf, denn kritische Geister braucht keiner wirklich, auch nicht Widerspruch oder Einspruch, oh nein, danke!

Man bricht definitiv und mit Gewalt mit der Kultur, also willentlich und wissentlich, bricht auch mit dem Wesen der Kultur, bricht auch mit dem Besen der Kultur, selbst mit dem Bestand an spärlicher Kultur, denn eigentlich braucht niemand Kultur in diesem reichlich zufälligen, opportunistischen Land. Niemand weiß hier, was Kultur überhaupt ist; man weiß nur, dass überall gespart werden muss, wie die Pipilotiker immer wieder eilfertig betonen. Nur in der Waffenindustrie, in den Bankenwelt und in der Landwirtschaft nicht; dort darf es ruhig krachen. Also fällt die Kultur immer gleich als Erstes aus den Budgets raus, und zudem muss Kultur grundsätzlich selbsttragend sein, denn sonst ist es ja gar keine Kultur mehr, auch keine bürgerliche Kultur mehr, weil Kultur grundsätzlich nichts kosten darf. Nur Gratiskultur sei richtige Kultur, sagt man sich erleichtert, also Eigenmitverantwortungsselbstkultur, sowie die Kultur, die bestenfalls kostenlos von außen herangetragen wird: die selbstverantwortliche Eigenerhaltungsselbstkostenkultur, also die eigenverantwortliche Selbstmitverantwortungskultur. Die ist eigentlich immer da und beglückt diejenigen, die davon etwas halten oder zu halten meinen, denn viele glauben tatsächlich, etwas davon zu halten, wissen aber nicht, was. Sie können nicht sagen, ob wirklich was dran ist und ob überhaupt etwas dahinter steckt oder nicht, setzen jedoch voraus, dass allenfalls etwas dahinter stecken könnte, und wenn es nur der meßbare Frankenwert ist.