Arbeitsrecht II - Wolfgang Hamann - E-Book

Arbeitsrecht II E-Book

Wolfgang Hamann

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Beschreibung

Jetzt noch besser! Das im Studium Erlernte auf den konkreten Klausurfall anzuwenden, fällt nicht immer leicht. Hier setzt das Arbeitsbuch an. Es gibt den Studierenden zahlreiche Prüfungsschemata für die gängigsten Klausurkonstellationen an die Hand und zeigt die Punkte auf, die für die Fallbearbeitung ausschlaggebend sind. Randnummern und optische Hervorhebungen machen die 5. Auflage noch übersichtlicher. Das ABW!R-Erfolgsrezept: • 10 Fälle mit Lösungen • Prüfungsschemata für die gängigsten Klausurkonstellationen • umfangreiche Definitionensammlung informiert über Begriffe in den Prüfungsschemata • "Fallfinder" zeigt klausurrelevante Begriffe in einer Falllösung • NEU: "Coaching-Zone", vertiefende und weiterführende Rechtsprechungs- und Literaturhinweise Topfit im kollektiven Arbeitsrecht! Das ABW!R Arbeitsbuch "Arbeitsrecht II" ist damit sowohl zum Erlernen der richtigen Klausurtechnik als auch für die Nachbearbeitung einzelner Themenkomplexe oder des gesamten Stoffes im Rahmen der Klausurvorbereitung die optimale Studiengrundlage.

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Arbeitsrecht II

Tarifvertragsrecht Betriebsverfassungsrecht Sozialversicherungsrecht

Prof. Dr. Wolfgang Hamann

Universität Duisburg-Essen

Prof. Dr. Christiane Siemes

Frankfurt University of Applied Sciences

Prof. Dr. Axel Kokemoor

Hochschule Fulda

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek | Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.de abrufbar.

5. Auflage, 2016

Print ISBN 978-3-415-05495-0 E-ISBN 978-3-415-05567-4

© 2002 Richard Boorberg Verlag

E-Book-Umsetzung: Datagroup int. SRL, Timisoara

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlages. Dies gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Titelfoto: @ RBV/Thierry RYO – Fotolia

Richard Boorberg Verlag GmbH & Co KG | Scharrstraße 2 | 70563 Stuttgart Stuttgart | München | Hannover | Berlin |Weimar | Dresdenwww.boorberg.de

Inhalt

A. Einleitung

B. Tarifvertragsrecht

I. Bestehen eines wirksamen Tarifvertrags

1. Einführung: Koalitionsfreiheit und Tarifrecht

2. Bestehen eines wirksamen Tarifvertrags in der Fallbearbeitung

a) Einstieg in die Fallbearbeitung

b) Prüfungsablauf

3. Fallbeispiel

II. Anspruch eines Arbeitnehmers aus Tarifvertrag

1. Einführung: Auswirkungen des Tarifvertrags auf das Arbeitsverhältnis

a) Wirkungsweise des Tarifvertrags

b) Bindung an den Tarifvertrag

2. Der Anspruch aus dem Tarifvertrag in der Falllösung

a) Einstieg in die Fallbearbeitung

b) Prüfungsablauf

3. Fallbeispiel

III. Rechtmäßigkeit von Arbeitskämpfen

1. Einführung: Grundlagen des Arbeitskampfrechts

2. Rechtmäßigkeit von Arbeitskämpfen

a) Einstieg in die Fallbearbeitung

b) Prüfungsablauf

3. Fallbeispiel

VI. Rechtsfolgen von Arbeitskämpfen

1. Einführung: Rechtsfolgen rechtmäßiger und rechtswidriger Arbeitskämpfe

a) Rechtmäßiger Arbeitskampf

b) Rechtswidriger Arbeitskampf

2. Schadensersatzansprüche nach § 823 Abs. 1 BGB

a) Einstieg in die Fallbearbeitung

b) Prüfungsablauf

3. Fallbeispiel

C. Betriebsverfassungsrecht

I. Kosten und Sachaufwand des Betriebsrats nach § 40 BetrVG

1. Einführung

2. Einstieg in die Fallbearbeitung

3. Prüfungsabläufe

4. Fallbeispiel

II. Mitbestimmung des Betriebsrats in sozialen Angelegenheiten nach § 87 BetrVG

1. Einführung

a) Überblick

b) Ausübung des Mitbestimmungsrechts

c) Rechtsfolgen der Verletzung von Mitbestimmungsrechten

d) Freiwillige Betriebsvereinbarungen

2. Einstieg in die Fallbearbeitung

3. Prüfungsablauf

4. Fallbeispiele

III. Beteiligung des Betriebsrats in personellen Angelegenheiten nach den §§ 99 bis 101 BetrVG

1. Einführung

2. Einstieg in die Fallbearbeitung

3. Prüfungsabläufe

4. Fallbeispiel

D. Sozialversicherungsrecht

I. Lohn und Gehalt: Meldungen zur Sozialversicherung, Erhebung und Berechnung von Sozialversicherungsbeiträgen

1. Überblick

2. Meldungen zur Sozialversicherung

a) Einführung

b) Prüfungsablauf

3. Erhebung von Sozialversicherungsbeiträgen

a) Einführung

b) Prüfungsablauf

4. Berechnung von Sozialversicherungsbeiträgen

a) Einführung

b) Prüfungsablauf

5. Geringfügig Beschäftigte („Mini-Jobber“)

a) Einführung

b) Prüfungsablauf

6. Fallbeispiel

II. Sozialversicherungsrechtliche Ansprüche, insbesondere auf Entgeltersatzleistungen

1. Einführung

2. Prüfungsablauf

3. Fallbeispiel

E. Glossar/Definitionen

F. Fallfinder

A. Einleitung

1

Das vorliegende Arbeitsbuch gibt Studierenden für die gängigsten Klausurkonstellationen mit Hilfe von Prüfungsschemata einen Fahrplan zur Bearbeitung von Fällen zum Tarif-, Betriebsverfassungs- und Sozialversicherungsrecht an die Hand. Theoretisches Wissen wird bewusst nur insoweit vermittelt, wie dies für ein Grundverständnis der einzelnen Themen und zur konkreten Falllösung notwendig ist. Dies geschieht im Rahmen von Einführungen in die Thematik und Prüfungsabläufen. Vorlesungen und Lehrbücher können und sollen insofern nicht ersetzt, sondern im Hinblick auf eine gezielte und effektive Klausurvorbereitung ergänzt werden. Die Darstellung der verschiedenen Prüfungsabläufe wird angereichert durch – überwiegend der höchstrichterlichen Rechtsprechung entnommene – Übungsfälle und ein Glossar/Definitionenverzeichnis. Die Benutzerinnen und Benutzer haben dadurch sowohl die Möglichkeit, schnell Definitionen von Schlüsselbegriffen nachzuschlagen als auch das einzelne Schema in einem darauf zugeschnittenen Fall direkt anzuwenden.

2

Erfahrungsgemäß ist es bei der Arbeit mit den Fällen sinnvoll, die eigene Lösung zunächst vollständig auszuformulieren und anschließend mit dem vorliegenden, ebenfalls in Form eines Rechtsgutachtens verfassten Lösungsvorschlag zu vergleichen. Bitte machen Sie sich dabei klar, dass die Jurisprudenz eine Argumentationswissenschaft ist. Die Qualität der Rechtsanwendung hängt nicht davon ab, ob Sie im Ergebnis dem Lösungsvorschlag (bewusst nicht: der Musterlösung) besonders nahekommen, sondern ob Sie alle aufgeworfenen Probleme gesehen, diskutiert und vertretbar bewertet haben.

3

Bei der Fallbearbeitung gilt es zu beachten, dass nur Problematisches erörtert werden darf und die Schemata insofern nur gedanklich, nicht aber unbedingt in jedem Punkt ausführlich schriftlich abgearbeitet werden müssen. Gibt der Sachverhalt beispielsweise vor, dass ein Arbeitsvertrag oder ein Tarifvertrag wirksam abgeschlossen wurde oder enthält er keinerlei Hinweise auf mögliche Unwirksamkeitsgründe, wäre es überflüssig und falsch, solche zu prüfen. Hier genügt es kurz festzustellen, dass keine Anhaltspunkte für eine Unwirksamkeit des Arbeits- oder Tarifvertrages bestehen. Überhaupt sollten die Prüfungsschemata bei der Fallbearbeitung nicht „blind“ als auswendiggelerntes Wissen angewendet werden. Es kann Prüfungspunkte geben, die nicht in jedem Klausurfall anzusprechen sind. Beinhaltet der Sachverhalt z. B. keine Hinweise auf das Vorliegen eines Tendenzbetriebs, ist nicht zu erörtern, ob das betreffende Mitbestimmungsrecht nach § 118 Abs. 1 Satz 1 BetrVG ausgeschlossen ist. Über die konkrete Prüfungssituation hinaus können die Schemata auch sehr gut als Lern- und Wiederholungshilfen genutzt werden. Nicht aus dem Blick zu verlieren ist, dass das Gesetz (mit exakter Zitierweise) die erste Referenz für die Falllösung ist!

4

Hinsichtlich des Umfangs der Ausführungen sollte auch stets im Auge behalten werden, welchen Schwerpunkt die Aufgabenstellung hat. Wird relativ Unproblematisches breit erörtert, hat dies nahezu zwingend zur Folge, dass für die eigentlichen Probleme des Falles die Zeit fehlt! Obwohl auch Klausuren zum kollektiven Arbeitsrecht und zum Sozialversicherungsrecht im Gutachtenstil zu lösen sind, sollten Sie sich bei unproblematischen oder nebensächlichen Punkten des Urteilsstils bedienen, um dieser Gefahr zu entgehen. Denn wenn der Sachverhalt vom „Arbeitnehmer A“ spricht, ist gerade nicht „fraglich“, ob ein Arbeitsverhältnis vorliegt.

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In Fällen zum kollektiven Arbeitsrecht geht es z. B. häufig darum, ob ein Anspruch aus einem Tarifvertrag besteht oder ob ein Arbeitskampf rechtmäßig war. Andere geläufige Fragestellungen betreffen die Geschäftsführung des Betriebsrats und das Bestehen von Beteiligungsrechten nach dem BetrVG. Auch können individualrechtliche Ansprüche den Ausgangspunkt für die Prüfung von Vorschriften des TVG oder des BetrVG bilden. Stichworte sind hier etwa das Günstigkeitsprinzip (§ 4 Abs. 3, 2. Fall TVG) und die Theorie der Wirksamkeitsvoraussetzung.

6

Arbeits- und sozialversicherungsrechtliche Regelungen knüpfen oftmals an denselben Lebenssachverhalt an, betreffen aber unterschiedliche Regelungsbereiche. Insofern ist beispielsweise die Frage der Scheinselbständigkeit zwar gleichermaßen für die Anwendung des Arbeitsrechts wie auch für die Erhebung von Sozialversicherungsbeiträgen von Bedeutung, doch ist der sozialrechtliche Beschäftigungsbegriff weiter gefasst als der des Arbeitnehmers. Auch wenn weder ein arbeits- noch ein sozialversicherungsrechtliches Beschäftigungsverhältnis vorliegt, bedeutet dies nicht, dass nicht dennoch Rentenversicherungs- und Beitragspflicht für Selbständige nach § 2 SGB VI bestehen kann.

7

Von Bedeutung ist ferner, dass sozialrechtliche Entgeltersatzleistungen erst dann greifen sollen, wenn ein arbeitsrechtlicher Anspruch nicht besteht oder nicht erfüllt wird. Insofern ruht etwa der Anspruch auf Krankengeld, wenn Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall tatsächlich geleistet wird, nicht aber, wenn ein solcher Anspruch nur besteht, aber nicht erfüllt wird. Auch ist immer zu bedenken, dass das Arbeitsrecht überwiegend den Regeln des Privatrechts folgt, während das Sozialrecht ein Teilgebiet des öffentlichen Rechts bildet und damit nicht der Privatautonomie unterliegt. Oftmals werden (individual-)arbeitsrechtliche Fallgestaltungen durch sozialversicherungsrechtliche Zusatzfragen oder solche zum kollektiven Arbeitsrecht lediglich ergänzt.

B. Tarifvertragsrecht

I. Bestehen eines wirksamen Tarifvertrags

1. Einführung: Koalitionsfreiheit und Tarifrecht

8

Arbeitsrechtliche Fragestellungen lassen sich oftmals nicht ausschließlich auf der Grundlage des Arbeitsvertrags und der Gesetze lösen. In vielen Fallgestaltungen gibt das kollektive Arbeitsrecht den Ausschlag.

Das kollektive Arbeitsrecht umfasst (Kollektiv-)Verträge zwischen den Vertretungen der Beschäftigten und den Arbeitgebern und ihren Vereinigungen. Kollektivverträge lösen nicht nur Verpflichtungen der Vertragsparteien untereinander aus, sondern sie können unmittelbar und zwingend auf die Arbeitsverhältnisse einwirken.

9

Anschaulich wird dies anhand der bedeutsamen Entgelttarifverträge: Das in Tarifverträgen geregelte Entgelt darf nicht unterschritten werden, sofern der Tarifvertrag auf das Arbeitsverhältnis anwendbar ist. Entgelttarifverträge stellen daher in vielen Branchen und Berufen einen allgemeinen Maßstab für die Lohnhöhe dar.

10

Im kollektiven Arbeitsrecht der Bundesrepublik Deutschland sind zwei Ebenen zu unterscheiden: Das Betriebsverfassungsrecht (dazu Kapitel C., Rn. 92) bezieht sich auf die Beteiligung der Beschäftigten an Entscheidungen, die den einzelnen Betrieb betreffen. Das Tarif- und Arbeitskampfrecht hingegen bildet den übergreifenden Rahmen für die Beziehungen von Gewerkschaften und Arbeitgebern und den Folgen für das Arbeitsverhältnis. Es hat seine Wurzel in der von Art. 9 Abs. 3 des Grundgesetzes garantierten Koalitionsfreiheit, der Freiheit der Gewerkschaften und Arbeitgeber, die Arbeitsbedingungen zu regeln.

Koalitionsfreiheit ist das Grundrecht nach Art. 9 Abs. 3 GG, Vereinigungen zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen zu bilden. Es schützt sowohl die Koalitionen in ihrer Betätigung als auch ihre Mitglieder und bildet die verfassungsrechtliche Grundlage für die Wirkungsweise von Tarifverträgen.

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Einen Sonderfall stellt die negative Koalitionsfreiheit dar:

Die negative Koalitionsfreiheit garantiert das Recht, einer Koalition fernzubleiben oder aus ihr auszutreten.

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Das Instrument, mit dem eine Einigung auf diesem Gebiet rechtsverbindlich festgehalten wird, ist der Tarifvertrag. Er erzeugt wie jeder Vertrag Rechte und Pflichten zwischen den Parteien. Darüber hinaus wirkt er aber auch unmittelbar und zwingend auf die Arbeitsverhältnisse, die dem Tarifvertrag unterliegen, ein. Um diese besondere Wirkung zu erzeugen, müssen die Parteien tariffähig sein. Anderenfalls ist der Tarifvertrag unwirksam.

Das hat Auswirkungen auf die Fallbearbeitung: Bevor geprüft wird, ob die sich aus dem Tarifvertrag ergebenden Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind, muss vorab das Zustandekommen des Tarifvertrags und hier wiederum die Tariffähigkeit der Parteien festgestellt werden.

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Wer Tarifpartei sein kann, regelt § 2 TVG. Auf Arbeitgeberseite sind dies einzelne Arbeitgeber, Arbeitgeberverbände und deren Zusammenschlüsse (Spitzenorganisationen). Auf Arbeitnehmerseite können nur Gewerkschaften und ggf. ihre Spitzenorganisationen (z. B. Deutscher Gewerkschaftsbund, Deutscher Beamtenbund, Christlicher Gewerkschaftsbund) Tarifverträge abschließen.

2. Bestehen eines wirksamen Tarifvertrags in der Fallbearbeitung

a) Einstieg in die Fallbearbeitung

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In der Klausur wird eher selten direkt nach der Wirksamkeit eines Tarifvertrags gefragt. Meist wird dessen Wirksamkeit eine Vorfrage sein, so etwa, wenn die Fallfrage lautet, ob ein Arbeitnehmer Rechte aus einem Tarifvertrag herleiten kann. Ebenso ist es denkbar, dass sich der Arbeitgeber auf eine ihm günstige tarifliche Norm beruft (z. B. tarifliche Ausschlussfristen oder Regelungen nach § 3 Abs. 1 Nr. 3, § 9 Nr. 2, § 10 Abs. 4 AÜG oder § 14 Abs. 2 Satz 3 TzBfG). Weiterhin kann die Wirksamkeit des Tarifvertrags für Ansprüche zwischen Gewerkschaft und Arbeitgeberverband relevant werden (Beispiel: Friedenspflicht, siehe Rn. 82).

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Als Teilaspekt des nachfolgenden Prüfungsablaufs kann der Gewerkschaftsbegriff zu prüfen sein: Gewerkschaften können zum Streik aufrufen (vgl. Rn. 82) oder den Zugang zu einer Betriebsstätte verlangen.

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In juristischen Prüfungen gilt es dabei zu beachten, dass nur Problematisches erörtert werden darf. Gibt der Sachverhalt vor, dass ein Tarifvertrag durch eine Gewerkschaft abgeschlossen wurde und bietet der Sachverhalt keinerlei Anhaltspunkte für mögliche Unwirksamkeitsgründe, sind nähere Ausführungen zur Tariffähigkeit überflüssig und falsch. Es reicht etwa folgende knappe Feststellung: „Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass die Tariffähigkeit der Gewerkschaft X und des Arbeitgeberverbandes Y unwirksam sein könnte.“ Der Schwerpunkt der Klausurlösung wird in einem anderen Bereich liegen.

b) Prüfungsablauf

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Übersicht 1

Wirksamkeit eines Tarifvertrags

Schriftliche Einigung § 1 Abs. 2 TVGTariffähige Tarifparteien § 2 Abs. 1 TVG: Gewerkschaften, einzelne Arbeitgeber sowie Vereinigungen von ArbeitgebernMerkmale einer tariffähigen Gewerkschaft im Sinne des TVG: Frei gebildete, privatrechtlich organisierteAuf Dauer angelegteKörperschaftlich strukturierte VereinigungMit demokratischer BinnenstrukturZur Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen ihrer MitgliederUnabhängigkeit von Dritten, insbesondere von Staat, Parteien, Kirche und sozialem GegenspielerDurchsetzungsfähigkeitTarifwilligkeitAnerkennung geltenden TarifrechtsSpitzenorganisationen (Dachverbände) in den in § 2 Abs. 2, 3 TVG genannten FällenTarifzuständigkeit Kein Verstoß gegen die Zuständigkeitsregelungen der jeweiligen Satzung: sachlich-branchenmäßige Zuständigkeitberufliche ZuständigkeitZulässige Regelungsmaterie innerhalb der Grenzen der Tarifautonomie, Art. 9 Abs. 3 GGKein Verstoß gegen höherrangiges Recht.

Schriftliche Einigung

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Zu Prüfungspunkt I: Wenn der Klausursachverhalt Anhaltspunkte dafür gibt, ist anzusprechen, dass ein Tarifvertrag wie jeder Vertrag durch übereinstimmende Willenserklärungen abgeschlossen wird (Einigung). Er kann auch zwischen mehr als zwei Parteien geschlossen werden. So wäre ein Tarifvertrag für Piloten, den die Gewerkschaften Vereinigung Cockpit und ver.di mit verschiedenen Luftfahrtgesellschaften abschließen, zulässig.

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Der Tarifvertrag muss schriftlich geschlossen werden, wie sich aus § 1 Abs. 2 TVG ergibt. Es gilt das Schriftformerfordernis des § 126 BGB. Erforderlich ist also die eigenhändige Namensunterschrift am Ende der Urkunde. Entweder müssen alle Vertragsparteien auf der Vertragsurkunde unterzeichnen oder die Parteien tauschen unterzeichnete identische Urkunden aus. Ein Tarifvertrag, der der Schriftform nicht entspricht, ist gemäß § 125 BGB nichtig.

Tariffähige Tarifparteien

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Zu Prüfungspunkt II: In den Klausuren wird insbesondere die Tariffähigkeit von Gewerkschaften relevant. Das Gesetz erwähnt Gewerkschaften an verschiedenen Stellen, sieht aber nirgendwo eine Definition vor. Es ist daher wichtig, sich die Merkmale einzuprägen:

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Bei einer Gewerkschaft handelt es sich um eine Vereinigung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 GG, also um einen freiwilligen Zusammenschluss auf privatrechtlicher Grundlage. Eine Zwangsmitgliedschaft würde dem widersprechen. Eine Vereinigung muss auf Dauer und nicht für einen einzigen Anlass gebildet und körperschaftlich strukturiert sein. Letzteres ist der Fall, wenn ein mitgliedschaftlich organisierter Zusammenschluss in der Lage ist, durch Organe (z. B. Mitgliederversammlung, Vorstand) mit Mehrheitsentscheidung einen organisierten Willen zu bilden. Bei eingetragenen Vereinen (e.V.) wie nicht eingetragenen Vereinen handelt es sich ohne Weiteres um Vereinigungen. In der Falllösung ist auf diese Kriterien allenfalls dann näher einzugehen, wenn der Sachverhalt eine Aussage zur Organisation der Vereinigung trifft.

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Dies trifft auch auf das Merkmal der demokratischen Binnenstruktur zu. Die Gewerkschaftsmitglieder müssen in der Lage sein, über demokratische Wahlen auf die Willensbildung Einfluss zu nehmen.

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Zweck einer Gewerkschaft ist gemäß Art. 9 Abs. 3 GG die Förderung der Wirtschafts- und Arbeitsbedingungen. Sie muss also die sozialpolitischen Interessen der Arbeitnehmer wahrnehmen. Dies ergibt sich ggf. aus der Satzung der Vereinigung.

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Ausführlicher ist bisweilen das Merkmal der Gegnerunabhängigkeit zu prüfen. Eine Gewerkschaft darf nicht vom „sozialen Gegenspieler“, also dem Arbeitgeberlager, abhängig sein. Denn dann fehlt die Gewähr dafür, dass die Koalition die Interessen ihrer Mitglieder vertritt. Ein „Harmonieverband“ aus Arbeitgebern und Arbeitnehmern ist zwar zulässig, kann aber nicht als Gewerkschaft qualifiziert werden. Die Arbeitgeberseite darf keinen direkten Einfluss auf die Willensbildung bei der Arbeitnehmerorganisation haben. So können finanzielle Zuwendungen eine Abhängigkeit vom Gegenspieler begründen. Auch wenn die Arbeitnehmervereinigung in lediglich einem einzelnen Betrieb vertreten ist (fehlende Überbetrieblichkeit), stellt dies ein Indiz für die Abhängigkeit vom Gegner dar: Denn die Arbeitnehmerorganisation würde nicht mehr existieren, wenn das Unternehmen seine Tätigkeit einstellt.

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Auch eine Abhängigkeit von Dritten ist ausgeschlossen. Die Gewerkschaft darf also nicht die Interessen des Staates, einer Kirche oder politischen Partei vorrangig vor denen ihrer Mitglieder vertreten. Dem widerspricht eine bestimmte konfessionelle oder parteipolitische Ausrichtung noch nicht: Eine Gewerkschaft muss nicht neutral sein, sich aber von Kirche, Parteien und Staat getrennt organisieren.

26

Für die Tariffähigkeit nach § 2 Abs. 1 TVG muss eine gewisse Durchsetzungsfähigkeit hinzukommen (auch als „soziale Mächtigkeit“ bezeichnet). Fehlt diese, genießt die Gewerkschaft zwar den Schutz des Art. 9 Abs. 3 GG, kann aber keine Tarifverträge abschließen. Denn eine durchsetzungsschwache Vereinigung wird unter Umständen bereit sein, für ihre Mitglieder nachteilige Tarifverträge zu akzeptieren. Um die Durchsetzungsfähigkeit zu beurteilen, sind verschiedene Kriterien heranzuziehen (Stichwort: Einzelfallbetrachtung). Hierzu zählen die Mitgliederstärke, eine hinreichend leistungsfähige Organisation sowie eine ausreichende finanzielle Ausstattung. Ein Anhaltspunkt kann sein, dass eine Gewerkschaft bereits in der Vergangenheit Tarifverträge abgeschlossen hat. Eine Gewerkschaft, die nur wenige Mitglieder hat, ist dennoch durchsetzungsfähig, falls sie Berufe organisiert, die in der Wirtschaft Schlüsselpositionen einnehmen. Für diesen Gewerkschaftstyp hat sich die Bezeichnung „Spartengewerkschaft“ eingebürgert.

27

Die Gewerkschaft muss zur Erlangung der Tariffähigkeit zudem ihrer Satzung nach bereit sein, Tarifverträge abzuschließen (Tarifwilligkeit). Dies kann durch ein Tarifstatut geregelt werden.

28

Das BAG (v. 10.09.1985 – 1 ABR 32/83, NZA 1986, 332 ff.; v. 25.11.1986 – 1 ABR 22/85, NZA 1987, 492 ff.) geht zudem davon aus, dass ein Verband das geltende Tarifrecht anerkennen muss, wenn er die Tariffähigkeit beansprucht. Zu diesem Merkmal werden sich im Klausursachverhalt kaum einmal verwertbare Angaben finden lassen. Dann beschränkt sich die Behandlung dieses Punktes in der bloßen Feststellung.

29

Die Merkmale einer Gewerkschaft können somit wie folgt zusammengefasst werden:

Bei einer Gewerkschaft handelt es sich um eine frei gebildete, privatrechtlich organisierte, auf Dauer angelegte, körperschaftlich strukturierte Vereinigung mit demokratischer Binnenstruktur. Eine Gewerkschaft hat das Ziel, die Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen ihrer Mitglieder zu fördern. Sie ist unabhängig von Dritten, insbesondere von Staat, Parteien, Kirche und sozialem Gegenspieler. Sie ist willig, Tarifverträge abzuschließen und erkennt das geltende Recht an.

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Denkbar, aber selten klausurrelevant ist der Abschluss eines Tarifvertrags durch eine Spitzenorganisation (auch als Dachverband bezeichnet), in der sich Gewerkschaften oder Arbeitgeberverbände ihrerseits zusammenschließen. Die Voraussetzungen, unter welchen die Spitzenorganisationen selbst Tarifverträge abschließen können, sind § 2 Abs. 2, 3 TVG zu entnehmen. Jedes Mitglied der Spitzenorganisation muss dabei selbst tariffähig sein (BAG v. 14.12.2010 – 1 ABR 19/19, NZA 2011, 289 ff.). Von der Spitzenorganisation ist die Tarifgemeinschaft zu unterscheiden: Letztere wird gebildet, um gemeinsam Tarifverhandlungen zu führen (Verhandlungsgemeinschaft). Der Tarifvertrag wird dann aber von jeder der beteiligten Organisationen einzeln unterzeichnet. Man spricht dann von einem mehrgliedrigen Tarifvertrag. Beispiele hierfür sind das Vorgehen der DGB-Gewerkschaften in der Tarifgemeinschaft Zeitarbeit und die Tarifgemeinschaft für den öffentlichen Dienst.

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Der Begriff des Arbeitgeberverbandes wird in Klausuren seltener problematisiert. Es gelten im Wesentlichen dieselben Voraussetzungen wie beim Gewerkschaftsbegriff. Auf die Durchsetzungsfähigkeit kommt es jedoch nicht an. Eine weitere Besonderheit: Manche Arbeitgeberverbände sehen in ihrer Satzung ausdrücklich vor, dass Arbeitgeber „ohne Tarifbindung“ Mitglied sein können, sog. „OT-Mitgliedschaft“. Voraussetzung ist, dass diese Arbeitgeber gemäß Satzung keinen Einfluss auf tarifpolitische Entscheidungen nehmen können (BAG v. 21.01.2015 – 4 AZR 797/13, NZA 2015, 1521).

Tarifzuständigkeit

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Zu Prüfungspunkt III: Die Gewerkschaft legt ihre Tarifzuständigkeit in der Satzung fest. Regelungen finden sich insbesondere in sachlich-branchenmäßiger (z. B. chemische Industrie) und beruflich-fachlicher (z. B. Fluglotsen) Hinsicht. Geht eine Tarifpartei über eine satzungsmäßige Grenze hinaus, ist die Tarifzuständigkeit der Gewerkschaft nicht gegeben, der Tarifvertrag ist unwirksam. Es ist etwa die Konstellation denkbar, dass ein Maschinenbau-Zulieferer seinen Tätigkeitsbereich ändert und nunmehr überwiegend Logistikaufgaben übernimmt (Zu den Folgen des „Herauswachsens“ aus einem Tarifvertrag für die Tarifbindung vgl. Rn. 43 ff.).

Zulässige Regelungsmaterie

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Zu Prüfungspunkt IV: Der Tarifvertrag muss eine im Rahmen einer tariflichen Regelung zulässige Regelungsmaterie betreffen. Hierfür ist ein gewisser Bezug zum Arbeitsverhältnis ausreichend. So können Tarifverträge die Vermietung von Werkwohnungen oder die Überlassung von Dienstwagen an Mitarbeiter regeln.

Kein entgegenstehendes höherrangiges Recht

34

Zu Prüfungspunkt V: Eine tarifliche Regelung darf nicht gegen höherrangiges Recht verstoßen. Eine wichtige Ausnahme vom Vorrang des höherrangigen Rechts stellt das Günstigkeitsprinzip dar (vgl. § 4 Abs. 3 TVG). Trifft ein Tarifvertrag eine für den Arbeitnehmer günstigere Regelung, kommt diese zur Anwendung. Ein Verstoß ist zudem zu verneinen, wenn eine gesetzliche Vorschrift eine zu Lasten der Arbeitnehmer abweichende Regelung durch Tarifvertrag ausdrücklich ermöglicht (Öffnungsklausel).

3. Fallbeispiel

35

Fall 1

Einige Beschäftigte des privaten Krankenhauses K in der Stadt Essen sind mit der Arbeit der Gewerkschaft V in ihrem Unternehmen unzufrieden: Ihrer Auffassung nach stehen deren Parolen einem gedeihlichen Miteinander zwischen Arbeitgeber, Betriebsrat und der Belegschaft im Wege. Die Organisation verscherze es sich mit der Geschäftsführung, erziele aber keine Erfolge für die Mitarbeiter des Krankenhauses. Zudem konzentriere sie sich allein auf die Interessen der Pflegeberufe, für die sie u. a. Mindestbesetzungsquoten auf den Stationen fordere, und lasse die in der Verwaltung Beschäftigten links liegen. Sie gründen daher im Jahr 2012 die Arbeitnehmervereinigung M, die sich insbesondere den Interessen der kaufmännischen Berufe und der Verwaltungsangestellten widmen soll. M wird im Oktober 2012 in das Vereinsregister eingetragen und wird Mitglied im Christlichen Gewerkschaftsverband C. Die Satzung lautet auszugsweise:

§ 1: Der Verein führt den Namen M. Er hat seinen Sitz in Essen. Sein räumlicher Organisationsbereich ist das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland.

§ 2: Der Verein hat die Hauptaufgabe, die wirtschaftlichen und sozialen Interessen seiner Mitglieder zu wahren und zu fördern. Zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen seiner Mitglieder strebt er im Einvernehmen mit den Arbeitgebern den Abschluss von Tarifverträgen an, wozu als äußerstes Mittel auch Arbeitskämpfe in Betracht kommen. Der Verein gewährt seinen Mitgliedern Rechtsschutz in arbeits- und sozialrechtlichen Fragen.

§ 3: M ist zuständig für die Arbeitnehmer in Krankenhäusern, Einrichtungen der Rehabilitation, stationäre und ambulante Alten-/Krankenpflege, Rettungsdiensten und Einrichtungen der allgemeinen Wohlfahrtspflege. In den Zuständigkeitsbereich fallen auch Nebenbetriebe von Einrichtungen der genannten Bereiche.

§ 4: Die Organe des Vereins sind die Mitgliederversammlung und der Vorstand.

§ 5: Die Mitgliederversammlung wählt den Vorstand, bestehend aus 9 Mitgliedern, für eine Amtszeit von zwei Jahren. Der Vorstand vertritt den Verein gerichtlich und außergerichtlich. Er ist der Mitgliederversammlung rechenschaftspflichtig. Er hat die Mitgliederversammlung halbjährlich – auf Antrag von 10 % der Mitglieder jederzeit – einzuberufen.

(…)

Innerhalb von zwei Jahren gewinnt die M fast 500 Mitglieder in zahlreichen Krankenhäusern im gesamten Bundesgebiet, danach bleibt die Mitgliederzahl konstant. Im Jahr 2013 entschließt sich M, für die Krankenhäuser, in denen sie vertreten ist, Tarifverträge abzuschließen. M stellt hierfür zwei hauptamtliche Mitarbeiter ein, die die Aushandlung der Tarifverträge übernehmen und sich um die Mitgliederbetreuung einschließlich Rechtsberatung kümmern sollen. Beide waren zuvor bei der Christlichen Gewerkschaft D beschäftigt. Bis zum Jahr 2014 kann M den Abschluss von 120 Tarifverträgen erreichen. M schließt mit D einen Kooperationsvertrag, wonach die D die Verwaltung der elektronischen Mitgliederkarteien übernimmt und dafür 40 % der Beitragseinnahmen an D abgeführt werden.

Am 12.06.2015 unterzeichnen die zuständigen Vertreter von K und M einen „Haustarifvertrag über Bonuszahlungen“, der für Mitarbeiter der K mit Führungsverantwortung jährliche Bonuszahlungen vorsieht.

Das ruft V auf den Plan. V ist der Ansicht, dass es sich bei M um „gar keine richtige Gewerkschaft“ handelt. Der mit K abgeschlossene Tarifvertrag sei „null und nichtig“. Er regele, was zutrifft, ohnehin nur die bisher praktizierte Übung.

Prüfen Sie gutachterlich, ob der mit der M geschlossene Tarifvertrag vom 12.06.2015 wirksam ist.Welche(s) rechtliche(n) Mittel kann die V ergreifen, wenn sie die Gewerkschaftseigenschaft von M überprüfen lassen möchte? An welches Gericht muss V sich wenden?

(Bearbeitungszeit: 120 Minuten)

Lösungsvorschlag:

Aufgabe 1

Fraglich ist, ob der „Haustarifvertrag über Bonuszahlungen“ wirksam ist. Dafür müssten sich K und M schriftlich geeinigt haben, K und M müssten tariffähig und tarifzuständig sein und eine Materie regeln, die in einem Tarifvertrag zulässig ist und nicht gegen höherrangiges Recht verstößt.

I. Schriftliche Einigung

Indem die zuständigen Vertreter von K und M den „Tarifvertrag über Bonuszahlungen“ vom 12.06.2015 unterzeichneten, einigten sie sich in der von § 1 Abs. 2 TVG i. V. m. § 126 Abs. 1, 2 BGB vorgeschriebenen Schriftform.

Hinweis: Da der Sachverhalt keine näheren Umstände der Unterzeichnung enthält, darf hier die genaue Variante des § 126 Abs. 2 BGB offen gelassen werden.

II.Tariffähigkeitder M

M müsste tariffähig sein, also die Merkmale einer tariffähigen Gewerkschaft im Sinne des § 2 Abs. 1 TVG aufweisen. Der Begriff einer Gewerkschaft leitet sich aus Art. 9 Abs. 1, 3 GG ab, während sich weitere Voraussetzungen für ihre Tariffähigkeit aus dem TVG ergeben.

1. Frei gebildete, auf Dauer angelegte privatrechtliche Organisation mit körperschaftlicher Struktur

Es müsste sich bei M zunächst um eine von Art. 9 Abs. 1, 3 GG geschützte Vereinigung handeln. Als eingetragener Verein im Sinne der §§ 55 ff. BGB ist M privatrechtlich organisiert. Die Mitglieder von M haben sich in diesem Verein frei zusammengeschlossen. M ist nicht nur für einen einzigen Anlass, sondern auf Dauer gebildet. Da er über seine Organe einen Willen bilden kann, ist er körperschaftlich strukturiert.

Hinweis: Mehrere unproblematisch zu beantwortende Kriterien können aus Gründen der Arbeitseffizienz unter einer Überschrift zusammengefasst bearbeitet werden. Die Gliederungsziffern weichen dann vom Schema ab.

2. Demokratische Binnenstruktur

Die Willensbildung bei M muss demokratischen Grundsätzen entsprechen, wobei offen bleiben kann, ob sich diese Voraussetzung aus Art. 9 Abs. 3 GG ableitet oder sich erst als Voraussetzung für die Tariffähigkeit ergibt. Das nach außen auftretende Organ von M, gemäß § 4 der Satzung der Vorstand, wird gemäß § 5 der Satzung alle zwei Jahre von der Mitgliederversammlung gewählt. Der Vorstand ist der Mitgliederversammlung rechenschaftspflichtig. Die Binnenstruktur von M entspricht daher demokratischen Grundsätzen.

3. Zweck: Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen ihrer Mitglieder

M müsste den Zweck verfolgen, die Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen zu fördern und zu wahren, Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG. M will gemäß § 2 Satz 1 der Satzung die wirtschaftlichen und sozialen Interessen seiner Mitglieder fördern und wahren und die Arbeitsbedingungen der Arbeitnehmer durch den Abschluss von Tarifverträgen mitgestalten. Sein tatsächliches Tätigwerden legt keinen anderen Eindruck nahe.

4. Unabhängigkeit

Da eine Koalition nach Art. 9 Abs. 3 GG die Interessen ihrer Mitglieder vertritt, müsste die Vereinigung von der Einflussnahme Dritter, insbesondere des sozialen Gegenspielers, unabhängig sein. Das ist vorliegend deshalb problematisch, weil die Satzung in § 2 Satz 2 vorsieht, dass Tarifverträge nur im „Einvernehmen“ mit dem Arbeitgeber angestrebt werden. Genau genommen setzt ein Tarifvertrag jedoch stets ein Einvernehmen der Tarifparteien voraus, Arbeitskämpfe sind in der Satzung ausdrücklich nicht ausgeschlossen. M ist überbetrieblich organisiert und auch insofern nicht vom Arbeitgeber abhängig.

Institutionen von Staat, Parteien und Kirche haben keinen maßgeblichen Einfluss auf Entscheidungen von M. Allein eine konfessionelle Ausrichtung, wie sie in der Mitgliedschaft im christlichen C zum Ausdruck kommt, stellt keine Beeinträchtigung der Unabhängigkeit dar. M könnte jedoch von D abhängig sein, da diese ihre Mitgliederverwaltung übernimmt und beide hauptamtlichen Mitarbeiter zuvor bei D gearbeitet haben. Die Hauptamtlichen sind jedoch nunmehr nur bei M beschäftigt und dieser verantwortlich. Die Verwaltung der Mitgliederkartei betrifft eher technische Fragen. Die Unabhängigkeit der M wird durch die Satzungsbestimmungen gewahrt, wonach der Vorstand allein der Mitgliederversammlung verantwortlich ist.

Nach alldem ist die M von der Einflussnahme Dritter unabhängig.

5. Tarifwilligkeit und Anerkennung geltenden Tarifrechts

Die Satzung der M enthält in § 2 Satz 2 die Bestimmung, dass M den Abschluss von Tarifverträgen anstrebt. Die Tarifwilligkeit ist somit zu bejahen.

Es fehlen Anhaltspunkte dafür, dass die M das geltende Tarifrecht nicht als verbindlich anerkennt.

6. Durchsetzungsfähigkeit

M müsste ferner über eine hinreichende Durchsetzungsfähigkeit verfügen. Es würde der Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen gemäß Art. 9 Abs. 3 GG widersprechen, wenn eine Seite der anderen den Inhalt des Tarifvertrags diktieren könnte.

Ob eine Vereinigung hinreichend (Gegen-)Druck entwickeln kann, ist im Rahmen einer Gesamtbetrachtung unter Einbeziehung der Kriterien des Einzelfalls zu beurteilen. Einen wichtigen Anhaltspunkt stellt die Mitgliederzahl dar, die auch in Beziehung zur Gesamtbeschäftigtenzahl im Zuständigkeitsbereich der Gewerkschaft zu setzen ist. Weitere Kriterien sind die bisherige Tarifpraxis sowie die personelle, sachliche und finanzielle Ausstattung der Koalition. Eine große Zahl abgeschlossener Tarifverträge lässt ebenfalls auf eine vorhandene Durchsetzungskraft schließen.

Die M hat in relativ kurzer Zeit 120 Tarifverträge abgeschlossen, was für sich genommen einen Anhaltspunkt für die Durchsetzungsfähigkeit darstellt. Das gilt freilich dann nicht, wenn diese Tarifverträge reine Gefälligkeitstarifverträge zu Gunsten des Arbeitgebers darstellen oder lediglich andere Tarifverträge in Bezug nehmen. Beim „Haustarifvertrag über Bonuszahlungen“ könnte es sich um einen Gefälligkeitstarifvertrag handeln, weil er lediglich die bestehende betriebliche Praxis zu Bonuszahlungen aufgreift. Dagegen spricht jedoch, dass die tarifvertragliche Verankerung eines Anspruchs für die Beschäftigten Vorteile hat (Rechtssicherheit, tatsächliche Durchsetzbarkeit, ggf. höhere Beständigkeit).

Als gegen die eigene Durchsetzungsfähigkeit sprechendes Indiz fallen die geringen organisatorischen Kapazitäten von M ins Gewicht. Auch wenn M bei der Erfassung der Mitglieder Unterstützung der D erhält, dürften die beiden hauptamtlichen Mitarbeiter mit der Betreuung der Mitglieder, die auch den Rechtsschutz erfasst, weitgehend ausgelastet sein. Die Verhandlung von Tarifverträgen setzt umfangreiche Vorarbeiten voraus, weshalb die fachliche Betreuung der Mitglieder nicht gewährleistet ist.

Die Mitgliederzahl gibt Auskunft darüber, inwiefern die Vereinigung Forderungen durchsetzen kann und so für Mitglieder attraktiv zu sein vermag. Sie bestimmt die finanzielle und organisatorische Kraft der Vereinigung. M hat bundesweit lediglich 500 Mitglieder. Auch wenn bei jungen Vereinigungen geringere Anforderungen bestehen, ist dies bezogen auf den satzungsmäßigen Zuständigkeitsbereich der M wenig: Der Anteil der bei M organisierten Beschäftigten dürfte allenfalls im einstelligen Promille-Bereich liegen. Es ist auch nicht ersichtlich, dass die Mitgliedschaft in einer Weise verteilt ist, dass M in bestimmten Betrieben eine vom Durchschnitt erheblich größere Durchsetzungsfähigkeit entwickelt. M organisiert auch keine Belegschaftsteile, deren kurzfristiger Ausfall zu erheblichen Beeinträchtigungen im Betriebsablauf führen würde. Insgesamt spricht die geringe Mitgliederzahl bei M gegen eine hinreichende Durchsetzungskraft. Die Anzahl der bereits abgeschlossenen Tarifverträge hat demgegenüber ein geringeres Gewicht, weil der Abschluss von Tarifverträgen Folge und nicht Grundlage für die Tariffähigkeit ist. Weder die Mitgliedschaft noch die bisherige Tarifpraxis oder die Ausstattung von M belegen somit die hinreichende Durchsetzungsfähigkeit.

M ist zwar eine Gewerkschaft im Sinne von Art. 9 Abs. 3 GG, aber nicht tariffähig. M kann also keinen Tarifvertrag abschließen. Die von ihr geschlossenen Verträge verpflichten lediglich die Parteien des Vertrags, haben aber keine unmittelbare Auswirkung auf die Arbeitsverhältnisse. Der „Tarifvertrag über Bonuszahlungen“ ist nicht wirksam.

Hinweis: