Arbeitslos, leider geil! - Markus Neumeyer - E-Book

Arbeitslos, leider geil! E-Book

Markus Neumeyer

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Beschreibung

Das Buch in Ihren Händen ist brandgefährlich. Nicht nur, dass es Sie kurzfristig Ihre Arbeit vergessen lässt. Es könnte sein, Sie gehen nach der Lektüre dieses epochalen Werks gar nicht mehr hin. Der Mann, der so unverschämt von diesem Cover grinst, hat es wirklich gewagt. Er hat gekündigt und gibt es ehrlich zu: Arbeitslos sein hat auch viele Vorteile, aber erzählen Sie das nicht unbedingt weiter!

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Max Neumeyer

Arbeitslos, leider geil!

Kündigen und raus aus der Krise

Ein ganz persönliches Tagebuch

Aus dem Deutschen ins Deutsche

von Max Neumeyer

Das Werk, einschließlich aller seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung der Verlage,

Herausgeber und Autor unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen

Systemen.

ungekürzte Ausgabe

Februar 2019

Karina Publishing Vienna

Otto Willmanngasse 4

1100 Wien

[email protected]

© 2018 Max Neumeyer

www.buchteufel.at/Eigene Autoren

Umschlagkonzept: Max Neumeyer

Umschlagbild: www.pixabay.com (Ihr seid super!)

Lektorat: meine Frau und der Autor

ISBN Printausgabe: 978-3-96111-614-0

ISBN E-Book: 9783966107563

Ich widme dieses sehr persönliche Buch meiner Frau, unseren Kindern, meiner restlichen Familie, meinen wunderbaren Freunden, die mein verwirrtes Leben so lebenswert machen, und dem Sozialstaat, der solche krisenbedingten Egotrips erst möglich macht. Und ich kann Euch sagen:

Diese Geschichte ist erst der Anfang.

Danke, dass es Euch gibt!

Vorwort

Dieses (Tage-)Buch ist all jenen Menschen gewidmet die aus beruflichen Gründen mit sich selbst und dem System hadern. Es kann als Ratgeber gelesen werden, auch wenn es keiner ist. Es ist ein Tagebuch, das ich in erster Linie für mich selbst geschrieben habe, um mir lang angestauten Frust von der Seele zu tippen – so ein Buch zu schreiben ist zwar viel Arbeit, aber immer noch billiger als eine Psychotherapie. In zweiter Linie sind die Berichte über meine Zeit als Arbeitsloser für Menschen, die den Mut haben, sich auf neue Ziele zu fokussieren und die hartnäckig daran arbeiten, aus ihrem verhassten Hamsterrad zu entkommen.

Nach einem gruseligen Burnout ging es mir gesundheitlich nicht besonders gut. Ich habe viel zu wenig Sport betrieben, mich ungesund ernährt und für viel zu wenig Geld, viel zu viel gearbeitet. Mit einem Wort, ich stand täglich unter Strom und das hat mich krank gemacht. Als unzufriedener Besitzer einer 7-Tage-Arbeitswoche mit All-in Arbeitsvertrag (alle Überstunden inklusive), kam irgendwann der Punkt, an dem es mir die Kehle zugeschnürt hat, an dem ich einfach nicht mehr konnte, nicht mehr wollte. Jener Punkt, an dem ich auf die oft heilende Wirkung des Fluchens zurückgegriffen habe und mir immer wieder gesagt habe: „Leckt mich doch alle am Arsch!“ (Quotenschimpfwort im Vorwort).

Ich habe gekündigt und beginnend mit dem ersten Tag meiner Arbeitslosigkeit angefangen meine teils zornigen, teils melancholischen, aber immer sehr chaotischen Gedanken niederzuschreiben. Das ist die Geschichte zweier Lebensjahre eines Mannes, der einfach nicht mehr wollte. Die Geschichte eines Bürgers, der mehr vom Leben möchte, als bloß seine Vorgesetzten bei Laune zu halten und eine gute Figur am Reißbrett zu machen. Tatsache ist, wir werden von Beginn an darauf hingetrimmt in einem System zu funktionieren, das immer unpersönlicher, immer unmenschlicher wird. Es zählt das Geld, mehr nicht. Die kommenden Tagebucheinträge sollen aber vor allem ehrlich und unterhaltsam sein. In diesem Sinne halten Sie hier keine reine Streitschrift in den Händen, sondern ein Geschichtenbuch, das nebenbei zum Nachdenken anregen soll.

Ich habe lange überlegt, ob ich dieses Buch, das ich in einer sehr emotionalen Phase geschrieben habe, überhaupt veröffentlichen soll und habe mich erst vier Jahre später dazu entschieden. Seitdem hat sich sehr viel getan und ich plane inzwischen schon eine Fortsetzung. Die Namen und Firmen, die auf den folgenden Seiten auftauchen, sind großteils von mir geändert worden, manche aber auch nicht. Ich habe auch lange nachgedacht, ob ich mir ein Pseudonym zulegen soll und habe zwischen Fen Kollett und Kephen Sting geschwankt. Schließlich habe ich mich dann doch entschieden, meinen echten Namen zu verwenden. Es gibt nichts wofür ich mich schäme (zum Leidwesen meiner Frau).

Viel Spaß beim Wundern, Ärgern und Mitärgern, beim Fremdschämen, Mitleiden und Freuen. Viel Spaß beim Lesen und Lachen, beim Spinnen revolutionärer Gedanken und vielleicht sogar beim Kündigen!

Euer Max Neumeyer

März 2018

P.S.: Wenn es Ihnen gefällt, empfehlen Sie es weiter. Wenn nicht: Schlapfen1 halten!

(Schlapfen, der: österreichische Bezeichnung für einen Hausschuh, auch Pantoffel. Hier: sprichwörtlich als „Halt die Klappe!“ verwendet und ernst gemeint.)

Tag 1

Ohne richtig abzutrocknen habe ich die triefnasse Badehose gerade eben gegen eine trockene Boxershort getauscht. Jetzt sind beide Hosen nass, aber es ist mir scheißegal. Es ist neun Uhr abends und hat immer noch 26 Grad Celsius. Vor rund 15 Minuten sind meine Frau und ich aus Asien zurückgekommen – besser gesagt aus Pan Asia, dem exotischen Restaurant in der Nachbarortschaft. Pan Asia ist ein im letzten Jahr umgebauter Chinese und ein Ort der hemmungslosen Völlerei.

Wer wie ich, beim Gedanken an die Wortkreation „all-you-can-eat“ feuchte Träume bekommt ist dort richtig. Wenn ich ein Buffet umkreise werde ich zum Superhelden. Ich bekomme übermenschliche Kräfte. Meine olfaktorischen Fähigkeiten stellen plötzlich jeden prämierten Drogenhund in den Schatten – all i can smell. Meine Augen wandern suchend über das Teriyaki-Buffet und meine Brille wandert in den Hosensack.

Ich kann wieder sehen wie ein junger Weißkopfadler und lasse die Äpfel in meinen Augen von links nach rechts und rechts nach links rollen (manchmal auch den linken nach rechts und den rechten nach links). Ich schiele über die hilfreichen Piktogramme hinter den appetitlich arrangierten, fleischlichen Gelüsten und erkenne eine Kuh, ein Schwein, ein Huhn, einen Fisch und …verdammt noch mal was ist denn das? Ganz rechts ist ganz eindeutig ein niedliches Känguru abgebildet. Sehr süß. An diesem Punkt kommt in mir unweigerlich der Wunsch auf, wieder einmal Vegetarier zu werden, die einzige Art Arier, die man in einem Land mit einer Geschichte wie Österreich ohne schlechtes Gewissen sein kann. Ich schreibe einen weiteren Punkt auf die Gedankenliste der to do´s, die ich abhaken möchte solange ich arbeitslos bin. Auf dieser Liste steht jetzt:

1. Ein Buch schreiben

2. Vegetarier werden

Dann hole ich mir einen gut gewürzten Saté-Hühnerspieß, ein wenig gebratenen Reis und stelle mir einen Teller mit rohen Meeresfrüchten und undefinierbaren Pilzen zusammen, die ich dem Koch, der mich immer wieder aufs Neue an Bruce Lee erinnert, auf die Theke stelle. Ich wähle die „Sauce des Monats“, lasse mich also quasi überraschen, gehe zurück zu unserem Tisch und genieße meinen ersten Abend in Freiheit. Vor rund vier Stunden habe ich mein persönliches Hamsterrad verlassen und die Türen der Zeitungsredaktion, in der ich so viele tausend Stunden verbracht und ich der ich so viel unnötiges Zeug geschrieben habe, hinter mir ins Schloss fallen lassen.

Plötzlich höre ich es wieder. Erst ganz leise, so als wäre es ganz weit weg. Aber langsam kommt es näher. Das Lied des heutigen Tages stammt von Tom Petty und dröhnt jetzt ganz laut in meinem Kopf. Nach vier, fünf Sekunden kann ich nicht mehr anders: ich beginne die Lippen zu bewegen und singe leise mit: I’m freeeeeeee, …free fallin‘

Vor meinem geistigen Auge sehe ich den jungen Tom Cruise breit lächelnd in einem Cabrio sitzen und über den Highway donnern. Normalerweise mag ich Top-Gun-Tom nicht im Geringsten, aber Scientology hin, Scientology her, heute ist mir der eigenartige Kerl fast sympathisch, denn wie bereits erwähnt:

I’m freeeeeeeee, freeeeeee fallin‘, im positiven Sinn.

Ich hätte beinahe vergessen, dass ich mitten in einem gutbesuchten Lokal stehe, hätte mir nicht die freundliche Kellnerin mit den Mandelaugen auf die Schulter geklopft und mir gesagt: „Übligens, seit del Lenovielung haben wil jetzt auch einen Lauchellaum.“ Ich antworte automatisch mit „sehl supel“, und da wird es mir bewusst: Heute ist der erste Tag meines restlichen Lebens. Vorausgesetzt, es kommt mir nichts dazwischen.

Tag 2

Der gestrige Besuch beim Asiaten meines Vertrauens war eine gute Idee. Mit vollem Magen nur 20 Minuten später in den Pool zu hüpfen war weniger intelligent. Aber auch das war mir egal. Heute ist mein erster arbeitsfreier Samstag. Ich gehe davon aus in den nächsten Tagen verschiedene Phasen des Begreifens zu durchlaufen. Ich werde mir bewusst machen müssen, dass ein weiterer Lebensabschnitt der Vergangenheit angehört. Wir Menschen neigen ja dazu auf jede Lebensveränderung empfindlichst zu reagieren (zum Beispiel mit unappetitlichen Hautausschlägen oder psychotisch angehauchten Anfällen) und wir lieben es, die Veränderungen unseres Daseins in unterschiedlichste Phasen einzuteilen. Bei einer Kündigung ist das nicht anders – vielleicht sogar ganz ähnlich, wie nach der Trennung von einem Menschen, den man erst gemocht, an dem man dann gezweifelt, und den man zuletzt nur mehr verflucht hat.

Sucht man sich durch das outgesourcte Gedächtnis der gesamten Menschheit, dem Internet, findet man nicht nur billige Wochenendreisen in überteuerte Städte, willige Sexpartner mit viel Tagesfreizeit und unglaublich glaubhafte Vorher-Nachher Bilder vom Menschen, die wie ich mit zu großem Bauchumfang kämpfen, sondern auch unzählige Phasenmodelle für Trennungsopfer. Das Vier-Phasenmodell scheint das beliebteste zu sein und wird dem interessierten Netzsurfer auf etlichen Webseiten unter die Nase gerieben. Lassen Sie mich versuchen diese, zugegebenermaßen sinnfreie Unterteilung auf Arbeitnehmer anzuwenden, die, aus welchen Gründen auch immer, zum Arbeitslosengeldbezieher werden.

Phase 1: Schockzustand

BUMM! Die Trennung von einem geliebten Menschen trifft die meisten von uns mitten ins Herz. Besonders wenn man zusammen gewohnt hat, ist plötzlich alles anders. Keine fremden Haare mehr in der Badewanne, keine nächtlichen Anrufe mehr, wenn man gerade stockbesoffen an der Bar lehnt und keine „Nein mein Schatz, mich stört dein morgendlicher Mundgeruch überhaupt nicht“-Lügen. Und falls es im Bett nicht mehr geklappt hat, muss man sich auch beim Onanieren nicht mehr verstecken. Ein ungewohntes Gefühl.

Der Trennungsschock kommt fast immer, egal ob man verlassen wurde oder die Trennung selbst veranlasst hat. Im Berufsleben, und da spreche ich aus Erfahrung, ist das anders. Wird man überraschend gekündigt, oder nennen wir es beim Namen, hinausgeekelt und rausgeworfen, ist der Schock riesig. Man ist aufgelöst und beginnt alsbald an sich und seinen Fähigkeiten zu zweifeln.

„Bin ich wirklich so ein hoffnungsloser Idiot, wie mein Chef mich immer genannt hat?“

„Bin ich selber schuld?“

Vielleicht, …aber das ist jetzt egal. Die Arbeit ist vorbei und die Motivation sich einen neuen Job zu suchen ist vorerst gleich null. Wenn man wirklich ein Idiot ist, wird man das auch am nächsten Arbeitsplatz sein. Klingt hart, ist aber so!

Manch einer kann vielleicht wirklich nichts dafür und wurde von den kindischen Arbeitskollegen gemobbt. Die ersten bösartigen Andeutungen hat man vielleicht noch überhört, die Spucke im Kaffe nicht bemerkt. Erst der Superkleber auf der Klobrille hat einen ersten leisen Verdacht aufkommen lassen. Als man dann aber zum allerersten Mal zum Boss gerufen wurde, der von unserem Drogenproblem und der sexuellen Belästigung in der Werkskantine gehört haben will, ist der Groschen gefallen. Doch dann ist es zu spät. Dann heißt es „bye bye, sicherer Arbeitsplatz“, man packt den Schreibtisch-Kaktus ein, räumt die Schoko-Lade aus und pinkelt noch einmal in den Wasserspender. Jetzt geht es ab nach Hause. Dass man nach Jahren zum ersten Mal wieder richtig frei ist, wird dabei gerne übersehen.

Ganz anders läuft die Sache ab, wenn man selber kündigt, so wie ich es gemacht habe. Der Job, der einem zu Beginn noch große Freude gemacht hat, der einen total ausgefüllt hat, hat sich in der letzten Zeit nämlich sehr verändert. Vielleicht ist die schon längst fällige Gehaltserhöhung ausgeblieben. Kann auch sein, die Arbeitszeit ist von Woche zu Woche mehr geworden oder das neue Computerprogramm treibt einen langsam aber doch in den Wahnsinn. Eines steht fest: So kann es verdammt nochmal nicht weitergehen.

Man schleppt sich jeden Morgen wie ein zweibeiniges Mammut ins Büro, der Kaffee schmeckt nach Katzenklo und die Visagen aus der Chefetage verursachen Brechreiz. Immer öfter muss man an Michael Douglas in Falling down denken und wünscht sich einen Raketenwerfer in die Schreibtischschublade. Plötzlich kann man ihn verstehen, den sympathischen Amokläufer, und denkt immer häufiger über das Unvermeidliche nach: die Kündigung. Mein Tipp an dieser Stelle: folgen Sie ihrem Herzen oder Michael Douglas und machen dem Ganzen ein Ende.

Doch was passiert danach? Wie soll das Leben weitergehen? Und vor allem: Wie viel Arbeitslosengeld bekommt man zugesprochen, wenn einem der Blick auf den Gehaltszettel schon Tränen in die Augen getrieben hat? Auch wenn es Überwindung kostet, kann ich nur empfehlen einen dicken Lackstift in die Hand zu nehmen und einen Schlussstrich zu ziehen. Mit dem Edding in der Hand könnte man in dieser Situation natürlich auch Wörter auf die Türe zum Chefbüro schmieren, für die einem früher der Mund mit Seife ausgewaschen wurde – wenn allerdings noch die geringste Chance besteht eine einvernehmliche Kündigung auszuhandeln würde ich davon aber dringend abraten.

Phase 2: Gefühlschaos

Laut Beziehungsratgebern folgt auf den Schockzustand das totale Chaos der Gefühle und somit die schwierigste Phase im Verlauf der Trennungsverarbeitung. An diesem Punkt realisiert man, dass es vorbei ist, und prompt wird man von einem Gefühlstsunami überrollt. Trauer, Wut, Hoffnung und Hoffnungslosigkeit wechseln einander ab. Nach dem Verlust des Jobs kann es ganz ähnlich laufen und der Kaffee im trauten Heim kann sogar noch übler als die braune Schlacke im Büro schmecken. Psychisch instabilen Menschen empfehle ich in dieser Situation, ihren Gefühlen freien Lauf zu lassen. Lassen Sie es raus und machen Sie sich bewusst, dass diese Phase dazugehört. Öffnen Sie das Fenster und schreien Sie alles raus, besaufen Sie sich und streamen alle Staffeln von Frauentausch oder Emergency Room, aber lassen Sie gefälligst die Finger von Sex and the City. Sie sollen realisieren, dass es noch ärmere Schweine gibt.

Hat man seine Arbeit in den letzten Monaten nur mehr widerwillig herunter gespult, es bei Geschäftsbesprechungen endlich gewagt seine eigene Meinung zu sagen oder saudämlichen Kunden empfohlen sich einer Gehirntransplantation zu unterziehen, ist die Kündigung ein Befreiungsschlag. Das Gefühlschaos wird auch dann nicht ausbleiben, wird sich allerdings ganz anders entwickeln. In diesem Fall werden sich Emotionen wie Glück, Schadenfreude und heftige sexuelle Erregung die Klinke in die Hand geben. In diesem Fall, öffnen Sie am besten das Fenster, schreien Sie alles hinaus, besaufen sich und lachen sich dumm und dämlich über die Vollidioten in Frauentausch.

Phase 3: Neuorientierung

Ist man Neo-Single, so meinen die Beziehungsexperten (die meistens selbst sehr, sehr einsame Menschen sind), kehrt in Phase 3 so langsam unser Lebensmut zurück. Die Momente in denen man nicht mehr an den ehemaligen LAP (Lebensabschnittspartner) denkt, werden immer kürzer. Die Zeit unter Alkohol- und Drogeneinfluss wahrscheinlich auch und man hat Muße sich ganz auf sich selbst zu konzentrieren und neues, unbekanntes Potenzial zu entdecken. Den Blick in den Spiegel sollte man in dieser Phase des Aufbruchs aber unbedingt noch meiden, denn man sieht, wie soll ich sagen, relativ scheiße aus.

Bei frisch entlassenen Berufshäftlingen, also jenen die durch den sprichwörtlichen Tritt in den Allerwertesten in die Arbeitslosigkeit entlassen wurden und die nicht damit gerechnet haben, ist das ganz ähnlich. Hinausgeworfene können endlich wieder aufatmen und sehen zum ersten Mal einen Silberstreif am Horizont (und Silberfischchen im Bad, denn nicht nur die Körperhygiene, auch der Hausputz wurde in der Zeit nach der Kündigung stark vernachlässigt).

Hat man sein Schicksal selber in die Hand genommen und der Firma den Arschtritt verpasst, ist es die Kündigung, die den Blick auf neue Horizonte ermöglicht. Fällt die Türe zum Büro zum allerletzten Mal hinter einem ins Schloss, fällt einem gleichzeitig ein Stein vom Herzen, der in etwa die Größe von Alaska hat. Beschwingten Fußes tänzelt man zum Auto oder in die U-Bahn, summt den Soundtrack von Rocky 4 und fährt mit einem monumentalen Grinser nach Hause und ohne Umschweife direkt in Phase 4.

Phase 4: Neubeginn

Der Name von Phase 4 sagt schon alles. Jetzt geht es ans Eingemachte. Man hat es geschafft die dunklen Wolken der Vergangenheit hinter sich zu lassen – das Gewitter ist vorbei. In dieser Zeit hat man wieder Kraft neue Pläne zu schmieden. Singles müssen sich jetzt überlegen, was sie wollen: neue Haare im Ausguss und unbekannten Mundgeruch am Morgen oder noch ein paar Monate oder gar Jahre mutterseelenallein mit Hamster und Wellensittich verbringen. Auch als Entlassener stellt man sich nun die Frage, ob man sich sofort wieder auf den Arbeitsmarkt werfen soll oder noch ein wenig vom Baum der Freiheit nascht. Keine leichte Frage, schließlich wird man nur allzu schnell als Sozialschmarotzer abgestempelt. Auf der anderen Seite ist Zeit ja bekanntlich Geld – Arbeitslose müssten allesamt also ziemlich reich sein, sofern sie in keinen sinnlosen Kurs gesteckt werden, der lediglich zur Verfälschung der Arbeitslosenstatistik dient. Immerhin trifft man dort jene Zeitgenossen, die man kurz zuvor noch im TV belächelt hat, in Frauentausch oder Wien - Tag und Nacht. Ja, das erweitert das eigene Bewußtsein in etwa so heftig, wie ein Teller voll mit in Scheiben geschnittenem Peyote-Kaktus. Lecker.

Ich habe mich entschieden meine wertvolle Zeit nach der Kündigung zu nutzen. Natürlich werde ich auch den Sommer genießen, mir den Bauch anbrutzeln lassen, frisch gekochte Speisen zubereiten und all jene Bücher lesen, die schon lange auf meinem Nachtkästchen warten, ich möchte ja nicht einrosten. Deshalb habe ich beschlossen, neben der Suche nach einem neuen, besseren Job, eine Liste zu erstellen, die mich daran erinnert, was ich alles gern tun möchte, solange ich die Zeit dazu habe (vorausgesetzt natürlich mein Kontostand sagt dazu „Ja und Amen!“ – die 6-monatige Weltreise fällt also schon mal flach).

Der erste Punkt auf dieser Liste, die ich weiter oben bereits erwähnt habe, ist schon in vollem Gange: Ich schreibe ein Buch. Wenn Sie diese Zeilen jetzt lesen, habe ich es geschafft, wenn nicht, habe ich mich drauf beschränkt meinem Körper eine Überdosis Vitamin D zu gönnen und die Kochbücher unserer Tage auswendig zu lernen. In diesem, sehr wahrscheinlichem Fall, werden Sie es nie erfahren.

Das monumentale Werk, das Sie gerade in den Händen halten, ist mit ziemlicher Sicherheit kein Bestseller und wird auch keiner werden. Es ist das Tagebuch eines 36-jährigen Mannes (Stand 2013), der innerlich noch immer Kind geblieben ist und im vergangenen Jahr feststellen musste, dass Burn-Out keine Erfindung gelangweilter Psychologen ist. Aber dazu komme ich später.

Die Grundidee für „Arbeitslos, leider geil!“ ist es, die Tage meiner Arbeitslosigkeit zu dokumentieren. Sollte ich es tatsächlich schaffen, mich aus der Hängematte aufzuraffen, die Couch samt Playstation hinter mir zu lassen und meinen voluminösen Wanst vor den Computer zu hieven, dann wird es mir gelingen Punkt 1 auf meiner „Liste der Arbeitslosigkeit“ abhaken zu können. Was ich nicht möchte, ist einen Ratgeber für Langzeitarbeitslose zu verfassen. Wer würde sich um meine Unkosten kümmern, würden das alle machen? Ich hoffe Sie verstehen mich richtig und kommen nicht auf die Idee Ihren sicher wunderbaren Arbeitsplatz sausen zu lassen. Arbeit kann so schön sein, wenn man sich bewusst macht, sich und auch anderen Menschen damit etwas Gutes tun zu können. Ich bedanke mich dafür recht herzlich und schicke Ihnen einen dicken, feuchten Schmatz. Ich selbst stehe jetzt quasi wieder am Anfang. Gestern war mein großer Tag und ich habe die Redaktion in der ich drei Jahre lang Lokal-Boulevard schreiben durfte zum letzten Mal betreten. Drei Jahre klingt nicht viel, ist aber eine halbe Ewigkeit.

Als Redaktionsleiter stand ich sieben Tage in der Woche auf Abruf bereit. Es gab keine freien Wochenenden und die Bezahlung erinnerte mich immer an das Filmende von Titanic – ein langsamer Untergang. Besonders gegen Ende hätte ich liebend gern mit Leo getauscht und Apnoe-Tauchen ohne Rückkehr gespielt, ich habe mich aber immer wieder selbst gezwungen, mich in das Hamsterrad zu stellen und meine Runden zu laufen. Erst als mir bewusst wurde, dass die Hamsterkäfigtür die ganze Zeit offen stand, habe ich beschlossen zu kündigen. Hamsterräder sind furchtbar. Auch für Hamster.

Heute ist also mein erster ganzer Tag in Freiheit. Ich habe zwar nicht länger geschlafen als sonst – muss mich wohl erst daran gewöhnen – bin aber mit einem ganz neuen Lebensgefühl in den Tag gestartet. Der Frühstückskaffee war eine Wucht. Danach habe ich mich mit meiner verständnisvollen Frau in den wöchentlichen Samstagseinkauf gestürzt. Ich möchte nicht sagen, dass ich die Parkplatzsuche vor dem gerammelt vollen Supermarkt genossen hätte, aber ich bin diesmal zumindest nicht kurz vor einer Schlägerei mit rücksichtslosen Falschparkern und Gegen-die-Einbahn-Fahrern gestanden. Solche Ausfälle hätten mich schon ein paar Mal fast vor Gericht gebracht. Ich war die Ruhe in Person, der Gandhi der Sonderangebote, wenn man so will. Das Beste daran aber ist der verdammte Druck. Er ist nämlich weg! Ich habe das unangenehme Gefühl, jeden Montag eine Zeitung zu produzieren und damit jedes Gefühl von Wochenend-Entspannung zu vernichten in der Redaktion gelassen. Meine Nachfolgerin hat sich nur bedingt darüber gefreut, das kann ich Ihnen sagen. Endlich wieder daheim, die Einkäufe in den Kühlschrank gestopft, habe ich meinen guten Willen gezeigt und meine Bürgerpflicht getan: Ich habe eine Bewerbung abgeschickt.

Seit ich vor rund vier Monaten beschlossen habe, mir eine neue Berufung zu suchen, habe ich an die 50 Bewerbungen auf den hiesigen Arbeitsmarkt losgelassen, musste aber feststellen, dass meine Arbeitskraft dem exakten Gegenwert einer Facebook-Aktie ein paar Wochen nach Börsengang entspricht, also den sprichwörtlich feuchten Kehricht wert ist. Auf meine Bewerbungen bekam ich rund 50 Prozent unpersönliche Absagen, der Rest hat sich erst gar nicht die Mühe gemacht zu antworten, um mir mitzuteilen, dass ich unwürdig bin. Ein kurzes „Sie sind für uns einfach zu mies“, hätte mir zumindest klar gemacht, wo der verdammte Bartl den vermaledeiten Most herholt. Aber so. Kein Ansporn für meine Motivation und von Mal zu Mal wurden meine Schreiben ruppiger. Schrieb ich erst sowas wie „ich würde mich sehr freuen, Ihrem Unternehmen mein Wissen und meine Kreativität zur Verfügung zu stellen“, hieß es später nur mehr „verdammt noch mal, ich brauche einen Job, also wie sieht’s aus, Alter!“

Inzwischen habe ich aus meinen Fehlern gelernt und sehe die ganze Sache etwas lockerer. Dabei hat mir ein Buch geholfen, das ich nur jedem Leidensgenossen und jeder Leidensgenossin empfehlen kann: „Fuck it! – Loslassen, Entspannen, Glücklich sein“, von John C. Parkin.

In diesem Buch beschreibt Parkin den ultimativen spirituellen Weg und versammelt alle fernöstlichen Weisheiten in einem einzigartigen Konzept. Fuck it!

Diese beiden Wörter sind kein Fluch, sondern eine Lebenseinstellung, die von täglichem Stress, Druck und Ängsten befreit und direkt zur inneren Freiheit führt. Ähnlich einem gepflegten „Scheiße“-Ruf, nachdem man sich die kleine Zehe zum 134 Mal am verhassten Nachtkastl angehaut hat. Ich habe also laut „Fuck it“ gesagt und gleich am ersten Tag gute Freunde eingeladen, um Tag 2 bei 36 Grad im Schatten, mit ein paar alkoholischen Getränken, bei uns am Pool abzuhängen. Jetzt habe ich endlich wieder Zeit, schöne Stunden mit mir wichtigen Menschen zu verbringen. Freunde und Familie sind unser höchstes Gut, schenken Sie sich Zeit mit ihnen (oder suchen Sie sich Menschen, denen Sie gern Zeit schenken würden, Familie kann man sich ja bekanntlich nicht aussuchen).

Tag 3

Für den heutigen Morgen habe ich mit ekelhaften Kopfschmerzen gerechnet. Meine Erwartungen wurden aber enttäuscht. Es geht mir blendend, obwohl es gestern spät geworden ist. Das hat sicher mit meiner neuen Lebenseinstellung zu tun. Die Morde und Totschläge auf den Titelblättern der letzten Jahre, die kindischen Streitereien in den Gemeinderäten und die meist an den Haaren herbeigezogenen PR-Texte für verschiedene Firmen, die kurz vor dem Konkurs stehen, gehören der Vergangenheit an.

Die Politiker sollen sich ruhig weiter gegenseitig an die Gurgel gehen, aber ohne mich. Sie sollen sich dafür einen anderen Ringrichter suchen. Ich habe auch keine Lust Hofberichterstatter zu sein und nichts liegt mir ferner, als die Wünsche so mancher egomanischen Lokalpolitiker zu erfüllen, das sollen Kronen Zeitung und Co. machen.

NEIN! Heute ist der Tag des Herrn und da ich mein eigener bin, werde ich ihn auch genießen. Um zu arbeiten ist es heute ohnehin zu heiß und ich habe vor, unseren Pool einem Dauerbelastungstest zu unterziehen – auch das kann ganz schön stressig sein. Die Hängematte, ein kühles Getränk – beispielsweise Bier vom Fass - und das unglaublich herzerwärmende Lächeln meiner Frau im Sonnenschein. So muss Leben. Der Plan für heute steht also. Es ist Zeit, weiter an meiner Liste zu feilen.

Buch schreiben, passt. Vegetarier werden, mmh, solange man noch im Freien grillen kann, hat dieser Vorsatz nicht die oberste Priorität. Was gibt es sonst noch zu „erledigen“? Ich bin hungrig nach etwas Neuem, möchte mein Bewusstsein erweitern. Soll ich neue Drogen ausprobieren? Meth soll ja grade sehr im Kommen sein. Ich glaube nicht, denn die Gefahr mit schiefem Gesicht und Sabberfäden unterm Kinn unter der nächsten Brücke zu landen ist mir zu hoch.

Arbeitslos zu sein muss nicht zwangsweise heißen die Selbstkontrolle zu verlieren. Und außerdem, wo soll ich unter der Brücke meinen Laptop aufladen, wo meinen Beer-Tender anstecken? Die gewünschte Bewusstseinserweiterung muss also auf anderem Wege stattfinden. Ich könnte Kurse besuchen oder versuchen neue interessante Kontakte zu knüpfen. Es gibt so viele Dinge, die ich noch nicht kenne, so viele Erfahrungen, die ich gerne noch machen würde, bevor ich die selbst gepflanzten Gemüsesorten von unten betrachten werde. Selbst das klingt eigentlich ganz spannend – wenn es nur nicht so endgültig wäre.

Ein weiteres Beispiel wäre der Fitnesstrend ZUMBA. Man bewegt sich rhythmisch zu lateinamerikanischer Musik und hat angeblich Riesenspaß dabei. Erst kürzlich wurde in unserem Ort eine ZUMBA-Gruppe gegründet und meine Frau wurde von unserer liebenswerten Nachbarin gefragt, ob sie mithüpfen möchte. Ich bin mit meinen rund 107 Kilo Lebendgewicht zwar weder beweglich noch rhythmisch (am ehesten noch ein wenig lateinamerikanisch), aber im Sinne der Bewusstseinserweiterung sage ich mir: Da geh ich mit. Warum eigentlich nicht. Hat man wieder Zeit richtig zu leben, wird die Zukunft wieder spannend wie ein Krimi von Dan Brown. Jeder Abend wird zu einem Cliffhanger für den nächsten Tag.

„Und während die Chipsy Kings in voller Lautstärke „Bamboleo bambolea“ sangen und neben ihm motivierte Vorstädterinnen ihre Brüste im Takt hüpfen ließen, knackste er sich beide Fußgelenke an. Was er dann sah, in seinem Schmerzwahn, war schier unglaublich.“

Kapitel aus.

Spannend, oder?

Endlich kann ich wieder aus mir hinausgehen und ich könnte Bäume ausreißen, auch wenn das in Anbetracht des Klimawandels und meiner Kreuzschmerzen nicht gerade die beste Beschäftigungstherapie ist. Vielleicht ereilt mich auch der Ruf der traditionellen Volkshochschulen? Das ist eine wunderbare Errungenschaft. Ich könnte Kurse besuchen, die mich zu einem besseren Mitglied der Gesellschaft machen und mich so vergessen lassen, dass ich auf Kosten der Gemeinschaft lebe.

Beim Durchblättern des Kursangebotes wurde ich ganz kribbelig und hibbelig und bekam Gänsehaut ob der spannenden Weiterbildungsmöglichkeiten. Durch Kurse wie „Abenteuer Filz – Filzen für Anfänger“ oder „Backen macht Spaß – Kleinode aus Sauerteig“ könnte ich mich nicht nur charakterlich weiterentwickeln, sondern Vater Staat vielleicht wieder etwas zurückgeben. Was auch immer!

Ich könnte auch das bunte Weiterbildungsangebot der zahlreichen privaten Anbieter nutzen. Humboldt zum Beispiel. Die bieten Ausbildungen an, von denen noch nie ein Mensch zuvor gehört hat. Erinnern sich noch an die junge Dame, die von einer Sonnenliege in die Kamera hechelt, als hätte sie gerade ihren vierten Schlaganfall gehabt (diese arme Person, in ihrem Alter!) und sagt: „Ich lieg in der Sonne und hol meine Matura nach!“

Wenn die das schafft, dann pack ich es auch, denkt sich Bildungs-Normalverbraucher da doch glatt. Da überlege ich mir fast, die Matura gleich noch ein zweites Mal zu absolvieren. Oder vielleicht doch den Werkmeister? Dann hol ich alle ein. Oder den Kloputzer, den Zähnebürster oder Smartphonedieb? Das Angebot ist so reichhaltig wie ein chinesisches Buffett. Ach was, fuck it. Heute ist Sonntag und jetzt lege ich mich erst einmal mit einem guten Buch in die Sonne.

Tag 4

Wer jetzt glaubt, ich würde den ganzen Tag auf der faulen Haut liegen, irrt gewaltig. Ich bin ein Ein-Mann-Ortsverschönerungsverein und beginne mit dem Verschönern heute im eigenen Garten (ich bezweifle allerdings, dass ich darüber hinaus komme).

Seit rund drei Monaten liegen gefühlte 852 Einzelteile für eine Gartenhütte in unserer Garage und verweigern unserem Auto das gottgegebene Recht auf ein Dach über dem Dach. So kann das nicht weitergehen. Sie müssen wissen, dass ich ein leidenschaftlicher Heimwerker bin. Ich nagle, schraube und plane für mein Leben gern, obwohl ich in den letzten Jahren nicht viel Zeit dazu aufbringen konnte. Leider habe ich zwei rechte Hände, was mich als Linkshänder für die Self-Made-Man-Olympiade disqualifiziert. Habe ich mich allerdings zu einem Projekt entschlossen, kann mich auch eine Gruppe schwer bewaffneter Talibankämpfer nicht mehr davon abhalten.

Selbst im Baumarkt wirke ich dermaßen professionell, dass ich von anderen Kunden immer wieder gefragt werde, in welchem Gang das Objekt ihrer Wünsche zu finden ist, wie man eine Schalsteinmauer aufstellt oder welches Silikon man zum Abdichten von Undichtem verwendet. In diesen Fällen antworte ich immer mit „Im zweiten Gang von links“, „Möglichst senkrecht“ und „das farblich passende“, und ernte Dank, Zuneigung und die, an Lächeln erinnernden Grimassen meiner verzweifelten Leidensgenossen. Ich bin einfach zu stolz, um anderen Heimwerkern meine Unwissenheit einzugestehen, und wer weiß, vielleicht sind die gesuchten Dinge ja wirklich in Gang zwei. Es ist einfach ein schönes Gefühl, wenn man glaubt, helfen zu können, denn auf den Glauben kommt es an.

Hilfe werde ich auch beim Aufbau der Gartenhütte brauchen, den ich für heute geplant habe, deshalb habe ich gleich an meinen ehemaligen Studienkollegen und besten Freund Mäx gedacht. Er wird mir in dieser schwierigen Stunde zur Seite stehen, wird mich davon abhalten, meine Albträume von niemals fertiggestellten Heimwerkerprojekten Wirklichkeit werden zu lassen. Eine Basílica i Temple Expiatori de la Sagrada Família brauche ich nun wirklich nicht im Garten.

Mäx ist ein sogenannter Superkumpel. Ein Exemplar der Gattung Mensch, den jeder Mann zu seinem Freundeskreis zählen sollte. Mäx ist da, wenn man ihn braucht und nicht da, wenn man ihn nicht braucht (wer seine Telefonnummer haben möchte, kann mir über Facebook eine PN schicken).

Kennengelernt habe ich diesen außergewöhnlichen Menschen zu Beginn meines Studiums. Als ich nach der Matura damit fertig war, mir zu überlegen, ob ich studieren möchte oder nicht, war ich bereits etwas älter. Ich warf mich mit spätreifen 29 ins Unigewimmel und musste feststellen, dass ich im Vergleich mit meinen Studienkollegen im ersten Semester ein unglaublich alter Sack war.

Auf der Suche nach einem Lernpartner, der ebenfalls in einer Zeit aufgewachsen ist, in der er es noch keine Smartphones sowie kein Internet gab und in Kaffee das einzige Getränk war, das Flügel verlieh – wir haben ja damals nichts gehabt, quasi – stieß ich auf ihn. Er war das Ying zu meinem Yang, der Dick zu meinem Doof, der Hans zu meiner Wurst. Er war der zweite alte Sack!

Da es unsere Studienkolleginnen und -kollegen auch nach ein paar Semestern nicht geschafft haben uns altersmäßig einzuholen, wuchsen wir zusammen wie siamesische Zwillinge - kurz ASS (Alte Sack-Siamesen). Wir waren der Gegenpol zu einer Masse junger Studierenden, die zwar allesamt jung, fit und gutaussehend waren, von denen aber auch viele das vorgekaute Wissen kritiklos in sich aufgesaugt haben. Wir waren die kritischen Alten, wie Waldorf und Statler, die beiden Opas aus der Muppet-Show. Nur Balkonplatz hatten wir leider keinen.

Jetzt raten Sie einmal, wen ich angerufen habe, als ich eine fachkundige Aufbauhilfe benötigte? Richtig. Mit diesem Kerl an meiner Seite, kann eigentlich nichts schief gehen, schließlich haben wir sogar eine dreitägige Rom-Reise mit Rucksäcken voller Wodka-Orange im praktischen 1,5 Liter Plastikgebinde lebend überstanden. Ja, so macht Kultur Freude, das wussten schon die alten Römer.

Bereits beim Durchlesen der Bauanleitung wurde es sofort ersichtlich: Wenn es zwei studierte Theaterwissenschaftler mit einem Haufen Bretter und einer unzählbaren Menge Schrauben und Nägel zu tun bekommen, kann das Ganze nur zu einem Monsterprojekt mutieren. Egal, Rom wurde auch nicht an einem Tag erbaut.

Nach dieser Erfahrung glaube ich auch zu wissen, woher der Spruch von den Brettern, die die Welt bedeuten, kommt. Nach einem kurzen Brainstorming von rund drei Stunden, samt Erstellen eines Bau-Pitches, eines Storyboards, sowie eines 130-seitigen Work-Drehbuches, dem Abzählen aller Schrauben (mit Unterstützung eines Six-Packs Bier zur Aufrechterhaltung unseres Wasserhaushaltes), stand die Dramaturgie des Aufbaus fest. Wir haben uns aufgrund des Zeitmangels sogar darauf geeinigt, auf eine Generalprobe zu verzichten und gleich mit dem Fundament zu beginnen. Laut Plan sollte die Hütte, inklusive einer einstündigen Gleichenfeier, in drei Stunden fertig sein. In unseren Gesichtern stand die unausgesprochene Hoffnung: Bitte lass es keine Leichenfeier werden. Es war knapp!

Acht Stunden später war das Fundament bis auf eine Kleinigkeit auch schon perfekt. Jene Kleinigkeit einer unbestreitbaren „Schiefität“, wie man es unter selbsternannten Bauprofis nennt, ließ uns allerdings kalt. Nach der Menge des notwendig gewordenen Bieres glichen wir die Schräge des Bodens mit unserem angeschlagenen Gleichgewichtssinn aus. Außerdem war es schlichtweg zu heiß, um sich darüber tiefer gehende Gedanken zu machen und nach mehreren Stunden körperlicher Höchstleistung in der prallen Sonne, reagierten wir höchst professionell mit: „Das setzt sich noch!“

Auch wir mussten uns schleunigst setzen, um nicht umzufallen. Besonders Mäx, mein ritterlicher Baukumpane. Ich war die Sonne aufgrund der intensiven Bestrahlungszeiten der letzten Tage bereits gewöhnt und hätte es, vorausgesetzt ich wäre sportlich, auch ohne Nachwirkungen überlebt, nackt einen Marathon am Werksgelände von Fukushima zu laufen. Mäx hingegen litt beträchtlich. Stadtmensch. Was soll ich sagen, wir in der erbarmungslosen Welt des Wiener Speckgürtels, sind da härter im Nehmen.